2015년 1월 26일 월요일

s Berg und Tal 2

Aus Berg und Tal 2

Wie ich Ihnen bereits anfangs mitteilte, betrachte ich mein jetziges Amt
als eine Art Ruheposten. Im Winter, wenn die Schafe im Stall gehalten
werden, pflege auch ich der Ruhe. Ich habe mir so viel erspart, daß ich
wahrend dieser Zeit nicht auf Verdienst ausgehen muß; da bleibe ich ruhig
in meinem Hauschen, das mir als Erbteil von meinen Eltern zugefallen ist.
Da lebe ich meinen Buchern, und gar nicht selten werde ich von den Bauern
unseres Dorfes um diesen oder jenen Rat angegangen, den ich stets, wo ich
kann, gerne erteile. Im Herbst und Fruhjahr besorge ich die Heimweide,
und im Sommer ziehe ich herauf in diese Hutte, die ich mir wohnlicher
eingerichtet habe. Jede Woche bringt man mir meinen Proviant herauf und
damit ich nicht ohne Nachrichten bleibe von dem, was draußen in der Welt
vorgeht, auch die Zeitungen. Am meisten freue ich mich dabei immer auf die
≫Grune≪, deren langjahriger Abonnent ich bin.

So, da haben Sie nun meine Geschichte, und wenn ich Sie damit gelangweilt
habe, so bitte ich um Entschuldigung. Sie haben es ubrigens ja selbst so
haben wollen.≪

Ich druckte dem alten Schafer die Hand zum Danke fur seine sehr
interessante Erzahlung und sagte ihm, daß mein Herz viel zu sehr an
allem Anteil nehme, was die Landwirtschaft betreffe, als daß ich seine
Mitteilungen langweilig finden konnte. Nur eine Frage musse ich noch an ihn
richten, namlich die, wie es gekommen sei, daß er nie daran gedacht habe,
sich eine eigene Familie zu grunden.

≫Ja, lieber Herr,≪ entgegnete er, ≫das war bei mir so eine eigene Sache.
Zuerst fehlten mir die Mittel zum Heiraten; ich mußte meine Eltern und
Geschwister unterstutzen. Dann war mein Lohn uberhaupt nicht so groß, daß
ich hatte Frau und Kinder ernahren konnen, und als ich spater etwas besser
gestellt war, war ich zu alt und mußte dafur sorgen, daß aufs Alter auch
noch etwas bleibe. Sehen Sie, das ist uberhaupt ein dunkler Punkt in
unserem Stand. Ein armer Bauernknecht darf, wenn er nicht leichtsinnig ist,
uberhaupt nicht so leicht ans Heiraten denken, und das mag auch sehr viel
dazu beitragen, daß gar mancher seinen Verdienst anderswo sucht als bei der
Landwirtschaft. Es wird ja heutzutage sehr viel uber die Dienstbotenfrage
geschrieben, und allenthalben fuhrt man Klage daruber, daß niemand mehr
gerne Bauernknecht sein wolle, und daß alles nur den Stadten und den
Kurorten zulaufe. Diese Klage ist ja berechtigt, aber auf der anderen Seite
muß man auch bedenken, daß das Los eines Knechtes oft kein beneidenswertes
ist. Die Hauptarbeiten bei der Landwirtschaft wickeln sich draußen unter
freiem Himmel ab; da geht es nicht anders, als daß man mit Wind und Regen,
mit Schnee und Kalte in Beruhrung kommen muß. Das wurde man gerne noch in
den Kauf nehmen, obwohl es sicher ist, daß bei richtiger Arbeitseinteilung
auch in dieser Hinsicht die Dienstboten etwas mehr geschont werden konnten.
Das Schlimmste aber ist, daß bei gar vielen Bauern der arme Knecht, nachdem
er den ganzen Tag bei schlimmster Witterung draußen gewesen und bis auf die
Haut durchnaßt heimgekommen ist, oft nicht einmal Gelegenheit findet, seine
Kleider zu trocknen; es wird ihm fur die Winterabende kein warmes Zimmer
geboten, und nur zu oft ist ihm fur seine muden Glieder ein gar schlechtes
Lager bereitet. Ich mußte mich oft uberzeugen, daß mancher Bauer viel
mehr fur sein Vieh besorgt ist als fur seine Knechte. Wenn man in dieser
Beziehung Besserung schaffen wollte, wurde mancher auch lieber Bauernknecht
sein.≪

Ich konnte naturlich nicht anders, als auch dieser Ansicht des Alten
beipflichten. Unterdessen war es ziemlich spat geworden. Ueber dem Talgrund
lagerte sich bereits die Dammerung; auf den schneebedeckten Zacken und
Kuppeln der Berge erlosch der letzte Hauch des Abendrotes, und schon
erglanzte hie und da ein Stern in mattem Licht. Die Luft war wunderbar
rein und wurzig, aber es begann sich eine empfindliche Kuhle bemerkbar zu
machen, und wir verließen die Bank und wandten uns dem Innern der Hutte zu,
um unsere Schlafstatten aufzusuchen.

Als ich am andern Morgen erwachte, hatte mein Wirt schon das Fruhstuck in
Bereitschaft. Er meinte, es sei ein ordentlicher Marsch bis hinuber ins
Glarnerland, und da sei es gut, wenn ich mich nicht mehr lange aufhalten
musse.

Es ging denn auch nicht gar zu lange, bis ich zum Aufbruche bereit war.
Der Alte begleitete mich ein Stuck, um mir den Weg zu zeigen bis zu einer
Stelle, von der aus es dann nicht so leicht war, irre zu gehen.

Auf dieser Wanderung kamen wir nochmals auf die Erlebnisse meines
Begleiters zu sprechen, und ich gab meinem Bedauern Ausdruck, daß in
unserer Fachliteratur die Dienstbotenfrage zu einseitig vom Standpunkte der
Arbeitgeber behandelt werde. ≫Es wurde gewiß nichts schaden,≪ außerte ich,
≫wenn sich auch die Dienstboten selbst hie und da horen ließen, und gerade
so eine schlichte Erzahlung aus dem Leben, wie sie mir gestern abend
aus Ihrem Munde geboten wurde, durfte viel nutzlicher sein, als manche
theoretische Abhandlung uber die landwirtschaftliche Arbeiterfrage. Konnten
Sie nicht einmal Ihre Winterferien dazu benutzen, um Ihre Lebensgeschichte
so zu Papier zu bringen, wie Sie mir dieselbe erzahlten?≪

Lachelnd antwortete mir mein Fuhrer: ≫Um in meinen alten Tagen noch
Schafhirt zu werden, dazu hatte ich Lust und Energie genug, aber zum
Schriftstellern langt's nicht mehr. Meine Hand ist steif geworden, und ich
wurde die Gedanken nicht mehr aneinander reihen konnen, wie es sich gehort;
hingegen erlaube ich Ihnen gerne, meine Erlebnisse zu veroffentlichen, wenn
Sie glauben, daß das jemand von Nutzen sein konnte.≪

Von dieser Erlaubnis habe ich nun Gebrauch gemacht und wenn Du, lieber
Leser, ein Bauer bist, so denke daran, daß Du selbst sehr viel dazu
beitragen kannst, um die Dienstboten an Dich zu fesseln, sie
brauchbarer, treuer und fleißiger zu machen. Du brauchst Dir nur stets zu
vergegenwartigen, daß Deine Knechte, Magde und Taglohner Menschen sind, die
einen Anspruch haben auf eine gute Behandlung, und die dankbar sind, wenn
ihnen ihre keineswegs leichten Aufgaben erleichtert werden durch moglichste
Bessergestaltung ihrer Lage.

Bist Du aber ein Knecht, so bedenke, daß Du bei treuer Pflichterfullung in
Deinem sehr ehrenhaften Stand es so gut zu einem Erfolge bringen kannst
als in jedem andern. Trachte darnach, daß Du im Alter auch so zufrieden
auf Dein Wirken zuruckblicken kannst wie der alte Schafer, von dem ich Dir
erzahlt habe.




[Illustration]




Die Blumenliese.




I.


Es war an einem jener warmen, sonnenklaren Herbsttage, an welchen man
so recht den eigenartigen Zauber der langsam zum Winterschlafe sich
vorbereitenden Natur herausfuhlt, als ein mit allerlei Hausrat beladener
Wagen, von zwei kraftigen Pferden gezogen, sich langsam die in mehreren
Windungen nach dem Bergdorfe D. fuhrende Bergstraße hinaufbewegte.

Den Mobelstucken sah man es an, daß ihr Besitzer nicht gerade ein
reicher Mann sei; indessen deutete auch nichts darauf hin, daß er sich in
Verhaltnissen befinde, die ihn zwangen, notwendige Haushaltungsgegenstande
entbehren zu mussen. Der sofort auffallende Unterschied der Mobilien in
Bezug auf Alter, Herstellungsweise und Material, ließ darauf schließen, daß
viele der einzelnen Stucke nach und nach, je nach Gelegenheit und Bedarf
angeschafft wurden. Es war deutlich zu erkennen, daß einige Schranke und
Kommoden schon mehreren Generationen gedient hatten. Wie vorteilhaft nehmen
sich doch diese schweren, hartholzernen, von ihren Erstellern scheinbar
fur die Ewigkeit bestimmten Mobel gegen manche Erzeugnisse der heutigen
Mobelfabrikation aus, wo alles fur das Auge berechnet ist und beim ersten
rechtschaffenen Putsch aus dem Leim geht.

Verschiedene Anzeichen deuteten darauf hin, daß das hier seinen Wohnsitz
wechselnde Ehepaar oder wenigstens die eine Halfte davon Liebhabereien fur
Blumenzucht hege. Ein ziemlich geraumiger Waschzuber, der zu oberst auf dem
hochgeladenen Fuder tronte, schien ganz mit Topfpflanzen gefullt zu sein,
wenigstens schauten die Blutendolden verschiedener Geranien wie verwundert
in die Welt hinaus, und die schwellenden Knospen einer Monatrose hingen
nickend uber den Rand des Zubers hinunter. Hinten an dem Fuder aufgehangt,
baumelte ein Blumentisch aus einfachem Weidengeflecht und mit Fohrenzapfen
verziert -- wohl von eigener Hand des Besitzers gefertigt.

Der Hausrat gehorte dem aus D. geburtigen Zimmermann Martin Muller,
der gleich nach beendigter Lehre ins Unterland gezogen war, wo er an
verschiedenen Orten gearbeitet und sich zu einem tuchtigen Arbeiter
ausgebildet hatte. Der lebenslustige, dabei sehr fleißige und sparsame
Zimmergeselle wurde uberall, wo er hinkam, gerne gesehen. Als er bei einer
großern Baufirma einen gutbezahlten Palierposten erhielt, verheiratete er
sich mit der Tochter eines Kleinbauern, die freilich keine große Mitgift in
die Ehe brachte, ihren Mann aber wahrhaft liebte und uber zwei gesunde Arme
und einen hauslichen Sinn verfugte. Zwolf gluckliche Jahre hatten sie
nun schon mit einander verlebt; sie waren zufrieden in ihren einfachen
Verhaltnissen und dankten Gott, daß er sie bis jetzt vor herben Prufungen
verschont hatte.

Martin hatte seine Mutter schon fruh verloren, und nun war vor einem halben
Jahre auch sein Vater gestorben. Dieser war Maurer gewesen, der seit Jahren
fur die Bewohner von D. die etwa notwendigen Reparaturen an ihren Hausern
ausfuhrte und hie und da auch kleinere Bauten ubernahm. Daneben versah er
die Stelle eines Gemeindeweibels und galt uberall als ein außerst fleißiger
und rechtschaffener Mann. Eine alte Verwandte, die dem Weibelhannes (so
wurde der alte Muller allgemein genannt) nach dem Tode seiner Frau die
kleine Haushaltung gefuhrt hatte, zog jetzt zu einer im Oberland wohnenden
Schwester, und unser Martin erbte das kleine, mitten im Dorfe stehende Haus
samt angrenzendem Baumgarten und einigen andern kleineren Grundstucken.
Dieser Umstand hatte ihn bewogen, in die Heimat zuruckzukehren und auf
eigene Rechnung ein kleines Geschaft zu grunden. Wir finden ihn heute mit
seiner Familie auf dem Wege dahin.

Martin ging neben dem Fuhrmann her; sie beide waren Schulkameraden und
hatten einander naturlich vieles zu erzahlen, besonders Martin hatte
manches zu fragen uber die heimatlichen Verhaltnisse, in denen sich so
manches in den vielen Jahren seiner Abwesenheit geandert hatte.

Die an der Seite des Wagens dahinschreitende Mutter hatte vollauf zu tun,
all die Fragen zu beantworten, die zwei Knaben im Alter von sechs und acht
Jahren immerfort an sie richteten. Sie saßen auf dem Kanapee, das vorn auf
dem Wagen Platz gefunden, und schienen ein großes Wohlgefallen an der Fahrt
zu haben. Ein zehnjahriges Tochterchen, das an der Seite der Mutter den Weg
zu Fuß machte, war ganz in das Anschauen der ihm fremdartig erscheinenden
Berglandschaft versunken. Bald entlockte ihr der in den verschiedensten
Farbungen prangende Wald, bald die den Hintergrund des Tales bildenden
Bergriesen, die schon mit frischem Schnee bedeckt waren, laute Ausrufe
des Entzuckens; bald machte sie die Mutter auf eine sich aus dem Gebusch
erhebende Ruine oder auf die oben am Bergeshang zerstreut liegenden Hutten
aufmerksam.

Wir uberlassen die vier Personen ihren Betrachtungen und wenden uns
den beiden Mannern zu, um zu lauschen, uber was sie so angelegentlich
miteinander verhandeln.

≫Ja, Ja, Martin,≪ hub der Fuhrmann eben wieder an, ≫Du wirst sehen, daß wir
jetzt ganz andere Verhaltnisse in D. haben als fruher, und namentlich
Dir, der Du so lange abwesend warst, wird es erst recht auffallen, daß die
Zustande leider nicht besser, sondern schlimmer geworden sind.≪

≫Aber,≪ erwiderte Martin, ≫es ist mir doch, als ich beim Begrabnis meines
Vaters war, aufgefallen, daß viele Hauser ein vorteilhafteres Aussehen
haben als fruher, daß auch einige neue freundliche Behausungen entstanden
sind, ein neues Schulhaus ist ja auch gebaut worden, und es schien mir, als
ob viele Leute am Sonntag viel besser gekleidet waren als fruher. Alles das
deutet doch auf einen vermehrten Wohlstand hin, und der kann nicht aus so
mißlichen Zustanden entspringen, wie Du sie mir darstellst. Freund, ich
glaube, Du siehst die Sache mit einer zu schwarzen Brille an!≪

≫Wenn Du aus den eben angefuhrten Veranderungen, die bei uns stattgefunden
haben, den Schluß ziehst, daß mehr Geld vorhanden, also der Verdienst ein
großerer geworden sei, so ist das im ganzen genommen richtig, obwohl damit
noch lange nicht bewiesen ist, daß das fur unsere Leute ohne weiteres einen
Vorteil bedeute. Du weißt, wie einfach es fruher in unserm Dorfe
zuging. Die Leute bebauten ihre Wiesen und Aecker, hatten keine andere
Erwerbsquelle als die Landwirtschaft und waren gesund und zufrieden dabei.
Verdiente man weniger, so brauchte man auch weniger. Man kleidete sich in
selbstgesponnene und gewobene Stoffe, die freilich nicht so schon waren
als die heutige Fabrikware, sich dafur aber durch viel großere Haltbarkeit
auszeichneten. Nachdem man die ganze Woche tuchtig geschafft hatte, freute
man sich, den Sonntag als wirklichen Ruhetag feiern zu durfen. Die einzige
Wirtschaft, die es damals bei uns gab, hatte als solche fur sich allein
gewiß nicht rentiert, wenn nicht noch ein Kramladen damit verbunden
gewesen ware. Am Werktag ging -- von einigen gewohnheitsmaßigen Schnapsern
abgesehen -- niemand ins Wirtshaus, und auch an gewohnlichen Sonntagen war
der Zulauf kein großer; nur an der Bsatzig*), in der Fastnacht und bei
ahnlichen Anlassen ging es etwas hoher her. Seit nun aber auch bei uns
alles darnach trachtet, in der Hotelerie und bei der Fremdenindustrie
Stellung und Verdienst zu finden, ist alles anders geworden. Du wirst
staunen, wenn Du im Fruhling die Volkerwanderung siehst. Die jungen ledigen
Leute gehen sozusagen alle fort, und es gilt schon bald fur eine Schande,
im Sommer hier bleiben zu mussen. Aber auch genug verheiratete Manner sind
den ganzen Sommer abwesend. Frauen, Kinder und Greise bilden der Hauptsache
nach im Sommer die Bevolkerung unseres Dorfes. Da werden im Fruhjahr
vor dem Auszug die Aecker bestellt, die Wiesen gedungt, uberhaupt das
Notwendigste gemacht, und alle Sommerarbeit -- manchmal auch ein großer
Teil der Herbstarbeiten -- den Frauen und alten Leuten uberlassen. Auch
die Kinder, die den ganzen Sommer keine Schule haben, mussen tuchtig
mit anfassen. Du kannst Dir denken, daß unter solchen Verhaltnissen die
Landwirtschaft nicht sonderlich gehoben werden kann, weil alle Arbeiten nur
notdurftig und oberflachlich gemacht werden. Aber auch die Familienbande
lockern sich, und die Kindererziehung laßt vieles zu wunschen ubrig.≪

  *) Wahl des Kreisgerichtes.

Martin, der ohne Unterbrechung den Worten des Fuhrmanns zugehort hatte,
war etwas nachdenklich geworden und sagte dann: ≫Ich weiß, daß Du es gut
meinst, und daß Deine Worte aus einem fur die Heimat besorgten Herzen
kommen; aber es nutzt nun einmal alles nichts, die Zeiten lassen sich nicht
andern, was vergangen ist, kehrt nicht mehr. Das einzig Richtige ist, sich
den einem ewigen Wechsel unterworfenen Verhaltnissen so gut als moglich
anzupassen; wer das am besten versteht, bleibt uber Wasser und wird nicht
Heimweh haben nach der guten alten Zeit. Wenn es der Fremdenindustrie
gelungen ist, sich emporzuschwingen, oder wenn sie wenigstens das Bestreben
hat, es zu tun, so soll man sie unterstutzen; denn wo diese Industrie
bluht, da bietet sie vielen Leuten Lebensunterhalt und Verdienst und stellt
eine vortreffliche Absatzquelle fur alle landwirtschaftlichen Produkte
dar. Ich glaube, daß die besten Zustande da herrschen, wo die verschiedenen
Erwerbsgruppen sich gegenseitig unterstutzen und erganzen. Freilich gehe
ich mit Dir einig, daß es fur unsere Verhaltnisse nicht zum Nutzen
ist, wenn fast unsere gesamte Jungmannschaft und naturlich gerade der
intelligentere Teil derselben, ganz oder zeitweise auswandert, und wenn
dadurch das Bebauen der heimatlichen Scholle mangelhaft ist und uberhaupt
fast jeder gesunde Fortschritt gehemmt wird. Doch ich denke, daß die
Auswuchse dieser Art von Auswanderung von selbst eingehen werden. Die
gesunden Elemente unserer Bevolkerung werden einsehen, daß auch manchmal
das Los eines Hotelangestellten nicht ein sehr beneidenswertes ist, und daß
man daheim im Kreise der Familie und bei landwirtschaftlicher Betatigung
ein Leben fuhren kann, das weit mehr Befriedigung verschafft, als die
abhangige und oft sehr aufreibende Tatigkeit in einem Hotel. Zu wunschen
ware es, daß einige Manner sich unserer Landwirtschaft annehmen und an
deren Hebung arbeiten wurden; das gute Beispiel wurde andere hinreißen, und
der Erfolg mußte ein bedeutender sein.≪

≫Ich sehe schon,≪ fiel der Fuhrmann wieder ein, ≫Du fassest alles von der
leichten Seite auf, indessen mochte ich selbst nur wunschen, daß Du recht
behalten mochtest und alles wieder von selbst ins richtige Geleise kame.
Einstweilen sind viele unserer engern Landsleute zu bedauern, hauptsachlich
auch deswegen, weil sie moralisch allmahlich auf abschussige Bahnen kommen.
Das beweist schon das sich immer mehr entwickelnde Wirtshausleben unserer
Dorfbewohner. Wo fruher eine Wirtschaft kaum bestehen konnte, rentieren
jetzt deren drei, wie es scheint, sehr gut. Nicht nur Wein und Branntwein
wie fruher, sondern auch Bier und allerlei fremde Liqueure, die man fruher
nicht einmal dem Namen nach kannte, werden jetzt ausgeschenkt. Das ganze
gesellschaftliche Leben spielt sich jetzt im Wirtshause ab. Unsere
jungen Manner, die im Sommer abwesend sind, finden es zu langweilig,
die Winterabende im Kreise ihrer Eltern und Geschwister zuzubringen; sie
glauben, es fehle ihnen etwas, wenn sie einmal abends nicht im Wirtshaus
gewesen sind. Sollte es einmal den Eltern einfallen, einen halberwachsenen
Jungen an Sparsamkeit und Hauslichkeit zu ermahnen, dann heißt es gleich:
≫Ich verdiene ja das Geld, und wenn es Euch nicht gefallt, kann ich im
Winter auch fortgehen, denn ich bin mein eigener Herr und Meister und
brauche mich nicht wegen jedem Glas Bier, das ich trinke, auszanken zu
lassen.≪ Aber auch viele Familienvater fuhlen sich zu Hause nicht wohl;
Kneipen und Spielen ist auch bei ihnen an der Tagesordnung, und wohin
das alles fuhren mag, kannst Du Dir leicht selbst vorstellen. Viele, die
Jahresstellen haben, oder den Winter in sudlichen Gegenden verbringen,
kommen etwa einmal im Jahr, oder alle drei bis vier Jahre fur einige Wochen
in die Heimat, um sich zu ≫erholen≪; diese drehen dann erst recht alles
auf den Kopf, sie bestimmen gewohnlich schon vorher eine gewisse Summe, die
wahrend der ≫Ferien≪ verklopft werden soll. Wenn man so lange Zeit, ohne
sich einmal Ruhe zu gonnen, gearbeitet und dabei viel Geld verdient habe,
durfe man sich schon etwas zu gute tun, denken solche Leute; etwas musse
man vom Leben doch auch haben. Da werden denn allerlei Festlichkeiten
arrangiert, es gibt Balle, Ausfluge, Kneipgelage und dergleichen mehr.
Teils weil jeder Genuß ohne passende Gesellschaft zuletzt langweilig wird,
teils aus verwandtschaftlichen Rucksichten oder aus alter Freundschaft,
teils aber auch aus purer Prahlerei oder Mitleid mit den ≫armen
Schluckern≪, die immer zu Hause bleiben und die heimatliche Scholle bebauen
mussen, ergehen Einladungen an die nicht ausgewanderten oder sonst zufallig
ortsanwesenden Bekannten, denen dann meistens, um nicht zu verletzen, oder
um die willkommene Gelegenheit, auch einmal etwas mitmachen zu konnen,
nicht unbenutzt voruber gehen zu lassen, Folge geleistet wird. Es kommt
sogar haufig genug vor, daß Junglinge und Manner von der Arbeit weg ins
Wirtshaus geholt werden. Da braucht man sich nun gewiß nicht zu verwundern,
wenn bei den zum Hierbleiben verurteilten Handwerkern und Landwirten die
Unzufriedenheit mit ihrem Geschick immer mehr sich ausbreitet, wenn bei
ihnen gewisse Luste und Leidenschaften wach werden, und wenn sich viele
eine Lebensweise angewohnen, die mit ihrem Beruf und ihrem Verdienst
keineswegs in Einklang stehen.≪ So hatte sich der Fuhrmann in einen wahren
Eifer hineingeredet, und die Debatte zwischen den beiden Freunden ware
jedenfalls noch lange nicht zu Ende gewesen, hatte man sich jetzt nicht
dem Dorfe genahert, welcher Umstand naturlich dem Gesprach ein Ende machte.
Martin wendete sich seiner Frau und den Kindern zu, wahrend der Fuhrmann
vollstandig von seinem Fuhrwerk in Anspruch genommen wurde.

Weil es gerade um die Mittagszeit war, als der Wagen uber die holprige
Dorfstraße fuhr, hatten die Leute Gelegenheit, sich den Einzug der
Mullerschen Familie mit Muße anzusehen, und diese Gelegenheit wurde auch
reichlich ausgenutzt.

Wahrend sich die Dorfjugend in der Straße aufstellte und so von ihrem
Vorrecht, sich nicht genieren zu mussen, Gebrauch machte, standen die
Alten unter den Haus- oder Stallturen, schauten zu den geoffneten oder
geschlossenen Fenstern heraus, und manche, welche sich nicht sehen lassen
wollten, hatten sich hinter den Fenstervorhangen postiert. Die einen
musterten mit kritischem Blick die Mobel, andere schienen sich fur die
Kinder zu interessieren, wahrend wieder andere die Augen nur auf die Frau
und ihre Kleidung gerichtet hatten.

Unterdessen hatte der Wagen seinen Bestimmungsort erreicht und hielt vor
dem Hause, das fortan unsern Martin und seine Familie beherbergen sollte.
Der Fuhrmann spannte die Pferde aus und zog mit ihnen ab, seiner nicht weit
entfernt liegenden Behausung zu.

Einige Verwandte und alte Bekannte Martins hatten sich schnell eingefunden;
sie boten sich zur Hilfeleistung beim Abladen der Mobel an, und einige
Frauen zeigten sich bereit, so schnell als moglich fur die leiblichen
Bedurfnisse der Familie sorgen zu wollen, da alle, wie sie meinten, von
dem ziemlich weiten Weg doch gewiß hungrig und durstig sein mussen. Martin
dankte allen fur den freundlichen Willkomm und nahm gerne die dargebotene
Hilfe an; denn er meinte, es sei gut, wenn abgeladen werden konne, so lange
es noch Tag sei. Fur das Essen aber sei bereits gesorgt, da der Fuhrmann
sie alle schon unterwegs eingeladen habe. Er gedenke nur noch schnell seine
Frau und die Kinder durch das Haus zu fuhren und dann der Einladung Folge
zu leisten, damit dann schnell mit dem Unterbringen des Hausrates begonnen
werden konne.

Elise, so hieß die Gattin Martins, zeigte sich sehr erfreut, nun einmal
eine geraumige Wohnung zu besitzen, in welcher man sich viel besser
einrichten konnte als in den engen Mietraumen, auf die man vorher
beschrankt war. Die vom Vater ererbten Einrichtungsgegenstande, zusammen
mit den mitgebrachten Mobilien, mußten eine Ausstattung geben, an welche
die bescheidene Frau vorher nie hatte denken durfen.

Martin durchschritt mit einer gewissen Wehmut die ihm so wohlbekannten
Raume, wo alles ihn an seine Jugendzeit und an die nun heimgegangenen
Eltern erinnerte.

Wir uberlassen es nun den Leutchen, ihr Mittagessen einzunehmen, ihre
Habseligkeiten abzuladen und sich notdurftig einzurichten, und wollen
unterdessen einen Rundgang durch das Dorf machen, um die herrschenden
Zustande etwas naher kennen zu lernen.

D. liegt an einem Abhang nach Suden, so daß es von rauhen Nordwinden
vollstandig geschutzt ist. Dieser glucklichen Lage ist es jedenfalls auch
zu verdanken, daß trotz der bedeutenden Hohe ein ziemlich ausgedehnter
Obstbau betrieben wird. Namentlich die unter der von Ost nach West sich
durch das Dorf ziehenden Hauptstraße gelegenen Hauser sind fast ganz in
dem Obstbaumwalde versteckt. Die Wohnhauser und Stalle sind meistens mit
Schindeln gedeckt und gewahren in ihrer unregelmaßigen Gruppierung einen
pittoresken Anblick. Die Gassen und Platze sind nicht gerade unsauber, doch
machen sich auch hie und da die braunen Bachlein bemerkbar, die von den
Dungerstatten abfließen und wenig Sparsinn der Bauern verraten. Manche der
Hauser lassen es deutlich erkennen, daß ihre Besitzer in der glucklichen
Lage sich befinden, etwas wagen zu durfen zur Verschonerung und
Verbesserung ihrer Wohnstatten. Abgesehen von dem frischen Verputz, sehen
wir dort ein neues Ziegeldach, hier neue Fensterstocke mit entsprechenden
Fenstern, an einem andern Hause ist sogar ein kleiner Balkon angebracht.
Auch einigen großeren und kleineren Neubauten begegnen wir beim
Durchschreiten der Hauptstraße. Wir vermuten, daß in diesen neuen und
frisch renovierten Behausungen jene Glucklichen wohnen, denen es gelungen
ist, fern von der Heimat, in den verschiedensten Lebensstellungen, sich ein
schones Stuck Geld zu verdienen, und die nun sich teils aus dem Getriebe
der großen Welt in ihr stilles Heimattal zum Ausruhen zuruckgezogen, teils
aber noch mitten im Strudel des Erwerbes stecken und nur hin und wieder
einmal fur kurze Zeit nach D. kommen, um sich etwas zu erholen von den
Anstrengungen ihres Berufes. Dieser Umstand laßt uns auch begreifen, warum
die Fensterladen vieler Wohnungen geschlossen sind, ein Zeichen, daß diese
leer stehen.

Mitten im Dorfe, wo auf einem freien Platze ein Brunnen steht, der aus zwei
Rohren das geraumige Brunnenbett mit klarem Quellwasser speist, steht das
Gasthaus zur Post, mit dem Postbureau, Laden und einer kleinen Gaststube
im Parterre. Einige Fuhrleute, die hier den Pferden eine kurze Rast
gonnen, schneiden Brot in die Futtertroge, schutten etwas Hafer aus
den mitgebrachten Sacken dazu, um sich dann zu einem Glase Wein in die
Gaststube zu begeben. Sonst ist es um diese Zeit hier ruhig und von
weiteren Gasten nichts zu bemerken. Es herrscht uberhaupt eine gewisse
Stille im Dorfe; die Kinder sind in der Schule, die Erwachsenen aber bei
dem schonen Wetter meistens auf dem Felde beschaftigt. Machen also auch
wir einen Gang vor das Dorf, um die Leute bei ihren Erntearbeiten zu
beobachten.

Wir kommen jetzt auch an der Kirche vorbei, die auf einer kleinen Anhohe
liegt und mit ihrem spitzen Turm und den hohen gemalten Fenstern einen
freundlichen Eindruck macht. Dicht neben der Kirche liegt das Pfarrhaus,
und vor demselben finden wir den einzigen wohlgepflegten Garten, dem
wir bis jetzt in D. begegnet sind. Auf einer dem Zaune entlang fuhrenden
Rabatte bluhen feurigrote Dahlien, und gelbe und weiße Winterastern
beginnen ihre Blutendolden zu entfalten, gut entwickeltes Gemuse harrt
der Einwinterung und an der Hauswand bemerken wir schongezogene und mit
Fruchten vollbehangene Zwergbaume. So gewahrt denn das Pfarrhaus mit
seinen blank geputzten Fensterscheiben, durch welche die Bluten einiger
Topfgewachse zwischen den blendendweißen Vorhangen herausschauen, inmitten
der freundlichen Umgebung einen hochst einladenden Anblick.

Zu außerst im Dorfe und nicht weit voneinander entfernt, finden wir die
zwei vom Fuhrmann genannten neuen Wirtschaften, das Gasthaus zum Freihof
und das Restaurant National. Der Besitzer des letzteren ist jedenfalls
ein Wirt, der es mit seinem Berufe ernst nimmt und es versteht, die Gaste
heranzulocken und es ihnen bei ihm so angenehm als moglich zu machen.
Neben dem im Chaletstil erstellten Hause befindet sich eine kleine
Gartenwirtschaft und eine Kegelbahn, aus der das Rollen der Kugeln und
lautes Gelachter an unser Ohr dringt, als Beweis, daß auch heute eine
lustige Gesellschaft sich mit Kegelspiel die Zeit vertreibt.

Gleich hinter den Wirtschaften liegen rechts und links von der Landstraße
einige Aecker, da und dort im Wiesland zerstreut. Weil die Kartoffeln hier
die wichtigste Feldfrucht ausmachen und jetzt gerade die Zeit der Ernte
ist, so herrscht reges Leben auf den Feldern. Ueberall sehen wir die
kleinen Bergwagen, zum Teil schon mit gefullten Sacken beladen, an den
Ackergrenzen stehen. Die Kuhe, welche als Zugtiere dienen, weiden daneben
in der Wiese. Die Leute arbeiten emsig; man sieht es ihnen an, daß es ihnen
sehr darum zu tun ist, bei dem schonen Wetter moglichst viel auszurichten.
Uns, denen die Verhaltnisse fremd sind, fallt es auf, daß wir so wenige
Manner an der Arbeit sehen und die ganze Arbeit der Kartoffelernte fast
ausschließlich von Frauen besorgt wird. Es fallt uns aber das Gesprach
zwischen Martin und dem Fuhrmann ein, und wir vermuten, daß die
Fremdensaison noch nicht zu Ende und die meisten der mannlichen Bewohner
infolgedessen noch abwesend seien. Die verschiedenen Aecker lassen auch auf
den ersten Blick die Unterschiede in der Art und Weise der Bewirtschaftung
deutlich erkennen. Wahrend einige Stucke rein von Unkraut sind, zeigen sich
auf andern meterhohe Stauden von Melden und andern Unkrautern, welche durch
reichlichen Samenansatz dafur gesorgt haben, daß auch fur ihre Verbreitung
im nachsten Jahre der Grund gelegt ist. Eine Frau fand es sogar fur
zweckmaßig, das Unkraut zuerst abzumahen, um das Ausgraben der Kartoffeln
leichter vornehmen zu konnen.

So ist es denn uber unsern Betrachtungen allmahlich spat geworden, der
Rauch der verbrannten Kartoffelstauden vermischt sich mit der Dammerung zu
einem leichten Nebel; da und dort sieht man bereits die Kuhe einspannen
und zum Heimweg rusten. Auch fur uns wird es Zeit, zu unserer
Zimmermannsfamilie zuruckzukehren, die wir in ihrem neuen Heim
zuruckgelassen haben. Der kurze Rundgang hat uns belehrt, daß die
Verhaltnisse in D. im ganzen nicht besser und nicht schlimmer sind als an
andern Orten, daß es auch hier zu loben und zu tadeln gibt wie allerwarts.
Wenn aber der Fuhrmann von Martins Habseligkeiten heute morgen der
Ueberzeugung Raum gab, daß die Auswanderung und das Streben nach
Hotelstellen, im Umfange wie beides heute besteht, in landwirtschaftlicher
und allgemein moralischer Beziehung einen ungunstigen Einfluß auf die
Zustande in D. ausube, und daß dieser Uebelstand nicht ganz aufgehoben
werde durch die Erhohung des Verdienstes und den Zufluß reicherer
Geldquellen nach D., so mussen wir ihm ein wenig recht geben.




II.


Im Mullerschen Hause war alles in reger Tatigkeit, besonders Frau Elise tat
sich in ihrer Eigenschaft als Hausfrau tuchtig hervor. Mit sicherem Blick
ordnete sie das Plazieren der verschiedenen Mobelstucke so an, daß jedes
Stuck gleich an den richtigen Platz kam und nicht nachher alles wieder
von einem Zimmer ins andere gebracht werden mußte. Noch bei vollstandiger
Tageshelle war alles unter Dach gebracht und die schwerste Arbeit getan.

Begreiflicherweise herrschte im ganzen Hause noch eine große Unordnung, und
bis Kisten und Korbe ausgepackt und jede Kleinigkeit ihren Platz gefunden,
waren noch einige Tage erforderlich.

Elise ließ es sich nun vor allem angelegen sein, die Kuche so in den Stand
zu stellen, daß es ihr moglich war, selbst zu kochen und sie nicht mehr
notig hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schon beim Einpacken hatte
sie auf diesen Umstand Bedacht genommen und alles so eingerichtet, daß
die verschiedenen Gegenstande leicht gefunden und sofort benutzt werden
konnten. Die kleine Marie ging der Mutter fleißig an die Hand, und bald
stand auf dem Tisch eine kraftige Mahlzeit, der dann auch -- zum erstenmal
im neuen Heim -- von allen Seiten tuchtig zugesprochen wurde. Als dann
auch in den Schlafzimmern alles soweit in Ordnung war, daß man die Betten
benutzen konnte, begab sich die ganze Familie zur Ruhe. ≫Es tauge nichts,≪
meinte Martin, ≫wenn man sich noch langer abmuhe; es gehe dann alles viel
leichter morgen, wenn man die Nacht gut ausgeruht habe. Zudem komme man
doch bei Licht mit solcher Arbeit nicht so recht vom Fleck, das gehe
doppelt so schnell, wenn das Tageslicht einem helfe.≪

So ruhig wie am ersten Tage wurde auch an den folgenden gearbeitet, bis
das ganze Haus von oben bis unten in Ordnung war. Als auch die letzte
Verrichtung, das Befestigen der Fenstervorhange, beendigt war, da
freuten sich Martin und Elise wie die Kinder und fuhlten sich froher und
glucklicher in ihrem kleinen Hause, als ein Furst in seinem Palaste.

Das freundliche Aussehen, das Martins Hauschen nun erhalten hatte, als auch
Elisens Topfpflanzen vor den blitzblanken Fenstern ihren Platz
gefunden hatten, veranlaßte nicht nur manchen Vorubergehenden zu kurzem
Stehenbleiben und Hinaufschauen zu den heruntergrußenden Blumen, welche
die kurze Zeit, die ihnen der Herbst noch gewahrte, durch reiches Bluhen
ausnutzen zu wollen schienen, sondern erregte auch -- namentlich bei
einigen Nachbarinnen Elisens -- den Wunsch, einmal einen Blick hineinwerfen
zu durfen in die innere Hauslichkeit der Mullerschen Familie. An Vorwanden
fur allerlei Besuche fehlte es nicht, und so sah sich denn Elise --
namentlich wenn Martin in seinen Geschaften abwesend war -- haufig in
Gesellschaft von Bewohnerinnen D's, die ihr bald in dieser, bald in jener
Angelegenheit ihre Aufwartung machten.

Elise ließ sich durch solche Visiten in ihren hauslichen Verrichtungen
gewohnlich nicht storen, erteilte aber gerne Auskunft, wenn eine solche von
ihr verlangt wurde und sie imstande war, eine solche zu geben. Sie mußte
auch keine Evastochter gewesen sein, wenn sie sich nicht gefreut hatte uber
das Lob, das ihr hin und wieder bei solchen Gelegenheiten gespendet wurde.
Elise verdiente aber dieses Lob auch, besonders wegen ihrer Reinlichkeit
und ihrem strengen Ordnungssinn, der sich auch in dem kleinsten Winkel
ihres Hauses bemerkbar machte. In der Kuche glanzte und blitzte alles. Auf
einem Gestell, welches mit ausgezacktem Papier belegt war, war das etwas
ungleiche Geschirr so geordnet, daß dieser Mangel kaum bemerkbar war, wie
es Elise uberhaupt verstand, ihre im ganzen ja sehr einfache Einrichtung
so herauszuputzen und in ein solches Licht zu stellen, daß alles mehr
vorstellte, als es eigentlich in Wirklichkeit war. Der kleine eiserne Herd
und der Fußboden aus Steinplatten waren stets so sauber, als wenn sie gar
nicht gebraucht wurden. So war es in der freundlichen Wohnstube, in den gut
gelufteten Schlafzimmern und hinauf bis auf den Dachboden.

Den Nachbarinnen gefiel das alles sehr wohl, wenn auch einige meinten, es
sei fur gewohnliche Leute nicht notwendig, daß alles so glanze, daß man
sich drin spiegeln konne; von dem ewigen Putzen, Wischen, Abstauben habe
man nicht gegessen, das musse man den Herrenleuten uberlassen, die hatten
Zeit und Geld fur solche unnutzen Sachen. Die Elise wurde es auch bald
bleiben lassen, wenn sie im Feld und im Stall herum hantieren mußte; aber
die habe es lange gut, sie konne den ganzen Tag in der Stube sitzen, indem
das bißchen Hausarbeit schnell gemacht sei. Das werde aber schon noch
anders kommen, der Martin verrechne sich allweg mit seinem Verdienst; im
Winter konne ein Zimmermann auch nicht jeden Tag etwas verdienen und dann
werde es bei den teuren Zeiten wohl ohne den Nebenverdienst der Frau nicht
ausreichen, um funf Mauler zu stopfen. Solche Redensarten bedeuteten aber
nichts anderes, als eine schlechtangebrachte Verdeckung des Neides und der
Unzufriedenheit mit dem eigenen Los.

Manche der Frauen, die mit Elise in Beruhrung kamen und sie ganz aufrichtig
wegen ihrer musterhaften Ordnung und Reinlichkeit im Hauswesen lobten,
ließen durchblicken, daß sie das gerne auch hatten, aber die Fulle der
landwirtschaftlichen Arbeiten, die auf ihren Schultern ruhe, lasse sie
nicht dazukommen, alles so im Stande zu halten, wie sie es gerne mochten.
Fremde Leute zu halten, das sei viel zu teuer, und außerdem bekomme man
auch gute landwirtschaftliche Arbeiter selbst um hohen Lohn nicht mehr. Die
Manner und zum Teil auch die Tochter seien gezwungen, auswarts Verdienst
zu suchen, weil das ≫Bauern≪ nicht mehr so rentiere, um ein gesichertes
Auskommen zu haben. Da musse man sich halt nach der Decke strecken und die
Verhaltnisse nehmen wie sie seien.

Bei Gelegenheit solcher Gesprache hielt dann auch Elise nicht hinter dem
Berg mit ihren Gedanken und machte durchaus kein Hehl daraus, daß ihr die
Verhaltnisse in D. gar nicht gefallen. Sie fuhrte dann ihre Heimat als
Beispiel an, indem sie auseinandersetzte, daß man im Unterland auch
Landwirtschaft treibe, daß sie ja selbst die Tochter eines Bauern sei, aber
es falle dort niemanden ein, den Frauen und Tochtern die schwerste Arbeit
sozusagen allein aufzuburden; solche besorgen die Manner schon selbst und
die Frauen seien in erster Linie zur Fuhrung des Hauswesens da, was dann
freilich nicht ausschließe, daß auch sie zu gewissen Zeiten tuchtig in
Feld, Wiese und Weinberg mit Hand anlegen mussen. Daß unter Umstanden die
Frauen auch beim Erwerb mithelfen sollen, sei ganz recht, aber man durfe
nicht vergessen, daß eine tuchtige Hausfrau auch indirekt viel mehr
verdienen konne, als man im allgemeinen annehme. ≫Rechnet nur aus,≪ sagte
sie einmal zu zwei Nachbarinnen, mit denen sie uber diesen Gegenstand zu
reden kam, ≫wie viel mußte ich der Schneiderin und dem Schneider geben,
wenn ich die Kleider fur mich und die Kinder nicht selbst anfertigen
konnte. Mein Vater hat nicht gesagt, daß ich keine Zeit habe, als ich einen
Zuschneidekurs besuchen wollte; er wußte, daß die Zeit gut angewandt sei.
Schaut, da habe ich gerade meinem Manne ein Paar Pantoffeln gemacht, auch
das habe ich in wenigen Tagen in einem Kurs gelernt. So ist es noch mit
vielen Sachen, und es ist deshalb unrecht zu glauben, daß ich nichts
verdiene, wenn ich nicht gerade Mist fuhre und Erde schaufle wie ihr
andern. Mein Mann hat mir schon versprechen mussen, einen kleinen Garten
anzulegen und damit hoffe ich dann viele Auslagen zu sparen, indem ich
darin Gemuse ziehe, so daß wir das ganze Jahr genug davon haben. Wir sind
an den Genuß der verschiedenen Gartengemuse gewohnt und haben sie als
gesunde und billige Nahrungsmittel schatzen gelernt. Selbst das Putzen
und Waschen tragt noch etwas ein. Die Reinlichkeit ist wie nichts anderes
geeignet, den Krankheiten vorzubeugen und Seife und Bursten sind viel
billiger als die hohen Doktorrechnungen. Durch gute Ordnung nutzen sich
alle Dinge weniger ab, man spart also Geld und hat obendrauf weniger
Arbeit, als wenn alles in Unordnung herumliegt und oft allein mit Suchen
nach Dingen, die irgendwo verlegt sind, sehr viel Zeit verloren geht. Das
einzige was mir vielleicht nichts einbringt, sind meine Blumen; aber ein
Vergnugen muß der Mensch doch auch haben. Die Pflege meiner Topfpflanzen
gewahrt mir Erholung von meiner Arbeit, und weil diese Freude sehr wenig
kostet, so mag man mir dieselbe wohl gonnen.≪

Diese und ahnliche Auseinandersetzungen von seite Elisens waren geeignet,
die Frauen von D. zu uberzeugen, daß bei ihnen manches anders sein konnte,
als es war, und sie begannen die ≫Unterlanderliese≪ -- wie man unsere Elise
in D. kurzweg nannte -- zu beneiden. Es war deshalb kein Wunder, daß man
immer mehr von ihr sprach. Freilich hatte das keine weitere Aenderung zur
Folge, als daß die Unzufriedenheit bei den Frauen wuchs und die Manner
infolgedessen manchen Vorwurf zu horen bekamen uber die ungerechten
Zumutungen der Manner. Diese waren deshalb nicht gut auf Elise zu sprechen
und meinten, sie ware besser im Unterland geblieben, als da herauf zu
kommen und ihren Weibern die Kopfe zu verdrehen. Die Frauen glaubten
zuletzt selbst, daß an der Sachlage nichts zu andern sei; sie stellten,
teils um des lieben Friedens willen, teils weil ihre Neugierde uber die
hauslichen Verhaltnisse Elisens befriedigt war, den Verkehr mit ihr nach
und nach ein, und alles blieb vorerst beim alten.

Elise ihrerseits hielt das Verhalten ihrer Nachbarinnen fur Hochmut. Sie
hatte sich schon von Anfang an nicht aufgedrungen und wollte das auch
ferner nicht tun, obwohl sie sich eine Zeitlang in dem Gedanken gefallen
hatte, etwas beitragen zu konnen zur Verbesserung des harten Loses vieler
Frauen von D.

Die einzige Person, welche die Bestrebungen der Unterlanderliese nicht
verkannte, sie vielmehr zu unterstutzen trachtete, war der Pfarrer. Er war
in der Gegend aufgewachsen und kannte die Verhaltnisse genau. Die sozialen
Uebelstande, die nach und nach in der Talschaft eingerissen, hatte er mit
schwerem Herzen bemerkt, war aber unfahig, ihnen zu steuern, da es ihm an
tatkraftiger Hilfe mangelte. Es war ihm deshalb sehr willkommen, als er
das schone Familienleben im Mullerschen Hause bemerkte, und er sagte sich
gleich, daß ein solches Beispiel nicht ohne wohltatigen Einfluß bleiben
konne. Als ihm Elise nun klagte, wie alle Nachbarinnen sich voll Hochmut
von ihr abgewandt und ihre guten Absichten mißdeutet haben, da lachelte
er nur und meinte, das werde schon wieder anders werden. Ein wenig sei sie
vielleicht auch selbst schuld, weil sie den hier herrschenden Verhaltnissen
zu wenig Rechnung getragen habe. Es gehe nicht an, die hiesigen Frauen auf
einmal zu Unterlanderinnen umformen zu wollen. Um Besserung erzielen zu
konnen, musse man die Ursachen kennen, aus welchen die ungunstigen Zustande
entsprungen seien. Indem man dann durch gutes Beispiel zeige, daß diesen
mit Erfolg entgegengetreten werden konne, werde man Frauen und Manner fur
durchgreifende Reformen gewinnen. Er mochte ihr den Rat geben, mit
allen Leuten freundlich zu sein, ihren Nachbarinnen gegenuber nicht als
Besserwisserin und Lehrmeisterin aufzutreten, und namentlich das Unterland
als Beispiel ganz aus dem Spiel zu lassen. Die Verhaltnisse seien dort zu
verschieden im Vergleich zu den hiesigen. Die Landwirtschaft leide
unter der großen Guterzerstuckelung, dem allgemeinen Weidgang und andern
ungunstigen Einflussen, von denen man im Unterland nichts wisse derart,
daß es nur zu naturlich sei, wenn andere sich bietende Erwerbsquellen
bereitwillig ausgebeutet werden. Die landwirtschaftliche Lage sei zwar
nicht derart, daß keine Besserung mehr zu hoffen sei, im Gegenteil, es
zeige sich schon Tendenz zu einer solchen; aber es brauche Zeit und Geduld
und Manner, die sich mit ganzer Kraft der Sache widmen. Vor allen Dingen
gelte es, die Leute so gut als moglich an die Heimat zu fesseln, und das
geschehe am besten durch die Bande der Familie. Hier musse man vor allen
Dingen veredelnd eingreifen, und hier rechne er auch am meisten auf Elisens
Hilfe.

Martin hatte vollauf zu tun. Große Unternehmungen waren es vorderhand
freilich nicht, mit denen er sich beschaftigte; denn es waren meist nur
kleinere Reparaturen, mit denen man ihn betraute, und die man vielfach
aufgeschoben hatte, um sie von Martin ausfuhren zu lassen, weil in D.
vorher kein Zimmermann ansassig war. Es waren das alles Arbeiten, die
kein großes Betriebskapital erforderten und doch einen sichern Verdienst
abwarfen. Das war ganz im Sinne Martins; denn er wollte nur nach und nach
sein Geschaft vergroßern.

Zufrieden und vergnugt ging er seiner Arbeit nach. Die Sonntage und die nun
immer langer werdenden Abende verbrachte er in seiner Familie. Schon hie
und da hatten alte Freunde versucht, ihn in diese oder jene Gesellschaft
hineinzuziehen, ihn zu einem Kegelabend einzuladen, zu einem gemutlichen
Jaß aufzufordern oder sonst, eine Gelegenheit vorschutzend, ihn ins
Wirtshaus zu ziehen; freundlich aber entschieden lehnte er jedesmal ab.
Viele sahen in ihm deshalb einen erbarmlichen Pantoffelhelden, der nach der
Pfeife seiner Frau tanzen musse. Weil sie keinen Sinn hatten fur das Gluck
einer stillen Hauslichkeit und eines durch nichts getrubten Familienlebens,
hielten sie die Anhanglichkeit Martins an seine Familie fur eine nicht
ganz freiwillige, und wahrend ihn einige bemitleideten, meinten andere, es
geschehe ihm ganz recht; warum habe er diese Unterlanderin geheiratet,
er hatte eine aus der Talschaft nehmen konnen, dann hatte er nicht notig
gehabt, innerhalb seiner vier Wande Trubsal blasen zu mussen.

Martin, dem naturlich solches Gerede auch zu Ohren kam, lachelte nur
daruber; ihm war es gleichgultig, was andere Leute in dieser Beziehung
uber ihn dachten. Nur als es einmal einer wagte, sich ihm gegenuber direkt
mißbilligend uber Elise zu außern, indem er sagte: ≫Es schaut gewiß nichts
dabei heraus, wenn in einer Familie, die nicht reich ist, die Frau nichts
als putzt und wascht, sich und die Kinder stets in frische Kleider steckt,
die doch schnell wieder schmutzig werden. Das ist gut fur Herrenleute, die
Geld genug haben, aber fur einen gewohnlichen Handwerker oder Bauer paßt
das nicht; ich wenigstens mochte es mit so einer Frau nicht machen; ich
wußte nicht, wo Geld genug auftreiben, wenn mein Weib, statt auf dem Feld
und im Stall zu arbeiten, nur immer ans Kochen, Putzen und Waschen denken
wurde, wie es die Liese tut.≪ Da konnte er sich denn nicht enthalten, dem
Manne ziemlich aufgebracht zu erwidern.

≫Du denkst wahrscheinlich nicht daran,≪ hub Martin seine Entgegnung an,
≫daß Du da meiner Liese die großte Lobrede gehalten hast; denn ich bin ihr
z. B. sehr dankbar, daß sie auf Reinlichkeit bei den Kindern halt; ist es
doch mein Stolz, daß sie so gut geraten; nichts tragt mehr zum Verderbnis
von Leib und Seele bei, als Schmutz und Unreinlichkeit. Gerade so ist es
mit dem Schmutz auf den Boden und an den Fenstern; denn wo derselbe auf den
Geraten liegen bleibt, bleibt er auch gerne im Herzen und in den Gedanken
liegen; und Du so wenig wie ich, hast je durch eine schmutzige Scheibe
ein frohliches Gesicht schauen sehen. Daß mein Weib vollends keine Lumpen
aufkommen laßt, daucht mir gerade das schonste an ihr; denn ich weiß nicht,
ob lumpige Menschen lumpige Kleider machen oder lumpige Kleider lumpige
Menschen; eines aber ist gewiß, daß sie stets bei einander sind. Deine
Kathrine ist eine fleißige und brave Frau, der man gewiß nichts nachsagen
kann; aber bedauert habe ich sie schon oft, wenn ich sie schon am morgen
in aller Fruhe im Stall und auf dem Miststock hantieren sah, wahrend Du
gemutlich druben in der Post Deinen Schnaps trankst. Und dann, was meinst
Du? Wie viel Seife und Bursten ließen sich bezahlen aus dem Gelde, das Du
abends und Sonntags bei Spiel und Wein verbrauchst? das wurde noch so weit
reichen, daß Du Dir eine Hauslichkeit schaffen konntest, in der es Dir weit
besser als in der dumpfen Wirtsstube gefallen wurde. Schau! wenn ich an den
Feierabend denke, da geht mir meine oft schwere Arbeit nochmal so gut aus
den Handen. Komme ich heim, so wartet meiner ein, wenn auch einfaches, so
doch kraftiges und schmackhaftes Essen. Wahrend mir mein kleiner Hans die
Pantoffeln bringt, holt der Franz Pfeife und Tabak, die Zeitung liegt schon
parat, und wenn ich so rauchend, plaudernd oder lesend im gut durchlufteten
und erwarmten Zimmer, im Kreise meiner Familie, von des Tages Muhen
ausruhe, so danke ich jedesmal im Stillen meiner Liese, daß sie es
versteht, mir ein Heim zu bieten, mit dem kein Wirtshaus der Welt den
Vergleich aushalten kann.≪

Der auf diese Weise von Martin Zurechtgewiesene wagte nichts mehr zu
entgegnen und schlich sich wie ein begossener Pudel von dannen, innerlich
denkend, daß der Zimmermann eigentlich recht habe, und daß es einen Versuch
wert sei, die erhaltenen Ermahnungen sich nicht nur zu Herzen zu nehmen,
sondern sie auch zu befolgen.

Mit den Arbeiten, die Martin ausfuhrte, war man allgemein zufrieden. Es
konnte eben leicht wahrgenommen werden, daß er wußte, als Handwerker nicht
nur das Anrecht auf den Taglohn zu haben, sondern daß ihm auch die Pflicht
zukam, etwas vollwertiges dafur zu leisten. Alle Arbeit ging ihm rasch
aus den Fingern, wobei aber auch beim Kleinsten auf Genauigkeit und
Dauerhaftigkeit gesehen wurde. So wurde Martin mit Auftragen uberhauft,
trotzdem er einen hoheren Lohn verlangte, als mancher der andern
Zimmerleute, mit denen man sich bis jetzt hatte behelfen mussen.

Weil Martin sich nur selten einmal im Wirtshaus blicken ließ, so waren
diejenigen, welche einen Auftrag fur ihn hatten oder in irgend einer
Angelegenheit etwas mit ihm besprechen sollten, genotigt, ihn zu Hause
aufzusuchen. So kam es nun immer mehr vor, daß am Abend oder an Sonntagen
Leute im Mullerschen Hause vorsprachen. Merkwurdig war es dabei, zu
beobachten, wie mancher, der nur das Geschaftliche schnell abtun wollte,
um sich dann gleich wieder zu entfernen und vor Eile kaum die Turklinke
aus der Hand ließ, der freundlichen Einladung zum Sitzen nicht widerstehen
konnte und dann oft fur mehrere Stunden nicht ans Fortgehen dachte. Das
bewirkte der eigenartige Zauber, der von der Hauslichkeit Martins ausging,
das freundliche Wesen Elisens und die ernsten und heiteren Gesprache
Martins, der ein guter Gesellschafter war und mancherlei zu erzahlen wußte.

Es laßt sich leicht begreifen, daß da mancher sozusagen gezwungen
wurde, einen Vergleich anzustellen zwischen den anheimelnden, traulichen
Verhaltnissen in der Familie und in dem Heim Martins und denjenigen, die in
seinem Hause herrschten. Andere konnten es zuerst absolut nicht begreifen,
wie sie es, ohne die mindeste Langeweile empfunden zu haben, einen ganzen
Abend oder Sonntag-Nachmittag haben aushalten konnen, in Martins Stube zu
sitzen, ohne Karten und ohne Bier und Wein. Der eine oder andere merkte es
dann vielleicht, daß er das auch in seiner Stube konnte, wenn es dort so
behaglich ware, wie bei Martin, und nahm sich dann wohl vor, einmal zu
probieren, ob sich nicht in seinem Haushalt hie und da etwas andern ließe.
Sei dem wie ihm wolle; Tatsache ist, daß nach und nach mancher gestrenge
Eheherr, der noch vor wenigen Wochen seiner Frau Vorwurfe machen wollte,
wenn sie der Unterlanderliese etwas nachmachen wollte, geradezu befahl,
kunftig mehr im Hause zu arbeiten und nachzusehen, daß es dort eine bessere
Ordnung gebe, dabei aus freien Stucken von der Stallarbeit etwas mehr
ubernahm und manchmal sogar am Abend zu Hause blieb und mit der Frau einen
Jaß machte, statt mit den alten Freunden druben im Wirtshaus. So begann sich ganz langsam, ohne daß es eigentlich jemand gewahr wurde, ein Umschwung in D. anzubahnen, ausgehend von dem Mullerschen Hause, wo Reinlichkeit und Ordnung waltete, und wo das schonste Familienleben jene Zufriedenheit schuf, welche Eltern und Kindern aus den Augen leuchtete.

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