Goethe und Werther 17
Goethe an Kestner.
Ich habe, lieber K. im letzten Pack vergessen euch die Anhänge zu
schicken. Nr. 6 ist nie gedruckt worden aus Versehen. Lebt wohl und
liebt mich und schreibt mir wies euch geht unterwegs und eurem Engel.
Adieu Falkens _Mscpt._ schick ich euch nach, Entschuldigt mich
doch.
65.
Goethe an Kestner.
_acc._ d. 12. Apr. 73. Wetzl.
Da tuht ihr wohl Kestner dass ihr mich beym Wort nehmt! O den
trefflichen Menschen! »Ihr wollt ia nichts mehr von uns wissen.« Gar
schön! Ich wollte freylich nichts von euch wissen, weil ich wusste ihr
würdet mir nicht schreiben mögen. Sonst feiner Herr war der Tag eurem
Fürsten der Abend, eurer Lotte, und die Nacht für mich und meinen
Bruder Schlaff. Die Nacht fließt nun in den Abend und der arme Goethe
behilft sich wie immer. Es stände euch wohl zu Gesichte -- Doch das
will ich nicht sagen, ich würde mich zum Teufel geben, wenn ich euch
erst darauf bringen sollte. Also Hr. Kestner und Madam Kestner Gute
Nacht.
Ich würde auch hier geschlossen haben wenn ich was besseres im Bett
erwartete als meinen lieben Bruder. Sieh doch mein Bett da, so steril
stehts wie ein Sandfeld. Und ich habe heut einen Schönen Tag gehabt
so schön dass mir Arbeit und Freude und Streben und Geniessen zusammen
flossen. Dass auch am schönen hohen Sternen Abend ganz mein Herz voll
war von wunderbaren Augenblick da ich zu'n Füßen eurer an Lottens
Garnirung spielte, und ach mit einem Herzen, das auch ~das~ nicht
mehr genießen sollte, von drüben sprach, und nicht die Wolken, nur die
Berge meinte. Von der Lotte wegzugehn. Ich begreifs noch nicht wies
möglich war. Denn seht nur seid kein Stock. Wer nun, oder vorher, oder
nachher zu euch sagte geht weg von Lotten -- Nun was würdet ihr --? Das
ist keine Frage -- Nun ich bin auch kein Stock, und binn gegangen, und
sagt ists Heldentaht oder was. Ich binn mit mir zufrieden und nicht. Es
kostete mich wenig, und doch begreif ich nicht wies möglich war. -- Da
liegt der Haas in Pfeffer. --
Wir redeten wies drüben aussäh über den Wolken, das weis ich zwar
nicht, das weis ich aber, dass unser Herr Gott ein sehr kaltblütiger
Mann seyn muss der euch die Lotte lässt. Wenn ich sterbe und habe
droben was zu sagen ich hohl sie euch warrlich. Drum betet fein für
mein Leben und Gesundheit, Waden und Bauch &c. und sterb ich so
versöhnt meine Seele mit Trähnen, Opfer, und dergleichen sonst Kestner
siehts schief aus.
Ich weis nicht darum ich Narr so viel schreibe. eben um die Zeit da
ihr bey eurer Lotte gewiß nicht an mich denkt. Doch bescheid ich mich
gern nach dem Gesez der Antipatie. Da wir die Liebenden, fliehen, und
die Fliehenden lieben.
66.
Goethe an Kestner.
_acc._ d. 12. Apr. 73.
Den Brief von gestern Abend hab ich gleich zugemacht also auf euer Pro
_Mem._
1) Die Zugabe braucht wie es euch beliebt.[22] Wenn ihr die Zeitungen
wollt binden lassen was soll das Sauzeug Reichswesen dabey. es war
express so eingericht daß man sie wegschmeissen sollt. Auch wird der
Band zu dick. Doch will ich fragen nach den Nummern.
2) Will der Hr. v. Hille einen Merkur für sich allein? und wie stehts
mit Falcken, nimmt der jetzo das Exemplar allein was ihr mit teilen
wolltet?
3) die _Plays_ sind in meinen händen. Heute ists so ein schöner
tag dass ich möchte mit euch spazieren gehn. Adieu grüsst Hansen.
67.
Goethe an Kestner.
_acc._ W. 16. Apr. 73.
Mittwochs. Ich habe Annchen gestern verfehlt, und will ietzo hingehen,
ich fürchtet halb ihr mögtets seyn und mich anführen. denn ich geh
morgen nach Darmstadt, und da wär überall leid gewesen. Eure Plays
kriegt Anngen mit. Auch an Hansen ein Paquet. Ich habe noch den
~Pränumerations Schein~ auf die Biblischen Kupfer, ich will ihn
behalten, und wenn sie herauskommen disponirt drüber. Anngen bringt
euch auch fl. 2: 30 Kr. von der Karoline wieder. Der grose kostete
einen Dukaten, der kleine 3 fl. 30. Auch euren Ring. Lottens Granatring
will ich behalten ich hab ihr ihn so Tausendmal am Finger gesehn und am
Finger geküsst er soll unter meinen Bijous liegen biss ich ein Mädgen
habe die soll ihn tragen. Grüsst mir euren Engel und Lengen lieb, und
schreibt wegen des Merkurs an meine Schwester, die euch grüsst.
Anngen ist lieb und brav, hat mir Lottens Brautstraus mitgebracht
wohl conservirt, und ich hab ihn heut vorstecken. Ich höre Lotte soll
noch schöner lieber und besser seyn als sonst, und dass ihr nicht mit
kommen seyd, ist auf alle Art nicht hübsch. Grüsst mir Lengen und
ihre Freundinn Dorthel, Anne hat mir alles erzählt, wie sie beysammen
schlafen, und in Alles nur nicht in die Liebhaber teilen, wie der
_quasi_ Hofrath fortfährt ein Esel zu seyn &c. Alles erzählt und
ich mich ergötze zu hören von euch, gleich wie ich Johannistrauben zu
pflücken und Quetschen zu schütteln mir ehedessen wünschte heute morgen
übermorgen und mein ganzes Leben.[23] Grüßt Schneidern wenn er mein
denkt, und Kielmansegg. _Pottocelli_ hat mir gestern in der Messe
einen Grus von ihm bracht. Wir haben einen Teufels Reuter hier, und
Comödien und Schatten und Puppenspiel, das könnt ihr Lotte sagen hätt
ich ihr all gewiesen wenn sie kommen wäre, nun aber -- wärs auch gut --
Schattenspiel Puppenspiel.
68.
Goethe an Kestner.
_acc._ W. 16. Apr. 73.
Nun will ich nichts weiter lieber Kestner, das wars was ich wünschte,
was ich nicht verlangen wollte, denn den Geschencken der Liebe giebt
die Freywilligkeit all den Werth, ihr solltet mir aus dem Schoose eures
Glücks an der Seite von Eurer Lotte, die ich euch, vor tausend andern
gönne, wie all das Gute was mir die Götter versagen. Aber dass ihr,
weil euch das Glück die Karten gemischt hat, mit der Spadille stecht,
mir ein höhnisch gesicht zieht, und euch zu eurem Weibe legt find
ich unartig, ihr sollt euch darüber bey Lotten verklagen und sie mag
entscheiden.
Mich einen Neider und Nexer zu heissen, und dergleichen mehr, das ist
all nur seit ihr verheurathet seyd. Meine Grillen lieber müssen nun so
drein gehen. Ich war mit Anngen in der Comödie. Es ist gut dass ich
morgen nach Darmstadt gehe, ich verliebte mich warrlich in sie. Ihre
Gegenwart hat alles Andencken an euch wieder aufbrausen gemacht, mein
ganzes Leben unter euch, ihr wollt alles erzählen biss auf die Kleider
und Stellungen so lebhaft, sie mag euch sagen was sie kann. O Kestner,
wenn hab ich euch Lotten missgönnt im menschlichen Sinn, denn um sie
euch nicht zu missgönnen im heiligen Sinn, müsst ich ein Engel seyn
ohne Lung und Leber. Doch muss ich euch ein Geheimniss entdecken. Dass
ihr erkennet und schauet. Wie ich mich an Lotten _attachirte_ und
das war ich wie ihr wisst von Herzen, redete Born mit mir davon, ~wie
man spricht~. »Wenn ich K. wäre, mir gefiels nicht. Worauf kann das
hinausgehn? Du spannst sie ihm wohl gar ab?« und dergleichen. Da sagt
ich ihm, Mit diesen Worten in seiner Stube, es war des Morgens: »Ich
binn nun der Narr das Mädchen für was besonders zu halten, betrügt
sie mich, und wäre so wie ordinair, und hätte den K. zum Fond ihrer
Handlung um desto sicherer mit ihren Reizen zu wuchern, der erste
Augenblick der mir das entdeckte, der erste der sie mir näher brächte,
wäre der letzte unsrer Bekanntschafft,« und das beteuert ich und
schwur. Und unter uns ohne Pralerey ich verstehe mich einigermassen auf
die Mädgen, und ihr wißt wie ich geblieben binn, und bleibe für Sie und
alles was sie gesehen angerührt und wo sie gewesen ist, biss an der
Welt Ende. Und nun seht wie fern ich neidisch binn und es seyn muß.
Denn entweder ich binn ein Narr, das schweer zu glauben fällt, oder
sie ist die feinste Betrügerinn, oder denn -- Lotte, eben die Lotte von
der die Rede ist. --
Ich gehe morgen zu Fuss nach Darmstadt und hab auf meinem Hut die Reste
ihres Brautstrausses. Adieu. Es tuht mir leid von Anngen zu gehen, was
würds von euch seyn es ist besser so, nur dass ich ihr Portrait nicht
gemacht habe, ärgert mich. Aber es ist ein Herz und Sinn lebendig.
Adieu. Ich habe nichts als ein Herz voll Wünsche. Gute Nacht Lotte.
Anngen sagte heut ich hätte den Namen ~Lotte~ immer so schön
ausgesprochen. ~Ausgesprochen~! dacht ich!
69.
Goethe an Kestner.
_acc._ W. 23. Apr. 73. Darmst.
Dank euch Kestner für eure zwey liebe Briefe lieb wie alles was
von euch kommt, und besonders jezt. Der Todt einer teuer geliebten
Freundinn ist noch um mich. Heut früh ward sie begraben und ich binn
immer an ihrem Grabe, und verweile, da noch meines Lebens Hauch
und Wärme hinzugeben, und eine Stimme zu seyn aus dem Steine dem
Zukünftigen. Aber ach auch ist mir verboten einen Stein zu sezen ihrem
Andencken, und mich verdriesst dass ich nicht streiten mag mit dem
Gewäsch und Geträtsch.
Lieber Kestner, der du hast lebens in deinem Arm ein Füllhorn, lasse
dir Gott dich freuen. Meine arme Existenz starrt zum öden Fels. Diesen
Sommer geht alles. Merck mit dem Hofe nach Berlin, sein Weib in die
Schweiz, meine Schwester, die Flachsland, ihr, alles. Und ich binn
allein. Wenn ich kein Weib nehme oder mich erhänge, so sagt ich habe
das Leben recht lieb, oder was, daß mir mehr Ehre macht, wenn ihr wollt. Adieu. Eurem Engel tausend Grüsse
댓글 없음:
댓글 쓰기