2014년 10월 30일 목요일

Kabale und Liebe 5

Kabale und Liebe 5


Lady (springt auf).  Es ist nicht auszuhalten!--Ja denn! weil ich
dir doch nicht entwischen kann.  Ich kenn' ihn--weiß Alles--weiß
mehr, als ich wissen mag.  (Plotzlich halt sie inne, darauf mit
einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.)
Aber wag' es, Ungluckliche--wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder
von ihm geliebt zu werden--Was sage ich?--Wag' es, an ihn zu
denken oder einer von seinen Gedanken zu sein--Ich bin machtig,
Ungluckliche--furchterlich--so wahr Gott lebt!  Du bist verloren!

Luise (standhaft).  Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, daß
er Sie lieben muß.

Lady.  Ich verstehe dich--aber er soll mich nicht lieben.  Ich will
uber diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrucken
und das deinige zermalmen--Felsen und Abgrunde will ich zwischen euch
werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein
Name soll eure Kusse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander
scheuchen; deine junge bluhende Gestalt unter seiner Umarmung welk,
wie eine Mumie, zusammenfallen--Ich kann nicht mit ihm glucklich
werden--aber du sollst es auch nicht werden--Wisse das, Elende!
Seligkeit zerstoren ist auch Seligkeit.

Luise.  Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, Milady.
Lastern Sie Ihr eigenes Herz nicht.  Sie sind nicht fahig, Das
auszuuben, was Sie so drohend auf mich herabschworen.  Sie sind nicht
fahig, ein Geschopf zu qualen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als
daß es empfunden hat wie Sie--Aber ich liebe Sie um dieser Wallung
willen, Milady.

Luise (die sich jetzt gefaßt hat).  Wo bin ich?  Wo war ich?  Was
hab' ich merken lassen?  Wen hab' ich's merken lassen?--O Luise, edle,
große, gottliche Seele!  Vergib's einer Rasenden--Ich will dir kein
Haar kranken, mein Kind.  Wunsche!  Fordre!  Ich will dich auf den
Handen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein--Du bist
arm--Sieh!  (Einige Brillanten herunternehmend.)  Ich will diesen
Schmuck verkaufen--meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen--Dein
sei Alles, aber entsag' ihm!

Luise (tritt zuruck voll Befremdung).  Spottet sie einer
Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst
keinen Antheil gehabt haben?--Ha!  So konnt' ich mir ja noch den
Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst
aufputzen.  (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie naher
zur Lady, faßt ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.)
Nehmen Sie ihn denn hin, Milady!--Freiwillig tret' ich Ihnen ab den
Mann, den man mit Haken der Holle von meinem blutenden Herzen riß.
--Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den
Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen,
die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschopf, das ihm nahe
ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat
wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird--Lady! ins Ohr des
Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms--Es
wird ihm nicht gleichgultig sein, wenn man Seelen in seinen Handen
mordet!  Jetzt ist er Ihnen!  Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin!
Rennen Sie in seine Arme!  Reißen Sie ihn zum Altar--Nur vergessen
Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer
Selbstmorderin sturzen wird--Gott wird barmherzig sein--Ich kann mir
nicht anders helfen!  (Sie sturzt hinaus.)



Achte Scene.

Lady allein, steht erschuttert und außer sich, den starren Blick nach
der Thure gerichtet, durch welche die Millerin weggeeilt; endlich
erwacht sie aus ihrer Betaubung.


Wie war das?  Wie geschah mir?  Was sprach die Ungluckliche?--Noch, o
Himmel! noch zerreißen sie meine Ohren, die furchterlichen, mich
verdammenden Worte: nehmen Sie ihn hin!--Wen, Ungluckselige? das
Geschenk deines Sterberochelns--das schauervolle Vermachtniß deiner
Verzweiflung?  Gott!  Gott!  Bin ich so tief gesunken--so plotzlich
von allen Thronen meines Stolzes herabgesturzt, daß ich heißhungrig
erwarte, was einer Bettlerin Großmuth aus ihrem letzten Todeskampfe
mir zuwerfen wird?--Nehmen Sie ihn hin! und das spricht sie mit einem
Tone, begleitet sie mit einem Blick--Ha!  Emilie! bist du darum uber
die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten?  Mußtest du darum um
den prachtigen Namen des großen brittischen Weibes buhlen, daß das
prahlende Gebaude deiner Ehre neben der hoheren Tugend einer
verwahrlosten Burgerdirne versinken soll?--Nein, stolze Ungluckliche!
nein!--Beschamen laßt sich Emilie Milford--doch beschimpfen nie!
Auch ich habe Kraft, zu entsagen.

(Mit majestatischen Schritten auf und nieder.)

Verkrieche dich jetzt, weiches, leidendes Weib!--Fahret hin, suße,
goldene Bilder der Liebe--Großmuth allein sei jetzt meine
Fuhrerin!--Dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muß
ihren Anspruch vertilgen und im Herzen des Fursten erloschen!
(Nach einer Pause, lebhaft.)  Es ist geschehen!--Gehoben das
furchtbare Hinderniß--zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem
Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wuthende Liebe!--In deine
Arme werf' ich mich, Tugend!--Nimm sie auf, deine reuige Tochter
Emilie!--Ha!  wie mir so wohl ist!  Wie ich auf einmal so leicht,
so gehoben mich fuhle!--Groß, wie eine fallende Sonne, will ich
heut vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit
sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleite mich in
diese stolze Verweisung.  (Entschlossen zum Schreibpult gehend.)
Jetzt gleich muß es geschehen--jetzt auf der Stelle, ehe die Reize
des lieben Junglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuern.
(Sie setzt sich nieder und fangt an zu schreiben.)



Neunte Scene.

Lady.  Ein Kammerdiener.  Sophie, hernach der Hofmarschall, zuletzt
Bedienter.


Kammerdiener.  Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem
Auftrag vom Herzog.

Lady (in der Hitze des Schreibens.)  Auftaumeln wird sie, die
furstliche Drahtpuppe!  Freilich!  Der Einfall ist auch drollig genug,
so eine durchlauchtigte Hirnschale auseinander zu treiben!--Seine
Hofschranzen werden wirbeln--Das ganze Land wird in Gahrung kommen.

Kammerdiener und Sophie.  Der Hofmarschall, Milady-Lady (dreht sich
um).  Wer?  Was?--Desto besser!  Diese Sorte von Geschopfen ist zum
Sacktragen auf der Welt.  Er soll mir willkommen sein.

Kammerdiener (geht ab).

Sophie (angstlich naher kommend).  Wenn ich nicht furchten mußte,
Milady, es ware Vermessenheit (Lady schreibt hitzig fort.)  Die
Millerin sturzte außer sich durch den Vorsaal--Sie gluhen--Sie
sprechen mit sich selbst.  (Lady schreibt immer fort.)  Ich
erschrecke--Was muß geschehen sein?

Hofmarschall (tritt herein, macht dem Rucken der Lady tausend
Verbeugungen; da sie ihn nicht bemerkt, kommt er naher, stellt sich
hinter ihren Sessel, sucht den Zipfel ihres Kleides wegzukriegen und
druckt einen Kuß darauf, mit furchtsamem Lispeln).  Serenissimus-Lady
(indem sie Sand streut und das Geschriebene durchfliegt).  Er wird
mir schwarzen Undank zur Last legen--Ich war eine verlassene.  Er hat
mich aus dem Elend gezogen--Aus dem Elend?--Abscheulicher Tausch!
--Zerreiße deine Rechnung, Verfuhrer!  Meine ewige Schamrothe bezahlt
sie mit Wucher.

Hofmarschall (nachdem er die Lady vergeblich von allen Seiten
umgangen hat).  Milady scheinen etwas distrait zu sein--Ich werde mir
wohl selbst die Kuhnheit erlauben mussen.  (Sehr laut.)  Serenissimus
schicken mich, Milady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde
oder deutsche Komodie?

Lady (lachend aufstehend).  Eines von beiden, mein Engel--Unterdessen
bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert!  (Gegen Sophie.).
Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze
Garderobe in diesem Saal zusammen-Sophie (geht ab voll Besturzung).
O Himmel!  Was ahnet mir?  Was wird das noch werden?

Hofmarschall.  Sie sind echauffiert, meine Gnadige?

Lady.  Um so weniger wird hier gelogen sein--Hurrah, Herr
Hofmarschall!  Es wird eine Stelle vacant.  Gut Wetter fur Kuppler!
(Das der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft.)
Lesen Sie, lesen Sie!--Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter
vier Augen bleibe.

Hofmarschall (liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady
im Hintergrund):


"Gnadigster Herr!

Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr
binden.  Die Gluckseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner
Liebe.  Drei Jahre wahrte der Betrug.  Die Binde fallt mir von den
Augen.  Ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Thranen der
Unterthanen triefen.--Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht
mehr erwiedern kann, Ihrem weinenden Lande und lernen von einer
brittischen Furstin Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk.  In einer
Stunde bin ich uber der Grenze.

Johanna Norfolk."

Alle Bedienten (murmeln besturzt durcheinander).  Uber der Grenze?

Hofmarschall (legt die Karte erschrocken auf den Tisch).  Behute der
Himmel, meine Beste und Gnadige!  Den Uberbringer mußte der Hals eben
so jucken, als der Schreiberin.

Lady.  Das ist deine Sorge, du Goldmann--Leider weiß ich es, daß du
und deines Gleichen am Nachbeten Dessen, was Andre gethan haben,
erwurgen!--Mein Rath ware, man backt den Zettel in eine
Wildpretpastete, so fanden ihn Serenissimus auf dem
Teller-Hofmarschall.  Ciel!  Diese Vermessenheit!--So erwagen Sie
doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen,
Lady!

Lady (wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das
Folgende mit der innigsten Ruhrung).  Ihr steht besturzt, guten Leute,
erwartet angstvoll, wie sich das Rathsel entwickeln wird?--Kommt
naher, meine Lieben!--Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir
ofter in die Augen, als ich die Borse; euer Gehorsam war eure
Leidenschaft, euer Stolz--meine Gnade!--Daß das Andenken eurer Treue
zugleich das Gedachtniß meiner Erniedrigung sein muß!  Trauriges
Schicksal, daß meine schwarzesten Tage eure glucklichen waren!  (Mit
Thranen in den Augen.)  Ich entlasse euch, meine Kinder--Lady Milford
ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld
abzutragen--Mein Schatzmeister sturze meine Schatulle unter
euch--Dieser Palast bleibt dem Herzog--Der Armste von euch wird
reicher von hinnen gehen, als seine Gebieterin.  (Sie reicht ihre
Hande hin, die alle nach einander mit Leidenschaft kussen.)  Ich
verstehe euch, meine Guten--Lebt wohl!  Lebt ewig wohl!  (Faßt sich
aus ihrer Beklemmung.)  Ich hore den Wagen vorfahren.  (Sie reißt sich
los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg.)  Mann des
Erbarmens, stehst du noch immer da?

Hofmarschall (der diese ganze Zeit uber mit einem Geistesbankerott
auf den Zettel sah).  Und dieses Billet soll ich Seiner
Hochfurstlichen Durchlaucht zu Hochsteigenen Handen geben?

Lady.  Mann des Erbarmens! zu Hochsteigenen Handen, und sollst melden
zu Hochsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto konne, so
werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf,
ihn beherrscht zu haben.

(Sie eilt ab.  Alle Ubrigen gehen sehr bewegt auseinander.)




Funfter Akt.

Abend zwischen Licht im Zimmer beim Musikanten.



Erste Scene.

Luise sitzt stumm und ohne sich zu ruhren in dem finstersten Winkel
des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken.  Nach einer großen und
tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet angstlich
im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf
den Tisch und setzt die Laterne nieder.


Miller.  Hier ist sie auch nicht.  Hier wieder nicht--Durch alle
Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf
allen Thoren hab' ich gefragt--mein Kind hat man nirgends gesehen.
(Nach einigem Stillschweigen.)  Geduld, armer, unglucklicher Vater!
Warte ab, bis es Morgen wird.  Vielleicht kommt deine Einzige dann
ans Ufer geschwommen--Gott!  Gott!  Wenn ich mein Herz zu abgottisch
an diese Tochter hing?--Die Strafe ist hart.  Himmlischer Vater, hart!
Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart!
(Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)

Luise (spricht aus dem Winkel).  Du thust recht, armer alter Mann!
Lerne bei Zeit noch verlieren.

Miller (springt auf).  Bist du da, mein Kind?  Bist du?--Aber warum
denn so einsam und ohne Licht?

Luise.  Ich bin darum doch nicht einsam.  Wenn's so recht schwarz
wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.

Miller.  Gott bewahre dich!  Nur der Gewissenswurm schwarmt mit der
Eule.  Sunden und bose Geister scheuen das Licht.

Luise.  Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen
redet.

Miller.  Kind!  Kind!  Was fur Reden sind das?

Luise (steht auf und kommt vorwarts).  Ich hab' einen harten Kampf
gekampft.  Er weiß es, Vater.  Gott gab mir Kraft.  Der Kampf ist
entschieden.  Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und
zerbrechlich zu nennen.  Glaub' Er das nicht mehr.  Vor einer Spinne
schutteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drucken wir
im Spaß in die Arme.  Dieses zur Nachricht, Vater.  Seine Luise ist
lustig.

Miller.  Hore, Tochter! ich wollte du heultest.  Du gefielst mir so
besser.

Luise.  Wie ich ihn uberlisten will, Vater!  Wie ich den Tyrannen
betrugen will!--Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und
kuhner--das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern--O,
sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber
sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Boswichter dumm--Mit
einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln?  Eide, Vater,
binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente
eisernes Band.  Ferdinand wird seine Luise kennen--Will Er mir dies
Billet besorgen, Vater?  Will Er so gut sein?

Miller.  An wen, meine Tochter?

Luise.  Seltsame Frage!  Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit
einander nicht Raum genug fur einen einzigen Gedanken an ihn--Wenn
hatt' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?

Miller (unruhig).  Hore, Luise!  Ich erbrechen den Brief.

Luise.  Wie Er will, Vater--aber Er wird nicht klug daraus werden.
Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge
der Liebe.

Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!--Ein Bubenstuck ohne
Beispiel zerriß den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur
hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat uberall seine Horcher
gestellt.  Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,--ich weiß einen
dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher
geht." (Miller halt inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)

Luise.  Warum sieht Er mich so an?  Les' Er doch ganz aus, Vater.

Miller. "Aber Muth genug mußt du haben, eine finstre Straße zu
wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott--Ganz zur
Liebe mußt du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine
brausenden Wunsche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz.  Willst
du--so brich auf, wenn die Glocke den zwolften Streich thut auf dem
Carmeliterthurm.  Bangt dir--so durchstreiche das Wort stark vor
deinem Geschlechte, denn ein Madchen hat dich zu Schanden gemacht."
(Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen,
starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und
sagt mit leiser, gebrochener Stimme.)  Und dieser dritte Ort, meine
Tochter?

Luise.  Er kennt ihn nicht?  Er kennt ihn wirklich nicht,
Vater?--Sonderbar!  Der Ort ist zum Finden gemalt.  Ferdinand wird
ihn finden.

Miller.  Hum! rede deutlicher.

Luise.  Ich weiß so eben kein liebliches Wort dafur--Er muß nicht
erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein haßliches nenne.  Dieser Ort--O
warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schonsten hatte sie
diesem gegeben.  Der dritte Ort, guter Vater--aber Er muß mich
ausreden lassen--der dritte Ort ist das Grab.

Miller (zu seinem Sessel hinwankend).  O mein Gott!

Luise (geht auf ihn zu und halt ihn).  Nicht doch, mein Vater!  Das
sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern--Weg mit diesem,
und es liegt ein Brautbette da, woruber der Morgen seinen goldenen
Teppich breitet und die Fruhlinge ihre bunten Guirlanden streun.  Nur
ein heulender Sunder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein
holder, niedlicher Knabe, bluhend, wie sie den Liebesgott malen, aber
so tuckisch nicht--ein stiller, dienstbarer Genius, der der
erschopften Pilgerin Seele den Arm bietet uber den Graben der Zeit,
das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt
und verschwindet.

Miller.  Was hast du vor, meine Tochter?--Du willst eigenmachtig Hand
an dich legen.

Luise.  Nenn' Er es nicht so, mein Vater.  Eine Gesellschaft raumen,
wo ich nicht wohl gelitten bin--an einen Ort vorausspringen, den ich
nicht langer missen kann--ist denn das Sunde?

Miller.  Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind--die einzige,
die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat
zusammenfallen.

Luise (bleibt erstarrt stehn).  Entsetzlich!--Aber so rasch wird es
doch nicht gehn.  Ich will in den Fluß springen, Vater, und im
Hinuntersinken Gott den Allmachtigen um Erbarmen bitten.

Miller.  Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das
Gestohlene in Sicherheit weißt--Tochter!  Tochter!  Gib Acht, daß du
Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnothen hast.  O!
es ist weit, weit mit dir gekommen!--Du hast dein Gebet aufgegeben,
und der Barmherzige zog seine Hand von dir.

Luise.  Ist lieben denn Frevel, mein Vater!

Miller.  Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben--Du
hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur
Grube gebeugt.--Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer
machen--Tochter, ich sprach vorhin etwas.  Ich glaubte allein zu sein.
Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch langer geheim
halten?  Du warst mein Abgott.  Hore, Luise, wenn du noch Platz fur
das Gefuhl eines Vaters hast--Du warst mein Alles.  Jetzt verthust du
nichts mehr von deinem Eigenthum.  Auch ich hab' Alles zu verlieren.
Du siehst, mein Haar fangt an grau zu werden.  Die Zeit meldet sich
allgemach bei mir, wo uns Vatern die Kapitale zu statten kommen, die
wir im Herzen unsrer Kinder anlegten--Wirst du mich darum betrugen,
Luise?  Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und
davon machen?

Luise (kußt seine Hand mit der heftigsten Ruhrung).  Nein, mein Vater.
Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der
Ewigkeit mit Wucher bezahlen.

Miller.  Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind?  (Sehr
ernst und feierlich.)  Werden wir uns dort wohl noch finden?--Sieh!
wie du blaß wirst!--Meine Luise begreift es von selbst, daß ich sie
in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so fruh
dahin eile, wie sie.  (Luise sturzt ihm in den Arm, von Schauern
ergriffen--Er druckt sie mit Feuer an seine Brust und fahrt fort mit
beschworender Stimme.)  O Tochter!  Tochter! gefallene, vielleicht
schon verlorene Tochter!  Beherzige das ernsthafte Vaterwort!  Ich
kann nicht uber dich wachen.  Ich kann dir die Messer nehmen, du
kannst dich mit einer Stricknadel todten.  Vor Gift kann ich dich
bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwurgen.
--Luise--Luise--nur warnen kann ich dich noch--Willst du es darauf
ankommen lassen, daß dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen
Brucke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche?  Willst du dich vor
des Allwissenden Thron mit der Luge wagen: Deinetwegen, Schopfer, bin
ich da--wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe
suchen?--Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt
Wurm wie du, zu den Fußen deines Richters sich windet, deine gottlose
Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lugen straft und deine
betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende
fur sich selbst kaum erflehen kann--wie dann?  (Nachdrucklicher,
lauter.)  Wie dann, Ungluckselige?  (Er halt sie fester, blickt sie
eine Weile starr und durchdringend an, dann verlaßt er sie schnell.)
Jetzt weiß ich nichts mehr--(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott
Richter! fur diese Seele nicht mehr.  Thu, was du willst.  Bring
deinem schlanken Jungling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen und
deine guten Engel zurucktreten--Zieh hin!  Lade alle deine Sunden auf,
lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die
Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht
vollkommen--Hier ist ein Messer--durchstich dein Herz und (indem er
lautweinend fortsturzen will) das Vaterherz!

Luise (springt auf und eilt ihm nach).  Halt! halt!  O mein Vater!
--daß die Zartlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth!
--Was soll ich?  Ich kann nicht!  Was muß ich thun?

Miller.  Wenn die Kusse deines Majors heißer brennen als die Thranen
deines Vaters--stirb!

Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit).  Vater!
Hier ist meine Hand!  Ich will--Gott!  Gott!  Was thu' ich? was will
ich?--Vater, ich schwore--wehe mir, wehe!  Verbrecherin, wohin ich
mich neige!--Vater, es sei!--Ferdinand--Gott sieht herab!--So
zernicht' ich sein letztes Gedachtniß.  (Sie zerreißt ihren Brief.)

Miller (sturzt ihr freudetrunken an den Hals).  Das ist meine Tochter!
--Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafur hast du
einen glucklichen Vater gemacht.  (Unter Lachen und Weinen sie
umarmend.)  Kind!  Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war!
Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin!
--Mein Luise, mein Himmelreich!--O Gott! ich verstehe ja wenig vom
Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhoren--so was begreif'
ich noch.

Luise.  Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater--Weg von der Stadt,
wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist
auf immerdar--Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren
der verlorenen Seligkeit anreden.  Weg, wenn es moglich ist-Miller.
Wohin du nur willst, meine Tochter.  Das Brod unsers Herrgotts wachst
uberall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren.  Ja! laß auch
Alles dahingehn--Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute,
singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr
Herz zerriß--wir betteln mit der Ballade von Thure zu Thure, und das
Almosen wird kostlich schmecken von den Handen der Weinenden-



Zweite Scene.

Ferdinand zu den Vorigen.


Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend
um den Hals).  Gott!  Da ist er!  Ich bin verloren.

Miller.  Wo?  Wer?

Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und druckt sich
fester an ihren Vater).  Er! er selbst--Seh' Er nur um sich,
Vater--Mich zu ermorden, ist er da.

Miller (erblickt ihn, fahrt zuruck.)  Was?  Sie hier, Baron?

Ferdinand (kommt langsam naher, bleibt Luisen gegenuber stehen und
laßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause).
Uberraschtes Gewissen, habe Dank!  Dein Bekenntniß ist schrecklich,
aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung.--Guten Abend,
Miller.

Miller.  Aber um Gottes willen!  Was wollen Sie, Baron?  Was fuhrt
Sie her?  Was soll dieser Uberfall?

Ferdinand.  Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden
zerstuckte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zogernden
Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen
sollte--Wie kommt's, daß ich jetzt uberrasche?

Miller.  Gehen Sie, gehen Sie, Baron--Wenn noch ein Funke von
Menschlichkeit in Ihrem Herzen zuruckblieb--wenn Sie Die nicht
erwurgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie
keinen Augenblick langer.  Der Segen war fort aus meiner Hutte,
sobald Sie einen Fuß darein setzten.  Sie haben das Elend unter mein
Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war.  Sind Sie noch
nicht zufrieden?  Wollen Sie auch in der Wunde noch wuhlen, die Ihre
ungluckliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?

Ferdinand.  Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter
etwas Erfreuliches zu sagen.

Miller.  Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?--Geh,
Unglucksbote!  Dein Gesicht schimpft deine Waare.

Ferdinand.  Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen!
Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen
Augenblick aus dem Lande.  Mein Vater billigt meine Wahl.  Das
Schicksal laßt nach, uns zu verfolgen.  Unsere glucklichen Sterne
gehen auf--Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulosen und meine
Braut zum Altar abzuholen.

Miller.  Horst du ihn, meine Tochter?  Horst du ihn sein Gespotte mit
deinen getauschten Hoffnungen treiben?  O wahrlich, Baron! es steht
dem Verfuhrer so schon, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu
kitzeln.

Ferdinand.  Du glaubst, ich scherze.  Bei meiner Ehre nicht!  Meine
Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie
halten, wie sie ihre Eide--Ich kenne nichts Heiligeres--Noch
zweifelst du? noch kein freudiges Errothen auf den Wangen meiner
schonen Gemahlin?  Sonderbar! die Luge muß hier gangbare Munze sein,
wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet.  Ihr mißtraut meinen
Worten?  So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß.  (Er wirft Luisen
den Brief an den Marschall zu.)

Luise (schlagt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).

Miller (ohne das zu bemerken, zum Major).  Was soll das bedeuten,
Baron?  Ich verstehe Sie nicht.

Ferdinand (fuhrt ihn zu Luisen hin).  Desto besser hat mich Diese
verstanden.

Miller (fallt an ihr nieder).  O Gott! meine Tochter!

Ferdinand.  Bleich wie der Tod!--Jetzt erst gefallt sie mir, deine
Tochter!  So schon war sie nie, die fromme, rechtschaffene
Tochter--Mit diesem Leichengesicht--Der Odem des Weltgerichts, der
den Firniß von jeder Luge streift, hat jetzt die Schminke verblasen,
womit die Tausendkunstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen
hat--Es ist ihr schonstes Gesicht!  Es ist ihr erstes wahres Gesicht!
Laß mich es kussen.  (Er will auf sie zugehen.)

Miller.  Zuruck!  Weg!  Greife nicht an das Vaterherz, Knabe!  Vor
deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es
vor deinen Mißhandlungen.

Ferdinand.  Was willst du, Graukopf?  Mit dir hab' ich nichts zu
schaffen.  Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren
ist--oder bist du auch vielleicht kluger, als ich dir zugetraut habe?
Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner
Tochter geborgt und dies ehrwurdige Haar mit dem Gewerb eines
Kupplers geschandet?--O! wenn das nicht ist, unglucklicher alter Mann,
lege dich nieder und stirb--Noch ist es Zeit.  Noch kannst du in dem
sußen Taumel entschlafen: ich war ein glucklicher Vater!--Einen
Augenblick spater, und du schleuderst die giftige Natter ihrer
hollischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und
fahrst mit der Gotteslasterung in die Grube.  (Zu Luisen.)  Sprich,
Ungluckselige!  Schriebst du diesen Brief?

Miller (warnend zu Luisen).  Um Gottes Willen, Tochter!  Vergiß nicht!
Vergiß nicht!

Luise.  O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand.  Daß er in die
unrechten Hande fiel?--Gepriesen sei mir der Zufall, er hat großere
Thaten gethan, als die klugelnde Vernunft, und wird besser bestehn an
jenem Tag, als der Witz aller Weisen--Zufall, sage ich?--O die
Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein
Teufel entlarvt werden soll?--Antwort will ich!--Schriebst du diesen
Brief?

Miller (seitwarts zu ihr mit Beschworung).  Standhaft!  Standhaft,
meine Tochter!  Nur noch das einzige Ja, und Alles ist uberwunden.

Ferdinand.  Lustig! lustig!  Auch der Vater betrogen!  Alles betrogen.
Nun sieh, wie sie dasteht, die Schandliche, und selbst ihre Zunge
nun ihrer letzten Luge den Gehorsam aufkundigt!  Schwore bei Gott,
bei dem furchterlich wahren!  Schriebst du diesen Brief?

Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem
Vater gesprochen hat, fest und entscheidend).  Ich schrieb ihn.

Ferdinand (bleibe erschrocken stehen).  Luise!--Nein!  So wahr meine
Seele lebt! du lugst--Auch die Unschuld bekennt sich auf der
Folterbank zu Freveln, die sie nie beging--Ich fragte zu
heftig--Nicht wahr, Luise--Du bekanntest nur, weil ich zu heftig
fragte?

Luise.  Ich bekannte, was wahr ist.

Ferdinand.  Nein, sag' ich! nein! nein!  Du schriebst nicht.  Es ist
deine Hand gar nicht--Und ware sie's, warum sollten Handschriften
schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben?  Rede mir wahr,
Luise--Oder nein, nein, thu' es nicht, du konntest Ja sagen, und ich
war' verloren--Eine Luge, Luise--ein Luge!--O wenn du jetzt eine
wußtest, mir hinwarfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur
mein Aug uberredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich
tauschtest--O Luise!  Alle Wahrheit mochte dann mit diesem Hauch aus
der Schopfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun
an zu einem hofischen Buckling beugen!  (Mit scheuem bebendem Ton.)
Schriebst du diesen Brief?

Luise.  Bei Gott! bei dem furchterlich wahren!  Ja!

Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes).
Weib!  Weib!--Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!--Theile
mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der
Verdammniß keinen Kaufer finden--Wußtest du, was du mir warst, Luise?
Unmoglich!  Nein!  Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst!  Alles!
--Es ist ein armes verachtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Muhe, es
zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin--Alles! und so
frevelhaft damit zu spielen--O, es ist schrecklich!-Luise.  Sie haben
mein Gestandniß, Herr von Walter.  Ich habe mich selbst verdammt.
Gehen Sie nun!  Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglucklich waren.

Ferdinand.  Gut! gut!  Ich bin ja ruhig--ruhig, sagt man ja, ist auch
der schaudernde Strich Landes, woruber die Pest ging--ich bin's.
(Nach einigem Nachdenken.)  Noch eine Bitte, Luise--die letzte!  Mein
Kopf brennt so fieberisch.  Ich brauch Kuhlung--Willst du mir ein
Glas Limonade zurecht machen?  (Luise geht ab.)



Dritte Scene.

Ferdinand und Miller.

(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den
entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).


Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger
Miene).  Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn
ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure!

Ferdinand.  Laß Er es gut sein, Miller.  (Wieder einige Schritte.)
Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam--Was war die
Veranlassung?

Miller.  Wie, Herr Major?  Sie wollten ja Lection auf der Flote bei
mir nehmen?  Das wissen Sie nicht mehr?

Ferdinand (rasch).  Ich sah Seine Tochter!  (Wiederum einige Pausen.)
Er hat nicht Wort gehalten, Freund.  Wir accordierten Ruhe fur meine
einsamen Stunden.  Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen.  (Da
er Millers Bewegung sieht.)  Nein, erschrick nur nicht, alter Mann.
(Geruhrt an seinem Hals.)  Du bist nicht schuldig.

Miller (die Augen wischend).  Das weiß der allwissende Gott!

Ferdinand (aufs neue hin und her, in dustres Grubeln versunken).
Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns.  An dunnen
unmerkbaren Seilen hangen oft furchterliche Gewichte--Wußte der
Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte--Hum!--Wußte er
das?  (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker
Bewegung fassend.)  Mann!  Ich bezahle dir dein Bischen Flote zu
theuer--und du gewinnst nicht einmal--auch du verlierst--verlierst
vielleicht Alles.  (Gepreßt von ihm weggehend.)  Ungluckseliges
Flotenspiel, das mir nie hatte einfallen sollen!

Miller (sucht seine Ruhrung zu verbergen).  Die Limonade bleibt auch
gar zu lang außen.  Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht
fur ubel nehmen-Ferdinand.  Es eilt nicht, lieber Miller.  (Vor sich
hinmurmelnd.)  Zumal fur den Vater nicht--Bleib' Er nur--Was hatt' ich
doch fragen wollen?--Ja!--Ist Luise Seine einzige Tochter?  Sonst hat
Er keine Kinder mehr?

Miller (warm).  Habe sonst keins mehr, Baron--wunsch' mir auch keins
mehr.  Das Madel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz
einzustecken--hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter
schon zugesetzt.

Ferdinand (heftig erschuttert).  Ha!--Seh' Er doch lieber nach dem
Trank, guter Miller.  (Miller ab.)



Vierte Scene.

Ferdinand allein.


Das einzige Kind!--Fuhlst du das, Morder?  Das einzige!  Morder!
horst du, das einzige?--Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes
nichts, als sein Instrument und das einzige--Du willst's ihm rauben?

Rauben?--rauben den letzten Nothpfenning einem Bettler?  Die Krucke
zerbrochen vor die Fuße werfen dem Lahmen?  Wie?  Hab' ich auch Brust
fur das?--Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze
Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zahlen,
und hereintritt und sie da liegt, die Blume--welk--todt--zertreten,
muthwillig, die letzte, einzige, unuberschwangliche Hoffnung--Ha, und
er dasteht vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den
lebendigen Odem anhalt, und sein erstarrter Blick die entvolkerte
Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr
finden kann und leerer zuruckkommt--Gott!  Gott!  Aber auch mein
Vater hat diesen einzigen Sohn--den einzigen Sohn, doch nicht den
einzigen Reichthum--(Nach einer Pause.)  Doch wie?  Was verliert er
denn?  Das Madchen, dem die heiligsten Gefuhle der Liebe nur Puppen
waren, wird es den Vater glucklich machen konnen?--Es wird nicht, es
wird nicht!  Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete,
ehe sie auch noch den Vater verwundet.



Funfte Scene.

Miller, der zuruckkommt, und Ferdinand.


Miller.  Gleich sollen Sie bedient sein, Baron!  Draußen sitzt das
arme Ding und will sich zu Tod weinen.  Sie wird Ihnen mit der
Limonade auch Thranen zu trinken geben.

Ferdinand.  Und wohl, wenn's nur Thranen waren!--Weil wir vorhin von
der Musik sprachen, Miller--(Eine Borse ziehend.)  Ich bin noch Sein
Schuldner.

Miller.  Wie?  Was?  Gehen Sie mir, Baron!  Wofur halten Sie mich?
Das steht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an,
und sind wir ja, will's Gott, nicht das letzte Mal bei einander.

Ferdinand.  Wer kann das wissen?  Nehm' Er nur.  Es ist fur Leben und
Sterben.

Miller (lachend).  O deßwegen, Baron!  Auf den Fall, denk' ich, kann
man's wagen bei Ihnen.

Ferdinand.  Man wagte wirklich--Hat Er nie gehort, daß Junglinge
gefallen sind--Madchen und Junglinge, die Kinder der Hoffnung, die
Luftschlosser betrogener Vater--Was Wurm und Alter nicht thun, kann
oft ein Donnerschlag ausrichten--Auch Seine Luise ist nicht
unsterblich.

Miller.  Ich hab' sie von Gott.

Ferdinand.  Hor' Er--Ich sag' Ihm, sie ist nicht unsterblich.  Diese
Tochter ist Sein Augapfel.  Er hat sich mit Herz und Seel' an diese
Tochter gehangt.  Sei Er vorsichtig, Miller.  Nur ein verzweifelter
Spieler setzt Alles auf einen einzigen Wurf.  Einen Waghals nennt man
den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermogen ladet--Hor' Er,
denk' Er der Warnung nach--Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?

Miller.  Was, Herr? die ganze allmachtige Borse?  Wohin denken Eure
Gnaden?

Ferdinand.  Auf meine Schuldigkeit--Da!  (Er wirft den Beutel auf den
Tisch, daß Goldstucke herausfallen.)  Ich kann den Quark nicht eine
Ewigkeit so halten.

Miller (besturzt).  Was beim großen Gott?  Der klang nicht wie
Silbergeld!  (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.)  Wie, um
aller Himmel willen, Baron?  Baron?  Wie sind Sie?  Was treiben Sie,
Baron?  Das nenn' ich mir Zerstreuung!  (Mit zusammengeschlagenen
Handen.)  Hier liegt ja--oder bin ich verhext,--oder--Gott
verdamm mich!  Da greif' ich ja das baare, gelbe, leibhaftige
Gottesgold--Nein, Satanas!  Du sollst mich nicht daran kriegen!

Ferdinand.  Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?

Miller (grob).  Donner und Wetter!  Da schauen Sie nur hin!--Gold!

Ferdinand.  Und was weiter?

Miller.  Ins Henkers Namen--ich sage--ich bitte Sie um Gottes Christi
willen--Gold!

Ferdinand.  Das ist nun freilich etwas Merkwurdiges.

Miller (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung).
Gnadiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich
etwa zu einem Bubenstuck anspannen wollen--denn so viel Geld laßt
sich, weißt Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.

Ferdinand (bewegt).  Sei Er ganz getrost, lieber Miller.  Das Geld
hat Er langst verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit
Seinem guten Gewissen dafur bezahlt machen sollte.

Miller (wie ein Halbnarr in die Hohe springend).  Mein also! mein!
Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein!  (Nach der Thur laufend,
schreiend.)  Weib!  Tochter!  Victoria!  Herbei!  (Zuruckkommend.)
Aber du lieber Himmel!  Wie komm' ich denn so auf einmal zu dem
ganzen grausamen Reichthum?  Wie verdien' ich ihn? lohn' ich ihn?
Heh?

Ferdinand.  Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller.--Mit dem Geld hier
bezahl' ich Ihm, (von Schauern ergriffen halt er inn) bezahl' ich Ihm
(nach einer Pause mit Wehmuth) den drei Monat langen glucklichen
Traum von Seiner Tochter.

Miller (faßt seine Hand, die er stark druckt).  Gnadiger Herr!  Waren
Sie ein schlechter, geringer Burgersmann--(rasch) und mein Madel
liebte Sie nicht--erstechen wollt' ich's, das Madel!  (Wieder beim
Geld, darauf niedergeschlagen.)  Aber da hab' ich ja nun Alles und Sie
nichts, und da werd' ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen
mussen?  Heh?

Ferdinand.  Laß Er sich das nicht anfechten, Freund--Ich reise ab,
und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel
nicht.

Miller (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet,
voll Entzuckung).  Bleibt's also mein?  Bleibt's?--Aber das thut mir
nur leid, daß Sie verreisen--Und wart, was ich jetzt auftreten will!
Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will!  (Er setzt den Hut auf und
schießt durch das Zimmer.)  Und auf den Markt will ich und meine
Musikstunden geben und Numero funfe Dreikonig rauchen, und wenn ich
wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen.
(Will fort.)

Ferdinand.  Bleib' Er!  Schweig' Er! und streich' Er sein Geld ein!
(Nachdrucklich.)  Nur diesen Abend noch schweig' Er und geb' Er, mir
zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.

Miller (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger
Freude).  Und, Herr! meine Tochter!  (Ihn werden loslassend.)  Geld
macht den Mann nicht--Geld nicht--Ich habe Kartoffeln gegessen oder
ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn
Gottes liebe Sonne nicht durch den Armel scheint--Fur mich ist das
Plunder--Aber dem Madel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an
den Augen absehen kann, soll sie haben-Ferdinand (fallt rasch ein).
Stille, o stille-Miller (immer feuriger).  Und soll mir Franzosisch
lernen aus dem Fundament und Menuet-Tanzen und Singen, daß man's in
den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen, wie die
Hofrathstochter, und einen Kidebarri, wie sie's heißen, und von der
Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit-Ferdinand
(ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung).  Nichts mehr!
Nichts mehr!  Um Gotteswillen, schweig' Er still!  Nur noch heute
schweig' Er still!  Das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre.

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