2015년 5월 10일 일요일

Goethe und Werther 4

Goethe und Werther 4


So wie nun seine Leidenschaft, so wuchs der Freunde auf Bewunderung
gegründete Freundschaft für den, der bald wie ein Riese neben ihnen
stand, bald ihr jugendliches Treiben in harmloser Kindlichkeit mit
ihnen theilte, und den sie den größten Theil seines Selbst der
Ehrfurcht vor ihrem Glücke opfern sahen. Auch der Schmerz, der ihn
niederdrückte, wurde, so wie alles unter ihnen gemeinschaftlich war,
ein von drei Freunden gemeinschaftlich getragener Schmerz.
 
Aber Goethe litt zu sehr, und nachdem er einige Zeit umsonst gekämpft
hatte, faßte er den schweren und schönen Entschluß, von Wetzlar nach
Frankfurt zurückzukehren. Am 11. September 1772 reiste er ab. Wie tief
die Trennung die Freunde betrübte, erscheint mit den lebhaftesten
Farben, in drei zusammentreffenden schriftlichen Denkmälern jener Zeit.
Diese hier zusammenzustellen ist uns ein anziehendes Geschäft, bei
welchem wir einen Augenblick verweilen.
 
Goethe hat seinen Trennungsschmerz in den Blättern niedergelegt, die
er den beiden Verlobten am 11. September 1772 zurückließ, und die von
den untenstehenden Briefen des abwesenden Goethe den Anfang machen.
Dem Roman »Werther« alsdann, hat er, wie wir sogleich zeigen werden,
von diesem bedeutenden Lebensmoment, ein dauerndes Denkmal in einem
der schönsten Briefe eingedrückt. In welcher Betrübniß er die beiden
Verlobten und das ganze väterliche Haus Lottens zurückließ, sehen wir
endlich aus einem Tagebuchsblatte Kestners, dessen getreuer Inhalt
folgender ist:
 
September 10. 1772.
 
.... »Mittags aß _Dr._ Goethe bey mir im Garten; ich wußte nicht,
daß es das letzte Mal war..... Abends kam _Dr._ Goethe nach dem
deutschen Hause. Er, Lottchen und ich hatten ein merkwürdiges Gespräch
von dem Zustande nach diesem Leben, vom Weggehen und Wiederkommen
&c. &c., welches nicht er, sondern Lottchen anfing. Wir machten mit
einander aus, wer zuerst von uns stürbe, sollte, wenn er könnte, den
Lebenden Nachricht von dem Zustande jenes Lebens geben; Goethe wurde
ganz niedergeschlagen, denn er wußte, daß er am andern Morgen weggehen
wollte.«
 
September 11. 1772.
 
»Morgens um 7 Uhr ist Goethe weggereiset, ohne Abschied zu nehmen. Er
schickte mir ein Billet nebst Büchern. Er hatte es längst gesagt,
daß er um diese Zeit nach Coblenz, wo der Kriegszahlmeister Merk ihn
erwarte, eine Reise machen, und er keinen Abschied nehmen, sondern
plötzlich abreisen würde. Ich hatte es also erwartet. Aber, daß ich
dennoch nicht darauf vorbereitet war, das habe ich gefühlt, tief in
meiner Seele gefühlt. Ich kam den Morgen von der Dictatur zu Hause.
»»Herr Doctor Goethe hat dieses um 10 Uhr geschickt.«« -- Ich sah
die Bücher und das Billet, und dachte was dieses mir sagte: »»Er ist
fort!«« und war ganz niedergeschlagen. Bald hernach kam Hans zu mir,
mich zu fragen ob er gewiß weg sey? Die Geheime Räthin Langen hatte
bei Gelegenheit durch eine Magd sagen lassen: »»Es wäre doch sehr
ungezogen, daß Doctor Goethe so ohne Abschied zu nehmen, weggereist
sey.«« Lottchen ließ wieder sagen: »»Warum sie ihren Neveu nicht besser
erzogen hätte?«« Lottchen schickte, um gewiß zu seyn, einen Kasten,
den sie von Goethen hatte, nach seinem Hause. Er war nicht mehr da. Um
Mittag hatte die Geheime Räthin Langen wieder sagen lassen: »»Aber sie
wolle es des Doctor Goethe Mutter schreiben, wie er sich aufgeführt
hätte.«« -- Unter den Kindern im deutschen Hause, sagte jedes: »»Doctor
Goethe ist fort!«« -- Mittags sprach ich mit Herrn v. Born, der ihn zu
Pferde bis gegen Braunfels begleitet hatte. Goethe hatte von unserm
gestrigen Abendgespräch ihm erzählt. Goethe war sehr niedergeschlagen
weggereist. Nachmittags brachte ich die Billets von Goethe an Lottchen.
Sie war betrübt über seine Abreise; es kamen ihr die Thränen beim
Lesen in die Augen. Doch war es ihr lieb, daß er fort war, da sie ihm
das nicht geben konnte, was er wünschte. Wir sprachen nur von ihm;
ich konnte auch nichts anders als an ihn denken, vertheidigte die Art
seiner Abreise, welche von einem Unverständigen getadelt wurde; ich
that es mit vieler Heftigkeit. Nachher schrieb ich ihm, was seit seiner
Abreise vorgegangen war.«[4]
 
Der 10. September also war, wie wir hieraus sehen, der Vorabend dieser
merkwürdigen Trennung. Schlagen wir nun den »Werther« auf, und wir
sehen, daß der 10. September ebenfalls das Datum des Briefes ist,
der am Ende des ersten Buchs dieses Romans den Vorabend eben dieser
Trennung darstellt. Kestners Tagebuch, dessen Thatbestand des verlebten
Tages dieser Brief zu einem Bilde erhebt, erläutert uns, warum aus
jedem Worte desselben die Wärme einer wirklich empfundenen Freundschaft
und die Gluth einer wirklich empfundenen Liebe spricht; denn es war der
von dem Dichter selbst erlebte, entscheidende Moment, den im Gemälde
seiner Liebe zu verewigen, ihm so sehr am Herzen lag, daß er selbst
das Datum dieses in seinem Jugendleben entscheidenden Tages heilig
gehalten hat.
 
Dieser Moment, womit das erste Buch des »Werther« schließt, ist
denn auch ~der~, wo in dem Roman Wahrheit und Dichtung sich
gänzlich scheiden. Im zweiten Buche borgt Goethe von Jerusalem einige
Begebenheiten, besonders die schließliche Katastrophe; an Lottens und
Kestners Stellen erscheinen neue Personen, jenen eben so fern stehend,
wie ihre erdichteten Erlebnisse. Die Wirklichkeit beschränkt sich
allein auf den nunmehr eintretenden Briefwechsel mit den entfernten
Freunden.
 
Der Flucht Goethe's, welche ihn an jenem Tage von ihnen, einen kurzen
Besuch ausgenommen,[5] auf immer getrennt hat, verdanken wir diese
Briefe, die wie jugendliche Zeugen zu uns reden, über einen Charakter,
über Gesinnungen, die Goethe -- wir erkennen es in seiner Biographie,
-- später kaum noch an sich gekannt hat.
 
Um so mehr muß uns erfreuen, die Biographie durch diese seine eigenen
Zeugnisse wesentlich ergänzt und von dem Jünglinge wieder gewonnen
zu sehen, was er im Alter bei der Schilderung seiner schönsten
Lebensperiode, obgleich ihr manche Silberblicke nicht fehlen, sich
selbst an Ruhm entzogen hat. Wer aber auch in Goethe's späterer Zeit
den Dichter, den Menschen von dem Weltmanne beeinträchtigt finden
wollte, erkennt doch immer in unsern Eröffnungen den angebornen edlen
Menschenstoff, der durch seine Werke fließt.
 
Vollständig, so weit die Briefe vorhanden -- denn unverkennbar sind
mehrere Lücken in der Correspondenz -- und, wie sich von selbst
versteht, mit Weglassung des Wenigen, was Lebende verletzen kann, sind
diese Briefe unten abgedruckt. Daß nichts Wesentliches weggelassen,
und bei dem Gegebenen die strengste Wahrhaftigkeit beobachtet sei,
können zahlreiche Freunde und Bekannte bezeugen, denen die Briefe in
ihren Originalen stets bereitwillig vorgelegt sind. So viele Zeichen
der Originalität man aber in einem gedruckten Buche geben mag, ihre
Reliquienanmuth kann nur beim Anblick der Originale empfunden werden:
wie in Goethe's schlanken, oft den Charakter wechselnden Schriftzügen
die ganze Mannigfaltigkeit seiner wechselnden Stimmungen sich
abzuspiegeln scheint. Manche derselben sind unansehnliche Blätter, groß
oder klein, fein oder grob, so wie sie seiner sorglosen Hand auf dem
Schreibtische, unter Entwürfen von Gedichten und Journalartikeln, oder
unter dem Abfall von Briefcouverten begegnen mochten. Mit aller dieser
Nichtachtung des äußerlich Herkömmlichen ermangeln dennoch wenige
dieser Blätter einer gewissen Anmuth der Form, welche seine Hand im
Ebenmaß der Zeilen und Räume unbewußt ihnen mittheilte. Und hatte er
ein herkömmlich regelmäßiges Briefblatt genommen, so war das Couvert
und die Besiegelung stets mit Sorgfalt und Zierlichkeit vollbracht.
Geschlossen waren die meisten der Briefe mit rothem Siegellack. Sein
früheres Siegel war meistens ein _G_ mit Verschlingungen in dem
Style der damaligen Zeit; zuweilen ein offenstehender Käficht, aus
dem ein Vogel entfliegt. Nach seiner Reise in Italien hat er zuweilen
mit Gemmen gesiegelt, mit einem Sokrateskopfe, einer Minerva, einem
Löwen u.a.m. Auffallend sind die Abweichungen von der allgemein
üblichen Orthographie, wie die untenstehenden Briefe, die genau nach
den Originalen abgedruckt sind, uns zeigen. Eigenthümlich, auch in
den geringsten seiner Handlungen, oder, wie er von sich selbst sagte,
»grillenhaft,« gab er nichts darum, den Bau der Worte mit anderen
gemein zu haben. Auch in den grammatischen Formen hat er unbekümmert
sich der im gemeinen Leben üblichen bedient. Manches hierin ist auch
erst nach jener Zeit allgemeine Regel geworden. Nach und nach sehen wir
ihn später dem allgemeinen Gebrauch sich bequemen.
 
Jene unbefangene Freiheit eines durchlebten Verhältnisses, in welcher
er, nach wechselnder Stimmung des Augenblicks, sich dem wechselnden
Ausdruck hingab, hat auch die Mannigfaltigkeit der Formen erzeugt,
unter denen er in den Briefen sich selbst Kestnern gegenüber stellte;
bald nennt er ihn »Sie,« bald »Du,« bald »Ihr« und den Primaner, Hans,
Lottens jüngeren Bruder, im Style jener Zeit, oft sogar »Er.« Auch hat
Kestner es vollkommen natürlich gefunden, daß Goethe, in den wenigen
an Lotte selbst gerichteten Briefen, sich eine Freiheit erlaubte,
die, nach den damaligen Begriffen der Schicklichkeit, Kestner selbst
sich nicht nehmen konnte, sie zuweilen »Du« zu nennen; daß er, der
ungewöhnlich, seltsam, kühn in allem, was er that und sprach, der Aller
Liebling war, den Namen, der ihm ein Gedicht, den in dem Tone der Natur
zu nennen, er als den einzigen Ersatz für unaussprechlichen Mangel
ergriff, nicht in der absurdesten Form conventionellen Respekts der
Societät aussprach. Und im Schreiben, wissen wir, gibt es kein Erröthen
und keine Verlegenheitsmienen.
 
So sehr nun Kestner, den Schmerz des Freundes ehrend, sich auch in
seinen überhäuften Geschäften, den Briefwechsel mit ihm aufs eifrigste
angelegen sein ließ, während Lotte, die zum Schreiben damals nicht
Zeit hatte, ihm durch Kestnern erbetene Gedächtnißgaben sandte, waren
diese Mittheilungen doch nie genügend für den Abwesenden. In jedem
Augenblicke wollte er des ununterbrochenen Verkehrs mit der Familie
bewußt sein, und so sehr bedurfte er es zu seiner Ruhe, mit allen
Gliedern der Familie im besten Vernehmen zu bleiben, daß es ihn sogar
drückte, von Lottens jüngerer Schwester, Sophie, einem Kinde, über ein
kleines Mißverständniß, welches eine völlige Kinderei war, noch keine
Verzeihung erhalten zu haben (Nr. 16).
 
Fast alle diese Briefe würden der Bestimmung des Datums ermangeln,
hätte nicht Kestner, der Geschäftsmann, den Tag des Empfangs meistens
darauf bemerkt. Die Briefe, denen solche Bezeichnungen fehlen, wie
insonderheit die Briefe an Hans, sind nach Wahrscheinlichkeit in die
chronologische Reihe geordnet, und hiezu gab die edle Offenheit des
Schreibenden, nach der Natur einer fortschreitenden Leidenschaft,
den sichersten Maßstab: wie wir ihn anfangs, sich selbst verkennend,
unstät von Ort zu Ort umhergetrieben sehen, so daß er es den Freunden
in Friedberg zum Verdienste anrechnen konnte, ihn, »den Elenden,«
freundlich aufgenommen zu haben; wie ihm das literarische Treiben und
Recensiren nicht hinreichte, und er die Besorgung von Kleinigkeiten
für Freundinnen, zum Ableiter des unabweislich tyrannischen Gedankens,
sich erbittet, und dabei mit kindlicher Sorgsamkeit ins Detail geht;
wie wir den Scherz, der in großen Seelen, um dem Verdrusse Rast zu
geben, nahe dem Unmuth, am nächsten der Verzweiflung ist, in seine
trübste Stimmung zuweilen einen Sonnenstrahl werfen sehen; wie er dann,
erheiternde Zerstreuung suchend, »liebesbedürftig,« wie er es nennt,
nach Träumen hascht, für den, der ihn betrogen hatte, und in jungen
Mädchen seiner Bekanntschaft sich an Aehnlichkeiten mit der Entbehrten
zu erholen sucht; wie ihm endlich, gleich allen tüchtigen Naturen, aus
eigenen Mitteln die Arznei seiner Krankheit wird, und sein Genie nicht
litt, daß die Leidenschaft, wenn gleich seine Existenz bedrohend, ihm
zerstörend werden konnte, da er stets von neuen Schöpfungen von Innen
sich bestürmt sah, bis er in dem großen Gedichte von seiner schönen
Last sich vollends befreite.
 
In diesem allgemeinen, wie es uns scheint nothwendigen Gange seiner
Stimmungen, haben wir die Briefe geordnet. In den gegen den Sommer 1773
geschriebenen begegnen wir einem wieder wachsenden Unmuth, so daß er,
unter anderen, sich vorwirft »seine Zeit zu verderben,« und hatte doch
den Götz von Berlichingen schon geschrieben, und ging ohne Zweifel
mit Plänen zum Werther um! Denn die Hochzeit der Freunde nahte heran,
und ihre Abreise in die weite Ferne, die letzte Entwickelung dieser
wichtigen Epoche seines Lebens. Doppelt reizbar in dieser Aufregung,
glaubt er zum erstenmale Eifersucht in einem Briefe Kestners zu
erblicken, und antwortet in einem Zorn, welcher die schönen Eindrücke
unserer Briefe einen Augenblick unterbrechen könnte, wenn nicht die
Beweise wechselseitig treuer Gesinnungen, die wir bei diesen Anlässen
hervorgerufen sehen, uns sogleich wieder beruhigten. Der Zornbrief
(Nr. 68), so feindlich einige Worte desselben lauten, reicht allein
hin, um sowohl Goethe's Verhältniß zu dem Brautpaar, als seine durch
einen vorübergehenden Ausbruch von Unmuth, den die Umstände wohl
entschuldigen konnten, durchscheinenden wahren Gesinnungen zu erkennen.
Er, der dem jungen Gatten mit Bitterkeit vorwarf, nach der Heirath
von der Freundschaft abgefallen zu seyn, zeigt ihm, mitten unter den
heftigsten Ausdrücken des Unwillens, im Tone der Erkenntlichkeit an,
daß er durch Annchen, die Freundin, Lottens Brautstrauß erhalten, und
sich damit geschmückt habe. Tief betrübt bei der letzten Entscheidung,
trägt er so das Pfand seines Verlustes am Hute, für ihn eine Zier
heroischer Tugend, und erläutert diesen Akt durch die noch edleren
Worte: »Ich höre, Lotte soll noch schöner, lieber und besser seyn,
als sonst.« So sehr also erfüllt ihn die reinste Freundschaft, daß er
seinen Schmerz vergißt über die Freude an ihrer Vortrefflichkeit, daß
er ohne Haß seine Augen weidet an ihrem hohen Werthe, in demselben
Moment, wo es zur Gewißheit wird, daß er sie entbehren soll. Gerührt
hierdurch, eilte Kestner in zwei Briefen die Wunden des tobenden
Freundes zu heilen. Diese Freunde konnten ihr gegenseitiges Wohlwollen nicht entbehren, und Goethe's Erwiederung zeigt, daß das Mißverständniß nur sechs Tage gewährt hat.

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