2014년 11월 20일 목요일

Aphorismen zur Lebensweisheit 4

Aphorismen zur Lebensweisheit 4


Daß nun dieser seltsame, barbarische und lacherliche Kodex der Ehre
nicht aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder einer gesunden
Ansicht menschlicher Verhaltnisse hervorgegangen sei, erkennt der
Unbefangene auf den ersten Blick. Zudem aber wird es durch den außerst
beschrankten Bereich seiner Geltung bestatigt: dieser namlich ist
ausschließlich Europa und zwar nur seit dem Mittelalter, und auch hier
nur beim Adel, Militar und was diesen nacheifert. Denn weder Griechen,
noch Romer, noch die hochgebildeten asiatischen Volker, alter und
neuer Zeit, wissen irgend etwas von dieser Ehre und ihren Grundsatzen.
Sie alle kennen keine andere Ehre, als die zuerst analysirte. Bei
ihnen allen gilt demnach der Mann fur das, wofur sein Tun und Lassen
ihn kund gibt, nicht aber fur das, was irgend einer losen Zunge
beliebt von ihm zu sagen. Bei ihnen allen kann, was einer sagt oder
tut, wohl seine *eigene* Ehre vernichten, aber nie die eines andern.
Ein Schlag ist bei ihnen allen eben nur ein Schlag, wie jedes Pferd
und jeder Esel ihn gefahrlicher versetzen kann: er wird, nach
Umstanden, zum Zorne reizen, auch wohl auf der Stelle geracht werden:
aber mit der Ehre hat er nichts zu tun, und keineswegs wird Buch
gehalten uber Schlage und Schimpfworter, nebst der dafur gewordenen
oder aber einzufordern versaumten ≫Satisfaktion.≪ An Tapferkeit und
Lebensverachtung stehn sie den Volkern des christlichen Europas nicht
nach. Griechen und Romer waren doch wohl ganze Helden: aber sie wußten
nichts vom _point d'honneur_. Der Zweikampf war bei ihnen nicht Sache
der Edeln im Volke, sondern feiler Gladiatoren, preisgegebener Sklaven
und verurteilter Verbrecher, welche, mit wilden Tieren abwechselnd,
auf einander gehetzt wurden, zur Belustigung des Volks. Bei Einfuhrung
des Christentums wurden die Gladiatorenspiele aufgehoben: an ihre
Stelle aber ist, in der christlichen Zeit, unter Vermittelung des
Gottesurteils, das Duell getreten. Waren jene ein grausames Opfer, der
allgemeinen Schaulust gebracht; so ist dieses ein grausames Opfer, dem
allgemeinen Vorurteil gebracht; aber nicht wie jenes, von Verbrechern,
Sklaven und Gefangenen, sondern von Freien und Edeln.

Daß den Alten jenes Vorurteil vollig fremd war, bezeugen eine Menge
uns aufbehaltener Zuge. Als z. B. ein Teutonischer Hauptling den
*Marius* zum Zweikampf herausgefordert hatte, ließ dieser Held ihm
antworten: ≫wenn er seines Lebens uberdrussig ware, moge er sich
aufhangen≪, bot ihm jedoch einen ausgedienten Gladiator an, mit dem er
sich herumschlagen konne (_Freinsh. suppl. in Liv. lib. LXVIII, c.
12_). Im Plutarch (_Them. 11_) lesen wir, daß der Flottenbefehlshaber
Eurybiades, mit dem Themistokles streitend, den Stock aufgehoben habe,
ihn zu schlagen; jedoch nicht, daß dieser darauf den Degen gezogen,
vielmehr, daß er gesagt habe: =pataxon men oun, akouson de=: ≫schlage
mich, aber hore mich.≪ Mit welchem Unwillen muß doch der Leser ≫von
Ehre≪ hiebei die Nachricht vermissen, daß das Atheniensische
Offizierkorps sofort erklart habe, unter so einem Themistokles nicht
ferner dienen zu wollen! -- Ganz richtig sagt demnach ein neuerer
franzosischer Schriftsteller: _si quelqu'un s'avisait de dire que
Demosthene fut un homme d'honneur, on sourirait de pitie; -- -- --
Ciceron n'etait pas un homme d'honneur non plus._ (_Soirees
litteraires, par C. Durand. Rouen 1828. Vol. 2. p. 300._) Ferner zeigt
die Stelle im Plato (_de leg. IX_, die letzten 6 Seiten, imgleichen
_XI p. 131 Bip._) uber die =aikia=, d. h. Mißhandlungen, zur Genuge,
daß die Alten von der Ansicht des ritterlichen Ehrenpunktes bei
solchen Sachen keine Ahnung hatten. *Sokrates* ist, in Folge seiner
haufigen Disputationen, oft tatlich mißhandelt worden, welches er
gelassen ertrug: als er einst einen Fußtritt erhielt, nahm er es
geduldig hin und sagte dem, der sich hieruber wunderte: ≫wurde ich
denn, wenn mich ein Esel gestoßen hatte, ihn verklagen?≪ -- (_Diog.
Laert. II, 21._) Als, ein ander Mal, jemand zu ihm sagte: ≫schimpft
und schmaht dich denn jener nicht?≪ war seine Antwort: ≫nein: denn was
er sagt paßte nicht auf mich≪ (_ibid. 36._) -- Stobaos (_Florileg.,
ed. Gaisford, Vol. I, p. 327-330_) hat eine lange Stelle des
*Musonius* uns aufbewahrt, daraus zu ersehen, wie die Alten die
Injurien betrachteten: sie kannten keine andere Genugtuung, als die
gerichtliche; und weise Manner verschmahten auch diese. Daß die Alten
fur eine erhaltene Ohrfeige keine andere Genugtuung kannten, als eine
gerichtliche, ist deutlich zu ersehn aus Plato's Gorgias (S. _86
Bip._); woselbst auch (S. 133) die Meinung des Sokrates daruber steht.
Dasselbe erhellt auch aus dem Berichte des Gillius (_XX, 1_) von einem
gewissen Lucius Veratius, welcher den Mutwillen ubte, den ihm auf der
Straße begegnenden romischen Burgern, ohne Anlaß, eine Ohrfeige zu
versetzen, in welcher Absicht er, um allen Weitlauftigkeiten daruber
vorzubeugen, sich von einem Sklaven mit einem Beutel Kupfermunze
begleiten ließ, der den also Uberraschten sogleich das gesetzmaßige
Schmerzensgeld von 25 Aß auszahlte. *Krates*, der beruhmte Zyniker,
hatte vom Musiker Nikodromos eine so starke Ohrfeige erhalten, daß ihm
das Gesicht angeschwollen und blutrunstig geworden war: darauf
befestigte er an seiner Stirn ein Brettchen, mit der Inschrift
=Nikodromos epoiei= (_Nicodromus fecit_), wodurch große Schande auf
den Flotenspieler fiel, der gegen einen Mann, den ganz Athen wie einen
Hausgott verehrte (_Apul. Flor. p. 126 bip._), eine solche Brutalitat
ausgeubt hatte. (_Diog. Laert. VI, 89._) -- Vom *Diogenes* aus Sinope
haben wir daruber, daß die betrunkenen Sohne der Athener ihn geprugelt
hatten, einen Brief an den Melesippus, dem er bedeutet, das habe
nichts auf sich. (_Nota Casaub. ad Diog. Laert. VI, 33._) -- Seneka
hat, im Buche _de constantia sapientis_, vom _C. 10_ an bis zum Ende,
die Beleidigung, _contumelia_, ausfuhrlich in Betracht genommen, um
darzulegen, daß der Weise sie nicht beachtet. Kapitel 14 sagt er: _≫at
sapiens colaphis percussus, quid faciet? quod Cato, cum illi os
percussum esset: non excanduit, non vindicavit injuriam: nec remisit
quidem, sed factam negavit.≪_ ≫Ja,≪ ruft ihr, ≫das waren Weise!≪ --
Ihr aber seid Narren? Einverstanden. --

Wir sehn also, daß den Alten das ganze ritterliche Ehrenprinzip
unbekannt war, weil sie eben in allen Stucken der unbefangenen,
naturlichen Ansicht der Dinge getreu blieben und daher solche sinistre
und heillose Fratzen sich nicht einreden ließen. Deshalb konnten sie
auch einen Schlag ins Gesicht fur nichts anderes halten, als was er
ist, eine kleine physische Beeintrachtigung; wahrend er den Neuern
eine Katastrophe und ein Thema zu Trauerspielen geworden ist, z. B. im
Eid des Corneille, auch in einem neueren deutschen burgerlichen
Trauerspiele, welches ≫die Macht der Verhaltnisse≪ heißt, aber ≫die
Macht des Vorurteils≪ heißen sollte: wenn aber gar ein Mal in der
Pariser Nationalversammlung eine Ohrfeige fallt, so hallt ganz Europa
davon wieder. Den Leuten ≫von Ehre≪ nun aber, welche durch obige
klassische Erinnerungen und angefuhrte Beispiele aus dem Altertume
verstimmt sein mussen, empfehle ich, als Gegengift, in *Diderots*
Meisterwerke, _Jaques le fataliste_, die Geschichte des Herrn
*Desglands* zu lesen, als ein auserlesenes Musterstuck moderner
ritterlicher Ehrenhaftigkeit, daran sie sich letzen und erbauen mogen.

Aus dem Angefuhrten erhellt zur Genuge, daß das ritterliche
Ehrenprinzip keineswegs ein ursprungliches, in der menschlichen Natur
selbst gegrundetes sein kann. Es ist also ein kunstliches, und sein
Ursprung ist nicht schwer zu finden. Es ist offenbar ein Kind jener
Zeit, wo die Fauste geubter waren als die Kopfe, und die Pfaffen die
Vernunft in Ketten hielten, also des belobten Mittelalters und seines
Rittertums. Damals namlich ließ man fur sich den lieben Gott nicht nur
sorgen, sondern auch urteilen. Demnach wurden schwierige Rechtsfalle
durch Ordalien oder Gottesurteile entschieden; diese nun bestanden,
mit wenigen Ausnahmen, in Zweikampfen, keineswegs bloß unter Rittern,
sondern auch unter Burgern; -- wie dies ein artiges Beispiel in
Shakespeares Heinrich VI. (T. 2, A. 2, Sz. 3) bezeugt. Auch konnte von
jedem richterlichen Urteilsspruch immer noch an den Zweikampf, als die
hohere Instanz, namlich das Urteil Gottes, appellirt werden. Dadurch
war nun eigentlich die physische Kraft und Gewandtheit, also die
tierische Natur, statt der Vernunft, auf den Richterstuhl gesetzt, und
uber Recht oder Unrecht entschied nicht was einer getan hatte, sondern
was ihm widerfuhr, -- ganz nach dem noch heute geltenden ritterlichen
Ehrenprinzip. Wer an diesem Ursprunge des Duellwesens noch zweifelt,
lese das vortreffliche Buch von _J. G. Mellingen, the history of
duelling_, 1849. Ja, noch heutzutage findet man unter den, dem
ritterlichen Ehrenprinzip nachlebenden Leuten, welche bekanntlich
nicht gerade die unterrichtetesten und nachdenkendesten zu sein
pflegen, einige, die den Erfolg des Duells wirklich fur eine gottliche
Entscheidung des ihm zum Grunde liegenden Streites halten; gewiß nach
einer traditionell fortgeerbten Meinung.

Abgesehn von diesem Ursprunge des ritterlichen Ehrenprinzips, ist
seine Tendenz zunachst diese, daß man, durch Androhung physischer
Gewalt, die außerlichen Bezeugungen derjenigen Achtung erzwingen will,
welche wirklich zu erwerben man entweder fur zu beschwerlich, oder fur
uberflussig halt. Dies ist ungefahr so, wie wenn jemand, die Kugel des
Thermometers mit der Hand erwarmend, am Steigen des Quecksilbers
dartun wollte, daß sein Zimmer wohlgeheizt sei. Naher betrachtet ist
der Kern der Sache dieser: wie die burgerliche Ehre, als welche den
friedlichen Verkehr mit andern im Auge hat, in der Meinung dieser von
uns besteht, daß wir vollkommenes *Zutrauen* verdienen, weil wir die
Rechte eines jeden unbedingt achten; so besteht die ritterliche Ehre
in der Meinung von uns, daß wir *zu furchten* seien, weil wir unsere
eigenen Rechte unbedingt zu verteidigen gesonnen sind. Der Grundsatz,
daß es wesentlicher sei, gefurchtet zu werden, als Zutrauen zu
genießen, wurde auch, weil auf die Gerechtigkeit der Menschen wenig zu
bauen ist, so gar falsch nicht sein, wenn wir im Naturzustande lebten,
wo jeder sich selbst zu schutzen und seine Rechte unmittelbar zu
verteidigen hat. Aber im Stande der Zivilisation, wo der Staat den
Schutz unserer Person und unseres Eigentums ubernommen hat, findet er
keine Anwendung mehr, und steht da, wie die Burgen und Warten aus den
Zeiten des Faustrechts, unnutz und verlassen, zwischen wohlbebauten
Feldern und belebten Landstraßen, oder gar Eisenbahnen. Demgemaß hat
denn auch die ihn festhaltende ritterliche Ehre sich auf solche
Beeintrachtigungen der Person geworfen, welche der Staat nur leicht,
oder, nach dem Prinzip _de minimis lex non curat_, gar nicht bestraft,
indem es unbedeutende Krankungen und zum Teil bloße Neckereien sind.
Sie aber hat in Hinsicht auf diese sich hinaufgeschroben zu einer der
Natur, der Beschaffenheit und dem Lose des Menschen ganzlich
unangemessenen Uberschatzung des Wertes der eigenen Person, als
welchen sie bis zu einer Art von Heiligkeit steigert und demnach die
Strafe des Staates fur kleine Krankungen derselben durchaus
unzulanglich findet, solche daher selbst zu strafen ubernimmt und zwar
stets am Leibe und Leben des Beleidigers. Offenbar liegt hier der
unmaßigste Hochmut und die emporendeste Hoffahrt zugrunde, welche,
ganz vergessend, was der Mensch eigentlich ist, eine unbedingte
Unverletzlichkeit, wie auch Tadellosigkeit, fur ihn in Anspruch
nehmen. Allein jeder, der diese mit Gewalt durchzusetzen gesonnen ist
und dem zufolge die Maxime proklamirt: ≫wer mich schimpft, oder gar
mir einen Schlag gibt, soll des Todes sein≪, -- verdient eigentlich
schon darum aus dem Lande verwiesen zu werden[F]. Da wird denn, zur
Beschonigung jenes vermessenen Ubermutes, allerhand vorgegeben. Von
zwei unerschrockenen Leuten, heißt es, gebe keiner je nach, daher es
vom leisesten Anstoß zu Schimpfreden, dann zu Prugeln und endlich zum
Totschlag kommen wurde; demnach sei es besser, anstandshalber die
Mittelstufen zu uberspringen und gleich an die Waffen zu gehn. Das
speziellere Verfahren hierbei hat man dann in ein steifes,
pedantisches System, mit Gesetzen und Regeln, gebracht, welches die
ernsthafteste Posse von der Welt ist und als ein wahrer Ehrentempel
der Narrheit dasteht. Nun aber ist der Grundsatz selbst falsch: bei
Sachen von geringer Wichtigkeit (die von großer bleiben stets den
Gerichten anheimgestellt) gibt von zwei unerschrockenen Leuten
allerdings einer nach, namlich der Klugste, und bloße Meinungen laßt
man auf sich beruhen. Den Beweis hievon liefert das Volk, oder
vielmehr alle die zahlreichen Stande, welche sich nicht zum
ritterlichen Ehrenprinzip bekennen, bei denen daher die Streitigkeiten
ihren naturlichen Verlauf haben: unter diesen Standen ist der
Totschlag hundertmal seltener, als bei der vielleicht nur 1/1000 der
Gesamtheit betragenden Fraktion, welche jenem Prinzipe huldigt; und
selbst eine Prugelei ist eine Seltenheit. -- Sodann aber wird
behauptet, der gute Ton und die feine Sitte der Gesellschaft hatten
zum letzten Grundpfeiler jenes Ehrenprinzip, mit seinen Duellen, als
welche die Wehrmauer gegen die Ausbruche der Rohheit und Ungezogenheit
waren. Allein in Athen, Korinth und Rom war ganz gewiß gute und zwar
sehr gute Gesellschaft, auch feine Sitte und guter Ton anzutreffen;
ohne daß jener Popanz der ritterlichen Ehre dahinter gesteckt hatte.
Freilich aber fuhrten daselbst auch nicht, wie bei uns, die Weiber den
Vorsitz in der Gesellschaft, welches, wie es zunachst der Unterhaltung
einen frivolen und lappischen Charakter erteilt und jedes gehaltvolle
Gesprach verbannt, gewiß auch sehr dazu beitragt, daß in unsrer guten
Gesellschaft der personliche Mut den Rang vor jeder andern Eigenschaft
behauptet; wahrend er doch eigentlich eine sehr untergeordnete, eine
bloße Unteroffizierstugend ist, ja, eine, in welcher sogar Tiere uns
ubertreffen, weshalb man z. B. sagt: ≫mutig wie ein Lowe.≪ Sogar aber
ist, im Gegenteil obiger Behauptung, das ritterliche Ehrenprinzip oft
das sichere Asylum, wie im großen der Unredlichkeit und
Schlechtigkeit, so im kleinen der Ungezogenheit, Rucksichtslosigkeit
und Flegelei, indem eine Menge sehr lastiger Unarten stillschweigend
geduldet werden, weil eben keiner Lust hat, an die Ruge derselben den
Hals zu setzen. -- Dem allen entsprechend sehn wir das Duell im
hochsten Flor und mit blutdurstigem Ernst betrieben, gerade bei der
Nation, welche in politischen und finanziellen Angelegenheiten Mangel
an wahrer Ehrenhaftigkeit bewiesen hat: wie es damit bei ihr im
Privatverkehr stehe, kann man bei denen erfragen, die Erfahrung darin
haben. Was aber gar ihre Urbanitat und gesellschaftliche Bildung
betrifft, so ist sie als negatives Muster langst beruhmt.

  [F] Die ritterliche Ehre ist ein Kind des Hochmuts und der Narrheit.
  (Die ihr entgegengesetzte Wahrheit spricht am scharfsten _el principe
  constante_ aus in den Worten: ≫_esa es la herencia de Adan_≪.) Sehr
  auffallend ist es, daß dieser Superlativ alles Hochmuts sich allein
  und ausschließlich unter den Genossen derjenigen Religion findet,
  welche ihren Anhangern die außerste Demut zur Pflicht macht; da weder
  fruhere Zeiten noch andere Weltteile jenes Prinzip der ritterlichen
  Ehre kennen. Dennoch darf man dasselbe nicht der Religion zuschreiben,
  vielmehr dem Feudalwesen, bei welchem jeder Edele sich als einen
  kleinen Souveran, der keinen menschlichen Richter uber sich erkannte,
  ansah und sich daher eine vollige Unverletzlichkeit und Heiligkeit der
  Person beilegen lernte, daher ihm jedes Attentat gegen dieselbe, oder
  jeder Schlag und jedes Schimpfwort, ein todeswurdiges Verbrechen
  schien. Demgemaß waren das Ehrenprinzip und die Duelle ursprunglich
  nur Sache des Adels und infolge davon in spateren Zeiten der
  Offiziere, denen sich nachher hin und wieder, wiewohl nie durchgangig,
  die andern hoheren Stande anschlossen, um nicht weniger zu gelten.
  Wenn auch die Duelle aus den Ordalien hervorgegangen sind; so sind
  diese doch nicht der Grund, sondern die Folge und Anwendung des
  Ehrenprinzips: wer keinen menschlichen Richter erkennt, appellirt an
  den gottlichen. Die Ordalien selbst aber sind nicht dem Christentum
  eigen, sondern finden sich auch im Hinduismus sehr stark, zwar
  meistens in alterer Zeit, doch Spuren davon auch noch jetzt. --

Alle jene Vorgaben halten also nicht Stich. Mit mehr Recht kann urgirt
werden, daß, wie schon ein angeknurrter Hund wieder knurrt, ein
geschmeichelter wieder schmeichelt, es auch in der Natur des Menschen
liege, jede feindliche Begegnung feindlich zu erwidern und durch Zeichen
der Geringschatzung oder des Hasses erbittert und gereizt zu werden;
daher schon Cicero sagt: _habet quendam aculeum contumelia, quem pati
prudentes ac viri boni difficillime possunt_; wie denn auch nirgends auf
der Welt (einige fromme Sekten beiseite gesetzt) Schimpfreden oder gar
Schlage gelassen hingenommen werden. Jedoch leitet die Natur keinenfalls
zu etwas Weiterem, als zu einer der Sache angemessenen Vergeltung, nicht
aber dazu, den Vorwurf der Luge, der Dummheit oder der Feigheit, mit dem
Tode zu bestrafen, und der altdeutsche Grundsatz ≫auf eine Maulschelle
gehort ein Dolch≪ ist ein emporender ritterlicher Aberglaube. Jedenfalls
ist die Erwiderung oder Vergeltung von Beleidigungen Sache des Zorns,
aber keineswegs der Ehre und Pflicht, wozu das ritterliche Ehrenprinzip
sie stempelt. Vielmehr ist ganz gewiß, daß jeder Vorwurf nur in dem
Maße, als er trifft, verletzen kann; welches auch daran ersichtlich ist,
daß die leiseste Andeutung, welche trifft, viel tiefer verwundet, als
die schwerste Anschuldigung, die gar keinen Grund hat. Wer daher
wirklich sich bewußt ist, einen Vorwurf nicht zu verdienen, darf und
wird ihn getrost verachten. Dagegen aber fordert das Ehrenprinzip von
ihm, daß er eine Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht hat, und
Beleidigungen, die ihn nicht verletzen, blutig rache. Der aber muß
selbst eine schwache Meinung von seinem eigenen Werte haben, der sich
beeilt, jeder denselben anfechtenden Außerung den Daumen aufs Auge zu
drucken, damit sie nicht laut werde. Demzufolge wird, bei Injurien,
wahre Selbstschatzung wirkliche Gleichgultigkeit verleihen, und wo dies,
aus Mangel derselben, nicht der Fall ist, werden Klugheit und Bildung
anleiten, den Schein davon zu retten und den Zorn zu verbergen. Wenn man
demnach nur erst den Aberglauben des ritterlichen Ehrenprinzips los
ware, so daß niemand mehr vermeinen durfte, durch Schimpfen irgend etwas
der Ehre eines andern nehmen oder der seinigen wiedergeben zu konnen,
auch nicht mehr jedes Unrecht, jede Roheit oder Grobheit sogleich
legitimirt werden konnte durch die Bereitwilligkeit Satisfaktion zu
geben, d. h. sich dafur zu schlagen; so wurde bald die Einsicht
allgemein werden, daß, wenn es an's Schmahen und Schimpfen geht, der in
diesem Kampfe Besiegte der Sieger ist, und daß, wie *Vincenzo Monti*
sagt, die Injurien es machen wie die Kirchenprozessionen, welche stets
dahin zuruckkehren, von wo sie ausgegangen sind. Ferner wurde es alsdann
nicht mehr, wie jetzt, hinreichend sein, daß einer eine Grobheit zu
Markte brachte, um Recht zu behalten; mithin wurden alsdann Einsicht und
Verstand ganz anders zu Worte kommen als jetzt, wo sie immer erst zu
berucksichtigen haben, ob sie nicht irgendwie den Meinungen der
Beschranktheit und Dummheit, als welche schon ihr bloßes Auftreten
alarmirt und erbittert hat, Anstoß geben und dadurch herbeifuhren
konnen, daß das Haupt, in welchem sie wohnen, gegen den flachen Schadel,
in welchem jene hausen, aufs Wurfelspiel gesetzt werden musse. Sonach
wurde alsdann in der Gesellschaft die geistige Uberlegenheit das ihr
gebuhrende Primat erlangen, welches jetzt, wenn auch verdeckt, die
physische Uberlegenheit und die Husarenkourage hat, und infolge hievon
wurden die vorzuglichsten Menschen doch schon einen Grund weniger haben,
als jetzt, sich von der Gesellschaft zuruckzuziehn. Eine Veranderung
dieser Art wurde demnach den *wahren* guten Ton herbeifuhren und der
wirklich guten Gesellschaft den Weg bahnen, in der Form, wie sie, ohne
Zweifel, in Athen, Korinth und Rom bestanden hat. Wer von dieser eine
Probe zu sehn wunscht, dem empfehle ich das Gastmahl des Xenophon zu
lesen.

Die letzte Verteidigung des ritterlichen Kodex wird aber, ohne
Zweifel, lauten: ≫Ei, da konnte ja, Gott sei bei uns! wohl gar einer
dem andern einen Schlag versetzen!≪ -- worauf ich kurz erwidern
konnte, daß dies bei den 999/1000 der Gesellschaft, die jenen Kodex
nicht anerkennen, oft genug der Fall gewesen, ohne daß je einer daran
gestorben sei, wahrend bei den Anhangern desselben, in der Regel,
jeder Schlag ein totlicher wird. Aber ich will naher darauf eingehen.
Ich habe mich oft genug bemuht, fur die unter einem Teil der
menschlichen Gesellschaft so fest stehende Uberzeugung von der
Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der tierischen, oder in
der vernunftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren oder
wenigstens plausibeln, nur nicht in bloßen Redensarten bestehenden,
sondern auf deutliche Begriffe zuruckfuhrbaren Grund zu finden, jedoch
vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches Ubel,
welches jeder Mensch dem andern verursachen kann, dadurch aber weiter
nichts beweist, als daß er starker oder gewandter sei, oder daß der
andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergibt die Analyse nichts.
Sodann sehe ich denselben Ritter, welchem ein Schlag von Menschenhand
der Ubel großtes dunkt, einen zehnmal starkern Schlag von seinem
Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davonhinkend, versichern,
es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es lage an der
Menschenhand. Allein ich sehe unseren Ritter von dieser Degenstiche
und Sabelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei Kleinigkeit,
nicht der Rede wert. Sodann vernehme ich, daß selbst Schlage mit der
flachen Klinge bei weitem nicht so schlimm seien wie die mit dem
Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten wohl jenen, aber
nicht diesen ausgesetzt waren: und nun gar der Ritterschlag, mit der
Klinge, ist die großte Ehre. Da bin ich denn mit meinen
psychologischen und moralischen Grunden zu Ende, und mir bleibt nichts
ubrig, als die Sache fur einen alten, festgewurzelten Aberglauben zu
halten, fur ein Beispiel mehr, zu so vielen, was alles man den
Menschen einreden kann. Dies bestatigt auch die bekannte Tatsache, daß
in China Schlage mit dem Bambusrohr eine sehr haufige burgerliche
Bestrafung, selbst fur Beamte aller Klassen sind; indem sie uns zeigt,
daß die Menschennatur, und selbst die hoch zivilisirte, dort nicht
dasselbe aussagt[G]. Sogar aber lehrt ein unbefangener Blick auf die
Natur des Menschen, daß diesem das Prugeln so naturlich ist, wie den
reißenden Tieren das Beißen und dem Hornvieh das Stoßen: er ist eben
ein prugelndes Tier. Daher auch werden wir emport, wenn wir, in
seltenen Fallen, vernehmen, daß ein Mensch den andern gebissen habe;
hingegen ist, daß er Schlage gebe und empfange, ein so naturliches,
wie leicht eintretendes Ereignis. Daß hohere Bildung sich auch diesem,
durch gegenseitige Selbstbeherrschung, gern entzieht, ist leicht
erklarlich. Aber einer Nation, oder auch nur einer Klasse,
aufzubinden, ein gegebener Schlag sei ein entsetzliches Ungluck,
welches Mord und Totschlag zur Folge haben musse, ist eine
Grausamkeit. Es gibt der wahren Ubel zu viele auf der Welt, als daß
man sich erlauben durfte, sie durch imaginare, welche die wahren
herbeiziehn, zu vermehren: das tut aber jener dumme und boshafte
Aberglaube. Ich muß daher sogar mißbilligen, daß Regierungen und
gesetzgebende Korper demselben dadurch Vorschub leisten, daß sie mit
Eifer auf Abstellung aller Prugelstrafen, beim Zivil und Militar,
dringen. Sie glauben dabei im Interesse der Humanitat zu handeln;
wahrend gerade das Gegenteil der Fall ist, indem sie dadurch an der
Befestigung jenes widernaturlichen und heillosen Wahnes, dem schon so
viele Opfer gefallen sind, arbeiten. Bei allen Vergehungen, mit
Ausnahme der schwersten, sind Prugel die dem Menschen zuerst
einfallende, daher die naturliche Bestrafung: wer fur Grunde nicht
empfanglich war, wird es fur Prugel sein: und daß der, welcher am
Eigentum, weil er keines hat, nicht gestraft werden kann, und den man
an der Freiheit, weil man seiner Dienste bedarf, nicht ohne eigenen
Nachteil strafen kann, durch maßige Prugel gestraft werde, ist so
billig wie naturlich. Auch werden gar keine Grunde dagegen
aufgebracht, sondern bloße Redensarten von der ≫Wurde des Menschen≪,
die sich nicht auf deutliche Begriffe, sondern eben nur wieder auf
obigen verderblichen Aberglauben stutzen. Daß dieser der Sache zum
Grunde liege, hat eine fast lacherliche Bestatigung daran, daß noch
vor kurzem, in manchen Landern beim Militar die Prugelstrafe durch die
Lattenstrafe ersetzt worden war, welche doch, ganz und gar wie jene,
die Verursachung eines korperlichen Schmerzes ist, nun aber nicht
ehrenruhrig und entwurdigend sein soll.

  [G] _Vingt ou trente coups de canne sur le derriere, c'est, pour ainsi
  dire, le pain quotidien des Chinois. C'est une correction paternelle
  du mandarin, laquelle n'a rien d'infamant, et qu'ils recoivent avec
  action de graces. -- Lettres edifiantes et curieuses, edition de 1819.
  Vol. 11, p. 454._

Durch dergleichen Beforderung des besagten Aberglaubens arbeitet man
aber dem ritterlichen Ehrenprinzip und damit dem Duell in die Hande,
wahrend man dieses andrerseits durch Gesetze abzustellen bemuht ist,
oder doch es zu sein vorgibt[H]. Infolge davon treibt denn jenes
Fragment des Faustrechts, aus den Zeiten des rohesten Mittelalters bis
in das 19. Jahrhundert herabgeweht, sich in diesem, zum offentlichen
Skandal, noch immer herum: es ist nachgerade an der Zeit, daß es mit
Schimpf und Schande herausgeworfen werde. Ist es doch heutzutage nicht
einmal erlaubt, Hunde oder Hahne methodisch aufeinander zu hetzen
(wenigstens werden in England dergleichen Hetzen gestraft); aber
Menschen werden, wider Willen, zum totlichen Kampf aufeinander
gehetzt, durch den lacherlichen Aberglauben des absurden Prinzips der
ritterlichen Ehre und durch dessen bornirte Vertreter und Verwalter,
welche ihnen die Verpflichtung auflegen, wegen irgend einer Lumperei
wie Gladiatoren mit einander zu kampfen. Unseren deutschen Puristen
schlage ich daher, fur das Wort Duell, welches wahrscheinlich nicht
vom lateinischen _duellum_, sondern vom spanischen _duelo_, Leid,
Klage, Beschwerde, herkommt, -- die Benennung Ritterhetze vor. Die
Pedanterei, mit der die Narrheit getrieben wird, gibt allerdings Stoff
zum Lachen. Indessen ist es emporend, daß jenes Prinzip und sein
absurder Kodex einen Staat im Staate begrundet, welcher, kein anderes
als das Faustrecht anerkennend, die ihm unterworfenen Stande dadurch
tyrannisirt, daß er ein heiliges Vehmgericht offen halt, vor welches
jeder jeden, mittelst sehr leicht herbeizufuhrender Anlasse als
Schergen, laden kann, um ein Gericht auf Tod und Leben uber ihn und
sich ergehn zu lassen. Naturlich wird nun dies der Schlupfwinkel, von
welchem aus jeder Verworfenste, wenn er nur jenen Standen angehort,
den Edelsten und Besten, der ihm als solcher notwendig verhaßt sein
muß, bedrohen, ja, aus der Welt schaffen kann. Nachdem heutzutage
Justiz und Polizei es so ziemlich dahin gebracht haben, daß nicht mehr
auf der Landstraße jeder Schurke uns zurufen kann ≫die Borse oder das
Leben≪, sollte endlich auch die gesunde Vernunft es dahin bringen, daß
nicht mehr, mitten im friedlichen Verkehr, jeder Schurke uns zurufen
konne ≫die Ehre oder das Leben≪. Und die Beklemmung sollte den hohern
Standen von der Brust genommen werden, welche daraus entsteht, daß
jeder, jeden Augenblick, mit Leib und Leben verantwortlich werden kann
fur die Roheit, Grobheit, Dummheit oder Bosheit irgend eines andern,
dem es gefallt, solche gegen ihn auszulassen. Daß, wenn zwei junge,
unerfahrne Hitzkopfe mit Worten aneinander geraten, sie dies mit ihrem
Blut, ihrer Gesundheit oder ihrem Leben bußen sollen, ist
himmelschreiend, ist schandlich. Wie arg die Tyrannei jenes Staates im
Staate und wie groß die Macht jenes Aberglaubens sei, laßt sich daran
ermessen, daß schon ofter Leute, denen die Wiederherstellung ihrer
verwundeten ritterlichen Ehre, wegen zu hohen oder zu niedrigen
Standes, oder sonst unangemessener Beschaffenheit des Beleidigers
unmoglich war, aus Verzweiflung daruber sich selbst das Leben genommen
und so ein tragikomisches Ende gefunden haben. -- Da das Falsche und
Absurde sich am Ende meistens dadurch entschleiert, daß es, auf seinem
Gipfel, den Widerspruch als seine Blute hervortreibt; so tritt dieser
zuletzt auch hier in Form der schreiendesten Antinomie hervor: namlich
dem Offizier ist das Duell verboten: aber er wird durch Absetzung
gestraft, wenn er es, vorkommenden Falls, unterlaßt.

  [H] Der eigentliche Grund, aus welchem die Regierungen scheinbar sich
  beeifern, das Duell zu unterdrucken und, wahrend dies offenbar, zumal
  auf Universitaten, sehr leicht ware, sich stellen, als wolle es ihnen
  nur nicht gelingen, scheint mir folgender: Der Staat ist nicht
  imstande die Dienste seiner Offiziere und Zivilbeamten mit Geld zum
  vollen zu bezahlen; daher laßt er die andere Halfte ihres Lohnes in
  der Ehre bestehn, welche reprasentirt wird durch Titel, Uniformen und
  Orden. Um nun diese ideale Vergutung ihrer Dienste im hohen Kurse zu
  erhalten, muß das Ehrgefuhl auf alle Weise genahrt, gescharft,
  allenfalls etwas uberspannt werden: da aber zu diesem Zweck die
  burgerliche Ehre nicht ausreicht, schon weil man sie mit jedem teilt:
  so wird die ritterliche Ehre zu Hilfe genommen und besagterweise
  aufrecht erhalten. In England, als wo Militar- und Zivilbesoldungen
  sehr viel hoher stehn, als auf dem Kontinent, ist die besagte Aushilfe
  nicht notig: daher eben ist daselbst, zumal in diesen letzten zwanzig
  Jahren, das Duell fast ganz ausgerottet, kommt jetzt hochst selten
  vor, und wird dann als eine Narrheit verlacht; gewiß hat die große
  _Anti-duelling-society_, welche eine Menge Lords, Admirale und
  Generale zu ihren Mitgliedern zahlt, hiezu viel beigetragen, und der
  Moloch muß sich ohne seine Opfer behelfen.

Ich will aber, da ich einmal dabei bin, in der Parrhesia noch weiter
gehn. Beim Lichte und ohne Vorurteil betrachtet, beruht bloß darauf,
daß, wie gesagt, jener Staat im Staate kein anderes Recht, als das des
Starkeren, also das Faustrecht, anerkennt und dieses, zum Gottesurteil
erhoben, seinem Kodex zum Grunde gelegt hat, der so wichtig gemachte
und so hoch genommene Unterschied, ob man seinen Feind im offenen, mit
gleichen Waffen gefuhrten Kampf, oder aus dem Hinterhalt erlegt habe.
Denn durch ersteres hat man doch weiter nichts bewiesen, als daß man
der Starkere oder der Geschicktere sei. Die Rechtfertigung, die man im
Bestehen des offenen Kampfes sucht, setzt also voraus, daß das Recht
*des Starkeren* wirklich ein *Recht* sei. In Wahrheit aber gibt der
Umstand, daß der andere sich schlecht zu wehren versteht, mir zwar die
Moglichkeit, jedoch keineswegs das Recht, ihn umzubringen; sondern
dieses letztere, also meine *moralische* Rechtfertigung kann allein
auf den *Motiven*, die ich, ihm das Leben zu nehmen, habe, beruhen.
Nehmen wir nun an, diese waren wirklich vorhanden oder zureichend; so
ist durchaus kein Grund da, es jetzt noch *davon* abhangig zu machen,
ob er, oder ich, besser schießen oder fechten konne, sondern dann ist
es gleichviel, auf welche Art ich ihm das Leben nehme, ob von hinten
oder von vorne. Denn moralisch hat das Recht des Starkeren nicht mehr
Gewicht, als das Recht des Klugeren, welches beim hinterlistigen Morde
angewandt wird: hier wiegt also dem Faustrecht das Kopfrecht gleich;
wozu noch bemerkt sei, daß auch beim Duell das eine wie das andere
geltend gemacht wird, indem schon jede Finte, beim Fechten, Hinterlist
ist. Halte ich mich moralisch gerechtfertigt, einem das Leben zu
nehmen; so ist es Dummheit, es jetzt noch erst darauf ankommen zu
lassen, ob er etwan besser schießen und fechten konne als ich; in
welchem Fall er dann, umgekehrt, mir, den er schon beeintrachtigt hat,
noch obendrein das Leben nehmen soll. Daß Beleidigungen nicht durch
das Duell, sondern durch Meuchelmord zu rachen seien, ist *Rousseaus*
Ansicht, die er behutsam andeutet, in der so geheimnisvoll gehaltenen
21. Anmerkung zum 4. Buche des *Emile* (S. 173, _Bip._). Dabei aber
ist er so stark im ritterlichen Aberglauben befangen, daß er schon den
erlittenen Vorwurf der Luge als eine Berechtigung zum Meuchelmorde
ansieht; wahrend er doch wissen mußte, daß jeder Mensch diesen Vorwurf
unzahlige Male verdient hat, ja, er selbst im hochsten Grade. Das
Vorurteil aber, welches die Berechtigung, den Beleidiger zu toten,
durch den offenen Kampf, mit gleichen Waffen, bedingt sein laßt, halt
offenbar das Faustrecht fur ein wirkliches Recht und den Zweikampf fur
ein Gottesurteil. Der Italianer hingegen, welcher, von Zorn entbrannt,
seinen Beleidiger, wo er ihn findet, ohne weiteres mit dem Messer
anfallt, handelt wenigstens konsequent und naturgemaß: er ist kluger,
aber nicht schlechter, als der Duellant. Wollte man sagen, daß ich,
bei der Totung meines Feindes im Zweikampf, dadurch gerechtfertigt
sei, daß er eben sich bemuhte, mich zu toten, so steht dem entgegen,
daß ich, durch die Herausforderung, ihn in den Fall der Notwehr
versetzt habe. Dieses sich absichtlich gegenseitig in den Fall der
Notwehr versetzen, heißt im Grunde nur, einen plausibeln Vorwand fur
den Mord suchen. Eher ließe sich die Rechtfertigung durch den
Grundsatz _volenti non fit injuria_ horen; sofern man durch
gegenseitige Ubereinkunft sein Leben auf dieses Spiel gesetzt hat:
aber dem steht entgegen, daß es mit dem _volenti_ nicht seine
Richtigkeit hat; indem die Tyrannei des ritterlichen Ehrenprinzips und
seines absurden Kodex der Scherge ist, welcher beide, oder wenigstens
einen der beiden Kampen vor dieses blutige Vehmgericht geschleppt hat.

Ich bin uber die ritterliche Ehre weitlaufig gewesen, aber in guter
Absicht und weil gegen die moralischen und intellektuellen Ungeheuer
auf dieser Welt der alleinige Herkules die Philosophie ist. Zwei Dinge
sind es hauptsachlich, welche den gesellschaftlichen Zustand der neuen
Zeit von dem des Altertums, zum Nachteil des ersteren unterscheiden,
indem sie demselben einen ernsten, finsteren, sinistern Anstrich
gegeben haben, von welchem frei das Altertum heiter und unbefangen,
wie der Morgen des Lebens, dasteht. Sie sind: das ritterliche
Ehrenprinzip und die venerische Krankheit, -- _par nobile fratrum_!
Sie zusammen haben =neikos kai philia= des Lebens vergiftet. Die
venerische Krankheit namlich erstreckt ihren Einfluß viel weiter, als
es auf den ersten Blick scheinen mochte, indem derselbe keineswegs ein
bloß physischer, sondern auch ein moralischer ist. Seitdem Amors
Kocher auch vergiftete Pfeile fuhrt, ist in das Verhaltnis der
Geschlechter zueinander ein fremdartiges, feindseliges, ja teuflisches
Element gekommen, infolge wovon ein finsteres und furchtsames
Mißtrauen es durchzieht, und der unmittelbare Einfluß einer solchen
Anderung in der Grundfeste aller menschlichen Gemeinschaft erstreckt
sich, mehr oder weniger, auch auf die ubrigen geselligen Verhaltnisse;
welches auseinanderzusetzen mich hier zu weit abfuhren wurde. --
Analog, wiewohl ganz anderartig, ist der Einfluß des ritterlichen
Ehrenprinzips, dieser ernsthaften Posse, welche den Alten fremd war,
hingegen die moderne Gesellschaft steif, ernst und angstlich macht,
schon weil jede fluchtige Außerung skrutinirt und ruminirt wird. Aber
mehr als dies! Jenes Prinzip ist ein allgemeiner Minotaur, dem nicht,
wie dem antiken, von einem, sondern von jedem Lande in Europa
alljahrlich eine Anzahl Sohne edler Hauser zum Tribut gebracht werden
muß. Daher ist es an der Zeit, daß diesem Popanz einmal kuhn zu Leibe
gegangen werde, wie hier geschehn. Mochten doch beide Monstra der
neueren Zeit im 19. Jahrhundert ihr Ende finden! Wir wollen die
Hoffnung nicht aufgeben, daß es mit dem ersteren den Arzten, mittelst
der Prophylaktika, endlich doch noch gelingen werde. Den *Popanz* aber
abzutun ist Sache des Philosophen, mittelst Berichtigung der Begriffe,
da es den Regierungen, mittelst Handhabung der Gesetze, bisher nicht
hat gelingen wollen, zudem auch nur auf dem ersteren Wege das Ubel an
der Wurzel angegriffen wird. Sollte es inzwischen den Regierungen mit
der Abstellung des Duellwesens wirklich ernst sein und der geringe
Erfolg ihres Bestrebens wirklich nur an ihrem Unvermogen liegen, so
will ich ihnen ein Gesetz vorschlagen, fur dessen Erfolg ich einstehe,
und zwar ohne blutige Operationen, ohne Schafott oder Galgen oder
lebenswierige Einsperrungen zu Hilfe zu nehmen. Vielmehr ist es ein
kleines, ganz leichtes homoopathisches Mittelchen: wer einen andern
herausfordert oder sich stellt, erhalt, _a la Chinoise_, am hellen
Tage, vor der Hauptwache, 12 Stockschlage vom Korporal, die
Kartelltrager und Sekundanten jeder 6. Wegen der etwanigen Folgen
wirklich vollzogener Duelle bliebe das gewohnliche kriminelle
Verfahren. Vielleicht wurde ein ritterlich Gesinnter mir einwenden,
daß nach Vollstreckung solcher Strafe mancher ≫Mann von Ehre≪ imstande
sein konnte, sich totzuschießen; worauf ich antworte: es ist besser,
daß so ein Narr sich selber totschießt, als andere. -- Im Grunde aber
weiß ich sehr wohl, daß es den Regierungen mit der Abstellung der
Duelle nicht ernst ist. Die Gehalte der Zivilbeamten, noch viel mehr
aber die der Offiziere, stehen (von den hochsten Stellen abgesehn)
weit unter dem Wert ihrer Leistungen. Zur andern Halfte werden sie
daher mit der Ehre bezahlt. Diese wird zunachst durch Titel und Orden
vertreten, im weiteren Sinne durch die Standesehre uberhaupt. Fur
diese Standesehre nun ist das Duell ein brauchbares Handpferd; daher
es auch schon auf den Universitaten seine Vorschule hat. Die Opfer
desselben bezahlen demnach mit ihrem Blut das Defizit der Gehalte. --

Der Vollstandigkeit wegen sei hier noch die *Nationalehre* erwahnt.
Sie ist die Ehre eines ganzen Volkes als Teiles der Volkergemeinschaft.
Da es in dieser kein anderes Forum gibt, als das der Gewalt, und
demnach jedes Mitglied derselben seine Rechte selbst zu schutzen hat;
so besteht die Ehre einer Nation nicht allein in der erworbenen
Meinung, daß ihr zu trauen sei (Kredit), sondern auch in der, daß sie
zu furchten sei: daher darf sie Eingriffe in ihre Rechte niemals
ungeahndet lassen. Sie vereinigt also den Ehrenpunkt der burgerlichen
mit dem der ritterlichen Ehre. --

Zu dem, was einer *vorstellt*, d. h. in den Augen der Welt ist, war
oben, in letzter Stelle, der *Ruhm* gezahlt worden: diesen hatten wir
also noch zu betrachten. -- Ruhm und Ehre sind Zwillingsgeschwister;
jedoch so, wie die Dioskuren, von denen Pollux unsterblich und Kastor
sterblich war: der Ruhm ist der unsterbliche Bruder der sterblichen
Ehre. Freilich ist dies nur vom Ruhme hochster Gattung, dem
eigentlichen und echten Ruhme, zu verstehen: denn es gibt allerdings
auch mancherlei ephemeren Ruhm. -- Die Ehre, nun ferner, betrifft bloß
solche Eigenschaften, welchen von jedem, der in denselben
Verhaltnissen steht, gefordert werden; der Ruhm bloß solche, die man
von niemandem fordern darf; die Ehre solche, die jeder sich offentlich
beilegen darf; der Ruhm solche, die keiner sich selber beilegen darf.
Wahrend unsere Ehre so weit reicht, wie die Kunde von uns; so eilt,
umgekehrt, der Ruhm der Kunde von uns voran und bringt diese so weit
er selbst gelangt. Auf Ehre hat jeder Anspruch; auf Ruhm nur die
Ausnahmen: denn nur durch außerordentliche Leistungen wird Ruhm
erlangt. Diese nun wieder sind entweder *Taten* oder *Werke*; wonach
zum Ruhme zwei Wege offen stehn. Zum Wege der *Taten* befahigt
vorzuglich das große Herz; zu dem der *Werke* der große Kopf. Jeder
der beiden Wege hat seine eigenen Vorteile und Nachteile. Der
Hauptunterschied ist, daß die Taten vorubergehn, die Werke bleiben.
Die edelste Tat hat doch nur einen zeitweiligen Einfluß; das geniale
Werk hingegen lebt und wirkt, wohltatig und erhebend, durch alle
Zeiten. Von den Taten bleibt nur das Andenken, welches immer
schwacher, entstellter und gleichgultiger wird, allmahlich sogar
erloschen muß, wenn nicht die Geschichte es aufnimmt und es nun im
petrifizirtem Zustande der Nachwelt uberliefert. Die Werke hingegen
sind selbst unsterblich und konnen, zumal die schriftlichen, alle
Zeiten durchleben. Von Alexander dem Großen lebt Name und Gedachtnis:
aber Plato und Aristoteles, Homer und Horaz sind noch selbst da, leben
und wirken unmittelbar. Die Veden, mit ihren Upanischaden, sind da:
aber von allen den Taten, die zu ihrer Zeit geschehen, ist gar keine
Kunde auf uns gekommen[I]. -- Ein anderer Nachteil der Taten ist ihre
Abhangigkeit von der Gelegenheit, als welche erst die Moglichkeit dazu
geben muß; woran sich knupft, daß ihr Ruhm sich nicht allein nach
ihrem innern Werte richtet, sondern auch nach den Umstanden, welche
ihnen Wichtigkeit und Glanz erteilen. Zudem ist er, wenn, wie im
Kriege, die Taten rein personliche sind, von der Aussage weniger
Augenzeugen abhangig: diese sind nicht immer vorhanden und dann nicht
immer gerecht und unbefangen. Dagegen aber haben die Taten den
Vorteil, daß sie, als etwas Praktisches, im Bereich der allgemeinen
menschlichen Urteilsfahigkeit liegen; daher ihnen, wenn dieser nur die
Data richtig uberliefert sind, sofort Gerechtigkeit widerfahrt; es sei
denn, daß ihre Motive erst spater richtig erkannt oder gerecht
abgeschatzt werden: denn zum Verstandnis einer jeden Handlung gehort
Kenntnis des Motivs derselben. Umgekehrt steht es mit den Werken: ihre
Entstehung hangt nicht von der Gelegenheit, sondern allein von ihrem
Urheber ab, und was sie an und fur sich sind, bleiben sie, so lange
sie bleiben. Bei ihnen liegt dagegen die Schwierigkeit im Urteil, und
sie ist um so großer, in je hoherer Gattung sie sind: oft fehlt es an
kompetenten, oft an unbefangenen und redlichen Richtern. Dagegen nun
wieder wird ihr Ruhm nicht von *einer* Instanz entschieden; sondern es
findet Appellation statt. Denn wahrend, wie gesagt, von den Taten bloß
das Andenken auf die Nachwelt kommt und zwar so, wie die Mitwelt es
uberliefert; so kommen hingegen die Werke selbst dahin, und zwar, etwa
fehlende Bruchstucke abgerechnet, so, wie sie sind: hier gibt es also
keine Entstellung der Data, und auch der etwan nachteilige Einfluß der
Umgebung, bei ihrem Ursprunge, fallt spater weg. Vielmehr bringt oft
erst die Zeit, nach und nach, die wenigen wirklich kompetenten Richter
heran, welche, schon selbst Ausnahmen, uber noch großere Ausnahmen zu
Gerichte sitzen: sie geben sukzessiv ihre gewichtigen Stimmen ab, und
so steht, bisweilen freilich erst nach Jahrhunderten, ein vollkommen
gerechtes Urteil da, welches keine Folgezeit mehr umstoßt. So sicher,
ja, unausbleiblich ist der Ruhm der Werke. Hingegen daß ihr Urheber
ihn erlebe, hangt von außeren Umstanden und dem Zufall ab: es ist um
so seltener, je hoherer und schwierigerer Gattung sie waren. Diesem
gemaß sagt Seneka (_ep. 79._) unvergleichlich schon, daß dem
Verdienste sein Ruhm so unfehlbar folge, wie dem Korper sein Schatten,
nur aber freilich, eben wie auch dieser, bisweilen vor, bisweilen
hinter ihm herschreite, und fugt, nachdem er dies erlautert hat,
hinzu: _etiamsi omnibus tecum viventibus *silentium livor indixerit*,
venient qui sine offensa, sine gratia judicent_; woraus wir nebenbei
ersehen, daß die Kunst des Unterdruckens der Verdienste durch
hamisches Schweigen und Ignoriren, um, zu Gunsten des Schlechten, das
Gute dem Publiko zu verbergen, schon bei den Lumpen des Seneka'schen
Zeitalters ublich war, so gut wie bei denen des unsrigen, und daß
jenen, wie diesen, *der Neid die Lippen zudruckte*. -- In der Regel
wird sogar der Ruhm, je langer er zu dauern hat, desto spater
eintreten; wie ja alles Vorzugliche langsam heranreift. Der Ruhm,
welcher zum Nachruhm werden will, gleicht einer Eiche, die aus ihrem
Samen sehr langsam emporwachst; der leichte, ephemere Ruhm den
einjahrigen, schnellwachsenden Pflanzen, und der falsche Ruhm gar dem
schnell hervorschießenden Unkraute, das schleunigst ausgerottet wird.
Dieser Hergang beruht eigentlich darauf, daß, je mehr einer der
Nachwelt, d. i. eigentlich der Menschheit uberhaupt und im Ganzen,
angehort, desto fremder er seinem Zeitalter ist; weil, was er
hervorbringt, nicht diesem speziell gewidmet ist, also nicht demselben
als solchem, sondern nur sofern es ein Teil der Menschheit ist,
angehort und daher auch nicht mit dessen Lokalfarbe tingirt ist:
infolge hievon aber kann es leicht kommen, daß dasselbe ihn fremd an
sich vorubergehn laßt. Es schatzt vielmehr die, welche den
Angelegenheiten seines kurzen Tages, oder der Laune des Augenblicks
dienen und daher ganz *ihm* angehoren, mit ihm leben und mit ihm
sterben. Demgemaß lehren Kunst- und Literaturgeschichte durchgangig,
daß die hochsten Leistungen des menschlichen Geistes in der Regel mit
Ungunst aufgenommen worden und darin so lange geblieben sind, bis
Geister hoherer Art herankamen, die von ihnen angesprochen wurden und
sie zu dem Ansehn brachten, in welchem sie nachher, durch die so
erlangte Autoritat, sich erhalten haben. Dies alles nun aber beruht,
im letzten Grunde, darauf, daß jeder eigentlich nur das ihm Homogene
verstehn und schatzen kann. Nun aber ist dem Platten das Platte, dem
Gemeinen das Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das
Unsinnige homogen, und am allerbesten gefallen jedem seine eigenen
Werke, als welche ihm durchaus homogen sind. Daher sang schon der alte
fabelhafte Epicharmos:

    =Thaumaston ouden esti, me tauth' houto legein,
    Kai handanein autoisin autous, kai dokein
    Kalos pephykenai: kai gar ho kyon kyni
    Kalliston eimen phainetai, kai bous boi,
    Onos de ono kalliston, hys de hyi.=

welches ich, damit es keinem verloren gehe, verdeutschen will:

    Kein Wunder ist es, daß ich red' in meinem Sinn,
    Und jene, selbst sich selbst gefallend, stehn im Wahn,
    Sie waren lobenswert: so scheint dem Hund der Hund
    Das schonste Wesen, so dem Ochsen auch der Ochs,
    Dem Esel auch der Esel, und dem Schwein das Schwein.

  [I] Demnach ist es ein schlechtes Kompliment, wenn man, wie heutzutage
  Mode ist, Werke dadurch zu ehren vermeint, daß man sie Taten titulirt.
  Denn Werke sind wesentlich hoherer Art. Eine Tat ist immer nur eine
  Handlung auf Motiv, mithin ein einzelnes, vorubergehendes, und ist ein
  dem allgemeinen und ursprunglichen Element der Welt, dem Willen,
  angehoriges. Ein großes oder schones Werk hingegen ist ein bleibendes,
  weil von allgemeiner Bedeutung, und ist der Intelligenz entsprossen,
  der schuldlosen, reinen, dieser Willenswelt wie ein Duft
  entsteigenden.

  Ein Vorteil des Ruhmes der Taten ist, daß er in der Regel sogleich
  eintritt mit einer starken Explosion, oft so stark, daß sie in ganz
  Europa gehort wird; wahrend der Ruhm der Werke langsam und allmahlich
  eintritt, erst leise, dann immer lauter, und oft erst nach hundert
  Jahren seine ganze Starke erreicht: dann aber bleibt er, weil die
  Werke bleiben, bisweilen Jahrtausende hindurch. Jener andere hingegen
  wird, nachdem die erste Explosion voruber ist, allmahlich schwacher,
  wenigeren bekannt und immer wenigeren, bis er zuletzt nur noch in der
  Historie ein gespensterhaftes Dasein fuhrt.

Wie selbst der kraftigste Arm, wenn er einen leichten Korper
fortschleudert, ihm doch keine Bewegung erteilen kann, mit der er weit
floge und heftig trafe, sondern derselbe schon in der Nahe matt
niederfallt, weil es ihm an eigenem materiellen Gehalte gefehlt hat,
die fremde Kraft aufzunehmen, -- ebenso ergeht es schonen und großen
Gedanken, ja den Meisterwerken des Genies, wenn, sie aufzunehmen,
keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Kopfe da sind. Dies zu
bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum Chorus
vereint. Z. B. Jesus Sirach sagt, ≫wer mit einem Narren redet, der
redet mit einem Schlafenden. Wenn es aus ist, so spricht er: was
ist's?≪ -- Und Hamlet: _a knavish speech sleeps in a fool's ear_ (eine
schalkhafte Rede schlaft im Ohr eines Narren). Und Goethe:

    Das glucklichste Wort es wird verhohnt,
    Wenn der Horer ein Schiefohr ist.

und wieder:

    Du wirkest nicht, alles bleibt so stumpf,
    Sei guter Dinge!
    Der Stein im Sumpf
    Macht keine Ringe.

Und Lichtenberg: ≫wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es
klingt hohl; ist denn das allemal im Buche?≪ -- und wieder: ≫Solche
Werke sind Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel
heraussehn.≪ Ja, Vater Gellert's gar schone und ruhrende Klage daruber
verdient wohl einmal wieder in Erinnerung gebracht zu werden:

    ≫Daß oft die allerbesten Gaben
    Die wenigsten Bewundrer haben,
    Und daß der großte Teil der Welt
    Das Schlechte fur das Gute halt;
    Dies Ubel sieht man alle Tage.
    Jedoch, wie wehrt man dieser Pest?
    Ich zweifle, daß sich diese Plage
    Aus unsrer Welt verdrangen laßt.
    Ein einzig Mittel ist auf Erden,
    Allein es ist unendlich schwer:
    Die Narren mussen weise werden;
    Und seht! sie werdens nimmermehr.
    Nie kennen sie den Wert der Dinge.
    Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand:
    Sie loben ewig das Geringe,
    Weil sie das Gute nie gekannt.≪

Zu dieser intellektuellen Unfahigkeit der Menschen, infolge welcher
das Vortreffliche, wie Goethe sagt, noch seltener erkannt und
geschatzt, als gefunden wird, gesellt sich nun, hier wie uberall, auch
noch die moralische Schlechtigkeit derselben, und zwar als Neid
auftretend. Durch den Ruhm namlich, den einer erwirbt, wird abermals
einer mehr uber alle seiner Art erhoben: diese werden also um ebenso
viel herabgesetzt, so daß jedes ausgezeichnete Verdienst seinen Ruhm
auf Kosten derer erlangt, die keines haben.


    ≫Wenn wir andern Ehre geben,
    Mussen wir uns selbst entadeln.≪

    *Goethe. W. O. Divan.*

Hieraus erklart es sich, in daß, welcher Gattung auch immer das
Vortreffliche auftreten mag, sogleich die gesamte, so zahlreiche
Mittelmaßigkeit verbundet und verschworen ist, es nicht gelten zu
lassen, ja, wo moglich, es zu ersticken. Ihre heimliche Parole ist: _a
bas le merite_. Aber sogar auch die, welche selbst Verdienste besitzen
und bereits den Ruhm desselben erlangt haben, werden nicht gern das
Auftreten eines neuen Ruhmes sehn, durch dessen Glanz der des ihrigen
um so viel weniger leuchtet. Daher sagt selbst Goethe:

    ≫Hatt' ich gezaudert zu werden,
    Bis man mir's Leben gegonnt,
    Ich ware noch nicht auf Erden,
    Wie ihr begreifen konnt,
    Wenn ihr seht, wie sie sich geberden,
    Die, um etwas zu scheinen,
    Mich gerne mochten verneinen.≪

Wahrend also die *Ehre*, in der Regel, gerechte Richter findet und
kein Neid sie anficht, ja sogar sie jedem zum voraus, auf Kredit,
verliehen wird, muß der *Ruhm*, dem Neid zum Trotz, erkampft werden,
und den Lorbeer teilt ein Tribunal entschieden ungunstiger Richter
aus. Denn die Ehre konnen und wollen wir mit jedem teilen: der Ruhm
wird geschmalert oder erschwert, durch jeden, der ihn erlangt. -- Nun
ferner steht die Schwierigkeit der Erlangung des Ruhmes durch Werke im
umgekehrten Verhaltnis der Menschenzahl, die das Publikum solcher
Werke ausmacht; aus leicht abzusehenden Grunden. Daher ist sie viel
großer bei Werken, welche Belehrung, als bei solchen, welche
Unterhaltung verheißen. Am großten ist sie bei philosophischen Werken;
weil die Belehrung, welche diese versprechen, einerseits ungewiß, und
andrerseits ohne materiellen Nutzen ist; wonach denn solche zunachst
vor einem Publiko auftreten, das aus lauter Mitbewerbern besteht. --
Aus den dargelegten Schwierigkeiten, die der Erlangung des Ruhmes
entgegenstehn, erhellt, daß, wenn die, welche ruhmwurdige Werke
vollenden, es nicht aus Liebe zu diesen selbst und eigener Freude
daran taten, sondern der Aufmunterung durch den Ruhm bedurften, die
Menschheit wenige, oder keine, unsterbliche Werke erhalten haben
wurde. Ja, sogar muß, wer das Gute und Rechte hervorbringen und das
Schlechte vermeiden soll, dem Urteile der Menge und ihrer Wortfuhrer
Trotz bieten, mithin sie verachten. Hierauf beruht die Richtigkeit der
Bemerkung, die besonders *Osorius* (_de gloria_) hervorhebt, daß der
Ruhm vor denen flieht, die ihn suchen, und denen folgt, die ihn vernachlassigen: denn jene bequemen sich dem Geschmacke ihrer Zeitgenossen an, diese trotzen ihm.

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