2015년 5월 10일 일요일

Goethe und Werther 6

 Goethe und Werther 6

Damit war denn das Mißverständniß schon sogleich bei seiner Entstehung,
ohne Unterbrechung des gegenseitigen Wohlwollens, gehoben, und der
gewohnte Briefwechsel zwischen Goethe und Kestner dauerte bis zu
des Letzteren am 24. Mai 1800 erfolgten Tode fort. Goethe's letzter
vorhandener Brief an Kestner, Nr. 137, ist vom 16. Juli 1798.
Wahrscheinlich sind einige andere Briefe, durch Kestners in seinen
letzten Lebensjahren eingetretene große Kränklichkeit, verloren
gegangen. Eben diese Kränklichkeit, neben überhäuften Dienstgeschäften,
hat auch die Correspondenz von Kestners Seite in späterer Zeit
beschränkt, wie Goethe in seinen Briefen ihm verschiedentlich
freundlich vorgeworfen hat.
 
* * * * *
 
Um die gegenwärtigen Mittheilungen zu vervollständigen, wäre zu
wünschen gewesen, daß ihnen Kestners Briefe an Goethe, worauf mehrere
von Goethe's Briefen sich beziehen, hätten hinzugefügt werden können.
Allein der verstorbene Geheime Rath Kanzler v. Müller in Weimar,
Goethe's Testamentsvollstrecker, hat sie nicht in dessen Nachlaß
gefunden, wahrscheinlich weil Goethe sie mit einer großen Masse
älterer Briefschaften einst cassirt hat. Dagegen hatte der Geheime
Rath die Gefälligkeit einen Brief Lottens an Goethe aus Wetzlar, wohin
sie sich auf Veranlassung der französischen Occupation Hannovers auf
einige Zeit zurückgezogen, von 1803, und einige Billets von ihr an
Goethe, während eines Besuchs ihrer Schwester in Weimar, von 1816,
abschriftlich mitzutheilen. Diese, nebst verschiedenen dazu gehörigen
Briefen Goethe's an Lotte und an einen ihrer Söhne, liegen aber außer
dem Kreise der Documente, welchen der Titel dieser Mittheilungen
bezeichnet. Wir glauben daher nur folgende Zeilen aus einem Schreiben
Goethe's vom 23. November 1803, weil sie dieselben Erinnerungen aus
seiner Jugendzeit mit ähnlichen Worten, wie in »Wahrheit und Dichtung«
aussprechen, anführen zu dürfen: »Wie gern versetze ich mich wieder an
Ihre Seite zur schönen Lahn und wie sehr bedaure ich zugleich, daß Sie
durch eine so harte Nothwendigkeit dahin versetzt worden; doch richtet
mich Ihr eigenes Schreiben wieder auf, aus dem Ihr thätiger Geist
lebhaft hervorblickt.«
 
 
 
 
Goethe'sche Briefe,
 
und diese betreffende erläuternde Documente.
 
 
 
 
1.
 
Fragment eines Brief-Entwurfs,
 
aus Kestners Papieren,
 
geschrieben im Anfang seiner Bekanntschaft mit Goethe.
 
 
Im Frühjahr kam hier ein gewisser Goethe aus Franckfurt, seiner
Handthierung nach _Dr. Juris_, 23 Jahr alt, einziger Sohn eines
sehr reichen Vaters, um sich hier -- dieß war seines Vaters Absicht --
in _Praxi_ umzusehen, der seinigen nach aber, den Homer, Pindar
&c. zu studiren, und was sein Genie, seine Denkungsart und sein Herz
ihm weiter für Beschäftigungen eingeben würden.
 
Gleich Anfangs kündigten ihn die hiesigen schönen Geister als einen
ihrer Mitbrüder und als Mitarbeiter an der neuen Franckfurter Gelehrten
Zeitung, beyläufig auch als Philosophen im Publico an, und gaben sich
Mühe mit ihm in Verbindung zu stehen. Da ich unter diese Classe von
Leuten nicht gehöre, oder vielmehr im Publico nicht so gänge bin,
so lernte ich Goethen erst später und ganz von ohngefähr kennen.
Einer der vornehmsten unserer schönen Geister, Legationssecretär
Gotter, beredete mich einst nach Garbenheim, einem Dorf, gewöhnlichem
Spaziergang, mit ihm zu gehen. Daselbst fand ich ihn im Grase
unter einem Baume auf dem Rücken liegen, indem er sich mit einigen
Umstehenden, einem Epicuräischen Philosophen (v. Goué, großes Genie),
einem stoischen Philosophen (v. Kielmansegge) und einem Mitteldinge von
beyden (_Dr._ König) unterhielt, und ihm recht wohl war. Er hat
sich nachher darüber gefreuet, daß ich ihn in einer solchen Stellung
kennen gelernt. Es ward von mancherley, zum Theil interessanten Dingen
gesprochen. Für dieses Mal urtheilte ich aber nichts weiter von ihm,
als: er ist kein unbeträchtlicher Mensch. Sie wissen, daß ich nicht
eilig urtheile. Ich fand schon, daß er Genie hatte und eine lebhafte
Einbildungskraft; aber dieses war mir doch noch nicht genug, ihn
hochzuschätzen.
 
Ehe ich weiter gehe, muß ich eine Schilderung von ihm versuchen, da ich
ihn nachher genau kennen gelernt habe.
 
Er hat sehr viel Talente, ist ein wahres Genie, und ein Mensch von
Charakter; besitzt eine außerordentlich lebhafte Einbildungskraft,
daher er sich meistens in Bildern und Gleichnissen ausdrückt. Er pflegt
auch selbst zu sagen, daß er sich immer uneigentlich ausdrücke,
niemals eigentlich ausdrücken könne: wenn er aber älter werde, hoffe er
die Gedanken selbst, wie sie wären, zu denken und zu sagen.
 
Er ist in allen seinen Affecten heftig, hat jedoch oft viel Gewalt
über sich. Seine Denkungsart ist edel; von Vorurtheilen so viel frey,
handelt er, wie es ihm einfällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es
Andern gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller
Zwang ist ihm verhaßt.
 
Er liebt die Kinder und kann sich mit ihnen sehr beschäftigen. Er
ist _bizarre_ und hat in seinem Betragen, seinem Aeußerlichen
verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bey Kindern, bey
Frauenzimmern und vielen Andern ist er doch wohl angeschrieben.
 
Für das weibliche Geschlecht hat er sehr viele Hochachtung.
 
_In principiis_ ist er noch nicht fest, und strebt noch erst nach
einem gewißen System.
 
Um etwas davon zu sagen, so hält er viel von _Rousseau_, ist
jedoch nicht ein blinder Anbeter von demselben.
 
Er ist nicht was man orthodox nennt. Jedoch nicht aus Stolz oder
_Caprice_ oder um etwas vorstellen zu wollen. Er äussert sich auch
über gewisse Hauptmaterien gegen Wenige; stört Andere nicht gern in
ihren ruhigen Vorstellungen.
 
Er haßt zwar den _Scepticismum_, strebt nach Wahrheit und nach
Determinirung über gewisse Hauptmaterien, glaubt auch schon über die
wichtigsten determinirt zu seyn; so viel ich aber gemerckt, ist er es
noch nicht. Er geht nicht in die Kirche, auch nicht zum Abendmahl,
betet auch selten. Denn, sagt er, ich bin dazu nicht genug Lügner.
 
Zuweilen ist er über gewisse Materien ruhig, zuweilen aber nichts
weniger wie das.
 
Vor der Christlichen Religion hat er Hochachtung, nicht aber in der
Gestalt, wie sie unsere Theologen vorstellen.
 
Er ~glaubt~ ein künftiges Leben, einen bessern Zustand.
 
Er strebt nach Wahrheit, hält jedoch mehr vom Gefühl derselben, als von
ihrer Demonstration.
 
Er hat schon viel gethan und viele Kenntnisse, viel Lectüre; aber doch
noch mehr gedacht und _raisonnirt_. Aus den schönen Wissenschaften
und Künsten hat er sein Hauptwerck gemacht, oder vielmehr aus allen
Wissenschaften, nur nicht den sogenannten Brodwissenschaften.
 
* * * * *
 
Am Rande dieses flüchtig hingeworfenen Brouillons fügt Kestner noch
hinzu:
 
»Ich wollte ihn schildern, aber es würde zu weitläuftig werden, denn
es läßt sich gar viel von ihm sagen. Er ist ~mit einem Worte ein sehr
merkwürdiger Mensch~.«
 
Weiter unten ferner:
 
»Ich würde nicht fertig werden, wenn ich ihn ganz schildern wollte.«
 
 
2.
 
Fragment eines Brief-Entwurfs,
 
aus Kestners Papieren.
 
~Anfang der Bekanntschaft Goethe's mit Lotte.~
 
 
.... d. 9. Juni 1772 fügte es sich, daß Goethe mit bey einem Ball auf
dem Lande war, wo mein Mädchen und ich auch waren. Ich konnte erst
nachkommen und ritt dahin. Mein Mädchen fuhr also in einer andern
Gesellschaft hin; der _Dr._ Goethe war mit im Wagen und lernte
Lottchen hier zuerst kennen. Er hat sehr viele Kenntniße, und die
Natur, im physikalischen und moralischen Verstande genommen, zu seinem
Haupt-Studium gemacht, und von beyden die wahre Schönheit studirt.
Noch kein Frauenzimmer hier hatte ihm ein Genügen geleistet. Lottchen
zog gleich seine ganze Aufmerksamkeit an sich. Sie ist noch jung, sie
hat, wenn sie gleich keine ganz regelmäßige Schönheit ist, (ich rede
hier nach dem gemeinen Sprachgebrauch und weiß wohl, daß die Schönheit
eigentlich keine Regeln hat,) eine sehr vortheilhafte, einnehmende
Gesichtsbildung; ihr Blick ist wie ein heiterer Frühlings-Morgen,
zumal den Tag, weil sie den Tanz liebt; sie war lustig; sie war in ganz
ungekünsteltem Putz. Er bemerkte bey ihr Gefühl für das Schöne der
Natur und einen ungezwungenen Witz, mehr Laune, als Witz.
 
Er wußte nicht, daß sie nicht mehr frey war; ich kam ein paar
Stunden später; und es ist nie unsere Gewohnheit, an öffentlichen
Orten mehr als Freundschaft gegen einander zu äusern. Er war den Tag
ausgelassen lustig, (dieses ist er manchmal, dagegen zur andern Zeit
melancholisch,) Lottchen eroberte ihn ganz, um destomehr, da sie sich
keine Mühe darum gab, sondern sich nur dem Vergnügen überließ. Andern
Tags konnte es nicht fehlen, daß Goethe sich nach Lottchens Befinden
auf den Ball erkundigte. Vorhin hatte er in ihr ein fröhliches Mädchen
kennen gelernt, das den Tanz und das ungetrübte Vergnügen liebt; nun
lernte er sie auch erst von der Seite, wo sie ihre Stärke hat, von der
Häuslichen Seite, kennen.
 
 
3.
 
Goethe an Kestner.
 
 
W. d. 8. Aug. 72.
 
Morgen nach fünf erwart ich sie, und heute -- sie könnten's vermuthen,
so viel sollten Sie mich schon kennen -- heute war ich in Atspach.
Und morgen gehen wir zusammen, da hoff ich freundlichere Gesichter zu
kriegen. Inzwischen war ich da, hab Ihnen zu sagen dass Lotte heut
Nacht sich am Mondbeschienenen Tahl innig ergötzt, und Ihnen eine gute
Nacht sagen wird. Das wollt ich Ihnen selbst sagen war an ihrem Haus,
in ihrem Zimmer war kein Licht, da wollt ich nicht Lärm machen. Morgen
früh trinken wir Caffee unterm Baum in Garbenheim wo ich heute zu Nacht
im Monschein ass. Allein -- doch nicht allein. Schlafen Sie wohl. Soll
ein schöner Morgen seyn.
 
 
4.
 
Goethe an Kestner.
 
 
(v. 6. Sept. 1772.)
 
Ich habe gestern den ganzen Nachmittag gemurrt dass Lotte nicht nach
Atspach gangen ist, und heute früh hab ichs fortgesetzt. Der Morgen
ist so herrlich und meine Seele so ruhig, daß ich nicht in der Stadt
bleiben kann, ich will nach Garbenheim gehn. Lotte sagte gestern, sie
wollte heut etwas weiter als gewöhnlich spazieren -- Nicht dass ich
euch draußen erwarte, -- aber wünsche? Von ganzem Herzen und hoffe --
zwar etwas weniger, doch just so viel dass es die Ungewissheit des
Wunsches so halb und halb balanzirt. In der Ungewissheit denn will ich
meinen Tag zubringen, und hoffen und hoffen. Und wenn ich den Abend
allein hereingehn muß -- so wissen Sie wies einem Weisen geziemt -- und wie weise ich binn.

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