Lady (springt auf). Es ist nicht auszuhalten!--Ja denn! weil ich dir doch nicht entwischen kann. Ich kenn' ihn--weiß Alles--weiß mehr, als ich wissen mag. (Plotzlich halt sie inne, darauf mit einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.) Aber wag' es, Ungluckliche--wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder von ihm geliebt zu werden--Was sage ich?--Wag' es, an ihn zu denken oder einer von seinen Gedanken zu sein--Ich bin machtig, Ungluckliche--furchterlich--so wahr Gott lebt! Du bist verloren!
Luise (standhaft). Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, daß er Sie lieben muß.
Lady. Ich verstehe dich--aber er soll mich nicht lieben. Ich will uber diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrucken und das deinige zermalmen--Felsen und Abgrunde will ich zwischen euch werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein Name soll eure Kusse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander scheuchen; deine junge bluhende Gestalt unter seiner Umarmung welk, wie eine Mumie, zusammenfallen--Ich kann nicht mit ihm glucklich werden--aber du sollst es auch nicht werden--Wisse das, Elende! Seligkeit zerstoren ist auch Seligkeit.
Luise. Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, Milady. Lastern Sie Ihr eigenes Herz nicht. Sie sind nicht fahig, Das auszuuben, was Sie so drohend auf mich herabschworen. Sie sind nicht fahig, ein Geschopf zu qualen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als daß es empfunden hat wie Sie--Aber ich liebe Sie um dieser Wallung willen, Milady.
Luise (die sich jetzt gefaßt hat). Wo bin ich? Wo war ich? Was hab' ich merken lassen? Wen hab' ich's merken lassen?--O Luise, edle, große, gottliche Seele! Vergib's einer Rasenden--Ich will dir kein Haar kranken, mein Kind. Wunsche! Fordre! Ich will dich auf den Handen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein--Du bist arm--Sieh! (Einige Brillanten herunternehmend.) Ich will diesen Schmuck verkaufen--meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen--Dein sei Alles, aber entsag' ihm!
Luise (tritt zuruck voll Befremdung). Spottet sie einer Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst keinen Antheil gehabt haben?--Ha! So konnt' ich mir ja noch den Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst aufputzen. (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie naher zur Lady, faßt ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.) Nehmen Sie ihn denn hin, Milady!--Freiwillig tret' ich Ihnen ab den Mann, den man mit Haken der Holle von meinem blutenden Herzen riß. --Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen, die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschopf, das ihm nahe ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird--Lady! ins Ohr des Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms--Es wird ihm nicht gleichgultig sein, wenn man Seelen in seinen Handen mordet! Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin! Rennen Sie in seine Arme! Reißen Sie ihn zum Altar--Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer Selbstmorderin sturzen wird--Gott wird barmherzig sein--Ich kann mir nicht anders helfen! (Sie sturzt hinaus.)
Achte Scene.
Lady allein, steht erschuttert und außer sich, den starren Blick nach der Thure gerichtet, durch welche die Millerin weggeeilt; endlich erwacht sie aus ihrer Betaubung.
Wie war das? Wie geschah mir? Was sprach die Ungluckliche?--Noch, o Himmel! noch zerreißen sie meine Ohren, die furchterlichen, mich verdammenden Worte: nehmen Sie ihn hin!--Wen, Ungluckselige? das Geschenk deines Sterberochelns--das schauervolle Vermachtniß deiner Verzweiflung? Gott! Gott! Bin ich so tief gesunken--so plotzlich von allen Thronen meines Stolzes herabgesturzt, daß ich heißhungrig erwarte, was einer Bettlerin Großmuth aus ihrem letzten Todeskampfe mir zuwerfen wird?--Nehmen Sie ihn hin! und das spricht sie mit einem Tone, begleitet sie mit einem Blick--Ha! Emilie! bist du darum uber die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten? Mußtest du darum um den prachtigen Namen des großen brittischen Weibes buhlen, daß das prahlende Gebaude deiner Ehre neben der hoheren Tugend einer verwahrlosten Burgerdirne versinken soll?--Nein, stolze Ungluckliche! nein!--Beschamen laßt sich Emilie Milford--doch beschimpfen nie! Auch ich habe Kraft, zu entsagen.
(Mit majestatischen Schritten auf und nieder.)
Verkrieche dich jetzt, weiches, leidendes Weib!--Fahret hin, suße, goldene Bilder der Liebe--Großmuth allein sei jetzt meine Fuhrerin!--Dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muß ihren Anspruch vertilgen und im Herzen des Fursten erloschen! (Nach einer Pause, lebhaft.) Es ist geschehen!--Gehoben das furchtbare Hinderniß--zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wuthende Liebe!--In deine Arme werf' ich mich, Tugend!--Nimm sie auf, deine reuige Tochter Emilie!--Ha! wie mir so wohl ist! Wie ich auf einmal so leicht, so gehoben mich fuhle!--Groß, wie eine fallende Sonne, will ich heut vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleite mich in diese stolze Verweisung. (Entschlossen zum Schreibpult gehend.) Jetzt gleich muß es geschehen--jetzt auf der Stelle, ehe die Reize des lieben Junglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuern. (Sie setzt sich nieder und fangt an zu schreiben.)
Neunte Scene.
Lady. Ein Kammerdiener. Sophie, hernach der Hofmarschall, zuletzt Bedienter.
Kammerdiener. Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem Auftrag vom Herzog.
Lady (in der Hitze des Schreibens.) Auftaumeln wird sie, die furstliche Drahtpuppe! Freilich! Der Einfall ist auch drollig genug, so eine durchlauchtigte Hirnschale auseinander zu treiben!--Seine Hofschranzen werden wirbeln--Das ganze Land wird in Gahrung kommen.
Kammerdiener und Sophie. Der Hofmarschall, Milady-Lady (dreht sich um). Wer? Was?--Desto besser! Diese Sorte von Geschopfen ist zum Sacktragen auf der Welt. Er soll mir willkommen sein.
Kammerdiener (geht ab).
Sophie (angstlich naher kommend). Wenn ich nicht furchten mußte, Milady, es ware Vermessenheit (Lady schreibt hitzig fort.) Die Millerin sturzte außer sich durch den Vorsaal--Sie gluhen--Sie sprechen mit sich selbst. (Lady schreibt immer fort.) Ich erschrecke--Was muß geschehen sein?
Hofmarschall (tritt herein, macht dem Rucken der Lady tausend Verbeugungen; da sie ihn nicht bemerkt, kommt er naher, stellt sich hinter ihren Sessel, sucht den Zipfel ihres Kleides wegzukriegen und druckt einen Kuß darauf, mit furchtsamem Lispeln). Serenissimus-Lady (indem sie Sand streut und das Geschriebene durchfliegt). Er wird mir schwarzen Undank zur Last legen--Ich war eine verlassene. Er hat mich aus dem Elend gezogen--Aus dem Elend?--Abscheulicher Tausch! --Zerreiße deine Rechnung, Verfuhrer! Meine ewige Schamrothe bezahlt sie mit Wucher.
Hofmarschall (nachdem er die Lady vergeblich von allen Seiten umgangen hat). Milady scheinen etwas distrait zu sein--Ich werde mir wohl selbst die Kuhnheit erlauben mussen. (Sehr laut.) Serenissimus schicken mich, Milady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde oder deutsche Komodie?
Lady (lachend aufstehend). Eines von beiden, mein Engel--Unterdessen bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert! (Gegen Sophie.). Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze Garderobe in diesem Saal zusammen-Sophie (geht ab voll Besturzung). O Himmel! Was ahnet mir? Was wird das noch werden?
Hofmarschall. Sie sind echauffiert, meine Gnadige?
Lady. Um so weniger wird hier gelogen sein--Hurrah, Herr Hofmarschall! Es wird eine Stelle vacant. Gut Wetter fur Kuppler! (Das der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft.) Lesen Sie, lesen Sie!--Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter vier Augen bleibe.
Hofmarschall (liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady im Hintergrund):
"Gnadigster Herr!
Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr binden. Die Gluckseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner Liebe. Drei Jahre wahrte der Betrug. Die Binde fallt mir von den Augen. Ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Thranen der Unterthanen triefen.--Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht mehr erwiedern kann, Ihrem weinenden Lande und lernen von einer brittischen Furstin Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk. In einer Stunde bin ich uber der Grenze.
Johanna Norfolk."
Alle Bedienten (murmeln besturzt durcheinander). Uber der Grenze?
Hofmarschall (legt die Karte erschrocken auf den Tisch). Behute der Himmel, meine Beste und Gnadige! Den Uberbringer mußte der Hals eben so jucken, als der Schreiberin.
Lady. Das ist deine Sorge, du Goldmann--Leider weiß ich es, daß du und deines Gleichen am Nachbeten Dessen, was Andre gethan haben, erwurgen!--Mein Rath ware, man backt den Zettel in eine Wildpretpastete, so fanden ihn Serenissimus auf dem Teller-Hofmarschall. Ciel! Diese Vermessenheit!--So erwagen Sie doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen, Lady!
Lady (wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das Folgende mit der innigsten Ruhrung). Ihr steht besturzt, guten Leute, erwartet angstvoll, wie sich das Rathsel entwickeln wird?--Kommt naher, meine Lieben!--Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir ofter in die Augen, als ich die Borse; euer Gehorsam war eure Leidenschaft, euer Stolz--meine Gnade!--Daß das Andenken eurer Treue zugleich das Gedachtniß meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges Schicksal, daß meine schwarzesten Tage eure glucklichen waren! (Mit Thranen in den Augen.) Ich entlasse euch, meine Kinder--Lady Milford ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld abzutragen--Mein Schatzmeister sturze meine Schatulle unter euch--Dieser Palast bleibt dem Herzog--Der Armste von euch wird reicher von hinnen gehen, als seine Gebieterin. (Sie reicht ihre Hande hin, die alle nach einander mit Leidenschaft kussen.) Ich verstehe euch, meine Guten--Lebt wohl! Lebt ewig wohl! (Faßt sich aus ihrer Beklemmung.) Ich hore den Wagen vorfahren. (Sie reißt sich los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg.) Mann des Erbarmens, stehst du noch immer da?
Hofmarschall (der diese ganze Zeit uber mit einem Geistesbankerott auf den Zettel sah). Und dieses Billet soll ich Seiner Hochfurstlichen Durchlaucht zu Hochsteigenen Handen geben?
Lady. Mann des Erbarmens! zu Hochsteigenen Handen, und sollst melden zu Hochsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto konne, so werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf, ihn beherrscht zu haben.
(Sie eilt ab. Alle Ubrigen gehen sehr bewegt auseinander.)
Funfter Akt.
Abend zwischen Licht im Zimmer beim Musikanten.
Erste Scene.
Luise sitzt stumm und ohne sich zu ruhren in dem finstersten Winkel des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet angstlich im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf den Tisch und setzt die Laterne nieder.
Miller. Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht--Durch alle Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf allen Thoren hab' ich gefragt--mein Kind hat man nirgends gesehen. (Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, unglucklicher Vater! Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann ans Ufer geschwommen--Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgottisch an diese Tochter hing?--Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart! Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart! (Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)
Luise (spricht aus dem Winkel). Du thust recht, armer alter Mann! Lerne bei Zeit noch verlieren.
Miller (springt auf). Bist du da, mein Kind? Bist du?--Aber warum denn so einsam und ohne Licht?
Luise. Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn's so recht schwarz wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.
Miller. Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwarmt mit der Eule. Sunden und bose Geister scheuen das Licht.
Luise. Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen redet.
Miller. Kind! Kind! Was fur Reden sind das?
Luise (steht auf und kommt vorwarts). Ich hab' einen harten Kampf gekampft. Er weiß es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist entschieden. Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und zerbrechlich zu nennen. Glaub' Er das nicht mehr. Vor einer Spinne schutteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drucken wir im Spaß in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist lustig.
Miller. Hore, Tochter! ich wollte du heultest. Du gefielst mir so besser.
Luise. Wie ich ihn uberlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen betrugen will!--Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und kuhner--das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern--O, sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Boswichter dumm--Mit einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater, binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen--Will Er mir dies Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?
Miller. An wen, meine Tochter?
Luise. Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit einander nicht Raum genug fur einen einzigen Gedanken an ihn--Wenn hatt' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?
Miller (unruhig). Hore, Luise! Ich erbrechen den Brief.
Luise. Wie Er will, Vater--aber Er wird nicht klug daraus werden. Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge der Liebe.
Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!--Ein Bubenstuck ohne Beispiel zerriß den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat uberall seine Horcher gestellt. Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,--ich weiß einen dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher geht." (Miller halt inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)
Luise. Warum sieht Er mich so an? Les' Er doch ganz aus, Vater.
Miller. "Aber Muth genug mußt du haben, eine finstre Straße zu wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott--Ganz zur Liebe mußt du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine brausenden Wunsche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz. Willst du--so brich auf, wenn die Glocke den zwolften Streich thut auf dem Carmeliterthurm. Bangt dir--so durchstreiche das Wort stark vor deinem Geschlechte, denn ein Madchen hat dich zu Schanden gemacht." (Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen, starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine Tochter?
Luise. Er kennt ihn nicht? Er kennt ihn wirklich nicht, Vater?--Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird ihn finden.
Miller. Hum! rede deutlicher.
Luise. Ich weiß so eben kein liebliches Wort dafur--Er muß nicht erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein haßliches nenne. Dieser Ort--O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schonsten hatte sie diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater--aber Er muß mich ausreden lassen--der dritte Ort ist das Grab.
Miller (zu seinem Sessel hinwankend). O mein Gott!
Luise (geht auf ihn zu und halt ihn). Nicht doch, mein Vater! Das sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern--Weg mit diesem, und es liegt ein Brautbette da, woruber der Morgen seinen goldenen Teppich breitet und die Fruhlinge ihre bunten Guirlanden streun. Nur ein heulender Sunder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein holder, niedlicher Knabe, bluhend, wie sie den Liebesgott malen, aber so tuckisch nicht--ein stiller, dienstbarer Genius, der der erschopften Pilgerin Seele den Arm bietet uber den Graben der Zeit, das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt und verschwindet.
Miller. Was hast du vor, meine Tochter?--Du willst eigenmachtig Hand an dich legen.
Luise. Nenn' Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft raumen, wo ich nicht wohl gelitten bin--an einen Ort vorausspringen, den ich nicht langer missen kann--ist denn das Sunde?
Miller. Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind--die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat zusammenfallen.
Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!--Aber so rasch wird es doch nicht gehn. Ich will in den Fluß springen, Vater, und im Hinuntersinken Gott den Allmachtigen um Erbarmen bitten.
Miller. Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das Gestohlene in Sicherheit weißt--Tochter! Tochter! Gib Acht, daß du Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnothen hast. O! es ist weit, weit mit dir gekommen!--Du hast dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog seine Hand von dir.
Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!
Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben--Du hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt.--Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer machen--Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein. Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch langer geheim halten? Du warst mein Abgott. Hore, Luise, wenn du noch Platz fur das Gefuhl eines Vaters hast--Du warst mein Alles. Jetzt verthust du nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren. Du siehst, mein Haar fangt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vatern die Kapitale zu statten kommen, die wir im Herzen unsrer Kinder anlegten--Wirst du mich darum betrugen, Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und davon machen?
Luise (kußt seine Hand mit der heftigsten Ruhrung). Nein, mein Vater. Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezahlen.
Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?--Sieh! wie du blaß wirst!--Meine Luise begreift es von selbst, daß ich sie in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so fruh dahin eile, wie sie. (Luise sturzt ihm in den Arm, von Schauern ergriffen--Er druckt sie mit Feuer an seine Brust und fahrt fort mit beschworender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich kann nicht uber dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du kannst dich mit einer Stricknadel todten. Vor Gift kann ich dich bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwurgen. --Luise--Luise--nur warnen kann ich dich noch--Willst du es darauf ankommen lassen, daß dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen Brucke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor des Allwissenden Thron mit der Luge wagen: Deinetwegen, Schopfer, bin ich da--wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe suchen?--Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt Wurm wie du, zu den Fußen deines Richters sich windet, deine gottlose Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lugen straft und deine betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende fur sich selbst kaum erflehen kann--wie dann? (Nachdrucklicher, lauter.) Wie dann, Ungluckselige? (Er halt sie fester, blickt sie eine Weile starr und durchdringend an, dann verlaßt er sie schnell.) Jetzt weiß ich nichts mehr--(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott Richter! fur diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring deinem schlanken Jungling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen und deine guten Engel zurucktreten--Zieh hin! Lade alle deine Sunden auf, lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht vollkommen--Hier ist ein Messer--durchstich dein Herz und (indem er lautweinend fortsturzen will) das Vaterherz!
Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater! --daß die Zartlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth! --Was soll ich? Ich kann nicht! Was muß ich thun?
Miller. Wenn die Kusse deines Majors heißer brennen als die Thranen deines Vaters--stirb!
Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater! Hier ist meine Hand! Ich will--Gott! Gott! Was thu' ich? was will ich?--Vater, ich schwore--wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich mich neige!--Vater, es sei!--Ferdinand--Gott sieht herab!--So zernicht' ich sein letztes Gedachtniß. (Sie zerreißt ihren Brief.)
Miller (sturzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter! --Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafur hast du einen glucklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war! Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin! --Mein Luise, mein Himmelreich!--O Gott! ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhoren--so was begreif' ich noch.
Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater--Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist auf immerdar--Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es moglich ist-Miller. Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts wachst uberall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! laß auch Alles dahingehn--Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriß--wir betteln mit der Ballade von Thure zu Thure, und das Almosen wird kostlich schmecken von den Handen der Weinenden-
Zweite Scene.
Ferdinand zu den Vorigen.
Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.
Miller. Wo? Wer?
Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und druckt sich fester an ihren Vater). Er! er selbst--Seh' Er nur um sich, Vater--Mich zu ermorden, ist er da.
Miller (erblickt ihn, fahrt zuruck.) Was? Sie hier, Baron?
Ferdinand (kommt langsam naher, bleibt Luisen gegenuber stehen und laßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause). Uberraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniß ist schrecklich, aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung.--Guten Abend, Miller.
Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was fuhrt Sie her? Was soll dieser Uberfall?
Ferdinand. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden zerstuckte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zogernden Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte--Wie kommt's, daß ich jetzt uberrasche?
Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron--Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zuruckblieb--wenn Sie Die nicht erwurgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick langer. Der Segen war fort aus meiner Hutte, sobald Sie einen Fuß darein setzten. Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wuhlen, die Ihre ungluckliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?
Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen.
Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?--Geh, Unglucksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.
Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das Schicksal laßt nach, uns zu verfolgen. Unsere glucklichen Sterne gehen auf--Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulosen und meine Braut zum Altar abzuholen.
Miller. Horst du ihn, meine Tochter? Horst du ihn sein Gespotte mit deinen getauschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht dem Verfuhrer so schon, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kitzeln.
Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie halten, wie sie ihre Eide--Ich kenne nichts Heiligeres--Noch zweifelst du? noch kein freudiges Errothen auf den Wangen meiner schonen Gemahlin? Sonderbar! die Luge muß hier gangbare Munze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß. (Er wirft Luisen den Brief an den Marschall zu.)
Luise (schlagt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).
Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten, Baron? Ich verstehe Sie nicht.
Ferdinand (fuhrt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese verstanden.
Miller (fallt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!
Ferdinand. Bleich wie der Tod!--Jetzt erst gefallt sie mir, deine Tochter! So schon war sie nie, die fromme, rechtschaffene Tochter--Mit diesem Leichengesicht--Der Odem des Weltgerichts, der den Firniß von jeder Luge streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkunstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat--Es ist ihr schonstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht! Laß mich es kussen. (Er will auf sie zugehen.)
Miller. Zuruck! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Mißhandlungen.
Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist--oder bist du auch vielleicht kluger, als ich dir zugetraut habe? Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt und dies ehrwurdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geschandet?--O! wenn das nicht ist, unglucklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb--Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem sußen Taumel entschlafen: ich war ein glucklicher Vater!--Einen Augenblick spater, und du schleuderst die giftige Natter ihrer hollischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und fahrst mit der Gotteslasterung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich, Ungluckselige! Schriebst du diesen Brief?
Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiß nicht! Vergiß nicht!
Luise. O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand. Daß er in die unrechten Hande fiel?--Gepriesen sei mir der Zufall, er hat großere Thaten gethan, als die klugelnde Vernunft, und wird besser bestehn an jenem Tag, als der Witz aller Weisen--Zufall, sage ich?--O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll?--Antwort will ich!--Schriebst du diesen Brief?
Miller (seitwarts zu ihr mit Beschworung). Standhaft! Standhaft, meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist uberwunden.
Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen. Nun sieh, wie sie dasteht, die Schandliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Luge den Gehorsam aufkundigt! Schwore bei Gott, bei dem furchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.
Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise!--Nein! So wahr meine Seele lebt! du lugst--Auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging--Ich fragte zu heftig--Nicht wahr, Luise--Du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?
Luise. Ich bekannte, was wahr ist.
Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist deine Hand gar nicht--Und ware sie's, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr, Luise--Oder nein, nein, thu' es nicht, du konntest Ja sagen, und ich war' verloren--Eine Luge, Luise--ein Luge!--O wenn du jetzt eine wußtest, mir hinwarfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug uberredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich tauschtest--O Luise! Alle Wahrheit mochte dann mit diesem Hauch aus der Schopfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem hofischen Buckling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.) Schriebst du diesen Brief?
Luise. Bei Gott! bei dem furchterlich wahren! Ja!
Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes). Weib! Weib!--Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!--Theile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammniß keinen Kaufer finden--Wußtest du, was du mir warst, Luise? Unmoglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst! Alles! --Es ist ein armes verachtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Muhe, es zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin--Alles! und so frevelhaft damit zu spielen--O, es ist schrecklich!-Luise. Sie haben mein Gestandniß, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt. Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglucklich waren.
Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig--ruhig, sagt man ja, ist auch der schaudernde Strich Landes, woruber die Pest ging--ich bin's. (Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise--die letzte! Mein Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kuhlung--Willst du mir ein Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)
Dritte Scene.
Ferdinand und Miller.
(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).
Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger Miene). Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure!
Ferdinand. Laß Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.) Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam--Was war die Veranlassung?
Miller. Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lection auf der Flote bei mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?
Ferdinand (rasch). Ich sah Seine Tochter! (Wiederum einige Pausen.) Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir accordierten Ruhe fur meine einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da er Millers Bewegung sieht.) Nein, erschrick nur nicht, alter Mann. (Geruhrt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.
Miller (die Augen wischend). Das weiß der allwissende Gott!
Ferdinand (aufs neue hin und her, in dustres Grubeln versunken). Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dunnen unmerkbaren Seilen hangen oft furchterliche Gewichte--Wußte der Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte--Hum!--Wußte er das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein Bischen Flote zu theuer--und du gewinnst nicht einmal--auch du verlierst--verlierst vielleicht Alles. (Gepreßt von ihm weggehend.) Ungluckseliges Flotenspiel, das mir nie hatte einfallen sollen!
Miller (sucht seine Ruhrung zu verbergen). Die Limonade bleibt auch gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht fur ubel nehmen-Ferdinand. Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich hinmurmelnd.) Zumal fur den Vater nicht--Bleib' Er nur--Was hatt' ich doch fragen wollen?--Ja!--Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat Er keine Kinder mehr?
Miller (warm). Habe sonst keins mehr, Baron--wunsch' mir auch keins mehr. Das Madel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz einzustecken--hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter schon zugesetzt.
Ferdinand (heftig erschuttert). Ha!--Seh' Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller. (Miller ab.)
Vierte Scene.
Ferdinand allein.
Das einzige Kind!--Fuhlst du das, Morder? Das einzige! Morder! horst du, das einzige?--Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes nichts, als sein Instrument und das einzige--Du willst's ihm rauben?
Rauben?--rauben den letzten Nothpfenning einem Bettler? Die Krucke zerbrochen vor die Fuße werfen dem Lahmen? Wie? Hab' ich auch Brust fur das?--Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zahlen, und hereintritt und sie da liegt, die Blume--welk--todt--zertreten, muthwillig, die letzte, einzige, unuberschwangliche Hoffnung--Ha, und er dasteht vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den lebendigen Odem anhalt, und sein erstarrter Blick die entvolkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr finden kann und leerer zuruckkommt--Gott! Gott! Aber auch mein Vater hat diesen einzigen Sohn--den einzigen Sohn, doch nicht den einzigen Reichthum--(Nach einer Pause.) Doch wie? Was verliert er denn? Das Madchen, dem die heiligsten Gefuhle der Liebe nur Puppen waren, wird es den Vater glucklich machen konnen?--Es wird nicht, es wird nicht! Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete, ehe sie auch noch den Vater verwundet.
Funfte Scene.
Miller, der zuruckkommt, und Ferdinand.
Miller. Gleich sollen Sie bedient sein, Baron! Draußen sitzt das arme Ding und will sich zu Tod weinen. Sie wird Ihnen mit der Limonade auch Thranen zu trinken geben.
Ferdinand. Und wohl, wenn's nur Thranen waren!--Weil wir vorhin von der Musik sprachen, Miller--(Eine Borse ziehend.) Ich bin noch Sein Schuldner.
Miller. Wie? Was? Gehen Sie mir, Baron! Wofur halten Sie mich? Das steht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an, und sind wir ja, will's Gott, nicht das letzte Mal bei einander.
Ferdinand. Wer kann das wissen? Nehm' Er nur. Es ist fur Leben und Sterben.
Miller (lachend). O deßwegen, Baron! Auf den Fall, denk' ich, kann man's wagen bei Ihnen.
Ferdinand. Man wagte wirklich--Hat Er nie gehort, daß Junglinge gefallen sind--Madchen und Junglinge, die Kinder der Hoffnung, die Luftschlosser betrogener Vater--Was Wurm und Alter nicht thun, kann oft ein Donnerschlag ausrichten--Auch Seine Luise ist nicht unsterblich.
Miller. Ich hab' sie von Gott.
Ferdinand. Hor' Er--Ich sag' Ihm, sie ist nicht unsterblich. Diese Tochter ist Sein Augapfel. Er hat sich mit Herz und Seel' an diese Tochter gehangt. Sei Er vorsichtig, Miller. Nur ein verzweifelter Spieler setzt Alles auf einen einzigen Wurf. Einen Waghals nennt man den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermogen ladet--Hor' Er, denk' Er der Warnung nach--Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?
Miller. Was, Herr? die ganze allmachtige Borse? Wohin denken Eure Gnaden?
Ferdinand. Auf meine Schuldigkeit--Da! (Er wirft den Beutel auf den Tisch, daß Goldstucke herausfallen.) Ich kann den Quark nicht eine Ewigkeit so halten.
Miller (besturzt). Was beim großen Gott? Der klang nicht wie Silbergeld! (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.) Wie, um aller Himmel willen, Baron? Baron? Wie sind Sie? Was treiben Sie, Baron? Das nenn' ich mir Zerstreuung! (Mit zusammengeschlagenen Handen.) Hier liegt ja--oder bin ich verhext,--oder--Gott verdamm mich! Da greif' ich ja das baare, gelbe, leibhaftige Gottesgold--Nein, Satanas! Du sollst mich nicht daran kriegen!
Ferdinand. Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?
Miller (grob). Donner und Wetter! Da schauen Sie nur hin!--Gold!
Ferdinand. Und was weiter?
Miller. Ins Henkers Namen--ich sage--ich bitte Sie um Gottes Christi willen--Gold!
Ferdinand. Das ist nun freilich etwas Merkwurdiges.
Miller (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung). Gnadiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich etwa zu einem Bubenstuck anspannen wollen--denn so viel Geld laßt sich, weißt Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.
Ferdinand (bewegt). Sei Er ganz getrost, lieber Miller. Das Geld hat Er langst verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit Seinem guten Gewissen dafur bezahlt machen sollte.
Miller (wie ein Halbnarr in die Hohe springend). Mein also! mein! Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein! (Nach der Thur laufend, schreiend.) Weib! Tochter! Victoria! Herbei! (Zuruckkommend.) Aber du lieber Himmel! Wie komm' ich denn so auf einmal zu dem ganzen grausamen Reichthum? Wie verdien' ich ihn? lohn' ich ihn? Heh?
Ferdinand. Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller.--Mit dem Geld hier bezahl' ich Ihm, (von Schauern ergriffen halt er inn) bezahl' ich Ihm (nach einer Pause mit Wehmuth) den drei Monat langen glucklichen Traum von Seiner Tochter.
Miller (faßt seine Hand, die er stark druckt). Gnadiger Herr! Waren Sie ein schlechter, geringer Burgersmann--(rasch) und mein Madel liebte Sie nicht--erstechen wollt' ich's, das Madel! (Wieder beim Geld, darauf niedergeschlagen.) Aber da hab' ich ja nun Alles und Sie nichts, und da werd' ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen mussen? Heh?
Ferdinand. Laß Er sich das nicht anfechten, Freund--Ich reise ab, und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel nicht.
Miller (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet, voll Entzuckung). Bleibt's also mein? Bleibt's?--Aber das thut mir nur leid, daß Sie verreisen--Und wart, was ich jetzt auftreten will! Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will! (Er setzt den Hut auf und schießt durch das Zimmer.) Und auf den Markt will ich und meine Musikstunden geben und Numero funfe Dreikonig rauchen, und wenn ich wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen. (Will fort.)
Ferdinand. Bleib' Er! Schweig' Er! und streich' Er sein Geld ein! (Nachdrucklich.) Nur diesen Abend noch schweig' Er und geb' Er, mir zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.
Miller (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger Freude). Und, Herr! meine Tochter! (Ihn werden loslassend.) Geld macht den Mann nicht--Geld nicht--Ich habe Kartoffeln gegessen oder ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn Gottes liebe Sonne nicht durch den Armel scheint--Fur mich ist das Plunder--Aber dem Madel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an den Augen absehen kann, soll sie haben-Ferdinand (fallt rasch ein). Stille, o stille-Miller (immer feuriger). Und soll mir Franzosisch lernen aus dem Fundament und Menuet-Tanzen und Singen, daß man's in den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen, wie die Hofrathstochter, und einen Kidebarri, wie sie's heißen, und von der Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit-Ferdinand (ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung). Nichts mehr! Nichts mehr! Um Gotteswillen, schweig' Er still! Nur noch heute schweig' Er still! Das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre. |
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