Goethe und Werther 10
Kurz, er fieng nach einigen Monaten an, einzusehen, daß er zu
seiner Ruhe Gewalt gebrauchen mußte. In einem Augenblicke, da er sich
darüber völlig determinirt hatte, reisete er ohne Abschied davon,
nachdem er schon öfters vergebliche Versuche zur Flucht gemacht hatte.
Er ist zu Franckfurt und wir reden fleissig durch Briefe mit einander.
Bald schrieb er, nunmehr seiner wieder mächtig zu seyn; gleich darauf
fand ich wieder Veränderungen bey ihm. Kürzlich konnte er es doch nicht
lassen, mit einem Freunde, der hier Geschäfte hatte, herüber zu kommen;
er würde vielleicht noch hier seyn, wenn seines Begleiters Geschäfte
nicht in einigen Tagen beendigt worden wären, und dieser gleiche
Bewegungsgründe gehabt hätte, zurückzueilen: denn er folgt seiner
nächsten Idee, und bekümmert sich nicht um die Folgen, und dieses
fließt aus seinem Charakter, der ganz Original ist.
Inzwischen ist auch mein Vater gestorben, welches in seinen Folgen mich
schon mehr mit den traurigen Beschwerden der Menschen bekannt gemacht
hat und vielleicht noch mehr machen wird.
Damit Sie ferner wissen, wie es mit meinen geheimsten Angelegenheiten
steht: Ich bin mit Lottchen in keiner weitern Verbindung, als worin
ein ehrlicher Mann steht, wenn er einem Frauenzimmer den Vorzug vor
allen übrigen giebt, sich mercken lässet, daß er ein gleiches von ihr
wünscht und wenn sie solches thut, dieses nicht nur, sondern auch eine
völlige Resignation von ihr annimmt. Dieses halte ich schon genug, um
einen ehrlichen Mann zu binden, zumal wenn solches einige Jahre durch
dauert. Indessen tritt bey mir noch hinzu, daß Lottchen und ich uns
einander ausdrücklich erklärt haben, und es noch immer mit Vergnügen
thun, ohne jedoch Schwüre oder Betheurungen hinzuzufügen. Auch habe ich
schon längst ihrer seligen Mutter meine Absicht und Wunsch erklärt,
inzwischen nicht verhehlt, daß ich noch Aeltern hätte, und eine
geheime Verbindung nicht meine Absicht sey. Mit dem Vater habe ich
noch nie eine Sylbe darüber gesprochen. Sie verlassen sich auf meine
Ehrlichkeit, desfalls ich in einigem Ruf stehe, und sind ruhig, da
Lottchen bisher noch zu jung und noch zu nöthig war.
Zu Haus habe ich kein Geheimniß aus meinem Umgang, noch aus dem
Vorzuge, den ich Lottchen beylegte, gemacht, und zwar mit solchen
Ausdrücken, daß sie meine Absicht errathen konnten. Man äusserte sich
darüber nicht. Von meinem Vater versprach ich mir keine günstige
Entschliessung und da ohnehin noch nicht Zeit war, ließ ich es dabey
vorerst bewenden. Nachdem ich nun mit der Zeit endlich einmal einen
Ernst daraus machen möchte, und von meiner Mutter mir gutes verspreche,
so habe ich endlich auch meinen Wunsch und Absicht erklärt. Wir stehen
darüber noch in Correspondenz. Es werde mir mancherley Umstände
gemacht, besonders, daß ich zu Hause noch kein bestimmtes _Emploi_
habe, daß Lottchen viele Geschwister und kein Vermögen hat. Ich
habe diese Umstände aber wohl überlegt, und desfalls hinlängliche
Auskunft gegeben; ohnehin wollte ich gegenwärtig nur den Schritt thun,
daß ich Lottchen und ihren Vater wegen meiner Mutter Einwilligung
benachrichtigen könnte. Vor der würklichen Heirath muß ich denn erst
weitere Schritte wegen meines sichern _Emploi_ thun, und was ich
sonst desfalls überlegt habe. Ich hoffe nun bald schriftliche günstige
Erklärung von meiner Mutter; indessen wird sie nicht ganz zufrieden
seyn. Ich habe aber alles wohl überlegt und kann nicht anders. Mit dem
Detail will ich Sie nicht aufhalten. Hätte ich nur erst eine gewisse
Stelle, so sollte sich alles schon geben. Die Visitation scheint noch
einige Zeit fortzudauern, und ich werde aushalten müssen. Man muß
erwarten, was der Himmel fügt.
Leben Sie wohl, mein Bester; Erzählen Sie nur auch bald etwas von Ihnen.
K.
d. 28 Nov. 72.
25.
Goethe an Kestner.
_acc._ Wetzl. 21. Nov. 72.
In Darmstat binn ich, nach Manheim werd ich nicht kommen, eben da wir
abreisen wollten, trat Merken eine Verhinderung dazwischen, wer ein
Amt hat muss leider sein warten. Dass wir nur wieder einmal beysammen
sind, freut uns so, tuht uns so wohl, dass ich allein nicht weiter mag.
Adressiren Sie mir Ihre Briefe grad hierher, und schicken Sie mir doch
die Nachricht von Jerusalems Todte. Ohne Zweifel haben Sie mir schon
nach Frkfurt geschrieben, biss ich das aber her kriege währt so lang.
Ich habe heut früh mit der Flachsland, viel von Lotten und euch geredet
und meinen lieben Bubens. Merck grüsst euch, und sein Weib und Henry.
Grüsst mir sie alle, meine Seele ist oft bey euch, Adieu.
Goethe.
26.
Goethe's Schwester an Kestner.
Samstag den 21. Nov. 72.
Ich habe Ihren Brief meinem Bruder nach Darmstadt geschickt, mein Herr,
dencken Sie nur er ist schon seit am Montag weg, und hat noch kein Wort
von sich hören lassen, ist das nicht zu arg. -- aber so macht er's, Sie
werdens auch schon an ihm gewohnt seyn.
Ehe mein Bruder von hier weggieng hat er mir eifrigst aufgetragen
einige Liedgen vor Ihr liebes Lottchen abzuschreiben, weil es aber
nur ein paar sind, so wollte ich fragen, ob ihr nicht seit der Zeit
etwa noch eins eingefallen wäre, das sie gern haben mögte -- Wenn aber
das nicht ist, so schreiben Sie mir ob sie den Marsch aus den zwey
Geizigen hat, sonst will ich den noch mit beyfügen, die Melodie ist
gar angenehm. Wollen Sie so gütig seyn, mein Herr, und mich dem ganzen
Puffischen Haus empfehlen, aber recht freundschaftlich, und wenn Sie
das recht schön ausrichten, so verspreche ich Ihnen, dass ich auf
einandermahl den Herrn weglassen, und Freund an seine Stelle sezen will.
G.
27.
Goethe's Schwester an Kestner.
Mittwoch den 25. Nov. (1772.)
Lottchen muß mit meiner schlechten Schreiberey vorlieb nehmen, wie ich
die Noten schrieb, dachte ich nicht an die Worte, die drunter kommen
sollten, und da ists denn so ausgefallen, doch hoffe ich dass es
leserlich seyn wird.
Ich danke Ihnen, lieber Freund, für die Nachricht von meinem Bruder,
biss jetzt ist er noch immer stumm gegen uns -- dass Sie nicht
nach Manheim gehen, hat er die vorige Woche Netten zu meinem Trost
geschrieben, weil er versprochen hatte mich mit zu nehmen. Erinnern Sie
sich noch der guten Mädgen, mein Freund, die wir die vergangene Messe
zusammen besuchten, sie lassen sich alle Lottchen und Ihnen empfehlen,
und bitten sehr, dass Sie beyderseits uns doch bald besuchen mögen;
biss dahin aber dencken Sie so offt an uns, als wir an Sie dencken.
G.
28.
Kestners Nachrichten über den Tod Jerusalems.
An Goethe abgesandt im November 1772.[13]
Jerusalem ist die ganze Zeit seines hiesigen Aufenthalts mißvergnügt
gewesen, es sey nun überhaupt wegen der Stelle die er hier bekleidete,
und daß ihm gleich Anfangs (bey Graf Bassenheim) der Zutritt in den
großen Gesellschaften auf eine unangenehme Art versagt worden, oder
insbesondere wegen des Braunschweigischen Gesandten, mit dem er bald
nach seiner Ankunft kundbar heftige Streitigkeiten hatte, die ihm
Verweise vom Hofe zuzogen und noch weitere verdrießliche Folgen für
ihn gehabt haben. Er wünschte längst, und arbeitete daran, von hier
wieder wegzukommen; sein hiesiger Aufenthalt war ihm verhaßt, wie er
oft gegen seine Bekannte geäußert hat, und durch meinen Bedienten,
dem es der seinige oft gesagt, wußte ich dieses längst. Bisher hoffte
er, das hiesige Geschäft sollte sich zerschlagen; da nun seit einiger
Zeit mehrerer Anschein zur Wiedervereinigung war, und man im Publiko
solches schon nahe und gewiß glaubte, ist er, etwa vor 8 Tagen, bey
dem Gesandten Falke (dem er bekannt und von dem Vater empfohlen war)
gewesen, und hat diesen darüber auszuforschen gesucht, der denn,
obgleich keine völlige Gewißheit, doch den Anschein und Hoffnung
bezeuget.
Neben dieser Unzufriedenheit war er auch in des pfältz. Sekret. H...
Frau verliebt. Ich glaube nicht, daß diese zu dergleichen Galanterien
aufgelegt ist, mithin, da der Mann noch dazu sehr eifersüchtig war,
mußte diese Liebe vollends seiner Zufriedenheit und Ruhe den Stoß geben.
Er entzog sich allezeit der menschlichen Gesellschaft und den übrigen
Zeitvertreiben und Zerstreuungen, liebte einsame Spaziergänge im
Mondenscheine, gieng oft viele Meilen weit und hieng da seinem Verdruß
und seiner Liebe ohne Hoffnung nach. Jedes ist schon im Stande die
erfolgte Würkung hervorzubringen. Er hatte sich einst Nachts in einem
Walde verirrt, fand endlich noch Bauern, die ihn zurechtwiesen, und kam
um 2 Uhr zu Haus.
Dabey behielt er seinen ganzen Kummer bey sich, und entdeckte solchen,
oder vielmehr die Ursachen davon, nicht einmahl seinen Freunden. Selbst
dem Kielmansegge hat er nie von der H.... gesagt, wovon ich aber
zuverläßig unterrichtet bin.
Er las viel Romane, und hat selbst gesagt, daß kaum ein Roman seyn
würde, den er nicht gelesen hätte. Die fürchterlichsten Trauerspiele
waren ihm die liebsten. Er las ferner philosophische Schriftsteller
mit großem Eyfer und grübelte darüber. Er hat auch verschiedene
philosophische Aufsäze gemacht, die Kielmansegge gelesen und sehr
von anderen Meinungen abweichend gefunden hat; unter andern auch
einen besondern Aufsatz, worin er den Selbstmord vertheidigte. Oft
beklagte er sich gegen Kielmansegge über die engen Gränzen, welche
dem menschlichen Verstande gesetzt wären, wenigstens dem Seinigen;
er konnte äußerst betrübt werden, wenn er davon sprach, was er wißen
möchte, was er nicht ergründen könne &c. (Diesen Umstand habe ich erst
kürzlich erfahren und ist, deucht mir, der Schlüssel eines großen
Theils seines Verdrusses, und seiner Melancholie, die man beyde aus
seinen Mienen lesen konnte; ein Umstand der ihm Ehre macht und seine
letzte Handlung bei mir zu veredlen scheint.) Mendelsohns Phädon war
seine liebste Lectüre; in der Materie vom Selbstmorde war er aber immer
mit ihm unzufrieden; wobey zu bemerken ist, daß er denselben auch bey der Gewißheit von der Unsterblichkeit der Seele, die er glaubte,erlaubt hielt. Leibnitzen's Werke las er mit großem Fleiße.
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