2016년 11월 28일 월요일

Der Stechlin 1

Der Stechlin 1


Der Stechlin
Author: Theodor Fontane
 
Erstes Kapitel
Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze,
zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und
noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine
menschenarme, nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, sonst aber
ausschließlich mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung.
Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der +Stechlin+«.
Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig
ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt,
deren Zweige, von ihrer eigenen Schwere nach unten gezogen, den See
mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf
und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt,
und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten
auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu
Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit
draußen in der Welt, sei's auf Island, sei's auf Java, zu rollen und zu
grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis
weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich's auch +hier+,
und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das
wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so
setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das
Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes gibt,
wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelts hier nicht bloß und
sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter
Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.«
 
* * * * *
 
Das ist der Stechlin, der +See+ Stechlin.
 
Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der Wald, der ihn
umschließt. Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf, das
sich, den Windungen des Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht.
Etwa hundert Häuser und Hütten bilden hier eine lange, schmale
Gasse, die sich nur da, wo eine von Kloster Wutz her heranführende
Kastanienallee die Gasse durchschneidet, platzartig erweitert. An eben
dieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf
Stechlin zusammen: das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der
Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen
Mohren und einer Girlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster.
Dieser Ecke schräg gegenüber, unmittelbar hinter dem Pfarrhause,
steigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, so ziemlich in seiner Mitte,
die frühmittelalterliche Feldsteinkirche mit einem aus dem vorigen
Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten
Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben
diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her
heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis
sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden und von
zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke haltmacht.
Diese Brücke ist sehr primitiv. Jenseits derselben aber steigt das
Herrenhaus auf, ein gelbgetünchter Bau mit hohem Dach und zwei
Blitzableitern.
 
Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin, +Schloß+ Stechlin.
 
* * * * *
 
Etliche hundert Jahre zurück stand hier ein wirkliches Schloß, ein
Backsteinbau mit dicken Rundtürmen, aus welcher Zeit her auch noch der
Graben stammt, der die von ihm durchschnittene, sich in den See hinein
erstreckende Landzunge zu einer kleinen Insel machte. Das ging so bis
in die Tage der Reformation. Während der Schwedenzeit aber wurde das
alte Schloß niedergelegt, und man schien es seinem gänzlichen Verfall
überlassen, auch nichts an seine Stelle setzen zu wollen, bis kurz nach
dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms ~I.~ die ganze Trümmermasse
beiseite geschafft und ein Neubau beliebt wurde. Dieser Neubau war das
Haus, das jetzt noch stand. Es hatte denselben nüchternen Charakter
wie fast alles, was unter dem Soldatenkönig entstand, und war nichts
weiter als ein einfaches ~Corps de logis~, dessen zwei vorspringende,
bis dicht an den Graben reichende Seitenflügel ein Hufeisen und
innerhalb desselben einen kahlen Vorhof bildeten, auf dem, als einziges
Schmuckstück, eine große blanke Glaskugel sich präsentierte. Sonst
sah man nichts als eine vor dem Hause sich hinziehende Rampe, von
deren dem Hofe zugekehrter Vorderwand der Kalk schon wieder abfiel.
Gleichzeitig war aber doch ein Bestreben unverkennbar, gerade diese
Rampe zu was Besonderem zu machen, und zwar mit Hilfe mehrerer Kübel
mit exotischen Blattpflanzen, darunter zwei Aloes, von denen die eine
noch gut imstande, die andre dagegen krank war. Aber gerade diese
kranke war der Liebling des Schloßherrn, weil sie jeden Sommer in
einer ihr freilich nicht zukommenden Blüte stand. Und das hing so
zusammen. Aus dem sumpfigen Schloßgraben hatte der Wind vor langer
Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe geweht, und
alljährlich schossen infolge davon aus der Mitte der schon angegelbten
Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des
~Butomus umbellatus~ auf. Jeder Fremde, der kam, wenn er nicht zufällig
ein Kenner war, nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten, und der
Schloßherr hütete sich wohl, diesen Glauben, der eine Quelle der
Erheiterung für ihn war, zu zerstören.
 
Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte, so natürlich
auch der Schloßherr selbst. Auch er war ein Stechlin.
 
Dubslav von Stechlin, Major a. D. und schon ein gut Stück über Sechzig
hinaus, war der Typus eines Märkischen von Adel, aber von der milderen
Observanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen sich
selbst die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er hatte noch ganz das
eigentümlich sympathisch berührende Selbstgefühl all derer, die »schon
vor den Hohenzollern da waren,« aber er hegte dieses Selbstgefühl nur
ganz im stillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam, so kleidete
sich's in Humor, auch wohl in Selbstironie, weil er seinem ganzen Wesen
nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein schönster Zug
war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel
und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade
sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten.
Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto
besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu
wünschen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. »Ich bin
nicht klug genug, selber welche zu machen, aber ich freue mich, wenn's
andere tun; es ist doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten gibt
es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.«
Er ließ sich gern was vorplaudern und plauderte selber gern.
 
Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-herkömmlich gewesen.
Von jung an lieber im Sattel als bei den Büchern, war er erst nach
zweimaliger Scheiterung siegreich durch das Fähnrichsexamen gesteuert
und gleich danach bei den brandenburgischen Kürassieren eingetreten,
bei denen selbstverständlich auch schon sein Vater gestanden
hatte. Dieser sein Eintritt ins Regiment fiel so ziemlich mit dem
Regierungsantritt Friedrich Wilhelms ~IV.~ zusammen, und wenn er
dessen erwähnte, so hob er, sich selbst persiflierend, gerne hervor,
»daß alles Große seine Begleiterscheinungen habe.« Seine Jahre bei
den Kürassieren waren im wesentlichen Friedensjahre gewesen; nur Anno
vierundsechzig war er mit in Schleswig, aber auch hier, ohne »zur
Aktion« zu kommen. »Es kommt für einen Märkischen nur darauf an,
überhaupt mit dabei gewesen zu sein; das andre steht in Gottes Hand.«
Und er schmunzelte, wenn er dergleichen sagte, seine Hörer jedesmal
in Zweifel darüber lassend, ob er's ernsthaft oder scherzhaft gemeint
habe. Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs
war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder in seine Garnison
Brandenburg eingerückt, nahm er den Abschied, um sich auf sein seit dem
Tode des Vaters halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier
warteten seiner glückliche Tage, seine glücklichsten, aber sie waren
von kurzer Dauer -- schon das Jahr darauf starb ihm die Frau. Sich
eine neue zu nehmen, widerstand ihm, halb aus Ordnungssinn und halb
aus ästhetischer Rücksicht. »Wir glauben doch alle mehr oder weniger
an eine Auferstehung« (das heißt, er persönlich glaubte eigentlich
nicht daran), »und wenn ich dann oben ankomme mit einer rechts und
einer links, so is das doch immer eine genierliche Sache.« Diese Worte
-- wie denn der Eltern Tun nur allzu häufig der Mißbilligung der
Kinder begegnet -- richteten sich in Wirklichkeit gegen seinen dreimal
verheiratet gewesenen Vater, an dem er überhaupt allerlei Großes und
Kleines auszusetzen hatte, so beispielsweise auch, daß man ihm, dem
Sohne, den pommerschen Namen »Dubslav« beigelegt hatte. »Gewiß, meine
Mutter war eine Pommersche, noch dazu von der Insel Usedom, und ihr
Bruder, nun ja, der hieß Dubslav. Und so war denn gegen den Namen
schon um des Onkels willen nicht viel einzuwenden, und um so weniger,
als er ein Erbonkel war. (Daß er mich schließlich schändlich im Stich
gelassen, ist eine Sache für sich.) Aber trotzdem bleib ich dabei,
solche Namensmanscherei verwirrt bloß. Was ein Märkischer ist, der muß
Joachim heißen oder Woldemar. Bleib im Lande und taufe dich redlich.
Wer aus Friesack is, darf nicht Raoul heißen.«
 
Dubslav von Stechlin blieb also Witwer. Das ging nun schon an die
dreißig Jahre. Anfangs war's ihm schwer geworden, aber jetzt lag
alles hinter ihm, und er lebte »~comme philosophe~« nach dem Wort und
Vorbild des großen Königs, zu dem er jederzeit bewundernd aufblickte.
Das war sein Mann, mehr als irgendwer, der sich seitdem einen Namen
gemacht hatte. Das zeigte sich jedesmal, wenn ihm gesagt wurde, daß er
einen Bismarckkopf habe. »Nun ja, ja, den hab ich; ich soll ihm sogar
ähnlich sehen. Aber die Leute sagen es immer so, als ob ich mich dafür
bedanken müßte. Wenn ich nur wüßte, bei wem; vielleicht beim lieben
Gott, oder am Ende gar bei Bismarck selbst. Die Stechline sind aber
auch nicht von schlechten Eltern. Außerdem, ich für meine Person, ich
habe bei den sechsten Kürassieren gestanden, und Bismarck bloß bei den
siebenten, und die kleinere Zahl ist in Preußen bekanntlich immer die
größere; -- ich bin ihm also einen über. Und Friedrichsruh, wo alles
jetzt hinpilgert, soll auch bloß ne Kate sein. Darin sind wir uns also
gleich. Und solchen See, wie den Stechlin, nu, den hat er schon ganz
gewiß nicht. So was kommt überhaupt bloß selten vor.«
 
Ja, auf seinen See war Dubslav stolz, aber destoweniger stolz war er
auf sein Schloß, weshalb es ihn auch verdroß, wenn es überhaupt so
genannt wurde. Von den armen Leuten ließ er sich's gefallen: »Für die
ist es ein Schloß, aber sonst ist es ein alter Kasten und weiter
nichts.« Und so sprach er denn lieber von seinem »Haus«, und wenn er
einen Brief schrieb, so stand darüber »Haus Stechlin«. Er war sich
auch bewußt, daß es kein Schloßleben war, das er führte. Vordem,
als der alte Backsteinbau noch stand, mit seinen dicken Türmen und
seinem Luginsland, von dem aus man, über die Kronen der Bäume weg,
weit ins Land hinaussah, ja, damals war hier ein Schloßleben gewesen,
und die derzeitigen alten Stechline hatten teilgenommen an allen
Festlichkeiten, wie sie die Ruppiner Grafen und die mecklenburgischen
Herzöge gaben, und waren mit den Boitzenburgern und den Bassewitzens
verschwägert gewesen. Aber heute waren die Stechliner Leute von
schwachen Mitteln, die sich nur eben noch hielten und beständig bemüht
waren, durch eine »gute Partie« sich wieder leidlich in die Höhe zu
bringen. Auch Dubslavs Vater war auf diese Weise zu seinen drei Frauen
gekommen, unter denen freilich nur die erste das in sie gesetzte
Vertrauen gerechtfertigt hatte. Für den jetzigen Schloßherrn, der von
der zweiten Frau stammte, hatte sich daraus leider kein unmittelbarer
Vorteil ergeben, und Dubslav von Stechlin wäre kleiner und großer
Sorgen und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn er nicht in
dem benachbarten Gransee seinen alten Freund Baruch Hirschfeld gehabt
hätte. Dieser Alte, der den großen Tuchladen am Markt und außerdem
die Modesachen und Damenhüte hatte, hinsichtlich deren es immer hieß,
»Gerson schicke ihm alles zuerst« -- dieser alte Baruch, ohne das
»Geschäftliche« darüber zu vergessen, hing in der Tat mit einer Art
Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn, was, wenn es sich mal
wieder um eine neue Schuldverschreibung handelte, regelmäßig zu heikeln
Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld Vater und Hirschfeld Sohn führte.

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