Goethe und Werther 13
Hier will man euch vieles Wohl, und ist wohl, und gut, auf Menschen
Art, nicht mehr und weniger, als recht gute Menschen Art.
Adieu. Hört nicht auf so lang ihr mich liebt, mich offt zu euch zu
versezen, das auf ein Blätgen Papier und Federgekrize ankommt das ihr
doch offt um Leidiger Reichs Mängel schwadroniren müsst. Adieu.
Von nun an lieber Freund ihre Briefe nach Franckfurt.
34.
Goethe an Kestner.
_acc._ Wetzl. 13. Dec. 1772.
Das ist trefflich, ich wollte eben fragen ist Lenchen da, und ihr
schreibt mir sie ists. Wär ich nur drüben, ich wollt eure Discurse zu
nichte machen, und Schneidern das Leben sauer, ich glaube ich würde sie
lieber haben als Lotten. Nach dem Portrait ist sie ein liebenswürdiges
Mädgen, viel besser als Lotte, wenn nicht eben iust das -- Und ich binn
frey, und liebebedürftig. Ich muss sehen zu kommen, doch das wäre auch
nichts.
Da binn ich wieder in Franckfurt gehe mit neuen Plans um und Grillen,
das ich all nicht tuhn würde hätt ich ein Mädgen.
Adieu, schreibt mir bald wieder da habt ihr 3 Baukunst. Gebt doch die
andern guten Leuten, Schneidern z. Ex. und grüsst ihn.
35.
Goethe an Kestner.
_acc._ Wetzl. d. 16. Dec 72.
Gestern Abend lieber Kestner unterhielt ich mich eine Stunde mit Lotten
und euch in der Dämmerung darüber wards Nacht, ich wollte zur tühr
hinaustappen, und kam einen Schritt zu weit nach rechts, tappte Papier
-- es war Lottens Silhouette, es war doch eine angenehme Empfindung,
ich gab ihr den besten Abend und ging.
Eben fiel mirs auch ein sie soll mir das Meubel nun schicken, lieber
Kestner sorgt mir dafür dass sies euch giebt, und packt mirs wohl in
eine Schachtel, und lasst sie ein Papiergen schneiden, wie gros er
seyn soll, lasst ihr keine Ruhe ich schreib euch keine Sylbe bis ich
den Kamm habe. Denn wir sind arme sinnliche Menschen, ich möchte gern
wieder was für sie, was von ihr in den Händen haben ein sinnliches
Zeichen wodurch die geistliche unsichtbaare Gnadengüter &c. wies im
Cathechismus klingt.
Euer Brief macht mir viel Freude, lieber Kestner schickt mir eine
Silhouette im grosen von Lenchen, ich habe sie recht lieb. Verderbt mir
das Mädgen nicht. Seit ich von Darmstadt wieder hier binn, binn ich
ziemlichen Humors, und arbeite brav. Abenteuerlich wie immer, und mag
herauskommen was kann. _NB._ mit Ende dieses Jahrs hören wir samt
und sonders auf die Zeitung zu schreiben, dann wirds ein recht honettes
Stück Arbeit geben. Macht das bekannt soweit eure Leute an uns teil
nehmen.
Dass Lotte jemand lieber hat als mich ausser euch, das sagt ihr könnte
mir einerley seyn, der Zweyte oder der Zwanzigste ist eins. Der erste
hat immer 99 Theil vom ganzen, und ob dann einer das hundertste Teil
allein hat oder mit zwanzigen Teilt ist ziemlich eins, und dass ich sie
so lieb habe ist von ieher uneigennützig gewesen.
Grüst mir Carolinen recht viel.
Klinkern hab ich nicht gesehn, aber viel mehr guts davon gehört als
der Frkfurter Rezensent davon sagt. Eure Briefe kommen nicht in fall
verbrannt zu werden. Ich habe schon dran gedacht. Aber zurück kriegt
ihr sie auch nicht. Wenn ich sterbe will ich sie euch vermachen.
Wenn Lotte eine recht gute Stunde hat grüsst sie von mir, der ich euch
von Herzen liebe.
Goethe
Das Exemplar von der Lettre _sur l'homme_ kostet 30 kr.
36.
Goethe an Kestner.
Lieber Kestner euer Brief traf mich eben als ich eine Rolle versiegelte
die ihr mit Morgen fahrender Post kriegt. Es ist Tamis für meine zween
kleine Buben zu Wamms und Pumphosen, sonst Matelot genanndt. Lassts
ihnen den Abend vor Cristag bescheeren, wie sichs gehört. Stellt ihnen
ein Wachsstöckgen dazu und küsst sie von mir. Und Lotten den Engel.
Adieu lieber Kestner euer Brief hat mir himmlische Freude gemacht. Ich
hab auch heut einen von Versailles vom Bruder Lersen. Grüsst mir sie
alle und habt mich lieb. Adieu.
37.
Goethe an Kestner.
_acc._ Wetzl. d. 26. Dec. 72.
Cristtag früh. Es ist noch Nacht lieber Kestner, ich binn aufgestanden
um bey Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme
Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen
lassen den Festtag zu ehren und will euch schreiben biss es Tag ist.
Der Türner hat sein Lied schon geblasen ich wachte drüber auf. Gelobet
seyst du Jesu Crist. Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder
die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht mich vollends
vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete
für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen und da ist mir fürs
enden nicht Angst. Gestern Nacht versprach ich schon meinen lieben zwey
Schattengesichtern euch zu schreiben, sie schweben um mein Bett wie
Engel Gottes. Ich hatte gleich bey meiner Ankunft Lottens Silhouette
angesteckt, wie ich in Darmstadt war stellen sie mein Bett herein und
siehe Lottens Bild steht zu Häupten das freute mich sehr, Lenchen
hat jetzt die andere Seite ich dank euch Kestner für das liebe Bild,
es stimmt weit mehr mit dem überein was ihr mir von ihr schreibt als
alles was ich imaginirt hatte; so ist es nichts mit uns die wir rathen
phantasiren und weissagen. Der Türner hat sich wieder zu mir gekehrt,
der Nordwind bring mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster.
Gestern lieber Kestner war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande,
unsre Lustbarkeit war sehr laut und Geschrey und Gelächter von Anfang
zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde, doch was
können die heiligen Götter nicht wenden wenns Ihnen beliebt, sie gaben
mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getrunken, mein Aug war
ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend als wir zurückgingen
es ward Nacht. Nun muss ich dir sagen das ist immer eine Sympatie für
meine seele wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen
herauf nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, und nur noch ein
dämmernder Kreis vom abend heraufleuchtet. Seht Kestner wo das Land
flach ist ists das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer
Stunden lang so ihr zu gesehn hinab dämmern auf meinen Wandrungen.
Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beyden Seiten,
der Still leuchtende Horizont, der Widerschein im Fluss machte einen
köstlichen Eindruck in meine Seele den ich mit beyden Armen umfasste.
Ich lief zu den Gerocks lies mir Bleystifft geben und Papier, und
zeichnete zu meiner grossen Freude, das ganze Bild so dämmernd warm
als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber
empfanden alles was ich gemacht hatte und da war ichs erst gewiss,
ich bot ihnen an drum zu würfeln, sie schlugens aus und wollen ich
solls Mercken schicken. Nun hängts hier an meiner Wand, und freut mich
heute wie gestern. Wir hatten einen schönen Abend zusammen wie Leute
denen das Glück ein großes Geschenck gemacht hat, und ich schlief ein
den heiligen im Himmel dankend, dass sie uns Kinderfreude zum Crist
bescheeren wollen. Als ich über den Markt ging und die vielen Lichter
und Spielsachen sah dacht ich an euch und meine Bubens wie ihr ihnen
kommen würdet, diesen Augenblick ein Himlischer Bote mit dem blauen
Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätt ich bey
euch seyn können ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminiren,
dass es in den kleinen Köpfen ein Wiederschein der Herrlichkeit des
Himmels geglänzt hätte. Die Tohrschließer kommen vom Bürgermeister,
und rasseln mit Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über
des Nachbaars Haus und die Glocken lauten eine Cristliche Gemeinde
zusammen. Wohl ich binn erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich
lang nicht so lieb hatte als ietzt. Sie ist mit den glücklichsten
Bildern ausgeziert die mir freundlichen guten Morgen sagen. Sieben
Köpfe nach Raphael, eingegeben vom lebendigen Geiste, einen davon hab
ich nachgezeichnet und binn zufrieden mit ob gleich nicht so froh. Aber
meine lieben Mädgen. Lotte ist auch da und Lenchen auch. Sagen Sie
Lenchen ich wünschte so sehnlich zu kommen und ihr die Hände zu küssen
als der Musier der so herzinnigliche Briefe schreibt. Das ist gar ein
armseliger Herre. Ich wollte meiner Tochter ein Deckbette mit solchen
Billetdous füttern und füllen, und sie sollte so ruhig drunter schlafen
wie ein Kind. Meine Schwester hat herzlich gelacht, sie hat von ihrer
Jugend her auch noch dergleichen. Was ein mädgen ist von gutem Gefühl
müssen dergleichen Sachen zuwieder seyn wie ein stinckig Ey. Der Kamm
ist vertauscht, nicht so schön an Farb und Gestalt als der erste, hoffe
doch brauchbaarer. Lotte hat ein klein Köpfgen, aber es ist ein Köpfgen.
Der Tag kömmt mit Macht, wenn das Glück so schnell im avanziren ist, so
machen wir balde Hochzeit. Noch eine Seite muss ich schreiben so lang
tuh ich als säh ichs Tageslicht nicht.
Grüst mir Kielmanseg. Er soll mich lieb behalten.
Der ....kerl in Giessen der sich um uns bekümmert wie das Mütterlein im
Evangelio um den verlohrnen Groschen, und überall nach uns leuchtet
und stöbert, dessen Nahme keinen Brief verunzieren müße in dem Lottens
Nahme steht und eurer. Der Kerl ärgert sich dass wir nicht nach ihm
sehn, und sucht uns zu necken dass wir seyn gedenken. Er hat um meine
Baukunst, geschrieben und gefragt so hastig, dass man ihm ansah das ist
gefunden Fressen für seinen Zahn. hat auch flugs in die Frankfurter
Zeitung eine Rezension gesudelt von der man mir erzält hat. Als ein
wahrer Esel frisst er die Disteln die um meinen Garten wachsen nagt an
der Hecke die ihn vor solchen Tieren verzäunt und schreit denn sein
Critisches J! a! ob er nicht etwa dem Herrn in seiner Laube bedeuten
möchte: ich binn auch da.
Nun Adieu, es ist hell Licht. Gott sey bey euch, wie ich bey euch
binn. Der Tag ist festlich angefangen. Leider muss ich nun die schönen
Stunden mit Rezensiren verderben ich tuhs aber mit gutem Muth denn es
ist fürs letzte Blat.
Lebt wohl und denkt an mich das seltsame Mittelding zwischen dem
reichen Mann und dem armen Lazarus.Grüßt mir die Lieben alle. Und lasst von euch hören.
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