2015년 8월 30일 일요일

Kindheit 5

Kindheit 5


Ebenso war der Verkehr mit den Nachbarn von der Höhe stolzer
Erhabenheit herab.
 
Man darf ihm wegen solchen Verhaltens keine Vorwürfe machen; zu seiner
Zeit, das heißt anderhalb Jahrzehnte zurück, war es das einzige Mittel,
um auf dem Lande Ruhe zu haben. Jetzt hat sich das alles geändert und
ist viel besser geworden. Ein Gutsbesitzer, den ich danach fragte,
antwortete mir: »Ach, lieber Freund, Sie kennen unsere jetzigen Kreis-
und Landrichter nicht. Diese Ordnung, Sauberkeit, Bescheidenheit,
Klugheit. Der unterste Schreiber hat seinen Frack. Kommt man zum
Isprawnik, so sieht man seine Frau in modernster Toilette; sie ist
eine höchst gebildete Dame, spricht Französisch, Italienisch, Spanisch
-- was Sie wollen. Die Töchter sind höchst musikalisch: Piano -- wird
zum Flügel, Fußboden -- Parkett. Oder, was noch besser, wir haben
in unserem Bezirk zwei Stanowois; der eine kommt von der Moskauer
Universität, der andere ist mit der Fürstin Schedrischpanskaja
verheiratet -- der reine Pariser! Sehen Sie, verehrter Herr, so sieht
jetzt unsere Semstwopolizei aus.«
 
»Wie ist's denn jetzt mit den Schmiergeldern und Schikanen?« fragte
ich. »Hat das aufgehört?«
 
Der Gutsbesitzer antwortete mir nicht direkt, sondern lobte weiter die
neue Ordnung der Dinge, die Klugheit und Bildung der Gutsbesitzer,
dabei bemerkend, daß mancher Stanowoi über tausend Rubel im Jahr
ausgäbe und mit seinen Pferden, seiner Tafel und Wohnung manchen
Gutsbesitzer in den Schatten stellte.
 
 
5. Das Klassenzimmer.
 
Als wir nach oben kamen, zog Karl Iwanowitsch seinen Schlafrock an,
band den Gürtel um und setzte sich sehr nachdenklich auf seinen Platz.
Wir gingen mit unserem Lesebuch zu ihm, er sah uns streng an und
strich mit seinem starken Fingernagel die Stelle an, bis zu welcher
wir auswendig lernen und ihm aufsagen sollten. Wolodja trieb nicht
wie gewöhnlich Possen, sondern lernte ordentlich; ich dagegen war so
zerstreut, daß ich entschieden nichts tun konnte. Ich starrte lange
gedankenlos in das Buch, konnte aber vor Tränen nicht lesen. Und als
ich Karl Iwanowitsch das Gelernte aufsagen sollte, konnte ich gerade
an der Stelle, wo einer sagt: »Wo kommen Sie her?« und der andere
antwortet: »Ich komme aus dem Kaffeehause« die Tränen nicht länger
zurückhalten und vor Schluchzen die Worte: »Haben Sie die Zeitung nicht
gelesen?« nicht herausbringen, obgleich ich die ganze Seite sehr gut
auswendig konnte. Als es ans Schönschreiben ging, machte ich infolge
der Tränen, die auf das Heft fielen, solche Kleckse, als hätte ich mit
Wasser auf Löschpapier geschrieben.
 
Karl Iwanowitsch wurde böse, ließ mich niederknien, sagte, das sei
Eigensinn, eine Puppenkomödie (sein Lieblingsausdruck), drohte mit dem
Lineal und verlangte, ich sollte um Verzeihung bitten, während ich vor
Tränen kein Wort herausbringen konnte. Endlich sah er sein Unrecht
wahrscheinlich ein, ging in Nikolas' Zimmer und schlug die Tür zu.
 
Als er fort war, setzte ich mich nieder und beruhigte mich etwas. Vom
Klassenzimmer aus konnte man die Unterhaltung im Wärterzimmer hören.
 
»Hast du gehört, Nikolas, daß die Kinder nach Moskau fahren?« fragte
Karl Iwanowitsch beim Eintritt ins Zimmer.
 
»Gewiß habe ich das gehört.«
 
Wahrscheinlich wollte Nikolas aufstehen, denn Karl Iwanowitsch sagte:
»Bleib sitzen, Nikolas,« und dann wurde die Tür geschlossen, und
man konnte nur noch hören, daß sie sprachen, ohne einzelne Worte zu
verstehen. Ich stand auf und lief hin, um zu horchen. Wolodja drohte
mir scherzend mit dem Finger.
 
Durch das Schlüsselloch sah ich Nikolas mit gesenktem Kopf am Fenster
Stiefel nähen, während Karl Iwanowitsch mit der Tabaksdose in der Hand
vor ihm stand und eifrig redete.
 
Er sprach Deutsch recht gut und einfach; im Russischen aber machte er
bei jedem Wort einige Fehler und bildete sich dabei, glaube ich, ein,
ein guter Redner zu sein. Er zog die Worte so auseinander und sprach
mit so kläglicher Betonung, daß seine Rede, so lächerlich das klingen
mag, für mich stets besonders rührend war. Er sprach wie ein Professor
vom Katheder, oder wie man gefühlvolle Verse deklamiert, in einer Art
traurigem einförmigen Singsang.
 
»Man mag den Leuten noch soviel Gutes tun und noch so anhänglich
sein -- auf Dankbarkeit darf man nicht rechnen, Nikolas. Ich lebe
zwölf Jahre in diesem Hause und kann vor Gott beteuern, Nikolas« --
fuhr Karl Iwanowitsch, die Augen und die Tabaksdose gegen die Decke
richtend, fort -- »daß ich die Jungens geliebt und mich mehr mit ihnen
beschäftigt habe, als wenn es meine eigenen Kinder wären. Weißt du
noch, Nikolas, als Wolodja Fieber hatte, wie ich da neun Tage lang,
ohne ein Auge zuzutun, an seinem Bette saß? Ja, damals war ich der
liebe, gute Karl Iwanowitsch; damals hatte man mich nötig, aber jetzt,«
fügte er ironisch lächelnd hinzu, »jetzt müssen sie etwas Ordentliches
lernen. Als ob sie hier nichts lernten ...«
 
»Gewiß doch, freilich lernen sie,« meinte Nikolas, den Pfriem hinlegend
und mit beiden Händen den Pechdraht ziehend.
 
»Ja, jetzt bin ich nicht mehr nötig; da jagt man mich wie einen Hund
vom Hofe! Wo bleibt da Dankbarkeit, wo alle Versprechungen, vornehme
Gesinnung? Natalie Nikolajewna habe ich stets geliebt und verehrt und
werde das auch in Zukunft tun, Nikolas. Aber was hat sie zu sagen? ...
Ihr Wille bedeutet in diesem Hause soviel wie das da!« dabei warf er
einen Lederschnitzel von der Fensterbank auf den Boden. »Ich weiß, wer
mir das alles eingefädelt hat und warum ich überflüssig geworden bin:
weil ich nicht zu allem ja sagen und schmeicheln kann, wie gewisse
Leute! Ich sage stets nur jedermann die Wahrheit. Gott mit ihnen!
Dadurch, daß ich nicht mehr da bin, werden sie nicht reicher, während
ich, so Gott will, schon noch mein Stück Brot finde, nicht wahr,
Nikolas?«
 
Nikolas hörte auf zu nähen und blickte ihn einen Moment voll Teilnahme
an, sagte aber nichts.
 
Lange und viel sprach Karl Iwanowitsch in dem Sinne: wo er früher
gelebt, wie man ihn dort besser gewürdigt (es tat mir weh, das zu
hören), sprach von Sachsen, von seinen Eltern, seinem Freunde namens
Schönheit usw.
 
Aus alledem begriff ich, daß er Maria Iwanowna haßte und sie für die
Urheberin all seines Unglücks hielt, daß er Papa nicht gern hatte, Mama
und uns aber sehr liebte und Nikolas überzeugen wollte (vielleicht auch
sich selbst), daß, wie schwer ihm auch die Trennung von uns würde, er
diesen Schicksalsschlag dennoch mit Ruhe und Würde zu tragen hoffe.
 
Ich fühlte ihm seinen Kummer nach, und es tat mir weh, daß zwei
Personen, die ich fast gleich liebhatte, Papa und Karl Iwanowitsch,
sich nicht verstanden. Ich kniete wieder in meiner Ecke nieder und
grübelte, wie man zwischen beiden eine Einigung herbeiführen könnte.
 
Karl Iwanowitsch kehrte bald ins Klassenzimmer zurück, ließ mich
aufstehen und das Diktatheft vornehmen. Als das geschehen war, ließ er
sich auf seinem Platz nieder und begann mit einer Stimme, die irgendwo
aus der Tiefe zu kommen schien, zu diktieren: »Von allen menschlichen
Leidenschaften ...« er wiederholte: »menschlichen Leidenschaften ...
ist die grausamste ... Haben Sie geschrieben ...?« Er machte eine Pause
und nahm langsam eine Prise, »ist die grausamste,« wiederholte er, »die
Undankbarkeit. Ein großes U.«
 
Nachdem ich das letzte Wort geschrieben, sah ich ihn in Erwartung des
weiteren an. Er aber sagte mit unbeschreiblicher Majestät »Punktum!«
und gab ein Zeichen, ihm die Hefte zu übergeben. Mehreremal las
er laut, mit verschiedener Betonung, augenscheinlich mit größter
Zufriedenheit diese Phrase, die seine innersten Gedanken ausdrückte,
gab uns dann ein Pensum aus der Geschichte und blieb selbst am Fenster
sitzen. Sein Gesicht war aber schon nicht mehr so verdrießlich wie
vorher; es drückte die Zufriedenheit eines Mannes aus, der sich für
eine ihm zugefügte Schmach würdig gerächt hat.
 
Ich lernte am offenen Fenster gerade über Papas Zimmer. Unten hörte man
Papas und Mamas Stimmen, aber Wolodja sagte Karl Iwanowitsch, der mit
geschlossenen Augen dasaß, so laut seine Lektion her, daß man nicht
hören konnte, was sie sprachen.
 
Warum ist Mama zu ihm gegangen, und nicht er zu ihr? dachte ich. Sie
hat ihn zu sich gerufen, was macht ihm das für Mühe; warum muß er sie
beunruhigen?
 
Papa und Mama lebten sehr gut miteinander. Niemals während ihrer Ehe
wurde von irgendeiner Seite gegen den anderen ein Vorwurf laut oder
bestand der geringste Verdacht der Untreue oder des Betruges. Mama war
ein so reines, liebendes und gläubiges Wesen, daß sie nichts argwöhnen,
geschweige selbst Argwohn einflößen konnte.
 
Oft, wenn ich an ihr Verhältnis dachte, wollte ich mir das Gefühl
vergegenwärtigen, das sie verband; aber entweder weil meine
Erinnerungen mich im Stich ließen oder weil ich Enttäuschung fürchtete,
brachte ich das nicht fertig. Bald war mir das Gefühl, das ich mir
ausmalte, in der Erinnerung nicht gegenwärtig, bald brachte ich es
nicht fertig, daran zu glauben. Fest überzeugt war ich, daß Papa seine
Wange hinhielt und Mama ihn küßte, das heißt, er übte stets und in
allen Dingen einen großen Einfluß auf sie aus.
 
Sie gehörte zu den weiblichen Wesen, deren Lebensaufgabe
Selbstaufopferung und das Glück anderer bilden. Deswegen war Papa,
obgleich er aufmerksam war und mit einer anderen Frau ein guter Mann
gewesen wäre, mit Mama grob. Das konnte man daran merken, daß er sich
bisweilen von ihr bedienen, sich ihre kleinen Vergnügen zum Opfer
bringen ließ, ihr bisweilen das Wort abschnitt. Ja selbst bei den
häuslichen Anordnungen war das zu sehen. Wer hatte im Hause die meisten
Fenster? Aus wessen Fenster hatte man die schönste Aussicht? Wessen
Dienerschaft war am besten untergebracht? Wer hatte den schönsten und
bequemsten Eingang? Wer den Ausgang in den Garten? Auf wessen Hälfte
war der Kamin? Wer empfing die gemeinsamen Gäste? Wem brachte der alte
Gärtner die Kaktus Grandiflora und erklärte mit ruhiger Wichtigkeit,
morgen stände sie in Blüte? Vor wessen Fenstern tanzten Bienen und
versammelten sich das Hofgesinde und Kinder? Alle diese Vorteile waren
auf Papas Seite.
 
Als Wolodja mit Aufsagen innehielt, drangen aus dem Arbeitszimmer
deutlich einige Sätze an mein Ohr. Aus diesen Bemerkungen verstand ich
den ganzen Inhalt der Unterhaltung. Papa sagte, die Einnahmen seien
dieses Jahr so klein und die Ausgaben so groß, daß man nicht daran
denken könnte, mit der ganzen Familie nach Moskau zu übersiedeln,

댓글 없음: