2015년 5월 10일 일요일

Goethe und Werther 3

Goethe und Werther 3


Um einen Blick auch unmittelbar auf seine Person, als eine der
Haupterscheinungen auf dem Boden, den Goethe in Wetzlar betrat,
zu eröffnen, haben wir die Goethe'schen Briefe ebenfalls mit
einigen Briefen Kestners an andere Freunde, insonderheit an seine
Jugendfreunde, die bekannten Gebrüder v. Hennings, begleitet, welche
zugleich Thatsachen von Erheblichkeit enthalten. Es wird in der
Familie noch ein fernerer, gar liebenswürdiger Briefwechsel aus der
Schulzeit und den Universitätsjahren dieser Freunde aufbewahrt.
Alles darin ist gediegen und rein. Warm, gleich Liebenden, wahr und
arglos wie Kinder, kaum ahnend, daß Schlechtes oder Unschönes in der
Welt sei, durchdrungen von sittlichem Ernst, führen die Jünglinge in
diesen Briefen alles was sie denken auf ihre Freundschaft zurück,
und stärken ihren jugendlichen Sinn für das Gute und Schöne, durch
Wissenschaft, Natur und Dichtkunst. Wenn gleich diese Briefe, einige
wenige ausgenommen, die wir unsern Urkunden anschließen, den Umfang
dieses Buches nicht erweitern sollen, so durfte der Inhalt derselben
nicht unberührt bleiben, da die Seelenschönheit, welche aus denselben
hervorleuchtet, zur Auffassung einer so reinen und hohen Freundschaft
leitet, welche Kestner mit dem Vollgehalt seines dafür empfänglichen
Herzens dem jungen Goethe entgegentrug, von diesem in seinem großen
Seelenvermögen erwiedert wurde, und in beiden einen so seltenen
Edelmuth entwickelte.
 
Kestner, an reichhaltigen Umgang gewöhnt, litt anfangs an dem Mangel
desselben in der fremden Stadt, und tröstete seine Einsamkeit durch die
Schönheiten des Lahnthales, das er, Inhalts seiner Tagebücher, zu Fuß
und zu Pferde durchstrich. Doch gar bald fand er Ersatz für das, was
er zu Hause verlassen, in der Familie des Deutschordens-Amtmanns Buff,
die von manchen Zeugen als eine der auserlesensten jener Stadt, als ein
Bild heiterer und unschuldiger Häuslichkeit geschildert ist. Der Vater,
ein kräftiger Biedermann, die Mutter von höchster Vortrefflichkeit. Sie
war in der Stadt die Mutter der schönen Kinder genannt.
 
Nicht lange hatte er diesen reichen Umgang genossen, als die
Zweitgeborne der Töchter, Charlotte, das höchste Ziel seiner Wünsche
wurde. Mit ihrer Liebe zugleich gewann er die besondere Gunst der
Mutter. Die von solcher Mutter erzogene Lotte, verstand, auch voll
Lebhaftigkeit und Muthwillen, wie sie war, ihren sanftmüthigen Bewerber
in der Unschuld seines Gemüths und der Redlichkeit seines Charakters.
 
In dem Briefe an seinen Jugendlehrer (Nr. 139) und einigen an seinen
Freund (Nr. 140 u. f.) lernen wir Mutter und Tochter näher kennen, und
zugleich ihn selbst, der in seiner Freude an denen, die er schildert,
vor uns steht. Im Werther, im letzten Briefe des ersten Buchs, hat
Goethe dieser seltenen Frau, indem er die Tochter reden läßt, ein
Denkmal der Verehrung gesetzt, eine Scene schildernd, die aus dem Leben
genommen ist.
 
Im Jahr 1770 ward diese glückliche Familie der edlen Mutter beraubt,
und Lotte, gleich als hätte eine Familienwahl es entschieden, erbte die
mütterlichen Sorgen für zehn Kinder.
 
Vom Jahr 1768 bis 1772 hatte Kestner, als glücklicher Verlobter, den
Frühling seines Lebens genossen, als er, durch Goethe's Bekanntschaft,
den Werth seiner Geliebten noch höher erkennen mußte. Goethe, der
in Wetzlar den Proceß des Reichskammergerichts studiren sollte, und
Kestner, der bei reichlichen Amtsgeschäften seine Welt in einem
einzigen Hause gefunden, waren einander noch nicht begegnet, als
Gotter, einer seiner Freunde, sie eines Tages in dem Dorfe Garbenheim,
(im Werther Wahlheim genannt,) einem Vergnügungsorte unweit Wetzlar,
zusammenführte. Dieser Begegnung verdanken wir die von Kestner
hingeworfene Charakteristik Goethe's (Nr. 1 unserer Documente).
 
Kurze Zeit darauf machte Goethe mit Lotten Bekanntschaft auf einem
Ball, (welcher im Werther zur Schilderung der ersten Begegnung Werthers
mit Lotten, im Briefe vom 16. Jun. _pag._ 21 des ersten Buches,
den Stoff gegeben) und schon am andern Tage erfolgte sein erster
Besuch ihrer Familie im deutschen Hause.[3]
 
In dieser reinen, durch den Segen der unlängst verstorbenen Mutter
geheiligten Atmosphäre, fand Goethe vier Monate lang seine Lebensluft.
Um Lottens willen hatte er zuerst Aufnahme in der Familie gesucht.
Aber hier kamen die blühenden Kinder, eins schöner als das andere,
um ihn her gesprungen, und nahmen ihn mit zwanzig Händen in Besitz,
jubelnd über den schönen neuen Vetter oder Onkel, ihn, der nicht
lieber die Odyssee lesen mochte, als ihnen Märchen erzählen, und
auf dem Boden unter ihnen, von den wilden Buben sich zerzausen
lassen. Von dem Amtmann wie ein Sohn, von den mehr herangewachsenen
Geschwistern wie ein älterer Bruder geliebt, wurde er in kurzer Zeit
Kestnern und Lotten innigst befreundet. Kestner stellte ihn in seinem
Herzen seinem Jugendgefährten v. Hennings zunächst; -- Goethen, dem
Dichter, dessen Beruf das Schöne war, war es natürlich, hier wieder zu
lieben, und beide junge Männer, während sie in jedem Augenblicke die
größten Gefahren, denen die Freundschaft begegnen kann, überwanden,
legten sich gegenseitig das Zeugniß der hohen Eigenschaften ab, die
allein es möglich machten, einer so schweren Stellung sich würdig zu
verhalten. Und hatte wohl Kestner Goethen zunächst nur seinen klaren
Verstand, seine Wärme für das Gute und Schöne, und seine redliche
Liebe zu geben, so waren sie in der glücklichen Jugendzeit, wo selbst
wenigere Seelenbezüge, dafern sie nur wesentlich sind, Freundschaft
und Brüderlichkeit begründen. In Lotten gedieh die jungfräuliche
Würdigkeit, die aus dem Beispiel der Zucht edler Mütter in dem Wesen
der Töchter emporwächst, noch zu höherem Adel durch ihre individuelle
Natur und ihre Lage. Geschaffen für die Wirklichkeit des Lebens, und
zwar dessen heiterste Seite, war durchaus kein sentimentales Element
in ihrem Charakter, und wo die Lotte im Werther mit romanhaften Ideen
beschäftigt, wo sie gar tändelnd dargestellt wird, waren die Züge nicht
aus ihrem Leben genommen. Aber hätte auch, in Empfindungen zu leben, in
ihrem Charakter gelegen, so hätte diese Neigung den mütterlichen Sorgen
weichen müssen, die sie als achtzehnjähriges Mädchen sich auflud; denn
zehn lebhafte Kinder tobten um sie her, den ganzen Tag. Das glückliche
Zusammentreffen ihrer zufälligen Bestimmung mit ihren natürlichen
Anlagen, erhob um so mehr ihre jugendliche Schwungkraft. Die häusliche
Macht einer Mutter handhabend, war sie ein Mädchen an Frohsinn und
Lebendigkeit. Die pflichtmäßige Miene der mütterlichen Strenge hatte
den Schmelz der bräutlichen Heiterkeit. Dieses waren die Eigenschaften
eines weiblichen Wesens, in welchem vom Kopf bis zu den Füßen, Alles
Uebereinstimmung der rechten Maße, Alles Gemüth, Alles arglose Jugend
war; in deren Anschauung Goethe's edle Leidenschaft, zugleich mit
seiner Hochachtung, täglichen Wachsthum erhielt.
 
Mit diesen Seelenzuständen der trefflichsten Art, in welche Goethe
sich hineinlebte, übereinstimmend, sahen die Verlobten in seinem stets
offenen Herzen, daß es edel war. In solchem, von ihnen Allen getheilten
Selbstgefühl konnte es unter solchen Menschen geschehen, daß er das
Bekenntniß jeder seiner Empfindungen zum Gegenstand des freiesten
Verkehres mit beiden Verlobten machte. Unter ihnen gab es keine
argwöhnische Eifersucht, die den Nebenbuhler ängstlich bewacht, und ihm
die Thür der Geliebten versperrt; unter ihnen keinen Stolz des Siegers,
keinen Groll des minder Begünstigten, keine Eitelkeit der Angebeteten,
die in ihrem Triumphe sich gefiele. Denn kein Gedanke war von einem
dieser drei redlichen Freunde gedacht, keine Empfindung gefühlt, die
nicht das gemeinschaftliche Eigenthum aller drei war, eine Harmonie,
zuvor von zweien, jetzt von dreien gebildet, ein Verhältniß, wovon
wohl selten ein ähnliches Beispiel in der Geschichte der Menschheit
erscheinen mögte. Was wir hier entwickelten, ist die ~Auslegung~
des in Goethe's »Wahrheit und Dichtung« S. 115 und 117 des 22. Bandes
seiner sämmtl. Werke, mit anmuthiger Ausführlichkeit entworfenen Bildes
von Lotten und von seinen Verhältnissen mit den beiden Verlobten.
»Leicht aufgebaut, nett gebildet« nennt er Lottens Gestalt, »rein und
gesund ihre Natur.« Sein Leben mit ihnen nennt er »eine ächt deutsche
Idylle, wozu das fruchtbare Land die Prosa, und eine reine Neigung die
Poesie gab;« indem alle drei, in wechselseitig inniger Zuneigung und
Großmuth, »sich an einander gewöhnt hatten, ohne es zu wollen, und
nicht wußten, wie sie dazu kamen, sich nicht entbehren zu können.«
 
War auch jene Zeit, von welcher er hier schrieb, weit zurück, so daß
in seinen Erzählungen von Einzelheiten manche Erinnerung verloschen,
auch das Frühere und Spätere oft vermengt ist; so sehen wir doch
sein Herz liebesjung sich lebhaft der Vergangenheit erinnern, wenn
er, in dem Rückblick darauf, mit dem wehmüthigen Gefühl, sie jetzt
nicht mehr genügend darstellen zu können, sagt: »Es würde der Dichter
jetzt die verdüsterten Seelenkräfte vergebens anrufen, umsonst von
ihnen fordern, daß sie jene lieblichen Verhältnisse vergegenwärtigen
mögten, welche ihm den Aufenthalt im Lahnthale so hoch verschönten«;
sich aber tröstend hinzufügt: »Glücklicherweise hatte der Genius schon
früher dafür gesorgt, und ihn angetrieben, in vermögender Jugendzeit
das nächst Vergangene festzuhalten, zu schildern und kühn genug zur
günstigen Stunde öffentlich aufzustellen. Daß hier das Büchlein Werther
gemeint sei, bedarf wohl keiner nähern Bezeichnung.« -- (S. 114 des
22. Bandes von Goethe's sämmtl. Werken.) Wenn er dann das allbelebende
Jugendvermögen der Geliebten beschreibt, so versichert er kindlich,
daß damals »alle seine Tage Festtage zu sein schienen, und der ganze Kalender hätte müssen roth gedruckt werden.«

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