2015년 5월 10일 일요일

Goethe und Werther 9

Goethe und Werther 9



Küssen Sie Ihr liebes Lottchen von meinetwegen, und sagen Sie ihr dass
ich sie von ganzem Herzen liebe.
 
S. Goethe.
 
 
21.
 
Goethe an Kestner.
 
 
_acc._ 12. Nov. 72. Wetzl. (Friedberg d. 10. Nov. 72.)
 
Ich binn der rechte. Ausgeschickt auf eine Local Commission, phantasir
ich übers Vergangene und zukünftige. Gestern Abend war ich noch bey
euch und ietzo sitz ich im leidigen Friedberg und harre auf einen
Steindecker, mit dem ich die Reparatur meines verwünschten Schlosses
akkordiren will. Der Weg hierher ward mir sehr kurz, wie ihr denken
könnt, und wie ich heut vom Cronprinzen hinauffuhr, und ich die
Deutschhaus Mauern sah, und den Weeg den ich so hundertmal, und es dann
rechts ein in die Schmidtgasse lenckte. Ich wollte ich hätte gestern
Abend förmlich Abschied genommen, es war eben so viel und ich kam um
einen Kuß zu kurz, den sie mir nicht hätte versagen können. Fast wär
ich heute früh noch hingegangen, S. hielt mich ab, dafür spiel ich ihm
nächstens einen Streich, denn ich will doch nicht allein leiden. Gewiß
Kestner, es war Zeit dass ich gieng. Gestern Abend hatt ich rechte
hängerliche und hängenswerthe Gedanken auf dem Canapee -- --
 
Der Steindecker war da und ich binn so weit als vorher, und es ist ein
Packet von meinem Vater ankommen darnach ich geschickt habe, das mag
auch erbaulichs Zeug enthalten. Indessen binn ich doch wieder bey euch
gewesen, und meine Seele ist noch bey euch und bey meinen Kleinen. Wenn
der Mensch geboren wäre reine Freuden zu geniessen. --
 
Der Brief meines Vaters ist da, lieber Gott wenn ich einmal alt werde,
soll ich dann auch so werden. Soll meine Seele nicht mehr hängen an dem
was liebenswerth und gut ist. Sonderbar, dass da man glauben sollte
ie älter der Mensch wird, desto freyer er werden sollte, von dem was
irrdisch und klein ist. Er wird immer irrdischer und kleiner. -- Sie
sehen ich binn schön im Train zu radotiren, aber Gott weis es ist
nichts anders als mich mit Ihnen zu beschäfftigen und zu vergessen,
wer, wo, und was ich binn.
 
Schlosser kommt eben von einer Ambassade wieder, die Liebe giebt ihm
die Protocolle ein, er _inquirirte_ in die innersten Höllenwinkel,
inzwischen bleibt alles wies ist, und wir richten mit laufen und
treiben grade so viel aus, dass wir einer ansehnlichen Visitations
Deputation nicht den Rang ablaufen.
 
Und wenn ich wieder denke wie ich von Wetzlar zurückkomme, so ganz
über meine Hoffnung Liebempfangen geworden zu seyn; binn ich viel
ruhig. Ich gestehs Ihnen es war mir halb angst, denn das Unglück ist
mir schon oft wiederfahren. Ich kam mit ganzem, vollem, warmem Herzen,
lieber Kestner da ists ein Höllenschmerz wenn man nicht empfangen wird
wie man kommt. Aber so -- Gott geb euch ein ganzes Leben wie mir die
paar Tage waren.
 
Das Essen kommt, und Gute Nacht.
 
Noch einmal gute Nacht. Empfelen sie mich dem alten lieben Papa, und
meinen Buben. Lotten erinnern Sie im Conzert an mich auch Dortelgen.
Noch etwas. Lotte hat ein Meubel das ihr zu gros ist. Ich hab sie
gebeten mir zu erlauben es in ein kleineres zu vertauschen schicken Sie
mirs doch wohl eingepackt auf der fahrenden.[11]
 
 
22.
 
Goethe an Kestner.
 
 
_acc._ 14. Nov. 72. Wetzl. von Frankfurt.
 
Da ist deutsche Baukunst für Kielmannseggen und Sie.
 
Habt Ihr im Conzert meiner gedacht und wie gehts euch.
 
Von Friedberg haben Sie doch den erbaulichen Brief kriegt, ich schrieb
ihn um meine Seele zu beschäfftigen, die sonst ungebärdig werden
wollte. Von da binn ich nach Homburg, und habe wieder das Leben Lieb
gewonnen, da das erscheinen solch eines Elenden, so trefflichen
Geschöpfen Freude machen kann.
 
Adieu, ich ruhe hier aus, auf den Montag nach Darmstadt, den Mittwoch
nach Mannheim. Wo ich die Freude hoffe mit der Frl. Baschle von Lotten
zu schwäzen.
 
 
23.
 
Goethe an Kestner.
 
 
_acc._ 15. Nov. 72. Wetzl.
 
Euren lieben Andenkenvollen Brief hab ich heute kriegt, und muss nur
wenigstens euch dagegen sagen wie viel michs freut, und wie lieb ich
euch habe.
 
Lotte weis wohl dass sie sagen darf was sie will, ich armer Teufel binn
immer im höchsten desavantage, demohngeachtet ist sie Lotte, und es
bleibt beym alten.
 
Da ist ein Exempl. Baukunst für Falken. Wie stehts mit meinen
Köpfen.[12] Treiben Sies ia. Wollten Sie wohl Wandrern sagen, ich habe
mich nach Zwiefeln erkundigt, da mich die Liebhaber versichert es seye
zu spät, müsse man im September sich drum umthun, die guten seyen all
ausgelesen. Demohngeachtet hab ich zum Italiäner geschickt der mir aber
sagen lassen, es seyn keine mehr vorhanden. denn um diese Zeit, treiben
sie schon.
 
 
24.
 
Kestner an v. Hennings.
 
 
Wetzlar d. 18 November 1772.
 
Was denken Sie wohl von mir, lieber Hennings, das möchte ich diesen
Augenblick gleich wissen. Ich will zwar keine Entschuldigungen machen,
aber etwas das eben so viel ist, muß ich doch sagen.
 
Gerade den Abend vorher, als ich Ihren lieben letzten Brief bekam,
sagte mir Lottchen, ich möchte doch wieder einmal an Sie schreiben,
weil ich lange nichts von Ihnen gehört hätte, und ich hatte wirklich
lange vor dieser Erinnerung schon zu einem recht langen Brief
geschritten, und ihn schon angefangen. Da ich Ihnen aber in demselben
einige merkwürdige Begebenheiten, welche seit ein paar Jahren nahe um
mich vorgegangen waren, ausführlich erzählen wollte, und ich darin oft
unterbrochen wurde, so wollte ich nur das Neueste davon erzählen. Dieß
fing ich wiederum so weitläuftig an, daß ich auch damit so bald fertig
zu werden nicht hoffen darf; daher will ich meinen Plan ändern und
Ihnen davon nur das Hauptsächlichste (wie in Summarien) erzählen, um
die Communication zwischen uns einmal wieder zu eröffnen.
 
Sie wollen mehr von meinem Mädchen hören, und ich schreibe Ihnen nur
gar zu gerne davon, und habe Ihnen so viel davon zu sagen. Mein Mädchen
ist mir von Jahren zu Jahren immer werther geworden. Ich brachte mit
ihr und ihrer Mutter die Stunden, die ich dazu anwenden konnte, bis
vor zwey Jahren recht glücklich und vergnügt zu. Wie und auf was Art,
erzählte ich Ihnen gern, wenn es nicht zu weitläuftig wäre. Diesen
Herbst vor zwey Jahren aber empfing unsere Ruhe einen empfindlichen
Stoß. Die beste Mutter, die je gelebt, und wie sie die Phantasie nur
schildern mag, ward krank und starb. Ich glaube ich habe es Ihnen
noch nicht geschrieben. Aber eines Theils war ich es bisher nicht
im Stande, theils wollte ich es Ihnen mit allen Umständen, die sehr
merkwürdig sind, erzählen. Dießmal bemerke ich nur was dieser Tod auf
Lottchen für einen Einfluß geübt hat. Sie empfand diesen Verlust in
seiner ganzen Schwere. Er milderte auch ihre Munterkeit sehr und mußte
es durch die Folge noch mehr thun; denn auf sie fiel das Loos, ihrer
Mutter Stelle bey den Geschwistern zu ersetzen: natürlicher Weise eine
wichtige Veränderung. Sie war erst 18 Jahre alt, und hat eine ältere
Schwester, die niemals die Rechte der Erstgeburt vergab; allein daß
Lottchen nur ihrer Mutter Stelle vertreten konnte, war so ausgemacht
und so unzweifelhaft, daß nicht nur der Vater, sondern auch die ältere
Schwester, und noch mehr die jüngern Geschwister, auch das Gesinde, ja
die Fremden, stillschweigend und ohne Abrede, durch eine innerliche
Ueberzeugung unbewußt getrieben, darin übereinstimmten. Und sie
selbst fühlte ihre Bestimmung so sehr, daß sie das Amt von dem ersten
Augenblick an übernahm, und mit einer solchen Zuverlässigkeit führte,
als wenn eine förmliche Uebertragung, bey ihr aber ein überlegter
Entschluß vorausgegangen und sie dazu von jeher bestimmt sey. An sie
wandte sich alles, auf ihr Wort geschah alles, und jedes folgte ihrer
Anordnung, ja ihrem Wink; und was das vornehmste war, es schien als
wenn die Weisheit ihrer Mutter ihr zum Erbtheil geworden wäre. Bis
diese Stunde hat sich solches erhalten; Sie ist die Stütze der Familie,
die Liebe, die Achtung derer, die dazu gehören, und das Augenmerk
derer, welche dahin kommen. -- Ich sage Ihnen, es ist ein halbes
Wunderwerk, ohngeachtet weder sie selbst, noch die Familie, es merkt,
und jedes meynt es müßte so seyn.
 
Sie können denken wie diese Begebenheit bey mir ihren Werth vergrößert
hat; und wenn ich vorher noch ihretwegen unentschlossen gewesen wäre,
so hätte mich dieses, ohne den mindesten Zweifel übrig zu lassen,
völlig entscheiden müssen; denn was vorhin meistens nur Hoffnung, nur
Wahrscheinlichkeit, nur Keim, nur Anlage war, das ist jetzt sichtbare,
unläugbare Gewißheit, das ist jetzt die reife Frucht und vollendete
Vollkommenheit. Sie verstehen mich auch, wenn ich sage, daß diese
Situation ihr nicht nur die Vollendung gegeben, sondern sie auch darin
erhält, und sie vor den Abwegen bewahrt, wohin die Mädchen nur leicht
gerathen, wenn sie Muße genug haben, in dem Putz, in dem zu vielen
Bücherlesen, und in den anderen vermeyntlichen Vollkommenheiten, ihre
Vorzüge zu suchen. Ein Mensch, deßen Urtheil von Erheblichkeit ist,
gestand diesen Sommer, er hätte noch kein Frauenzimmer gefunden, daß so
von den gewöhnlichen weiblichen Schwachheiten frey wäre &c. Wenn ich
vor Ende dieses Briefes die Schilderung bekomme, welche er von Lottchen
gemacht hat, will ich sie noch hersetzen.
 
Ob nun gleich die Last, welche in dieser Situation auf ihr ruht, wie
leicht zu begreifen ist, leicht hindern könnte, daß ihr Werth dem
nicht scharfsinnigen Auge verborgen bliebe, da sie nicht eigentlich
eine sogenannte glänzende _Beauté_ ist, nach dem gemeinen Sinne;
mir ist sie's; so bleibt sie doch immer das bezaubernde Mädchen, das
Schaaren von Anbetern haben könnte, alte und junge, ernsthafte und
lustige, Kluge und Dumme &c.
 
Sie weiß aber halb zu überzeugen, daß sie entweder in der Flucht oder
in der Freundschaft ihr einziges Heil suchen müssen. Eines von diesen,
als des merkwürdigsten, will ich doch erwähnen, weil er auf uns einen
Einfluß behalten. Ein junger Mensch an Jahren (23), aber in Kenntnissen
und Entwicklung seiner Seelenkräfte und seines Charakters schon ein
Mann; ein ausserordentliches Genie und ein Mensch von Charakter, war
hier, wie seine Familie glaubte, der Reichs-Praxis wegen, in der That
aber um der Natur und der Wahrheit nachzuschleichen, und den Homer
und Pindar zu studiren. Er hat nicht nöthig des Unterhaltes wegen zu
studiren. Ganz von ohngefähr, nach langer Zeit seines Hierseyns, lernte
er Lottchen kennen, und in ihr sein Ideal von einem vortrefflichen
Mädchen; er sah sie in ihrer fröhlichen Gestalt, ward aber bald
gewahr, daß dieses nicht ihre vorzüglichste Seite war; er lernte sie
auch in ihrer häuslichen Situation kennen, und ward, mit einem Wort,
ihr Verehrer. Es konnte ihm nicht lange unbekannt bleiben, daß sie
ihm nichts als Freundschaft geben konnte, und ihr Betragen gegen ihn
gab wiederum ein Muster ab. Dieser gleiche Geschmack, und da wir uns
näher kennen lernten, knüpfte zwischen ihm und mir das festeste Band
der Freundschaft, so daß er bey mir gleich auf meinen lieben Hennings
folgt. Indessen, ob er gleich in Ansehung Lottchens alle Hoffnung
aufgeben mußte, und auch aufgab, so konnte er, mit aller Philosophie
und seinem natürlichen Stolze, so viel nicht über sich erhalten, daß er
seine Neigung ganz bezwungen hätte. Und hat er solche Eigenschaften,
die ihn einem Frauenzimmer, zumal einem empfindenden und das von
Geschmack ist, gefährlich machen können: Allein Lottchen wußte ihn so
zu behandeln, daß keine Hoffnung bey ihm aufkeimen konnte, und er sie,
in ihrer Art zu verfahren, noch selbst bewundern mußte. Seine Ruhe litt
sehr dabey; es gab mancherley merkwürdige Scenen, wobey Lottchen bey
mir gewann, und er mir als Freund auch werther werden mußte, ich aber
doch manchmal bey mir erstaunen mußte, wie die Liebe so gar wunderliche
Geschöpfe selbst aus den stärcksten und sonst für sich selbstständigen
Menschen machen kann. Meistens dauerte er mich und es entstanden bey
mir innerliche Kämpfe, da ich auf der einen Seite dachte, ich möchte
nicht im Stande seyn, Lottchen so glücklich zu machen, als er, auf
der andern Seite aber den Gedanken nicht ausstehen konnte, sie zu
verlieren. Letzteres gewann die Oberhand, und an Lottchen habe ich
nicht einmal eine Ahndung von dergleichen Betrachtungen bemerken können.

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