2015년 8월 31일 월요일

Kindheit 22

Kindheit 22


Ich weiß nicht, lieber Freund, ob Du mit mir übereinstimmst oder nicht;
jedenfalls bitte ich, flehe ich Dich bei meiner Liebe zu Dir an, wenn
Du mich ganz glücklich sehen willst, gib mir das Versprechen, weder bei
meinen Lebzeiten, noch nach meinem Tode, wenn es Gott gefällt uns zu
trennen, unsere Kinder in einer Lehranstalt unterzubringen.
 
Du schreibst mir, Du müßtest notwendig in Geschäften bald nach
Petersburg reisen; Gott mit Dir, mein Freund; fahr hin und kehr
recht bald zurück. Wir alle grämen uns, wenn Du nicht da bist! Der
Frühling ist herrlich; wir haben die Balkontür schon vor vier Tagen
geöffnet; der Weg zum Gewächshaus war ganz trocken, und die Pfirsiche
standen in voller Blüte; nur hier und da noch Spuren von Schnee; die
Schwalben sind da, und heute hat Ljubotschka mir vom Spaziergang die
ersten Frühlingsblumen mitgebracht. Der Doktor sagt, in drei Tagen
wäre ich ganz gesund und könnte die frische Luft atmen und mich in
der Aprilsonne wärmen. Leb wohl, lieber Freund, beunruhige Dich bitte
nicht, weder über meine Krankheit, noch über Deine Verluste, sondern
bring Deine Angelegenheiten schnell zu Ende und komm mit den Kindern
den ganzen Sommer zu uns. Ich mache herrliche Pläne, wie wir ihn
verbringen wollen; zu ihrer Verwirklichung fehlst nur Du noch.«
 
Der folgende Teil des Briefes war mit ungleichmäßiger, enger Schrift,
französisch auf einem anderen Stück Papier geschrieben. Ich übersetze
ihn Wort für Wort:
 
»Glaub nicht, was ich Dir über meine Krankheit geschrieben habe;
niemand ahnt, wie ernst sie ist; nur ich weiß, daß ich nicht mehr vom
Bett aufstehen werde. Komm sofort, verlier keine Minute und bring die
Kinder mit. Vielleicht kann ich Dich noch einmal umarmen und sie
segnen; das ist mein letzter Wunsch. Ich weiß, welch schrecklicher
Schlag diese Nachricht für Dich ist; aber früher oder später, von mir
oder anderen würde er Dir doch zugefügt. Laß uns versuchen, dieses
Unglück mit Festigkeit und Ergebung in den Willen Gottes zu ertragen.
Hoffen wir auf seine Barmherzigkeit.
 
Glaub nicht, was ich Dir hier schreibe, seien Fieberphantasien einer
Kranken; im Gegenteil: meine Gedanken sind in diesem Augenblick
außerordentlich klar und ich bin ganz ruhig. Gib Dich nicht der
Hoffnung hin, ich hätte mich geirrt, es seien trügerische unklare
Vorgefühle einer ängstlichen Seele. Nein, ich fühle, ich weiß -- weiß
es deshalb, weil es Gott gefallen hat, mir alles zu offenbaren -- daß
ich nicht mehr lange zu leben habe.
 
Ob meine Liebe zu Dir und den Kindern mit dem Tode endet? Das sind
Zweifel, die mich stets gequält haben; jetzt aber weiß ich bestimmt,
daß das unmöglich ist. Ich fühle in diesem Augenblick meine Liebe zu
Euch zu deutlich, um glauben zu können, daß das Gefühl, ohne das ich
meine Existenz nicht begreife, jemals aufhören könnte. Meine Seele kann
ohne die Liebe zu Euch nicht existieren; ich weiß aber, daß sie schon
deswegen ewig bestehen wird, weil solch ein Gefühl wie meine Liebe
nicht entstehen könnte, wenn sie jemals aufhören müßte. Jetzt bin ich
fest überzeugt, daß, wenn ich nicht mehr bei Euch bin, meine Liebe doch
niemals aufhört und Euch nicht verläßt. Dieser Gedanke ist so tröstlich
für mein Herz, daß ich ruhig und ohne Furcht das Nahen des Todes
erwarte. Ich bin ruhig; Gott weiß, daß ich den Tod stets als Übergang
zu einem besseren Leben betrachtet habe; aber warum drohen Tränen mich
zu ersticken? Warum werden die Kinder der geliebten Mutter beraubt?
Warum wird Dir ein so schrecklicher, unerwarteter Schlag versetzt?
Warum muß ich sterben, obgleich die Liebe mein Leben so unendlich
glücklich gemacht hat? Warum? ... Sein heiliger Wille geschehe!
 
Ich kann vor Tränen nicht weiterschreiben. Vielleicht sehe ich Dich
nicht mehr; also danke ich Dir, mein teurer Freund, für alles Glück,
daß Du mir in diesem Leben gegeben hast; ich werde dort Gott bitten,
daß Er Dich belohnt. Leb wohl, lieber Freund, denk daran, daß, obgleich
ich nicht mehr bin, meine Liebe zu Dir Dich nie und nirgends verläßt.
 
Leb wohl, Wolodja; leb wohl, mein Engel; leb wohl mein Benjamin,
Nikolas! Werden die Kinder mich wirklich je vergessen?!« --
 
In diesem Brief lag ein gewandter und gefühlvoller Brief Mimis
folgenden Inhalts:
 
»~Les tristes sentiments dont elle vous parle ne sont que trop appuyés
par les paroles du docteur. Hier dans la nuit elle a demandé qu'on
envoie tout de suite cette lettre à la poste. Croyant que dans ce
moment elle était en délire, j'ai attendu jusqu'à ce matin et j'ai osé
la décacheter. A peine l'avais-je expédiée que Natalja Nikolajewna me
demanda ce que j'avais fait de la lettre, et m'ordonna de la brûler, si
elle n'était pas partie. Elle ne cesse d'en parier, même en délire et
prétend que cette lettre doit vous tuer.~
 
~Ne mettez donc pas de retard à votre voyage, si vous voulez voir cet
ange, avant qu'il vous quitte.~
 
~Excusez ce griffonage, je n'ai pas dormi trois nuits. Vous savez si je
l'aime!~«[2]
 
[2] »Die schlimmen Vorgefühle, von denen sie Ihnen schreibt,
werden nur zu sehr durch die Worte des Arztes bestätigt. Gestern
nacht verlangte sie, dieser Brief sollte sofort zur Post geschickt
werden. Im Glauben, sie spräche im Fieber, wartete ich bis heute
morgen und nahm mir die Freiheit, den Brief zu öffnen. Kaum hatte
ich ihn abgesandt, da fragte mich die gnädige Frau, was ich mit dem
Brief angefangen, und befahl mir, ihn zu verbrennen, falls er nicht
abgegangen sei. Sie spricht unaufhörlich von dem Brief, sogar im
Fieber, und behauptet, er müsse Sie töten.
 
Schieben Sie Ihre Reise nicht auf, wenn Sie diesen Engel noch
einmal sehen wollen, bevor er Sie verläßt.
 
Entschuldigen Sie diese Schmiererei -- ich habe drei Nächte nicht
geschlafen. Sie wissen, wie lieb ich Sie habe!«
 
Natalie Sawischna, die vom 11. April die ganze Nacht in Mamas
Schlafzimmer verbracht hatte, erzählte mir, Mama hätte nach Beendigung
des ersten Teiles den Brief neben sich auf den Nachttisch gelegt und
sei eingeschlafen. »Ich selbst,« sagte Natalie Sawischna, »nickte im
Lehnstuhl ein, und der Strickstrumpf fiel mir aus der Hand. Da höre
ich im Schlaf -- es war so um ein Uhr -- daß sie mit jemandem spricht.
Ich öffne die Augen und sehe, daß mein Täubchen im Bett sitzt, hat die
Hände gefaltet und Tränen fließen in Strömen aus ihren Augen. Also ist
alles zu Ende,sagt sie und bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
 
Ich sprang auf und fragte: Was ist Ihnen?
 
Ach, Natalie Sawischna, wenn Sie wüßten, wen ich soeben gesehen habe!
 
Soviel ich auch fragte, sie sagte mir nichts weiter, befahl nur, den
Tisch heranzurücken, schrieb noch etwas, hieß mich den Brief in ihrer
Gegenwart siegeln und sofort befördern. Danach wurde es schlimmer und
schlimmer.«
 
 
28. Was uns auf dem Lande erwartete.
 
Am 15. April stiegen wir an der Treppe von Petrowskoie aus der
Reisekutsche.
 
Bei der Abfahrt aus Moskau war Papa sehr nachdenklich, und als Wolodja
ihn fragte, ob Mama vielleicht krank sei, blickte er ihn traurig an und
nickte mit dem Kopf. Unterwegs beruhigte sich Papa merklich; als wir
uns aber dem Hause näherten, wurde sein Gesicht immer trauriger, und
beim Aussteigen, als er den keuchend herumlaufenden Foka fragte: »Wo
ist meine Frau?« war seine Stimme unsicher, und in seinen Augen standen
Tränen. Der gute alte Foka schlug, nach einem verstohlenen Blick auf
uns, die Augen nieder, öffnete die Flurtür, wandte sich ab und sagte:
 
»Schon sechs Tage hat die gnädige Frau das Schlafzimmer nicht
verlassen.«
 
Milka, die, wie ich später erfuhr, seit dem Tage, an welchem Mama
erkrankte, unaufhörlich heulte, stürzte Papa freudig entgegen, sprang
an ihm in die Höhe, winselte, leckte ihm die Hände; aber er stieß sie
fort und ging ins Gastzimmer; von dort ins Diwanzimmer, dessen Tür
direkt ins Schlafzimmer führte. Je näher er diesem Zimmer kam, desto
deutlicher war seine Unruhe an der ganzen Körperhaltung zu erkennen.
Beim Eintritt ins Diwanzimmer ging er auf den Zehenspitzen, wagte kaum
zu atmen und bekreuzigte sich, bevor er den Griff der geschlossenen Tür
anzurühren wagte. Im selben Augenblick kam aus dem Korridor verweint
und unfrisiert Mimi gelaufen.
 
»Ach, Peter Alexandrowitsch!« flüsterte sie mit dem Ausdruck echter
Verzweiflung, und fügte dann, bemerkend, daß Papa die Türklinke
niederdrückte, kaum hörbar hinzu: »hier geht es nicht -- durchs
Kinderzimmer ist der Eingang.«
 
O, wie schwer wirkte das alles auf meine kindliche Phantasie, die
bereits von schrecklichen Vorahnungen erfüllt war.
 
Wir gingen ins Mädchenzimmer. Auf dem Korridor begegnete uns der
verrückte Akim, der uns stets durch seine Grimassen amüsiert hatte;
aber in diesem Augenblick schien er mir durchaus nicht lächerlich, ja
sein geistlos-gleichgültiges Gesicht berührte mich direkt schmerzlich.
Die beiden Mädchen im Mädchenzimmer saßen bei einer Arbeit; sie erhoben
sich bei unserem Anblick mit so gezwungen-traurigem Ausdruck, daß ich
mich über ihre Verstellung schrecklich ärgerte. Nachdem wir noch Mimis
Zimmer passiert hatten, öffnete Papa die Tür zum Schlafzimmer, und wir
traten ein.
 
Die beiden Fenster rechts von der Tür waren mit Holzschalen besetzt und
mit Tüchern verhängt. An einem Fenster saß Natalie Sawischna mit der
Brille auf der Nase, strickend. Sie küßte uns nicht wie gewöhnlich,
sondern stand nur auf und sah uns durch die Brille an, wobei ihr die
hellen Tränen aus den Augen flossen. Es gefiel mir gar nicht, daß alle
bei unserem Anblick weinten, während sie vordem ganz ruhig gewesen
waren.
 
Links von der Tür stand ein Wandschirm, dahinter das Bett, der
Nachttisch, ein Schränkchen mit Arzeneien und ein großer Sessel, auf
welchem der Doktor schlummerte. Neben dem Bett stand ein junges,
blondes, auffallend schönes Mädchen in weißem Morgenrock, die Ärmel
ein wenig aufgestreift, und legte Mama, die ich in diesem Augenblick
nicht sah, Eis auf den Kopf. Das war »~la belle Flamande~«, von der
Mama geschrieben hatte, und die später im Leben unserer Familie eine

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