2015년 8월 31일 월요일

Kindheit 25

Kindheit 25


Großmutter erfuhr die Schreckenskunde erst bei unserer Ankunft. Ihr
Schmerz war außerordentlich. Wir wurden nicht zu ihr gelassen, da
sie eine ganze Woche lang ohne Bewußtsein lag. Die Ärzte waren um ihr
Leben besorgt, weil sie nicht nur keine Arzenei nahm, sondern mit
niemandem sprach, nicht schlief und nichts genoß. Bisweilen saß sie
in ihrem Zimmer allein auf ihrem Sessel, begann plötzlich zu lachen,
dann ohne Tränen zu schluchzen, bekam Krämpfe und schrie unnatürlich
laut unsinnige oder schreckliche Worte. Es war der erste starke Kummer,
der sie traf, und dieser äußerte sich in Wut und Haß gegen Gott und
Menschen. Sie mußte jemanden haben, dem sie ihr Unglück zum Vorwurf
machte, und nun sprach sie entsetzliche Worte, fluchte Gott, ballte die
Fäuste, drohte jemandem heftig, sprang von ihrem Sessel auf, ging mit
großen schnellen Schritten durchs Zimmer und fiel dann ohnmächtig zu
Boden.
 
Einmal betrat ich ihr Zimmer. Sie saß wie gewöhnlich auf ihrem Sessel
und war anscheinend ruhig; aber ihr Blick machte mich stutzig. Die
Augen waren weit offen, der Ausdruck aber unbestimmt und stumpf; sie
sah mich gerade an, erkannte mich aber offenbar nicht. Ihre Lippen
begannen langsam zu lächeln, und sie sprach mit rührender, zarter
Stimme: »Komm her, mein Liebling, komm mein Engel ...«
 
Ich glaubte, sie spräche zu mir und trat näher; aber sie sah mich nicht
an.
 
»Ach, wenn du wüßtest, mein Herz, wie ich mich gequält habe und wie ich
mich freue, daß du gekommen bist ...« Da wurde mir klar, daß sie sich
einbildete, Mama zu sehen, und ich blieb stehen.
 
»Dabei hat man mir gesagt, du wärest nicht mehr,« fuhr sie
stirnrunzelnd fort. »Dieser Unsinn! Wie kannst du vor mir sterben!« Sie
lachte schrecklich, hysterisch.
 
Nur Menschen, die starker Liebe fähig sind, können schweres Leid
durchmachen; dieses Liebesbedürfnis aber bildet bei ihnen ein
Gegengewicht für Kummer und lindert ihre Schmerzen.
 
Daher kommt es, daß die moralische Natur des Menschen noch
lebenskräftiger ist als die physische, und daß Kummer niemals tötet.
 
Nach einer Woche war Großmutter imstande zu weinen, und ihr wurde
besser. Ihr erster Gedanke, als sie zu sich kam, waren wir; ihre Liebe
zu uns nahm noch zu. Wir wichen nicht von ihrem Sessel; sie weinte
still vor sich hin, sprach von Mama und streichelte uns zärtlich.
 
Niemandem, der Großmutters Kummer sah, konnte der Gedanke kommen, daß
sie ihn übertrieb. Der Ausdruck dieses Kummers war stark und rührend.
Trotzdem, ich weiß nicht wie es kam, fühlte ich mich mehr zu Natalie
Sawischna hingezogen, und ich bin bis jetzt überzeugt, daß niemand Mama
so rein und aufrichtig geliebt und beweint hat, wie dieses einfache,
hingebende Wesen.
 
Mit Mamas Tode endete für mich die glückliche Zeit der Kindheit,
und es begann eine neue Epoche -- die des Knabenalters. Da aber die
Erinnerungen an Natalie Sawischna, die ich nicht wieder sah, die aber
einen so starken und wohltätigen Einfluß auf meine Richtung und mein
Empfinden ausübte, der ersten Epoche angehören, will ich noch einige
Worte über Natalie und ihren Tod sagen.
 
Nach unserer Abreise litt sie, wie mir später Leute erzählten, die auf
dem Lande blieben, sehr unter der Untätigkeit. Obgleich alle Kisten und
Kasten unter ihrer Obhut standen, und sie unablässig darin kramte, sie
umpackte, wog, verteilte, fehlten ihr doch der Lärm und das Getriebe
des von der Herrschaft bewohnten Landhauses, an welche sie von kleinauf
gewöhnt war. Der Kummer, die veränderte Lebensweise und das Fehlen
der Sorgen entwickelten bei ihr bald eine Alterskrankheit, zu der sie
neigte. Gerade ein Jahr nach Mutters Tode bekam sie die Wassersucht und
legte sich ins Bett.
 
Ich glaube, das einsame Leben in dem großen, öden Hause von
Petrowskoie, ohne Verwandte und Freunde, wurde Natalie Sawischna
schwer. Und noch schwerer der Tod. Alle Hausangehörigen liebten und
verehrten Natalie, aber sie unterhielt mit niemandem Freundschaft und
war stolz darauf. Sie war der Meinung, daß bei ihrer Stellung als
Wirtschafterin, die das Vertrauen ihrer Herrschaft genoß und so viele
Kasten mit jeglichem Gut unter sich hatte, Freundschaft mit irgend
jemandem zu Parteilichkeit und strafbarer Nachlässigkeit führen müsse;
deswegen, oder vielleicht, weil sie mit der anderen Dienerschaft nichts
gemein hatte, hielt sie sich von allen fern und sagte, es gäbe für sie
weder Vettern noch Basen im Hause, und beim Gut der Herrschaft sähe sie
niemandem durch die Finger.
 
In heißem Gebet Gott ihre Gefühle anvertrauend, suchte und fand sie
Trost; bisweilen aber, in Augenblicken der Schwäche, der wir alle
unterliegen und in denen der beste Trost für Menschen Tränen und die
Teilnahme eines lebenden Wesens sind, -- nahm sie ihren Mops ins
Bett, der ihr die Hände leckte und seine klugen, gelben Augen auf sie
richtete. Mit dem sprach sie, weinte leise und streichelte ihn. Wenn
der Hund jämmerlich zu heulen begann, suchte sie ihn zu beruhigen und
sagte: »Hör schon auf; ich weiß auch ohne dich, daß ich bald sterbe.«
 
Einen Monat vor ihrem Tode holte sie aus ihrem Kasten weißen Kattun,
weißen Tüll und rosa Band hervor, nähte sich mit Hilfe ihres Mädchens
ein weißes Gewand und eine Haube und traf bis auf die kleinsten
Einzelheiten alle Anordnungen für ihr Begräbnis. Ferner ordnete sie
die Kisten der Herrschaft und übergab den Inhalt mit peinlicher
Gewissenhaftigkeit nach einem Verzeichnis der Frau des Hausverwalters.
Dann holte sie zwei seidene Kleider, einen uralten Schal, den
Großmutter ihr einst geschenkt, und Großvaters goldgestickte, ihr
ebenfalls vermachte Uniform hervor. Dank ihrer Sorgsamkeit waren
Stickerei und Tressen an der Uniform noch ganz wie neu und das Tuch
nicht von Motten berührt.
 
Vor ihrem Ende äußerte sie den Wunsch, das eine Kleid, das rosa,
sollte Wolodja zu einem Schlafrock oder Halbrock haben; das andere,
gewürfelte, ich zum selben Zweck, und den Schal -- Ljubotschka. Die
Uniform setzte sie dem von uns aus, der zuerst Offizier wurde. Alle
übrige Habe und das Geld, mit Ausnahme von vierzig Rubeln, die sie
zum Begräbnis und Messelesen bestimmte, sollte ihr Bruder bekommen.
Dieser schon längst freigelassene Bruder wohnte in einem entfernten
Gouvernement und führte ein sehr liederliches Leben. Deswegen hatte sie
bei Lebzeiten keinerlei Verkehr mit ihm. Als er kam, um die Erbschaft
in Empfang zu nehmen und es sich herausstellte, daß das ganze Vermögen
der Verstorbenen in fünfundzwanzig Papierrubeln bestand, wollte er das
nicht glauben und sagte, es sei unmöglich, daß eine Frau, die sechzig
Jahre in einem vornehmen Hause gelebt, alles unter Händen gehabt, stets
geknausert und jeden Lappen benutzt hätte, nichts hinterlassen haben
sollte. Es war aber wirklich so.
 
Natalie Sawischna war zwei Monate krank gewesen und hatte ihre Leiden
mit wahrhaft christlicher Geduld ertragen; sie murrte nicht, jammerte
nicht, sondern rief nur, ihrer Gewohnheit nach, unaufhörlich Gott an.
Eine Stunde vor ihrem Tode beichtete sie mit stiller Freude und bekam
das Abendmahl und die heilige Ölung.
 
Alle Hausbewohner bat sie um Vergebung für Kränkungen, die sie ihnen
zugefügt haben könnte, und ersuchte ihren Beichtvater, uns allen zu
übermitteln, daß sie nicht wüßte, wie sie uns für alle Liebe danken
sollte und daß sie uns um Verzeihung bäte, wenn sie in ihrer Dummheit
jemandem Kummer bereitet hätte. »Eine Diebin bin ich nie gewesen,
und ich darf wohl sagen, daß ich keinen Heller vom Herrschaftsgut
veruntreut habe.« Das war die einzige Eigenschaft, die sie an sich
schätzte.
 
Nachdem sie das selbstbereitete Gewand angelegt und die Haube
aufgesetzt hatte, sprach sie, auf das Kissen gestützt, bis zum Tode
unaufhörlich mit dem Geistlichen; ihr fiel ein, daß sie den Armen
nichts hinterlassen hätte; sie holte zehn Rubel hervor und bat, sie im
Kirchspiel zu verteilen. Dann bekreuzigte sie sich, legte sich hin und
hauchte, den Namen Gottes auf den Lippen, ihren letzten Seufzer aus.
 
Sie schied ohne Bedauern aus dem Leben und hatte keine Furcht vor dem
Tode, sondern nahm ihn als eine Wohltat hin. Wie oft wird das gesagt
und wie selten geschieht es in Wirklichkeit! Natalie Sawischna konnte
den Tod nicht fürchten, weil sie in unerschütterlichem Glauben starb
und die Gebote des Evangeliums erfüllt hatte. Ihr ganzes Leben, seit
sie das egoistische Gefühl gegen Foka (es war ihre Liebe) unterdrückt
hatte, bestand aus reiner, uneigennütziger Hingabe und Aufopferung.
Wenn auch ihr Glaube erhabener, ihr Leben höheren Zielen hätte
zugewandt sein können -- ist diese reine Seele deswegen etwa weniger
der Liebe und Bewunderung wert?
 
Sie hat das beste und höchste Werk in diesem Leben vollbracht, sie
ist ohne Bedauern und ohne Furcht gestorben. Was gehen uns ihre
Gewohnheiten und ihre Glaubensrichtung an? Genug, daß sie gut starb.
 
Großer Gott! Schick mir ebensolchen Aberglauben, solche Sorgen um
Kleinigkeiten, solche Irrungen und ebensolchen Tod!
 
Auf ihren Wunsch wurde sie unweit der Kapelle bei Mamas Grab beerdigt.
Der von Brennesseln und Kletten überwucherte Hügel, unter dem sie
liegt, ist von einem schwarzen, durch Regen grau gewordenen Holzgitter
eingefaßt; ich vergesse niemals von der Kapelle zu diesem Gitter zu
gehen und dort mein Gebet zu verrichten. Bisweilen tauchen in meiner
Seele plötzlich traurige Erinnerungen an Natalie auf; mir kommt der
Gedanke, daß ich in diesem Leben nie wieder solch zarte, liebende Seele
treffen werde, und obgleich die Vorübergehenden mich erstaunt ansehen,
bleibe ich schweigend vor dem schwarzen Gitter stehen, und bittere
Tränen fließen aus meinen Augen.
 
 
Beilage I.
 
Zu Kapitel 8: »Die Jagd«.
 
Was ist an der Jagd mit Hunden schön.
 
Warum wird die Jagd mit Hunden, dieses unschuldige,
gesundheitfördernde, schöne, anziehende Vergnügen von den meisten
Stadt- und Landbewohnern so verachtet? »Mit Hunden jagen« sagen die
Städter; »Hasen hetzen« die Landbewohner. Was ist Schlimmes dabei? Wem
bringt es Schaden? Da wird gesagt: man ruiniert sich, man richtet sich
zugrunde! -- Es kommt dem Gutsbesitzer weit billiger, sich das ganze
Jahr eine ordentliche Jagd zu halten, als zwei Herbstmonate in der
Residenz, in einer Gouvernements- oder Bezirksstadt zuzubringen. Er
würde diese zwei Monate aus Langerweile sicher dort zubringen, weil er
während dieser Zeit auf dem Lande nichts zu tun hat. Zugrunde richten
sich nur diejenigen, die wie wahnsinnig darauflosgaloppieren; und das
tun wieder nur Leute, die keine Jäger sind.
 
Ferner heißt es: »Was ist denn für ein Vergnügen an der Hetzjagd?«

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