2015년 7월 22일 수요일

A German Reader with Practical Exercises 5

A German Reader with Practical Exercises 5



Ganz niederschlagen verließ der reiche Herr den Gerichtssaal, denn er
sah nun Armut und Not leibhaftig vor Augen. Da begegnete ihm ein altes
Männlein, das sprach: »Herr, was habt Ihr Trauriges erlebt? Ihr seht ja
aus wie die teure Zeit!«
 
»Ach,« seufzte der Kaufmann, »wozu soll ich Euch das alles erzählen?
Ihr könnt mir doch nicht helfen.«
 
»Wer weiß?« versetzte der Alte. »Ich bin ein guter Ratgeber. Laßt
hören!«
 
Nun erzählte ihm der Kaufmann die ganze Geschichte, und das Männlein
sprach: »Wenn es weiter nichts ist, so geht nur gleich zum Richter
und sagt ihm, die Sache müsse noch einmal verhandelt werden, denn Ihr
hättet einen Rechtsanwalt gefunden. Dann will ich kommen und Euch
beistehen.«
 
»Wenn Ihr das fertigbringt,« sagte der Kaufmann erleichterten Herzens,
»so will ich Euch sechshundert Gulden geben!«
 
»Das wird sich finden«, meinte das Männchen. »Geht nur gleich hin!«
 
Das tat der Kaufmann, und der Richter setzte einen Tag fest, wo die
Sache aufs neue zur Verhandlung kommen und er mit seinem Anwalt
erscheinen solle.
 
Als nun der Gerichtstag kam, war der Holländer zeitig genug da, aber
das Männlein kam nicht. Die Gerichtsherren hinter dem grünen Tische
fragten schließlich den Kaufmann, wo denn sein Rechtsanwalt sei;
die Stunde sei fast vorbei, nach deren Verlauf sie das erste Urteil
bestätigen müßten. Da endlich erschien das Männchen, und die Richter
wollten wissen, warum er denn so lange ausgeblieben sei.
 
»Ich habe erst Erbsen kochen müssen«, antwortete das Männchen.
 
»Was habt Ihr denn mit den Erbsen machen wollen?« fragten die Richter
neugierig.
 
»Die habe ich pflanzen wollen«, gab der Alte zur Antwort.
 
»Ei,« lachten die Herren, »gekochte Erbsen pflanzt man doch nicht,
sonst kommen ja keine Früchte!«
 
»Und von gekochten Eiern«, fiel das Männchen ein, »wären auch keine
Küchlein gekommen! Darum seid so gut, ihr Herren, und sprecht dem Mann
hier ein anderes Urteil, denn dieser schuldet dem Wirt ja nur eine
kleine Summe für zwölf gekochte Eier, und die will er ihm auch gern
zahlen.«
 
Das leuchtete den Richtern ein; sie sprachen ein anderes Urteil, und
der holländische Kaufmann bezahlte dem Wirt das Dutzend Eier mit
Zinsen. Als er aber dem Männlein danken wollte, war es verschwunden.
 
/Karl Simrock./
 
 
Der starke Drescher.
 
Eine Geschichte von dem Berggeist Rübezahl.
 
Es lebte ein Bauer in Schlesien, der war steinreich. Man brauchte eine
volle Stunde, um nur einmal über seine Felder zu gehen. Im Sommer stand
überall das Korn so hoch, daß es ihn um eine Kopfeslänge überragte, und
er selbst war wirklich nicht klein.
 
Aber so reich der Bauer war, so hartherzig und habgierig war er auch.
Seine Knechte mußten doppelt soviel arbeiten wie die bei den anderen
Bauern und erhielten doch nur halb soviel Lohn. Daher war er in der
ganzen Umgegend als der ärgste Geizhals bekannt, und schließlich hörte
auch Rübezahl, der Berggeist, davon. Dieser beschloß deshalb, den Bauer
zu züchtigen. Das machte er aber so.
 
Er nahm die Gestalt eines Knechts an, aber eines sehr schwächlichen,
und als solcher ging er zu dem Bauer und sprach: »Ach, Herr, nehmt mich
doch als Drescher in Euren Dienst! Ich arbeite für zwei und verlange
nur wenig Lohn.«
 
»Erst muß ich sehen, ob du auch stark genug bist«, sagte der Bauer und
ging mit ihm in die Scheune, wo er dem Knecht Arbeit gab. Wie wunderte
sich aber der Herr, als er sah, mit welcher Kraft und Gewandtheit der
Knecht den Dreschflegel handhabte! Vom frühen Morgen bis zum späten
Abend drosch er tapfer drauf los, ohne zu ermüden und ohne mehr als
ein kleines Stück Brot dabei zu essen. Da rieb sich der geizige Bauer
vergnügt die Hände, denn solch einen Knecht hatte er noch nie gehabt.
 
Als nun des Dreschers Zeit um war, bat er sich zum Lohn nur so viel
Korn aus, wie er forttragen könne. Damit war sein Herr wohl zufrieden,
weil er bei sich dachte, das würde ja nicht viel sein. Wie erstaunte er
aber, als der kleine Kerl einen der größten Säcke nahm, ihn bis oben
an den Rand füllte, und dann noch einen und zuletzt einen dritten und
schließlich alle drei auf den Rücken schwang und damit forteilen wollte!
 
»Holla!« rief der Bauer und versuchte ihm die Säcke herunterzureißen.
Doch ehe er sich’s versah, drehte sich der dürre Drescher um, packte
die ganze Scheune auf den Rücken und fuhr damit in die Lüfte, auf
Nimmerwiedersehen!
 
Da erkannte der Bauer, daß es kein anderer gewesen war als der
Berggeist Rübezahl, der ihn betrogen hatte. Er nahm sich aber die
Züchtigung so zu Herzen, daß er sich fortan wohl hütete, seine Knechte
je wieder zu schinden.
 
/Ferdinand Goebel./
 
 
Die befreiten Seelen.
 
Vor der Seebachmühle hielt ein junger Stadtherr mit der Angelrute in
der Hand und sprach einen alten Mann an, der vor der Tür saß: »Ihr
seid der Müller, nicht wahr? Ich hätte Lust, Forellen zu angeln. Was
verlangt Ihr für die Erlaubnis?«
 
»Wollt Ihr im Ober- oder im Untersee fischen?« fragte der Alte.
 
»Im Obersee.«
 
»Das kostet nichts.«
 
»Schön Dank.«
 
Der junge Fischer ging mit geschwinden Schritten dem Bach entgegen,
welcher dem höher gelegenen See entfloß, und der Alte sah ihm mit
listigem Augenblinzeln nach. Dann rückte er den hölzernen Stuhl aus dem
Schatten und ließ sich die wärmende Morgensonne auf den kahlen Kopf
scheinen. So saß er wohl eine Stunde lang, da kam der Angler wieder
zurück; er sah sehr verdrossen aus.
 
»Nun?« fragte der Müller.
 
»Nichts habe ich gefangen«, erwiderte unwirsch der Stadtherr.
 
»Natürlich«, kicherte der Alte. »Fische fangen, wo keine sind, das kann
nicht einmal der heilige Petrus. Und im Obersee gibt’s keine Fische.«
 
»Das hättet Ihr mir gleich sagen sollen.«
 
»Warum seid Ihr so eilig davongerannt? Aber jetzt kommt mit mir an den
Untersee! Dort werdet Ihr reichlich entschädigt werden. Und zu Mittag
soll Euch meine Enkelin die Fische blausieden, und ein guter Trunk ist
in der Seebachmühle auch zu haben.«
 
Gegen Mittag kam der Alte mit dem Fremden zurück, und letzterer sah
sehr vergnügt drein. »Gebt mir die Fische«, sprach der Müller, »und
setzt Euch auf die Bank, bis die Mahlzeit angerichtet ist!« Er trug den
reichen Fang ins Haus und nahm dann Platz neben seinem Gast.
 
Der junge Stadtherr streckte behaglich seine bestiefelten Beine aus
und reckte die Arme. »Wie kommt’s denn, Alter,« fragte er, »daß es im
Obersee keine Fische gibt?«
 
»Das will ich Euch berichten«, entgegnete der Müller. »Kein Mensch
auf Erden weiß das besser als ich. Aber Ihr müßt mir versprechen,
reinen Mund zu halten.« Seine grauen Augen funkelten seltsam, und mit
gedämpfter Stimme begann er zu erzählen:
 
»Heutzutage läßt er sich nicht mehr blicken, aber noch vor dreißig
Jahren konnte man ihn in mondhellen Nächten am Obersee sitzen sehen,
und er war nicht so arg, als man ihn verschrien hatte.«
 
»Von wem sprecht Ihr?« fragte der Fremde.
 
»Ei, von meinem Duzbruder, dem Wassermann. Ich fing ihn im Netz und
hielt ihn für einen Hecht. Aber als ich ihn ans Ufer gebracht hatte,
verwandelte er sich in einen Mann mit langen Zähnen und grünen Haaren
und bat mich winselnd um Erbarmen. Was war da zu machen? Ich löste ihn
aus den Maschen, und dann wurden wir Freunde und tranken Brüderschaft
miteinander.«
 
»Ihr habt mit dem Wassermann Brüderschaft getrunken?« fragte der Gast
und sah den alten Müller mißtrauisch von der Seite an.
 
»So ist es, und ich habe nie einen lustigeren Kameraden gehabt. Eines
Tages lud er mich zu Tisch. Zuvor gab er mir ein Ölfläschchen, und
mit dem Öl mußte ich meinen Leib salben. Dann fuhren wir hinunter in
den See, wohl fünfzig Klafter tief. Unten aber geleitete mich mein
Kamerad in sein Haus, und dann ging’s zur Mahlzeit. Schöne Nixen mit
schillernden Augen trugen die dampfenden Schüsseln auf und schnalzten
mit den schuppigen Schwänzen, daß es eine Lust war. Und Fische aller
Art spielten uns zu Häupten wie hier oben die Schwalben und die
Schmetterlinge.
 
Als wir uns gesättigt hatten, führte mich der Wassermann in einen
Saal. Da standen irdene Töpfe, hundert und mehr, und in jedem Topf war
ein Ticken vernehmbar wie von einer Wanduhr. ‚Das sind die Seelen der
Menschen, die im See ertrunken sind‘, erklärte mein Wirt, und mir fuhr
ein Schauer über den ganzen Leib. Es war aber auf jedem Topf der Name
des Ertrunkenen geschrieben, und mehr als einer war mir bekannt.
 
Eine Woche später war Kirchtag in Seedorf, und da ich wußte, daß der
Wassermann nie einen Kirchweihtanz versäumte, so schloß ich daraus, daß
er an diesem Tage nicht zu Hause sein werde. Also salbte ich meinen
Leib mit dem zauberkräftigen Öl und tauchte in den See, denn als
Christenmensch hielt ich’s für meine Pflicht, die gefangenen Seelen zu
erlösen. Glücklich fand ich den Weg zu dem Haus des Wassermanns und kam
in den Saal, wo die Töpfe standen. Wie Luftblasen stiegen die armen
Seelen in die Höhe, als ich die Deckel hob, und ich hob sie alle bis
auf einen. Dann sperrte ich in jeden Topf einen Fisch und machte, daß
ich auf das Trockene kam.
 
Am nächsten Abend, als der Mond ins Wasser schien, legte ich mich auf
die Lauer. Da sah ich ihn, den Wassermann meine ich, wie er mit einer
Weidenrute ingrimmig in den See schlug; dazu schrie er:
 
‚Forelle, Hecht und Aal,
Packt euch allzumal!
Fort, ihr Seelenfresser,
Fort aus meinem Gewässer!‘
 
Ich schlich mich näher heran und sah, wie die Fische, die blinkenden
Rücken aneinandergedrängt, den Bach hinunterflohen bis in den Untersee.
Und seit jenem Tag ist der Obersee leer von Fischen. Der Wassermann
duldet in seinem Gebiet keinen einzigen mehr, weil er meint, sie hätten
ihm die Seelen aufgefressen. Über den Untersee aber hat er keine
Gewalt; das macht der Bildstock am Ufer.«
 
»Und ist der Wassermann nicht hinter Eure Schliche gekommen?« fragte
der Fremde.
 
»Das fürchte ich eben«, versetzte der Alte. »Und ich hüte mich wohl,
dem Obersee nahe zu kommen. Aber es hilft alles nichts. Einmal muß
ich doch noch hinunter, um die letzte Seele zu befreien, die ich damals vergessen habe.«

댓글 없음: