2015년 8월 30일 일요일

Kindheit 16

Kindheit 16


Ich fürchtete, man könnte bemerken, daß ich gehört, was ich nicht zu
wissen brauchte, und ging auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
 
Ich will nicht sagen, daß ich nicht verstand, wer der »er« war, dem
Großmutter Vorwürfe machte und den der Fürst rechtfertigte. Worin aber
die Schuld einer Person bestehen sollte, die, nach meiner Auffassung,
niemals verurteilt werden konnte, das vermochte ich mir nicht zu
erklären. Ich zweifelte sogar daran, ob ich diese Worte wirklich
gehört und ob sie sich wirklich auf Papa bezögen. Beim Nachdenken
hierüber tauchten in meinem Kopf so viel Vermutungen, Erinnerungen
und Phantasien auf, daß ich durchaus keine Ordnung in meine Gedanken
bringen konnte und wie stets in solchen Fällen, mich mit ganz anderen
Dingen beschäftigte.
 
Das eine, was aus diesem Wirrwarr hervorging, war ein undeutliches
Gefühl, das ich trotz aller Schrecken, die es mir einflößte, nicht
loswerden konnte. Das war das Gefühl, mein Vater sei imstande,
Schlechtes zu tun.
 
 
21. Iwins.
 
»Wolodja, Wolodja! Iwins, Iwins!« rief ich. Vom gegenüberliegenden
Trottoir kamen, wie ich durchs Fenster sah, drei Knaben in blauen
Pekeschen mit Biberkragen hinter einem jungen hübschen Erzieher auf
unser Haus zu.
 
Bald nach unserer Ankunft in Moskau waren wir auf einem Spaziergange
mit Papa diesen Iwins begegnet, die durch den Fürsten Iwan Iwanowitsch
entfernt mit uns verwandt waren. Papa hatte uns bekannt gemacht.
 
Der zweite Iwin, Serjoscha, machte sofort starken Eindruck auf mich.
Seine ungewöhnliche Schönheit überraschte und fesselte mich. Ich fühlte
eine unbezwingliche Neigung zu ihm, vielleicht, weil sein Gesicht
einen kühnen, etwas spöttischen Ausdruck zeigte; vielleicht, weil ich,
mein Äußeres verachtend, an anderen den Vorzug der Schönheit übermäßig
schätzte; vielleicht -- was ein sicheres Zeichen wahrer Liebe -- weil
ich mir einbildete, er müsse sehr stolz sein und würde mich niemals
lieben. So fürchtete ich ihn ebenso, wie ich ihn liebte. Es kam mir
vor, daß zwischen ihm und mir nicht nur keine wechselseitigen Gefühle,
sondern überhaupt nichts Gemeinsames, kein Vergleich bestehen könne; so
hoch war meine Meinung von ihm.
 
Ihn sehen war für mich schon genügend, um glücklich zu sein, und eine
Zeitlang waren all meine Seelenkräfte darauf gerichtet. Wenn ich sein
hübsches Gesicht drei oder vier Tage nicht gesehen hatte, härmte ich
mich und wurde bis zu Tränen traurig. All meine Träume betrafen ihn.
Wenn ich schlafen ging, hatte ich den Wunsch, von ihm zu träumen;
wenn ich die Augen schloß, sah ich ihn vor mir und liebkoste dieses
Phantasiegebilde mit höchstem Genuß. Niemandem machte ich von diesem
Gefühl Mitteilung, und das vermehrte seine Bedeutung und Stärke.
 
Als Serjoscha zum erstenmal mit mir sprach, war ich über dieses
unerwartete Glück so betroffen, daß ich abwechselnd erblaßte und
errötete, nicht sprechen konnte und, um meine Verlegenheit vor ihm zu
verbergen, widernatürlich laut umherzutollen begann.
 
Vielleicht, weil meine unverwandten Blicke ihn langweilten oder
verletzten, oder einfach, weil er keine Neigung zu mir fühlte, spielte
und sprach er ersichtlich lieber mit Wolodja als mit mir. Trotzdem war
ich zufrieden, wünschte nichts, forderte nichts von ihm und war bereit,
ihm alles zu opfern.
 
Ein trauriger Gedanke, daß dieses schöne, reine Gefühl unbegrenzter
Liebe und Ergebenheit unerwidert zugrunde ging. Ich hätte ihm gern
alles gesagt, was ich auf dem Herzen hatte; eine sehr begründete Furcht
aber, dieses Gefühl verspottet zu sehen, hielt mich davon ab. Ich
suchte ihm in allem zu gleichen, seinen Charakter nachzuahmen, ganz
gleichgültig zu erscheinen und mich ihm unterzuordnen. Er fühlte seine
Macht über mich und übte sie unbewußt, aber tyrannisch bei unseren
kindlichen Beziehungen aus.
 
Serjoscha war ein brauner, krausköpfiger, munterer Knabe mit
dunkelblauen lebhaften Augen, etwas aufgeworfenem Näschen und sehr
roten vollen Lippen, zwischen denen zuweilen die obere Zahnreihe etwas
stark hervortrat. Er lächelte niemals, sondern brach entweder in sein
lautes, hellklingendes, anziehendes Lachen aus, oder behielt seinen
gewöhnlichen, ruhigernsten Ausdruck. Er hatte eine üble Angewohnheit:
wenn er nachdenklich war, richtete er die Augen starr auf einen Punkt
und blinzelte unaufhörlich, mit der Nase und den Augenbrauen zuckend.
Alle fanden diese Angewohnheit sehr entstellend; mir aber schien sie
so unaussprechlich lieb, daß ich unwillkürlich das gleiche tat; einige
Tage nach unserer Bekanntschaft fragte Großmutter mich, ob mir die
Augen weh täten, da ich mit ihnen klapperte wie eine Eule.
 
Wie mag es kommen, daß ich als Kind gern groß sein wollte und
als Großer oft einem Kinde zu gleichen wünschte? Eine sonderbare
Erscheinung, die ich nicht nur an mir und nicht nur bei diesen Wünschen
beobachtet habe. Unerklärlich, aber trotzdem existierend, sehr zum
Schaden des Menschengeschlechts. Wie oft hat dieser Wunsch, nicht mehr
»klein« zu sein, bei meinem Verhältnis zu Serjoscha das überströmende
Gefühl zurückgedämmt, Zärtlichkeit unterdrückt und auf diese Weise
Heuchelei großgezogen. Ich wagte nicht nur nicht, ihn zu küssen (wonach
ich heftiges Verlangen trug), ihn bei der Hand zu fassen, ihm zu sagen,
wie ich mich freute, ihn zu sehen, sondern wagte ihn nicht einmal
anders als Sergei und niemals Serjoscha zu nennen. Das war bei uns so
hergebracht.
 
Jeder Ausdruck eines Gefühls bedeutete Kinderei und bewies, daß
derjenige, der sich ihn erlaubte, noch ein Knabe war. Wir hatten
die bitteren Erfahrungen noch nicht durchgemacht, die Erwachsene zur
Vorsicht und Kälte in ihren Beziehungen veranlassen; wir beraubten uns
des reinen Genusses feuriger Kinderliebe nur infolge des sonderbaren
Wunsches, Große nachzuahmen.
 
Schon im Dienerzimmer traf ich Iwins, begrüßte sie und rannte
spornstreichs, kaum meine Freude verbergend, zu Großmutter, um ihr
mitzuteilen, daß Iwins ihr gratulieren wollten, als ob diese Nachricht
sie vollends beglücken müsse. Dann folgte ich Serjoscha, ohne ein
Auge von ihm abzuwenden, ins Gastzimmer und beobachtete jede seiner
Bewegungen, als er Großmutter gratulierte.
 
Als Großmutter ihm sagte, er sei gewachsen und er darüber errötete,
-- errötete ich noch mehr; als sie dem jungen Erzieher sagte: »Heute
dürfen die Kinder zur Feier meines Geburtstages lauter dumme Streiche
machen,« lachte er und ich ebenfalls.
 
Der hübsche Erzieher, Herr Forst, ging mit uns in den Garten, setzte
sich auf die grüne Bank, legte ein Bein über das andere, stellte den
Spazierstock mit Bronzeknopf dazwischen und zündete sich eine Zigarre
an.
 
Herr Forst war ein Deutscher, aber ganz anderen Schlages als Karl
Iwanowitsch. Erstens sprach er gut Russisch, und mit schlechter
deutscher Aussprache aber ziemlich richtig Französisch und stand im
Ruf eines sehr gelehrten Herrn; zweitens war er hübsch gewachsen,
trug einen blonden Schnurrbart, elegante Kleidung, eine große
Rubinbusennadel und hellblaues Beinkleid mit Strippen. Überhaupt war
er der sehr seltene und komische Typ eines jungen deutschen Elegants
in Rußland. Man konnte merken, daß er in Gegenwart weiblicher Personen
stets sehr viel Wert auf die Wirkung legte, die er auf sie ausübte;
als anziehendstes Mittel in dieser Hinsicht erschienen ihm seine Waden
und Schenkel, die er bei jeder Gelegenheit in Aktion setzte und an die
sichtbarste Stelle brachte.
 
Sobald wir im Garten angelangt waren, begann das Rennen, Toben,
Geschrei, die verschiedenen Spiele, die kaum erdacht sofort wieder
verworfen wurden; es war herrlich. Ich war durch das Spiel und das
beständige verliebte Beobachten Serjoschas so in Anspruch genommen, daß
ich mich der Einzelheiten dieser Stunden nicht mehr genau erinnere.
Ich weiß nur noch, daß Serjoscha einmal stolperte und in vollem Lauf
mit dem Knie so heftig gegen einen Baum schlug, daß ich glaubte, das
ganze Knie würde zerschmettert. Obgleich ich Gendarm und er Räuber war,
konnte ich mich nicht halten, hinzulaufen und ihn zu fragen, ob er sich
weh getan hätte. Er war darüber schrecklich wütend, ballte die Fäuste,
stampfte mit dem Fuß auf und schrie mich mit einer Stimme, aus der man
die schrecklichen Schmerzen deutlich heraushören konnte, an: »Was soll
denn das? Jetzt spiele ich aber ganz sicher nicht mehr mit! Weshalb
fängst du mich nicht, fängst mich nicht!« wiederholte er noch einmal,
nach Wolodja und dem älteren Iwin schielend, die auf dem Weg hin und
her hüpften und Reisende vorstellten. Dann kreischte er plötzlich auf
und stürmte lachend hin, um sie zu fangen. Ich kann nicht sagen, wie
dieser Heldenmut mich anzog; trotz der schrecklichen Schmerzen verzog
Serjoscha keine Miene und vergaß keinen Augenblick das Spiel.
 
Vor dem Essen gesellte sich im Garten noch der kleine Grap zu uns.
 
Das war der Sohn eines armen Ausländers, der früher bei Großvater
gelebt hatte und ihm für irgend etwas Dank schuldig war. Der kleine
Grap war dreizehn Jahre alt, groß, mager, blaß, mit einem Vogelgesicht
und sehr ärmlich gekleidet, dafür aber so stark pomadisiert, daß wir
versicherten, an heißen Tagen schmölze die Pomade auf seinem Kopf
und liefe die Jacke hinunter. Er trug ein dunkelgrünes Jackett mit
einem riesigen Umlegekragen, der an ein Bettlaken erinnerte. Schwarze
Höschen, aus denen er längst herausgewachsen war, bedeckten seine
ungeputzten rauhen Stiefelschäfte und umspannten die dünnen Beinchen.
 
Der kleine Grap war ein dienstfertiger, stiller, guter Junge, mit dem
man nur Mitleid haben konnte. Damals erschien er mir aber lächerlich,
dumm und verachtungswürdig. Ich war fest überzeugt, daß nichts dabei
sei, den armen Grap auszulachen, anzuspucken und sogar zu verprügeln;
dazu war er ja geboren, um als Zielscheibe für unsere Frechheiten zu
dienen. Nie kam mir in den Sinn, ihn zu bedauern.
 
Beim Mittagessen passierte nichts Besonderes, nur teilte Großmutter uns
mit, daß abends viel Besuch kommen würde -- Damen, Musik, mit einem
Worte: ein Ball.
 
Nach dem Essen war bis zur Ankunft der Gäste noch viel Zeit übrig,
die wir möglichst gut auszunützen suchten: wir gingen nach oben und
überboten uns gegenseitig in Kraft- und gymnastischen Übungen. Der
kleine Grap schaute unseren Vorführungen mit blödem Lächeln zu, und
als wir ihn aufforderten, doch auch etwas zu zeigen, lehnte er mit den
Worten ab, er hätte keine Kräfte. Serjoscha zog die Jacke aus; sein
Gesicht und die Augen glühten vor Erregung; er lachte ununterbrochen,
ersann stets neue Scherze und war so lieb, daß man ihm unmöglich
widerstehen konnte, vielmehr all seinen Streichen nachgeben mußte.
Jetzt überlegte er einen Augenblick, blinzelte mit den Augen, schnalzte
dann mit den Fingern und lief zum Bücherbord.
   

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