2016년 11월 28일 월요일

Der Stechlin 2

Der Stechlin 2



Gott, Isidor, ich weiß, du bist fürs Neue. Aber was ist das Neue? Das
Neue versammelt sich immer auf unserm Markt, und mal stürmt es uns den
Laden und nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die Reiherfedern und
die Straußenfedern. Ich bin fürs Alte und für den guten, alten Herrn
von Stechlin. Is doch der Vater von seinem Großvater gefallen in der
großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit seinem Leben.«
 
»Ja, der hat gezahlt; wenigstens hat er gezahlt mit seinem Leben. Aber
der von heute ...«
 
»Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat. Und wenn er nicht hat,
und ich sage: Herr von Stechlin, ich werde schreiben siebeneinhalb,
dann feilscht er nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt,
nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald und Jagd und viel
Fischfang. Ich seh es immer so ganz klein in der Perspektiv, und ich
seh auch schon den Kirchturm.«
 
»Aber Vaterleben, was sollen wir mit'm Kirchturm?«
 
In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche zwischen Vater und Sohn,
und was der Alte vorläufig noch in der »Perspektive« sah, das wäre
vielleicht schon Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav
um zehn Jahre ältere Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten
Vermögen gewesen wäre: Schwester Adelheid, Domina zu Kloster Wutz. Die
half und sagte gut, wenn es schlecht stand oder gar zum Äußersten zu
kommen schien. Aber sie half nicht aus Liebe zu dem Bruder -- gegen den
sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden hatte --, sondern lediglich
aus einem allgemeinen Stechlinschen Familiengefühl. Preußen war was
und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch die
Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Besitz und nun
gar in einen solchen übergehen zu sehen, war ihr unerträglich. Und über
all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Woldemar, für
den sie all die Liebe hegte, die sie dem Bruder versagte.
 
Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl
der Entfremdung zwischen den Geschwistern, und so kam es denn, daß der
alte Dubslav, der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte
noch auch ihren Besuch gern empfing, nichts von Umgang besaß als seinen
Pastor Lorenzen (den früheren Erzieher Woldemars) und seinen Küster
und Dorfschullehrer Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch
Oberförster Katzler gesellte, Katzler, der Feldjäger gewesen war und
ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch auch diese drei kamen nur, wenn
sie gerufen wurden, und so war eigentlich nur einer da, der in jedem
Augenblick Red und Antwort stand. Das war Engelke, sein alter Diener,
der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem Herrn durchlebt
hatte, seine glücklichen Leutnantstage, seine kurze Ehe und seine
lange Einsamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als sein Herr, war
dessen Vertrauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav verstand
es, die Scheidewand zu ziehen. Übrigens wär es auch ohne diese Kunst
gegangen. Denn Engelke war einer von den guten Menschen, die nicht aus
Berechnung oder Klugheit, sondern von Natur hingebend und demütig sind
und in einem treuen Dienen ihr Genüge finden. Alltags war er, so Winter
wie Sommer, in ein Leinwandhabit gekleidet, und nur wenn es zu Tisch
ging, trug er eine richtige Livree von sandfarbenem Tuch mit großen
Knöpfen dran. Es waren Knöpfe, die noch die Zeiten des Rheinsberger
Prinzen Heinrich gesehen hatten, weshalb Dubslav, als er mal wieder
in Verlegenheit war, zu dem jüngst verstorbenen alten Herrn von
Kortschädel gesagt hatte: »Ja, Kortschädel, wenn ich so meinen Engelke,
wie er da geht und steht, ins märkische Provinzialmuseum abliefern
könnte, so kriegt ich ein Jahrgehalt und wäre raus.«
 
* * * * *
 
Das war im Mai, daß der alte Stechlin diese Worte zu seinem Freunde
Kortschädel gesprochen hatte. Heute aber war dritter Oktober und ein
wundervoller Herbsttag dazu. Dubslav, sonst empfindlich gegen Zug,
hatte die Türen aufmachen lassen, und von dem großen Portal her zog
ein erquicklicher Luftstrom bis auf die mit weiß und schwarzen Fliesen
gedeckte Veranda hinaus. Eine große, etwas schadhafte Marquise war
hier herabgelassen und gab Schutz gegen die Sonne, deren Lichter
durch die schadhaften Stellen hindurchschienen und auf den Fliesen
ein Schattenspiel aufführten. Gartenstühle standen umher, vor einer
Bank aber, die sich an die Hauswand lehnte, waren doppelte Strohmatten
gelegt. Auf eben dieser Bank, ein Bild des Behagens, saß der alte
Stechlin in Joppe und breitkrempigem Filzhut und sah, während er aus
seinem Meerschaum allerlei Ringe blies, auf ein Rundell, in dessen
Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne plätscherte. Rechts
daneben lief ein sogenannter Poetensteig, an dessen Ausgang ein
ziemlich hoher, aus allerlei Gebälk zusammengezimmerter Aussichtsturm
aufragte. Ganz oben eine Plattform mit Fahnenstange, daran die
preußische Flagge wehte, schwarz und weiß, alles schon ziemlich
verschlissen.
 
Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen wollen, war aber
mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. »Laß. Ich bin nicht dafür.
Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was Rotes dran
nähst, dann reißt es gewiß.«
 
Die Pfeife war ausgegangen, und Dubslav wollte sich eben von seinem
Platz erheben und nach Engelke rufen, als dieser vom Gartensaal her auf
die Veranda heraustrat.
 
»Das ist recht, Engelke, daß du kommst ... Aber du hast da ja was wie'n
Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramms nicht leiden. Immer is einer
dod, oder es kommt wer, der besser zu Hause geblieben wäre.«
 
Engelke griente. »Der junge Herr kommt.«
 
»Und das weißt du schon?«
 
»Ja, Brose hat es mir gesagt.«
 
»So, so. Dienstgeheimnis. Na, gib her.«
 
Und unter diesen Worten brach er das Telegramm auf und las: »Lieber
Papa. Bin sechs Uhr bei dir. Rex und von Czako begleiten mich. Dein
Woldemar.«
 
Engelke stand und wartete.
 
»Ja, was da tun, Engelke?« sagte Dubslav und drehte das Telegramm hin
und her. »Und aus Cremmen und von heute früh,« fuhr er fort. »Da müssen
sie also die Nacht über schon in Cremmen gewesen sein. Auch kein Spaß.«
 
»Aber Cremmen is doch soweit ganz gut.«
 
»Nu, gewiß, gewiß. Bloß sie haben da so kurze Betten ... Und, wenn man,
wie Woldemar, Kavallerist ist, kann man ja doch auch die acht Meilen
von Berlin bis Stechlin in einer Pace machen. Warum also Nachtquartier?
Und Rex und von Czako begleiten mich. Ich kenne Rex nicht und kenne von
Czako nicht. Wahrscheinlich Regimentskameraden. Haben wir denn was?«
 
»Ich denk doch, gnäd'ger Herr. Und wovor haben wir denn unsre Mamsell?
Die wird schon was finden.«
 
»Nu gut. Also wir haben was. Aber wen laden wir dazu ein? So bloß ich,
das geht nicht. Ich mag mich keinem Menschen mehr vorsetzen. Czako,
das ginge vielleicht noch. Aber Rex, wenn ich ihn auch nicht kenne,
zu so was Feinem wie Rex pass' ich nicht mehr; ich bin zu altmodisch
geworden. Was meinst du, ob die Gundermanns wohl können?«
 
»Ach, die können schon. Er gewiß, und sie kluckt auch bloß immer so
rum.«
 
»Also Gundermanns. Gut. Und dann vielleicht Oberförsters. Das älteste
Kind hat freilich die Masern, und die Frau, das heißt die Gemahlin (und
Gemahlin is eigentlich auch noch nicht das rechte Wort), die erwartet
wieder. Man weiß nie recht, wie man mit ihr dran ist und wie man sie
nennen soll, Oberförsterin Katzler oder Durchlaucht. Aber man kann's
am Ende versuchen. Und dann unser Pastor. Der hat doch wenigstens
die Bildung. Gundermann allein ist zu wenig und eigentlich bloß ein
Klutentreter. Und seitdem er die Siebenmühlen hat, ist er noch weniger
geworden.«
 
Engelke nickte.
 
»Na, dann schick also Martin. Aber er soll sich proper machen. Oder
vielleicht ist Brose noch da; der kann ja auf seinem Retourgang bei
Gundermanns mit rangehen. Und soll ihnen sagen sieben Uhr, aber nicht
früher; sie sitzen sonst so lange rum, und man weiß nicht, wovon man
reden soll. Das heißt mit ihm; sie red't immerzu ... Und gib Brosen
auch nen Kornus und funfzig Pfennig.«
 
»Ich werd ihm dreißig geben.«
 
»Nein, nein, funfzig. Erst hat er ja doch was gebracht und nu nimmt er
wieder was mit. Das is ja so gut wie doppelt. Also funfzig. Knaps ihm
nichts ab.«
 
 
 
 
Zweites Kapitel
 
 
Ziemlich um dieselbe Zeit, wo der Telegraphenbote bei Gundermanns
vorsprach, um die Bestellung des alten Herrn von Stechlin auszurichten,
ritten Woldemar, Rex und Czako, die sich für sechs Uhr angemeldet
hatten, in breiter Front von Cremmen ab; Fritz, Woldemars Reitknecht,
folgte den dreien. Der Weg ging über Wutz. Als sie bis in die Nähe von
Dorf und Kloster dieses Namens gekommen waren, bog Woldemar vorsichtig
nach links hin aus, weil er der Möglichkeit entgehen wollte, seiner
Tante Adelheid, der Domina des Klosters, zu begegnen. Er stand zwar gut
mit dieser und hatte sogar vor, ihr, wie herkömmlich, auf dem Rückwege
nach Berlin seinen Besuch zu machen; aber in diesem Augenblick paßte
ihm solche Begegnung, die sein pünktliches Eintreffen in Stechlin
gehindert haben würde, herzlich schlecht. So beschrieb er denn einen
weiten Halbkreis und hatte das Kloster schon um eine Viertelstunde
hinter sich, als er sich wieder der Hauptstraße zuwandte. Diese, durch
Moor- und Wiesengründe führend, war ein vorzüglicher Reitweg, der an
vielen Stellen noch eine Grasnarbe trug, weshalb es anderthalb Meilen
lang in einem scharfen Trabe vorwärts ging, bis an eine Avenue heran,
die geradlinig auf Schloß Stechlin zuführte. Hier ließen alle drei die
Zügel fallen und ritten im Schritt weiter. Über ihnen wölbten sich die
schönen, alten Kastanienbäume, was ihrem Anritt etwas Anheimelndes und
zugleich etwas beinah Feierliches gab.

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