O, wie kostlich! -- Ich hore die feinen, leisen Laute, hervorgebracht von den Wassermolekulen, die durch den frischen Luftstrom in Bewegung gesetzt sind. Ich hore, mein Ohr neigend, das unendlich feine Zischen und Garen der befeuchteten Ufererde, wenn sich der krauselnde Wellendrang zuruckzieht; hore es raunen, wie ein Geheimnis... Und weiter hort meine folgernde Vernunft mit geheimen Ohren die leisen Gerausche der sich einenden und losenden Elemente, hor’ ich die sich entbindenden Massen der Elektrizitat, brullende Sturmlaute uber die Lander hin, Regengeriesel und Donnern der Lawinen und die vielen Laute und Stimmen der Tiere und das Wort, das menschliche Wort, die Sprache in ihren tausend Verfeinerungen. -- Und alles ist ganz gleich und einerlei und dasselbe: Bewegung, Laut, Wort, Sinn. Alles gleich und alles dasselbe eine Wandeln... Alles gleich!...
O, nur die Wellen, die weitschimmernde Flache und die tanzenden Flammchen, und die Wellen, die platschernden raunenden Wellen...
* * * * *
„Herr Dokter!“
Ich fahre herum.
Meister Schraube! In persona! -- Mit seinem gutmutigen braunen Gesicht, mit dem Pfeifenstummel und der „Maurerfreese“.
Ach, nun weiß ich: wir wollten ja alle beide ’nausfahren und Reusen legen!
Meister Schraube bedauert, daß er sich verspatet hat.
„Jedenfalls, ich bin hier beinah’ umgekommen vor Langeweile!“
Die Kette klirrt vom Pflock. -- Ruder eingesetzt! -- Los!...
Im Laden.
Ich sitze auf einem Korinthenfaß und sehe zu, wie Herr Haberland verkauft.
Wunder meinte ich, wie fruh ich heute aufgestanden ware, aber Herr Haberland ist nun schon reichlich eine Stunde auf den Beinen und hat hinter seinem Ladentisch alle Hande voll zu thun.
Es geht mir so durch den Sinn: ich weiß nicht, ob es gerade notig ist zu wissen, daß es einen lieben Gott giebt: sicher ist es von noten, daß zum Beispiel Herr Haberland heute fur so und so viel Reichsmark Ware umsetzt. Vielleicht komme ich darauf, weil Herr Haberland so privatim ein bißchen Freigeist ist; vielleicht aber bringt mich auch seine Geschaftigkeit auf diesen Einfall.
Denn das ist ein wahres Vergnugen, ihm zuzusehen!
Diese nervose Beweglichkeit paßt ganz zu einem Wuchs: die Ladentischkante reicht ihm bis uber den Bauch, der ubrigens ein sehr diskreter Bestandteil seiner Personlichkeit ist und sich in diesem Augenblicke hinter der grunen Schurze verbirgt. Die grune Latzschurze mit der Messingkette. -- Wer hat in seinem Leben noch nicht einen kleinstadtischen Kramer in dieser Schurze vor seiner Ladenthur das duftende Kaffeesieb schwenken gesehn! -- Es ist einer der herzerquickendsten und weltversohnendsten Anblicke, die man genießen kann! -- Immer hat Herr Haberland ubrigens diese Schurze nicht vorgebunden. Aber er will nachher, wenn seine Madame aufgestanden sein wird, hinten in der Niederlage noch Petroleum auf Flaschen fullen; denn er verkauft Petroleum nicht direkt vom Faß, sondern in Flaschen; eine Neuerung im Petroleumverkauf, die sehr praktisch sein soll, und die er, findiger Kopf und Fortschrittsfreund, der er ist, da neulich von einer Geschaftsreise nach der nachsten Großstadt hierher nach Dingsda importiert hat.
Aber nichts Prachtvolleres als sein Kopf! Dieser machtige Schadel mit diesem geweckten vifen Gesicht! Eine hohe kahle Stirn, und schlichtblondes Haar rahmt eine Glatze ein, rund und spiegelnd wie eine Billardkugel. Aber sie ist jetzt nicht zu sehn, denn Herr Haberland hat seine graue Ladenmutze auf. Eine runde Kappenmutze mit einem gewaltigen Schirm, der spitz wie ein Schnepfenschnabel vorspringt. Er hat sie schief und verwogen auf der linken Seite, und sie ist tief heruntergezogen. Unter der behaglichen Nase starrt eine rote Schnurrbartraupe, und vor den gescheiten grauen Augen funkeln und blitzen die beiden Brillenglaser.
Und dieser Blick vor allem! Dieser Blick! Noch nie hab’ ich mein Lebtag einen so komplizierten Blick gesehn! -- Da ist Humor, Leutseligkeit, diskrete Ironie und Witz, denn die Kunden werden von Herrn Haberland in ihren diversen charakteristischen Eigentumlichkeiten ebenso genossen, wie sie von ihm unterhalten sein wollen und mussen; da ist vor allem „das Geschaft“; da ist eine unwillkurliche Aufmerksamkeit, daß die Ware richtig verabreicht wird, und das alles und wer weiß, was noch? liegt in diesem Blick...
* * * * *
Vornehmlich hat Herr Haberland augenblicklich hinter dem kleinen Branntweinausschank zu thun, denn die ersten Kunden des Tages sind zu bedienen, und das sind die Arbeiter, die in aller Fruhe in die Kalksteinbruche hinausmussen, weit draußen in den Thalsenkungen der Berge. Dort arbeiten sie den lieben langen Tag uber bis in den Abend hinein fur ihre anderthalb oder zwei Mark, und da ist es begreiflich, daß sie sich ihren „Schluck“ mitnehmen mussen, der von Herrn Haberland sehr geschickt aus der großen Glasflasche in die Zinnnoselchen und aus ihnen in das Flaschchen praktiziert wird, das sie ihm hinreichen. -- Naturlich holen sie auf Borg. Sie kommen dann aber auch noch mal am Abend mit vor; und dann stehen sie vor dem Ladentisch oder sitzen auf der Bank an der hellgetunchten Wand und „genehmigen“ sich noch „einen“ vorm Schlafengehen, und wer’s von ihnen etwas naher an den Nabob heranhat, leistet sich wohl auch noch den Luxus einer Funfpfennigcigarre. Am Sonnabend wird dann alles „glatt gemacht“.
Also diese Arbeiter. -- Es ist selbstverstandlich, daß sie alle nach der Reihe Sozialdemokraten sind. Deshalb ist Herrn Haberlands Benehmen augenblicklich im allgemeinen auch etwas reservierter. In etwas! Denn es ist selbstverstandlich, daß das „Geschaft“ die Hauptsache ist.
Ja, das „Geschaft“! -- Ich bewundere die Macht dieses „Geschaftes“. Denn so verschieden die politischen Ansichten Herrn Haberlands und dieser Leute auch sein mogen, und man weiß ja, wie die Politik den Charakter verdirbt und die Leidenschaften incitiert: das „Geschaft“ hat hier einen Altruismus zu Wege gebracht, der sich in einer teils allgemein humanen, teils sogar humorvollen Verkehrsweise Herrn Haberlands darthut und dessen ethische Qualitaten unverkennbar sind...
* * * * *
Diese Arbeiter! -- Romantisch! -- Pittoresk! -- Alles, was in Dir Maler ist, hat seine Augenweide; denn an ihren Kleidern kannst Du die ergiebigsten Farbenstudien machen. Vornehmlich sind es diese Ubergangsfarben. -- Alles, was Du da in einem Nest wie Berlin „unter den Linden“ und in der „Leipziger Straße“ und „Friedrichsstraße“, in Theatern, Konzertsalen, in Gesellschaften und Zirkeln herumprunken siehst, ist entschieden eine ganz gewohnliche Farbenplebs gegen den intimen Zauber dieser Tonungen.
Da ist vor allem jenes bekannte Olivengrun. Wie es sich dort uber das breite Schulterstuck eines gekrummten Ruckens aus einem Rotbraun herausspielt, im Strahl der Morgensonne in ein feines Gelb hinein! Die Couleuren einer Lederhose; die Nuancierung jenes ehemals weißen Maurerpantalons; das zartverblichene Blau jenes Leinenflickens auf den friesigen zerschlissenen Halbpaletots da! Nun, und was alles diese geheimen Meisterstucke atmospharilischer Farbentechnik sind!...
Diese Arbeiter mit ihren rotbraunen Gesichtern! Diese schwieligen Hande mit ihren krummen ungefugen Fingern und ihrer Behaarung! Dieser Duft nach Rippenknaster, Branntwein und frischer Bergluft!...
Und die Gestalten! -- Denn siehst Du: so fuhren die Fauste die Steinpicke, die Schaufel, das Brecheisen, langsam, bedachtig, zweckmaßig, Stoß fur Stoß, immer in dem gleichen festgewohnten Rhythmus der Bewegungen; so schieben sie die Karren, den Schienenwagen, und so geben diese Bewegungen dem Rucken diese Krummung, biegen sie die Beine, formen sie die Mienen der Gesichter, bedingen sie diesen muden und schleppenden Gang, in dem doch Kraft ist.
Schade nur, daß sie, wie gesagt, alle nach der Naht Sozialdemokraten sind, diese gefahrliche neumodische Menschensorte die „teilen“ will!...
* * * * *
Sie sind fort. -- Langsam schleppen sie sich, ihre schabigen Ledertaschen uber die Schulter, den Steig zu den Hugeln hinauf, und die Rauchwolkchen aus ihren Kurzpfeifen krauseln sich fein und blau in die helle Morgenfrische.
Hm! -- Nun ja! --
Ich stopfe mir Shag in meinen Stummel und zunde mir eine Morgenpfeife an, und Herr Haberland klebt an seinen Duten weiter. -- Große Duten, mittelgroße Duten, kleine und kleinste Duten. Spitze Duten und eckige Duten. Blaue, graue, gelbe und weiße Duten. -- In vier langen Reihen bedecken sie den Ladentisch in einer Weise, daß Herr Haberland den Pinsel nur in den Kleistertopf zu tunken und, wahrend er die eine seiner großen durren Hande druber spreizt, mit ihm druber hinzufahren braucht. Man hat dann nur noch notig den bekleisterten Rand so einer Dute umzudrucken und sie ist fertig. --
Die Sonne blinkert so friedsam auf den Schnaps- und Likorflaschen. -- Und die schonen blauen Zuckerhute mit ihren weißen Spitzen! Und die blitzblanke Messingwage! --
„Ja! -- Gute Kunden! -- Aber Sozialdemokraten! -- Aber freilich: so schuften mussen den ganzen Tag fur kaum zwei Mark, in Wind und Wetter und Sonnenglut?!“
„Ja ja!“...
Und große Pause...
* * * * *
Bimmelimbimbimbimbimbim...
Die letzten Bimbims in immer beschleunigterer Tonfolge.
„Na, mei Maischen?“
Herr Haberland hat sich mit seinem freundlichsten Gesicht zur Ladentischkante heruntergebeugt, an die sich ein paar kleine Patschpfoten klammern und uber der ein Busch strohgelber Haare uber zwei eifrigen Guckaugen sichtbar ist.
„Fer -- fer -- fer -- fer -- e -- Groschen -- Semmeln, un -- un -- un e Pfund Reis, un -- un -- un -- Pompom?“
„Pompom“ ganz leise, das Fingerspitzchen am Munde, die Augen mit einem scheuen Seitenblick von unten ’rauf zu meiner Hochwohlgeboren hin gesprochen, halb Hoffnung, halb Resignation und doch Wagemut. Es bleibt Herrn Haberland uberlassen dies „Pompom“ in der Einzahl oder der Mehrzahl zu nehmen. --
-- „Da, mei Puttaibchen!“
Das „Puttaibchen“ sockt, die Patschhand inbrunstig um seine „Pompoms“ gepreßt, ab.
* * * * *
Und nun wieder nur Herr Haberland in seiner mullergrauen Gewandung, in seiner grunen Schurze, mit den blitzenden Brillenglasern und der roten Schnurrbartraupe, blond, und flink auf seinen dunnen Beinchen mit dem Kleisterpinsel uber das Dutenpapier hinhantierend; die Morgensonne, und vom Hofe her, durch das geoffnete Fenster hinten das Gackeln der Huhner, das Meckern von Madame Haberlands Hausziegen und ein lebhaftes Grunzduett aus dem Schweinekofen, wo Jette das erste Fruhstuck zu servieren scheint. -- Und das Stillleben der braunen Kasten und Regale, die in ihrem ehrwurdigen Alter schon ein bißchen wurmstichig sind. Die weißen Zettelchen drauf. Die Fasser mit den Heringen, den sauren Gurken, dem Pflaumenmus, der grunen Seife. Die Posamentenecke mit ihren bunten Wollwickeln, den langen Zwirnstrahnen, den Knopfen, Nadelpackchen und Garnwickeln. Und so ein unbestimmter Mischgeruch von alledem, in den der Kaffee sein dampfendes Aroma hineinwebt.
Meine Pfeife hat guten Zug; das macht mich gesprachig, und ich beschließe, inspiriert vom Duft des Kaffeesackes, Herrn Haberland etwas vorzurhapsodieren. Er liebt das außerordentlich, denn niemand kann mehr fur Bildung sein als er. Und fur das „Romantische“...
„Ja! -- Nu, das wissen Sie, wer den Kaffee aufgebracht hat?“
Herr Haberland, ohne von seinen Duten aufzusehen, mit einem teils ermunternden, teils erwartungsvollen Lacheln: „Nee!“...
„Nu, das war im funfzehnten Jahrhundert...“
„Als wir vierzehnhundert schrieben?“
„Wohl! -- Also da reiste ein wurdiger Mann und Mufti, Gemal Eddin von Aden nach Adjam...“
„Nee, warten Se mal: Mufti?“
„Gott, irgend so ein mohammedanischer Bonze und Rechtsgelehrter...“
„Hm!“
„Also dieser Gemal Eddin war als eine beruhmte Autoritat von Adjams Kadi, respektive Amtsrichter, zitiert, in einer besonders verwickelten Rechtsangelegenheit sein Gutachten abzugeben. Die beiden Herrn sitzen nun nach Erledigung der pp Angelegenheit um die Zeit, da der Tag kuhl wurde, im Schatten des Hofsaulenganges auf ihrem Teppich und rauchen ihren Tschibuk; der Springbrunnen platschert, der blaue Rauch steigt gegen die Palmenkronen empor et cetera pp verstehen Sie. Da erscheint der pechrabenschwarze Mohr des Hauses und setzt ein dampfendes Getrank vor ihnen nieder. Der Kadi schmunzelt, kneift seine Augelchen und weidet sich an dem Staunen seines Gastes, der mit verwunderten Blicken das tiefbraune zitternde Getrank betrachtet und mit weit und wohlig geoffneten Nustern sein kostbares Aroma einsaugt ...“
„Also das erste Schalchen Heeßen, haha!“
„Wohl! -- Sozusagen das allererste und zweifelsohne first quality! oder eine Schale Kaweh oder Kawah, respektive Kaffee, Adjams nachmals so beruhmt und beliebt, ja unentbehrlich gewordene Spezialitat, die in Aufnahme gebracht zu haben, Gemal Eddins unsterbliches Verdienst. Denn dieser hochwurdige Mann Gottes brachte sie Adens Derwischen, denen sie bald zu einer unentbehrlichen Aufmunterung ihrer Gottseligkeit wurde. Und diese Derwische...“
Ah! Die alte Rebern! --
* * * * *
Die alte Rebern wunscht „fer zwee Fenn’ge gestoßnen Feffer un e halwes Fund klaren Zucker un -- hehe! -- e Ingwerchen.“ --
Das Ingwerchen ist die Einleitung zu einem gemutlichen Klatschchen, das insofern nicht ohne Wert ist, als die Mutter Rebern den ganzen lokalen Teil des Kreisblattes ersetzt, und die wissenswurdigsten Dinge von ihr am ersten und frischesten zu erfahren sind.
Nu, hinte Nacht hamm se also den Amtsdiener widder mal verdroschen, un der versoffene Edel hat widder mal seine Frau gehaun un de Frau Braunsmillern hat e kleen’ Jungen gekriegt...
Soso! -- Na! -- Es wird am Ende doch Zeit, daß ich meinen Morgenspaziergang erledige ...
Das Rosenfest.
Ach! Meine Moosrose ist aufgebluht! -- Uber Nacht! -- Meine Morgenuberraschung, wie ich aus der Kammer ins Zimmer trete.
Es ist ein truber Tag, aber trocken. Nur die Wolken hangen so grau und schwer und ruhig. Ein beinahe winterliches Licht. -- Im Ofen flackert das Feuer.
Aber wie ich mich nun, nach dem Mittagessen auf das Sofa gelegt und mir meine Cigarre angezundet habe und die Rose betrachte, ist es ein Fest, ein wahres Fest, das nichts von seiner erhebenden Wirkung einbußt, weil es ein so stilles und einsames ist. -- Man kommt dahinter, daß sie von der Art die besten sind. --
Schlank! Ein schoner schlanker Stock! -- In diesem gleichmaßig ruhigen Licht, das im Zimmer herrscht. Zart und zierlich mit der reinlichen Form seiner dunkelgrunen Blatter. Und dieser feingezackte Rand! -- Und vor allem die Blute! -- Schon wie ein Traum! -- Diese eine Blute mit ihrer gekrauselten Fulle, mit diesem herrlichen Gelb und seinen roten Tonungen nach dem Innern des Kelches zu. --
Die Rose!... Die Blume der schaumgeborenen Aphrodite, vom Blut des geliebten Adonis gefarbt.
Die heilige Blume der Musen und Grazien.
Die heilige Blume des Dionysos.
Lydische Flotenspielerinnen mit Rosen bekranzt.
Sie, in uralten Tschuktschengrabern gefunden, der Liebling und die Freude der Menschen schon vor mehr denn funftausend Jahren vor unsrer Zeitrechnung! --
Was das alles fur Gedankengange anregt! --
Die Blume der Liebenden. -- Die Liebe. -- Die Liebe eine Krankheit. -- Und der Schmerz! -- --
* * * * *
Der Schmerz. --
Was fallt mir da ein! --
Es ist Winter und alles ist dicht verschneit. Jeder Laut ist wie von weiten dichten Teppichen gedampft. -- Es ist ein Tag nach dem Begrabnis. Die Erwachsenen sitzen still oben im Zimmer, in ihren Trauerkleidern, und hangen ihren Gedanken nach. Wir Kinder aber sind auf den Hof hinuntergegangen; diesen großen Gutshof mit seinen verschneiten Stallgebauden und Wagenreihen. Große Kinder sind wir schon, dicht vor und nach der Konfirmation. Und wie wir nun den schonen weißen Schnee sehen, da lost sich’s uns wie ein Bann und alle Trauer ist vergessen. Hurtig bucken wir uns, und im nachsten Augenblick ist die frohlichste Schneeballschlacht im Gange. Aber das Lachen und Rufen hat die Wirtsfrau in die Flurthur gelockt, und sie droht mit dem Finger und mahnt mit ernst-lachelnder Miene.
Wir erschraken damals und schamten uns, und einer von uns qualte sich nachher noch lange mit seinen stillen Reuegedanken und hatte seine Betrachtungen, wie schnell man vergißt und -- vergessen wird...
Und doch: wie naturlich das alles war!... Und weiter: es fallt mir in seiner ganzen Bedeutsamkeit das biblische Wort ein: „So ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen!“...
* * * * *
Heimliche Dornenwunden ihr! -- -- --
Ah was doch! Keine sundigere Wonne, als die Wonne an den Schmerzen!...
Ich sehe aus meiner Rose heraus ein schones starkes Gesicht, ein Gesicht mit runden hellen Sonnenaugen, und in ihnen, zu schonem Maß gebandigt, jenen sußen Wahnsinn, der aller Freude heimlichste Energie bedeutet.
Wie ein Flotenlied prangt diese konigliche Blute, und ich bin in den Gefilden der Schonheit und der Feste und des Vergessens, im Sonnenland eines klugen Rausches...
Der Blumentopf.
Frau Haberland kennt meine Blumenliebhaberei, und so hat sie mir denn auch gleich nach meiner Ankunft einige Blumentopfe ins Zimmer gestellt: eine schlanke Monatsrose, eine Fuchsia mit der Uberfulle ihrer schlanken tiefroten Blutentropfen, ein Heliotrop und vor allen Dingen ein gewaltiges Geranium mit recht knallroten, bauernfrohlichen Blutendolden, daß es eine wahre Herrlichkeit ist.
Der Asch dieses Geraniums ist einigermaßen merkwurdig: namlich in Bezug auf seine Farben. Zwar reichlich die Halfte zeigt die naturliche rotgelbe Thonfarbung: die andere aber ist um so interessanter. Da muß wohl mal Farbe auf dem Topf gewesen sein. Freilich hat sich nur noch ein geringer Rest davon erhalten. Denn nicht nur, daß, wie bereits gesagt, die obere Halfte des Topfes infolge irgend welcher Einflusse seine Naturfarbe vollig wiederbekommen hat: auch von unten her ist die ehemals aufgetragene, ein lichtes Himmelblau, von Schimmel und feuchtem Schmutz verdrangt, der sich in die Poren des Asches hineingefressen. Das Weißgrau des Schimmels aber ist noch uber das Schwarzgrau des Schmutzes, der in breiten Streifen rings um den Asch liegt und dem es allerlei Nuancen gegeben, hinausgedrungen, hat den Rest des schnurrig gezackten ursprunglichen Blau verschont und sich nur in ein paar matten Saumen, Tupfelchen und Punktchen um seine Rander gelegt.
* * * * *
Ja, und nun mußt du frei sein von allem, was dir Sorgen und Gedanken macht und mußt das Auge haben, das nichts will und nichts sieht und doch etwas hat. Aber der bewußte Gedanke hat nichts durch das Auge. Es ist kein Gedanke vorhanden. -- Ich las von den Roßhirten der Pußta. Stundenlang konnen sie, wenn sie feiern, hingenommen von der stummen Melancholie der weiten Ebene, auf demselben Flecke sitzen, in den hellen Mondnachten, ums Feuer herum. Sie ruhren kaum ein Glied, sprechen kein Wort, sitzen nur so da in einer vollkommen animalischen Ruhe und sehen ins Ungewisse, gleichsam wie die Hasen mit offenen Augen schlafend. -- So mußt du sein. Nicht starren durfen deine Augen. Sie mussen ruhen, ruhen in einer seltsamen Mudigkeit. Aber dennoch bist du so sonderbar wach, und deine Sinne, scheinbar auf nichts gerichtet, sind einem Verborgenen offen, das sie irgendwie wahrnehmen...
* * * * *
Siehst du: jetzt bist du wieder ein kleiner Junge und sitzt auf dem Fensterbrett, und es ist so wunderbar schones Wetter. Und du guckst nur immer, immer in die Hohe, in den schonen, tiefblauen Himmel hinein, in einen Himmel so tiefblau wie das wundervolle Briefpapier, auf dem dein Vater seine Geschaftskorrespondenzen zu erledigen pflegte. Und alle Deine Sinne sind nur ein einziges unsagbares Wohlgefallen an diesem Blau, an diesem tiefkostlichen Himmelblau...
* * * * *
Aber jetzt ist ja gar nicht mehr Tag: es ist eine Nacht im Suden. Nur ins Endlose dehnt sich noch dieser helle Himmel, und seine wenigen großen Sterne blitzen in so seltener fremder Pracht. Das ganze Land aber ist eine einzige weite Ebene, ganz von einem silberblauen Duft uberwebt. Und ein fernes verhaltenes Rauschen der lichten Meeresbreiten.
Alles ist so einsam, eine so tiefe leuchtende Ruhe.
Aber durch das Einsame, hoch, hoch am klaren Himmel kommt ein Wolkchen gezogen, ein einziges langes weißes Wolkchen, ein wunderliches Wolkchen...
Die Dose.
Es ist in der Abenddammerung. Der rote Sonnenuntergang bringt nur noch ein letztes rosa Licht ins Zimmer, das schon dunkelt. Eben noch so eine Ahnung von einem matten, matten rosa Licht. Mein Sofatisch, der vor dem breiten Pfeiler mitten zwischen den beiden kleinen Fenstern steht, bekommt kaum einen Schimmer ab. Es liegt nur noch so in den Gardinen.
Ich stehe in der einen Fensterecke und habe die Dose im Auge, die auf dem Tisch zwischen dem Schreibgerat steht. Es ist eine gelblackierte Holzdose, ein kleines norwegisches Bauernkunstwerk, eine Schnitzerei, die ich mir „aus der Kultur“ mit hierhergebracht habe in meine verspatete Sommerfrische.
Ja, was nur eigentlich? -- Ah ja! -- Was mich mit einem Mal so an dem Ding fesselt! --
Nun, die Kunst! Die Kunst! -- Die Kunstempfindung! Der Kunstgenuß! --
Es ist sicher schon, wenn man „Kenner“ ist, wenn man das alles auf Regeln bringen, wenn man sich Rechenschaft geben kann, so und so kommts zu stande, auf dem und dem beruht die Wirkung, und wenn das so und so zu stande kommt, ist das und das richtig und das und das verfehlt; und das wird erst der eigentliche und wahre Kunstgenuß genannt...
Aber wie fern mir das jetzt ist! -- Und ich weiß, was das Beste an der Kunst ist. Und das ist diese plotzliche Wirkung eines Kunstwerks, der allererste unsagbare Eindruck, dieser ganz undefinierbare Eindruck, der Kenner und Laien zwingt und bannt, und den kein Kalkul, keine Kritik, keine Theorie ermessen kann. Lebendig empfundenes und gebanntes Leben, das wieder Leben weckt und belebt, trostet, hebt und so wundersam ins Weite fuhrt. Das, wo nichts mehr zu sagen ist, als das letzte was gesagt werden kann und was unantastbare Mystik ist: erhebende reine Lustempfindung. -- Lustempfindung...
Das ist es: wie diese Arabesken so wundersame Linien in mein Gehirn, in mein Empfinden ziehen, daß sie wieder in mir werden, was sie in jenem Bauern waren. Und das ist das Beste an der Kunst und das Notwendige. Und das ist die Dimension, fur die wir ein anderes heimliches Sinnensystem haben, einen verborgenen Sinn, der das letzte ist, an das kein Verstand, kein Wort, keine Analyse und keine Theorie heranreicht, das ewige Aktivum und das letzte wahre Sein.
Haftend an diesen Linien da vor mir, lebe ich im Einzigen und sehe es mit ubersinnlichen Augen.
Und ich sehe einen Pfahlbauern, der Kreise, Schlangenlinien und Zacken auf ein Thongefaß malt und stehe vor dem Mysterium erster Kunstbethatigung.
Ja, und stehe so da in diesem rosa Abendlicht und sehe die Dose und bin -- Harmonie...
Herbstblumen.
Die letzten schonen Herbsttage sind im Land. Wie bin ich begluckt, sie in dieser schonen Weltabgeschiedenheit verbringen zu durfen! --
So gegen Mittag hin, wenn die Sonne fast im Zenith steht, nehm’ ich ein Buch unter den Arm, schreite zwischen dem behaglich gackernden Huhnervolk hin uber den kleinen Hof und steige die sechs rissigen Kalksteinstufen neben der Scheune in die Hohe, die zu der kleinen Holzgatterthur hinauffuhren, durch die ich in den Hausgarten gelange.
Etwa ein Morgen Land hinter der Scheune. Zur Halfte Gras- und Obstgarten, zur anderen Halfte Gemuse- und Blumengarten. Eine dichte Rotdornhecke grenzt den Garten gegen das freie Hugelland ab hinter dem Haus. Die graugelbe Lehmwand der Scheune ist fast ganzlich von Weinlaub uberwuchert. Die Fulle der gelblich-grunen und blauen Weintrauben lugt daraus hervor.
Mit einer milden Helle schimmert das Licht auf dem Gras, auf dem gelbenden Laub, auf dem letzten Blumenflor des Jahres. Eine kostlich linde Warme. Und kein Luftchen regt sich. Man hort nur die Laute des Geflugels vorn vom Hof her, oder den dumpfen Fall eines Apfels, einer Birne, einer Pflaume in das Gras. Oder das Rucken, Gurren und Flugelklatschen der Tauben auf dem Scheunendach.
Mein Lieblingsplatz ist die Pfeifenkrautlaube hinten im Gemusegarten, denn da kann sich mein Auge so recht an den vielen Blumen erfreuen. Grungestrichene Lattenbanke stehen um einen Baumstumpf herum, auf dem ein ausrangierter Muhlstein befestigt ist. Das ist der Tisch. Durch das dichte Gewirr der breiten Blatter dringen die feinen Sonnenstrahlen.
Man laßt sich nieder und in den vielen Pausen zwischen seiner Lekture blickt man vor sich hin in den Garten...
* * * * *
Da ist zuerst, wie ein hoher Zaun gegen den Obstgarten hin, die lange Reihe der Sonnenblumen. Ihre machtigen Blutenscheiben mit dem braunen Rund ihrer Korner, um das die gelben Blutenblatter flammen, hangen schwer an den dicken Stengeln nieder. -- Dieses prachtige Gelb leuchten zu sehen!... Drunter, uber ein Beet hin kriechen die Kurbisranken mit dem Blaugrun ihrer großen Blatter, zwischen denen die hellgoldgelben Blutenglocken hervorschimmern. Dann ruht der Blick auf den Gemusebeeten mit ihren Kohlstauden. Die eigentliche Pracht des Gartens aber entfaltet sich auf den Rabatten, die sich an den Buchsbaumeinfassungen der Kieswege hinziehen.
Hier gluht die dunkle Herrlichkeit der braunroten Georginen, der Rosen der Jahreszeit. Hier blinken die weißen und gelben: alle mit diesen zierlichen Trichtern ihrer Blutenblatter. Minutenlang konnen sie einen bannen, daß man schier weiter nichts denkt, nichts fuhlt, als diesen wunderbaren Farbeneindruck. Die letzten Falter taumeln druber hin. Auch ein prachtiger Schwalbenschwanz hat sich von den grunen Kalkhugeln uber die Hecke hier heruber verloren.
Und dann ragen da die hellvioletten Nachtviolen, und mit seidigem Glanz dammern die dunklen Staudchen der Heliotropen. Und die vielen Sterne der blauen, weißen, violetten und roten Astern; Geranien, weiße Kamillen, gelbe Studentenblumen, Strohblumen und die letzten Nelken. Sie duften nicht mehr: aber der ganze Gartenwinkel ist bunt wie ein Tuschkasten, und die liebe Sonne hat eine herzhafte Lust, all diese vielen Farben so recht licht und frohlich leuchten zu lassen.
* * * * *
Es uberkommt einen so eine freundliche Mudigkeit. Diese linde, lachelnde Herbstmudigkeit, mit der all das Sommerleben ringsum in den nahenden Winter hinuberschlummert, teilt sich einem mit. Und dies Gefuhl wertet so eigen heimisch und weise mit still erdammernden Gedanken das Leben. Das hoffende Erwachen des Fruhlings, wo das junge Leben mit strotzenden Zellen so dumm-frohlich sich dem nahenden Lichte zudehnt und sich vor Neugier und Ungeduld in seiner ersten tappischen Frische nicht zu lassen weiß. Und dann steht das uralte, zeugende, nahrende, reifende Rund auf der Mittagshohe des Jahres und die Zeit der Erfullung ist da. -- Sommergluck! -- Heißes, jubelndes Sommersonnengluck! -- Bluht, prangt, jauchzt in hundert und aberhundert heißen Farben! Duftet und jubelt! Und tausendfaltig uppige Reife! -- Aber Licht, zu viel Licht, zu viel heißes Gluck und Uberschwang des Lebens; an den grellen Tagen, in den warmen sternfunkelnden Nachten. Und in all dem Jubel stohnt leise der Schmerz allzudruckender Fulle und grollt und brullt sein sußes Leid aus in dunklen Gewittersturmen.
O, diese kostliche lachelnde Mudigkeit nun, die an Schlummer denkt und Ruhe; diese Betaubung in Erinnerungen all des treibenden, heißen, gluhenden Lebens, dessen letzte Farben blinken in diesem freundlich-heitern, mild-muden Glanz! --
* * * * *
Eine dieser dunklen Georginen liegt vor mir auf dem grauen Stein mitten zwischen bernsteingelbem Weinlaub.
Sie nimmt sich aus wie ein dunkelrubinrotes Kristallgebilde. Auf dem Grund ihrer Blutentrichter vertieft sich die etwas hellere Farbe ihrer Rander und Spitzen ins schwarzlich-dunkelrote, blauviolette hinein. -- Wie die Farbe eines mystisch-dunklen Auges, das einen so eigentumlich bannt mit einer Stille, von der man mit irgend einem heimlichen inneren Sinne weiß und ahnt, daß sie die unendliche Rastlosigkeit unmeßbarer Vibrationen bedeutet... Gebandigte Leidenschaft, gezahmte, selbstbewahrte, konzentrierte, kluge Freude. Aller Freude, aller Weisheit und alles Wissens von tiefstem Leid und hellster Lust trachtig und ihrer Einheit ein Symbol...
Ich erinnere mich plotzlich an ein Grabmal oben auf unserm Friedhof. Ein hochschlanker Stein in der Form eines oben abgeplatteten Obelisken, von dem in steifen feierlichen Falten ein goldumfranztes Gewand herniederhangt. An der einen Seite ist die Schlange herausgemeisselt, die kreisrunde Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Ich ahne mehr, als daß ich’s weiß und mir erklaren kann, wie ich gerade zu dieser Erinnerung komme. -- Und ich beginne mit diesem dunkel verstehenden Ohr auf all die unsagbaren Gewißheiten zu lauschen, von denen dieses Ahnen spricht und deren es trachtig ist, dieses Ahnen, das nicht mit abgemessenen Worten spricht und geformten Gedanken; dieses Ahnen, ein unerschopflicher Urborn all der verkundeten geoffenbarten, in Worte gefaßten Weisheiten von Urbeginn...
Die dunkle Georgine...
* * * * *
Die Heliotropen...
Mit den tiefsatten Farben ihrer krausrunden Blatter und ihren feinen Dolden, zwischen denen hier und da ein helleres Weißblau hervorblickt, wenden sie sich der Sonne zu. -- Ich habe mir zuhause ein solches Staudchen auf ein Stuck schwarzen Sammetes sticken lassen und mir diese Stickerei uber den Schreibtisch gehangt.
Die hohen Sonnenrosen wenden sich lauter und greller zum Licht, indessen diese violetten Dolden in ihrer bescheidenen Verborgenheit still eine suße Sehnsucht hauchen.
Eine Sehnsucht, fur die bald die feuchten Herbststurme brausen werden...
Eine Sehnsucht, die bald ihren Frieden finden wird unter dem blanken Winterschnee...
Die Heliotropen...
* * * * *
Aber diese unverwustlichen Geranien!...
Leuchten das ganze Jahr mit diesen grellfrohlichen Bauernfarben.
Letzt vergangenen Sonntag haben wir Erntefest gefeiert. Im Gasthaussaal gab’s naturlich Tanzvergnugen. Diese Bauerndirnen alle und Ackerburgermadchen in ihren grellen, hellfarbigen Kleidern. Klatschrosenrot und cyanenblau... Und oben auf der engen Gallerie siedelten, floteten und trompeteten die Musikanten, unten aber rauschte und jauchzte die junge Lust und stampfte, drehte sich, schleifte und wirbelte und wurde nicht mude.
Die Geranien...
* * * * *
Und die Astern! -- Die Herbststerne! --
Sie beginnen schon welk zu werden, und die weißen bekommen hellgelb-braune Spitzen an ihren vielen schmalen Blutenstrahlen.
Die kuhlen Nachte mit ihren bleichen Sternen und huschenden Mondlichtern, wenn der Wind uber die Hugel und die fahlen Stoppelfelder kommt, um das Haus weht und im Rauchfang singt! --
Das erste Frosteln dieser Nachte und Abende, wenn die ersten Bratapfel in die Gesprache bei der Lampe zischen und mit ihrem Duft das warme Zimmer erfullen.
Das Gekrissel der Astern mit ihren welkenden Farben in diesem muden, linden Sonnenlicht! --
Weißgraue Wolken treiben sich da druben am Himmel umher, schleichen und schieben sich dicht uber den fernen Rand der kahlen Felder hin, von denen der scharfe Rauch der ersten Kartoffelfeuer heruberweht. Bald werden sie sich zusammenschieben und ihr trubes gleichmaßiges Grau uber den ganzen Himmel ziehen, aus dem der unaufhorliche Regen den ganzen Tag uber herniedernaßt, wenn der letzte Apfel, die letzte Birne vorn in der Obstkammer liegt. Dann erloschen diese letzten freundlichen Farben in ein schmutziges Braun der Verwesung in der feuchten Einsamkeit hier draußen! Und bald glitzern die feinen Sternchen des ersten Reifes.
Die Astern...
* * * * *
Die Nachtviolen...
Leise schwanken ihre lichtvioletten Dolden und taumeln in diesem sanften Lichtrausch auf ihren schwanken Stengeln, an denen sich Blatt an Blatt fiedert.
Es ist Abend. Einer dieser schonen, hellen Mondabende, die wir jetzt haben, und in denen sich’s immer noch hier draußen aushalten laßt.
Alles ist still. Uber den Obstbaumen steht die Scheibe des zunehmenden Mondes, der nun bald voll sein wird. Alle Farben sind in seinem bleichen Lichte erblaßt. Nur das Schwarzbraun des Scheunendaches und das Schwarzgrun der Baume mit dem blassen stillen Lichtschimmer, der in Flachen draufliegt, sich kraus uber das Laub breitet.
Die Hunde klaffen, das Kauzchen ruft und der Nachtwachter tutet in sein Horn.
Die schlanken Stengel ragen ganz still, und auf ihnen geistern die Dolden und glimmen in einer blassen nebligen Farbe. In der tiefen Ruhe lauschen die alten Sagen und Kunkelmarchen mit blassen, irren Augen unterm Mond. -- Dann kreist die Geisterlaterne zwischen dem Bergland um den Galgenhugel, und die Nachtluft geht wie mit Stimmen.
Die Nachtviolen.
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Die gelben Studentennelken...
Richtig! Daß ich’s heut abend bei Leibe nicht versaume in den „goldenen Stern“ zu gehen! -- Des Herrn Burgermeister dicker Haussohn ist da, der im siebenten Semester _utriusque juris_ beflissen ist und nachstens seinen Referendar „deichseln“ wird. -- Ich werde mit an dem runden Stammtisch sitzen, im Kreis der Herren Honoratioren und mit dem Herrn _cand. jur._ „ubers Kreuz“ und „aufs Speziellste sine Loffelung“ trinken und mir von ihm ein bißchen was vorrenommieren lassen.
Ich sehe schon seine kleinen, etwas stumpfsinnigen, wasserblauen Augelchen, die in den runden Hangebacken verschwinden wollen, auf denen die drei prachtigen „Durchzieher“ wie drei Roslein gluhen. Und hochstwahrscheinlich werde ich schandlicher Weise mit ihm und seinem Papa einen soliden Dauerskat „kloppen“...
Das sind hier so meine kleinen kleinstadtischen Herbstabendfreuden mit der stillen Behabigkeit ihres Philistertums. Man raucht seine Cigarre und trinkt sich nach dem kostbaren Nichtsthun des lieben langen Tages dieser letzten Herbstsommerfrische „die notige Bettschwere an“... Nun! --
Die gelben Studentenblumen...
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Eins, zwei, drei... Eins, zwei, drei...
In der Scheune wird der Roggen ausgedroschen. Gegen den Hof hin sind die beiden Thorflugel weit geoffnet. Im staubwimmelnden Halblicht stehen in Hemdarmeln die drei Drescher und schwingen im Takt ihre Flegel. Auf den Speichern aber hantieren ihre Weiber, grellbunte Staubtucher um die Haare geknupft, und werfen ihnen die frischen Garben zu. Draußen vor dem Thor giebt’s ein emsiges Durcheinander von Huhnern, Enten, Tauben und Spatzen.
Am schonsten aber wird das alles erst, wenn der erste Schnee gefallen ist. Winter! --
Der schonste Cherub kommt. Mit weitweißen Weichen Schwingen Schimmert er durchs Dunkel; Kalt, starr und grausig Und -- suß wie der Wille Gottes, Heimatliederumraunt ...
Weltspiel.
Ich durchblatterte einen alten Jahrgang des „~Graphic~“, den mir der Aktuar geliehen und es fiel mir auf, daß kaum in einer anderen mir bekannten Zeitschrift so viel Haupt- und Staatsaktionen, Regierungsakte, Volker- und Sittenbeschreibungen, Kriegsberichte, Ereignisse zu Wasser und Land in Wort und Bild berichtet und geschildert sind, als in diesem „Graphic“.
Als ich den Band, nachdem ich mir seine Illustrationen besehen und dies und jenes gelesen, beiseite legte, befand ich mich in einer ganz eigenartigen Stimmung. Und ich fuhlte, wie in ihr sich eine Reihe sehr naheliegender, durch Anschauung und Lekture angeregter Gedankengange gleichsam bildlich verdichtete, gleichsam zu einer Vision oder vielmehr zu so etwas, was ich fast eine Vision nennen konnte... denn es war kein deutliches Bild, mit den ganz bestimmten plastischen Eigenschaften eines solchen, sondern mehr das Gefuhl eines eigentlich Undefinierbaren und Unbeschreiblichen, fur das sich dennoch aber ein bildliches Symbol etwa in einem unablassig fluktuierenden Kristallisationsprozeß finden ließe. --
Mir war, als wenn das alles ein hochst eigenartiges konzentrierendes Denken sei, das Alles Einzelne unwillkurlich immer zu einer Einheit fuhrt und in einem engen Zusammenhange mit dieser Einheit erkennt, so wie der religiose Mensch alles auf Gott zuruckfuhrt und in allem Gott erkennt und ihn etwa als ein fortwahrend und bestandig sich zugleich bildendes und losendes Allcentrum anerkennt, fuhlt und glaubt, ein Centrum in diesem fortwahrenden Sichbilden und zugleich Sichlosen ewig und unverganglich und mit diesen beiden parallelen Eigenschaften eine Einheit. -- |
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