2014년 11월 20일 목요일

Aphorismen zur Lebensweisheit 1

Aphorismen zur Lebensweisheit 1


Aphorismen zur Lebensweisheit., by Arthur Schopenhauer

Anmerkungen zur Transkription:

Mit _ umschlossene Texte sind im Original in einer anderen Schriftart
(Antiqua) als der Haupttext (Fraktur) gedruckt. Im Original sind auch
die Abkurzung "Dr." und romische Zahlen in Antiqua gedruckt; dies
wurde fur die elektronische Fassung nicht ubernommen.

Umschließungen mit * zeigen "gesperrt" gedruckten Text an.

Griechischer Text wurde transliteriert und ist mit = umschlossen.

Offensichtliche Interpunktionsfehler berichtigt. Im Ubrigen wurden
Inkonsistenzen in der Interpunktion und Schreibweise einzelner Worter
belassen. Eine Liste mit sonstigen Korrekturen finden Sie am Ende des
Buchs.

Zur besseren Ubersichtlichkeit wurde dem Buch ein Inhaltsverzeichnis
hinzugefugt.


  Schopenhauer

  Aphorismen zur
  Lebensweisheit

  1913

  Ernst Ohle in Dusseldorf

  Druck
  der Spamerschen
  Buchdruckerei in Leipzig




  Inhalt

  Einleitung
  Kapitel I. Grundeinteilung.
  Kapitel II. Von dem, was einer ist.
  Kapitel III. Von dem, was einer hat.
  Kapitel IV. Von dem, was einer vorstellt.
  Kapitel V. Paranesen und Maximen.
    A. Allgemeine.
    B. Unser Verhalten gegen uns selbst betreffend.
    C. Unser Verhalten gegen andere betreffend.
    D. Unser Verhalten gegen den Weltlauf und das Schicksal betreffend.
  Kapitel VI. Vom Unterschiede der Lebensalter.




    _Le bonheur n'est pas chose aisee: il est tres difficile de le
    trouver en nous, et impossible de le trouver ailleurs._

    _*Chamfort.*_




Einleitung.


Ich nehme den Begriff der Lebensweisheit hier ganzlich im immanenten
Sinne, namlich in dem der Kunst, das Leben moglichst angenehm und
glucklich durchzufuhren, die Anleitung zu welcher auch Eudamonologie
genannt werden konnte: sie ware demnach die Anweisung zu einem
glucklichen Dasein. Dieses nun wieder ließe sich allenfalls definieren
als ein solches, welches, rein objektiv betrachtet, oder vielmehr (da
es hier auf ein subjektives Urteil ankommt) bei kalter und reiflicher
Uberlegung, dem Nichtsein entschieden vorzuziehn ware. Aus diesem
Begriffe desselben folgt, daß wir daran hingen, seiner selbst wegen,
nicht aber bloß aus Furcht vor dem Tode; und hieraus wieder, daß wir
es von endloser Dauer sehn mochten. Ob nun das menschliche Leben dem
Begriff eines solchen Daseins entspreche, oder auch nur entsprechen
konne, ist eine Frage, welche bekanntlich meine Philosophie verneint;
wahrend die Eudamonologie die Bejahung derselben voraussetzt. Diese
namlich beruht eben auf dem angeborenen Irrtum, dessen Ruge das 49.
Kapitel im 2. Bande meines Hauptwerks eroffnet. Um eine solche dennoch
ausarbeiten zu konnen, habe ich daher ganzlich abgehn mussen von dem
hoheren, metaphysisch-ethischen Standpunkte, zu welchem meine
eigentliche Philosophie hinleitet. Folglich beruht die ganze hier zu
gebende Auseinandersetzung gewissermaßen auf einer Akkommodation,
sofern sie namlich auf dem gewohnlichen, empirischen Standpunkte
bleibt und dessen Irrtum festhalt. Demnach kann auch ihr Wert nur ein
bedingter sein, da selbst das Wort Eudamonologie nur ein Euphemismus
ist. -- Ferner macht auch dieselbe keinen Anspruch auf Vollstandigkeit;
teils weil das Thema unerschopflich ist; teils weil ich sonst das von
andern bereits Gesagte hatte wiederholen mussen.

Als in ahnlicher Absicht, wie gegenwartige Aphorismen, abgefaßt, ist
mir nur das sehr lesenswerte Buch des *Cardanus* _de utilitate ex
adversis capienda_ erinnerlich, durch welches man also das hier
Gegebene vervollstandigen kann. Zwar hat auch *Aristoteles* dem 5.
Kapitel des 1. Buches seiner Rhetorik eine kurze Eudamonologie
eingeflochten: sie ist jedoch sehr nuchtern ausgefallen. Benutzt habe
ich diese Vorganger nicht; da Kompiliren nicht meine Sache ist; und um
so weniger, als durch dasselbe die Einheit der Ansicht verloren geht,
welche die Seele der Werke dieser Art ist. -- Im allgemeinen haben
freilich die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren,
d. h. die unermeßliche Majoritat aller Zeiten, haben immer dasselbe,
namlich das Gegenteil getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.
Darum sagt *Voltaire*: _nous laisserons ce monde-ci aussi sot et aussi
mechant que nous l'avons trouve en y arrivant_.




Kapitel I.

Grundeinteilung.


Aristoteles hat (_Eth. Nicom. I, 8_) die Guter des menschlichen Lebens
in drei Klassen geteilt, -- die außeren, die der Seele und die des
Leibes. Hievon nun nichts als die Dreizahl beibehaltend, sage ich, daß
was den Unterschied im Lose der Sterblichen begrundet sich auf drei
Grundbestimmungen zuruckfuhren laßt. Sie sind:

1. Was einer *ist*: also die Personlichkeit, im weitesten Sinne.
Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schonheit, Temperament,
moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben begriffen.

2. Was einer *hat*: also Eigentum und Besitz in jeglichem Sinne.

3. Was einer *vorstellt*: unter diesem Ausdruck wird bekanntlich
verstanden, was er in der Vorstellung anderer ist, also eigentlich,
wie er von ihnen *vorgestellt wird*. Es besteht demnach in ihrer
Meinung von ihm, und zerfallt in Ehre, Rang und Ruhm.

Die unter der ersten Rubrik zu betrachtenden Unterschiede sind solche,
welche die Natur selbst zwischen Menschen gesetzt hat; woraus sich
schon abnehmen laßt, daß der Einfluß derselben auf ihr Gluck, oder
Ungluck, viel wesentlicher und durchgreifender sein werde, als was die
bloß aus menschlichen Bestimmungen hervorgehenden, unter den zwei
folgenden Rubriken angegebenen Verschiedenheiten herbeifuhren. *Zu den
echten personlichen Vorzugen*, dem großen Geiste oder großen Herzen,
verhalten sich alle Vorzuge des Ranges, der Geburt, selbst der
koniglichen, des Reichtums u. dgl. wie die Theater-Konige zu den
wirklichen. Schon *Metrodorus*, der erste Schuler Epikurs, hat ein
Kapitel uberschrieben: =peri tou meizona einai ten par' hemas aitian
pros eudaimonian tes ek ton pragmaton=. (_Majorem esse causam ad
felicitatem eam, quae est ex nobis, ea, quae ex rebus oritur._ -- Vgl.
_Clemens Alex. Strom. II, 21, p. 362_ der Wurzburger Ausgabe der _opp.
polem._) Und allerdings ist fur das Wohlsein des Menschen, ja, fur die
ganze Weise seines Daseins, die Hauptsache offenbar das, was in ihm
selbst besteht oder vergeht. Hier namlich liegt unmittelbar sein
inneres Behagen oder Unbehagen, als welches zunachst das Resultat
seines Empfindens, Wollens und Denkens ist; wahrend alles außerhalb
Gelegene doch nur mittelbar darauf Einfluß hat. Daher affiziren
dieselben außern Vorgange oder Verhaltnisse jeden ganz anders, und bei
gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer andern Welt. Denn nur mit
seinen eigenen Vorstellungen, Gefuhlen und Willensbewegungen hat er es
unmittelbar zu tun: die Außendinge haben nur, sofern sie diese
veranlassen, Einfluß auf ihn. Die Welt, in der jeder lebt, hangt
zunachst ab von seiner Auffassung derselben, richtet sich daher nach
der Verschiedenheit der Kopfe: dieser gemaß wird sie arm, schal und
flach, oder reich, interessant und bedeutungsvoll ausfallen. Wahrend
z. B. mancher den andern beneidet um die interessanten Begebenheiten,
die ihm in seinem Leben aufgestoßen sind, sollte er ihn vielmehr um
die Auffassungsgabe beneiden, welche jenen Begebenheiten die
Bedeutsamkeit verlieh, die sie in seiner Beschreibung haben: denn
dieselbe Begebenheit, welche in einem geistreichen Kopfe sich so
interessant darstellt, wurde, von einem flachen Alltagskopf aufgefaßt,
auch nur eine schale Szene aus der Alltagswelt sein. Im hochsten Grade
zeigt sich dies bei manchen Gedichten Goethes und Byrons, denen
offenbar reale Vorgange zum Grunde liegen: ein torichter Leser ist
imstande, dabei den Dichter um die allerliebste Begebenheit zu
beneiden, statt um die machtige Phantasie, welche aus einem ziemlich
alltaglichen Vorfall etwas so Großes und Schones zu machen fahig war.
Desgleichen sieht der Melancholikus eine Trauerspielszene, wo der
Sanguinikus nur einen interessanten Konflikt und der Phlegmatikus
etwas Unbedeutendes vor sich hat. Dies alles beruht darauf, daß jede
Wirklichkeit, d. h. jede erfullte Gegenwart, aus zwei Halften besteht,
dem Subjekt und dem Objekt, wiewohl in so notwendiger und enger
Verbindung wie Oxygen und Hydrogen im Wasser. Bei vollig gleicher
objektiver Halfte, aber verschiedener subjektiver, ist daher, so gut
wie im umgekehrten Fall, die gegenwartige Wirklichkeit eine ganz
andere: die schonste und beste objektive Halfte bei stumpfer,
schlechter subjektiver, gibt doch nur eine schlechte Wirklichkeit und
Gegenwart; gleich einer schonen Gegend in schlechtem Wetter, oder im
Reflex einer schlechten _Camera obscura_. Oder planer zu reden: Jeder
steckt in seinem Bewußtsein wie in seiner Haut, und lebt unmittelbar
nur in demselben: daher ist ihm von außen nicht sehr zu helfen. Auf
der Buhne spielt einer den Fursten, ein anderer den Rat, ein Dritter
den Diener oder den Soldaten, oder den General usf. Aber diese
Unterschiede sind bloß im Außern vorhanden, im Innern, als Kern einer
solchen Erscheinung, steckt bei allen dasselbe: ein armer Komodiant,
mit seiner Plage und Not. Im Leben ist es auch so. Die Unterschiede
des Ranges und Reichtums geben jedem seine Rolle zu spielen; aber
keineswegs entspricht dieser eine innere Verschiedenheit des Glucks
und Behagens, sondern auch hier steckt in jedem derselbe arme Tropf,
mit seiner Not und Plage, die wohl dem Stoffe nach bei jedem eine
andere ist, aber der Form, d. h. dem eigentlichen Wesen nach, so
ziemlich bei allen dieselbe; wenn auch mit Unterschieden des Grades,
die sich aber keineswegs nach Stand und Reichtum, d. h. nach der Rolle
richten. Weil namlich alles, was fur den Menschen da ist und vorgeht,
unmittelbar immer nur in seinem *Bewußtsein* da ist und fur dieses
vorgeht; so ist offenbar die Beschaffenheit des Bewußtseins selbst
zunachst das Wesentliche, und auf dieselbe kommt, in den meisten
Fallen, mehr an, als auf die Gestalten, die darin sich darstellen.
Alle Pracht und Genusse, abgespiegelt im dumpfen Bewußtsein eines
Tropfs, sind sehr arm gegen das Bewußtsein des *Cervantes*, als er in
einem unbequemen Gefangnisse den Don Quijote schrieb. -- Die objektive
Halfte der Gegenwart und Wirklichkeit steht in der Hand des Schicksals
und ist demnach veranderlich: die subjektive sind wir selbst; daher
sie im wesentlichen unveranderlich ist. Demgemaß tragt das Leben jedes
Menschen, trotz aller Abwechselung von außen, durchgangig denselben
Charakter und ist einer Reihe Variationen auf *ein* Thema zu
vergleichen. Aus seiner Individualitat kann keiner heraus. Und wie das
Tier unter allen Verhaltnissen, in die man es setzt, auf den engen
Kreis beschrankt bleibt, den die Natur seinem Wesen unwiderruflich
gezogen hat, weshalb z. B. unsere Bestrebungen, ein geliebtes Tier zu
beglucken, eben wegen jener Grenzen seines Wesens und Bewußtseins,
stets innerhalb enger Schranken sich halten mussen; -- so ist es auch
mit dem Menschen: durch seine Individualitat ist das Maß seines
moglichen Gluckes zum voraus bestimmt. Besonders haben die Schranken
seiner Geisteskrafte seine Fahigkeit fur erhohten Genuß ein fur
allemal festgestellt. Sind sie eng, so werden alle Bemuhungen von
außen, alles, was Menschen, alles, was das Gluck fur ihn tut, nicht
vermogen, ihn uber das Maß des gewohnlichen, halb tierischen
Menschenglucks und Behagens hinaus zu fuhren: auf Sinnengenuß,
trauliches und heiteres Familienleben, niedrige Geselligkeit und
vulgaren Zeitvertreib bleibt er angewiesen: sogar die Bildung vermag
im ganzen, zur Erweiterung jenes Kreises, nicht gar viel, wenn gleich
etwas. Denn die hochsten, die mannigfaltigsten und die anhaltendsten
Genusse sind die geistigen; wie sehr auch wir, in der Jugend, uns
daruber tauschen mogen; diese aber hangen hauptsachlich von der
geistigen Kraft ab. -- Hieraus also ist klar, wie sehr unser Gluck
abhangt von dem, was wir *sind*, von unserer Individualitat; wahrend
man meistens nur unser Schicksal, nur das, was wir *haben*, oder was
wir *vorstellen*, in Anschlag bringt. Das Schicksal aber kann sich
bessern: zudem wird man, bei innerm Reichtum, von ihm nicht viel
verlangen: hingegen ein Tropf bleibt ein Tropf, ein stumpfer Klotz ein
stumpfer Klotz, bis an sein Ende, und ware er im Paradiese und von
Huris umgeben. Deshalb sagt Goethe:

    Volk und Knecht und Uberwinder,
    Sie gestehn, zu jeder Zeit,
    Hochstes Gluck der Erdenkinder
    Sei nur die Personlichkeit.

    *W. O. Divan.*

Daß fur unser Gluck und unsern Genuß das Subjektive ungleich
wesentlicher als das Objektive sei, bestatigt sich in allem: von dem
an, daß Hunger der beste Koch ist und der Greis die Gottin des
Junglings gleichgultig ansieht, bis hinauf zum Leben des Genies und
des Heiligen. Besonders uberwiegt die Gesundheit alle außern Guter so
sehr, daß wahrlich ein gesunder Bettler glucklicher ist als ein
kranker Konig. Ein aus vollkommener Gesundheit und glucklicher
Organisation hervorgehendes, ruhiges und heiteres Temperament, ein
klarer, lebhafter, eindringender und richtig fassender Verstand, ein
gemaßigter, sanfter Wille und demnach ein gutes Gewissen, dies sind
Vorzuge, die kein Rang oder Reichtum ersetzen kann. Denn was einer fur
sich selbst ist, was ihn in die Einsamkeit begleitet und was keiner
ihm geben oder nehmen kann, ist offenbar fur ihn wesentlicher als
alles, was er besitzen, oder auch, was er in den Augen anderer sein
mag. Ein geistreicher Mensch hat, in ganzlicher Einsamkeit, an seinen
eigenen Gedanken und Phantasien vortreffliche Unterhaltung, wahrend
von einem Stumpfen die fortwahrende Abwechselung von Gesellschaften,
Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde Langeweile
nicht abzuwehren vermag. Ein guter, gemaßigter, sanfter Charakter kann
unter durftigen Umstanden zufrieden sein; wahrend ein begehrlicher,
neidischer oder boser es bei allem Reichtum nicht ist. Nun aber gar
dem, welcher bestandig den Genuß einer außerordentlichen, geistig
eminenten Individualitat hat, sind die meisten der allgemein
angestrebten Genusse ganz uberflussig, ja, nur storend und lastig.
Daher sagt Horaz von sich:

    _Gemmas, marmor, ebur, Thyrrhena sigilla, tabellas,
    Argentum, vestes Gaetulo murice tinctas,
    Sunt qui non habeant, est qui non curat habere;_

und Sokrates sagte, beim Anblick zum Verkauf ausgelegter Luxusartikel:
≫Wie vieles gibt es doch, was ich nicht notig habe.≪ Fur unser
Lebensgluck ist demnach das, was wir *sind*, die Personlichkeit,
durchaus das Erste und Wesentlichste; -- schon weil sie bestandig und
unter allen Umstanden wirksam ist: zudem aber ist sie nicht, wie die
Guter der zwei andern Rubriken, dem Schicksal unterworfen, und kann
uns nicht entrissen werden. Ihr Wert kann insofern ein absoluter
heißen, im Gegensatz des bloß relativen der beiden andern. Hieraus nun
folgt, daß dem Menschen von außen viel weniger beizukommen ist, als
man wohl meint. Bloß die allgewaltige Zeit ubt auch hier ihr Recht:
ihr unterliegen allmahlich die korperlichen und geistigen Vorzuge: der
moralische Charakter allein bleibt auch ihr unzuganglich. In dieser
Hinsicht hatten denn freilich die Guter der zwei letztern Rubriken,
als welche die Zeit unmittelbar nicht raubt, vor denen der ersten
einen Vorzug. Einen zweiten konnte man darin finden, daß sie, als im
Objektiven gelegen, ihrer Natur nach, erreichbar sind und jedem
wenigstens die Moglichkeit vorliegt, in ihren Besitz zu gelangen;
wahrend hingegen das Subjektive gar nicht in unsere Macht gegeben ist,
sondern _jure divino_ eingetreten, fur das ganze Leben unveranderlich
feststeht; so daß hier unerbittlich der Ausspruch gilt:

    Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
    Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
    Bist alsobald und fort und fort gediehen
    Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
    So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
    So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
    Und keine Zeit und keine Macht zerstuckelt
    Gepragte Form, die lebend sich entwickelt.

    *Goethe.*

Das Einzige, was in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß
wir die gegebene Personlichkeit zum moglichsten Vorteile benutzen,
demnach nur die ihr entsprechenden Bestrebungen verfolgen und uns um
die Art von Ausbildung bemuhen, die ihr gerade angemessen ist, jede
andere aber meiden, folglich den Stand, die Beschaftigung, die
Lebensweise wahlen, welche zu ihr passen.

Ein herkulischer, mit ungewohnlicher Muskelkraft begabter Mensch, der
durch außere Verhaltnisse genotigt ist, einer sitzenden Beschaftigung,
einer kleinlichen, peinlichen Handarbeit obzuliegen, oder auch Studien
und Kopfarbeiten zu treiben, die ganz anderartige, bei ihm
zuruckstehende Krafte erfordern, folglich gerade die bei ihm
ausgezeichneten Krafte unbenutzt zu lassen, der wird sich zeitlebens
unglucklich fuhlen; noch mehr aber der, bei dem die intellektuellen
Krafte sehr uberwiegend sind, und der sie unentwickelt und ungenutzt
lassen muß, um ein gemeines Geschaft zu treiben, das ihrer nicht
bedarf, oder gar korperliche Arbeit, zu der seine Kraft nicht recht
ausreicht. Jedoch ist hier, zumal in der Jugend, die Klippe der
Prasumtion zu vermeiden, daß man sich nicht ein Ubermaß von Kraften
zuschreibe, welches man nicht hat.

Aus dem entschiedenen Ubergewicht unsrer ersten Rubrik uber die beiden
andern geht aber auch hervor, daß es weiser ist, auf Erhaltung seiner
Gesundheit und auf Ausbildung seiner Fahigkeiten, als auf Erwerbung
von Reichtum hinzuarbeiten; was jedoch nicht dahin mißdeutet werden
darf, daß man den Erwerb des Notigen und Angemessenen vernachlassigen
sollte. Aber eigentlicher Reichtum, d. h. großer Uberfluß, vermag
wenig zu unserm Gluck; daher viele Reiche sich unglucklich fuhlen,
weil sie ohne eigentliche Geistesbildung, ohne Kenntnisse und deshalb
ohne irgend ein objektives Interesse, welches sie zu geistiger
Beschaftigung befahigen konnte, sind. Denn was der Reichtum uber die
Befriedigung der wirklichen und naturlichen Bedurfnisse hinaus noch
leisten kann, ist von geringem Einfluß auf unser eigentliches
Wohlbehagen: vielmehr wird dieses gestort durch die vielen und
unvermeidlichen Sorgen, welche die Erhaltung eines großen Besitzes
herbeifuhrt. Dennoch sind die Menschen aber tausend Mal mehr bemuht,
sich Reichtum, als Geistesbildung zu erwerben; wahrend doch ganz
gewiß, was man *ist*, viel mehr zu unserm Glucke beitragt, als was man
*hat*. Gar manchen daher sehn wir, in rastloser Geschaftigkeit, emsig
wie die Ameise, vom Morgen bis zum Abend bemuht, den schon vorhandenen
Reichtum zu vermehren. Uber den engen Gesichtskreis des Bereichs der
Mittel hiezu hinaus kennt er nichts: sein Geist ist leer, daher fur
alles andere unempfanglich. Die hochsten Genusse, die geistigen, sind
ihm unzuganglich: durch die fluchtigen, sinnlichen, wenig Zeit, aber
viel Geld kostenden, die er zwischendurch sich erlaubt, sucht er
vergeblich jene anderen zu ersetzen. Am Ende seines Lebens hat er
dann, als Resultat desselben, wenn das Gluck gut war, wirklich einen
recht großen Haufen Geld vor sich, welchen noch zu vermehren, oder
aber durchzubringen, er jetzt seinen Erben uberlaßt. Ein solcher,
wiewohl mit gar ernsthafter und wichtiger Miene durchgefuhrter
Lebenslauf ist daher ebenso toricht, wie mancher andere, der geradezu
die Schellenkappe zum Symbol hatte.

Also was einer *an sich selber hat*, ist zu seinem Lebensglucke das
Wesentlichste. Bloß weil dieses, in der Regel, so gar wenig ist,
fuhlen die meisten von denen, welche uber den Kampf mit der Not hinaus
sind, sich im Grunde ebenso unglucklich, wie die, welche sich noch
darin herumschlagen. Die Leere ihres Innern, das Fade ihres
Bewußtseins, die Armut ihres Geistes treibt sie zur Gesellschaft, die
nun aber aus eben solchen besteht; weil _similis simili gaudet_. Da
wird dann gemeinschaftlich Jagd gemacht auf Kurzweil und Unterhaltung,
die sie zunachst in sinnlichen Genussen, in Vergnugungen jeder Art und
endlich in Ausschweifungen suchen. Die Quelle der heillosen
Verschwendung, mittelst welcher so mancher, reich ins Leben tretende
Familiensohn, sein großes Erbteil, oft in unglaublich kurzer Zeit,
durchbringt, ist wirklich keine andere, als nur die Langeweile, welche
aus der eben geschilderten Armut und Leere des Geistes entspringt. So
ein Jungling war außerlich reich, aber innerlich arm in die Welt
geschickt und strebte nun vergeblich, durch den außern Reichtum den
innern zu ersetzen, indem er alles *von außen* empfangen wollte, --
den Greisen analog, welche sich durch die Ausdunstung junger Madchen
zu starken suchen. Dadurch fuhrte denn am Ende die innere Armut auch
noch die außere herbei.

Die Wichtigkeit der beiden andern Rubriken der Guter des menschlichen
Lebens brauche ich nicht hervorzuheben. Denn der Wert des Besitzes ist
heutzutage so allgemein anerkannt, daß er keiner Empfehlung bedarf.
Sogar hat die dritte Rubrik, gegen die zweite, eine sehr atherische
Beschaffenheit; da sie bloß in der Meinung anderer besteht. Jedoch
nach Ehre, d. h. gutem Namen, hat jeder zu streben, nach Rang schon
nur die, welche dem Staate dienen, und nach Ruhm gar nur außerst
wenige. Indessen wird die Ehre als ein unschatzbares Gut angesehen,
und der Ruhm als das Kostlichste, was der Mensch erlangen kann, das
goldene Vlies der Auserwahlten: hingegen den Rang werden nur Toren dem
Besitze vorziehen. Die zweite und dritte Rubrik stehn ubrigens in
sogenannter Wechselwirkung; sofern das _habes, habeberis_ des
Petronius seine Richtigkeit hat, und, umgekehrt, die gunstige Meinung
anderer, in allen ihren Formen, oft zum Besitze verhilft.




Kapitel II.

Von dem, was einer ist.


Daß dieses zu seinem Glucke viel mehr beitragt, als was er *hat*, oder
was er *vorstellt*, haben wir bereits im allgemeinen erkannt. Immer
kommt es darauf an, was einer sei und demnach an sich selber habe:
denn seine Individualitat begleitet ihn stets und uberall, und von ihr
ist alles tingirt, was er erlebt. In allem und bei allem genießt er
zunachst nur sich selbst: Dies gilt schon von den physischen; wie viel
mehr von den geistigen Genussen. Daher ist das englische _to enjoy
one's self_ ein sehr treffender Ausdruck, mit welchem man z. B. sagt
_he enjoys himself at Paris_, also nicht ≫er genießt Paris,≪ sondern
≫er genießt *sich* in Paris.≪ -- Ist nun aber die Individualitat von
schlechter Beschaffenheit, so sind alle Genusse wie kostliche Weine in
einem mit Galle tingirten Munde. Demnach kommt, im Guten wie im
Schlimmen, schwere Unglucksfalle beiseite gesetzt, weniger darauf an,
was einem im Leben begegnet und widerfahrt, als darauf, wie er es
empfindet, also auf die Art und den Grad seiner Empfanglichkeit in
jeder Hinsicht. Was einer in sich ist und an sich selber hat, kurz die
Personlichkeit und deren Wert, ist das alleinige Unmittelbare zu
seinem Gluck und Wohlsein. Alles andere ist mittelbar; daher auch
dessen Wirkung vereitelt werden kann, aber die der Personlichkeit nie.
Darum eben ist der auf personliche Vorzuge gerichtete Neid der
unversohnlichste, wie er auch der am sorgfaltigsten verhehlte ist.
Ferner ist allein die Beschaffenheit des Bewußtseins das Bleibende und
Beharrende, und die Individualitat wirkt fortdauernd, anhaltend, mehr
oder minder in jedem Augenblick: alles andere hingegen wirkt immer nur
zu Zeiten, gelegentlich, vorubergehend, und ist zudem auch noch selbst
dem Wechsel und Wandel unterworfen: daher sagt Aristoteles: =he gar
physis bebaia, ou ta chremata= (_nam natura perennis est, non opes_).
_Eth. Eud. VII, 2._ Hierauf beruht es, daß wir ein ganz und gar von
außen auf uns gekommenes Ungluck mit mehr Fassung ertragen, als ein
selbstverschuldetes: denn das Schicksal kann sich andern; aber die
eigene Beschaffenheit nimmer. Demnach also sind die subjektiven Guter,
wie ein edler Charakter, ein fahiger Kopf, ein gluckliches
Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener, vollig
gesunder Leib, also uberhaupt _mens sana in corpore sano_ (_Juvenal.
Sat. X, 356_), zu unserm Glucke die ersten und wichtigsten; weshalb
wir auf die Beforderung und Erhaltung derselben viel mehr bedacht sein
sollten, als auf den Besitz außerer Guter und außerer Ehre.

Was nun aber, von jenen allen, uns am unmittelbarsten begluckt, ist die
Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich
augenblicklich selbst. Wer eben frohlich ist, hat allemal Ursach, es zu
sein: namlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie diese
Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; wahrend sie selbst
durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei jung, schon, reich und geehrt;
so fragt sich, wenn man sein Gluck beurteilen will, ob er dabei heiter
sei: ist er hingegen heiter, so ist es einerlei, ob er jung oder alt,
gerade oder bucklig, arm oder reich sei; er ist glucklich. In fruher
Jugend machte ich einmal ein altes Buch auf, und da stand: ≫wer viel
lacht, ist glucklich, und wer viel weint, ist unglucklich,≪ -- eine sehr
einfaltige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit doch
nicht habe vergessen konnen, so sehr sie auch der Superlativ eines
_truism's_ ist. Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wann immer
sie sich einstellt, Tur und Tor offnen: denn sie kommt nie zur unrechten
Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten, indem
wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht Ursach
haben, zufrieden zu sein; oder auch, weil wir furchten, in unsern
ernsthaften Uberlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestort zu werden:
allein, was wir durch diese bessern, ist sehr ungewiß; hingegen ist
Heiterkeit unmittelbarer Gewinn. Sie allein ist gleichsam die bare Munze
des Gluckes und nicht, wie alles andere, bloß der Bankzettel; weil nur
sie unmittelbar in der Gegenwart begluckt; weshalb sie das hochste Gut
ist fur Wesen, deren Wirklichkeit die Form einer unteilbaren Gegenwart
zwischen zwei unendlichen Zeiten hat. Demnach sollten wir die Erwerbung
und Beforderung dieses Gutes jedem anderen Trachten vorsetzen. Nun ist
gewiß, daß zur Heiterkeit nichts weniger beitragt als Reichtum, und
nichts mehr als Gesundheit: in den niedrigen, arbeitenden, zumal das
Land bestellenden Klassen sind die heiteren und zufriedenen Gesichter;
in den reichen und vornehmen die verdrießlichen zu Hause. Folglich
sollten wir vor allem bestrebt sein, uns den hohen Grad vollkommener
Gesundheit zu erhalten, als dessen Blute die Heiterkeit sich einstellt.
Die Mittel hiezu sind bekanntlich Vermeidung aller Exzesse und
Ausschweifungen, aller heftigen oder unangenehmen Gemutsbewegungen,
auch aller zu großen oder zu anhaltenden Geistesanstrengung, taglich
wenigstens zwei Stunden rascher Bewegung in freier Luft, viel kaltes
Baden und ahnliche diatetische Maßregeln. Ohne tagliche gehorige
Bewegung kann man nicht gesund bleiben; alle Lebensprozesse erfordern,
um gehorig vollzogen zu werden, Bewegung sowohl der Teile, darin sie
vorgehen, als des Ganzen. Daher sagt Aristoteles mit Recht: =ho bios
en te kinesei esti=. Das Leben besteht in der Bewegung und hat sein
Wesen in ihr. Im ganzen Innern des Organismus herrscht unaufhorliche,
rasche Bewegung: das Herz, in seiner komplizierten doppelten Systole
und Diastole, schlagt heftig und unermudlich; mit 28 seiner Schlage
hat es die gesamte Blutmasse durch den ganzen großen und kleinen
Kreislauf hindurch getrieben; die Lunge pumpt ohne Unterlaß wie eine
Dampfmaschine; die Gedarme winden sich stets im _motus peristalticus_;
alle Drusen saugen und sezernieren bestandig, selbst das Gehirn hat
eine doppelte Bewegung mit jedem Pulsschlag und jedem Atemzug. Wenn
nun hiebei, wie es bei der ganz und gar sitzenden Lebensweise unzahliger
Menschen der Fall ist, die außere Bewegung so gut wie ganz fehlt, so
entsteht ein schreiendes und verderbliches Mißverhaltnis zwischen der
außern Ruhe und dem innern Tumult. Denn sogar will die bestandige innere
Bewegung durch die außere etwas unterstutzt sein: jenes Mißverhaltnis
aber wird dem analog, wenn, infolge irgend eines Affekts, es in unserm
Innern kocht, wir aber nach außen nichts davon sehen lassen durfen.
Sogar die Baume bedurfen, um zu gedeihen, der Bewegung durch den Wind.
Dabei gilt eine Regel, die sich am kurzesten lateinisch ausdrucken laßt:
_omnis motus, quo celerior, eo magis motus_. -- Wie sehr unser Gluck von
der Heiterkeit der Stimmung und diese vom Gesundheitszustande abhangt,
lehrt die Vergleichung des Eindrucks, den die namlichen außern
Verhaltnisse, oder Vorfalle, am gesunden und rustigen Tage auf uns
machen, mit dem, welchen sie hervorbringen, wann Kranklichkeit uns
verdrießlich und angstlich gestimmt hat. Nicht was die Dinge objektiv
und wirklich sind, sondern was sie fur uns, in unsrer Auffassung sind,
macht uns glucklich oder unglucklich: Dies eben besagt Epiktets
=tarassei tous anthropous ou ta pragmata, alla ta peri ton pragmaton
dogmata= (_commovent homines non res, sed de rebus opiniones_).
Uberhaupt aber beruhen 9/10 unseres Gluckes allein auf der Gesundheit.
Mit ihr wird alles eine Quelle des Genusses: hingegen ist ohne sie kein
außeres Gut, welcher Art es auch sei, genießbar, und selbst die ubrigen
subjektiven Guter, die Eigenschaften des Geistes, Gemutes, Temperaments,
werden durch Kranklichkeit herabgestimmt und sehr verkummert. Demnach
geschieht es nicht ohne Grund, daß man vor allen Dingen sich gegenseitig
nach dem Gesundheitszustande befragt und einander sich wohlzubefinden
wunscht: denn wirklich ist dieses bei weitem die Hauptsache zum
menschlichen Gluck. Hieraus aber folgt, daß die großte aller Torheiten
ist, seine Gesundheit aufzuopfern, fur was es auch sei, fur Erwerb, fur
Beforderung, fur Gelehrsamkeit, fur Ruhm, geschweige fur Wollust und
fluchtige Genusse: vielmehr soll man ihr alles nachsetzen.

So viel nun aber auch zu der, fur unser Gluck so wesentlichen
Heiterkeit die Gesundheit beitragt, so hangt jene doch nicht von
dieser allein ab: denn auch bei vollkommener Gesundheit kann ein
melancholisches Temperament und eine vorherrschend trube Stimmung
bestehn. Der letzte Grund davon liegt ohne Zweifel in der
ursprunglichen und daher unabanderlichen Beschaffenheit des
Organismus, und zwar zumeist in dem mehr oder minder normalen
Verhaltnis der Sensibilitat zur Irritabilitat und Reproduktionskraft.
Abnormes Ubergewicht der Sensibilitat wird Ungleichheit der Stimmung,
periodische ubermaßige Heiterkeit und vorwaltende Melancholie
herbeifuhren. Weil nun auch das Genie durch ein Ubermaß der
Nervenkraft, also der Sensibilitat, bedingt ist, so hat Aristoteles
ganz richtig bemerkt, daß alle ausgezeichnete und uberlegene Menschen
melancholisch seien: =pantes hosoi perittoi gegonasin andres, e kata
philosophian, e politiken, e poiesin e technas, phainontai
melancholikoi ontes= (_Probl. 30, 1_). Ohne Zweifel ist dieses die
Stelle, welche Cicero im Auge hatte bei seinem oft angefuhrten
Bericht: _Aristoteles ait, omnes ingeniosos melancholicos esse_
(_Tusc. I, 33_). Die hier in Betrachtung genommene, angeborene, große
Verschiedenheit der Grundstimmung uberhaupt aber hat *Shakespeare*
sehr artig geschildert:

    _Nature has fram'd strange fellows in her time:
    Some that will evermore peep through their eyes,
    And laugh, like parrots, at a bag-piper;
    And others of such vinegar aspect,
    That they'll not show their teeth in way of smile,
    Though Nestor swear the jest be laughable[A]._

    _Merch. of Ven. Sc. I._

  [A] Die Natur hat in ihren Tagen seltsame Kauze hervorgebracht,
  einige, die stets aus ihren Auglein vergnugt hervorgucken, und, wie
  Papageien uber einen Dudelsackspieler lachen, und andere von so
  sauertopfischem Ansehn, daß sie ihre Zahne nicht durch ein Lacheln
  bloß legen, wenn auch Nestor selbst schwure, der Spaß sei lachenswert.

Eben dieser Unterschied ist es, den *Plato* durch die Ausdrucke
=dyskolos= und =eukolos= bezeichnet. Derselbe laßt sich zuruckfuhren
auf die bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Empfanglichkeit
fur angenehme und unangenehme Eindrucke, infolge welcher der eine noch
lacht bei dem, was den andern fast zur Verzweiflung bringt: und zwar
pflegt die Empfanglichkeit fur angenehme Eindrucke desto schwacher zu
sein, je starker die fur unangenehme ist, und umgekehrt. Nach gleicher
Moglichkeit des glucklichen und des unglucklichen Ausgangs einer
Angelegenheit wird der =dyskolos= beim unglucklichen sich argern oder
gramen, beim glucklichen aber sich nicht freuen; der =eukolos=
hingegen wird uber den unglucklichen sich nicht argern, noch gramen,
aber uber den glucklichen sich freuen. Wenn dem =dyskolos= von zehn
Vorhaben neun gelingen, so freut er sich nicht uber diese, sondern
argert sich uber das eine mißlungene: der =eukolos= weiß, im
umgekehrten Fall, sich doch mit dem einen gelungenen zu trosten und
aufzuheitern. -- Wie nun aber nicht leicht ein Ubel ohne alle
Kompensation ist; so ergibt sich auch hier, daß die =dyskoloi=, also
die finstern und angstlichen Charaktere, im ganzen, zwar mehr
imaginare, dafur aber weniger reale Unfalle und Leiden zu uberstehn
haben werden als die heitern und sorglosen: denn wer alles schwarz
sieht, stets das Schlimmste befurchtet und demnach seine Vorkehrungen
trifft, wird sich nicht so oft verrechnet haben, als wer stets den
Dingen die heitere Farbe und Aussicht leiht. -- Wann jedoch eine
krankhafte Affektion des Nervensystems oder der Verdauungswerkzeuge,
der angeborenen =dyskolia= in die Hande arbeitet; dann kann diese den
hohen Grad erreichen, wo dauerndes Mißbehagen Lebensuberdruß erzeugt
und demnach Hang zum Selbstmord entsteht. Diesen vermogen alsdann
selbst die geringsten Unannehmlichkeiten zu veranlassen; ja, bei den
hochsten Graden des Ubels bedarf es derselben nicht einmal; sondern
bloß infolge des anhaltenden Mißbehagens wird der Selbstmord
beschlossen und alsdann mit so kuhler Uberlegung und fester
Entschlossenheit ausgefuhrt, daß der meistens schon unter Aufsicht
gestellte Kranke, stets darauf gerichtet, den ersten unbewachten
Augenblick benutzt, um, ohne Zaudern, Kampf und Zuruckbeben, jenes ihm
jetzt naturliche und willkommene Erleichterungsmittel zu ergreifen.
Ausfuhrliche Beschreibungen dieses Zustandes gibt _Esquirol, des
maladies mentales_. Allerdings aber kann, nach Umstanden, auch der
gesundeste und vielleicht selbst der heiterste Mensch sich zum
Selbstmord entschließen, wenn namlich die Große der Leiden, oder des
unausweichbar herannahenden Unglucks, die Schrecken des Todes
uberwaltigt. Der Unterschied liegt allein in der verschiedenen Große
des dazu erforderlichen Anlasses, als welche mit der =dyskolia= in
umgekehrtem Verhaltnis steht. Je großer diese ist, desto geringer kann
jener sein, ja am Ende auf Null herabsinken: je großer hingegen die
=eukolia= und die sie unterstutzende Gesundheit, desto mehr muß im
Anlaß liegen. Danach gibt es unzahlige Abstufungen der Falle, zwischen
den beiden Extremen des Selbstmordes, namlich dem des rein aus
krankhafter Steigerung der angebornen =dyskolia= entspringenden, und
dem des Gesunden und Heiteren, ganz aus objektiven Grunden.

Der Gesundheit zum Teil verwandt ist die Schonheit. Wenngleich dieser
subjektive Vorzug nicht eigentlich unmittelbar zu unserm Glucke
beitragt, sondern bloß mittelbar, durch den Eindruck auf Andere; so
ist er doch von großer Wichtigkeit, auch im Manne. Schonheit ist ein
offener Empfehlungsbrief, der die Herzen zum voraus fur uns gewinnt:
daher gilt besonders von ihr der Homerische Vers:

    =Outoi apoblet' esti theon erikydea dora,
    Hossa ken autoi dosi, hekon d' ouk an tis heloito.=

Der allgemeinste Uberblick zeigt uns, als die beiden Feinde des
menschlichen Gluckes, den Schmerz und die Langeweile. Dazu noch laßt
sich bemerken, daß, in dem Maße, als es uns gluckt, von einem
derselben uns zu entfernen, wir dem andern uns nahern, und umgekehrt;
so daß unser Leben wirklich eine starkere oder schwachere Oszillation
zwischen ihnen darstellt. Dies entspringt daraus, daß beide in einem
doppelten Antagonismus zu einander stehn, einem außern oder
objektiven, und einem innern oder subjektiven. Außerlich namlich
gebiert Not und Entbehrung den Schmerz; hingegen Sicherheit und
Uberfluß die Langeweile. Demgemaß sehen wir die niedere Volksklasse in
einem bestandigen Kampf gegen die Not, also den Schmerz; die reiche
und vornehme Welt hingegen in einem anhaltenden oft wirklich
verzweifelten Kampf gegen die Langeweile. Der innere oder subjektive
Antagonismus derselben aber beruht darauf, daß, im einzelnen Menschen,
die Empfanglichkeit fur das eine in entgegengesetztem Verhaltnis zu
der fur das andere steht, indem sie durch das Maß seiner Geisteskrafte
bestimmt wird. Namlich Stumpfheit des Geistes ist durchgangig im
Verein mit Stumpfheit der Empfindung und Mangel an Reizbarkeit, welche
Beschaffenheit fur Schmerzen und Betrubnisse jeder Art und Große
weniger empfanglich macht: aus eben dieser Geistesstumpfheit aber geht
andrerseits jene, auf zahllosen Gesichtern ausgepragte, wie auch durch
die bestandig rege Aufmerksamkeit auf alle, selbst die kleinsten
Vorgange in der Außenwelt sich verratende *innere Leerheit* hervor,
welche die wahre Quelle der Langeweile ist und stets nach außerer
Anregung lechzt, um Geist und Gemut durch irgend etwas in Bewegung zu
bringen. In der Wahl desselben ist sie daher nicht ekel; wie dies die
Erbarmlichkeit der Zeitvertreibe bezeugt, zu denen man Menschen
greifen sieht, imgleichen die Art ihrer Geselligkeit und Konversation,
nicht weniger die vielen Tursteher und Fenstergucker. Hauptsachlich
aus dieser inneren Leerheit entspringt die Sucht nach Gesellschaft,
Zerstreuung, Vergnugen und Luxus jeder Art, welche viele zur
Verschwendung und dann zum Elende fuhrt. Vor diesem Elende bewahrt
nichts so sicher, als der *innere* Reichtum, der Reichtum des Geistes:
denn dieser laßt, je mehr er sich der Eminenz nahert, der Langenweile
immer weniger Raum. Die unerschopfliche Regsamkeit der Gedanken aber,
ihr an den mannigfaltigen Erscheinungen der Innen- und Außenwelt sich
stets erneuerndes Spiel, die Kraft und der Trieb zu immer andern
Kombinationen derselben, setzen den eminenten Kopf, die Augenblicke
der Abspannung abgerechnet, ganz außer den Bereich der Langenweile.
Andrerseits nun aber hat die gesteigerte Intelligenz eine erhohte
Sensibilitat zur unmittelbaren Bedingung, und großere Heftigkeit des
Willens, also der Leidenschaftlichkeit, zur Wurzel: aus ihrem Verein
mit diesen erwachst nun eine viel großere Starke aller Affekte und
eine gesteigerte Empfindlichkeit gegen die geistigen und selbst gegen
korperliche Schmerzen, sogar großere Ungeduld bei allen Hindernissen
oder auch nur Storungen; welches alles zu erhohen die aus der Starke
der Phantasie entspringende Lebhaftigkeit samtlicher Vorstellungen,
also auch der widerwartigen, machtig beitragt. Das Gesagte gilt nun
verhaltnismaßig von allen den Zwischenstufen, welche den weiten Raum
vom stumpfesten Dummkopf bis zum großten Genie ausfullen. Demzufolge
steht jeder, wie objektiv, so auch subjektiv, der einen Quelle der
Leiden des menschlichen Lebens um so naher, als er von der andern
entfernter ist. Dem entsprechend wird sein naturlicher Hang ihn
anleiten, in dieser Hinsicht das Objektive dem Subjektiven moglichst
anzupassen, also gegen *die* Quelle der Leiden, fur welche er die
großere Empfanglichkeit hat, die großere Vorkehr zu treffen. Der
geistreiche Mensch wird vor allem nach Schmerzlosigkeit,
Ungehudeltsein, Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles,
bescheidenes, aber moglichst unangefochtenes Leben suchen und
demgemaß, nach einiger Bekanntschaft mit den sogenannten Menschen, die
Zuruckgezogenheit und, bei großem Geiste, sogar die Einsamkeit wahlen.
Denn je mehr einer an sich selber hat, desto weniger bedarf er von
außen und desto weniger konnen auch die ubrigen ihm sein. Darum fuhrt
die Eminenz des Geistes zur Ungeselligkeit. Ja, wenn die Qualitat der
Gesellschaft sich durch die Quantitat ersetzen ließe; da ware es der
Muhe wert, sogar in der großen Welt zu leben: aber leider geben
hundert Narren, auf einem Haufen, noch keinen gescheuten Mann. -- Der
vom andern Extrem wird, sobald die Not ihn zu Atem kommen laßt,
Kurzweil und Gesellschaft, um jeden Preis suchen und mit allem leicht
vorlieb nehmen, nichts so sehr fliehend wie sich selbst. Denn in der
Einsamkeit, als wo jeder auf sich selbst zuruckgewiesen ist, da zeigt
sich, was er *an sich selber* hat: da seufzt der Tropf im Purpur unter
der unabwalzbaren Last seiner armseligen Individualitat; wahrend der
Hochbegabte die odeste Umgebung mit seinen Gedanken bevolkert und
belebt. Daher ist sehr wahr, was *Seneka* sagt: _omnes stultitia
laborat fastidio sui_ (_ep. 9_); wie auch Jesus Sirachs Ausspruch:
≫des Narren Leben ist arger denn der Tod.≪ Demgemaß wird man, im
ganzen, finden, daß jeder in dem Maße gesellig ist, wie er geistig arm
und uberhaupt gemein ist. Denn man hat in der Welt nicht viel mehr,
als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit. Die geselligsten
aller Menschen sollen die Neger sein, wie sie eben auch intellektuell
entschieden zuruckstehn: nach Berichten aus Nord-Amerika, in
Franzosischen Zeitungen (_le Commerce, Octbr. 19, 1837_), sperren die
Schwarzen, Freie und Sklaven durcheinander, in großer Anzahl, sich in
den engsten Raum zusammen, weil sie ihr schwarzes Stumpfnasengesicht
nicht oft genug wiederholt erblicken konnen.

Dem entsprechend, daß das Gehirn als der Parasit oder Pensionar des
ganzen Organismus auftritt, ist die errungene *freie Muße* eines
jeden, indem sie ihm den freien Genuß seines Bewußtseins und seiner
Individualitat gibt, die Frucht und der Ertrag seines gesamten
Daseins, welches im ubrigen nur Muhe und Arbeit ist. Was nun aber
wirft die freie Muße der meisten Menschen ab? Langeweile, und
Dumpfheit, so oft nicht sinnliche Genusse oder Albernheiten da sind,
sie auszufullen. Wie vollig wertlos sie ist, zeigt die Art, wie sie
solche zubringen: sie ist eben das _ozio lungo d'uomini ignoranti_ des
Ariosto. Die gewohnlichen Leute sind bloß darauf bedacht, die Zeit
*zuzubringen*; wer irgend ein Talent hat, -- sie *zu benutzen*. -- Daß
die beschrankten Kopfe der Langeweile so sehr ausgesetzt sind, kommt
daher, daß ihr Intellekt durchaus nichts weiter, als das *Medium der
Motive* fur ihren Willen ist. Sind nun vor der Hand keine Motive
aufzufassen da; so ruht der Wille und feiert der Intellekt; dieser,
weil er so wenig wie jener auf eigene Hand in Tatigkeit gerat: das
Resultat ist schreckliche Stagnation aller Krafte im ganzen Menschen,
-- Langeweile. Dieser zu begegnen, schiebt man nun dem Willen kleine,
bloß einstweilige und beliebig angenommene Motive vor, ihn zu erregen
und dadurch auch den Intellekt, der sie aufzufassen hat, in Tatigkeit
zu versetzen: diese verhalten sich demnach zu den wirklichen und
naturlichen Motiven wie Papiergeld zu Silber; da ihre Geltung eine
willkurlich angenommene ist. Solche Motive nun sind die *Spiele*, mit
Karten usw., welche zu besagtem Zweck erfunden worden sind. Fehlt es
daran, so hilft der beschrankte Mensch sich durch Klappern oder
Trommeln, mit allem, was er in die Hand kriegt. Auch die Zigarre ist
ihm ein willkommenes Surrogat der Gedanken. -- Daher also ist, in
allen Landern, die Hauptbeschaftigung aller Gesellschaft das
Kartenspiel geworden: es ist der Maßstab des Wertes derselben und der
deklarierte Bankrott an allen Gedanken. Weil sie namlich keine
Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen
einander Gulden abzunehmen. O, klagliches Geschlecht! Und indessen
auch hier nicht ungerecht zu sein, will ich den Gedanken nicht
unterdrucken, daß man zur Entschuldigung des Kartenspiels allenfalls
anfuhren konnte, es sei eine Vorubung zum Welt- und Geschaftsleben,
sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabanderlich gegebenen
Umstande (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht zu
machen, zu welchem Zwecke man sich denn auch gewohnt, Contenance zu
halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt.
Aber eben deshalb hat andererseits das Kartenspiel einen
demoralisierenden Einfluß. Der Geist des Spiels namlich ist, daß man
auf alle Weise, durch jeden Streich und jeden Schlich, dem andern das
Seinige abgewinne. Aber die Gewohnheit, im Spiel so zu verfahren,
wurzelt ein, greift uber in das praktische Leben, und man kommt
allmalig dahin, in den Angelegenheiten des Mein und Dein es ebenso zu
machen und jeden Vorteil, den man eben in der Hand halt, fur erlaubt
zu halten, sobald man nur es gesetzlich darf. Belege hiezu gibt ja das
burgerliche Leben taglich. -- Weil also, wie gesagt, die *freie Muße*
die Blute, oder vielmehr die Frucht des Daseins eines jeden ist, indem
nur sie ihn in den Besitz seines eigenen Selbst einsetzt, so sind die
glucklich zu preisen, welche dann auch etwas Rechtes an sich selber
erhalten; wahrend den Allermeisten die freie Muße nichts abwirft, als
einen Kerl, mit dem nichts anzufangen ist, der sich schrecklich
langweilt, sich selber zur Last. Demnach freuen wir uns, ≫ihr lieben
Bruder, daß wir nicht sind der Magd Kinder, sondern der Freien.≪ (Gal.
4, 31.)

Ferner, wie das Land am glucklichsten ist, welches weniger oder keiner
Einfuhr bedarf; so auch der Mensch, der an seinem innern Reichtum
genug hat und zu seiner Unterhaltung wenig oder nichts von außen notig
hat; da dergleichen Zufuhr viel kostet, abhangig macht, Gefahr bringt,
Verdruß verursacht und am Ende doch nur ein schlechter Ersatz ist fur
die Erzeugnisse des eigenen Bodens. Denn von andern, von außen
uberhaupt, darf man in keiner Hinsicht viel erwarten. Was einer dem
andern sein kann, hat seine sehr engen Grenzen: am Ende bleibt doch
jeder allein, und da kommt es darauf an, *wer* jetzt allein sei. Auch
hier gilt demnach was Goethe (Dicht. u. Wahrh. Bd. 3, S. 474) im
allgemeinen ausgesprochen hat, daß, in allen Dingen, jeder zuletzt auf
sich selbst zuruckgewiesen wird, oder, wie *Oliver Goldsmith* sagt:

    _Still to ourselves in ev'ry place consign'd,
    Our own felicity we make or find._

    (_The Traveller v. 431 sq._)

Das Beste und Meiste muß daher jeder sich selber sein und leisten. Je
mehr nun dieses ist, und je mehr demzufolge er die Quellen seiner
Genusse in sich selbst findet, desto glucklicher wird er sein. Mit
großtem Rechte also sagt Aristoteles: =he eudaimonia ton autarkon
esti= (_Eth. Eud. VII, 2_), zu deutsch: das Gluck gehort denen, die
sich selber genugen. Denn alle außern Quellen des Gluckes und Genusses
sind, ihrer Natur nach, hochst unsicher, mißlich, verganglich und dem
Zufall unterworfen, durften daher, selbst unter den gunstigsten
Umstanden, leicht stocken; ja, dieses ist unvermeidlich, sofern sie
doch nicht stets zur Hand sein konnen. Im Alter nun gar versiegen sie
fast alle notwendig: denn da verlaßt uns Liebe, Scherz, Reiselust,
Pferdelust und Tauglichkeit fur die Gesellschaft: sogar die Freunde
und Verwandten entfuhrt uns der Tod. Da kommt es denn, mehr als je,
darauf an, was einer an sich selber habe. Denn dieses wird am langsten
Stich halten. Aber auch in jedem Alter ist und bleibt es die echte und
allein ausdauernde Quelle des Glucks. Ist doch in der Welt uberall
nicht viel zu holen: Not und Schmerz erfullen sie, und auf die, welche
diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem
hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die
Torheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen
sind erbarmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht der, welcher
viel an sich selber hat, der hellen, warmen lustigen Weihnachtsstube,
mitten im Schnee und Eise der Dezembernacht. Demnach ist eine
vorzugliche, eine reiche Individualitat und besonders sehr viel Geist
zu haben ohne Zweifel das glucklichste Los auf Erden; so verschieden
es etwan auch von dem glanzendesten ausgefallen sein mag. Daher war es
ein weiser Ausspruch der erst 19jahrigen Konigin Christine von
Schweden, uber den ihr noch bloß durch *einen* Aufsatz und aus
mundlichen Berichten bekannt gewordenen Kartesius, welcher damals seit
20 Jahren in der tiefsten Einsamkeit, in Holland, lebte: _Mr.
Descartes est le plus heureux de tous les hommes, et sa condition me
semble digne d'envie._ (_Vie de Descartes par Baillet, Liv. VII, ch.
10._) Nur mussen, wie es eben auch der Fall des Kartesius war, die
außeren Umstande es so weit begunstigen, daß man auch sich selbst
besitzen und seiner froh werden konne; weshalb schon Koheleth (7, 12)
sagt: ≫Weisheit ist gut mit einem Erbgut, und hilft, daß einer sich
der Sonne freuen kann.≪ Wem nun, durch Gunst der Natur und des
Schicksals, dieses Los beschieden ist, der wird mit angstlicher
Sorgfalt daruber wachen, daß die innere Quelle seines Gluckes ihm
zuganglich bleibe; wozu Unabhangigkeit und Muße die Bedingungen sind.
Diese wird er daher gern durch Maßigkeit und Sparsamkeit erkaufen; um
so mehr, als er nicht, gleich den andern, auf die außern Quellen der
Genusse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Amter, Geld, Gunst
und Beifall der Welt, ihn nicht verleiten, sich selber aufzugeben, um
den niedrigen Absichten oder dem schlechten Geschmacke der Menschen
sich zu fugen. Vorkommenden Falls wird er es machen wie *Horaz* in der
Epistel an den Macenas (_Lib. I, ep. 7_). Es ist eine große Torheit,
um *nach außen* zu gewinnen, *nach innen* zu verlieren, d. h. fur
Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre, seine Ruhe, Muße und
Unabhangigkeit ganz oder großenteils hinzugeben. Dies hat aber
*Goethe* getan. Mich hat mein Genius mit Entschiedenheit nach der andern Seite gezogen.

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