2016년 11월 28일 월요일

Der Stechlin 5

Der Stechlin 5


Gewiß, Herr von Stechlin,« sagte Czako. »Erstlich aus
reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder
Fortschrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade gilt oder
überhaupt Menschheitsentwicklung bedeutet, auch seinerseits nach
Möglichkeit teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan.
Fische sollen außerdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, so heißt
es, macht helle
 
»Gewiß,« kicherte Frau von Gundermann, die sich bei dem Wort »helle«
wie persönlich getroffen fühlte. »Phosphor war ja auch schon, eh die
Schwedischen aufkamen.«
 
»O, lange vorher,« bestätigte Czako. »Was mich aber,« fuhr er, sich
an Dubslav wendend, fort, »an diesen Karpfen noch ganz besonders
fesselt -- beiläufig ein Prachtexemplar --, das ist das, daß er
doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt, über den
ich durch Woldemar, Ihren Herrn Sohn, bereits unterrichtet bin.
Dieser merkwürdige See, dieser Stechlin! Und da frag ich mich denn
unwillkürlich (denn Karpfen werden alt; daher beispielsweise die
Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden
Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen? Ich weiß nicht, ob
ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf; wenn aber, so würde
er als Jüngling die Lissaboner Aktion und als Urgreis den neuerlichen
Ausbruch des Krakatowa mitgemacht haben. Und all das erwogen, drängt
sich mir die Frage auf ...«
 
Dubslav lächelte zustimmend.
 
»... Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage auf, wenn's nun in
Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar die große Trichterbildung
anhebt, aus der dann und wann, wenn ich recht gehört habe, der krähende
Hahn aufsteigt, wie verhält sich da der Stechlinkarpfen, dieser doch
offenbar Nächstbeteiligte, bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse?
Beneidet er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Ruppiner Lande
hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der sich in seinem
Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der am andern Morgen fragt:
Schießen sie noch?«
 
»Mein lieber Herr von Czako, die Beantwortung Ihrer Frage hat selbst
für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. Ins Innere der
Natur dringt kein erschaffener Geist. Und zu dem innerlichsten und
verschlossensten zählt der Karpfen; er ist nämlich sehr dumm. Aber nach
der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der großen
Eruption wohl verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle.
Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie
brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst.«
 
»Bitte, bitte,« sagte Czako.
 
* * * * *
 
Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite
der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder außerdienstlich aufs
Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen,
und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das
Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe geborenen Kinder alle
möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zugute kommende
Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit
Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema
zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden
abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen
mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung
gebracht hatte, daß er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen
guten Gesprächsstoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförster
nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und
seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, -- sein früherer
Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite Welt
hinausgeführt, während er jetzt »stabiliert« sei. »Stabilierung« zählte
zu Rex' Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten
Fremdwörterschatz, den er sich -- er hatte diese Dinge dienstlich zu
bearbeiten gehabt -- aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms ~I.~
angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler,
ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur
von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit, fand sich in des
Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich
zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei
gewordene Pastor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam.
»Ich glaube herauszuhören,« sagte Lorenzen, »daß Herr von Rex geneigt
ist, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft
den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen
können, ich nun schon gewiß nicht; aber auch unser Herr Oberförster
wird mutmaßlich froh sein, seine vordem im Eisenbahncoupé verbrachten
Feldjägertage hinter sich zu haben. Es heißt freilich, im engen Kreis
verengert sich der Sinn, und in den meisten Fällen mag es zutreffen.
Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte
große Vorzüge.«
 
»Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor Lorenzen,«
sagte Rex. »Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der
Globetrottermein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln
zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem Auch-draußen-zu-Hause-sein
auf sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren, so
plädieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster
aus der Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind beide darin,
ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, daß meine
persönliche Neigung dieselben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben,
die von einem solchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen
wollen, die vielleicht umgekehrt, statt in einem Sichhingeben an den
einzelnen, in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung
finden. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen
Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu
dürfen. Sie stehen in der christlich-sozialen Bewegung. Aber nehmen
Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahesteht, er und
sein Tun sprechen doch recht eigentlich für mich; sein Feld ist nicht
einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Weltstadt.
Stöckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon, daß
das Schaffen im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein
müsse.«
 
Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's zu Tadel, sich mit dem
ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt
zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht
minder empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterschied, der zwischen
dem großen Agitator und seiner stillen Weise lag. »Ich glaube, Herr
von Rex,« nahm er wieder das Wort, »daß Sie den Vater der Berliner
Bewegungsehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur
Zufriedenheit des Geschilderten selbst, was, wie man sagt, nicht eben
leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht anscheinend in einem
Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich
geliebt und gehuldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildtätig die
Schuhe schneidet, sondern beinah mehr noch im Lager derer, denen er
das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat schon so viele Beinamen, und der
des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben,
die sein Tun im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag ist
nahe, wo der so Rührige und zugleich so Mutige, der seine Ziele so weit
steckte, sich in die Enge des Daseins zurücksehnen wird. Er besitzt,
wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgendwo in
Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich geradezu wahrscheinlich,
daß ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück
erblüht, als er es jetzt hat. Es heißt wohl, Gehet hin und lehret alle
Heiden, aber schöner ist es doch, wenn die Welt, uns suchend, an uns
herankommt. Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Persönlichkeit
sich ihr auftut. Da ist dieser Wörishofener Pfarrer -- er sucht nicht
die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie kommen, so heilt
er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und Natürlichsten. Übertragen
Sie das vom Äußern aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen
graben just an der Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission in
nächster Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit etwas Neuem.«
 
»Also mit dem Neuen,« sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer
die Hand.
 
Aber dieser antwortete: »Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber
mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es
muß.«
 
* * * * *
 
Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt,
der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die
Bewunderung seiner Gäste bildete: losgelöste Krammetsvögelbrüste,
mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbst- und
Ebereschentage da waren, als eine höhere Form von Schwarzsauer auf
den Tisch zu kommen pflegten. Engelke präsentierte Burgunder dazu,
der schon lange lag, noch aus alten, besseren Tagen her, und als
jeder davon genommen, erhob sich Dubslav, um erst kurz seine lieben
Gäste zu begrüßen, dann aber die Damen leben zu lassen. Er müsse bei
diesem Plural bleiben, trotzdem die Damenwelt nur in einer Einheit
vertreten sei; doch er gedenke dabei neben seiner lieben Freundin
und Tischnachbarin (er küßte dieser huldigend die Hand) zugleich
auch der »Gemahlin« seines Freundes Katzler, die leider -- wenn
auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster Veranlassung
-- am Erscheinen in ihrer Mitte verhindert sei: »Meine Herren, Frau
Oberförster Katzler« -- er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er
eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwägung gezogen hätte -- »Frau
Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, sie leben hoch!« Rex,
Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von Gundermann anzustoßen;
als aber jeder von ihnen auf seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen
sie die durch den Toast unterbrochenen Privatgespräche wieder auf,
wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf beschränkte, kurze Bemerkungen
nach links und rechts hin einzustreuen. Dies war indessen nicht immer
leicht, am wenigsten leicht bei dem Geplauder, das der Hauptmann und
Frau von Gundermann führten, und das so pausenlos verlief, daß ein
Einhaken sich kaum ermöglichte. Czako war ein guter Sprecher, aber
er verschwand neben seiner Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn, der es
(ursprünglich Schreib- und Zeichenlehrer) in einer langen, schon mit
anno 13 beginnenden Dienstzeit bis zum Hauptmann in der »Plankammer«
gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische
Zugehörigkeit, und als sie, nach mehrmaligem Auslugen, endlich den ihr
wohlbekannten Namenszug des Regiments Alexander auf Czakos Achselklappe
erkannt hatte, sagte sie: »Gott ..., Alexander. Nein, ich sage. Mir
war aber doch auch gleich so; Münzstraße. Wir wohnten ja Linienstraße,
Ecke der Weinmeister -- das heißt, als ich meinen Mann kennen lernte.
Vorher draußen, Schönhauser Allee. Wenn man so wen aus seiner Gegend
wieder sieht! Ich bin ganz glücklich, Herr Hauptmann. Ach, es ist zu
traurig hier. Und wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten, so
hätten wir so gut wie gar nichts. Mit Katzlers,« aber dies flüsterte
sie nur leise, »mit Katzlers ist es nichts, die sind zu hoch raus. Da
muß man sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende doch auch
noch nicht. Jetzt passen sie ja noch leidlich. Aber abwarten.«
 
»Sehr wahr, sehr wahr,« sagte Czako, der, ohne was Sicheres zu
verstehen, nur ein während des Dubslavschen Toastes schon gehabtes
Gefühl bestätigt sah, daß es mit den Katzlers was Besonderes auf sich
haben müsse. Frau von Gundermann aber, den ihr unbequemen Flüsterton
aufgebend, fuhr mit wieder lauter werdender Stimme fort: »Wir haben
den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch bloß
eine gute halbe Meile. Die meisten andern wohnen viel zu weit, und
wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht recht; die Leute
hier, mit denen wir eigentlich Umgang haben müßten, sind so difficil
und legen alles auf die Goldwage. Das heißt, vieles legen sie nicht
auf die Goldwage, dazu reicht es bei den meisten nicht aus; nur immer
die Ahnen. Und sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sechzehn?
Gundermann ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so
wär es gar nichts. Er hat nämlich klein angefangen, bloß mit einer
Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin entlang,
lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, zweizöllig und
noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind fast alle von uns.«
 
»Aber, meine gnädigste Frau, das muß Ihnen doch ein Hochgefühl geben.
Alle Berliner Dielen! Und dieser Rhinfluß, von dem Sie sprechen, der
vielleicht eine ganze Seenkette verbindet, und woran mutmaßlich eine
reizende Villa liegt! Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in
der Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume bewegen
sich leise. Mitunter natürlich ist auch Sturm. Und Sie haben eine
Pony-Equipage für Ihre Kinder. Ich darf doch annehmen, daß Sie Kinder
haben? Wenn man so abgeschieden lebt und so beständig aufeinander
angewiesen ist

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