2015년 1월 26일 월요일

Aus Berg und Tal 1

Aus Berg und Tal 1

Aus Berg und Tal
       Charakterbilder aus dem schweizer. Bauernleben
: Ulrich Kiebler

Inhaltsverzeichnis.


                                           Seite

  Die Geschichte eines Bauernknechtes          1

  Die Blumenliese                             29

  Auf dem Lindenbuhl                          70




Vorwort.


Unter Bauern bin ich aufgewachsen und habe einen Beruf ergriffen, der
mich, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend mit der
landwirtschafttreibenden Bevolkerung in Beruhrung brachte.

So konnte es nicht ausbleiben, daß ich schon fruh Anteil nehmen lernte
an den Freuden und Leiden unserer Bauernschaft. Meine Tatigkeit
als Wanderlehrer gab mir aber erst ausgiebige Gelegenheit, unsere
landwirtschaftlichen Verhaltnisse in den hochsten Gebirgstalern wie im
Flachlande kennen zu lernen, und die Sitten und den Volkscharakter auf dem
Lande eingehender zu studieren.

Wenn ich aus meinen Beobachtungen in den einzelnen Kapiteln dieses
Buchleins einiges mitteile, so hat mich dabei der Gedanke geleitet,
daß neben den vielen Leitfaden und Lehrbuchern uber die verschiedenen
Landwirtschaftszweige auch einige Beispiele aus unserem Volksleben
von Nutzen sein konnten. Die heutige Zeit stellt eben nicht nur große
Anforderungen an die fachliche Tuchtigkeit eines Landwirts, sondern macht
auch die weitestgehenden Anspruche an den Charakter und die moralischen
Eigenschaften eines solchen.

Weil ich kein Schriftsteller von Beruf bin, so erhebt mein Werkchen auch
nicht Anspruch, als eine hervorragende Leistung taxiert zu werden. Meine
Arbeit geht hervor aus warmem Herzen fur unsere Landwirtschaft. Das
Sprichwort sagt: Was von Herzen kommt, das geht zum Herzen. In der Hoffnung
nun, daß sich dieser Satz bei dem vorliegenden Buchlein erfulle, lasse
ich es seine Wanderung antreten durch die Ebenen und Taler unseres
Schweizerlandes.

  Plantahof, im Herbst 1903.

  Der Verfasser.




[Illustration]




Die Geschichte eines Bauernknechtes.


Meine Ferien gingen zu Ende, sie waren mir dieses Mal besonders genußreich
verlaufen. Bei dem denkbar gunstigsten Wetter hatte ich seit einigen Wochen
das Graubundner Oberland nach allen Richtungen durchstreift und dabei bald
da bald dort mein Lager aufgeschlagen. Ich hatte mir vorgenommen, fernab
von dem Getriebe großer Fremdenzentren irgendwo ein Stuck Naturschonheit zu
genießen und dabei Land und Leute eines mir bis jetzt ziemlich unbekannten
Teils unserer an Abwechslungen so reichen Schweiz kennen zu lernen. Alles
das hatte ich wohl nirgends besser erreichen konnen, als hier im Bundner
Oberland mit seinen romantischen Talern und Schluchten, seiner großartigen
Gebirgswelt, seinen malerischen Dorfern und Hofen, bewohnt von einer
ausgesprochen landwirtschafttreibenden Bevolkerung. Hier war ich so recht
unter Bauern; denn Bauer ist da auch der Pfarrer, der Lehrer, uberhaupt
jedermann, und es ist nicht besonders notwendig, eine Unterhaltung oder ein
Gesprach durch eine absichtliche Wendung auf landwirtschaftliches Gebiet
hinuberzuleiten, das ergibt sich hier ganz von selbst.

Es herrschen hier zum Teil ganz eigenartige Zustande im Bauernwesen, so
eigenartig, wie das Land selbst ist und auch die Leute, die es bewohnen.
Eine allgemeine Schilderung des Bundner Oberlandes und der Art und Weise,
wie da Landwirtschaft getrieben wird, ware daher gewiß sehr interessant,
doch davon vielleicht ein andermal; heute mochte ich vielmehr von einer
Personlichkeit etwas erzahlen, deren Bekanntschaft ich ganz zufallig hier
gemacht habe.

Es war, wie gesagt, am Ende meiner Ferienzeit; ich kletterte schon einige
Tage in den Bergen der Todikette herum. Es war mir darum zu tun, erstens
mein Herbarium etwas zu bereichern, zweitens aber auch verschiedenen Alpen
einen Besuch abzustatten, um deren Bewirtschaftung kennen zu lernen. War
mir das Wetter bis jetzt außerst gunstig gewesen, so drohte es nun eine
Wendung zum Schlimmern zu nehmen. Es zeigten sich am Himmel verdachtige
Wolkengebilde und die Aelpler prophezeiten aus den verschiedensten
Anzeichen, daß etwas besonderes in der Luft liege und zum mindesten ein
Gewitter, wo nicht gar ein langerer Landregen im Anzuge sei. Doch bei mir
hieß es: ≫Bange machen gilt nicht≪, ich pochte auf mein gutes Gluck und
setzte ruhig meine Bergwanderungen fort. Zunachst schien es, als sollte
ich Recht behalten, doch auf einmal war es da -- es war am Spatnachmittage
desjenigen Tages, von dem ich erzahlen will -- ich wollte noch eine
Klubhutte erreichen, in welcher ich schon mehrere Nachte zugebracht hatte,
um dann am Morgen einen jener Uebergange zu benutzen, die vom Kanton
Graubunden hinuberfuhren ins Glarnerland.

Zuerst begannen sich im Norden einige dunkle Wolken zu ballen, der Calanda
bedeckte sein felsiges Haupt mit einer Nebelkappe und graue Dunste stiegen
aus den Schluchten des Rheintals empor. Es war ein seltsames Schauspiel,
wie die verschiedenen Wolkchen und Wolken sich sammelten und verdichteten,
bis sie einen einzigen bleifarbenen Vorhang bildeten, der die ganze
unvergleichlich schone Landschaft, die ich noch vor kurzem bewunderte,
meinen Blicken entzog. Schon mehrere Male hatte ich Gelegenheit gehabt,
Gewitter im Gebirge zu beobachten und mit Bewunderung dem Toben der
entfesselten Natur zugesehen. Heute aber sah ich es mit einem gewissen
Bangen heranziehen, denn ich hatte ungefahr noch eine Stunde bis zur Hutte
zu gehen.

Das Terrain, das ich zu begehen hatte, war nicht besonders steil und
erlaubte ein tuchtiges Ausgreifen, so daß ich anfangs hoffte, mein heutiges
Ziel noch vor Ausbruch des Gewitters zu erreichen. Indessen schwand diese
Hoffnung allmahlich; denn die drohende Wolkenwand verdunkelte sich mehr und
mehr, grelle Blitze zuckten immer haufiger uber den stets sich verengernden
Horizont, das Auge fast blendend und fur Momente alles in gelben
Feuerschein aufflammen lassend; das Rollen des Donners wurde bei
jedem Schlage lauter und unheimlicher. Da setzte auf einmal mit einem
unvermittelten heftigen Stoße auch der Wind ein und bald fielen die ersten
Tropfen, vermischt mit kleinen Hagelkornern, dichte Nebel jagten an mir
voruber, und bald war ich unfahig, auch nur funf Schritte weit zu sehen.
Zu all' dem kam noch, daß ich bald an der großern Steigung des Gelandes
wahrnehmen mußte, daß ich mich verirrt hatte, so daß ich gar nicht mehr
wußte, wo ich mich befand. Dicht in meinen Lodenmantel gehullt, trachtete
ich jedoch immer vorwarts zu kommen, hoffend, irgendwo unter einem Felsen
Schutz zu finden, bis das Gewitter sich verzogen habe. Als ich mich so ein
gutes Stuck aufwarts gearbeitet hatte, vernahm ich auf einmal Hundegebell;
bald blitzte auch ein Feuerschein durch den Nebel, ein kraftiges ≫Hallo!≪
drang an mein Ohr, das ich freudig erwiderte, und bald saß ich wohlgeborgen
am warmenden Feuer in einer kleinen Schaferhutte, auf die ich ganz zufallig
gestoßen war.

Der Schafer, ein schon alterer, aber noch sehr rustiger Mann mit grauem
Bart und freundlichen, gewinnenden Gesichtszugen, tat alles mogliche, um
es mir unter seinem einfachen Dache so bequem als moglich zu machen. Die
durchgemachten Strapazen hatten mich hungrig gemacht, und die vorgesetzte
Milch, samt Brot und Kase schmeckten mir so gut, als manchem verwohnten
Gaumen das feinste Essen an der Hoteltafel.

Unterdessen war wohl mehr als eine Stunde verflossen, der Regen hatte
aufgehort und der Himmel begann sich wieder zu blauen, so daß ich daran
dachte, meinen Weg fortzusetzen. Das aber ließ der alte Schafer nicht zu.
Er bedeutete mir, daß ich so weit von meiner Route abgekommen sei, daß
ich vor Nacht kaum mehr die Klubhutte erreichen konne; außerdem sei es
von seiner Hutte aus auch nicht weiter bis auf die Paßhohe, als von dem
Schirmhaus, und den Weg wolle er mir schon zeigen. Fur ein Nachtlager sei
schon gesorgt, es sei nicht das erste Mal, daß er Gaste habe. Weil ich auch
ziemlich mude war, so ließ ich mich gerne uberreden und blieb. Wir zundeten
unsere Pfeifen an und setzten uns vor die Hutte, von diesem und jenem
plaudernd.

Als der Alte horte, daß die Landwirtschaft mein Fach sei, zeigte er sich
sehr erfreut, und ich mußte ihm erzahlen, was draußen im Lande vorgehe, wie
die Ernteaussichten im allgemeinen seien u. s. w. Mit Staunen mußte ich im
Laufe des Gespraches wahrnehmen, wie sehr der einfache Schafhirte auf allen
Gebieten der Landwirtschaft zu Hause sei und gab meiner Verwunderung
auch unverhohlen durch die Frage Ausdruck, wie es denn komme, daß er, der
kenntnißreiche Bauer, auf einsamer Alp die Schafe hute? Lachelnd gab er mir
zur Antwort, daß es fur einen Hirten auch Kenntnisse brauche, und wenn er
sein jetziges Amt auch als eine Art Ruheposten betrachte, so sei er
sich doch jeden Augenblick bewußt, daß er Pflichten zu erfullen habe und
verantwortlich sei fur das Gedeihen seiner ihm anvertrauten Herde, er sei
mehr als funfzig Jahre Bauernknecht gewesen und habe ein an Erfahrungen
reiches Leben hinter sich. Ich bat ihn, mir von seinen Erlebnissen
mitzuteilen. Er zeigte sich auch bereit dazu, falls er mich nicht zu sehr
langweile, wie er meinte, und als er seine Pfeife frisch gefullt hatte, hub
er zu erzahlen an:

≫Ich bin in dem Dorfe N. -- von dem Sie von hier aus gerade noch den
Kirchturm und einige Hauser sehen konnen -- als der Sohn armer Eltern
geboren. Mein Vater war Wegmacher und daneben taglohnerte er da und dort
bei den Bauern. So hatte er im Sommer, nach den damaligen Verhaltnissen,
einen leidlichen Verdienst, desto geringer aber war er im Winter und oft
blieb er tagelang ganz aus. Der Ertrag aus dem Gemeindegut verschaffte uns
wenigstens Kartoffeln, und dank dem unbeschrankten allgemeinen Weidgang
konnten wir zwei Ziegen halten, welche uns einen großen Teil des Jahres mit
Milch versahen. Ich hatte aber noch drei Geschwister -- zwei Schwestern
und einen Bruder -- somit waren da sechs Mauler zu stopfen. Die Kleider, so
einfach sie auch waren, kosteten ebenfalls Geld. Also war auch die Mutter
noch aufs Verdienen angewiesen, und oft war sie auch, wie der Vater, den
ganzen Tag abwesend. Mir, als dem altesten, war dann das ganze Hauswesen
und namentlich die Obhut uber die jungern Geschwister anvertraut. So mußte
ich denn schon als kleiner Knirps auf eigenen Fußen stehen, und ich glaube,
daß das fur mich nutzlich war.

Als ich dann das zwolfte Altersjahr erreicht hatte, fand mein Vater, daß
meine zehnjahrige Schwester jetzt alt und anstellig genug sei, um die
Stelle als Hausmutterchen zu ubernehmen, fur mich aber sei es an der Zeit,
in die Reihe der Verdienenden einzutreten.

Mein Ideal ware es nun gewesen, Gaishirt zu werden; denn die Berge und die
grunen Alpen zogen mich machtig an. So jeden Tag mit der Herde ausziehen zu
durfen und frei mich herumtummeln zu konnen, das ware fur mich das damalige
Endziel meiner Wunsche gewesen. Aber erstens war ich dazu noch zu jung und
zweitens brauchte man eben nur einen Ziegenhirten; der Bewerber waren aber
viele. Es mußte also eine andere Verdienstquelle fur mich gefunden werden,
und ich konnte mich schon als kleiner Knabe darin uben, meinen eigenen
Wunschen zu entsagen.

Zu jener Zeit war noch die Schwabengangerei stark im Schwunge, und jedes
Fruhjahr zogen ganze Karawanen von noch schulpflichtigen Knaben hinaus
ins Wurttembergische und ins Baierische, um sich fur den Sommer auf die
dortigen Bauernhofe zu verdingen und durch Viehhuten und andere leichte
Arbeiten, wenn auch nicht gerade viel Geld, so doch Unterhalt und Kleider
zu verdienen.

Oft hatte ich von den großeren Knaben, die schon einen oder mehrere Sommer
im Schwabenlande gewesen waren, erzahlen gehort, wie schon es dort sei, wie
man gar nicht so streng zu arbeiten brauche und was fur gute Sachen man zu
essen bekomme etc. Diese kleinen Auswanderer machten es eben damals schon,
wie es heute die großen auch noch machen: sie erzahlten nur das Gute, das
sie im fremden Lande erlebt, aber von dem Truben, das sie durchzumachen
hatten, und das sie die Fremde oft schwer ertragen ließ, sagten sie kein
Sterbenswortchen. So ist es denn sehr leicht begreiflich, daß ich mich fur
die Schwabengangerei begeisterte, als ich sah, daß ich einstweilen darauf
verzichten mußte, Ziegenhirt zu werden. Ich bat deshalb meine Eltern, mich
im Fruhjahr ebenfalls mit den andern Knaben ziehen zu lassen, und nach
langem Erwagen und Hinundherraten mit den Nachbarn erhielt ich auch die
Einwilligung dazu.

Als der Tag der Abreise gekommen war, da uberkam mich ein sonderbar banges
Gefuhl. Wahrend ich vorher kaum diesen Tag glaubte erwarten zu konnen,
fiel es mir nun auf einmal sehr schwer, meine Eltern und Geschwister,
meine Heimat und alles, was mit ihr verflochten war, zu verlassen und
hinauszuziehen in ein fremdes Land, unter fremde Menschen, einem ungewissen
Geschick entgegen, das je nach den Umstanden ebensowohl ein herbes, als ein
freundliches sein konnte. Hatte nur jemand versucht, mich zum Dableiben zu
bestimmen, wie gerne hatte ich gefolgt! Aber niemand sprach dieses Wortchen
und ich wollte mich tapfer zeigen und niemanden es merken lassen, wie es in
meinem Innern aussah. Keine Trane wollte ich vergießen; denn alles sollte
glauben, daß es mir nicht an dem notigen Mute fehle, um in die Fremde zu
gehen; doch als die Mutter mich schluchzend zum Abschied in die Arme
schloß und mir das Versprechen abnahm, unter allen Umstanden brav, treu
und ehrlich zu bleiben, da rannen auch mir dicke Tropfen uber die Wangen
herunter. Mit halberstickter Stimme versprach ich den Eltern, auch in der
Fremde an sie denken zu wollen und mich so aufzufuhren, daß ich in Ehren
im Herbst wieder zuruckkehren konne. Dann riß ich mich los und eilte, ohne
mich umzusehen, den andern nach, die schon ein Stuck voraus waren.

Wir waren eine Truppe von sechzehn Knaben im Alter von zwolf bis
funfzehn Jahren, unter Fuhrung eines alten Mannes, der schon viele Sommer
hintereinander draußen am gleichen Platze arbeitete, im Fruhjahr immer eine
Anzahl Knaben mitnahm und sie im Herbste auch wieder zuruckbrachte.

Die Reise wurde naturlich vollstandig zu Fuß ausgefuhrt und ging uber Chur
und die Luzisteig hinein ins Liechtensteinische, dann durchs Vorarlberg
hinunter nach Bregenz und Lindau und von dort nach Ravensburg. In
letztgenannter Stadt mußten wir an einem bestimmten Tage eintreffen,
an welchem, wie das zu jener Zeit alle Jahre ublich war, der sogenannte
Gesindemarkt abgehalten wurde. Auf diesen Markten boten sich Dienstboten
jeglicher Art den Bauern zum Verding an, und es ging da oft an ein
Feilschen, an ein Herausstreichen und Heruntermachen, arger als an unsern
heutigen Viehmarkten.

Unser Fuhrer hatte uns schon unterwegs instruiert, wie wir uns auf diesem
Markte zu benehmen hatten, um einen guten Platz zu bekommen, und weil
namentlich wir Neulinge uns noch nicht fur unser Interesse zu wehren
imstande waren, so versprach er, so gut als moglich fur uns einzustehen.
Wir machten auch aus, an welchem Ort und an welchem Tage wir uns im Herbste
wieder treffen sollten zum Zwecke der gemeinschaftlichen Heimreise. Der
gute Alte, dem an unserem Wohlergehen viel gelegen war, und der sich in
vaterlicher Weise um uns annahm, nannte uns dann noch seinen Aufenthaltsort
wahrend des Sommers, damit sich ein jeder an ihn wenden konne, wenn er
eines Beistandes bedurfe. So betraten wir denn ohne Furcht den Markt und
harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Wir kamen etwas spat auf dem Marktplatze an, und die Geschafte waren schon
im Gange. Es schien aber, daß viele Bauern auf das Erscheinen unseres
Fuhrers gewartet hatten; denn wir waren bald umringt, und viele schuttelten
dem Alten als einem guten Bekannten die Hande, ihn fragend, wie es ihm gehe
und was er gutes mitbringe. In kaum einer Stunde waren denn auch schon 14
von uns versorgt und nur noch ich und ein anderer blieben zuruck, weil
wir anscheinend die schwachsten waren. Ich speziell war etwas hoch
aufgeschossen und dabei schmachtig und bleich, niemand erkannte in mir den
zahen Burschen, der ich in Wirklichkeit war. Es begann mir schon der Mut
zu sinken, und ich glaubte, daß mich niemand annehmen wolle, doch der
Alte machte uns darauf aufmerksam, daß viele, die er kenne, noch gar nicht
erschienen seien und also noch lange keine Veranlassung dazu da sei, zu
glauben, wir bekommen keinen Platz; er wolle einmal ein wenig Umschau
halten und wir sollen nur ruhig warten, bis er wieder komme. Bald kehrte
er auch in Begleitung eines uns freundlich anblickenden Mannes zuruck, der
nach kurzer Unterhandlung geneigt war, uns anzunehmen. So hatten also auch
wir einen Meister, oder wie man das draußen kurzweg nennt, einen ≫Bauer≪,
gefunden. Wir dankten unserem Fuhrer und verabschiedeten uns von ihm, dann
folgten wir unserem Bauern ins Wirtshaus, wo er sein Gefahrt eingestellt
hatte. Dort erhielten wir zunachst etwas zu essen, was wir auch wirklich
notig hatten; denn wir waren unterdessen hungrig geworden. Nachher wurde
eingespannt und wir fuhren dem zwei Stunden von Ravensburg entfernten
Schachenhof zu, wie das Besitztum unseres Bauern hieß.

Als wir gegen Abend dort anlangten, empfing uns die Bauerin, die uns eine
Kammer anwies, unsere Habseligkeiten durchmusterte und alles in einen
kleinen Kasten einraumte, den sie uns zur Verfugung gestellt hatte zum
gemeinsamen Gebrauch.

Eine Beschreibung des prachtigen Hofgutes, welches nun unsern
Aufenthaltsort und unser Tatigkeitsfeld ausmachte, will ich unterlassen.
Die großen Bauernhofe in jener Gegend gleichen sich, was die Art der
Bewirtschaftung anbelangt, ja wie ein Ei dem andern. Die Hauptsache war zu
jener Zeit immer der Getreidebau; auch Hopfen wurde schon angebaut, wenn
auch noch lange nicht in dem Umfange wie heute. Daneben spielte auch
die Viehzucht eine Rolle, und auf jedem Hof war eine mehr oder weniger
zahlreiche Ganseherde vorhanden. Der Unterschied war aber vorhanden, daß
das eine Gut sich vor dem andern durch rationelleren Betrieb hervortat; der
eine Besitzer wirtschaftete gut, der andere schlecht. Das war damals
schon so, wie es auch heute noch ist. Der Schachenhof nun war eine
Musterwirtschaft in jeder Beziehung und wir hatten es also sehr
gut getroffen. Wir mußten ja alle Arbeit erst lernen und waren also
gewissermaßen nichts anderes als Lehrjungen, und lernen kann man, wie
bekannt, da am meisten, wo jede Verrichtung, wenn sie an und fur sich auch
noch so gering ist, mustergiltig ausgefuhrt wird. Wir mußten nun aber nicht
nur die Arbeit lernen, sondern auch die Sprache; denn die paar Brocken
Deutsch, welche wir verstanden, reichten nicht weit. Da brauchte es Geduld
von seite unserer Dienstherrschaft und großen Fleiß unsererseits, um sich
moglichst schnell in alles hineinzufinden. Weil alles mit uns freundlich
war und niemand mehr von uns verlangte, als wir wirklich leisten konnten,
so verrichteten auch wir unsere Arbeiten mit Lust und Liebe und setzten
alles daran, die Zufriedenheit der Meistersleute und der Nebendienstboten
zu erwerben. Es gelang uns dies auch, und wir sahen alle Tage besser ein,
daß es ein Gluck fur uns gewesen sei, gerade hier einen Platz gefunden zu
haben.

Meinem Kameraden war die Stelle eines Gansehirten zugefallen, er hatte sich
den ganzen Sommer fast ausschließlich mit diesem Federvieh abzugeben.
Das war keine schwere Arbeit, und das Gansehuten bietet einem Knaben
Gelegenheit, dabei faul und gedankenlos zu werden. Der Schachenbauer
aber wußte es einzurichten, daß eine gewisse Verantwortlichkeit mit dem
Hirtenstand verbunden war. Der Stall mußte immer sauber sein, er mußte
punktlich geschlossen werden, die Futterrationen waren genau einzuhalten,
er belehrte den Hirten uber den Wert der Tiere, so daß die Arbeiten nicht
nur mechanisch verrichtet wurden, sondern man dabei auch unwillkurlich
an etwas denken mußte, was den Zweck der Arbeit betraf. Mein Genosse
entwickelte einen wahren Eifer, um seinen Pflichten so gut als moglich
nachzukommen. Die Bauerin -- zu deren Departement eigentlich die Ganse,
sowie samtliches Geflugel gehorte -- belohnte denn auch seinen Fleiß mit
manchem Geschenk.

Etwas schwierigerer Natur waren die Obliegenheiten, die mir zufielen; denn
ich hatte namentlich im Anfang keine bestimmte Beschaftigung, sondern wurde
bald diesem, bald jenem Betriebszweige zugeteilt. Zuerst kam die Bestellung
der Felder; da mußte ich dem Ackerknecht die Mahne treiben (beim Pflugen
die Zugochsen fuhren). Dann kam die Heuernte und namentlich die Ernte des
Getreides, welche fur alle harte Arbeit im Gefolge hatten; da gab es die
verschiedensten Arbeiten, die meinen jungen Armen zugemutet wurden. Doch
mir war nichts zu viel, sah ich doch, daß alle andern ohne Murren, jeder an
seiner Stelle, sich ihrer schweren Aufgaben entledigten. Nachdem dann die
Erntearbeiten voruber waren, kamen auch fur mich bessere Zeiten, indem nun
das Vieh auf die Weide getrieben und meiner Obhut anvertraut wurde. So ging
es nun fort, bis die kalten Herbsttage sich einstellten, die Weide anfing,
sparlich zu werden, und das Vieh wieder im Stall gefuttert wurde. Es ruckte
nun die Zeit heran, wo wir wieder nach unserer Heimat zuruckkehren sollten.

Das Heimweh nach unsern Eltern, nach unserem schonen Heimattal und
namentlich nach unsern Bergen war den ganzen Sommer in unsern jungen Herzen
wach geblieben, und wenn bei klarem Wetter die schneeigen Haupter unserer
Schweizerberge herubergrußten, so weilten wir in Gedanken dort, wo auf
grunem Bergeshang die Alpenrosen bluhen und der Hirten Jauchzen von der
Felswand widerhallt, wo der Bergbach tosend von Fels zu Fels sturzt, bis er
sich mit dem Fluß vereinigt, der durch die enge Schlucht sich zwangt. Das
ist das Schweizerheimweh, das sich nicht beschreiben, sondern nur empfinden
laßt.

Durch die gute Behandlung, welche uns zu teil wurde, hatte man uns diese
Sehnsucht nach der Heimat so ertraglich als moglich gemacht, so daß, als es
zum Abschiednehmen kam, ein fast schmerzliches Gefuhl sich mischte mit der
Freude, die Heimat wieder sehen zu durfen. Wir schieden mit innigem Danke
von den Leuten, die uns so viel Gutes erwiesen hatten.

Der Bauer hatte uns ein gutes Zeugnis ausgestellt und versprach, uns
entsprechend mehr Lohn zu geben, wenn wir im Fruhling wieder in seinen
Dienst treten wollten. Er sagte, es sei ihm darum zu tun, die gleichen
Leute langer zu behalten, und da er gesehen habe, daß wir anstellige
Burschen seien, so konnen wir sogar auch im Winter bei ihm bleiben; wir
hatten dann Gelegenheit, die Dorfschule zu besuchen und auf diese Weise
perfekt deutsch zu lernen. Daneben gebe es allerlei leichte Verrichtungen,
die von uns gut ausgefuhrt werden konnten. Wir sollen dieserthalben
mit unsern Eltern sprechen und, wenn sie zufrieden seien, sein Angebot
annehmen.

Unser Lohn bestand aus doppelter Kleidung und 10 Gulden. Als wir alles
in Empfang genommen und samt dem, was wir von der Bauerin noch fur die
Wegzehrung und fur die Eltern und Geschwister zugesteckt erhielten, in
unsern Reisesacken eingepackt hatten, waren wir reisefertig. Bis nach
Ravensburg brachte uns der Bauer mit seinem Gefahrt, dort trafen wir wieder
mit unserm Fuhrer und den andern Schwabengangern zusammen, und auf gleiche
Weise, wie wir gekommen -- mit dem einzigen Unterschied, daß wir lustiger
waren und auf dem Marsche mehr Ausdauer zeigten, trotzdem unsere Sacke mehr
druckten -- ging es nun der lieben Heimat zu.

Das war mein erstes Lehrjahr als Bauernknecht, und wenn ich es etwas
ausfuhrlich geschildert habe, so bitte ich das zu entschuldigen; denn
dieses erste Jahr war grundlegend fur mein ganzes spateres Leben. Nicht
alle, welche von unsern Hochtalern hinauszogen uber den Bodensee, waren so
glucklich wie mein Kamerad und ich; denn gar viele Bauern waren nur darauf
bedacht, die armen Schweizerknaben so gut als moglich auszunutzen, nicht
im entferntesten kam es ihnen in den Sinn, auch erzieherisch auf die jungen
Herzen einzuwirken und dazu beizutragen, sie zu nutzlichen Gliedern
der menschlichen Gesellschaft heranzubilden. Heute noch preise ich die
Vorsehung, daß sie mich in den Dienst des Schachenhofbauers gefuhrt hatte;
denn daß ich ein rechter Mensch und brauchbarer Bauernknecht geworden bin,
das habe ich fast einzig jenem Manne zu verdanken.

Meine Eltern waren naturlich sehr erfreut, daß es mir so gut ergangen im
Schwabenland, und sie hatten nichts dagegen einzuwenden, daß ich mich zum
zweitenmal auf den Schachenhof verdinge; auch war es ihnen recht, daß ich
im Winter dort bleibe und die Schule besuche. Mein Genosse vom letzten
Jahre war unterdessen mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert und lebt
heute noch als glucklicher Besitzer einer Farm in Kansas. So schloß ich
mich denn im Fruhjahr allein der ausziehenden Schar der Schwabenganger an
und kam glucklich wieder im Schachenhof an, wo man uber mein Kommen sehr
erfreut war.

Es wurde mich nun viel zu weit fuhren, wenn ich alle meine ferneren
Erlebnisse auf diesem Hof schildern wollte. Wenn ich mitteile, daß
ich volle 16 Jahre dort blieb und mich vom Kuherbub nach und nach zum
Oberknecht aufschwang, so mag das genugen. Hingegen kann ich nicht
unterlassen, etwas naher einzugehen auf das Leben und Treiben, das auf
diesem Bauernhofe herrschte, und auf das Verhaltnis zwischen der Herrschaft
und den Dienstboten.

Wer auf den Hof kam, dem mußte vor allen Dingen die peinliche Ordnung und
Sauberkeit auffallen, die allenthalben, selbst in dem entlegensten Winkel,
sich bemerkbar machte. Die Gebaude und alle Einrichtungen waren zwar
sehr einfach, von behabigem Luxus oder gar protziger Zurschaustellung des
Reichtums war da nichts zu bemerken. Der Schachenhofbauer hatte das Gut von
seinem Vater ubernommen und war bestrebt, nicht nur alles gut zu erhalten,
sondern auch zeitgemaße Verbesserungen vorzunehmen. Dabei aber hutete er
sich, irgendwelche Einrichtungen zu treffen, die sich nicht rentierten
oder nur totes Kapital darstellten. Wahrend er auch die kleinste Ausgabe
vermied, die ihm nicht gerechtfertigt erschien, geizte er nicht, wo es
galt, irgend etwas einzufuhren oder anzuschaffen, das den Betrieb zu
vereinfachen oder zu erleichtern geeignet war oder hoheren Ertrag sicherte.
Obwohl er sich nicht leicht in Sachen einließ, die praktisch nicht durch
und durch erprobt waren, so war er doch ein echter Fortschrittsbauer, der
nicht zah am Alten festhielt, sobald er sich uberzeugt hatte, daß Neues
vorteilhafter sei.

Auf dem Schachenhof wurde großer Wert auf richtige Zeiteinteilung gelegt
und der ganze Betrieb wurde nach einem bestimmten Plan geregelt. So kam es,
daß man alles zur rechten Zeit fertig brachte, und wenn bei uns eine Arbeit
angefangen wurde, so konnte jeder Bauer der Umgegend sicher darauf rechnen,
daß er weder zu fruh noch zu spat komme, wenn er auch damit beginne. Weil
alles so gut eingeteilt wurde, so gab es auch keine Hasterei und keine
Uebereilung, und das hatte den weiteren Vorteil im Gefolge, daß alle
Arbeiten auch recht und grundlich getan wurden und nicht nur oberflachlich,
wie man das leider so oft in unserer heutigen Zeit wahrnehmen muß.

Wenn unsere Kulturen auch manchmal selbst in schlechten Jahrgangen
verhaltnismaßig schon standen, so horte man die andern Bauern oft sagen:
≫Was doch der Schachenhofer fur ein heidenmaßiges Gluck hat!≪ Ich aber
lernte hier die Wahrheit des Sprichworts kennen: ≫Jeder ist seines Gluckes
Schmied.≪ Und wenn ich dazu berufen ware, unsern Bauern gute Lehren zu
erteilen, so wurde ich ihnen vor allen Dingen zurufen: ≫Haltet gute
Ordnung in allen Dingen; denn das ist das Fundament, auf dem sich ein guter
Wirtschaftsbetrieb aufbauen muß!≪

Unser Bauer aber hatte nicht nur schone, ertragreiche Aecker und Wiesen
und leistungsfahiges Vieh, sondern er hatte auch weit und breit die besten
Dienstboten und meistens solche, die schon eine Reihe von Jahren in
seinen Diensten standen. Das kam hauptsachlich daher, weil er es nicht nur
verstand, Knechte und Magde richtig zu behandeln und sie als Menschen zu
achten, sondern ihnen auch einen rechten Lohn bezahlte und es ihnen gonnte,
wenn sie in seinem Dienst etwas furs Alter ersparen konnten.

Es ware indessen weit gefehlt, wollte man glauben, daß bei uns nicht
tuchtig und streng gearbeitet wurde von fruh bis spat, und hatte sich etwa
ein Knecht auf den Schachenhof verdingen wollen in der Meinung, da
ein Schlaraffenleben fuhren zu konnen, so ware er jedenfalls von der
Wirklichkeit stark enttauscht gewesen. Mancher neu eingestandene Dienstbote
hat es denn auch einsehen mussen, daß es auf dem Schachenhof noch manches
zu lernen gebe, bevor man imstande sei, den Bauer vollauf zu befriedigen.

Manchem, der noch nicht an stramme Ordnung gewohnt war, kam es in den
ersten Wochen hart an, sich dem strengen Regiment zu fugen, aber da half
kein Murren. Der Schachenhofer wußte seinen Willen durchzusetzen, zwar
nicht mit Fluchen oder groben Worten, aber mit klaren und deutlichen
Befehlen, die nicht so leicht einer zu ubertreten wagte. Jeder merkte denn
auch bald, daß die Arbeit so viel leichter von statten gehe, als da, wo
Unordnung einem ungestorten Arbeitsverlauf jeden Augenblick im Wege steht.
Weil alles Arbeitsgeschirr an seinem bestimmten Orte aufbewahrt war,
so mußte man nie etwas suchen, und weil jedes Gerat nach dem Gebrauche
gereinigt wurde und jede notwendig gewordene Reparatur sofort ausgefuhrt
werden mußte, so war auch immer alles gebrauchsfahig. Nur dieser einzige
Umstand bewahrte uns vor vielen Zeitverlusten und Ausgaben, die mancher
nur als Kleinigkeit betrachtet, die aber in ihrer Summierung allein schon
hinreichen konnen, einen Bauer dem Ruin entgegen zu fuhren.

Auf dem Schachenhof wurden alle Mahlzeiten gemeinschaftlich eingenommen;
der Bauer und die Bauerin verschmahten es nicht, mit den Dienstboten
am gleichen Tische zu sitzen. Das brachte zwei große Vorteile mit sich.
Erstens war damit allen Reklamationen uber die Bekostigung die Spitze
abgebrochen; denn was der Herrschaft recht war, das mußte auch den
Dienstboten gut genug sein. Zweitens war es da notwendig geboten, daß
alle ordentlich und reinlich am Tisch erschienen, sich dort auch anstandig
benahmen und daß eine regelmaßige Essenszeit eingehalten wurde, alles
Punkte, die meistens dort vermißt werden, wo das Gesinde abgesondert von
der Herrschaft ihr Essen erhalt.

Der Bauer hielt uberhaupt darauf, daß sich seine Leute auch an ihrer Person
der Reinlichkeit und Sauberkeit beflissen. Er meinte, wenn der Bauer oft so
gering geachtet werde, so ruhre das vielfach nur daher, weil er denke, es
vertrage sich mit seinem Stande nicht, daß er auch sauber gekleidet sei
und sich anstandig benehme. Die landwirtschaftlichen Arbeiten bringen es ja
gewiß mit sich, daß man nicht immer wie aus dem Kasten heraus daherkommen
kann, aber es ist durchaus nicht notwendig, das, was von rechtswegen auf
den Miststock gehort, an den Kleidern und Schuhen mit sich herumzutragen,
oder zu glauben, daß die Unsauberkeit des Stalles auch auf das Wohnhaus
ubertragen werden musse.

In dieser Angelegenheit tat dann freilich auch die Bauerin das ihrige zur
Sache. Sie trug Sorge dafur, daß jedem Dienstboten alles gewaschen und
geflickt wurde, verlangte aber auch, daß die Leute selbst sich daran
gewohnten, ihre Kleider gut zu halten. In den Kammern duldete sie keine
Unordnung, und ich habe da oft bemerken konnen, daß es eigentlich gar nicht
so schwer ist, auch den grobsten Knecht zur Reinlichkeit und guten Sitte
anzuhalten, wenn man es nur richtig anfaßt. Freilich, wo es dem Bauer
hochstens darauf ankommt, daß die Stalle in Ordnung sind, er es aber unter
seiner Wurde halt, einmal eine Knechtenkammer zu betreten, wo nur das Vieh
geputzt wird, der Knecht aber wie eine wandelnde Dungerstatte herumlaufen
darf, da muß es einen nicht Wunder nehmen, wenn es mit der Reinlichkeit
schlecht bestellt ist.

Unser Bauer liebte es, wenn die Sonntage moglichst eingehalten wurden. Am
Samstag mußten alle Reinigungsarbeiten vorgenommen werden und nur wenn man
in der Erntezeit bei zweifelhaften Witterungsaussichten mit ganz dringenden
Arbeiten uberhauft war, durfte man so etwas auf den Sonntag verschieben.
Er liebte es, wenn an Sonn- und Festtagen eine feierliche Ruhe auf dem Hofe
herrschte, die Leute die Kirche besuchten oder einen Spaziergang durch die
Felder machten. Haufig unternahm er selbst einen solchen Gang und meinte,
man werde da auf manches aufmerksam, an dem man am Werktag, wo der Kopf mit
den Sorgen der Arbeit erfullt sei, achtlos vorubergehe. Ging etwa einer
der Knechte am Sonntag nachmittag ins Wirtshaus, so hatte der Bauer nichts
dagegen. Hingegen duldete er keine Ausschreitungen und Trunkenbolde behielt
er nicht in seinem Dienst.

Es war eine Freude, zu sehen, wie auf dem Schachenhofe selbst der geringste
Hirtenknabe mit eigenem Interesse an der Arbeit beteiligt war. Das kam
daher, weil der Bauer nicht nur trockene Befehle austeilte, sondern
eine wirkliche Besprechung der Arbeit miteinflocht; er achtete auch die
Ansichten anderer und regte so jeden zu selbstandigem Denken an. Es laßt
sich leicht begreifen, daß die Arbeit so ganz andere Resultate zeitigte,
als wenn nur mechanisch gearbeitet worden ware.

Wo der Bauer eine Belehrung bei uns Dienstboten anbringen konnte, da
unterließ er es nie, und namentlich die langen Winterabende benutzte er
dazu, uns mit den Neuerungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft bekannt zu
machen. Damals gab es noch nicht die Flut landwirtschaftlicher Literatur,
wie heute, dafur wurde alles grundlicher gelesen und studiert, und auch wir
Knechte erhielten die Bucher zu lesen, welche der Bauer besaß. Allfallige
neue Anregungen wurden besprochen und beraten, in welcher Weise sie
ungefahr fur unsere Verhaltnisse passen und wie sie verwendet werden
konnten.

Man kann leicht begreifen, daß ich auf dem Schachenhof unter den
geschilderten Verhaltnissen alle Arbeiten grundlich gelernt habe.
Ich lernte nicht nur, wie und wann die verschiedenen Beschaftigungen
vorzunehmen sind, sondern, weil ich mich auch mit dem Kopf an der Arbeit
beteiligte, uber alles nachdachte und den Erfolg beobachtete, lernte ich
einigermaßen auch das ≫Warum≪ einer Hantierung kennen, soweit das nach den
damaligen Verhaltnissen und ohne Fachschulen moglich war. Unleugbar war es
fur mich ein großer Vorteil, daß ich auf der untersten Stufe, namlich als
Hirtenknabe, meine Tatigkeit auf dem Hof begonnen hatte. So kannte ich den
ganzen Betrieb durch und durch und konnte dem Bauer kraftig an die Hand
gehen.

Ohne etwa mich selbst ruhmen zu wollen, darf ich doch sagen, daß ich
nicht mit großerem Eifer und Interesse hatte arbeiten konnen, wenn ich
der leibliche Sohn von Schachenhofers gewesen ware. Hingegen darf ich auch
nicht verschweigen, daß ich fast wie ein Sohn gehalten wurde. Man raumte
mir mehr Rechte ein, als ich je benutzen wollte. Auch der Lohn war
ein recht guter fur einen Bauernknecht; fast jedes Jahr gab man mir
Aufbesserung, und ich konnte meinen Eltern nette Summchen nach Hause
senden. Zweimal kam ich wahrend meines Aufenthaltes auf dem Schachenhof zu
einem kurzen Besuch nach Hause und fand zu meiner Freude immer geordnetere
Zustande vor. Aus meinen kleinen Geschwistern wurden mit der Zeit große
Leute; die beiden Schwestern verheirateten sich, mein jungerer Bruder wurde
ein Schmied und hat jetzt ein gutgehendes Geschaft drunten im Dorfe.

Sie sehen, daß ich nicht nur uber nichts zu klagen hatte, sondern es ging
mir so gut, wie ich es mir eigentlich nie zu wunschen getraut hatte. Doch
es sollte anders kommen, und wenn ich bisher nur die Lichtseiten meines
Standes kennen gelernt hatte, so sollten mir nun auch die Schattenseiten im
Leben eines Bauernknechtes bekannt werden.

Eines Tages -- es war gerade in der Zeit der Heuernte -- wurde der Bauer,
der sonst immer ein Bild der Gesundheit gewesen war, auf einmal krank, und
ich mußte schnell einen Arzt aus der Stadt holen. Als dieser den Kranken
untersucht hatte, schuttelte er bedenklich den Kopf und bedeutete der
Bauerin, daß sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen musse, indem eine
heftige Lungenentzundung zu konstatieren sei. Alle arztliche Kunst war denn
auch vergebens, und nach vier Tagen standen wir tiefbetrubt an der Bahre
unseres Brotherrn, den wir alle wie einen Vater verehrt hatten.

Nun kamen trube Zeiten. Der ganze Gutsbetrieb ruhte auf meinen Schultern.
Die Schachenhoferin, die den Verlust ihres Gatten kaum uberwinden konnte,
wollte sich um nichts mehr annehmen. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und
somit hatte sie niemanden, dem sie den Hof ubergeben konnte. So entschloß
sie sich, denselben zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Die Sache
wurde einem Notar ubergeben und bald stellten sich Kaufliebhaber zur
Besichtigung des Hofes ein.

Ein junger Herr, der eben seine Studien in Hohenheim beendigt hatte und im
Begriffe stand, sich zu verheiraten, wurde Besitzer des Schachenhofes, und
weil er auch die Dienstboten mit ubernommen hatte, unser neuer Herr.

Nun begannen Umwalzungen im großen Stil. Zunachst ruckte ein Heer der
verschiedensten Handwerker ein; denn es galt nun, das Wohnhaus fur den
Empfang der jungen Frau wurdig herauszuputzen. Es wurde auch jetzt noch
der Betrieb fast vollstandig mir uberlassen. Herr Rasch -- so hieß der neue
Hofbesitzer -- kundete mir zwar vorlaufig an, daß da vieles anders werden
musse; vorerst freilich habe er nicht Zeit dazu. Meistens war er denn
auch abwesend, entweder in der Stadt, oder auf Besuch bei seiner Braut
in Stuttgart, und wir konnten alle Arbeiten wie gewohnt verrichten. Eine
Haushalterin besorgte das Hauswesen, zwar nicht in der Weise, wie unsere
Bauerin es getan, aber wir hatten auch nicht gerade Anlaß zu Klagen.

Gegen den Herbst kam die Ausstattung der zukunftigen Herrin, alles ganz
stadtisch, sogar ein Klavier wurde im ≫Salon≪ aufgestellt. Bald kam auch
das neuvermahlte Paar selbst an, und Herr und Frau Rasch begannen nun, die
Zugel der Regierung selbst in die Hand zu nehmen.

Sehr bald mußte ich bemerken, daß unser Herr zwar sehr viel wisse -- er
hatte jedenfalls die Schule mit sehr gutem Erfolge absolviert -- aber daß
ihm die notwendige Praxis und die notige Energie, das Gelernte auch
richtig zu verwerten, fehlte. Dabei nahm er auch zu wenig Rucksicht auf
die ortlichen Verhaltnisse. So konnte es nicht ausbleiben, daß falsche
Maßnahmen Mißerfolge zeitigten. Zu stolz nun, den Fehler bei sich selbst zu
suchen, glaubte Herr Rasch, die Ursachen wo anders suchen zu mussen.
Bald mußten die schlechten Einrichtungen schuld sein, bald suchte er
die Dienstboten verantwortlich zu machen. Das zeitigte naturlich
Unzufriedenheiten auf beiden Seiten, und als Lichtmeß heranruckte,
kundigten schon einige derjenigen Dienstboten, die mehrere Jahre unter dem
verstorbenen Schachenhofer gedient hatten.

Von den Magden blieb keine einzige, denn bei der jungen Frau war es gar
nicht zum Aushalten. Sie wollte regieren, wahrend sie doch weder von der
Fuhrung des Hauswesens, noch von der Landwirtschaft viel verstand. Um das
Wohl oder Wehe der Dienstboten kummerte sie sich nichts, dazu hatte sie
eine Haushalterin, die aber auch, wie die Magde, den Dienst gekundet hatte
aufs erste Ziel.

Nach und nach riß uberall Unordnung ein, besonders auch deswegen, weil
planlos bald dieses, bald jenes in Angriff genommen wurde, ohne etwas
zu beenden. Da war es unausbleiblich, daß hier ein Gerat liegen gelassen
wurde, dort etwas anderes verloren ging. Aber auch ungemein viel Zeit
ging bei dem unsichern Hinundherlaufen verloren. Weil alles am Sonntag
aufgeraumt und geputzt werden sollte, so geschah es nur oberflachlich und
mit Unlust. Weil unser Herr nie grundlich nachschaute, so merkte er nicht,
daß unter dem außerlichen Schein der Sauberkeit das schlimmste Krebsubel
eines Bauernwesens, die Unordnung, an seinem schonen Gute zu zehren begann.

Herr Rasch hatte auch einen andern Fehler, der schon manchen Landwirt zu
grunde gerichtet hat. Er war prunksuchtig und wollte um jeden Preis den
andern Bauern der Umgebung imponieren. Hatte er die notige Energie und
Schaffenslust besessen, seine Kenntnisse in richtiger Weise zu verwerten,
so ware ihm das vielleicht auch gelungen; denn ich glaube bestimmt, daß es
ihm gegluckt ware, den Ertrag des Hofes bedeutend zu erhohen, trotzdem der
fruhere Besitzer nach seiner Art mustergiltig gewirtschaftet hatte. Ich
merkte z. B. gar bald, daß mit den neueren Geraten eine ganz andere Arbeit
geliefert werden konnte. Aber was nutzte uns der beste Hohenheimer Pflug,
wenn er zu spat in Anwendung kam, und was frommte das bessere Saatgut, wenn
es zur unrichtigen Zeit in den Boden kam, oder wenn die aufgehende Saat
im Unkraut halb erstickte. Weil es nun in diesem Punkte nicht ging, sich
hervorzutun, und er dabei nur erzielte, daß die Nachbarn im Stillen uber
den ≫studierten Bauer≪ lachten, so wurde es auf andere Weise versucht. Die
schlichten, aber zweckmaßigen Wirtschaftsgebaude wurden niedergerissen und
durch massive Prachtbauten ersetzt. Diese neuen Stallungen und Scheunen
erfullten den Zweck nicht viel besser als die alten. Sie gewahrten nur den
Vorteil, daß sie schoner aussahen, hatten aber den sehr schwerwiegenden
Nachteil, daß in ihnen ein unproduktives Kapital angelegt war.

Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß ich noch gar nichts erzahlte uber das
Verhaltnis zwischen Herrn Rasch und mir, doch werden Sie sich, nach meiner
Beschreibung der allgemeinen Zustande, schon ein Bild machen konnen, wie
wir zu einander gestanden haben. Bei diesem Punkte angelangt, muß ich
jedoch gestehen, daß mein Herr die Schuld nicht allein trug, wenn die Kluft
zwischen uns immer großer und unuberbruckbar wurde; auch ich selbst trug
sehr viel dazu bei. Herr Rasch uberragte mich naturlich an Bildung und
theoretischem Wissen himmelweit, wogegen ich im praktischen Konnen und
im Bekanntsein mit den ortlichen Verhaltnissen im Vorteil war. Beide aber
hatten wir den gleich großen Fehler, daß wir dem eigenen Wissen die großte
Wichtigkeit beimaßen und mit Geringschatzung auf die Fahigkeiten des
andern blickten. Ich glaube heute bestimmt, daß wenn wir darnach getrachtet
hatten, uns gegenseitig zu erganzen, alles ins richtige Geleise gekommen
ware. Ich war der Untergebene, und an mir ware es also gelegen, damit den
Anfang zu machen. Statt dessen verspurte ich eine stille Freude, wenn ich
sah, daß etwas schief ging. Ich befolgte willig die verkehrten Anordnungen
meines Herrn, auch dann, wenn es in meiner Macht gelegen hatte, die daraus
resultierenden Mißerfolge abzuwenden. Erhielt ich dann Vorwurfe, so meinte
ich, das sei ungerecht, und beklagte mich uber schnode Behandlung. So kamen
wir denn beide zur Einsicht, daß wir nicht weiter mit einander arbeiten
konnen, und als ich schließlich den Dienst kundigte, kam ich damit nur
Herrn Rasch zuvor, der mich sicherlich nicht mehr auf dem Hof geduldet
hatte.

Was nun meinen ferneren Aufenthalt im Schwabenlande anbetrifft, so gibt es
davon nicht mehr viel zu erzahlen. An zwei andern Platzen hatte ich auch
mehr schlechte als gute Erfahrungen zu machen und zwar hauptsachlich
deswegen, weil ich noch eines nicht gelernt hatte, namlich mich, wie es
einem Dienstboten geziemt, dem Arbeitgeber unterzuordnen und mich den
verschiedenen Verhaltnissen anzupassen. Ich hielt mich fur eine viel zu
wichtige Personlichkeit und hatte geglaubt, gleich uberall eine wichtige
Rolle spielen zu konnen. Der verstorbene Schachenhofer schwebte mir als das
Ideal eines Bauern vor, und weil ich dieses Ideal nicht gleich wieder fand,
so hielt ich alle andern Bauern fur dumm und meinte, sie seien nicht wert,
einen Knecht in ihrem Dienst zu haben, wie ich einer sei. So wurde ich
immer unduldsamer und mancher Bauer ließ mich gerne aus seinem Dienste
scheiden, trotzdem er mich vielleicht als tuchtigen Arbeiter und soliden
Menschen schatzen gelernt hatte. Dabei wurde bei mir die Sehnsucht nach der
Heimat immer großer, und als mich die Trauerkunde ereilte, daß mein Vater
plotzlich gestorben sei, hielt ich es fur meine Pflicht, mich meiner alten
Mutter anzunehmen und mich mit meinen Geschwistern in die Sorge um dieselbe
zu teilen.

So sagte ich dem Schwabenlande adieu, zog in mein heimatliches Tal zuruck
und suchte hier einen passenden Platz. Weil man mich fur einen ordentlichen
Burschen hielt, so brauchte ich auch nicht lange Umschau zu halten, und es
tat mir wohl, in eine ganz veranderte Umgebung zu kommen.

Die Betriebsrichtung in der Landwirtschaft war und ist eine ganz andere
hier in unserer Berggegend, als draußen im oberschwabischen Flachlande, und
das brachte mit sich, daß es zunachst fur mich wieder vieles zu lernen
gab. Das sah ich glucklicherweise auch ein, und ich warf mich mit wahrem
Feuereifer auf meine Ausbildung in der Viehzucht, in der Milchwirtschaft
und im Alp- und Weidewesen.

Es begann damals gerade ein frischer Zug durch unsere schweizerische
Landwirtschaft zu wehen, der auch bis herauf in unsere Berge bemerkbar
wurde. Der schweizerische Landwirtschaftliche Verein entwickelte eine
segensreiche Wirksamkeit. Zu einigen Ackerbauschulen gesellte sich die
landwirtschaftliche Abteilung am Polytechnikum in Zurich, und bei uns
war es besonders Schatzmann, der sich ein großes Verdienst um unsere
Milchwirtschaft erwarb. Bucher und Zeitschriften wurden jedem zuganglich,
und erst jetzt empfand ich es als ein Gluck, daß ich draußen in der
schwabischen Dorfschule deutsch lesen und schreiben gelernt hatte.

Ich habe von jeher Freude an den Buchern gehabt, und manchen Franken habe
ich ausgegeben, um dieses oder jenes kleinere landwirtschaftliche Werk
anzuschaffen. So gelangte ich nach und nach zu einer kleinen Bibliothek,
die heute noch mein Stolz ist.

Weil es mir an Geld fehlte und ich mich vor dem Schuldenmachen furchtete,
so konnte ich meine Erfahrungen nie fur mich selbst verwerten, aber es gab
Leute genug, die gerne eine Anregung und einen guten Rat auch von einem
Knecht annahmen, und mancher Bauer ist mir heute noch dankbar fur diesen
oder jenen praktischen Wink, den er von mir erhalten, und der ihm von
Nutzen war.

Immer mehr lernte ich erkennen, was fur einen eminenten Vorteil unsere
Alpen und Weiden fur unsere Viehzucht und Viehhaltung bedeuten; leider
mußte ich auch sehen, wie gerade auf diesem Gebiete eine schreckliche
Mißwirtschaft herrschte, die zum Teil heute noch nicht ganz beseitigt ist.
Ich mußte sehen, wie in unsern Waldern und namentlich in den Hochwaldern
eine wahre Raubwirtschaft getrieben wurde, wie die besten Alpen
verunkrauteten und vergandeten, wie das Vieh bei denkbar schlechtesten
Einrichtungen ohne Schutz und Futter den starksten Unbilden der Witterung
ausgesetzt blieb, wie die Milch schlecht verarbeitet wurde, wie man die
Tiere den gewissenlosesten Leuten zur Hut anvertraute u. s. w. Namentlich
dieser letzte Punkt gab mir viel zu denken, und ich konnte je langer je
weniger begreifen, daß Bauern, die sonst das Herz auf dem rechten Fleck
hatten und bei Aufzucht und Pflege des Viehes im Stall sehr exakt waren,
ihre wertvolle Viehhabe auf der Alp Leuten anvertrauten, von denen
jedermann wußte, daß sie faul, leichtsinnig und in allen Teilen unfahig
seien, ihren Dienst pflichtgetreu zu versehen, und das alles nur, weil
solche Hirten ein paar Franken weniger kosteten, als gewissenhafte
Personen, denen aber auch etwas daran lag, ihre Pflicht voll und ganz zu
erfullen.

Um nun selbst hier mit gutem Beispiel voranzugehen und um zu zeigen, was
ein richtiger Aelpler zu leisten im stande sei, entschloß ich mich, nachdem
ich mehrere Jahre am gleichen Platze Knecht gewesen, selbst Senn zu werden.
Ich bot mich der Gemeinde als solchen um geringen Lohn an, aber mit
der Bedingung, das ubrige Alppersonal selbst auswahlen zu durfen. Wider
Erwarten ging man auf meine Forderung ein, und zur gegebenen Zeit trat ich
mein neues Amt an.

Da gab es wieder ein reiches Arbeitsfeld fur mich; denn mit den denkbar
schlechtesten Einrichtungen mußte ich beginnen. Dazu kam noch der Umstand
erschwerend hinzu, daß es Leute gab, die zah am Alten festhingen und
jeder Neuerung abhold waren, besonders solchen, welche etwelche Ausgaben
erforderten, und waren sie auch noch so klein gewesen. Diese hatten schon
meine Wahl bekampft und arbeiteten mir jetzt direkt entgegen. Doch ich
hatte schon im ersten Jahre Gluck. Durch einen richtigen Weidewechsel,
durch Verbesserung der Trankstatten und andere kleine Maßnahmen, die ich
mit meinen Leuten ohne weitere Kosten durchfuhren konnte, behielt ich die
Kuhe gesund und leistungsfahig. So steigerte ich den Ertrag und verbesserte
zugleich durch bessere Verarbeitung der Milch die Produkte. Mit zaher
Energie steuerte ich auf das mir vorgesteckte Ziel los, und ich habe es
erreicht, wenn es auch manchen harten Kampf kostete. Dreißig Jahre lang
war ich Senn auf unserer Gemeindealp, und wer dieselbe heute betritt,
muß sagen, daß es eine Musteralp geworden ist. Sie wirft heute mit den
verbesserten Einrichtungen und bei der rationellen Bewirtschaftung den
dreifachen Nutzen ab von damals, als ich zum erstenmal ihr als Senn
vorstand. Es ist zwar richtig, daß die Gemeinde sich etwas hat kosten
lassen mussen, aber sie erhielt auch ansehnliche Subventionen von Bund und
Kanton, und selbst wenn sie alles hatte allein bezahlen mussen, so hatte
die Ausgabe dennoch gut rentiert.

Sehen Sie, so war es mir doch vergonnt, etwas wirken zu konnen, und wenn
ich auch bis heute nichts anderes als ein Knecht geblieben bin, so darf ich
doch sagen, daß ich meinen Platz in Ehren ausgefullt habe.

Auch heute bin ich mit meinem Streben noch nicht zu Ende. Als ich als Senn
das erreicht hatte, was ich erreichen wollte, und ich getrost mein Amt
einer jungeren Kraft abtreten konnte, da bin ich mit ganz bestimmten
Absichten Schafhirt geworden. Ich war langst uberzeugt, daß die Schafzucht
fur unsere Gegend einen sehr eintraglichen Landwirtschaftszweig ausmache
und besonders dann, wenn sie so betrieben wurde, wie es die Neuzeit
erfordert. Ich erkannte, daß man durch richtige Zucht die Rasse verbessern
musse, daß eine bessere Haltung und Pflege platzzugreifen habe und daß der
Weidebetrieb anders zu regeln sei. Ueber die ersten beiden Punkte suche
ich stets unsere Bauern aufzuklaren, und, wie mir scheint, mit Erfolg. Die
Hirtschaft ubernahm ich selbst und besorge dieselbe seit drei Jahren.

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