2014년 12월 29일 월요일

Dantons Tod 1

Dantons Tod 1

Dantons Tod, by Georg Buchner
Personen:

Deputierte des Nationalkonvents:
  Georg Danton
  Legendre
  Camille Desmoulins
  Herault-Sechelles
  Lacroix
  Philippeau
  Fabre d'Eglantine
  Mercier
  Thomas Payne

Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses:
  Robespierre
  St. Just
  Barere
  Collot d'Herbois
  Billaud-Varennes

Chaumette, Prokurator des Gemeinderats

Dillon, ein General

Fouquier-Tinville, offentlicher Anklager

Amar und Vouland, Mitglieder des Sicherheitsausschusses

Herman und Dumas, Prasidenten des Revolutionstribunales

Paris, ein Freund Dantons

Simon, Souffleur

Weib Simons

Laflotte

Julie, Dantons Gattin

Lucile, Gattin des Camille Desmoulins

Rosalie, Adelaide und Marion, Grisetten

Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie
auf einer Promenade, Burger, Burgersoldaten, Lyoner und andere
Deputierte, Jakobiner, Prasidenten des Jakobinerklubs und des
Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Manner und Weiber
aus dem Volk, Grisetten, Bankelsanger, Bettler usw.




Erster Akt

Erste Szene

Herault-Sechelles, einige Damen am Spieltisch. Danton, Julie etwas
weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Fußen von Julie.

Danton.
Sieh die hubsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig,
sie versteht's; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das coeur und
anderen Leuten das carreau hin. - Ihr konntet einen noch in die Luge
verliebt machen.

Julie.
Glaubst du an mich?

Danton.
Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhauter, wir
strecken die Hande nacheinander aus, aber es ist vergebliche Muhe, wir
reiben nur das grobe Leder aneinander ab - wir sind sehr einsam.

Julie.
Du kennst mich, Danton.

Danton.
Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar
und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er
deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir
haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir mußten uns die Schadeldecken
aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. -

Eine Dame (zu Herault).
Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?

Herault.
Nichts!

Dame.
Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn!

Herault.
Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie. -

Danton.
Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.

Julie (sich abwendend).
Oh!

Danton.
Nein, hore! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien
eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du
sußes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein
Grabgelaute, deine Brust mein Grabhugel und dein Herz mein Sarg. -

Dame.
Verloren!

Herault.
Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.

Dame.
Dann haben Sie Ihre Liebeserklarungen, wie ein Taubstummer, mit den
Fingern gemacht.

Herault.
Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die wurden am
leichtesten verstanden. - Ich zettelte eine Liebschaft mit einer
Kartenkonigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen,
Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer
in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich wurde meine
Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen
so unanstandig ubereinander und die Buben kommen gleich hintennach.

(Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.)

Herault.
Philippeau, welch trube Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mutze
gerissen? Hat der heilige Jakob ein boses Gesicht gemacht? Hat es
wahrend des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten
Platz bekommen und nichts sehen konnen?

Camille.
Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Gottliche den
Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen
fand: ≫Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im
Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser
gesungen oder besser die Zither geschlagen?≪ Welche klassischen
Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!

Philippeau.
Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man
hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht
systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich
verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Manner gegeben hatte, die
man mehr furchtete als sie.

Herault.
Sie mochten uns zu Antediluvianern machen. St. Just sah' es nicht
ungern, wenn wir wieder auf allen vieren krochen, damit uns der
Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhutchen,
Schulbanke und einen Herrgott erfande.

Philippeau.
Sie wurden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch
einige Nullen zu hangen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und
blutig sein wie neugeborne Kinder, Sarge zur Wiege haben und
mit Kopfen spielen? Wir mussen vorwarts: der Gnadenausschuß muß
durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten mussen wieder aufgenommen
werden!

Herault.
Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. - Die
Revolution muß aufhoren, und die Republik muß anfangen. - In unsern
Staatsgrundsatzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das
Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe
treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen
konnen. Er mag nun vernunftig oder unvernunftig, gebildet oder
ungebildet, gut oder bose sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle
sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentumliche
Narrheit aufzudrangen. - Jeder muß in seiner Art genießen konnen,
jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in
seinem eigentumlichen Genuß storen darf.

Camille.
Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an
den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen
der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrucken. Die
Gestalt mag nun schon oder haßlich sein, sie hat einmal das Recht,
zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Rocklein
nach Belieben zuzuschneiden. - Wir werden den Leuten, welche uber
die nackten Schultern der allerliebsten Sunderin Frankreich den
Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - Wir wollen
nackte Gotter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen
Lippen: ach, die gliederlosende, bose Liebe! - Wir wollen den Romern
nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Ruben zu kochen,
aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. - Der
gottliche Epikur und die Venus mit dem schonen Hintern mussen statt
der Heiligen Marat und Chalier die Tursteher der Republik werden. -
Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!

Danton.
Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen
die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen
sein. Nicht wahr, mein Junge?

Camille.
Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.

Danton.
Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schonen
Dinge ins Werk setzen?

Philippeau.
Wir und die ehrlichen Leute.

Danton.
Das ≫und≪ dazwischen ist ein langes Wort, es halt uns ein wenig weit
auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem,
eh' wir zusammenkommen. Und wenn auch! - den ehrlichen Leuten kann man
Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Tochter an
sie verheiraten, aber das ist alles!

Camille.
Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?

Danton.
Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen
nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal
so. (Er erhebt sich.)

Julie.
Du gehst?

Danton (zu Julie).
Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. - (Im
Hinausgehn:) Zwischen Tur und Angel will ich euch prophezeien: die
Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen gluht, wir alle
konnen uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.)

Camille.
Laßt ihn! Glaubt ihr, er konne die Finger davon lassen, wenn es zum
Handeln kommt?

Herault.
Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.



Zweite Szene

Eine Gasse

Simon. Sein Weib.

Simon (schlagt das Weib).
Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger
Sundenapfel!

Weib.
He, Hulfe! Hulfe!

(Es kommen Leute gelaufen.)

Leute.
Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!

Simon.
Nein, laßt mich, Romer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!

Weib.
Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.

Simon.
        So reiß ich von den Schultern dein Gewand.
        Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas.

Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. (Sie
werden getrennt.)

Erster Burger.
Was gibt's?

Simon.
Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das
Madchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das
nicht! Nur noch ein Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem
dafur.

Zweiter Burger.
Das ist gut, sonst wurde der Name nach Schnaps riechen.

Simon.
Alter Virginius, verhulle dein kahl Haupt - der Rabe Schande sitzt
darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Romer! (Er
sinkt um.)

Weib.
Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen;
der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

Zweiter Burger.
Dann geht er mit dreien.

Weib.
Nein, er fallt.

Zweiter Burger.
Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fallt er auf das dritte,
bis das dritte selbst wieder fallt.

Simon.
Du bist die Vampirzunge, die mein warmstes Herzblut trinkt.

Weib.
Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer geruhrt wird; es
wird sich schon geben.

Erster Burger.
Was gibt's denn?

Weib.
Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und warmte mich,
seht ihr - denn wir haben kein Holz, seht ihr -

Zweiter Burger.
So nimm deines Mannes Nase.

Weib.
Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke - sie ist ein
braves Madchen und ernahrt ihre Eltern.

Simon.
Ha, sie bekennt!

Weib.
Du Judas! hattest du nur ein Paar Hosen hinauf zuziehen, wenn
die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du
Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brunnlein zu laufen
aufhort, he? - Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch
damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es
hat ihr weh getan; kann sie fur ihre Mutter nicht auch damit schaffen,
he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!

Simon.
Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Romer! Ha, Appius
Claudius!

Erster Burger.
Ja, ein Messer, aber nicht fur die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr
Hunger hurt und bettelt. Ein Messer fur die Leute, die das Fleisch
unserer Weiber und Tochter kaufen. Weh uber die, so mit den
Tochtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben
Magendrucken; ihr habt Locher in den Jacken, und sie haben warme
Rocke; ihr habt Schwielen in den Fausten, und sie haben Samthande.
Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und
sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum
ein paar Heller wiederhaben wollt, mußt ihr huren und betteln; ergo,
sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen!

Dritter Burger.
Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben.
Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wolfe!
Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehangt. Sie haben gesagt:
das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben
gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten
guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie
zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von
den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das
Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen,
wer kein Loch im Rock hat!

Erster Burger.
Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

Zweiter Burger.
Totgeschlagen, wer auswarts geht!

Alle (schreien).
Totgeschlagen! Totgeschlagen!

(Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.)

Einige Stimmen.
Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die
Laterne!

Zweiter Burger.
Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!
(Eine Laterne wird heruntergelassen.)

Junger Mensch.
Ach, meine Herren!

Zweiter Burger.
Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!

Einige (singen).
        Die da liegen in der Erden,
        Von de Wurm gefresse werden;
        Besser hangen in der Luft,
        Als verfaulen in der Gruft!

Junger Mensch.
Erbarmen!

Dritter Burger.
Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein
Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord
durch Arbeit; wir hangen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen,
aber wir werden uns losschneiden. - An die Laterne!

Junger Mensch.
Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.

Die Umstehenden.
Bravo! Bravo!

Einige Stimmen.
Laßt ihn laufen! (Er entwischt.)

(Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.)

Robespierre.
Was gibt's da, Burger?

Dritter Burger.
Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September
haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu
langsam. Wir brauchen einen Platzregen!

Erster Burger.
Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit
Aristokratenfleisch futtern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock
hat!

Alle.
Totgeschlagen! Totgeschlagen!

Robespierre.
Im Namen des Gesetzes!

Erster Burger.
Was ist das Gesetz?

Robespierre.
Der Wille des Volks.

Erster Burger.
Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist
dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz
mehr, ergo totgeschlagen!

Einige Stimmen.
Hort den Aristides! hort den Unbestechlichen!

Ein Weib.
Hort den Messias, der gesandt ist, zu wahlen und zu richten; er wird
die Bosen mit der Scharfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die
Augen der Wahl, seine Hande sind die Hande des Gerichts.

Robespierre.
Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine
Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und
Donnerschlagen. Aber, Volk, deine Streiche durfen deinen eignen Leib
nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst
nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine
Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hande fuhren; ihre Augen sind
untrugbar, deine Hande sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern!
Eure Bruder werden euch ihre Arme offnen, wir werden ein Blutgericht
uber unsere Feinde halten.

Viele Stimmen.
Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre! (Alle ab.)

Simon.
Weh mir, verlassen! (Er versucht sich aufzurichten.)

Weib.
Da! (Sie unterstutzt ihn.)

Simon.
Ach, meine Baucis! du sammelst Kohlen auf mein Haupt.

Weib.
Da steh!

Simon.
Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich
dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat
es.
        Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind.
        Hamlet tat's nicht, Hamlet verleugnet's.


Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?

Weib.
Dort um das Eck herum.

Simon.
Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl. (Beide ab.)



Dritte Szene
Der Jakobinerklub

Ein Lyoner.
Die Bruder von Lyon senden uns, um in eure Brust ihren bittren Unmut
auszuschutten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur
Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen,
daß seit jenem Tage die Morder Chaliers wieder so fest auf den Boden
treten, als ob es kein Grab fur sie gabe. Habt ihr vergessen, daß Lyon
ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen
der Verrater zudecken muß? Habt ihr vergessen, daß diese Hure der
Konige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt
ihr vergessen, daß dieser revolutionare Strom die Flotten Pitts im
Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muß stranden machen? Eure
Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten
ist das Rocheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt fur die
Republik, ein Jakobiner totet fur sie. Wißt: finden wir in euch nicht
mehr die Spannkraft der Manner des 10. August, des September und des
31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des
Kato. (Beifall und verwirrtes Geschrei.)

Ein Jakobiner.
Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken!

Legendre (schwingt sich auf die Tribune).
Wir haben nicht notig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute,
die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im
Theater sitzen und nach dem Diktionar der Akademie sprechen, tragen
seit einigen Tagen die Kopfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig
und sagen, man musse Marat und Chalier zu einem doppelten Martyrertum
verhelfen und sie in effigie guillotinieren. (Heftige Bewegung in der
Versammlung.)

Einige Stimmen.
Das sind tote Leute, ihre Zunge guillotiniert sie.

Legendre.
Das Blut dieser Heiligen komme uber sie! Ich frage die anwesenden
Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub
geworden sind...

Collot d'Herbois (unterbricht ihn).
Und ich frage dich, Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem
gibt, daß sie lebendig werden und zu sprechen wagen? Es ist Zeit, die
Masken abzureißen. Hort! Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf
sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuß versteht mehr
Logik, Legendre. Sei ruhig! Die Busten der Heiligen werden unberuhrt
bleiben, sie werden wie Medusenhaupter die Verrater in Stein
verwandten.

Robespierre.
Ich verlange das Wort.

Die Jakobiner.
Hort, hort den Unbestechlichen!

Robespierre.
Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten
ertont, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind
sich rusten und sich erheben, aber wir haben das Larmzeichen nicht
gegeben; wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht
geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus
seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrucken; jetzt steht
er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn
treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt.

Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei
Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter
Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen
eilen sie alle dem namlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist
nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten
Patrioten als abgenutzte Schwachlinge beiseite zu werfen, um die
Republik ihrer kraftigsten Arme zu berauben. Sie erklarte der Gottheit
und dem Eigentum den Krieg, um eine Diversion zugunsten der Konige zu
machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution, um dieselbe
durch studierte Ausschweifungen bloßzustellen. Heberts Triumph
hatte die Republik in ein Chaos verwandelt, und der Despotismus war
befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verrater getroffen. Aber
was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer anderen
Gattung zur Erreichung des namlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts
getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben.

Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwache,
ihr Feldgeschrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk seine Waffen
und die Kraft, welche die Waffen fuhrt, entreißen, um es nackt und
entnervt den Konigen zu uberantworten.

Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist
die Tugend - die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der
Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmachtig ist. Der Schrecken ist
ein Ausfluß der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge
und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe
einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus.
Freilich! aber so, wie das Schwert in den Handen eines Freiheitshelden
dem Sabel gleicht, womit der Satellit des Tyrannen bewaffnet ist.
Regiere der Despot seine tierahnlichen Untertanen durch den Schrecken,
er hat recht als Despot; zerschmettert durch den Schrecken die Feinde
der Freiheit, und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder
recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen
die Tyrannei.

Erbarmen mit den Royalisten! rufen gewisse Leute. Erbarmen mit
Bosewichtern? Nein! Erbarmen fur die Unschuld, Erbarmen fur die
Schwache, Erbarmen fur die Unglucklichen, Erbarmen fur die Menschheit!
Nur dem friedlichen Burger gebuhrt von seiten der Gesellschaft Schutz.

In einer Republik sind nur Republikaner Burger; Royalisten und
Fremde sind Feinde. Die Unterdrucker der Menschheit bestrafen, ist
Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen
Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach
Ostreich fliegen.

Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch
die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften.
Dies ist der feinste, gefahrlichste und abscheulichste Angriff auf die
Freiheit. Nur der hollischste Machiavellismus, doch - nein! Ich will
nicht sagen, daß ein solcher Plan in dem Gehirne eines Menschen hatte
ausgebrutet werden konnen! Es mag unwillkurlich geschehen, doch
die Absicht tut nichts zur Sache, die Wirkung bleibt die namliche,
die Gefahr ist gleich groß! Das Laster ist das Kainszeichen des
Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches,
sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der
politische Feind der Freiheit, er ist ihr um so gefahrlicher,
je großer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der
gefahrlichste Burger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote
Mutzen verbraucht als eine gute Handlung vollbringt.

Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche
sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit
ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir durfen
wohl fragen: ist das Volk geplundert, oder sind die Goldhande der
Konige gedruckt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen
Lastern und allem Luxus der ehemaligen Hoflinge Parade machen, wenn
wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten,
uppige Gastmahler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider
tragen sehen? Wir durfen wohl staunen, wenn wir sie Einfalle haben,
schongeistern und so etwas vom guten Ton bekommen horen. Man hat vor
kurzem auf eine unverschamte Weise den Tacitus parodiert, ich konnte
mit dem Sallust antworten und den Katilina travestieren; doch ich
denke, ich habe keine Striche mehr notig, die Portrats sind fertig.

Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur
auf Ausplunderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplunderung
ungestraft zu vollbringen hofften, fur welche die Republik eine
Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt
durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die
Gerechtigkeit abzukuhlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich
selbst: ≫Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein.
Philosophische Gesetzgeber, erbarmt euch unsrer Schwache! Ich wage
euch nicht zu sagen, daß ich lasterhaft bin; ich sage euch also
lieber: seid nicht grausam!≪

Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten! Sagt
euren Brudern zu Lyon: das Schwert des Gesetzes roste nicht in den
Handen, denen ihr es anvertraut habt! - Wir werden der Republik ein
großes Beispiel geben. (Allgemeiner Beifall.)

Viele Stimmen.
Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!

Prasident.
Die Sitzung ist aufgehoben.



Vierte Szene

Eine Gasse

Lacroix. Legendre.

Lacroix.
Was hast du gemacht, Legendre! Weißt du auch, wem du mit deinen Busten
den Kopf herunterwirfst?

Legendre.
Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles.

Lacroix.
Du bist ein Selbstmorder, ein Schatten, der sein Original und somit
sich selbst ermordet.

Legendre.
Ich begreife nicht.

Lacroix.
Ich dachte, Collot hatte deutlich gesprochen.

Legendre.
Was macht das? Es war, als ob eine Champagnerflasche sprange. Er war
wieder betrunken.

Lacroix.
Narren, Kinder und - nun? - Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst
du denn, daß Robespierre mit dem Katilina gemeint habe?

Legendre.
Nun?

Lacroix.
Die Sache ist einfach. Man hat die Atheisten und Ultrarevolutionars
aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen, es lauft
noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe
machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch einige
Grade, und der Wohlfahrtsausschuß kann sich sein Bett auf dem
Revolutionsplatz suchen.

Legendre.
Was haben damit meine Busten zu schaffen?

Lacroix.
Siehst du's noch nicht? Du hast die Contrerevolution offiziell
bekanntgemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast
ihnen die Hand gefuhrt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wochentlich
seine Leichen haben muß, wenn er sie nicht auffressen soll.

Legendre.
Wo ist Danton?

Lacroix.
Was weiß ich! Er sucht eben die Mediceische Venus stuckweise bei allen
Grisetten des Palais-Royal zusammen; er macht Mosaik, wie er sagt. Der
Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, daß
die Natur die Schonheit, wie Medea ihren Bruder, zerstuckt und sie so
in Fragmenten in die Korper gesenkt hat. - Gehn wir ins Palais-Royal!
(Beide ab.)



Funfte Szene

Ein Zimmer

Danton. Marion.

Marion.
Nein, laß mich! So zu deinen Fußen. Ich will dir erzahlen.

Danton.
Du konntest deine Lippen besser gebrauchen.

Marion.
Nein, laß mich einmal so. - Meine Mutter war eine kluge Frau; sie
sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schone Tugend. Wenn Leute ins
Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich
aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hatten, so sagte
sie mir, ich solle mich schamen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so
mußt' ich fast immer einige Seiten uberschlagen. Aber die Bibel las
ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was
ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brutete uber
mir selbst. Da kam der Fruhling; es ging uberall etwas um mich vor,
woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphare,
sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir
manchmal, als ware ich doppelt und verschmolze dann wieder in eins.
Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hubsch und sprach
oft tolles Zeug; ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte
lachen. Meine Mutter hieß ihn ofters kommen, das war uns beiden recht.
Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei
Bettuchern beieinander liegen, als auf zwei Stuhlen nebeneinander
sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnugen als bei seiner
Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewahren
und das großere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so
fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich
tiefer und tiefer wuhlte. Es war fur mich nur ein Gegensatz da, alle
Manner verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann
da druber hinaus? Endlich merkt' er's. Er kam eines Morgens und kußte
mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnurten sich um
meinen Hals, ich war in unsaglicher Angst. Da ließ er mich los und
lachte und sagte: er hatte fast einen dummen Streich gemacht; ich
solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es wurde sich schon von
selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben,
es ware doch das einzige, was ich hatte. Dann ging er; ich wußte
wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin
sehr reizbar und hange mit allem um mich nur durch eine Empfindung
zusammen; ich versank in die Wellen der Abendrote. Da kam ein Haufe
die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den
Fenstern. Ich sah hinunter: sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der
Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er
hatte sich ersauft. Ich mußte weinen. - Das war der einzige Bruch in
meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten
sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren
Geburtstag einmal geruhrt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal
nach. Ich begreife nichts davon: ich kenne keinen Absatz, keine
Veranderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und
Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die
Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es lauft auf eins
hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern,
Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das namliche Gefuhl; wer am
meisten genießt, betet am meisten.

Danton.
Warum kann ich deine Schonheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht
ganz umschließen?

Marion.
Danton, deine Lippen haben Augen.

Danton.
Ich mochte ein Teil des Athers sein, um dich in meiner Flut zu baden,
um mich auf jeder Welle deines schonen Leibes zu brechen.

(Lacroix, Adelaide, Rosalie treten ein.)

Lacroix (bleibt in der Tur stehn).
Ich muß lachen, ich muß lachen.

Danton (unwillig).
Nun?

Lacroix.
Die Gasse fallt mir ein.

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