Daß nun dieser seltsame, barbarische und lacherliche Kodex der
Ehre nicht aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder einer
gesunden Ansicht menschlicher Verhaltnisse hervorgegangen sei, erkennt
der Unbefangene auf den ersten Blick. Zudem aber wird es durch den
außerst beschrankten Bereich seiner Geltung bestatigt: dieser namlich
ist ausschließlich Europa und zwar nur seit dem Mittelalter, und auch
hier nur beim Adel, Militar und was diesen nacheifert. Denn weder
Griechen, noch Romer, noch die hochgebildeten asiatischen Volker, alter
und neuer Zeit, wissen irgend etwas von dieser Ehre und ihren
Grundsatzen. Sie alle kennen keine andere Ehre, als die zuerst analysirte.
Bei ihnen allen gilt demnach der Mann fur das, wofur sein Tun und
Lassen ihn kund gibt, nicht aber fur das, was irgend einer losen
Zunge beliebt von ihm zu sagen. Bei ihnen allen kann, was einer sagt
oder tut, wohl seine *eigene* Ehre vernichten, aber nie die eines
andern. Ein Schlag ist bei ihnen allen eben nur ein Schlag, wie jedes
Pferd und jeder Esel ihn gefahrlicher versetzen kann: er wird,
nach Umstanden, zum Zorne reizen, auch wohl auf der Stelle geracht
werden: aber mit der Ehre hat er nichts zu tun, und keineswegs wird
Buch gehalten uber Schlage und Schimpfworter, nebst der dafur
gewordenen oder aber einzufordern versaumten ≫Satisfaktion.≪ An Tapferkeit
und Lebensverachtung stehn sie den Volkern des christlichen Europas
nicht nach. Griechen und Romer waren doch wohl ganze Helden: aber sie
wußten nichts vom _point d'honneur_. Der Zweikampf war bei ihnen nicht
Sache der Edeln im Volke, sondern feiler Gladiatoren, preisgegebener
Sklaven und verurteilter Verbrecher, welche, mit wilden Tieren
abwechselnd, auf einander gehetzt wurden, zur Belustigung des Volks. Bei
Einfuhrung des Christentums wurden die Gladiatorenspiele aufgehoben: an
ihre Stelle aber ist, in der christlichen Zeit, unter Vermittelung
des Gottesurteils, das Duell getreten. Waren jene ein grausames Opfer,
der allgemeinen Schaulust gebracht; so ist dieses ein grausames Opfer,
dem allgemeinen Vorurteil gebracht; aber nicht wie jenes, von
Verbrechern, Sklaven und Gefangenen, sondern von Freien und Edeln.
Daß
den Alten jenes Vorurteil vollig fremd war, bezeugen eine Menge uns
aufbehaltener Zuge. Als z. B. ein Teutonischer Hauptling den *Marius* zum
Zweikampf herausgefordert hatte, ließ dieser Held ihm antworten: ≫wenn er
seines Lebens uberdrussig ware, moge er sich aufhangen≪, bot ihm jedoch einen
ausgedienten Gladiator an, mit dem er sich herumschlagen konne (_Freinsh.
suppl. in Liv. lib. LXVIII, c. 12_). Im Plutarch (_Them. 11_) lesen wir, daß
der Flottenbefehlshaber Eurybiades, mit dem Themistokles streitend, den Stock
aufgehoben habe, ihn zu schlagen; jedoch nicht, daß dieser darauf den Degen
gezogen, vielmehr, daß er gesagt habe: =pataxon men oun, akouson de=:
≫schlage mich, aber hore mich.≪ Mit welchem Unwillen muß doch der Leser
≫von Ehre≪ hiebei die Nachricht vermissen, daß das
Atheniensische Offizierkorps sofort erklart habe, unter so einem Themistokles
nicht ferner dienen zu wollen! -- Ganz richtig sagt demnach ein
neuerer franzosischer Schriftsteller: _si quelqu'un s'avisait de dire
que Demosthene fut un homme d'honneur, on sourirait de pitie; -- --
-- Ciceron n'etait pas un homme d'honneur non plus._
(_Soirees litteraires, par C. Durand. Rouen 1828. Vol. 2. p. 300._) Ferner
zeigt die Stelle im Plato (_de leg. IX_, die letzten 6 Seiten,
imgleichen _XI p. 131 Bip._) uber die =aikia=, d. h. Mißhandlungen, zur
Genuge, daß die Alten von der Ansicht des ritterlichen Ehrenpunktes
bei solchen Sachen keine Ahnung hatten. *Sokrates* ist, in Folge
seiner haufigen Disputationen, oft tatlich mißhandelt worden, welches
er gelassen ertrug: als er einst einen Fußtritt erhielt, nahm er
es geduldig hin und sagte dem, der sich hieruber wunderte: ≫wurde
ich denn, wenn mich ein Esel gestoßen hatte, ihn verklagen?≪ --
(_Diog. Laert. II, 21._) Als, ein ander Mal, jemand zu ihm sagte:
≫schimpft und schmaht dich denn jener nicht?≪ war seine Antwort: ≫nein: denn
was er sagt paßte nicht auf mich≪ (_ibid. 36._) -- Stobaos
(_Florileg., ed. Gaisford, Vol. I, p. 327-330_) hat eine lange Stelle
des *Musonius* uns aufbewahrt, daraus zu ersehen, wie die Alten
die Injurien betrachteten: sie kannten keine andere Genugtuung, als
die gerichtliche; und weise Manner verschmahten auch diese. Daß die
Alten fur eine erhaltene Ohrfeige keine andere Genugtuung kannten, als
eine gerichtliche, ist deutlich zu ersehn aus Plato's Gorgias (S.
_86 Bip._); woselbst auch (S. 133) die Meinung des Sokrates daruber
steht. Dasselbe erhellt auch aus dem Berichte des Gillius (_XX, 1_) von
einem gewissen Lucius Veratius, welcher den Mutwillen ubte, den ihm auf
der Straße begegnenden romischen Burgern, ohne Anlaß, eine Ohrfeige
zu versetzen, in welcher Absicht er, um allen Weitlauftigkeiten
daruber vorzubeugen, sich von einem Sklaven mit einem Beutel
Kupfermunze begleiten ließ, der den also Uberraschten sogleich das
gesetzmaßige Schmerzensgeld von 25 Aß auszahlte. *Krates*, der beruhmte
Zyniker, hatte vom Musiker Nikodromos eine so starke Ohrfeige erhalten, daß
ihm das Gesicht angeschwollen und blutrunstig geworden war:
darauf befestigte er an seiner Stirn ein Brettchen, mit der
Inschrift =Nikodromos epoiei= (_Nicodromus fecit_), wodurch große Schande
auf den Flotenspieler fiel, der gegen einen Mann, den ganz Athen wie
einen Hausgott verehrte (_Apul. Flor. p. 126 bip._), eine solche
Brutalitat ausgeubt hatte. (_Diog. Laert. VI, 89._) -- Vom *Diogenes* aus
Sinope haben wir daruber, daß die betrunkenen Sohne der Athener ihn
geprugelt hatten, einen Brief an den Melesippus, dem er bedeutet, das
habe nichts auf sich. (_Nota Casaub. ad Diog. Laert. VI, 33._) --
Seneka hat, im Buche _de constantia sapientis_, vom _C. 10_ an bis zum
Ende, die Beleidigung, _contumelia_, ausfuhrlich in Betracht genommen,
um darzulegen, daß der Weise sie nicht beachtet. Kapitel 14 sagt er:
_≫at sapiens colaphis percussus, quid faciet? quod Cato, cum illi
os percussum esset: non excanduit, non vindicavit injuriam: nec
remisit quidem, sed factam negavit.≪_ ≫Ja,≪ ruft ihr, ≫das waren Weise!≪
-- Ihr aber seid Narren? Einverstanden. --
Wir sehn also, daß den
Alten das ganze ritterliche Ehrenprinzip unbekannt war, weil sie eben in
allen Stucken der unbefangenen, naturlichen Ansicht der Dinge getreu blieben
und daher solche sinistre und heillose Fratzen sich nicht einreden ließen.
Deshalb konnten sie auch einen Schlag ins Gesicht fur nichts anderes halten,
als was er ist, eine kleine physische Beeintrachtigung; wahrend er den
Neuern eine Katastrophe und ein Thema zu Trauerspielen geworden ist, z. B.
im Eid des Corneille, auch in einem neueren deutschen
burgerlichen Trauerspiele, welches ≫die Macht der Verhaltnisse≪ heißt, aber
≫die Macht des Vorurteils≪ heißen sollte: wenn aber gar ein Mal in
der Pariser Nationalversammlung eine Ohrfeige fallt, so hallt ganz
Europa davon wieder. Den Leuten ≫von Ehre≪ nun aber, welche durch
obige klassische Erinnerungen und angefuhrte Beispiele aus dem
Altertume verstimmt sein mussen, empfehle ich, als Gegengift, in
*Diderots* Meisterwerke, _Jaques le fataliste_, die Geschichte des
Herrn *Desglands* zu lesen, als ein auserlesenes Musterstuck
moderner ritterlicher Ehrenhaftigkeit, daran sie sich letzen und erbauen
mogen.
Aus dem Angefuhrten erhellt zur Genuge, daß das
ritterliche Ehrenprinzip keineswegs ein ursprungliches, in der menschlichen
Natur selbst gegrundetes sein kann. Es ist also ein kunstliches, und
sein Ursprung ist nicht schwer zu finden. Es ist offenbar ein Kind
jener Zeit, wo die Fauste geubter waren als die Kopfe, und die Pfaffen
die Vernunft in Ketten hielten, also des belobten Mittelalters und
seines Rittertums. Damals namlich ließ man fur sich den lieben Gott nicht
nur sorgen, sondern auch urteilen. Demnach wurden schwierige
Rechtsfalle durch Ordalien oder Gottesurteile entschieden; diese nun
bestanden, mit wenigen Ausnahmen, in Zweikampfen, keineswegs bloß unter
Rittern, sondern auch unter Burgern; -- wie dies ein artiges Beispiel
in Shakespeares Heinrich VI. (T. 2, A. 2, Sz. 3) bezeugt. Auch konnte
von jedem richterlichen Urteilsspruch immer noch an den Zweikampf, als
die hohere Instanz, namlich das Urteil Gottes, appellirt werden.
Dadurch war nun eigentlich die physische Kraft und Gewandtheit, also
die tierische Natur, statt der Vernunft, auf den Richterstuhl gesetzt,
und uber Recht oder Unrecht entschied nicht was einer getan hatte,
sondern was ihm widerfuhr, -- ganz nach dem noch heute geltenden
ritterlichen Ehrenprinzip. Wer an diesem Ursprunge des Duellwesens noch
zweifelt, lese das vortreffliche Buch von _J. G. Mellingen, the history
of duelling_, 1849. Ja, noch heutzutage findet man unter den,
dem ritterlichen Ehrenprinzip nachlebenden Leuten, welche
bekanntlich nicht gerade die unterrichtetesten und nachdenkendesten zu
sein pflegen, einige, die den Erfolg des Duells wirklich fur eine
gottliche Entscheidung des ihm zum Grunde liegenden Streites halten; gewiß
nach einer traditionell fortgeerbten Meinung.
Abgesehn von diesem
Ursprunge des ritterlichen Ehrenprinzips, ist seine Tendenz zunachst diese,
daß man, durch Androhung physischer Gewalt, die außerlichen Bezeugungen
derjenigen Achtung erzwingen will, welche wirklich zu erwerben man entweder
fur zu beschwerlich, oder fur uberflussig halt. Dies ist ungefahr so, wie
wenn jemand, die Kugel des Thermometers mit der Hand erwarmend, am Steigen
des Quecksilbers dartun wollte, daß sein Zimmer wohlgeheizt sei. Naher
betrachtet ist der Kern der Sache dieser: wie die burgerliche Ehre, als
welche den friedlichen Verkehr mit andern im Auge hat, in der Meinung dieser
von uns besteht, daß wir vollkommenes *Zutrauen* verdienen, weil wir
die Rechte eines jeden unbedingt achten; so besteht die ritterliche
Ehre in der Meinung von uns, daß wir *zu furchten* seien, weil wir
unsere eigenen Rechte unbedingt zu verteidigen gesonnen sind. Der
Grundsatz, daß es wesentlicher sei, gefurchtet zu werden, als Zutrauen
zu genießen, wurde auch, weil auf die Gerechtigkeit der Menschen wenig
zu bauen ist, so gar falsch nicht sein, wenn wir im Naturzustande
lebten, wo jeder sich selbst zu schutzen und seine Rechte unmittelbar
zu verteidigen hat. Aber im Stande der Zivilisation, wo der Staat
den Schutz unserer Person und unseres Eigentums ubernommen hat, findet
er keine Anwendung mehr, und steht da, wie die Burgen und Warten aus
den Zeiten des Faustrechts, unnutz und verlassen, zwischen
wohlbebauten Feldern und belebten Landstraßen, oder gar Eisenbahnen. Demgemaß
hat denn auch die ihn festhaltende ritterliche Ehre sich auf
solche Beeintrachtigungen der Person geworfen, welche der Staat nur
leicht, oder, nach dem Prinzip _de minimis lex non curat_, gar nicht
bestraft, indem es unbedeutende Krankungen und zum Teil bloße Neckereien
sind. Sie aber hat in Hinsicht auf diese sich hinaufgeschroben zu einer
der Natur, der Beschaffenheit und dem Lose des Menschen
ganzlich unangemessenen Uberschatzung des Wertes der eigenen Person,
als welchen sie bis zu einer Art von Heiligkeit steigert und demnach
die Strafe des Staates fur kleine Krankungen derselben
durchaus unzulanglich findet, solche daher selbst zu strafen ubernimmt und
zwar stets am Leibe und Leben des Beleidigers. Offenbar liegt hier
der unmaßigste Hochmut und die emporendeste Hoffahrt zugrunde,
welche, ganz vergessend, was der Mensch eigentlich ist, eine
unbedingte Unverletzlichkeit, wie auch Tadellosigkeit, fur ihn in
Anspruch nehmen. Allein jeder, der diese mit Gewalt durchzusetzen gesonnen
ist und dem zufolge die Maxime proklamirt: ≫wer mich schimpft, oder
gar mir einen Schlag gibt, soll des Todes sein≪, -- verdient
eigentlich schon darum aus dem Lande verwiesen zu werden[F]. Da wird denn,
zur Beschonigung jenes vermessenen Ubermutes, allerhand vorgegeben.
Von zwei unerschrockenen Leuten, heißt es, gebe keiner je nach, daher
es vom leisesten Anstoß zu Schimpfreden, dann zu Prugeln und endlich
zum Totschlag kommen wurde; demnach sei es besser, anstandshalber
die Mittelstufen zu uberspringen und gleich an die Waffen zu gehn.
Das speziellere Verfahren hierbei hat man dann in ein
steifes, pedantisches System, mit Gesetzen und Regeln, gebracht, welches
die ernsthafteste Posse von der Welt ist und als ein wahrer
Ehrentempel der Narrheit dasteht. Nun aber ist der Grundsatz selbst falsch:
bei Sachen von geringer Wichtigkeit (die von großer bleiben stets
den Gerichten anheimgestellt) gibt von zwei unerschrockenen
Leuten allerdings einer nach, namlich der Klugste, und bloße Meinungen
laßt man auf sich beruhen. Den Beweis hievon liefert das Volk,
oder vielmehr alle die zahlreichen Stande, welche sich nicht
zum ritterlichen Ehrenprinzip bekennen, bei denen daher die
Streitigkeiten ihren naturlichen Verlauf haben: unter diesen Standen ist
der Totschlag hundertmal seltener, als bei der vielleicht nur 1/1000
der Gesamtheit betragenden Fraktion, welche jenem Prinzipe huldigt;
und selbst eine Prugelei ist eine Seltenheit. -- Sodann aber
wird behauptet, der gute Ton und die feine Sitte der Gesellschaft
hatten zum letzten Grundpfeiler jenes Ehrenprinzip, mit seinen Duellen,
als welche die Wehrmauer gegen die Ausbruche der Rohheit und
Ungezogenheit waren. Allein in Athen, Korinth und Rom war ganz gewiß gute und
zwar sehr gute Gesellschaft, auch feine Sitte und guter Ton
anzutreffen; ohne daß jener Popanz der ritterlichen Ehre dahinter gesteckt
hatte. Freilich aber fuhrten daselbst auch nicht, wie bei uns, die Weiber
den Vorsitz in der Gesellschaft, welches, wie es zunachst der
Unterhaltung einen frivolen und lappischen Charakter erteilt und jedes
gehaltvolle Gesprach verbannt, gewiß auch sehr dazu beitragt, daß in unsrer
guten Gesellschaft der personliche Mut den Rang vor jeder andern
Eigenschaft behauptet; wahrend er doch eigentlich eine sehr untergeordnete,
eine bloße Unteroffizierstugend ist, ja, eine, in welcher sogar Tiere
uns ubertreffen, weshalb man z. B. sagt: ≫mutig wie ein Lowe.≪ Sogar
aber ist, im Gegenteil obiger Behauptung, das ritterliche Ehrenprinzip
oft das sichere Asylum, wie im großen der Unredlichkeit
und Schlechtigkeit, so im kleinen der Ungezogenheit,
Rucksichtslosigkeit und Flegelei, indem eine Menge sehr lastiger Unarten
stillschweigend geduldet werden, weil eben keiner Lust hat, an die Ruge
derselben den Hals zu setzen. -- Dem allen entsprechend sehn wir das Duell
im hochsten Flor und mit blutdurstigem Ernst betrieben, gerade bei
der Nation, welche in politischen und finanziellen Angelegenheiten
Mangel an wahrer Ehrenhaftigkeit bewiesen hat: wie es damit bei ihr
im Privatverkehr stehe, kann man bei denen erfragen, die Erfahrung
darin haben. Was aber gar ihre Urbanitat und gesellschaftliche
Bildung betrifft, so ist sie als negatives Muster langst
beruhmt.
[F] Die ritterliche Ehre ist ein Kind des Hochmuts und der
Narrheit. (Die ihr entgegengesetzte Wahrheit spricht am scharfsten _el
principe constante_ aus in den Worten: ≫_esa es la herencia de Adan_≪.)
Sehr auffallend ist es, daß dieser Superlativ alles Hochmuts sich
allein und ausschließlich unter den Genossen derjenigen Religion
findet, welche ihren Anhangern die außerste Demut zur Pflicht macht; da
weder fruhere Zeiten noch andere Weltteile jenes Prinzip der
ritterlichen Ehre kennen. Dennoch darf man dasselbe nicht der Religion
zuschreiben, vielmehr dem Feudalwesen, bei welchem jeder Edele sich als
einen kleinen Souveran, der keinen menschlichen Richter uber sich
erkannte, ansah und sich daher eine vollige Unverletzlichkeit und
Heiligkeit der Person beilegen lernte, daher ihm jedes Attentat gegen
dieselbe, oder jeder Schlag und jedes Schimpfwort, ein todeswurdiges
Verbrechen schien. Demgemaß waren das Ehrenprinzip und die Duelle
ursprunglich nur Sache des Adels und infolge davon in spateren Zeiten
der Offiziere, denen sich nachher hin und wieder, wiewohl nie
durchgangig, die andern hoheren Stande anschlossen, um nicht weniger zu
gelten. Wenn auch die Duelle aus den Ordalien hervorgegangen sind; so
sind diese doch nicht der Grund, sondern die Folge und Anwendung
des Ehrenprinzips: wer keinen menschlichen Richter erkennt, appellirt
an den gottlichen. Die Ordalien selbst aber sind nicht dem
Christentum eigen, sondern finden sich auch im Hinduismus sehr stark,
zwar meistens in alterer Zeit, doch Spuren davon auch noch jetzt.
--
Alle jene Vorgaben halten also nicht Stich. Mit mehr Recht kann
urgirt werden, daß, wie schon ein angeknurrter Hund wieder knurrt,
ein geschmeichelter wieder schmeichelt, es auch in der Natur des
Menschen liege, jede feindliche Begegnung feindlich zu erwidern und durch
Zeichen der Geringschatzung oder des Hasses erbittert und gereizt zu
werden; daher schon Cicero sagt: _habet quendam aculeum contumelia, quem
pati prudentes ac viri boni difficillime possunt_; wie denn auch nirgends
auf der Welt (einige fromme Sekten beiseite gesetzt) Schimpfreden oder
gar Schlage gelassen hingenommen werden. Jedoch leitet die Natur
keinenfalls zu etwas Weiterem, als zu einer der Sache angemessenen
Vergeltung, nicht aber dazu, den Vorwurf der Luge, der Dummheit oder der
Feigheit, mit dem Tode zu bestrafen, und der altdeutsche Grundsatz ≫auf eine
Maulschelle gehort ein Dolch≪ ist ein emporender ritterlicher Aberglaube.
Jedenfalls ist die Erwiderung oder Vergeltung von Beleidigungen Sache des
Zorns, aber keineswegs der Ehre und Pflicht, wozu das ritterliche
Ehrenprinzip sie stempelt. Vielmehr ist ganz gewiß, daß jeder Vorwurf nur in
dem Maße, als er trifft, verletzen kann; welches auch daran ersichtlich
ist, daß die leiseste Andeutung, welche trifft, viel tiefer verwundet,
als die schwerste Anschuldigung, die gar keinen Grund hat. Wer
daher wirklich sich bewußt ist, einen Vorwurf nicht zu verdienen, darf
und wird ihn getrost verachten. Dagegen aber fordert das Ehrenprinzip
von ihm, daß er eine Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht hat,
und Beleidigungen, die ihn nicht verletzen, blutig rache. Der aber
muß selbst eine schwache Meinung von seinem eigenen Werte haben, der
sich beeilt, jeder denselben anfechtenden Außerung den Daumen aufs Auge
zu drucken, damit sie nicht laut werde. Demzufolge wird, bei
Injurien, wahre Selbstschatzung wirkliche Gleichgultigkeit verleihen, und wo
dies, aus Mangel derselben, nicht der Fall ist, werden Klugheit und
Bildung anleiten, den Schein davon zu retten und den Zorn zu verbergen. Wenn
man demnach nur erst den Aberglauben des ritterlichen Ehrenprinzips
los ware, so daß niemand mehr vermeinen durfte, durch Schimpfen irgend
etwas der Ehre eines andern nehmen oder der seinigen wiedergeben zu
konnen, auch nicht mehr jedes Unrecht, jede Roheit oder Grobheit
sogleich legitimirt werden konnte durch die Bereitwilligkeit Satisfaktion
zu geben, d. h. sich dafur zu schlagen; so wurde bald die
Einsicht allgemein werden, daß, wenn es an's Schmahen und Schimpfen geht, der
in diesem Kampfe Besiegte der Sieger ist, und daß, wie *Vincenzo
Monti* sagt, die Injurien es machen wie die Kirchenprozessionen, welche
stets dahin zuruckkehren, von wo sie ausgegangen sind. Ferner wurde es
alsdann nicht mehr, wie jetzt, hinreichend sein, daß einer eine Grobheit
zu Markte brachte, um Recht zu behalten; mithin wurden alsdann Einsicht
und Verstand ganz anders zu Worte kommen als jetzt, wo sie immer erst
zu berucksichtigen haben, ob sie nicht irgendwie den Meinungen
der Beschranktheit und Dummheit, als welche schon ihr bloßes
Auftreten alarmirt und erbittert hat, Anstoß geben und dadurch
herbeifuhren konnen, daß das Haupt, in welchem sie wohnen, gegen den flachen
Schadel, in welchem jene hausen, aufs Wurfelspiel gesetzt werden musse.
Sonach wurde alsdann in der Gesellschaft die geistige Uberlegenheit das
ihr gebuhrende Primat erlangen, welches jetzt, wenn auch verdeckt,
die physische Uberlegenheit und die Husarenkourage hat, und infolge
hievon wurden die vorzuglichsten Menschen doch schon einen Grund weniger
haben, als jetzt, sich von der Gesellschaft zuruckzuziehn. Eine
Veranderung dieser Art wurde demnach den *wahren* guten Ton herbeifuhren und
der wirklich guten Gesellschaft den Weg bahnen, in der Form, wie sie,
ohne Zweifel, in Athen, Korinth und Rom bestanden hat. Wer von dieser
eine Probe zu sehn wunscht, dem empfehle ich das Gastmahl des Xenophon
zu lesen.
Die letzte Verteidigung des ritterlichen Kodex wird aber,
ohne Zweifel, lauten: ≫Ei, da konnte ja, Gott sei bei uns! wohl gar
einer dem andern einen Schlag versetzen!≪ -- worauf ich kurz
erwidern konnte, daß dies bei den 999/1000 der Gesellschaft, die jenen
Kodex nicht anerkennen, oft genug der Fall gewesen, ohne daß je einer
daran gestorben sei, wahrend bei den Anhangern desselben, in der
Regel, jeder Schlag ein totlicher wird. Aber ich will naher darauf
eingehen. Ich habe mich oft genug bemuht, fur die unter einem Teil
der menschlichen Gesellschaft so fest stehende Uberzeugung von
der Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der tierischen, oder
in der vernunftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren
oder wenigstens plausibeln, nur nicht in bloßen Redensarten
bestehenden, sondern auf deutliche Begriffe zuruckfuhrbaren Grund zu finden,
jedoch vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches
Ubel, welches jeder Mensch dem andern verursachen kann, dadurch aber
weiter nichts beweist, als daß er starker oder gewandter sei, oder daß
der andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergibt die Analyse
nichts. Sodann sehe ich denselben Ritter, welchem ein Schlag von
Menschenhand der Ubel großtes dunkt, einen zehnmal starkern Schlag von
seinem Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davonhinkend,
versichern, es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es lage an
der Menschenhand. Allein ich sehe unseren Ritter von dieser
Degenstiche und Sabelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei
Kleinigkeit, nicht der Rede wert. Sodann vernehme ich, daß selbst Schlage mit
der flachen Klinge bei weitem nicht so schlimm seien wie die mit
dem Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten wohl jenen,
aber nicht diesen ausgesetzt waren: und nun gar der Ritterschlag, mit
der Klinge, ist die großte Ehre. Da bin ich denn mit
meinen psychologischen und moralischen Grunden zu Ende, und mir bleibt
nichts ubrig, als die Sache fur einen alten, festgewurzelten Aberglauben
zu halten, fur ein Beispiel mehr, zu so vielen, was alles man den Menschen
einreden kann. Dies bestatigt auch die bekannte Tatsache, daß in China
Schlage mit dem Bambusrohr eine sehr haufige burgerliche Bestrafung, selbst
fur Beamte aller Klassen sind; indem sie uns zeigt, daß die Menschennatur,
und selbst die hoch zivilisirte, dort nicht dasselbe aussagt[G]. Sogar aber
lehrt ein unbefangener Blick auf die Natur des Menschen, daß diesem das
Prugeln so naturlich ist, wie den reißenden Tieren das Beißen und dem
Hornvieh das Stoßen: er ist eben ein prugelndes Tier. Daher auch werden wir
emport, wenn wir, in seltenen Fallen, vernehmen, daß ein Mensch den andern
gebissen habe; hingegen ist, daß er Schlage gebe und empfange, ein so
naturliches, wie leicht eintretendes Ereignis. Daß hohere Bildung sich auch
diesem, durch gegenseitige Selbstbeherrschung, gern entzieht, ist
leicht erklarlich. Aber einer Nation, oder auch nur einer
Klasse, aufzubinden, ein gegebener Schlag sei ein entsetzliches
Ungluck, welches Mord und Totschlag zur Folge haben musse, ist
eine Grausamkeit. Es gibt der wahren Ubel zu viele auf der Welt, als
daß man sich erlauben durfte, sie durch imaginare, welche die
wahren herbeiziehn, zu vermehren: das tut aber jener dumme und
boshafte Aberglaube. Ich muß daher sogar mißbilligen, daß Regierungen
und gesetzgebende Korper demselben dadurch Vorschub leisten, daß sie
mit Eifer auf Abstellung aller Prugelstrafen, beim Zivil und
Militar, dringen. Sie glauben dabei im Interesse der Humanitat zu
handeln; wahrend gerade das Gegenteil der Fall ist, indem sie dadurch an
der Befestigung jenes widernaturlichen und heillosen Wahnes, dem schon
so viele Opfer gefallen sind, arbeiten. Bei allen Vergehungen,
mit Ausnahme der schwersten, sind Prugel die dem Menschen
zuerst einfallende, daher die naturliche Bestrafung: wer fur Grunde
nicht empfanglich war, wird es fur Prugel sein: und daß der, welcher
am Eigentum, weil er keines hat, nicht gestraft werden kann, und den
man an der Freiheit, weil man seiner Dienste bedarf, nicht ohne
eigenen Nachteil strafen kann, durch maßige Prugel gestraft werde, ist
so billig wie naturlich. Auch werden gar keine Grunde dagegen aufgebracht,
sondern bloße Redensarten von der ≫Wurde des Menschen≪, die sich nicht auf
deutliche Begriffe, sondern eben nur wieder auf obigen verderblichen
Aberglauben stutzen. Daß dieser der Sache zum Grunde liege, hat eine fast
lacherliche Bestatigung daran, daß noch vor kurzem, in manchen Landern beim
Militar die Prugelstrafe durch die Lattenstrafe ersetzt worden war, welche
doch, ganz und gar wie jene, die Verursachung eines korperlichen Schmerzes
ist, nun aber nicht ehrenruhrig und entwurdigend sein soll.
[G]
_Vingt ou trente coups de canne sur le derriere, c'est, pour ainsi dire, le
pain quotidien des Chinois. C'est une correction paternelle du mandarin,
laquelle n'a rien d'infamant, et qu'ils recoivent avec action de graces. --
Lettres edifiantes et curieuses, edition de 1819. Vol. 11, p.
454._
Durch dergleichen Beforderung des besagten Aberglaubens arbeitet
man aber dem ritterlichen Ehrenprinzip und damit dem Duell in die
Hande, wahrend man dieses andrerseits durch Gesetze abzustellen bemuht
ist, oder doch es zu sein vorgibt[H]. Infolge davon treibt denn
jenes Fragment des Faustrechts, aus den Zeiten des rohesten Mittelalters
bis in das 19. Jahrhundert herabgeweht, sich in diesem, zum
offentlichen Skandal, noch immer herum: es ist nachgerade an der Zeit, daß es
mit Schimpf und Schande herausgeworfen werde. Ist es doch heutzutage
nicht einmal erlaubt, Hunde oder Hahne methodisch aufeinander zu
hetzen (wenigstens werden in England dergleichen Hetzen gestraft);
aber Menschen werden, wider Willen, zum totlichen Kampf
aufeinander gehetzt, durch den lacherlichen Aberglauben des absurden Prinzips
der ritterlichen Ehre und durch dessen bornirte Vertreter und
Verwalter, welche ihnen die Verpflichtung auflegen, wegen irgend einer
Lumperei wie Gladiatoren mit einander zu kampfen. Unseren deutschen
Puristen schlage ich daher, fur das Wort Duell, welches wahrscheinlich
nicht vom lateinischen _duellum_, sondern vom spanischen _duelo_,
Leid, Klage, Beschwerde, herkommt, -- die Benennung Ritterhetze vor.
Die Pedanterei, mit der die Narrheit getrieben wird, gibt allerdings
Stoff zum Lachen. Indessen ist es emporend, daß jenes Prinzip und
sein absurder Kodex einen Staat im Staate begrundet, welcher, kein
anderes als das Faustrecht anerkennend, die ihm unterworfenen Stande
dadurch tyrannisirt, daß er ein heiliges Vehmgericht offen halt, vor
welches jeder jeden, mittelst sehr leicht herbeizufuhrender Anlasse
als Schergen, laden kann, um ein Gericht auf Tod und Leben uber ihn
und sich ergehn zu lassen. Naturlich wird nun dies der Schlupfwinkel,
von welchem aus jeder Verworfenste, wenn er nur jenen Standen
angehort, den Edelsten und Besten, der ihm als solcher notwendig verhaßt
sein muß, bedrohen, ja, aus der Welt schaffen kann. Nachdem
heutzutage Justiz und Polizei es so ziemlich dahin gebracht haben, daß nicht
mehr auf der Landstraße jeder Schurke uns zurufen kann ≫die Borse oder
das Leben≪, sollte endlich auch die gesunde Vernunft es dahin bringen,
daß nicht mehr, mitten im friedlichen Verkehr, jeder Schurke uns
zurufen konne ≫die Ehre oder das Leben≪. Und die Beklemmung sollte den
hohern Standen von der Brust genommen werden, welche daraus entsteht,
daß jeder, jeden Augenblick, mit Leib und Leben verantwortlich werden
kann fur die Roheit, Grobheit, Dummheit oder Bosheit irgend eines
andern, dem es gefallt, solche gegen ihn auszulassen. Daß, wenn zwei
junge, unerfahrne Hitzkopfe mit Worten aneinander geraten, sie dies mit
ihrem Blut, ihrer Gesundheit oder ihrem Leben bußen sollen,
ist himmelschreiend, ist schandlich. Wie arg die Tyrannei jenes Staates
im Staate und wie groß die Macht jenes Aberglaubens sei, laßt sich
daran ermessen, daß schon ofter Leute, denen die Wiederherstellung
ihrer verwundeten ritterlichen Ehre, wegen zu hohen oder zu
niedrigen Standes, oder sonst unangemessener Beschaffenheit des
Beleidigers unmoglich war, aus Verzweiflung daruber sich selbst das Leben
genommen und so ein tragikomisches Ende gefunden haben. -- Da das Falsche
und Absurde sich am Ende meistens dadurch entschleiert, daß es, auf
seinem Gipfel, den Widerspruch als seine Blute hervortreibt; so tritt
dieser zuletzt auch hier in Form der schreiendesten Antinomie hervor:
namlich dem Offizier ist das Duell verboten: aber er wird durch
Absetzung gestraft, wenn er es, vorkommenden Falls, unterlaßt.
[H]
Der eigentliche Grund, aus welchem die Regierungen scheinbar sich beeifern,
das Duell zu unterdrucken und, wahrend dies offenbar, zumal auf
Universitaten, sehr leicht ware, sich stellen, als wolle es ihnen nur nicht
gelingen, scheint mir folgender: Der Staat ist nicht imstande die Dienste
seiner Offiziere und Zivilbeamten mit Geld zum vollen zu bezahlen; daher
laßt er die andere Halfte ihres Lohnes in der Ehre bestehn, welche
reprasentirt wird durch Titel, Uniformen und Orden. Um nun diese ideale
Vergutung ihrer Dienste im hohen Kurse zu erhalten, muß das Ehrgefuhl auf
alle Weise genahrt, gescharft, allenfalls etwas uberspannt werden: da aber
zu diesem Zweck die burgerliche Ehre nicht ausreicht, schon weil man sie
mit jedem teilt: so wird die ritterliche Ehre zu Hilfe genommen und
besagterweise aufrecht erhalten. In England, als wo Militar- und
Zivilbesoldungen sehr viel hoher stehn, als auf dem Kontinent, ist die
besagte Aushilfe nicht notig: daher eben ist daselbst, zumal in diesen
letzten zwanzig Jahren, das Duell fast ganz ausgerottet, kommt jetzt hochst
selten vor, und wird dann als eine Narrheit verlacht; gewiß hat die
große _Anti-duelling-society_, welche eine Menge Lords, Admirale
und Generale zu ihren Mitgliedern zahlt, hiezu viel beigetragen, und
der Moloch muß sich ohne seine Opfer behelfen.
Ich will aber, da ich
einmal dabei bin, in der Parrhesia noch weiter gehn. Beim Lichte und ohne
Vorurteil betrachtet, beruht bloß darauf, daß, wie gesagt, jener Staat im
Staate kein anderes Recht, als das des Starkeren, also das Faustrecht,
anerkennt und dieses, zum Gottesurteil erhoben, seinem Kodex zum Grunde
gelegt hat, der so wichtig gemachte und so hoch genommene Unterschied, ob man
seinen Feind im offenen, mit gleichen Waffen gefuhrten Kampf, oder aus dem
Hinterhalt erlegt habe. Denn durch ersteres hat man doch weiter nichts
bewiesen, als daß man der Starkere oder der Geschicktere sei. Die
Rechtfertigung, die man im Bestehen des offenen Kampfes sucht, setzt also
voraus, daß das Recht *des Starkeren* wirklich ein *Recht* sei. In Wahrheit
aber gibt der Umstand, daß der andere sich schlecht zu wehren versteht, mir
zwar die Moglichkeit, jedoch keineswegs das Recht, ihn umzubringen;
sondern dieses letztere, also meine *moralische* Rechtfertigung kann
allein auf den *Motiven*, die ich, ihm das Leben zu nehmen, habe,
beruhen. Nehmen wir nun an, diese waren wirklich vorhanden oder zureichend;
so ist durchaus kein Grund da, es jetzt noch *davon* abhangig zu
machen, ob er, oder ich, besser schießen oder fechten konne, sondern dann
ist es gleichviel, auf welche Art ich ihm das Leben nehme, ob von
hinten oder von vorne. Denn moralisch hat das Recht des Starkeren nicht
mehr Gewicht, als das Recht des Klugeren, welches beim hinterlistigen
Morde angewandt wird: hier wiegt also dem Faustrecht das Kopfrecht
gleich; wozu noch bemerkt sei, daß auch beim Duell das eine wie das
andere geltend gemacht wird, indem schon jede Finte, beim Fechten,
Hinterlist ist. Halte ich mich moralisch gerechtfertigt, einem das Leben
zu nehmen; so ist es Dummheit, es jetzt noch erst darauf ankommen
zu lassen, ob er etwan besser schießen und fechten konne als ich;
in welchem Fall er dann, umgekehrt, mir, den er schon beeintrachtigt
hat, noch obendrein das Leben nehmen soll. Daß Beleidigungen nicht
durch das Duell, sondern durch Meuchelmord zu rachen seien, ist
*Rousseaus* Ansicht, die er behutsam andeutet, in der so geheimnisvoll
gehaltenen 21. Anmerkung zum 4. Buche des *Emile* (S. 173, _Bip._). Dabei
aber ist er so stark im ritterlichen Aberglauben befangen, daß er schon
den erlittenen Vorwurf der Luge als eine Berechtigung zum
Meuchelmorde ansieht; wahrend er doch wissen mußte, daß jeder Mensch diesen
Vorwurf unzahlige Male verdient hat, ja, er selbst im hochsten Grade.
Das Vorurteil aber, welches die Berechtigung, den Beleidiger zu
toten, durch den offenen Kampf, mit gleichen Waffen, bedingt sein laßt,
halt offenbar das Faustrecht fur ein wirkliches Recht und den Zweikampf
fur ein Gottesurteil. Der Italianer hingegen, welcher, von Zorn
entbrannt, seinen Beleidiger, wo er ihn findet, ohne weiteres mit dem
Messer anfallt, handelt wenigstens konsequent und naturgemaß: er ist
kluger, aber nicht schlechter, als der Duellant. Wollte man sagen, daß
ich, bei der Totung meines Feindes im Zweikampf, dadurch
gerechtfertigt sei, daß er eben sich bemuhte, mich zu toten, so steht dem
entgegen, daß ich, durch die Herausforderung, ihn in den Fall der
Notwehr versetzt habe. Dieses sich absichtlich gegenseitig in den Fall
der Notwehr versetzen, heißt im Grunde nur, einen plausibeln Vorwand
fur den Mord suchen. Eher ließe sich die Rechtfertigung durch
den Grundsatz _volenti non fit injuria_ horen; sofern man
durch gegenseitige Ubereinkunft sein Leben auf dieses Spiel gesetzt
hat: aber dem steht entgegen, daß es mit dem _volenti_ nicht
seine Richtigkeit hat; indem die Tyrannei des ritterlichen Ehrenprinzips
und seines absurden Kodex der Scherge ist, welcher beide, oder
wenigstens einen der beiden Kampen vor dieses blutige Vehmgericht geschleppt
hat.
Ich bin uber die ritterliche Ehre weitlaufig gewesen, aber in
guter Absicht und weil gegen die moralischen und intellektuellen
Ungeheuer auf dieser Welt der alleinige Herkules die Philosophie ist. Zwei
Dinge sind es hauptsachlich, welche den gesellschaftlichen Zustand der
neuen Zeit von dem des Altertums, zum Nachteil des ersteren
unterscheiden, indem sie demselben einen ernsten, finsteren, sinistern
Anstrich gegeben haben, von welchem frei das Altertum heiter und
unbefangen, wie der Morgen des Lebens, dasteht. Sie sind: das
ritterliche Ehrenprinzip und die venerische Krankheit, -- _par nobile
fratrum_! Sie zusammen haben =neikos kai philia= des Lebens vergiftet.
Die venerische Krankheit namlich erstreckt ihren Einfluß viel weiter,
als es auf den ersten Blick scheinen mochte, indem derselbe keineswegs
ein bloß physischer, sondern auch ein moralischer ist. Seitdem
Amors Kocher auch vergiftete Pfeile fuhrt, ist in das Verhaltnis
der Geschlechter zueinander ein fremdartiges, feindseliges, ja
teuflisches Element gekommen, infolge wovon ein finsteres und
furchtsames Mißtrauen es durchzieht, und der unmittelbare Einfluß einer
solchen Anderung in der Grundfeste aller menschlichen Gemeinschaft
erstreckt sich, mehr oder weniger, auch auf die ubrigen geselligen
Verhaltnisse; welches auseinanderzusetzen mich hier zu weit abfuhren wurde.
-- Analog, wiewohl ganz anderartig, ist der Einfluß des
ritterlichen Ehrenprinzips, dieser ernsthaften Posse, welche den Alten fremd
war, hingegen die moderne Gesellschaft steif, ernst und angstlich
macht, schon weil jede fluchtige Außerung skrutinirt und ruminirt wird.
Aber mehr als dies! Jenes Prinzip ist ein allgemeiner Minotaur, dem
nicht, wie dem antiken, von einem, sondern von jedem Lande in
Europa alljahrlich eine Anzahl Sohne edler Hauser zum Tribut gebracht
werden muß. Daher ist es an der Zeit, daß diesem Popanz einmal kuhn zu
Leibe gegangen werde, wie hier geschehn. Mochten doch beide Monstra
der neueren Zeit im 19. Jahrhundert ihr Ende finden! Wir wollen
die Hoffnung nicht aufgeben, daß es mit dem ersteren den Arzten,
mittelst der Prophylaktika, endlich doch noch gelingen werde. Den *Popanz*
aber abzutun ist Sache des Philosophen, mittelst Berichtigung der
Begriffe, da es den Regierungen, mittelst Handhabung der Gesetze, bisher
nicht hat gelingen wollen, zudem auch nur auf dem ersteren Wege das Ubel
an der Wurzel angegriffen wird. Sollte es inzwischen den Regierungen
mit der Abstellung des Duellwesens wirklich ernst sein und der
geringe Erfolg ihres Bestrebens wirklich nur an ihrem Unvermogen liegen,
so will ich ihnen ein Gesetz vorschlagen, fur dessen Erfolg ich
einstehe, und zwar ohne blutige Operationen, ohne Schafott oder Galgen
oder lebenswierige Einsperrungen zu Hilfe zu nehmen. Vielmehr ist es
ein kleines, ganz leichtes homoopathisches Mittelchen: wer einen
andern herausfordert oder sich stellt, erhalt, _a la Chinoise_, am
hellen Tage, vor der Hauptwache, 12 Stockschlage vom Korporal,
die Kartelltrager und Sekundanten jeder 6. Wegen der etwanigen
Folgen wirklich vollzogener Duelle bliebe das gewohnliche
kriminelle Verfahren. Vielleicht wurde ein ritterlich Gesinnter mir
einwenden, daß nach Vollstreckung solcher Strafe mancher ≫Mann von Ehre≪
imstande sein konnte, sich totzuschießen; worauf ich antworte: es ist
besser, daß so ein Narr sich selber totschießt, als andere. -- Im Grunde
aber weiß ich sehr wohl, daß es den Regierungen mit der Abstellung
der Duelle nicht ernst ist. Die Gehalte der Zivilbeamten, noch viel
mehr aber die der Offiziere, stehen (von den hochsten Stellen
abgesehn) weit unter dem Wert ihrer Leistungen. Zur andern Halfte werden
sie daher mit der Ehre bezahlt. Diese wird zunachst durch Titel und
Orden vertreten, im weiteren Sinne durch die Standesehre uberhaupt.
Fur diese Standesehre nun ist das Duell ein brauchbares Handpferd;
daher es auch schon auf den Universitaten seine Vorschule hat. Die
Opfer desselben bezahlen demnach mit ihrem Blut das Defizit der Gehalte.
--
Der Vollstandigkeit wegen sei hier noch die *Nationalehre*
erwahnt. Sie ist die Ehre eines ganzen Volkes als Teiles der
Volkergemeinschaft. Da es in dieser kein anderes Forum gibt, als das der
Gewalt, und demnach jedes Mitglied derselben seine Rechte selbst zu schutzen
hat; so besteht die Ehre einer Nation nicht allein in der
erworbenen Meinung, daß ihr zu trauen sei (Kredit), sondern auch in der, daß
sie zu furchten sei: daher darf sie Eingriffe in ihre Rechte
niemals ungeahndet lassen. Sie vereinigt also den Ehrenpunkt der
burgerlichen mit dem der ritterlichen Ehre. --
Zu dem, was einer
*vorstellt*, d. h. in den Augen der Welt ist, war oben, in letzter Stelle,
der *Ruhm* gezahlt worden: diesen hatten wir also noch zu betrachten. -- Ruhm
und Ehre sind Zwillingsgeschwister; jedoch so, wie die Dioskuren, von denen
Pollux unsterblich und Kastor sterblich war: der Ruhm ist der unsterbliche
Bruder der sterblichen Ehre. Freilich ist dies nur vom Ruhme hochster
Gattung, dem eigentlichen und echten Ruhme, zu verstehen: denn es gibt
allerdings auch mancherlei ephemeren Ruhm. -- Die Ehre, nun ferner, betrifft
bloß solche Eigenschaften, welchen von jedem, der in
denselben Verhaltnissen steht, gefordert werden; der Ruhm bloß solche, die
man von niemandem fordern darf; die Ehre solche, die jeder sich
offentlich beilegen darf; der Ruhm solche, die keiner sich selber beilegen
darf. Wahrend unsere Ehre so weit reicht, wie die Kunde von uns; so
eilt, umgekehrt, der Ruhm der Kunde von uns voran und bringt diese so
weit er selbst gelangt. Auf Ehre hat jeder Anspruch; auf Ruhm nur
die Ausnahmen: denn nur durch außerordentliche Leistungen wird
Ruhm erlangt. Diese nun wieder sind entweder *Taten* oder *Werke*;
wonach zum Ruhme zwei Wege offen stehn. Zum Wege der *Taten*
befahigt vorzuglich das große Herz; zu dem der *Werke* der große Kopf.
Jeder der beiden Wege hat seine eigenen Vorteile und Nachteile.
Der Hauptunterschied ist, daß die Taten vorubergehn, die Werke
bleiben. Die edelste Tat hat doch nur einen zeitweiligen Einfluß; das
geniale Werk hingegen lebt und wirkt, wohltatig und erhebend, durch
alle Zeiten. Von den Taten bleibt nur das Andenken, welches
immer schwacher, entstellter und gleichgultiger wird, allmahlich
sogar erloschen muß, wenn nicht die Geschichte es aufnimmt und es nun
im petrifizirtem Zustande der Nachwelt uberliefert. Die Werke
hingegen sind selbst unsterblich und konnen, zumal die schriftlichen,
alle Zeiten durchleben. Von Alexander dem Großen lebt Name und
Gedachtnis: aber Plato und Aristoteles, Homer und Horaz sind noch selbst da,
leben und wirken unmittelbar. Die Veden, mit ihren Upanischaden, sind
da: aber von allen den Taten, die zu ihrer Zeit geschehen, ist gar
keine Kunde auf uns gekommen[I]. -- Ein anderer Nachteil der Taten ist
ihre Abhangigkeit von der Gelegenheit, als welche erst die Moglichkeit
dazu geben muß; woran sich knupft, daß ihr Ruhm sich nicht allein
nach ihrem innern Werte richtet, sondern auch nach den Umstanden,
welche ihnen Wichtigkeit und Glanz erteilen. Zudem ist er, wenn, wie
im Kriege, die Taten rein personliche sind, von der Aussage
weniger Augenzeugen abhangig: diese sind nicht immer vorhanden und dann
nicht immer gerecht und unbefangen. Dagegen aber haben die Taten
den Vorteil, daß sie, als etwas Praktisches, im Bereich der
allgemeinen menschlichen Urteilsfahigkeit liegen; daher ihnen, wenn dieser
nur die Data richtig uberliefert sind, sofort Gerechtigkeit widerfahrt; es
sei denn, daß ihre Motive erst spater richtig erkannt oder
gerecht abgeschatzt werden: denn zum Verstandnis einer jeden Handlung
gehort Kenntnis des Motivs derselben. Umgekehrt steht es mit den Werken:
ihre Entstehung hangt nicht von der Gelegenheit, sondern allein von
ihrem Urheber ab, und was sie an und fur sich sind, bleiben sie, so
lange sie bleiben. Bei ihnen liegt dagegen die Schwierigkeit im Urteil,
und sie ist um so großer, in je hoherer Gattung sie sind: oft fehlt es
an kompetenten, oft an unbefangenen und redlichen Richtern. Dagegen
nun wieder wird ihr Ruhm nicht von *einer* Instanz entschieden; sondern
es findet Appellation statt. Denn wahrend, wie gesagt, von den Taten
bloß das Andenken auf die Nachwelt kommt und zwar so, wie die Mitwelt
es uberliefert; so kommen hingegen die Werke selbst dahin, und zwar,
etwa fehlende Bruchstucke abgerechnet, so, wie sie sind: hier gibt es
also keine Entstellung der Data, und auch der etwan nachteilige Einfluß
der Umgebung, bei ihrem Ursprunge, fallt spater weg. Vielmehr bringt
oft erst die Zeit, nach und nach, die wenigen wirklich kompetenten
Richter heran, welche, schon selbst Ausnahmen, uber noch großere Ausnahmen
zu Gerichte sitzen: sie geben sukzessiv ihre gewichtigen Stimmen ab,
und so steht, bisweilen freilich erst nach Jahrhunderten, ein
vollkommen gerechtes Urteil da, welches keine Folgezeit mehr umstoßt. So
sicher, ja, unausbleiblich ist der Ruhm der Werke. Hingegen daß ihr
Urheber ihn erlebe, hangt von außeren Umstanden und dem Zufall ab: es ist
um so seltener, je hoherer und schwierigerer Gattung sie waren.
Diesem gemaß sagt Seneka (_ep. 79._) unvergleichlich schon, daß
dem Verdienste sein Ruhm so unfehlbar folge, wie dem Korper sein
Schatten, nur aber freilich, eben wie auch dieser, bisweilen vor,
bisweilen hinter ihm herschreite, und fugt, nachdem er dies erlautert
hat, hinzu: _etiamsi omnibus tecum viventibus *silentium livor
indixerit*, venient qui sine offensa, sine gratia judicent_; woraus wir
nebenbei ersehen, daß die Kunst des Unterdruckens der Verdienste
durch hamisches Schweigen und Ignoriren, um, zu Gunsten des Schlechten,
das Gute dem Publiko zu verbergen, schon bei den Lumpen des
Seneka'schen Zeitalters ublich war, so gut wie bei denen des unsrigen, und
daß jenen, wie diesen, *der Neid die Lippen zudruckte*. -- In der
Regel wird sogar der Ruhm, je langer er zu dauern hat, desto
spater eintreten; wie ja alles Vorzugliche langsam heranreift. Der
Ruhm, welcher zum Nachruhm werden will, gleicht einer Eiche, die aus
ihrem Samen sehr langsam emporwachst; der leichte, ephemere Ruhm
den einjahrigen, schnellwachsenden Pflanzen, und der falsche Ruhm gar
dem schnell hervorschießenden Unkraute, das schleunigst ausgerottet
wird. Dieser Hergang beruht eigentlich darauf, daß, je mehr einer
der Nachwelt, d. i. eigentlich der Menschheit uberhaupt und im
Ganzen, angehort, desto fremder er seinem Zeitalter ist; weil, was
er hervorbringt, nicht diesem speziell gewidmet ist, also nicht
demselben als solchem, sondern nur sofern es ein Teil der Menschheit
ist, angehort und daher auch nicht mit dessen Lokalfarbe tingirt
ist: infolge hievon aber kann es leicht kommen, daß dasselbe ihn fremd
an sich vorubergehn laßt. Es schatzt vielmehr die, welche
den Angelegenheiten seines kurzen Tages, oder der Laune des
Augenblicks dienen und daher ganz *ihm* angehoren, mit ihm leben und mit
ihm sterben. Demgemaß lehren Kunst- und Literaturgeschichte
durchgangig, daß die hochsten Leistungen des menschlichen Geistes in der
Regel mit Ungunst aufgenommen worden und darin so lange geblieben sind,
bis Geister hoherer Art herankamen, die von ihnen angesprochen wurden
und sie zu dem Ansehn brachten, in welchem sie nachher, durch die
so erlangte Autoritat, sich erhalten haben. Dies alles nun aber beruht, im
letzten Grunde, darauf, daß jeder eigentlich nur das ihm Homogene verstehn
und schatzen kann. Nun aber ist dem Platten das Platte, dem Gemeinen das
Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das Unsinnige homogen,
und am allerbesten gefallen jedem seine eigenen Werke, als welche ihm
durchaus homogen sind. Daher sang schon der alte fabelhafte
Epicharmos:
=Thaumaston ouden esti, me tauth' houto
legein, Kai handanein autoisin autous, kai dokein Kalos
pephykenai: kai gar ho kyon kyni Kalliston eimen phainetai, kai bous
boi, Onos de ono kalliston, hys de hyi.=
welches ich, damit es
keinem verloren gehe, verdeutschen will:
Kein Wunder ist es, daß ich
red' in meinem Sinn, Und jene, selbst sich selbst gefallend, stehn im
Wahn, Sie waren lobenswert: so scheint dem Hund der Hund Das
schonste Wesen, so dem Ochsen auch der Ochs, Dem Esel auch der Esel, und
dem Schwein das Schwein.
[I] Demnach ist es ein schlechtes Kompliment,
wenn man, wie heutzutage Mode ist, Werke dadurch zu ehren vermeint, daß man
sie Taten titulirt. Denn Werke sind wesentlich hoherer Art. Eine Tat ist
immer nur eine Handlung auf Motiv, mithin ein einzelnes, vorubergehendes,
und ist ein dem allgemeinen und ursprunglichen Element der Welt, dem
Willen, angehoriges. Ein großes oder schones Werk hingegen ist ein
bleibendes, weil von allgemeiner Bedeutung, und ist der Intelligenz
entsprossen, der schuldlosen, reinen, dieser Willenswelt wie ein
Duft entsteigenden.
Ein Vorteil des Ruhmes der Taten ist, daß er
in der Regel sogleich eintritt mit einer starken Explosion, oft so stark,
daß sie in ganz Europa gehort wird; wahrend der Ruhm der Werke langsam und
allmahlich eintritt, erst leise, dann immer lauter, und oft erst nach
hundert Jahren seine ganze Starke erreicht: dann aber bleibt er, weil
die Werke bleiben, bisweilen Jahrtausende hindurch. Jener andere
hingegen wird, nachdem die erste Explosion voruber ist, allmahlich
schwacher, wenigeren bekannt und immer wenigeren, bis er zuletzt nur noch
in der Historie ein gespensterhaftes Dasein fuhrt.
Wie selbst der
kraftigste Arm, wenn er einen leichten Korper fortschleudert, ihm doch keine
Bewegung erteilen kann, mit der er weit floge und heftig trafe, sondern
derselbe schon in der Nahe matt niederfallt, weil es ihm an eigenem
materiellen Gehalte gefehlt hat, die fremde Kraft aufzunehmen, -- ebenso
ergeht es schonen und großen Gedanken, ja den Meisterwerken des Genies, wenn,
sie aufzunehmen, keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Kopfe da
sind. Dies zu bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum
Chorus vereint. Z. B. Jesus Sirach sagt, ≫wer mit einem Narren redet,
der redet mit einem Schlafenden. Wenn es aus ist, so spricht er:
was ist's?≪ -- Und Hamlet: _a knavish speech sleeps in a fool's ear_
(eine schalkhafte Rede schlaft im Ohr eines Narren). Und
Goethe:
Das glucklichste Wort es wird verhohnt, Wenn der Horer
ein Schiefohr ist.
und wieder:
Du wirkest nicht, alles bleibt
so stumpf, Sei guter Dinge! Der Stein im Sumpf Macht keine
Ringe.
Und Lichtenberg: ≫wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und
es klingt hohl; ist denn das allemal im Buche?≪ -- und wieder:
≫Solche Werke sind Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, kann kein
Apostel heraussehn.≪ Ja, Vater Gellert's gar schone und ruhrende Klage
daruber verdient wohl einmal wieder in Erinnerung gebracht zu
werden:
≫Daß oft die allerbesten Gaben Die wenigsten Bewundrer
haben, Und daß der großte Teil der Welt Das Schlechte fur das Gute
halt; Dies Ubel sieht man alle Tage. Jedoch, wie wehrt man dieser
Pest? Ich zweifle, daß sich diese Plage Aus unsrer Welt verdrangen
laßt. Ein einzig Mittel ist auf Erden, Allein es ist unendlich
schwer: Die Narren mussen weise werden; Und seht! sie werdens
nimmermehr. Nie kennen sie den Wert der Dinge. Ihr Auge schließt,
nicht ihr Verstand: Sie loben ewig das Geringe, Weil sie das Gute
nie gekannt.≪
Zu dieser intellektuellen Unfahigkeit der Menschen, infolge
welcher das Vortreffliche, wie Goethe sagt, noch seltener erkannt
und geschatzt, als gefunden wird, gesellt sich nun, hier wie uberall,
auch noch die moralische Schlechtigkeit derselben, und zwar als
Neid auftretend. Durch den Ruhm namlich, den einer erwirbt, wird
abermals einer mehr uber alle seiner Art erhoben: diese werden also um
ebenso viel herabgesetzt, so daß jedes ausgezeichnete Verdienst seinen
Ruhm auf Kosten derer erlangt, die keines haben.
≫Wenn wir
andern Ehre geben, Mussen wir uns selbst entadeln.≪
*Goethe.
W. O. Divan.*
Hieraus erklart es sich, in daß, welcher Gattung auch immer
das Vortreffliche auftreten mag, sogleich die gesamte, so
zahlreiche Mittelmaßigkeit verbundet und verschworen ist, es nicht gelten
zu lassen, ja, wo moglich, es zu ersticken. Ihre heimliche Parole ist:
_a bas le merite_. Aber sogar auch die, welche selbst Verdienste
besitzen und bereits den Ruhm desselben erlangt haben, werden nicht gern
das Auftreten eines neuen Ruhmes sehn, durch dessen Glanz der des
ihrigen um so viel weniger leuchtet. Daher sagt selbst
Goethe:
≫Hatt' ich gezaudert zu werden, Bis man mir's Leben
gegonnt, Ich ware noch nicht auf Erden, Wie ihr begreifen
konnt, Wenn ihr seht, wie sie sich geberden, Die, um etwas zu
scheinen, Mich gerne mochten verneinen.≪
Wahrend also die *Ehre*,
in der Regel, gerechte Richter findet und kein Neid sie anficht, ja sogar sie
jedem zum voraus, auf Kredit, verliehen wird, muß der *Ruhm*, dem Neid zum
Trotz, erkampft werden, und den Lorbeer teilt ein Tribunal entschieden
ungunstiger Richter aus. Denn die Ehre konnen und wollen wir mit jedem
teilen: der Ruhm wird geschmalert oder erschwert, durch jeden, der ihn
erlangt. -- Nun ferner steht die Schwierigkeit der Erlangung des Ruhmes durch
Werke im umgekehrten Verhaltnis der Menschenzahl, die das Publikum
solcher Werke ausmacht; aus leicht abzusehenden Grunden. Daher ist sie
viel großer bei Werken, welche Belehrung, als bei solchen,
welche Unterhaltung verheißen. Am großten ist sie bei philosophischen
Werken; weil die Belehrung, welche diese versprechen, einerseits ungewiß,
und andrerseits ohne materiellen Nutzen ist; wonach denn solche
zunachst vor einem Publiko auftreten, das aus lauter Mitbewerbern besteht.
-- Aus den dargelegten Schwierigkeiten, die der Erlangung des
Ruhmes entgegenstehn, erhellt, daß, wenn die, welche ruhmwurdige
Werke vollenden, es nicht aus Liebe zu diesen selbst und eigener
Freude daran taten, sondern der Aufmunterung durch den Ruhm bedurften,
die Menschheit wenige, oder keine, unsterbliche Werke erhalten
haben wurde. Ja, sogar muß, wer das Gute und Rechte hervorbringen und
das Schlechte vermeiden soll, dem Urteile der Menge und ihrer
Wortfuhrer Trotz bieten, mithin sie verachten. Hierauf beruht die Richtigkeit
der Bemerkung, die besonders *Osorius* (_de gloria_) hervorhebt, daß
der Ruhm vor denen flieht, die ihn suchen, und denen folgt, die ihn
vernachlassigen: denn jene bequemen sich dem Geschmacke ihrer Zeitgenossen an,
diese trotzen ihm. |
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