Aphorismen zur Lebensweisheit., by Arthur
Schopenhauer
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Mit _ umschlossene
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Inhaltsverzeichnis hinzugefugt.
Schopenhauer
Aphorismen
zur Lebensweisheit
1913
Ernst Ohle in
Dusseldorf
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in
Leipzig
Inhalt
Einleitung Kapitel I.
Grundeinteilung. Kapitel II. Von dem, was einer ist. Kapitel III. Von
dem, was einer hat. Kapitel IV. Von dem, was einer vorstellt. Kapitel
V. Paranesen und Maximen. A. Allgemeine. B. Unser Verhalten gegen
uns selbst betreffend. C. Unser Verhalten gegen andere
betreffend. D. Unser Verhalten gegen den Weltlauf und das Schicksal
betreffend. Kapitel VI. Vom Unterschiede der
Lebensalter.
_Le bonheur n'est pas chose aisee: il est
tres difficile de le trouver en nous, et impossible de le trouver
ailleurs._
_*Chamfort.*_
Einleitung.
Ich
nehme den Begriff der Lebensweisheit hier ganzlich im immanenten Sinne,
namlich in dem der Kunst, das Leben moglichst angenehm und glucklich
durchzufuhren, die Anleitung zu welcher auch Eudamonologie genannt werden
konnte: sie ware demnach die Anweisung zu einem glucklichen Dasein. Dieses
nun wieder ließe sich allenfalls definieren als ein solches, welches, rein
objektiv betrachtet, oder vielmehr (da es hier auf ein subjektives Urteil
ankommt) bei kalter und reiflicher Uberlegung, dem Nichtsein entschieden
vorzuziehn ware. Aus diesem Begriffe desselben folgt, daß wir daran hingen,
seiner selbst wegen, nicht aber bloß aus Furcht vor dem Tode; und hieraus
wieder, daß wir es von endloser Dauer sehn mochten. Ob nun das menschliche
Leben dem Begriff eines solchen Daseins entspreche, oder auch nur
entsprechen konne, ist eine Frage, welche bekanntlich meine Philosophie
verneint; wahrend die Eudamonologie die Bejahung derselben voraussetzt.
Diese namlich beruht eben auf dem angeborenen Irrtum, dessen Ruge das
49. Kapitel im 2. Bande meines Hauptwerks eroffnet. Um eine solche
dennoch ausarbeiten zu konnen, habe ich daher ganzlich abgehn mussen von
dem hoheren, metaphysisch-ethischen Standpunkte, zu welchem
meine eigentliche Philosophie hinleitet. Folglich beruht die ganze hier
zu gebende Auseinandersetzung gewissermaßen auf einer
Akkommodation, sofern sie namlich auf dem gewohnlichen, empirischen
Standpunkte bleibt und dessen Irrtum festhalt. Demnach kann auch ihr Wert nur
ein bedingter sein, da selbst das Wort Eudamonologie nur ein
Euphemismus ist. -- Ferner macht auch dieselbe keinen Anspruch auf
Vollstandigkeit; teils weil das Thema unerschopflich ist; teils weil ich
sonst das von andern bereits Gesagte hatte wiederholen mussen.
Als in
ahnlicher Absicht, wie gegenwartige Aphorismen, abgefaßt, ist mir nur das
sehr lesenswerte Buch des *Cardanus* _de utilitate ex adversis capienda_
erinnerlich, durch welches man also das hier Gegebene vervollstandigen kann.
Zwar hat auch *Aristoteles* dem 5. Kapitel des 1. Buches seiner Rhetorik eine
kurze Eudamonologie eingeflochten: sie ist jedoch sehr nuchtern ausgefallen.
Benutzt habe ich diese Vorganger nicht; da Kompiliren nicht meine Sache ist;
und um so weniger, als durch dasselbe die Einheit der Ansicht verloren
geht, welche die Seele der Werke dieser Art ist. -- Im allgemeinen
haben freilich die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die
Toren, d. h. die unermeßliche Majoritat aller Zeiten, haben immer
dasselbe, namlich das Gegenteil getan: und so wird es denn auch ferner
bleiben. Darum sagt *Voltaire*: _nous laisserons ce monde-ci aussi sot et
aussi mechant que nous l'avons trouve en y
arrivant_.
Kapitel
I.
Grundeinteilung.
Aristoteles hat (_Eth. Nicom. I, 8_) die
Guter des menschlichen Lebens in drei Klassen geteilt, -- die außeren, die
der Seele und die des Leibes. Hievon nun nichts als die Dreizahl
beibehaltend, sage ich, daß was den Unterschied im Lose der Sterblichen
begrundet sich auf drei Grundbestimmungen zuruckfuhren laßt. Sie
sind:
1. Was einer *ist*: also die Personlichkeit, im weitesten
Sinne. Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schonheit,
Temperament, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben
begriffen.
2. Was einer *hat*: also Eigentum und Besitz in jeglichem
Sinne.
3. Was einer *vorstellt*: unter diesem Ausdruck wird
bekanntlich verstanden, was er in der Vorstellung anderer ist, also
eigentlich, wie er von ihnen *vorgestellt wird*. Es besteht demnach in
ihrer Meinung von ihm, und zerfallt in Ehre, Rang und Ruhm.
Die unter
der ersten Rubrik zu betrachtenden Unterschiede sind solche, welche die Natur
selbst zwischen Menschen gesetzt hat; woraus sich schon abnehmen laßt, daß
der Einfluß derselben auf ihr Gluck, oder Ungluck, viel wesentlicher und
durchgreifender sein werde, als was die bloß aus menschlichen Bestimmungen
hervorgehenden, unter den zwei folgenden Rubriken angegebenen
Verschiedenheiten herbeifuhren. *Zu den echten personlichen Vorzugen*, dem
großen Geiste oder großen Herzen, verhalten sich alle Vorzuge des Ranges, der
Geburt, selbst der koniglichen, des Reichtums u. dgl. wie die Theater-Konige
zu den wirklichen. Schon *Metrodorus*, der erste Schuler Epikurs, hat
ein Kapitel uberschrieben: =peri tou meizona einai ten par' hemas
aitian pros eudaimonian tes ek ton pragmaton=. (_Majorem esse causam
ad felicitatem eam, quae est ex nobis, ea, quae ex rebus oritur._ --
Vgl. _Clemens Alex. Strom. II, 21, p. 362_ der Wurzburger Ausgabe der
_opp. polem._) Und allerdings ist fur das Wohlsein des Menschen, ja, fur
die ganze Weise seines Daseins, die Hauptsache offenbar das, was in
ihm selbst besteht oder vergeht. Hier namlich liegt unmittelbar
sein inneres Behagen oder Unbehagen, als welches zunachst das
Resultat seines Empfindens, Wollens und Denkens ist; wahrend alles
außerhalb Gelegene doch nur mittelbar darauf Einfluß hat. Daher
affiziren dieselben außern Vorgange oder Verhaltnisse jeden ganz anders, und
bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer andern Welt. Denn nur
mit seinen eigenen Vorstellungen, Gefuhlen und Willensbewegungen hat er
es unmittelbar zu tun: die Außendinge haben nur, sofern sie
diese veranlassen, Einfluß auf ihn. Die Welt, in der jeder lebt,
hangt zunachst ab von seiner Auffassung derselben, richtet sich daher
nach der Verschiedenheit der Kopfe: dieser gemaß wird sie arm, schal
und flach, oder reich, interessant und bedeutungsvoll ausfallen.
Wahrend z. B. mancher den andern beneidet um die interessanten
Begebenheiten, die ihm in seinem Leben aufgestoßen sind, sollte er ihn
vielmehr um die Auffassungsgabe beneiden, welche jenen Begebenheiten
die Bedeutsamkeit verlieh, die sie in seiner Beschreibung haben:
denn dieselbe Begebenheit, welche in einem geistreichen Kopfe sich
so interessant darstellt, wurde, von einem flachen Alltagskopf
aufgefaßt, auch nur eine schale Szene aus der Alltagswelt sein. Im hochsten
Grade zeigt sich dies bei manchen Gedichten Goethes und Byrons,
denen offenbar reale Vorgange zum Grunde liegen: ein torichter Leser
ist imstande, dabei den Dichter um die allerliebste Begebenheit
zu beneiden, statt um die machtige Phantasie, welche aus einem
ziemlich alltaglichen Vorfall etwas so Großes und Schones zu machen fahig
war. Desgleichen sieht der Melancholikus eine Trauerspielszene, wo
der Sanguinikus nur einen interessanten Konflikt und der
Phlegmatikus etwas Unbedeutendes vor sich hat. Dies alles beruht darauf, daß
jede Wirklichkeit, d. h. jede erfullte Gegenwart, aus zwei Halften
besteht, dem Subjekt und dem Objekt, wiewohl in so notwendiger und
enger Verbindung wie Oxygen und Hydrogen im Wasser. Bei vollig
gleicher objektiver Halfte, aber verschiedener subjektiver, ist daher, so
gut wie im umgekehrten Fall, die gegenwartige Wirklichkeit eine
ganz andere: die schonste und beste objektive Halfte bei
stumpfer, schlechter subjektiver, gibt doch nur eine schlechte Wirklichkeit
und Gegenwart; gleich einer schonen Gegend in schlechtem Wetter, oder
im Reflex einer schlechten _Camera obscura_. Oder planer zu reden:
Jeder steckt in seinem Bewußtsein wie in seiner Haut, und lebt
unmittelbar nur in demselben: daher ist ihm von außen nicht sehr zu helfen.
Auf der Buhne spielt einer den Fursten, ein anderer den Rat, ein
Dritter den Diener oder den Soldaten, oder den General usf. Aber
diese Unterschiede sind bloß im Außern vorhanden, im Innern, als Kern
einer solchen Erscheinung, steckt bei allen dasselbe: ein armer
Komodiant, mit seiner Plage und Not. Im Leben ist es auch so. Die
Unterschiede des Ranges und Reichtums geben jedem seine Rolle zu spielen;
aber keineswegs entspricht dieser eine innere Verschiedenheit des
Glucks und Behagens, sondern auch hier steckt in jedem derselbe arme
Tropf, mit seiner Not und Plage, die wohl dem Stoffe nach bei jedem
eine andere ist, aber der Form, d. h. dem eigentlichen Wesen nach,
so ziemlich bei allen dieselbe; wenn auch mit Unterschieden des
Grades, die sich aber keineswegs nach Stand und Reichtum, d. h. nach der
Rolle richten. Weil namlich alles, was fur den Menschen da ist und
vorgeht, unmittelbar immer nur in seinem *Bewußtsein* da ist und fur
dieses vorgeht; so ist offenbar die Beschaffenheit des Bewußtseins
selbst zunachst das Wesentliche, und auf dieselbe kommt, in den
meisten Fallen, mehr an, als auf die Gestalten, die darin sich
darstellen. Alle Pracht und Genusse, abgespiegelt im dumpfen Bewußtsein
eines Tropfs, sind sehr arm gegen das Bewußtsein des *Cervantes*, als er
in einem unbequemen Gefangnisse den Don Quijote schrieb. -- Die
objektive Halfte der Gegenwart und Wirklichkeit steht in der Hand des
Schicksals und ist demnach veranderlich: die subjektive sind wir selbst;
daher sie im wesentlichen unveranderlich ist. Demgemaß tragt das Leben
jedes Menschen, trotz aller Abwechselung von außen, durchgangig
denselben Charakter und ist einer Reihe Variationen auf *ein* Thema
zu vergleichen. Aus seiner Individualitat kann keiner heraus. Und wie
das Tier unter allen Verhaltnissen, in die man es setzt, auf den
engen Kreis beschrankt bleibt, den die Natur seinem Wesen
unwiderruflich gezogen hat, weshalb z. B. unsere Bestrebungen, ein geliebtes
Tier zu beglucken, eben wegen jener Grenzen seines Wesens und
Bewußtseins, stets innerhalb enger Schranken sich halten mussen; -- so ist es
auch mit dem Menschen: durch seine Individualitat ist das Maß
seines moglichen Gluckes zum voraus bestimmt. Besonders haben die
Schranken seiner Geisteskrafte seine Fahigkeit fur erhohten Genuß ein
fur allemal festgestellt. Sind sie eng, so werden alle Bemuhungen
von außen, alles, was Menschen, alles, was das Gluck fur ihn tut,
nicht vermogen, ihn uber das Maß des gewohnlichen, halb
tierischen Menschenglucks und Behagens hinaus zu fuhren: auf
Sinnengenuß, trauliches und heiteres Familienleben, niedrige Geselligkeit
und vulgaren Zeitvertreib bleibt er angewiesen: sogar die Bildung
vermag im ganzen, zur Erweiterung jenes Kreises, nicht gar viel, wenn
gleich etwas. Denn die hochsten, die mannigfaltigsten und die
anhaltendsten Genusse sind die geistigen; wie sehr auch wir, in der Jugend,
uns daruber tauschen mogen; diese aber hangen hauptsachlich von
der geistigen Kraft ab. -- Hieraus also ist klar, wie sehr unser
Gluck abhangt von dem, was wir *sind*, von unserer Individualitat;
wahrend man meistens nur unser Schicksal, nur das, was wir *haben*, oder
was wir *vorstellen*, in Anschlag bringt. Das Schicksal aber kann
sich bessern: zudem wird man, bei innerm Reichtum, von ihm nicht
viel verlangen: hingegen ein Tropf bleibt ein Tropf, ein stumpfer Klotz
ein stumpfer Klotz, bis an sein Ende, und ware er im Paradiese und
von Huris umgeben. Deshalb sagt Goethe:
Volk und Knecht und
Uberwinder, Sie gestehn, zu jeder Zeit, Hochstes Gluck der
Erdenkinder Sei nur die Personlichkeit.
*W. O.
Divan.*
Daß fur unser Gluck und unsern Genuß das Subjektive
ungleich wesentlicher als das Objektive sei, bestatigt sich in allem: von
dem an, daß Hunger der beste Koch ist und der Greis die Gottin
des Junglings gleichgultig ansieht, bis hinauf zum Leben des Genies
und des Heiligen. Besonders uberwiegt die Gesundheit alle außern Guter
so sehr, daß wahrlich ein gesunder Bettler glucklicher ist als ein kranker
Konig. Ein aus vollkommener Gesundheit und glucklicher Organisation
hervorgehendes, ruhiges und heiteres Temperament, ein klarer, lebhafter,
eindringender und richtig fassender Verstand, ein gemaßigter, sanfter Wille
und demnach ein gutes Gewissen, dies sind Vorzuge, die kein Rang oder
Reichtum ersetzen kann. Denn was einer fur sich selbst ist, was ihn in die
Einsamkeit begleitet und was keiner ihm geben oder nehmen kann, ist offenbar
fur ihn wesentlicher als alles, was er besitzen, oder auch, was er in den
Augen anderer sein mag. Ein geistreicher Mensch hat, in ganzlicher
Einsamkeit, an seinen eigenen Gedanken und Phantasien vortreffliche
Unterhaltung, wahrend von einem Stumpfen die fortwahrende Abwechselung von
Gesellschaften, Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde
Langeweile nicht abzuwehren vermag. Ein guter, gemaßigter, sanfter Charakter
kann unter durftigen Umstanden zufrieden sein; wahrend ein
begehrlicher, neidischer oder boser es bei allem Reichtum nicht ist. Nun aber
gar dem, welcher bestandig den Genuß einer außerordentlichen,
geistig eminenten Individualitat hat, sind die meisten der
allgemein angestrebten Genusse ganz uberflussig, ja, nur storend und
lastig. Daher sagt Horaz von sich:
_Gemmas, marmor, ebur,
Thyrrhena sigilla, tabellas, Argentum, vestes Gaetulo murice
tinctas, Sunt qui non habeant, est qui non curat habere;_
und
Sokrates sagte, beim Anblick zum Verkauf ausgelegter Luxusartikel: ≫Wie
vieles gibt es doch, was ich nicht notig habe.≪ Fur unser Lebensgluck ist
demnach das, was wir *sind*, die Personlichkeit, durchaus das Erste und
Wesentlichste; -- schon weil sie bestandig und unter allen Umstanden wirksam
ist: zudem aber ist sie nicht, wie die Guter der zwei andern Rubriken, dem
Schicksal unterworfen, und kann uns nicht entrissen werden. Ihr Wert kann
insofern ein absoluter heißen, im Gegensatz des bloß relativen der beiden
andern. Hieraus nun folgt, daß dem Menschen von außen viel weniger
beizukommen ist, als man wohl meint. Bloß die allgewaltige Zeit ubt auch hier
ihr Recht: ihr unterliegen allmahlich die korperlichen und geistigen Vorzuge:
der moralische Charakter allein bleibt auch ihr unzuganglich. In
dieser Hinsicht hatten denn freilich die Guter der zwei letztern
Rubriken, als welche die Zeit unmittelbar nicht raubt, vor denen der
ersten einen Vorzug. Einen zweiten konnte man darin finden, daß sie, als
im Objektiven gelegen, ihrer Natur nach, erreichbar sind und
jedem wenigstens die Moglichkeit vorliegt, in ihren Besitz zu
gelangen; wahrend hingegen das Subjektive gar nicht in unsere Macht gegeben
ist, sondern _jure divino_ eingetreten, fur das ganze Leben
unveranderlich feststeht; so daß hier unerbittlich der Ausspruch
gilt:
Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne
stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort
gediehen Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein,
dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyllen, so
Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstuckelt Gepragte
Form, die lebend sich entwickelt.
*Goethe.*
Das Einzige, was
in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß wir die gegebene
Personlichkeit zum moglichsten Vorteile benutzen, demnach nur die ihr
entsprechenden Bestrebungen verfolgen und uns um die Art von Ausbildung
bemuhen, die ihr gerade angemessen ist, jede andere aber meiden, folglich den
Stand, die Beschaftigung, die Lebensweise wahlen, welche zu ihr
passen.
Ein herkulischer, mit ungewohnlicher Muskelkraft begabter Mensch,
der durch außere Verhaltnisse genotigt ist, einer sitzenden
Beschaftigung, einer kleinlichen, peinlichen Handarbeit obzuliegen, oder auch
Studien und Kopfarbeiten zu treiben, die ganz anderartige, bei
ihm zuruckstehende Krafte erfordern, folglich gerade die bei
ihm ausgezeichneten Krafte unbenutzt zu lassen, der wird sich
zeitlebens unglucklich fuhlen; noch mehr aber der, bei dem die
intellektuellen Krafte sehr uberwiegend sind, und der sie unentwickelt und
ungenutzt lassen muß, um ein gemeines Geschaft zu treiben, das ihrer
nicht bedarf, oder gar korperliche Arbeit, zu der seine Kraft nicht
recht ausreicht. Jedoch ist hier, zumal in der Jugend, die Klippe
der Prasumtion zu vermeiden, daß man sich nicht ein Ubermaß von
Kraften zuschreibe, welches man nicht hat.
Aus dem entschiedenen
Ubergewicht unsrer ersten Rubrik uber die beiden andern geht aber auch
hervor, daß es weiser ist, auf Erhaltung seiner Gesundheit und auf Ausbildung
seiner Fahigkeiten, als auf Erwerbung von Reichtum hinzuarbeiten; was jedoch
nicht dahin mißdeutet werden darf, daß man den Erwerb des Notigen und
Angemessenen vernachlassigen sollte. Aber eigentlicher Reichtum, d. h. großer
Uberfluß, vermag wenig zu unserm Gluck; daher viele Reiche sich unglucklich
fuhlen, weil sie ohne eigentliche Geistesbildung, ohne Kenntnisse und
deshalb ohne irgend ein objektives Interesse, welches sie zu
geistiger Beschaftigung befahigen konnte, sind. Denn was der Reichtum uber
die Befriedigung der wirklichen und naturlichen Bedurfnisse hinaus
noch leisten kann, ist von geringem Einfluß auf unser
eigentliches Wohlbehagen: vielmehr wird dieses gestort durch die vielen
und unvermeidlichen Sorgen, welche die Erhaltung eines großen
Besitzes herbeifuhrt. Dennoch sind die Menschen aber tausend Mal mehr
bemuht, sich Reichtum, als Geistesbildung zu erwerben; wahrend doch
ganz gewiß, was man *ist*, viel mehr zu unserm Glucke beitragt, als was
man *hat*. Gar manchen daher sehn wir, in rastloser Geschaftigkeit,
emsig wie die Ameise, vom Morgen bis zum Abend bemuht, den schon
vorhandenen Reichtum zu vermehren. Uber den engen Gesichtskreis des Bereichs
der Mittel hiezu hinaus kennt er nichts: sein Geist ist leer, daher
fur alles andere unempfanglich. Die hochsten Genusse, die geistigen,
sind ihm unzuganglich: durch die fluchtigen, sinnlichen, wenig Zeit,
aber viel Geld kostenden, die er zwischendurch sich erlaubt, sucht
er vergeblich jene anderen zu ersetzen. Am Ende seines Lebens hat er dann,
als Resultat desselben, wenn das Gluck gut war, wirklich einen recht großen
Haufen Geld vor sich, welchen noch zu vermehren, oder aber durchzubringen, er
jetzt seinen Erben uberlaßt. Ein solcher, wiewohl mit gar ernsthafter und
wichtiger Miene durchgefuhrter Lebenslauf ist daher ebenso toricht, wie
mancher andere, der geradezu die Schellenkappe zum Symbol hatte.
Also
was einer *an sich selber hat*, ist zu seinem Lebensglucke das Wesentlichste.
Bloß weil dieses, in der Regel, so gar wenig ist, fuhlen die meisten von
denen, welche uber den Kampf mit der Not hinaus sind, sich im Grunde ebenso
unglucklich, wie die, welche sich noch darin herumschlagen. Die Leere ihres
Innern, das Fade ihres Bewußtseins, die Armut ihres Geistes treibt sie zur
Gesellschaft, die nun aber aus eben solchen besteht; weil _similis simili
gaudet_. Da wird dann gemeinschaftlich Jagd gemacht auf Kurzweil und
Unterhaltung, die sie zunachst in sinnlichen Genussen, in Vergnugungen jeder
Art und endlich in Ausschweifungen suchen. Die Quelle der
heillosen Verschwendung, mittelst welcher so mancher, reich ins Leben
tretende Familiensohn, sein großes Erbteil, oft in unglaublich kurzer
Zeit, durchbringt, ist wirklich keine andere, als nur die Langeweile,
welche aus der eben geschilderten Armut und Leere des Geistes entspringt.
So ein Jungling war außerlich reich, aber innerlich arm in die
Welt geschickt und strebte nun vergeblich, durch den außern Reichtum
den innern zu ersetzen, indem er alles *von außen* empfangen wollte,
-- den Greisen analog, welche sich durch die Ausdunstung junger Madchen zu
starken suchen. Dadurch fuhrte denn am Ende die innere Armut auch noch die
außere herbei.
Die Wichtigkeit der beiden andern Rubriken der Guter des
menschlichen Lebens brauche ich nicht hervorzuheben. Denn der Wert des
Besitzes ist heutzutage so allgemein anerkannt, daß er keiner Empfehlung
bedarf. Sogar hat die dritte Rubrik, gegen die zweite, eine sehr
atherische Beschaffenheit; da sie bloß in der Meinung anderer besteht.
Jedoch nach Ehre, d. h. gutem Namen, hat jeder zu streben, nach Rang
schon nur die, welche dem Staate dienen, und nach Ruhm gar nur
außerst wenige. Indessen wird die Ehre als ein unschatzbares Gut
angesehen, und der Ruhm als das Kostlichste, was der Mensch erlangen kann,
das goldene Vlies der Auserwahlten: hingegen den Rang werden nur Toren
dem Besitze vorziehen. Die zweite und dritte Rubrik stehn ubrigens
in sogenannter Wechselwirkung; sofern das _habes, habeberis_ des Petronius
seine Richtigkeit hat, und, umgekehrt, die gunstige Meinung anderer, in allen
ihren Formen, oft zum Besitze verhilft.
Kapitel
II.
Von dem, was einer ist.
Daß dieses zu seinem Glucke viel
mehr beitragt, als was er *hat*, oder was er *vorstellt*, haben wir bereits
im allgemeinen erkannt. Immer kommt es darauf an, was einer sei und demnach
an sich selber habe: denn seine Individualitat begleitet ihn stets und
uberall, und von ihr ist alles tingirt, was er erlebt. In allem und bei allem
genießt er zunachst nur sich selbst: Dies gilt schon von den physischen; wie
viel mehr von den geistigen Genussen. Daher ist das englische _to
enjoy one's self_ ein sehr treffender Ausdruck, mit welchem man z. B.
sagt _he enjoys himself at Paris_, also nicht ≫er genießt Paris,≪
sondern ≫er genießt *sich* in Paris.≪ -- Ist nun aber die Individualitat
von schlechter Beschaffenheit, so sind alle Genusse wie kostliche Weine
in einem mit Galle tingirten Munde. Demnach kommt, im Guten wie
im Schlimmen, schwere Unglucksfalle beiseite gesetzt, weniger darauf
an, was einem im Leben begegnet und widerfahrt, als darauf, wie er
es empfindet, also auf die Art und den Grad seiner Empfanglichkeit
in jeder Hinsicht. Was einer in sich ist und an sich selber hat, kurz
die Personlichkeit und deren Wert, ist das alleinige Unmittelbare
zu seinem Gluck und Wohlsein. Alles andere ist mittelbar; daher
auch dessen Wirkung vereitelt werden kann, aber die der Personlichkeit
nie. Darum eben ist der auf personliche Vorzuge gerichtete Neid
der unversohnlichste, wie er auch der am sorgfaltigsten verhehlte
ist. Ferner ist allein die Beschaffenheit des Bewußtseins das Bleibende
und Beharrende, und die Individualitat wirkt fortdauernd, anhaltend,
mehr oder minder in jedem Augenblick: alles andere hingegen wirkt immer
nur zu Zeiten, gelegentlich, vorubergehend, und ist zudem auch noch
selbst dem Wechsel und Wandel unterworfen: daher sagt Aristoteles: =he
gar physis bebaia, ou ta chremata= (_nam natura perennis est, non
opes_). _Eth. Eud. VII, 2._ Hierauf beruht es, daß wir ein ganz und gar
von außen auf uns gekommenes Ungluck mit mehr Fassung ertragen, als
ein selbstverschuldetes: denn das Schicksal kann sich andern; aber
die eigene Beschaffenheit nimmer. Demnach also sind die subjektiven
Guter, wie ein edler Charakter, ein fahiger Kopf, ein
gluckliches Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener,
vollig gesunder Leib, also uberhaupt _mens sana in corpore sano_
(_Juvenal. Sat. X, 356_), zu unserm Glucke die ersten und wichtigsten;
weshalb wir auf die Beforderung und Erhaltung derselben viel mehr bedacht
sein sollten, als auf den Besitz außerer Guter und außerer Ehre.
Was
nun aber, von jenen allen, uns am unmittelbarsten begluckt, ist
die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt
sich augenblicklich selbst. Wer eben frohlich ist, hat allemal Ursach, es
zu sein: namlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie
diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; wahrend sie
selbst durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei jung, schon, reich und
geehrt; so fragt sich, wenn man sein Gluck beurteilen will, ob er dabei
heiter sei: ist er hingegen heiter, so ist es einerlei, ob er jung oder
alt, gerade oder bucklig, arm oder reich sei; er ist glucklich. In
fruher Jugend machte ich einmal ein altes Buch auf, und da stand: ≫wer
viel lacht, ist glucklich, und wer viel weint, ist unglucklich,≪ -- eine
sehr einfaltige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit
doch nicht habe vergessen konnen, so sehr sie auch der Superlativ
eines _truism's_ ist. Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wann
immer sie sich einstellt, Tur und Tor offnen: denn sie kommt nie zur
unrechten Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten,
indem wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht
Ursach haben, zufrieden zu sein; oder auch, weil wir furchten, in
unsern ernsthaften Uberlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestort zu
werden: allein, was wir durch diese bessern, ist sehr ungewiß; hingegen
ist Heiterkeit unmittelbarer Gewinn. Sie allein ist gleichsam die bare
Munze des Gluckes und nicht, wie alles andere, bloß der Bankzettel; weil
nur sie unmittelbar in der Gegenwart begluckt; weshalb sie das hochste
Gut ist fur Wesen, deren Wirklichkeit die Form einer unteilbaren
Gegenwart zwischen zwei unendlichen Zeiten hat. Demnach sollten wir die
Erwerbung und Beforderung dieses Gutes jedem anderen Trachten vorsetzen. Nun
ist gewiß, daß zur Heiterkeit nichts weniger beitragt als Reichtum,
und nichts mehr als Gesundheit: in den niedrigen, arbeitenden, zumal
das Land bestellenden Klassen sind die heiteren und zufriedenen
Gesichter; in den reichen und vornehmen die verdrießlichen zu Hause.
Folglich sollten wir vor allem bestrebt sein, uns den hohen Grad
vollkommener Gesundheit zu erhalten, als dessen Blute die Heiterkeit sich
einstellt. Die Mittel hiezu sind bekanntlich Vermeidung aller Exzesse
und Ausschweifungen, aller heftigen oder unangenehmen
Gemutsbewegungen, auch aller zu großen oder zu anhaltenden
Geistesanstrengung, taglich wenigstens zwei Stunden rascher Bewegung in
freier Luft, viel kaltes Baden und ahnliche diatetische Maßregeln. Ohne
tagliche gehorige Bewegung kann man nicht gesund bleiben; alle Lebensprozesse
erfordern, um gehorig vollzogen zu werden, Bewegung sowohl der Teile, darin
sie vorgehen, als des Ganzen. Daher sagt Aristoteles mit Recht: =ho
bios en te kinesei esti=. Das Leben besteht in der Bewegung und hat
sein Wesen in ihr. Im ganzen Innern des Organismus herrscht
unaufhorliche, rasche Bewegung: das Herz, in seiner komplizierten doppelten
Systole und Diastole, schlagt heftig und unermudlich; mit 28 seiner
Schlage hat es die gesamte Blutmasse durch den ganzen großen und
kleinen Kreislauf hindurch getrieben; die Lunge pumpt ohne Unterlaß wie
eine Dampfmaschine; die Gedarme winden sich stets im _motus
peristalticus_; alle Drusen saugen und sezernieren bestandig, selbst das
Gehirn hat eine doppelte Bewegung mit jedem Pulsschlag und jedem Atemzug.
Wenn nun hiebei, wie es bei der ganz und gar sitzenden Lebensweise
unzahliger Menschen der Fall ist, die außere Bewegung so gut wie ganz fehlt,
so entsteht ein schreiendes und verderbliches Mißverhaltnis zwischen
der außern Ruhe und dem innern Tumult. Denn sogar will die bestandige
innere Bewegung durch die außere etwas unterstutzt sein: jenes
Mißverhaltnis aber wird dem analog, wenn, infolge irgend eines Affekts, es in
unserm Innern kocht, wir aber nach außen nichts davon sehen lassen
durfen. Sogar die Baume bedurfen, um zu gedeihen, der Bewegung durch den
Wind. Dabei gilt eine Regel, die sich am kurzesten lateinisch ausdrucken
laßt: _omnis motus, quo celerior, eo magis motus_. -- Wie sehr unser Gluck
von der Heiterkeit der Stimmung und diese vom Gesundheitszustande
abhangt, lehrt die Vergleichung des Eindrucks, den die namlichen
außern Verhaltnisse, oder Vorfalle, am gesunden und rustigen Tage auf
uns machen, mit dem, welchen sie hervorbringen, wann Kranklichkeit
uns verdrießlich und angstlich gestimmt hat. Nicht was die Dinge
objektiv und wirklich sind, sondern was sie fur uns, in unsrer Auffassung
sind, macht uns glucklich oder unglucklich: Dies eben besagt
Epiktets =tarassei tous anthropous ou ta pragmata, alla ta peri ton
pragmaton dogmata= (_commovent homines non res, sed de rebus
opiniones_). Uberhaupt aber beruhen 9/10 unseres Gluckes allein auf der
Gesundheit. Mit ihr wird alles eine Quelle des Genusses: hingegen ist ohne
sie kein außeres Gut, welcher Art es auch sei, genießbar, und selbst die
ubrigen subjektiven Guter, die Eigenschaften des Geistes, Gemutes,
Temperaments, werden durch Kranklichkeit herabgestimmt und sehr verkummert.
Demnach geschieht es nicht ohne Grund, daß man vor allen Dingen sich
gegenseitig nach dem Gesundheitszustande befragt und einander sich
wohlzubefinden wunscht: denn wirklich ist dieses bei weitem die Hauptsache
zum menschlichen Gluck. Hieraus aber folgt, daß die großte aller
Torheiten ist, seine Gesundheit aufzuopfern, fur was es auch sei, fur Erwerb,
fur Beforderung, fur Gelehrsamkeit, fur Ruhm, geschweige fur Wollust
und fluchtige Genusse: vielmehr soll man ihr alles nachsetzen.
So viel
nun aber auch zu der, fur unser Gluck so wesentlichen Heiterkeit die
Gesundheit beitragt, so hangt jene doch nicht von dieser allein ab: denn auch
bei vollkommener Gesundheit kann ein melancholisches Temperament und eine
vorherrschend trube Stimmung bestehn. Der letzte Grund davon liegt ohne
Zweifel in der ursprunglichen und daher unabanderlichen Beschaffenheit
des Organismus, und zwar zumeist in dem mehr oder minder
normalen Verhaltnis der Sensibilitat zur Irritabilitat und
Reproduktionskraft. Abnormes Ubergewicht der Sensibilitat wird Ungleichheit
der Stimmung, periodische ubermaßige Heiterkeit und vorwaltende
Melancholie herbeifuhren. Weil nun auch das Genie durch ein Ubermaß
der Nervenkraft, also der Sensibilitat, bedingt ist, so hat
Aristoteles ganz richtig bemerkt, daß alle ausgezeichnete und uberlegene
Menschen melancholisch seien: =pantes hosoi perittoi gegonasin andres, e
kata philosophian, e politiken, e poiesin e technas,
phainontai melancholikoi ontes= (_Probl. 30, 1_). Ohne Zweifel ist dieses
die Stelle, welche Cicero im Auge hatte bei seinem oft
angefuhrten Bericht: _Aristoteles ait, omnes ingeniosos melancholicos
esse_ (_Tusc. I, 33_). Die hier in Betrachtung genommene, angeborene,
große Verschiedenheit der Grundstimmung uberhaupt aber hat
*Shakespeare* sehr artig geschildert:
_Nature has fram'd strange
fellows in her time: Some that will evermore peep through their
eyes, And laugh, like parrots, at a bag-piper; And others of such
vinegar aspect, That they'll not show their teeth in way of
smile, Though Nestor swear the jest be laughable[A]._
_Merch.
of Ven. Sc. I._
[A] Die Natur hat in ihren Tagen seltsame Kauze
hervorgebracht, einige, die stets aus ihren Auglein vergnugt hervorgucken,
und, wie Papageien uber einen Dudelsackspieler lachen, und andere von
so sauertopfischem Ansehn, daß sie ihre Zahne nicht durch ein
Lacheln bloß legen, wenn auch Nestor selbst schwure, der Spaß sei
lachenswert.
Eben dieser Unterschied ist es, den *Plato* durch die
Ausdrucke =dyskolos= und =eukolos= bezeichnet. Derselbe laßt sich
zuruckfuhren auf die bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene
Empfanglichkeit fur angenehme und unangenehme Eindrucke, infolge welcher der
eine noch lacht bei dem, was den andern fast zur Verzweiflung bringt: und
zwar pflegt die Empfanglichkeit fur angenehme Eindrucke desto schwacher
zu sein, je starker die fur unangenehme ist, und umgekehrt. Nach
gleicher Moglichkeit des glucklichen und des unglucklichen Ausgangs
einer Angelegenheit wird der =dyskolos= beim unglucklichen sich argern
oder gramen, beim glucklichen aber sich nicht freuen; der
=eukolos= hingegen wird uber den unglucklichen sich nicht argern, noch
gramen, aber uber den glucklichen sich freuen. Wenn dem =dyskolos= von
zehn Vorhaben neun gelingen, so freut er sich nicht uber diese,
sondern argert sich uber das eine mißlungene: der =eukolos= weiß,
im umgekehrten Fall, sich doch mit dem einen gelungenen zu trosten
und aufzuheitern. -- Wie nun aber nicht leicht ein Ubel ohne
alle Kompensation ist; so ergibt sich auch hier, daß die =dyskoloi=,
also die finstern und angstlichen Charaktere, im ganzen, zwar
mehr imaginare, dafur aber weniger reale Unfalle und Leiden zu
uberstehn haben werden als die heitern und sorglosen: denn wer alles
schwarz sieht, stets das Schlimmste befurchtet und demnach seine
Vorkehrungen trifft, wird sich nicht so oft verrechnet haben, als wer stets
den Dingen die heitere Farbe und Aussicht leiht. -- Wann jedoch
eine krankhafte Affektion des Nervensystems oder der
Verdauungswerkzeuge, der angeborenen =dyskolia= in die Hande arbeitet; dann
kann diese den hohen Grad erreichen, wo dauerndes Mißbehagen Lebensuberdruß
erzeugt und demnach Hang zum Selbstmord entsteht. Diesen vermogen
alsdann selbst die geringsten Unannehmlichkeiten zu veranlassen; ja, bei
den hochsten Graden des Ubels bedarf es derselben nicht einmal;
sondern bloß infolge des anhaltenden Mißbehagens wird der
Selbstmord beschlossen und alsdann mit so kuhler Uberlegung und
fester Entschlossenheit ausgefuhrt, daß der meistens schon unter
Aufsicht gestellte Kranke, stets darauf gerichtet, den ersten
unbewachten Augenblick benutzt, um, ohne Zaudern, Kampf und Zuruckbeben,
jenes ihm jetzt naturliche und willkommene Erleichterungsmittel zu
ergreifen. Ausfuhrliche Beschreibungen dieses Zustandes gibt _Esquirol,
des maladies mentales_. Allerdings aber kann, nach Umstanden, auch
der gesundeste und vielleicht selbst der heiterste Mensch sich
zum Selbstmord entschließen, wenn namlich die Große der Leiden, oder
des unausweichbar herannahenden Unglucks, die Schrecken des
Todes uberwaltigt. Der Unterschied liegt allein in der verschiedenen
Große des dazu erforderlichen Anlasses, als welche mit der =dyskolia=
in umgekehrtem Verhaltnis steht. Je großer diese ist, desto geringer
kann jener sein, ja am Ende auf Null herabsinken: je großer hingegen
die =eukolia= und die sie unterstutzende Gesundheit, desto mehr muß
im Anlaß liegen. Danach gibt es unzahlige Abstufungen der Falle,
zwischen den beiden Extremen des Selbstmordes, namlich dem des rein
aus krankhafter Steigerung der angebornen =dyskolia= entspringenden,
und dem des Gesunden und Heiteren, ganz aus objektiven Grunden.
Der
Gesundheit zum Teil verwandt ist die Schonheit. Wenngleich dieser subjektive
Vorzug nicht eigentlich unmittelbar zu unserm Glucke beitragt, sondern bloß
mittelbar, durch den Eindruck auf Andere; so ist er doch von großer
Wichtigkeit, auch im Manne. Schonheit ist ein offener Empfehlungsbrief, der
die Herzen zum voraus fur uns gewinnt: daher gilt besonders von ihr der
Homerische Vers:
=Outoi apoblet' esti theon erikydea
dora, Hossa ken autoi dosi, hekon d' ouk an tis heloito.=
Der
allgemeinste Uberblick zeigt uns, als die beiden Feinde des menschlichen
Gluckes, den Schmerz und die Langeweile. Dazu noch laßt sich bemerken, daß,
in dem Maße, als es uns gluckt, von einem derselben uns zu entfernen, wir dem
andern uns nahern, und umgekehrt; so daß unser Leben wirklich eine starkere
oder schwachere Oszillation zwischen ihnen darstellt. Dies entspringt daraus,
daß beide in einem doppelten Antagonismus zu einander stehn, einem außern
oder objektiven, und einem innern oder subjektiven. Außerlich
namlich gebiert Not und Entbehrung den Schmerz; hingegen Sicherheit
und Uberfluß die Langeweile. Demgemaß sehen wir die niedere Volksklasse
in einem bestandigen Kampf gegen die Not, also den Schmerz; die reiche und
vornehme Welt hingegen in einem anhaltenden oft wirklich verzweifelten Kampf
gegen die Langeweile. Der innere oder subjektive Antagonismus derselben aber
beruht darauf, daß, im einzelnen Menschen, die Empfanglichkeit fur das eine
in entgegengesetztem Verhaltnis zu der fur das andere steht, indem sie durch
das Maß seiner Geisteskrafte bestimmt wird. Namlich Stumpfheit des Geistes
ist durchgangig im Verein mit Stumpfheit der Empfindung und Mangel an
Reizbarkeit, welche Beschaffenheit fur Schmerzen und Betrubnisse jeder Art
und Große weniger empfanglich macht: aus eben dieser Geistesstumpfheit aber
geht andrerseits jene, auf zahllosen Gesichtern ausgepragte, wie auch
durch die bestandig rege Aufmerksamkeit auf alle, selbst die
kleinsten Vorgange in der Außenwelt sich verratende *innere Leerheit*
hervor, welche die wahre Quelle der Langeweile ist und stets nach
außerer Anregung lechzt, um Geist und Gemut durch irgend etwas in Bewegung
zu bringen. In der Wahl desselben ist sie daher nicht ekel; wie dies
die Erbarmlichkeit der Zeitvertreibe bezeugt, zu denen man
Menschen greifen sieht, imgleichen die Art ihrer Geselligkeit und
Konversation, nicht weniger die vielen Tursteher und Fenstergucker.
Hauptsachlich aus dieser inneren Leerheit entspringt die Sucht nach
Gesellschaft, Zerstreuung, Vergnugen und Luxus jeder Art, welche viele
zur Verschwendung und dann zum Elende fuhrt. Vor diesem Elende
bewahrt nichts so sicher, als der *innere* Reichtum, der Reichtum des
Geistes: denn dieser laßt, je mehr er sich der Eminenz nahert, der
Langenweile immer weniger Raum. Die unerschopfliche Regsamkeit der Gedanken
aber, ihr an den mannigfaltigen Erscheinungen der Innen- und Außenwelt
sich stets erneuerndes Spiel, die Kraft und der Trieb zu immer
andern Kombinationen derselben, setzen den eminenten Kopf, die
Augenblicke der Abspannung abgerechnet, ganz außer den Bereich der
Langenweile. Andrerseits nun aber hat die gesteigerte Intelligenz eine
erhohte Sensibilitat zur unmittelbaren Bedingung, und großere Heftigkeit
des Willens, also der Leidenschaftlichkeit, zur Wurzel: aus ihrem
Verein mit diesen erwachst nun eine viel großere Starke aller Affekte
und eine gesteigerte Empfindlichkeit gegen die geistigen und selbst
gegen korperliche Schmerzen, sogar großere Ungeduld bei allen
Hindernissen oder auch nur Storungen; welches alles zu erhohen die aus der
Starke der Phantasie entspringende Lebhaftigkeit samtlicher
Vorstellungen, also auch der widerwartigen, machtig beitragt. Das Gesagte
gilt nun verhaltnismaßig von allen den Zwischenstufen, welche den weiten
Raum vom stumpfesten Dummkopf bis zum großten Genie ausfullen.
Demzufolge steht jeder, wie objektiv, so auch subjektiv, der einen Quelle
der Leiden des menschlichen Lebens um so naher, als er von der
andern entfernter ist. Dem entsprechend wird sein naturlicher Hang
ihn anleiten, in dieser Hinsicht das Objektive dem Subjektiven
moglichst anzupassen, also gegen *die* Quelle der Leiden, fur welche er
die großere Empfanglichkeit hat, die großere Vorkehr zu treffen.
Der geistreiche Mensch wird vor allem nach
Schmerzlosigkeit, Ungehudeltsein, Ruhe und Muße streben, folglich ein
stilles, bescheidenes, aber moglichst unangefochtenes Leben suchen
und demgemaß, nach einiger Bekanntschaft mit den sogenannten Menschen,
die Zuruckgezogenheit und, bei großem Geiste, sogar die Einsamkeit
wahlen. Denn je mehr einer an sich selber hat, desto weniger bedarf er
von außen und desto weniger konnen auch die ubrigen ihm sein. Darum
fuhrt die Eminenz des Geistes zur Ungeselligkeit. Ja, wenn die Qualitat
der Gesellschaft sich durch die Quantitat ersetzen ließe; da ware es
der Muhe wert, sogar in der großen Welt zu leben: aber leider
geben hundert Narren, auf einem Haufen, noch keinen gescheuten Mann. --
Der vom andern Extrem wird, sobald die Not ihn zu Atem kommen
laßt, Kurzweil und Gesellschaft, um jeden Preis suchen und mit allem
leicht vorlieb nehmen, nichts so sehr fliehend wie sich selbst. Denn in
der Einsamkeit, als wo jeder auf sich selbst zuruckgewiesen ist, da
zeigt sich, was er *an sich selber* hat: da seufzt der Tropf im Purpur
unter der unabwalzbaren Last seiner armseligen Individualitat; wahrend
der Hochbegabte die odeste Umgebung mit seinen Gedanken bevolkert
und belebt. Daher ist sehr wahr, was *Seneka* sagt: _omnes
stultitia laborat fastidio sui_ (_ep. 9_); wie auch Jesus Sirachs
Ausspruch: ≫des Narren Leben ist arger denn der Tod.≪ Demgemaß wird man,
im ganzen, finden, daß jeder in dem Maße gesellig ist, wie er geistig
arm und uberhaupt gemein ist. Denn man hat in der Welt nicht viel
mehr, als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit. Die
geselligsten aller Menschen sollen die Neger sein, wie sie eben auch
intellektuell entschieden zuruckstehn: nach Berichten aus Nord-Amerika,
in Franzosischen Zeitungen (_le Commerce, Octbr. 19, 1837_), sperren
die Schwarzen, Freie und Sklaven durcheinander, in großer Anzahl, sich
in den engsten Raum zusammen, weil sie ihr schwarzes
Stumpfnasengesicht nicht oft genug wiederholt erblicken konnen.
Dem
entsprechend, daß das Gehirn als der Parasit oder Pensionar des ganzen
Organismus auftritt, ist die errungene *freie Muße* eines jeden, indem sie
ihm den freien Genuß seines Bewußtseins und seiner Individualitat gibt, die
Frucht und der Ertrag seines gesamten Daseins, welches im ubrigen nur Muhe
und Arbeit ist. Was nun aber wirft die freie Muße der meisten Menschen ab?
Langeweile, und Dumpfheit, so oft nicht sinnliche Genusse oder Albernheiten
da sind, sie auszufullen. Wie vollig wertlos sie ist, zeigt die Art, wie
sie solche zubringen: sie ist eben das _ozio lungo d'uomini ignoranti_
des Ariosto. Die gewohnlichen Leute sind bloß darauf bedacht, die
Zeit *zuzubringen*; wer irgend ein Talent hat, -- sie *zu benutzen*. --
Daß die beschrankten Kopfe der Langeweile so sehr ausgesetzt sind,
kommt daher, daß ihr Intellekt durchaus nichts weiter, als das *Medium
der Motive* fur ihren Willen ist. Sind nun vor der Hand keine
Motive aufzufassen da; so ruht der Wille und feiert der Intellekt;
dieser, weil er so wenig wie jener auf eigene Hand in Tatigkeit gerat:
das Resultat ist schreckliche Stagnation aller Krafte im ganzen
Menschen, -- Langeweile. Dieser zu begegnen, schiebt man nun dem Willen
kleine, bloß einstweilige und beliebig angenommene Motive vor, ihn zu
erregen und dadurch auch den Intellekt, der sie aufzufassen hat, in
Tatigkeit zu versetzen: diese verhalten sich demnach zu den wirklichen
und naturlichen Motiven wie Papiergeld zu Silber; da ihre Geltung
eine willkurlich angenommene ist. Solche Motive nun sind die *Spiele*,
mit Karten usw., welche zu besagtem Zweck erfunden worden sind. Fehlt
es daran, so hilft der beschrankte Mensch sich durch Klappern
oder Trommeln, mit allem, was er in die Hand kriegt. Auch die Zigarre
ist ihm ein willkommenes Surrogat der Gedanken. -- Daher also ist,
in allen Landern, die Hauptbeschaftigung aller Gesellschaft
das Kartenspiel geworden: es ist der Maßstab des Wertes derselben und
der deklarierte Bankrott an allen Gedanken. Weil sie namlich
keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und
suchen einander Gulden abzunehmen. O, klagliches Geschlecht! Und
indessen auch hier nicht ungerecht zu sein, will ich den Gedanken
nicht unterdrucken, daß man zur Entschuldigung des Kartenspiels
allenfalls anfuhren konnte, es sei eine Vorubung zum Welt- und
Geschaftsleben, sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabanderlich
gegebenen Umstande (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht
zu machen, zu welchem Zwecke man sich denn auch gewohnt, Contenance
zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene
aufsetzt. Aber eben deshalb hat andererseits das Kartenspiel
einen demoralisierenden Einfluß. Der Geist des Spiels namlich ist, daß
man auf alle Weise, durch jeden Streich und jeden Schlich, dem andern
das Seinige abgewinne. Aber die Gewohnheit, im Spiel so zu
verfahren, wurzelt ein, greift uber in das praktische Leben, und man
kommt allmalig dahin, in den Angelegenheiten des Mein und Dein es ebenso
zu machen und jeden Vorteil, den man eben in der Hand halt, fur erlaubt zu
halten, sobald man nur es gesetzlich darf. Belege hiezu gibt ja
das burgerliche Leben taglich. -- Weil also, wie gesagt, die *freie
Muße* die Blute, oder vielmehr die Frucht des Daseins eines jeden ist,
indem nur sie ihn in den Besitz seines eigenen Selbst einsetzt, so sind
die glucklich zu preisen, welche dann auch etwas Rechtes an sich
selber erhalten; wahrend den Allermeisten die freie Muße nichts abwirft,
als einen Kerl, mit dem nichts anzufangen ist, der sich
schrecklich langweilt, sich selber zur Last. Demnach freuen wir uns, ≫ihr
lieben Bruder, daß wir nicht sind der Magd Kinder, sondern der Freien.≪
(Gal. 4, 31.)
Ferner, wie das Land am glucklichsten ist, welches
weniger oder keiner Einfuhr bedarf; so auch der Mensch, der an seinem innern
Reichtum genug hat und zu seiner Unterhaltung wenig oder nichts von außen
notig hat; da dergleichen Zufuhr viel kostet, abhangig macht, Gefahr
bringt, Verdruß verursacht und am Ende doch nur ein schlechter Ersatz ist
fur die Erzeugnisse des eigenen Bodens. Denn von andern, von
außen uberhaupt, darf man in keiner Hinsicht viel erwarten. Was einer
dem andern sein kann, hat seine sehr engen Grenzen: am Ende bleibt
doch jeder allein, und da kommt es darauf an, *wer* jetzt allein sei.
Auch hier gilt demnach was Goethe (Dicht. u. Wahrh. Bd. 3, S. 474)
im allgemeinen ausgesprochen hat, daß, in allen Dingen, jeder zuletzt
auf sich selbst zuruckgewiesen wird, oder, wie *Oliver Goldsmith*
sagt:
_Still to ourselves in ev'ry place consign'd, Our own
felicity we make or find._
(_The Traveller v. 431 sq._)
Das
Beste und Meiste muß daher jeder sich selber sein und leisten. Je mehr nun
dieses ist, und je mehr demzufolge er die Quellen seiner Genusse in sich
selbst findet, desto glucklicher wird er sein. Mit großtem Rechte also sagt
Aristoteles: =he eudaimonia ton autarkon esti= (_Eth. Eud. VII, 2_), zu
deutsch: das Gluck gehort denen, die sich selber genugen. Denn alle außern
Quellen des Gluckes und Genusses sind, ihrer Natur nach, hochst unsicher,
mißlich, verganglich und dem Zufall unterworfen, durften daher, selbst unter
den gunstigsten Umstanden, leicht stocken; ja, dieses ist unvermeidlich,
sofern sie doch nicht stets zur Hand sein konnen. Im Alter nun gar versiegen
sie fast alle notwendig: denn da verlaßt uns Liebe, Scherz,
Reiselust, Pferdelust und Tauglichkeit fur die Gesellschaft: sogar die
Freunde und Verwandten entfuhrt uns der Tod. Da kommt es denn, mehr als
je, darauf an, was einer an sich selber habe. Denn dieses wird am
langsten Stich halten. Aber auch in jedem Alter ist und bleibt es die echte
und allein ausdauernde Quelle des Glucks. Ist doch in der Welt
uberall nicht viel zu holen: Not und Schmerz erfullen sie, und auf die,
welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile.
Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und
die Torheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die
Menschen sind erbarmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht der,
welcher viel an sich selber hat, der hellen, warmen lustigen
Weihnachtsstube, mitten im Schnee und Eise der Dezembernacht. Demnach ist
eine vorzugliche, eine reiche Individualitat und besonders sehr viel
Geist zu haben ohne Zweifel das glucklichste Los auf Erden; so
verschieden es etwan auch von dem glanzendesten ausgefallen sein mag. Daher
war es ein weiser Ausspruch der erst 19jahrigen Konigin Christine
von Schweden, uber den ihr noch bloß durch *einen* Aufsatz und
aus mundlichen Berichten bekannt gewordenen Kartesius, welcher damals
seit 20 Jahren in der tiefsten Einsamkeit, in Holland, lebte:
_Mr. Descartes est le plus heureux de tous les hommes, et sa condition
me semble digne d'envie._ (_Vie de Descartes par Baillet, Liv. VII,
ch. 10._) Nur mussen, wie es eben auch der Fall des Kartesius war,
die außeren Umstande es so weit begunstigen, daß man auch sich
selbst besitzen und seiner froh werden konne; weshalb schon Koheleth (7,
12) sagt: ≫Weisheit ist gut mit einem Erbgut, und hilft, daß einer
sich der Sonne freuen kann.≪ Wem nun, durch Gunst der Natur und
des Schicksals, dieses Los beschieden ist, der wird mit
angstlicher Sorgfalt daruber wachen, daß die innere Quelle seines Gluckes
ihm zuganglich bleibe; wozu Unabhangigkeit und Muße die Bedingungen
sind. Diese wird er daher gern durch Maßigkeit und Sparsamkeit erkaufen;
um so mehr, als er nicht, gleich den andern, auf die außern Quellen
der Genusse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Amter, Geld,
Gunst und Beifall der Welt, ihn nicht verleiten, sich selber aufzugeben,
um den niedrigen Absichten oder dem schlechten Geschmacke der
Menschen sich zu fugen. Vorkommenden Falls wird er es machen wie *Horaz* in
der Epistel an den Macenas (_Lib. I, ep. 7_). Es ist eine große
Torheit, um *nach außen* zu gewinnen, *nach innen* zu verlieren, d. h.
fur Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre, seine Ruhe, Muße
und Unabhangigkeit ganz oder großenteils hinzugeben. Dies hat
aber *Goethe* getan. Mich hat mein Genius mit Entschiedenheit nach der andern
Seite gezogen. |
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