2015년 8월 30일 일요일

Kindheit 4

Kindheit 4



Nachdem Papa mit Karl Iwanowitsch noch einige Worte über das Fallen
des Barometers gewechselt und Jakob befohlen hatte, die Hunde nicht
zu füttern, weil er zum Abschied nach Tisch die jungen Treibhunde
probieren wollte, schickte er uns wider Erwarten zum Unterricht.
Allerdings bekamen wir den Trost mit auf den Weg, daß wir nach Tisch
mit auf die Jagd genommen würden.
 
Traurig und zerstreut gingen wir nach oben zum Lernen in Begleitung
unseres noch mehr zerstreuten und traurigen Mentors Karl Iwanowitsch,
der seine Entlassung erwartete.
 
Unterwegs lief ich auf die Veranda. Dicht an der Tür lag mit
zugekniffenen Augen in der Sonne, wie ein Hase im Lager, Papas
Lieblingswindhund Milka.
 
»Milkachen,« sagte ich, den Hund streichelnd und auf die Schnauze
küssend, »wir reisen heute, leb wohl, wir sehen uns nie wieder.«
 
Wahrscheinlich gefiel der Hündin mein tränenfeuchtes Gesicht nicht,
oder sie war nicht bei Laune; jedenfalls brüllte sie mich an, stand
auf, ging beiseite und legte sich faul an einer anderen Stelle nieder.
 
»Was bin ich für ein unglücklicher Junge,« sagte ich und rannte Hals
über Kopf nach oben.
 
 
4. Was mein Vater für ein Mann war.
 
Er war groß und stattlich von Wuchs, machte auffallend kleine Schritte,
hatte die Gewohnheit mit der Achsel zu zucken, besaß kleine, stets
leuchtende Augen, eine große Adlernase, ungleichmäßige Lippen, die
er ungeschickt, aber zu einem angenehmen Ausdruck zusammenlegte.
Eine große, fast über den ganzen Kopf reichende Glatze, mangelhafte
Aussprache und Lispeln vervollständigten das Äußere meines Vaters,
seitdem ich ihn kenne, ein Äußeres, mit dem er aller Welt zu gefallen
und als ~homme à bonne fortune~ bekannt zu werden wußte. Daß er
dem weiblichen Geschlecht gefiel, verstehe ich, weil ich weiß, wie
unternehmend und sinnlich er veranlagt war; aber welches Zaubermittel
besaß er, um Leuten jeden Alters, Standes und Charakters, Greisen,
Jünglingen, Berühmten, Einfachen, Männern der Welt, Gelehrten und
besonders denen zu gefallen, auf die er es abgesehen hatte?
 
Er verstand im Verkehr mit jedermann die Oberhand zu gewinnen. Obgleich
er nie zu den höchsten Kreisen gehört hatte, verkehrte er stets mit
Angehörigen dieser Kreise und zwar so, daß man ihn achtete. Er kannte
das Maß von Selbstvertrauen und Stolz, das ihn in den Augen der Welt
erhöhte, ohne andere zu kränken. Bisweilen originell, verfiel er doch
nie ins Extrem, sondern benutzte die Originalität als Mittel, das ihm
bisweilen Stand und Reichtum ersetzte. Nichts in der Welt brachte ihn
zum Erstaunen, und so glänzend auch seine Lage sein mochte, es schien
stets, als sei er für sie geboren. Er wußte stets die Lichtseite seines
Lebens nach außen zu kehren und verstand die andere, kleinliche, mit
Ärger und Verdruß erfüllte, jedem Sterblichen beschiedene so gut zu
verbergen, daß man ihn unbedingt beneiden mußte. Er war Kenner in
allem, was Bequemlichkeit und Genuß verschafft und wußte sich dessen zu
bedienen.
 
Obgleich er niemals etwas gegen die Religion sagte und äußerlich stets
fromm war, zweifle ich bis auf die Gegenwart, ob er überhaupt an etwas
glaubte. Seine Grundsätze und Lebensanschauungen waren so dehnbar, daß
diese Frage sehr schwer zu entscheiden ist. Mir scheint, daß er fromm
nur für andere war.
 
Moralische Überzeugungen, unabhängig von religiösen Geboten hatte er
schon gar nicht; sein Leben war so voll von allen möglichen Passionen,
daß er weder Zeit hatte, noch es überhaupt für nötig hielt, darüber
nachzudenken. In reiferem Alter aber bildete er sich feste Grundsätze
und Anschauungen nicht auf Grund moralischer oder religiöser, sondern
praktischer Überzeugung; das waren die Handlungsweise und diejenige
Lebensform, die ihm Glück oder Zufriedenheit verschafften, die er für
gut hielt und meinte, daß alle so handeln müßten. Er sprach hinreißend,
und diese Gabe begünstigte, glaube ich, die Dehnbarkeit seiner
Grundsätze; er war imstande, ein und denselben Vorfall als unschuldigen
Scherz und als erbärmliche Gemeinheit zu schildern, stets mit derselben
Überzeugung.
 
Als Vater war er gnädig, glänzte gern mit seinen Kindern und war
auch zärtlich, aber nur in Gegenwart anderer; nicht etwa, weil er
sich verstellte, sondern weil Zuschauer ihn anregten -- er brauchte
Publikum, um etwas Gutes zu tun.
 
Er besaß heftige Leidenschaften, namentlich für das Spiel und die
Frauen, hatte in seinem Leben etwa zwei Millionen gewonnen und alles
wieder verloren. Ob er häufig spielte oder nicht, ist mir unbekannt;
ich weiß nur, daß er wegen einer Spielaffäre verbannt wurde, dabei aber
den Ruf eines tüchtigen Spielers genoß und als Partner gesucht war. Wie
er es fertig brachte, die Leute bis zur letzten Kopeke auszuplündern
und dabei ihr Freund zu bleiben, ist mir ein Rätsel -- er tat den
Leuten, die er rupfte, damit gleichsam einen Gefallen.
 
Sein Steckenpferd waren glänzende Verbindungen, über die er wirklich
verfügte; teils verdankte er sie der Verwandtschaft meiner Mutter,
teils seinen Jugendkameraden, über die er sich im stillen ärgerte, weil
sie zu hohen Würden gelangt waren, während er stets Gardeleutnant a.
D. blieb. Aber diese Schwäche nahm niemand an ihm wahr, außer einem
Beobachter wie ich, der ständig bei ihm lebte und ihn zu ergründen
suchte.
 
Wie alle alten Militärs verstand er nicht, sich elegant zu kleiden;
im modernen Rock und Frack sah er etwas herausgeputzt aus; dafür
war seine Hauskleidung originell und hübsch. Übrigens stand ihm bei
seiner großen kräftigen Statur, dem kahlen Kopf und den selbstbewußten
Bewegungen fast alles. Zudem hatte er eine besondere Gabe und den
unbewußten Wunsch, stets und überall Eindruck zu machen. Er war sehr
empfindsam und sogar zu Tränen gerührt. Wenn er beim Vorlesen an eine
leidenschaftliche Wendung kam, begann seine Stimme oft zu zittern,
Tränen traten in seine Augen, und er ließ das Buch sinken. Selbst in
minderwertigen Theatern konnte er keine Rührszenen sehen, ohne zu
weinen. In solchen Fällen war er über sich selbst ärgerlich und suchte
seine Empfindsamkeit zu verbergen und zu unterdrücken.
 
Er liebte Musik und sang, sich selbst begleitend, nach dem Gehör
Romanzen seines Freundes A..., Zigeunerlieder und einige Opernmelodien.
Gelehrte Musik war ihm unsympathisch, und er sagte offen, ohne auf die
allgemeine Meinung Rücksicht zu nehmen, daß ihn Beethovensche Sonaten
langweilten und einschläferten und daß er nichts Schöneres kannte als
»Weck mich junges Mädchen nicht« wie die Semjonowa und »Nicht Eine«,
wie es die Zigeunerin Tanjuscha sang.
 
Er war ein Mann des vorigen Alexandrinischen Jahrhunderts und besaß
die undefinierbaren Eigenschaften, welche der Jugend jener Epoche
eigentümlich waren, nämlich: einnehmendes Wesen, Courmacherei,
Ritterlichkeit, Unternehmungsgeist, Selbstvertrauen und moralische
Verderbtheit. Auf die Menschen unseres Jahrhunderts blickte er
verächtlich herab. Vielleicht geschah das nicht aus Stolz, sondern aus
heimlichem Ärger darüber, daß er in unserer Zeit nicht mehr denselben
Einfluß ausüben und den Erfolg haben konnte, wie in der seinigen ...
 
Wer jemals auf dem Lande gelebt, wird wissen, wieviel
Unannehmlichkeiten durch ihre Ränke und Streitereien die Nachbarn,
durch Geschwätz die Gutsbesitzer desselben Kreises, und durch Händel
und Schikanen die Behörden bereiten, wie sie einen bis aufs Blut
peinigen und das ganze Leben verbittern können.
 
Um all diesen Nachstellungen zu entgehen, die unausbleiblich jeden
Gutsbesitzer überraschen, gibt es drei Methoden. Die erste Pflicht
besteht darin, in jeder Beziehung korrekt seine Pflichten als
Gutsbesitzer zu erfüllen und die Rechte eines solchen zu genießen.
Diese erste und einfachste, vernünftige Art besteht leider vorläufig
nur in der Theorie, weil man unmöglich mit Leuten gesetzmäßig
verfahren kann, die das Gesetz als Mittel benutzen, ungestraft
Gesetzwidrigkeiten begehen zu können. Die zweite Methode besteht
in der Bekanntschaft und Freundschaft nicht nur mit den Vertretern
der Bezirks- und Gouvernementsbehörden, sondern auch mit allen
Gutsbesitzern, mit denen uns das Schicksal in Berührung bringt, oder
die unsere Bekanntschaft wünschen, sowie in gütlicher Beilegung aller
entstehenden Streitigkeiten. Diese Art ist wenig zu empfehlen, weil
erstens ein freundschaftlicher Verkehr mit dem ganzen Bezirk an und
für sich schon eine Unannehmlichkeit bedeutet, nicht geringer als
die, die man vermeiden wollte, und zweitens, weil es für Ungeübte
schwer ist, unter Vermeidung aller üblen Nachrede und Bosheit inmitten
all der Feindseligkeiten, Ungesetzlichkeiten und Gemeinheiten des
Gouvernementslebens seinen Standpunkt zu bewahren, nichts zu vergessen,
niemanden zu ignorieren, so daß alle ohne Ausnahme mit uns zufrieden
sind. Wehe, wenn wir uns auch nur einen Feind erworben haben! Jeder
Schmutzfink, der heute noch demütig an unserer Schwelle steht, kann
uns morgen die größten Unannehmlichkeiten bereiten.
 
Die dritte Methode besteht darin, zu niemandem Beziehungen zu
unterhalten und dafür Tribut zu zahlen. Der wird in zwiefacher Form
entrichtet: als Ergebenheit und Leutseligkeit. Mit Ergebenheit zahlen
Leute, die die dritte Methode erwählt haben, aber nicht imstande
sind, der Willkür der Behörde zu begegnen. Mit Leutseligkeit zahlen
Leute, die Beziehungen zu den höchsten Gouvernementsbehörden haben,
aus Gründen der Sicherheit und Gewohnheit aber auf jene Steuer nicht
verzichten.
 
Es gibt noch eine Art, die sehr im Schwange ist, die ich aber wegen
ihrer Ungesetzmäßigkeit nur als Ausnahme erwähnen will. Sie besteht
darin, sich im Gouvernement oder Kreis den Ruf eines gefährlichen
Schikaneurs und Intriganten zu verschaffen.
 
Papa hielt es in bezug auf die Behörde und die Nachbarn mit der dritten
Art, das heißt er war mit niemandem näher bekannt und zahlte den Tribut
der Leutseligkeit. Obgleich er nicht häufig in die Gouvernementsstadt
fuhr, wußte er es so einzurichten, daß wenigstens einmal im Jahre alle
großen Tiere: der Gouverneur, der Adelsmarschall und der Staatsanwalt
nach Petrowskoie kamen.
 
Natürlich erzählte dann Jakob Michailow bei seinem nächsten
Aufenthalt in der Stadt dem Isprawnik und anderen umständlich, wie
Seine Exzellenz bei uns übernachtet, und diese und jene Bemerkung
fallen gelassen hätten, und die Folge war, daß weder Isprawnik noch
Stanowoi die Nase nach Petrowskoie hineinsteckten, sondern ruhig den
Leutseligkeitstribut abwarteten.
 
Wenn die Behörde in irgendeiner unbedingt notwendigen Angelegenheit
dennoch nach Petrowskoie kam, ließ Papa sie durch Jakob empfangen; und
wenn er wirklich selbst jemanden begrüßte, so geschah es so kalt, daß
Mama o

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