2015년 4월 6일 월요일

Gestalten der Wildnis 10

Gestalten der Wildnis 10


Denn es war das Jahr ohne Kaninchen! Was kaum einmal in Jahrzehnten
vorkommt, ihre schwärmenden Rudel waren auf rätselhafte Art
verschwunden, als hätte eine Pestilenz sie ausgerottet oder als hätte
eine Laune unbekannter Mächte sie ins Exil verstoßen. Seitdem herrschte
Anarchie in der Wildnis, denn das Kaninchen ist dort die letzte
Auskunft, der große Erhalter des Friedens. Das Kaninchen ist es, das
unter den gefährlich selbständigen und unleitbaren Jägern und Räubern
dem Leben eine gewisse Gleichmäßigkeit gibt. Auf seine unerschöpfliche
Fruchtbarkeit, auf den Vorrat an Nahrung, den es mit der Legion seiner
lebendigen Körper bietet, sind alle anderen Leben angewiesen. Die
leichte Jagd auf Kaninchen befriedigt den Blutdurst der Raubtiere. Dank
dieser mühelosen Jagd können die Raubtiere des Waldes sich nutzlose
Kämpfe ersparen, und indem sie eins das Leben der anderen schonen,
vermeiden sie Gefahren und unnützes Blutvergießen. Denn, mit Ausnahme
mancher Männchen in der Brunstzeit, suchen nur wenige Raubtiere den
Kampf um des Kampfes willen. Mit einem Gegner von annähernd gleicher
Tüchtigkeit lassen sie sich nur dann ein, wenn es die Verteidigung
ihrer Jungen gilt. Ein zu kostspieliger Sieg ist ja meist so schlimm
wie eine Niederlage. Er schwächt auch den Sieger, daß er dem nächsten
Feind, den der Zufall über seinen Weg führt, zur leichten Beute wird.
 
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, wenn man unter den
größeren Tieren manchmal so etwas wie Waffenstillstand beobachten
kann, soweit er die hilflosen Jungen angeht. Es handelt sich da nicht
um Wohlwollen, es ist einzig und allein die Frage kühler Ueberlegung.
Werden aber ihre Jungen bedroht, dann sind selbst die Schwachen
gefährlich, die Starken von unversöhnlichem Rachedurst. Im allgemeinen
gilt deshalb unter gleich Starken das Beschleichen von Brutplätzen
nicht als gute Jagd. Die Gefahr ist zu groß für den Gewinn. Als jedoch
die Kaninchen verschwunden waren, hatte sich alles geändert. Da wurde
jede Jagd gute Jagd.
 
Man kann sich schwer vorstellen, daß diese kleinen, huschenden,
schlau-äugigen Tierchen im Haushalt der Wildnis eine so bedeutsame
Rolle spielen. Dennoch war kein Tier so stark oder hochmütig, daß
es bei ihrem Verschwinden gleichgültig geblieben wäre. Der Mensch
sogar wurde davon betroffen; denn jetzt kamen die Füchse und die
Wildkatzen seiner Siedlung nahe, pürschten sich an die Hühnerhöfe und
die Weideplätze abgelegener Farmen. Auch die großen Pflanzenfresser,
Hirsche, das Renntier und sogar das gewaltige Elen wurden von der
plötzlich einreißenden Anarchie ergriffen. Jetzt mußten Elen und
Renntier ihre Jungen mit einer Wachsamkeit behüten, wie nie zuvor. Die
schwächeren Tiere aber bekamen Feinde, die sie bisher kaum beachtet
hatten, die aber grausam gefährlich wurden.
 
Von allen Bewohnern der Wildnis war der Bär am wenigsten betroffen. Er
hatte nie mehr als einen gleichgültigen Seitenblick für ein so geringes
Wesen wie das Kaninchen gehabt, und solange er im Forst Wurzeln,
Früchte und Schwämme, Maden und Käfer, Ameisen und Honig fand, spielte
Fleischnahrung für ihn kaum eine Rolle. Wurde aber einmal der Hunger
auf Fleisch mächtig in ihm, dann liebte er große Jagd auf Rehe, Schafe
oder eine verlaufene Färse. Aber trotz all ihrer Unabhängigkeit mußten
selbst die Bären auf das Verschwinden des Kaninchens Rücksicht nehmen.
Sie bekamen Furcht, sich allzu weit von ihrem Lager zu entfernen, denn
in ihrer Abwesenheit konnte ein besonders kühner Fuchs oder Luchs oder
Fischer eindringen und die Jungen töten.
 
Die Luchse waren es andererseits, die am meisten zu leiden hatten. Sie
und die Wiesel waren die eifrigsten Kaninchenjäger, dem Luchs aber
fehlte die Anpassungsfähigkeit des Wiesels. Der Luchs geht seinen
von Alters her bestimmten Weg; obwohl er viel wilder und auch viel
kampftüchtiger ist als sein kleiner Vetter, die Wildkatze, ist er doch
dem Menschen und all seinem Beginnen gegenüber besonders scheu. Statt
mit Fuchs und Wildkatze die Bauernhöfe zu umschleichen, blieb der
Luchs, wo er einmal war, hungerte oder ging auf gefährliche Jagd.
 
Fast auf der Spitze eines steilen und felsigen Hügels, im Herzen
eines Zedern-Dickichts, hatte eine weise alte Luchsmutter ihr Lager.
Die Oberfläche des Hügels war ein Wirrwarr aus verknorrten Birken
und Schierlingstannen, in brüchige Felsblöcke eingekeilt, das Lager
aber eine Höhle mit engem Eingang, nahe der Spitze. Hier glaubte
die Mutter der Wildnis ihre Brut wohl versorgt. Alle Zugänge zu der
Höhle waren eng und schwierig, und nur ein kühner Feind hätte diesen
gefährlichen Eingang betreten, solange er nicht ganz sicher war,
ob die Mutter zurückkehren würde. So wagte sie es, was in dieser
gefährlichen Zeit nur wenige Mütter wagten, weit hinaus auf Beute zu
schweifen. Und das war gut. Denn ihre getigerten, samtigen Kätzchen
waren derbe und hungrige Kinder, deren Säuglingsgewinsel schon einen
herben, streitlustigen Klang hatte, selbst da sie noch blind im Nest
krabbelten. Die Mutter mußte tüchtig jagen, um für die Ansprüche dieser
geliebten Brut Milch genug in den Brüsten zu haben.
 
Im Gegensatz zu den meist glücklicheren Müttern der Wildnis hatte sie
ganz allein für ihre Familie zu sorgen. Ihr zügelloser Gatte durfte
nicht einmal wissen, wo das Familienversteck lag, sonst war es möglich,
daß er sich in einer Anwandlung unväterlicher Gier aus dem eigenen
Nachwuchs ein Festmahl machte. Für gewöhnlich sah sich dies wilde
und verschlafene Ehepaar, ausgenommen in der Brunstzeit, nur selten.
In diesem Hungerjahr aber trafen sie sich häufig zu gemeinsamer Jagd
auf irgendein Wild, mit dem sie einzeln nicht fertig werden konnten.
War das Glück ihnen günstig, dann konnten sie zusammen vielleicht
einen Bock zur Strecke bringen. Aber kaum hatten sie sich brav daran
gesättigt und die Ueberreste im Dickicht verborgen, floh das Weibchen
in angstvoller Hast zu ihrem Lager. Das Männchen stellte sich, als
wollte es ihr folgen; aber da wandte sie sich mit so drohender Wut
gegen ihn, daß er zurücksprang, sich auf seine Keulen setzte, seine
noch bluttriefenden Lippen schleckte und sie so unschuldig anblickte
wie ein Kätzchen seinen Herrn, nachdem der Kanarienvogel verschwunden
ist. Die erfahrene Mutter aber ließ sich nicht täuschen. Ueber ihre
graue Schulter zurückäugend, knurrte, spuckte und zischte sie, bis die
gefährliche Erscheinung ihres Gatten außer Sicht war. Dann schwenkte
sie von ihrem Wechsel ab und schlug eine entgegengesetzte Richtung ein.
Ihr Eheherr aber hatte viel zu viel Liebe zu seinem Fell, als daß er es
gewagt hätte, ihr zu folgen.
 
Als die Luchsmutter eines Tages von solch einem Ausfluge heimkehrte,
bald wie ein Lichtstrahl durchs Dickicht gleitend, dann wieder in
großen, geräuschlosen Sprüngen, fühlte sie plötzlich etwas wie eine
dumpfe Vorahnung. Vielleicht war sie länger als gewöhnlich fort
gewesen. Mit gespanntem Körper schlich sie voran, hinein in das Gewirr
aus Blöcken und Felsen. Kaum am Ziel, fing ihre Nase eine scharfe,
fremde Witterung, und ein Streifen rötlich-gelben Fells verschwand
unter einem Busch. Schnell wie der Blitz war auch sie in diesem Busch
-- aber da war nichts mehr! Um die nächste Ecke jedoch bog ein großer
Fuchs. Sie zauderte einen Augenblick. Besinnungslos vor Wut, war sie
nahe daran, ihn zu verfolgen, ihn mit ihren furchtbaren Krallen in
Stücke zu reißen -- dann war die Mutterliebe stärker. Sie eilte zu
ihrem Lager, schnüffelte hinein, wimmernd vor Angst und Sehnsucht.
 
Die Kätzchen waren alle da, ungestört, und drängten sich an ihre
Zitzen, als sie es fühlten und rochen, daß die Mutter sich über sie
beugte. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich den Wünschen der Jungen
zu widmen. Der Gedanke an ihren Feind ließ sie nicht ruhen. In aller
Hast beleckte sie die Kleinen, um sie ein wenig zu beruhigen, dann ließ
sie sie wieder allein, und hinter ihr klang hell der Jammer von Hunger
und Enttäuschung.
 
Sorgfältiges Abschnüffeln belehrte die Mutter bald, daß der Fuchs
kaum auf zehn Fuß weit an den Einschlupf herangekommen war. Aber für
ihr liebendes Herz war das schon mehr als genug. Der Feind hatte
aufgeklärt, er hatte das Versteck gefunden, in dem sie ihren Schatz
verbarg! Es war ein Feind, den sie fürchtete, denn er war stärker als
sie selbst, und ganz außer sich vor Wut und Angst suchte sie jeden
Winkel und jeden Spalt auf dem Hügel ab. Natürlich fand sie nichts als
Moschus-Duft, den er so freigebig zurückzulassen pflegt. Der Zufall
aber wollte es, daß sie am Fuße des Hügels, fast unmittelbar unter
ihrem Lager, einen anderen Eindringling entdeckte. Ein schwarzer Bär
grub dort Wurzeln aus der fetten Erde zwischen den Felsen. Sein Besuch
war so harmlos wie möglich, er dachte nicht einmal an junge Luchse.
In den Augen der sorgenden Mutter aber spionierte auch er den Weg zum
Versteck ihrer Kleinen auf!
 
Natürlich kann auch der stärkste Luchs den Kampf mit einem Bären
nicht wagen. Eine Mutter aber ist Mutter, und dies ist das große
Wunder unserer Schöpfung. Der Bär wühlte aufmerksam Moos und Gras
durcheinander und dachte an keine Gefahr, als wie ein Wirbelwind Klauen
und Zähne und wildes Fauchen ihm ins Genick kamen. Er war völlig
überrascht, blutete schwer und schlug vergeblich mit seinen schweren
Pranken über die Schulter. Jeder Schlag hätte seinen wütenden Angreifer
getötet, aber nicht ein Mal traf er; kaum daß er ein Stückchen
armseliges Fell berührte. Im nächsten Augenblick floh er, und von
Entsetzen gepackt, tobte er durch die Zedern. Die Luchsmutter saß ihm
im Nacken, biß und kratzte, bis ein niedriger Zweig sie abschüttelte.
Worauf sie eine Pause machte, um die langen, schwarzen Haare, die sie
so eifrig ausgerissen hatte, aus ihren Zähnen zu spucken und dann mit
erleichtertem Herzen zu ihrem Lager zurückzukehren.
 
Der Bär rannte drauf los, aber sein Entsetzen wich allmählich einem
Gefühl von Entrüstung, bis dieses jedes andere Gefühl unterdrückte. Da
machte er Kehrt und trottete langsam auf der eigenen Spur zurück. Er
wollte den unverschämten Wegelagerer aufspüren und erledigen!
 
Als er den Hügel erreicht hatte, änderte er abermals seine Absicht.
Schließlich: war es der Mühe wert, der Hexe aufzulauern? Sie schien
reichlich listig zu sein. So wechselte er zur anderen Seite des Hügels
und tobte dort seine Wut aus, indem er einen alten Baumstamm zu
Splittern riß.
 
Obwohl ein winziger Gegner ihn ruhmlos in die Flucht geschlagen hatte,
war das Abenteuer für den Bären nicht allzu wichtig. Seine Wunden waren
leicht und bald vergessen. Etwas anderes war es für die Luchsmutter.
Ihre Sicherheit war dahin! Sie fühlte, daß beide, Fuchs und Bär, hinter
ihren Jungen her waren, durfte sich nicht mehr aus dem Bau wagen, um
zu jagen. Nahe dem Lager aber gab es, dank ihrem guten Ruf, selten
ein Stückchen Wild zu sehen. So konnte sie nichts mehr tun, als in
unermüdlicher Geduld auf wilde Hühner und Waldmäuse zu lauern. Dabei
wuchs ihr Hunger, der Vorrat kostbarer Milch in ihren Brüsten wurde
geringer, indes die Jungen, deren Augen sich gerade öffneten, in ihrer
Gier immer dringlicher wurden.
 
Etwa drei Tage nach dem Besuch des Bären und des Fuchses tauchte eine
riesige Elen-Kuh in der Gegend jener Höhle auf, die suchte, wie die
Luchsmutter es jüngst getan hatte, Ruhe und Sicherheit. Sie langte
auf der andern Seite des Hügels an und ahnte nichts von der Luchsin,
die in ihrem Buschversteck, nahe der Spitze, auf der Lauer lag.
Sie war schwarz und grimmig und sah sehr gefährlich aus, die große
Elen-Kuh. Sicher konnte sie mit einem einzigen Schlag ihrer gespaltenen
Vorderhufe auch die größte Katze zusammenschmettern. Deshalb dachte die
Luchsin auch nicht daran, mit ihr selbst anzubinden. Aber sie wußte
genau, weshalb die schwarze Pflanzenfresserin dies Versteck aufsuchte,
und hoffnungsvoll leckte sie ihre schnurrbärtigen Lippen.
 
Bei Tagesanbruch gebar die Elen-Kuh ein langbeiniges, zitterndes
Kalb und bettete es in das zarte Moos am Fuße des Felsens. All ihre
Schmerzen waren im Augenblick vergessen, lang und zärtlich beleckte
sie das Neugeborene, bis sein zartes Fell trocken war und dunkel
glänzte. Als dann der warme Tag erwachte, krabbelte es auf seine
schwachen Füße und machte den ersten Versuch, zu säugen. Es war so
lächerlich mager und klapprig, dickköpfig und gliederschwach! Die
wackligen Beine konnten das Gewicht des Körpers kaum tragen, nach
zwei oder drei Minuten sank es wieder ins Moos zurück. Und da lag es,
blickte mit sanften, neugierlosen Augen um sich, indeß die Mutter es
mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit betrachtete. Für sie war dieses
Kälbchen das Einzige im ganzen grünen Forst, das wirklich schön war ...
 
Ein Raschellaut, aber anders als der von fallendem Laub oder Gezweig,
kam plötzlich an ihr wachsames Ohr. Scharf wandte sie den Kopf. Da
hockte, keine hundert Fuß weit ab, der Bär am Zedernstamm, wühlte Erde
und hatte das Maul voll heller, gelber Pilze. Ein Bär! Unter allen nur
möglichen Feinden war das der furchtbarste! Mit einem harten Schrei, einer Art heiseren Gebrülles, stürzte sie gegen ihn!

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