2015년 8월 30일 일요일

Kindheit 13

Kindheit 13


Sie lächelt auf ihre traurige bezaubernde Art, nimmt meinen Kopf, küßt
mich auf die Stirn, die Nase und die Augen und setzt mich auf ihren
Schoß.
 
»Also du hast mich sehr lieb?« Sie schweigt einen Augenblick und sagt
dann: »Hörst du, hab mich stets lieb und vergiß mich nicht. Wenn deine
Mutter nicht mehr da ist, mußt du sie nie vergessen! Hörst du: nie,
Nikolas.«
 
Und sie küßt mich noch zärtlicher.
 
»Hör auf, sag das nicht, liebste beste Mutter!« rufe ich, ihre Knie
küssend, und dabei stürzen Tränen aus meinen Augen, Tränen der Liebe
und des Entzückens.
 
Kommt man dann nach oben und steht in seinem wattierten Schlafrock vor
dem Heiligenbild, welch wunderbares Gefühl empfindet man dann bei den
Worten: »Lieber Gott, beschütze meine Eltern, Papa, Mama und Großmama,
den Lehrer Karl Iwanowitsch, meinen Bruder Wolodja und meine Schwester
Ljubotschka.«
 
Wenn ich diese Worte sprach, die meine Lippen zuerst der lieben Mutter
nachstammelten, floß die Liebe zu Gott und den Eltern sonderbar in ein
Gefühl zusammen. Ich wußte und fühlte, daß Gott groß, gerecht und gut
sei; ich war überzeugt, daß all meine Bitten erfüllt, alle Vergehen
bestraft würden, daß ich ihm für alles, alles dankbar sein müsse und
daß er mich nie verlassen würde.
 
Kein Zweifel störte damals meine Ruhe.
 
Nach dem Gebet wickelte ich mich, leicht und fröhlich ums Herz, in
meine Decke ein. Ein schöner Traum folgte dem anderen; aber was hatten
sie zum Gegenstande? Flüchtige Dinge, dabei war ich erfüllt von
Hoffnung auf helles Glück und reine Liebe. Dann fiel mir wohl Karl
Iwanowitsch mit seinem traurigen Schicksal ein, der einzige Mensch, den
ich für unglücklich hielt. Er tat mir so leid und ich empfand so viel
Liebe für ihn, daß mir Tränen in die Augen traten und ich wünschte,
Gott möge ihn glücklich machen und es mir ermöglichen, ihm meine Liebe
zu zeigen -- ich wollte gern alles für ihn opfern. Dann stopfte ich
mein liebstes Spielzeug, ein Häschen oder Hündchen aus Porzellan, in
eine Ecke des Federkissens und freute mich, wie gut, warm und behaglich
es dort liegen könne. Dann bat ich noch den lieben Gott, allen Glück
und Zufriedenheit zu geben und morgen zum Spazierengehen schönes
Wetter zu machen, legte mich auf die andere Seite, Gedanken und Träume
vermischten sich, und ich schlief leise und sanft mit tränenfeuchtem
Gesicht ein.
 
Werden sie je wiederkehren, die Frische, Sorglosigkeit und
Glaubensstärke, die ich unbewußt in der Kindheit besaß? Welch schönere
Zeit kann es geben, als die, in der die zwei höchsten Tugenden:
unschuldige Heiterkeit und ein unendliches Bedürfnis zu lieben,
die Haupttriebfedern im Leben waren. Wo sind die gläubigen Gebete
geblieben? wo die schönste Gabe: reine Tränen der Rührung? Kam ein
tröstender Engel geflogen, trocknete lächelnd diese Tränen und hauchte
der reinen Phantasie des Kindes süße Träume ein? Hat das Leben wirklich
so schwere Spuren in meinem Herzen hinterlassen, daß dieses Entzücken
und diese Tränen auf ewig verschwunden und nur Erinnerungen geblieben
sind?
 
 
18. Verse.
 
Am 8. September 1836, fast einen Monat nach unserer Ankunft in Moskau
war Großmutters Geburtstag. Um zehn Uhr morgens saß ich im Moskauer
Hause im Klassenzimmer an einem großen Tisch und schrieb; auf der
anderen Tischseite machte der Zeichenlehrer die letzten Verbesserungen
an einer Bleistiftzeichnung, die einen Türken im Turban darstellte.
Wolodja stand mit ausgerecktem Halse auf den Zehenspitzen hinter ihm
und blickte dem Lehrer über die Schulter. Dieser Kopf war Wolodjas
erste Zeichnung, die heute an Großmutters Geburtstag mit folgender
Inschrift auf dem Ärmel des Türken überreicht werden sollte: »Woldemar
Irtenef, 8. Sept. 1836, Moscou.«
 
»Wollen Sie hier nicht noch etwas mehr Schatten hinbringen?« fragte
Wolodja, auf den Hals des Türken deutend.
 
»Nein, das ist nicht nötig,« erwiderte der Zeichenlehrer, Bleistifte
und Reisfeder in die Schieblade legend, »jetzt ist es gut; rühren Sie
es nicht mehr an. Nun aber Sie, Nikolenka,« er erhob sich, den Türken
weiter von der Seite betrachtend -- »verraten Sie uns doch endlich Ihr
Geheimnis: was schenken Sie der Großmutter? Am besten wäre ebenfalls
ein Kopf. Adieu, meine Herren.« Er nahm seinen Hut und verließ das
Zimmer.
 
In diesem Augenblick war ich auch der Ansicht, daß ein Kopf besser
sei als die Arbeit, mit der ich mich quälte. An dem Abend, als man
uns mitteilte, wir sollten ein Geschenk zu Großmutters Geburtstag
vorbereiten, kam mir der Gedanke, ihr bei dieser Gelegenheit ein
Gedicht zu machen, und ich verfaßte sofort zwei gereimte Strophen in
der Hoffnung, die übrigen ebensoleicht hinzufügen zu können. Meinen
Plan vertraute ich niemandem an; alle Fragen beantwortete ich damit,
ich würde sicher ein Geschenk darbringen, aber niemandem sagen, worin
es bestände. Dann ging ich sogleich ans Werk.
 
Wider Erwarten stellte sich heraus, daß ich außer den beiden im
ersten Feuereifer ersonnenen Strophen, trotz aller Anstrengung nichts
Gescheites mehr zustande bringen konnte.
 
Um mir die Mühe zu erleichtern, nahm ich Zuflucht zu einer List. Ich
las alle Verse, die mir in die Hände fielen; da die Auswahl aber
nicht groß war und ich nirgends Glückwünsche fand, überzeugte mich
die Lektüre von Puschkin, Dershawin und anderen noch mehr von meiner
Ohnmacht und Talentlosigkeit. Dann kramte ich unter Karl Iwanowitschs
Papieren, der, wie ich wußte, oft Gedichte verfaßte. Unter seinen
Manuskripten fand ich ein Produkt, das wahrscheinlich seiner Feder
entstammte. Hier ist es:
 
 
An Frl. L.
 
Denke mein: nahe,
Denke mein: fern,
Denke mein: immerdar,
Denke mein: gern.
Denke mein bis an das Grab,
Wie ich so treu geliebt dich hab!
 
Petrowskoie, 12. Juni 1828. Karl Mauer.
 
Dieses mit großen runden Buchstaben auf dünnes Briefpapier geschriebene
Gedicht gefiel mir wegen des rührenden Gefühls, von dem es durchdrungen
ist. Ich las es einigemal durch und lernte es auswendig. Vorher,
als ich mir die gedruckten Verse zum Muster genommen hatte, sah
ich deutlich, daß meinen eigenen etwas mangelte und geriet darüber
in Verzweiflung. Jetzt, mit dem Rückhalt dieser Verse, die ich
nachzumachen suchte, ging die Sache weit leichter. Am Geburtstage war
ein Glückwunsch aus zwölf Strophen fertig; am Tisch im Klassenzimmer
schrieb ich ihn auf Velinpapier ab.
 
Schon waren zwei Bogen verdorben ... nicht, weil ich etwas ändern
wollte -- die Verse schienen mir ausgezeichnet; aber von der dritten
Zeile an kletterten die Versenden immer höher und höher, so daß man
schon von weitem sah, wie schief das Gedicht war und daß es nichts
taugte.
 
Obgleich die dritte Abschrift ebenso schief war wie die übrigen,
beschloß ich, jetzt nichts mehr abzuschreiben. Dagegen machte mir ein
ganz anderer Umstand Schwierigkeiten. In meinem Gedicht gratulierte ich
zunächst der Großmutter zum Geburtstag, wünschte ihr viele, viele Jahre
Gesundheit, dankte ihr dann für ihre Liebe und schloß, meine Gefühle
beschreibend:
 
»So will ich dich auch stets erfreun,
Du sollst wie meine Mutter sein.«
 
Die Sache war nicht übel, aber der letzte Vers gefiel mir nicht, er
beleidigte direkt mein Ohr. »Wie meine Mutter« wiederholte ich für
mich, »Du sollst wie meine Mutter sein --« es ging; ich wollte es doch
aber lieber ändern. Wie einen anderen Schluß finden? Dein? Weih'n? Ich
will dir alle Kräfte weih'n. Ach was, sagte ich mir, es geht schon.
Immer noch besser als Karl Iwanowitschs Verse. So schrieb ich die
letzte Strophe hin. Dann ging ich ins Schlafzimmer und deklamierte
alles laut mit Gesten und sehr ausdrucksvoll.
 
Die ersten Strophen hatten gar kein Versmaß; aber dabei hielt ich mich
nicht lange auf. Die letzte Zeile dagegen berührte mich immer stärker
und unangenehmer. Ich setzte mich auf mein Bett und überlegte. Warum
hatte ich geschrieben: »wie meine Mutter.« Warum sie erwähnen? Sie
war doch nicht hier! Ich liebte und verehrte Großmutter, weil sie so
respektgebietend war; aber das war doch nicht das! Warum, warum hatte
ich die Worte geschrieben? Ich begriff es wohl undeutlich, fühlte aber
dabei, daß, der Großmutter sagen, sie solle wie meine Mutter sein --
erstens falsch und zweitens überflüssig sei. Wozu ihr das sagen? Nein,
es war nicht hübsch! Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich die letzte
Zeile ändern könnte; aber das ging nicht so einfach -- ich mußte dann
die letzten vier Zeilen des Gedichts, die alle den gleichen Reim
hatten, umdichten -- ein Drittel des ganzen Gedichtes. Vielleicht
hätte ich auch das noch fertiggebracht; aber jetzt hörte ich, wie der
Schneider mit meinem neuen Frack kam.
 
»Also mag es schon so bleiben,« sagte ich ärgerlich, schob die Verse
unter das Kissen und lief, um den Moskauer Anzug anzuprobieren.
 
Er erwies sich als vorzüglich. Der zimtbraune Frack mit blanken Knöpfen
lag prall am Körper an, nicht so auf Zuwachs berechnet, wie auf dem
Lande für uns gearbeitet wurde; die schwarze, ebenfalls enge Hose
umspannte wundervoll die Schenkel und fiel gefällig auf die Stiefel.
 
»Endlich richtige Hosen mit Strippen,« dachte ich, vor Freude außer mir
und besah von allen Seiten meine Beine. Obgleich mir der neue Anzug
eng und unbequem war, verheimlichte ich das vor allen und sagte im
Gegenteil, er säße sehr bequem, und wenn er einen Mangel hätte, wäre es
der, daß er etwas weit sei. Dann nahm ich eine Bürste und bearbeitete
eine ganze Stunde lang meinen stark pomadisierten Kopf vor dem Spiegel.
Aber wie sehr ich mich auch bemühte, die Borsten auf dem Scheitel glatt
zu legen -- sie gehorchten nicht; sobald ich mit bürsten aufhörte,
richteten sie sich auf, starrten nach allen Seiten und gaben meinem
Gesicht einen lächerlichen Ausdruck.
 
Karl Iwanowitsch kleidete sich im Nebenzimmer an. Durch das
Klassenzimmer wurde ihm ein blauer Frack und Wäsche gebracht. An

댓글 없음: