2015년 4월 7일 화요일

Gestalten der Wildnis 18

Gestalten der Wildnis 18



Aber obwohl kein Wilddieb ihm die Reise störte, hatte der große
Seehund eine furchtbare Angst zu überstehen, ehe er die lange
Strecke der britisch-columbischen Küste hinter sich hatte. Von den
Königin-Charlotte-Inseln kam ein kanadischer Regierungskutter,
klein, aber geschäftig und gierig wie ein Terrier, der Ratten jagt,
mitten in die Herde gedampft. Der große Bulle tauchte tief in den
dunkelgrünen Glimmer der See, tief erschreckt durch den feindseligen,
schwarzen Kasten und die grausam schäumende Schraube, während die
übrige Herde sich in panischer Angst zerstreute. Aber inzwischen hatte
der kanadische Kommandeur schon festgestellt, daß er bloß die Vorhut
von alten Bullen vor sich hatte, und daß er seine Beute, nämlich die
Pelzwilddiebe, weiter südlich zu suchen hätte.
 
Nach diesem Abenteuer hielt der große Seehund westwärts und folgte dem
kühn geschwungenen Bogen der Küste von Alaska. In steigender Hast hatte
er sich an die Spitze der Vorhut gesetzt und so umschwamm er den Zipfel
von Alaska, passierte die Kette der alëutischen Inseln, dort, wo sie
sich wie die Steine einer Furth zum Nachbar-Kontinent hinüberstrecken,
und kam an die seichte Flut des Behring-Meeres. Bis hierher war die
Reise fast ohne Ereignisse gewesen. Aber gerade hier hatte er ein
Abenteuer zu bestehen, das seine Laufbahn beinahe zu einem plötzlichen
und wenig rühmlichen Ende geführt hätte.
 
In der Mündung eines reißenden Polarflusses stieß er auf einen
mächtigen Schwarm von Lachsen, die zu ihren Laichplätzen schwammen. Das
war eine jener Gelegenheiten, bei denen die sonst so selbstbeherrschten
Seehunde den Kopf verlieren. Die ganze Herde wurde wild. Es war das
große Lachsfest. Durch den eng gedrängten Schwarm jagten ihre großen,
schwarzen, sehnigen Körper, bissen und töteten in einer Art von
Delirium zehnmal mehr Fische, als sie vertilgen konnten, bis auf der
trüben, grauen Flut große, blutrote Flecke standen. Manchmal warf sich
ein schmaler, schwarzer Kopf, der einen stattlichen Schnurrbart trug
und auf einem massiven Genick von ungeheurer Kraft saß, hoch über die
sprudelnden Wasser und biß in einen fetten, zuckenden Fisch, den er
im Maul trug; als wäre ein toller Zerstörungswahnsinn ausgebrochen,
zerbissen die Seehunde den schimmernden Lachs in zwei Stücke,
schluckten ein Maul voll und ließen die blutigen Reste ins Wasser
zurückfallen. Und schon stürzten die tobenden Fischer sich auf neue
Beute. Für den Lachs war dies eine böse Stunde. Denn schon pürschten
sich vom nahen Ufer ein paar gemächliche weiße Bären heran, die sich
in den Schwarm warfen und reiche Beute machten, die sie aber ans Ufer
trugen, um sie dort in Ruhe zu verzehren. Das Lachsvolk aber, das unter
der Gewalt eines unerträglichen Triebes stand, wich nicht aus und hielt
nicht an, und ihre Anzahl war so unermeßlich, daß Seehund und Bär
zusammen kaum fühlbaren Schaden anrichten konnten.
 
Im Ueberschwang seines Jagdeifers passierte es dem großen Bullen,
daß er die Ruhe eines nicht allzu friedlich blickenden fremdartigen
See-Bewohners störte, der sich zufällig auf dem schlammigen Meeresboden
von einer Seite auf die andere wälzte. Das Tier trug eine blasse
Leichenfarbe, war etwa zwölf Fuß lang und erweckte den Eindruck, als
entstammte es der Mesalliance eines Einhorns mit einem Tümmlerwal. Aus
der Mitte seines ungeheuren, stumpfen Maules ragte, wohl sechs Fuß
lang, ein massiver, scharf zugespitzter, seltsam geschwungener Hauer
aus hartem Elfenbein. Seine kleinen, kalten Schweinsaugen betrachteten
die Legionen von Lachsen, die über ihm hinzogen, ohne Teilnahme,
vielleicht, weil einstweilen sein Riesenappetit auf Lachs befriedigt
war.
 
An jener Stelle war das Wasser der Mündung nicht mehr als zehn oder
zwölf Fuß tief. Da geschah es, daß der große Seehund bei seinem
besinnungslosen Tauchen das See-Einhorn mit seiner Hinterflosse
gewaltig über die Schnauze schlug. Vielleicht litt das Einhorn gerade
in diesem Moment an Verdauungsstörungen. Jedenfalls war sein Zorn
sehr leicht gereizt. Mit jäher Wut stieß es in die Höhe. Der Seehund
sah gerade mit einem Blick den blassen Koloß in die Höhe schnellen,
obwohl das schäumende Wasser fast undurchsichtig war. Geschmeidig wie
ein Aal wich er zur Seite, gerade noch zur rechten Zeit. Die starke
Elfenbein-Lanze traf nicht in ein Zentrum seines Lebens, aber immerhin
riß sie ihm gerade vor der Vorderflosse eine breite, rote Wunde in die
Flanke.
 
In der Wildheit seines Angriffs fuhr das Einhorn nicht nur mit dem
Hauer, sondern mit seinem halben Körper aus dem Wasser heraus. Als er
wieder untertauchte, griff der gereizte Seehund ihn seinerseits an und
schlug ihn gewaltig über das Schweinsauge. Aber dabei stellte er fest,
daß sein Angreifer einen Panzer aus Tran trug, der für seine Zähne
undurchdringlich war. Und so zog er sich aus dem Gefecht und verlor
sich unter den Lachsen, während das Einhorn sich wieder in den Schlamm
sinken ließ, um seine unterbrochene Verdauung fortzusetzen.
 
An einem fast unbewegten Morgen, als die blasse Sonne tief am
Horizont hing, erreichte der große Seehund jene seltsame Insel der
Pribiliv-Gruppe, die während der ganzen Nordlandsfahrt sein Ziel
gewesen war. Die Küste dieser Insel war über alle Beschreibung kahl und
elend, aber die Spitze, auf die der Seehund hielt und auf deren Besitz
er Anspruch erhob, bot für seinesgleichen gewisse Vorteile. Eine halbe
Meile vorgelagert lag eine andere flache Insel, die schmal und lang,
als Wellenbrecher gegen die schweren Seen des Ozeans diente. Der Kanal
zwischen den beiden Inseln aber war immer voll von Fischen, und rings
um den Felsvorsprung, auf dem er Wohnung genommen hatte, war das Wasser
klar und tief. Als er landete, war der lange Bogen jener Felsküste
sogleich von den Scharen seiner Reisegefährten bestürmt. Durch die
Polar-Einsamkeit, die bisher still wie ein Grab gewesen, hallte jetzt
ihr scharfes Gebell und grunzendes Schreien, denn wie Wilde stürzten
sich die Ankömmlinge über das Felsgestade.
 
Hier schlug der große Bulle sofort sein Heim auf: die Wolken waren
sein Dach, die vier Winde seine Mauern, sein Fundament eine schräg
abfallende Klippe, die auch der tollste Polarsturm nicht erschüttern
würde. Wie gut er gewählt hatte, sollte er sogleich erproben, denn als
er kaum fünf Minuten lang im Besitz seiner Wohnung war, mußte er sie
schon verteidigen. Ein anderer Bulle, noch größer als er selbst, mit
ergrautem Schnurrbart und mit einer weißen Narbe quer übers Gesicht,
warf sich auf die Klippe und fiel in Wut über den Hauseigentümer her.
Aus der Selbstverständlichkeit dieses Angriffs ließ sich vielleicht
schließen, daß er im vergangenen Jahr der Inhaber der Wohnung gewesen
war und berechtigte Ansprüche zu verfechten glaubte. Aber an jenen
wilden Gestaden gelten nur solche Rechte, die man sich erkämpft. Mit
Gebrüll richtete sich der Hausbesitzer auf, stemmte sich auf seine
seltsamen, wackligen Knochen und fiel mit entnervender Wut über den
Eindringling her.
 
Die überhöhte Stellung gab ihm einen gewissen Vorteil. Seine hinteren
Flossen, die breit, kurz und stark sind, waren nach vorn gebogen, wie
die Hinterbeine eines Land-Vierfüßlers, nicht trostlos nach rückwärts
wie die der östlichen Seehunde, sie boten ihm eine sichere Stütze für
diesen Angriff. Beim ersten Streich schon verwundete er seinen Gegner
unbarmherzig und drängte ihn bis auf den rechten Winkel des Felsens
zurück. Der Eindringling jedoch war wuchtig und stark-knochig und
wußte sich zu halten. So blieb der Ausgang des Kampfes minutenlang
zweifelhaft.
 
Die einander würdigen Gegner brüllten sich ihre Wut ins Gesicht,
während die nächsten Nachbarn in Beifallsbezeugungen ausbrachen. Im
schräg auffallenden Strahl der Sonne wiegten sich die beiden Nacken
der Duellanten auf und nieder, ihre Köpfe stießen so blitzschnell
gegeneinander, daß das Auge kaum folgen konnte, und zielten einander
nach der Gurgel und parierten mit weit offenem Rachen die tödlichen
Hiebe. Die Ueberlegenheit an Temperament und Jugend, die es dem
Hausbesitzer möglich gemacht hatte, als erster der ganzen Herde
anzukommen, erwies sich endlich dem schwereren Gewicht überlegen. Der
Eindringling bekam einen schweren Stand, und plötzlich, sei es, daß er
den Mut verlor, oder daß er durch seine Wunden geschwächt war, wurde
er geworfen und taumelte ins Wasser. Auf seine Klippe postiert, noch
immer kampflustig den Kopf wiegend, erwartete der Hausherr einen neuen
Vorstoß. Aber der Eindringling hatte genug. Noch einmal streckte er den
Kopf hoch über die Wellen und blickte seinen Feind an, dann tauchte er
unter, schwamm beschämt von dannen und suchte sich einen Platz in den
überspülten Ausläufern der Niederlassung.
 
Während der nächsten vierundzwanzig Stunden hatte der Hausherr noch
vier Kämpfe zu bestehen, um sein Eigentum zu verteidigen. Von diesen
späteren Zusammenstößen war aber keiner so gefährlich wie der erste.
Dann wurde, zum Glück für seine blutende Flanke, das Leben friedlicher,
denn das Lager war endlich aufgeteilt.
 
Der große Bulle konnte jetzt zwar ausruhen und verschnaufen,
aber seine Ruhe mußte er mit unermüdlicher Wachsamkeit bezahlen.
Nachkömmlinge wollten landen, die seinen Anspruch auf die gewählte
Wohnung bestritten. Aber wenn er an den Rand seines Riffs kroch, seinen
blutenden Körper zeigte, den mächtigen Nacken wiegte und seine großen,
klugen Augen in ihrer entschlossenen Wachsamkeit funkeln ließ, bot er
das Bild eines so gefährlichen Gegners, daß die Herausforderer sich
meist beruhigten und weiterschwammen, um leichtere Kämpfe zu bestehen.
Versuchte wirklich einer zu landen, dann fiel der Hausherr über ihn
her, ehe er noch recht ans Trockene gekommen war, und fertigte ihn mit
klaffenden Wunden ab. Zugleich aber mußte er gegen seine unmittelbaren
Nachbarn, zwei schwere rauflustige Bullen auf der Hut sein. Die hatten
zwar selbst gute Wohnungen gefunden, aber sie drohten stets, die Grenze
zu überschreiten, die er gezogen hatte. Vielleicht war diese Grenze
wirklich fast übertrieben weit, aber der Hausherr hatte die Absicht,
eine große Familie zu gründen und sich für die Entbehrungen des letzten
Jahres zu entschädigen. Mit wütendem Bellen und Brüllen warnte er
deshalb vor jedem Versuch, in sein Recht einzugreifen.
 
Eine traurige Begleiterscheinung dieser Lage war es, daß der
ununterbrochen bedrängte Hausherr keine Zeit mehr hatte, sich zu
nähren. Wenn er nur für einen Augenblick seinen Posten verließ, mußte
er damit rechnen, daß er bei der Rückkehr einen anderen Bullen dort
treffen und gezwungen würde, neue Kämpfe zu führen, deren Ausgang
zweifelhaft war. Keine zehn Schritte weit vor seiner Nase war die Tafel
gedeckt. Fette Fische schwärmten in der eisigen, großen See, aber
er konnte nicht gehen, um sie zu fangen. In dieser Beziehung war er
sicherlich schlechter daran als seine Kameraden und Nebenbuhler. Aber
jeder Bulle, der einen wirklich guten Platz gesichert hatte, mußte alle
Zeit und alle Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihn zu bewachen.
 
Es war vielleicht der erste Mai, und während der folgenden fünf oder
sechs Wochen, durch all die langen, blassen Polartage, an denen die
Sonne tief am Horizont stand und kaum einen Augenblick dahinter
verschwand, brach der Hausherr kein einziges Mal sein Fasten. Ja, er
wagte es kaum, zu schlafen, denn immer noch konnte irgend ein tapferer,
junger Neuankömmling ihn überfallen. Zum Glück war er von dem fetten
Winter und seinem leichten Dasein her noch gut genährt, und die
stattliche Transchicht unter seinem Fell hielt seine Kräfte aufrecht.
 
[Illustration]
 
Gegen Ende des Monats kamen die glatten und friedlichen Horden der
»Halbbullen« und der »Jungburschen« an, die noch nicht alt genug waren,
sich zu paaren, oder auch nur Ansprüche an dergleichen zu stellen. Mit
ihnen erschien die Schar der kleinen, sanftäugigen, einjährigen Kühe,
spielfrohe Kinder des Ozeans. Diesem ganzen Gewimmel Unschuldiger
schenkten die alten Bullen keinerlei Aufmerksamkeit. Die schwärmten an
den Ausläufern der Niederlassung hin, waren glücklich über jede Art
Unterkunft, die sie fanden, und verbrachten ihre friedvollen Stunden
-- wenn sie sich nicht mit Fischen beschäftigten -- mit harmlosen,
glücklichen Spielen wie eine Schar Kinder, die von der Schule kommt.
Dann endlich, in der ersten Woche des Juni, trat das lang erwartete
Ereignis ein, dem all dies Suchen nach Unterkunft, dies Wachen und
Kämpfen und Fasten gegolten hatte, die Ankunft der erwachsenen Kühe.
 
Sie kamen in immer größeren Scharen, Flosse an Flosse gedrängt.
 
Da die Kühe mit zwei Jahren ausgewachsen sind, die Bullen aber nicht
vor dem siebenten Jahr, und da die Weibchen außerdem in größerer Anzahl
geboren werden als die Männchen, kamen im Durchschnitt zehn oder zwölf
von ihnen auf einen erwachsenen Bullen. Trotzdem war kein Bulle in der
Herde, der nicht Angst gehabt hätte, er würde zu kurz kommen.
 
Die ersten beiden Kühe kamen knapp hintereinander direkt auf das
Riff unseres bedrängten, aber jetzt triumphierenden Hausvaters
zugeschwommen. Er erwartete sie in großer Erregung, den Kopf so hoch
übers Wasser gehoben wie es nur möglich war und eifrig winkend. Das
Seehundsweibchen ist viel kleiner als ihr polygamer und gewalttätiger
Herr, sanftäugig und von milden Sitten. Als die erste Schwimmerin das
Riff erreichte, griff der Hausherr ihr formlos ins Genick, ehe sie
noch Zeit hatte, aus eigenem Antrieb den Felsen zu erklettern, und
half ihr mit mehr Gewalt als Zärtlichkeit aufs Trockene. Der derbe
Griff seiner Zähne in ihr Genick mußte schmerzhaft sein, aber die
kleine Kuh schien es als Zeichen seiner Zuneigung zu nehmen, denn sie
beklagte sich nicht. Er jedoch, der so plötzlich ihr Herr geworden,
nahm sich nicht die Zeit, schön zu tun oder seine glitzernde Braut auch
nur zu bewundern. Als er sie sicher in seinem Rücken wußte, machte er
sich blitzschnell daran, ihrer Reisegefährtin dieselbe verbindliche
Aufmerksamkeit zu beweisen. Diesmal aber kam er zu spät. Sein
energischer Nachbar zur Rechten war ihm gerade noch zuvorgekommen und
schnappte stolz die widerstandslose Schöne fort, um seinen eigenen Herd mit ihr zu schmücken.

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