Dantons Tod, by Georg Buchner Personen:
Deputierte des Nationalkonvents: Georg Danton Legendre Camille Desmoulins Herault-Sechelles Lacroix Philippeau Fabre d'Eglantine Mercier Thomas Payne
Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses: Robespierre St. Just Barere Collot d'Herbois Billaud-Varennes
Chaumette, Prokurator des Gemeinderats
Dillon, ein General
Fouquier-Tinville, offentlicher Anklager
Amar und Vouland, Mitglieder des Sicherheitsausschusses
Herman und Dumas, Prasidenten des Revolutionstribunales
Paris, ein Freund Dantons
Simon, Souffleur
Weib Simons
Laflotte
Julie, Dantons Gattin
Lucile, Gattin des Camille Desmoulins
Rosalie, Adelaide und Marion, Grisetten
Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie auf einer Promenade, Burger, Burgersoldaten, Lyoner und andere Deputierte, Jakobiner, Prasidenten des Jakobinerklubs und des Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Manner und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Bankelsanger, Bettler usw.
Erster Akt
Erste Szene
Herault-Sechelles, einige Damen am Spieltisch. Danton, Julie etwas weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Fußen von Julie.
Danton. Sieh die hubsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, sie versteht's; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das coeur und anderen Leuten das carreau hin. - Ihr konntet einen noch in die Luge verliebt machen.
Julie. Glaubst du an mich?
Danton. Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhauter, wir strecken die Hande nacheinander aus, aber es ist vergebliche Muhe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab - wir sind sehr einsam.
Julie. Du kennst mich, Danton.
Danton. Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir mußten uns die Schadeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. -
Eine Dame (zu Herault). Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?
Herault. Nichts!
Dame. Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn!
Herault. Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie. -
Danton. Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.
Julie (sich abwendend). Oh!
Danton. Nein, hore! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du sußes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgelaute, deine Brust mein Grabhugel und dein Herz mein Sarg. -
Dame. Verloren!
Herault. Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.
Dame. Dann haben Sie Ihre Liebeserklarungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.
Herault. Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die wurden am leichtesten verstanden. - Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkonigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich wurde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanstandig ubereinander und die Buben kommen gleich hintennach.
(Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.)
Herault. Philippeau, welch trube Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mutze gerissen? Hat der heilige Jakob ein boses Gesicht gemacht? Hat es wahrend des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen konnen?
Camille. Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Gottliche den Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand: ≫Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser gesungen oder besser die Zither geschlagen?≪ Welche klassischen Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!
Philippeau. Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Manner gegeben hatte, die man mehr furchtete als sie.
Herault. Sie mochten uns zu Antediluvianern machen. St. Just sah' es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen vieren krochen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhutchen, Schulbanke und einen Herrgott erfande.
Philippeau. Sie wurden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nullen zu hangen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Sarge zur Wiege haben und mit Kopfen spielen? Wir mussen vorwarts: der Gnadenausschuß muß durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten mussen wieder aufgenommen werden!
Herault. Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. - Die Revolution muß aufhoren, und die Republik muß anfangen. - In unsern Staatsgrundsatzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen konnen. Er mag nun vernunftig oder unvernunftig, gebildet oder ungebildet, gut oder bose sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentumliche Narrheit aufzudrangen. - Jeder muß in seiner Art genießen konnen, jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentumlichen Genuß storen darf.
Camille. Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrucken. Die Gestalt mag nun schon oder haßlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Rocklein nach Belieben zuzuschneiden. - Wir werden den Leuten, welche uber die nackten Schultern der allerliebsten Sunderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - Wir wollen nackte Gotter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: ach, die gliederlosende, bose Liebe! - Wir wollen den Romern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Ruben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. - Der gottliche Epikur und die Venus mit dem schonen Hintern mussen statt der Heiligen Marat und Chalier die Tursteher der Republik werden. - Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!
Danton. Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr, mein Junge?
Camille. Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.
Danton. Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schonen Dinge ins Werk setzen?
Philippeau. Wir und die ehrlichen Leute.
Danton. Das ≫und≪ dazwischen ist ein langes Wort, es halt uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh' wir zusammenkommen. Und wenn auch! - den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Tochter an sie verheiraten, aber das ist alles!
Camille. Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?
Danton. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. (Er erhebt sich.)
Julie. Du gehst?
Danton (zu Julie). Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. - (Im Hinausgehn:) Zwischen Tur und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen gluht, wir alle konnen uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.)
Camille. Laßt ihn! Glaubt ihr, er konne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kommt?
Herault. Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.
Zweite Szene
Eine Gasse
Simon. Sein Weib.
Simon (schlagt das Weib). Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger Sundenapfel!
Weib. He, Hulfe! Hulfe!
(Es kommen Leute gelaufen.)
Leute. Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!
Simon. Nein, laßt mich, Romer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!
Weib. Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.
Simon. So reiß ich von den Schultern dein Gewand. Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas.
Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. (Sie werden getrennt.)
Erster Burger. Was gibt's?
Simon. Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Madchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafur.
Zweiter Burger. Das ist gut, sonst wurde der Name nach Schnaps riechen.
Simon. Alter Virginius, verhulle dein kahl Haupt - der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Romer! (Er sinkt um.)
Weib. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.
Zweiter Burger. Dann geht er mit dreien.
Weib. Nein, er fallt.
Zweiter Burger. Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fallt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fallt.
Simon. Du bist die Vampirzunge, die mein warmstes Herzblut trinkt.
Weib. Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer geruhrt wird; es wird sich schon geben.
Erster Burger. Was gibt's denn?
Weib. Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und warmte mich, seht ihr - denn wir haben kein Holz, seht ihr -
Zweiter Burger. So nimm deines Mannes Nase.
Weib. Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke - sie ist ein braves Madchen und ernahrt ihre Eltern.
Simon. Ha, sie bekennt!
Weib. Du Judas! hattest du nur ein Paar Hosen hinauf zuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brunnlein zu laufen aufhort, he? - Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie fur ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!
Simon. Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Romer! Ha, Appius Claudius!
Erster Burger. Ja, ein Messer, aber nicht fur die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer fur die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Tochter kaufen. Weh uber die, so mit den Tochtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrucken; ihr habt Locher in den Jacken, und sie haben warme Rocke; ihr habt Schwielen in den Fausten, und sie haben Samthande. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, mußt ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen!
Dritter Burger. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wolfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehangt. Sie haben gesagt: das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
Erster Burger. Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!
Zweiter Burger. Totgeschlagen, wer auswarts geht!
Alle (schreien). Totgeschlagen! Totgeschlagen!
(Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.)
Einige Stimmen. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!
Zweiter Burger. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! (Eine Laterne wird heruntergelassen.)
Junger Mensch. Ach, meine Herren!
Zweiter Burger. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!
Einige (singen). Die da liegen in der Erden, Von de Wurm gefresse werden; Besser hangen in der Luft, Als verfaulen in der Gruft!
Junger Mensch. Erbarmen!
Dritter Burger. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hangen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. - An die Laterne!
Junger Mensch. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.
Die Umstehenden. Bravo! Bravo!
Einige Stimmen. Laßt ihn laufen! (Er entwischt.)
(Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.)
Robespierre. Was gibt's da, Burger?
Dritter Burger. Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!
Erster Burger. Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch futtern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
Alle. Totgeschlagen! Totgeschlagen!
Robespierre. Im Namen des Gesetzes!
Erster Burger. Was ist das Gesetz?
Robespierre. Der Wille des Volks.
Erster Burger. Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!
Einige Stimmen. Hort den Aristides! hort den Unbestechlichen!
Ein Weib. Hort den Messias, der gesandt ist, zu wahlen und zu richten; er wird die Bosen mit der Scharfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hande sind die Hande des Gerichts.
Robespierre. Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlagen. Aber, Volk, deine Streiche durfen deinen eignen Leib nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hande fuhren; ihre Augen sind untrugbar, deine Hande sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern! Eure Bruder werden euch ihre Arme offnen, wir werden ein Blutgericht uber unsere Feinde halten.
Viele Stimmen. Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre! (Alle ab.)
Simon. Weh mir, verlassen! (Er versucht sich aufzurichten.)
Weib. Da! (Sie unterstutzt ihn.)
Simon. Ach, meine Baucis! du sammelst Kohlen auf mein Haupt.
Weib. Da steh!
Simon. Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es. Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind. Hamlet tat's nicht, Hamlet verleugnet's.
Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?
Weib. Dort um das Eck herum.
Simon. Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl. (Beide ab.)
Dritte Szene Der Jakobinerklub
Ein Lyoner. Die Bruder von Lyon senden uns, um in eure Brust ihren bittren Unmut auszuschutten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen, daß seit jenem Tage die Morder Chaliers wieder so fest auf den Boden treten, als ob es kein Grab fur sie gabe. Habt ihr vergessen, daß Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen der Verrater zudecken muß? Habt ihr vergessen, daß diese Hure der Konige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt ihr vergessen, daß dieser revolutionare Strom die Flotten Pitts im Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muß stranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten ist das Rocheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt fur die Republik, ein Jakobiner totet fur sie. Wißt: finden wir in euch nicht mehr die Spannkraft der Manner des 10. August, des September und des 31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Kato. (Beifall und verwirrtes Geschrei.)
Ein Jakobiner. Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken!
Legendre (schwingt sich auf die Tribune). Wir haben nicht notig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im Theater sitzen und nach dem Diktionar der Akademie sprechen, tragen seit einigen Tagen die Kopfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig und sagen, man musse Marat und Chalier zu einem doppelten Martyrertum verhelfen und sie in effigie guillotinieren. (Heftige Bewegung in der Versammlung.)
Einige Stimmen. Das sind tote Leute, ihre Zunge guillotiniert sie.
Legendre. Das Blut dieser Heiligen komme uber sie! Ich frage die anwesenden Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub geworden sind...
Collot d'Herbois (unterbricht ihn). Und ich frage dich, Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem gibt, daß sie lebendig werden und zu sprechen wagen? Es ist Zeit, die Masken abzureißen. Hort! Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuß versteht mehr Logik, Legendre. Sei ruhig! Die Busten der Heiligen werden unberuhrt bleiben, sie werden wie Medusenhaupter die Verrater in Stein verwandten.
Robespierre. Ich verlange das Wort.
Die Jakobiner. Hort, hort den Unbestechlichen!
Robespierre. Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten ertont, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind sich rusten und sich erheben, aber wir haben das Larmzeichen nicht gegeben; wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrucken; jetzt steht er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt.
Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen eilen sie alle dem namlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten Patrioten als abgenutzte Schwachlinge beiseite zu werfen, um die Republik ihrer kraftigsten Arme zu berauben. Sie erklarte der Gottheit und dem Eigentum den Krieg, um eine Diversion zugunsten der Konige zu machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution, um dieselbe durch studierte Ausschweifungen bloßzustellen. Heberts Triumph hatte die Republik in ein Chaos verwandelt, und der Despotismus war befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verrater getroffen. Aber was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer anderen Gattung zur Erreichung des namlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben.
Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwache, ihr Feldgeschrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk seine Waffen und die Kraft, welche die Waffen fuhrt, entreißen, um es nackt und entnervt den Konigen zu uberantworten.
Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend - die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmachtig ist. Der Schrecken ist ein Ausfluß der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus. Freilich! aber so, wie das Schwert in den Handen eines Freiheitshelden dem Sabel gleicht, womit der Satellit des Tyrannen bewaffnet ist. Regiere der Despot seine tierahnlichen Untertanen durch den Schrecken, er hat recht als Despot; zerschmettert durch den Schrecken die Feinde der Freiheit, und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei.
Erbarmen mit den Royalisten! rufen gewisse Leute. Erbarmen mit Bosewichtern? Nein! Erbarmen fur die Unschuld, Erbarmen fur die Schwache, Erbarmen fur die Unglucklichen, Erbarmen fur die Menschheit! Nur dem friedlichen Burger gebuhrt von seiten der Gesellschaft Schutz.
In einer Republik sind nur Republikaner Burger; Royalisten und Fremde sind Feinde. Die Unterdrucker der Menschheit bestrafen, ist Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach Ostreich fliegen.
Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften. Dies ist der feinste, gefahrlichste und abscheulichste Angriff auf die Freiheit. Nur der hollischste Machiavellismus, doch - nein! Ich will nicht sagen, daß ein solcher Plan in dem Gehirne eines Menschen hatte ausgebrutet werden konnen! Es mag unwillkurlich geschehen, doch die Absicht tut nichts zur Sache, die Wirkung bleibt die namliche, die Gefahr ist gleich groß! Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der politische Feind der Freiheit, er ist ihr um so gefahrlicher, je großer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der gefahrlichste Burger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote Mutzen verbraucht als eine gute Handlung vollbringt.
Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir durfen wohl fragen: ist das Volk geplundert, oder sind die Goldhande der Konige gedruckt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Hoflinge Parade machen, wenn wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten, uppige Gastmahler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider tragen sehen? Wir durfen wohl staunen, wenn wir sie Einfalle haben, schongeistern und so etwas vom guten Ton bekommen horen. Man hat vor kurzem auf eine unverschamte Weise den Tacitus parodiert, ich konnte mit dem Sallust antworten und den Katilina travestieren; doch ich denke, ich habe keine Striche mehr notig, die Portrats sind fertig.
Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur auf Ausplunderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplunderung ungestraft zu vollbringen hofften, fur welche die Republik eine Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die Gerechtigkeit abzukuhlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich selbst: ≫Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein. Philosophische Gesetzgeber, erbarmt euch unsrer Schwache! Ich wage euch nicht zu sagen, daß ich lasterhaft bin; ich sage euch also lieber: seid nicht grausam!≪
Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten! Sagt euren Brudern zu Lyon: das Schwert des Gesetzes roste nicht in den Handen, denen ihr es anvertraut habt! - Wir werden der Republik ein großes Beispiel geben. (Allgemeiner Beifall.)
Viele Stimmen. Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!
Prasident. Die Sitzung ist aufgehoben.
Vierte Szene
Eine Gasse
Lacroix. Legendre.
Lacroix. Was hast du gemacht, Legendre! Weißt du auch, wem du mit deinen Busten den Kopf herunterwirfst?
Legendre. Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles.
Lacroix. Du bist ein Selbstmorder, ein Schatten, der sein Original und somit sich selbst ermordet.
Legendre. Ich begreife nicht.
Lacroix. Ich dachte, Collot hatte deutlich gesprochen.
Legendre. Was macht das? Es war, als ob eine Champagnerflasche sprange. Er war wieder betrunken.
Lacroix. Narren, Kinder und - nun? - Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst du denn, daß Robespierre mit dem Katilina gemeint habe?
Legendre. Nun?
Lacroix. Die Sache ist einfach. Man hat die Atheisten und Ultrarevolutionars aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen, es lauft noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch einige Grade, und der Wohlfahrtsausschuß kann sich sein Bett auf dem Revolutionsplatz suchen.
Legendre. Was haben damit meine Busten zu schaffen?
Lacroix. Siehst du's noch nicht? Du hast die Contrerevolution offiziell bekanntgemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast ihnen die Hand gefuhrt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wochentlich seine Leichen haben muß, wenn er sie nicht auffressen soll.
Legendre. Wo ist Danton?
Lacroix. Was weiß ich! Er sucht eben die Mediceische Venus stuckweise bei allen Grisetten des Palais-Royal zusammen; er macht Mosaik, wie er sagt. Der Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, daß die Natur die Schonheit, wie Medea ihren Bruder, zerstuckt und sie so in Fragmenten in die Korper gesenkt hat. - Gehn wir ins Palais-Royal! (Beide ab.)
Funfte Szene
Ein Zimmer
Danton. Marion.
Marion. Nein, laß mich! So zu deinen Fußen. Ich will dir erzahlen.
Danton. Du konntest deine Lippen besser gebrauchen.
Marion. Nein, laß mich einmal so. - Meine Mutter war eine kluge Frau; sie sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schone Tugend. Wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hatten, so sagte sie mir, ich solle mich schamen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so mußt' ich fast immer einige Seiten uberschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brutete uber mir selbst. Da kam der Fruhling; es ging uberall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphare, sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir manchmal, als ware ich doppelt und verschmolze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hubsch und sprach oft tolles Zeug; ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter hieß ihn ofters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei Bettuchern beieinander liegen, als auf zwei Stuhlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnugen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewahren und das großere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wuhlte. Es war fur mich nur ein Gegensatz da, alle Manner verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da druber hinaus? Endlich merkt' er's. Er kam eines Morgens und kußte mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnurten sich um meinen Hals, ich war in unsaglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: er hatte fast einen dummen Streich gemacht; ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es wurde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es ware doch das einzige, was ich hatte. Dann ging er; ich wußte wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin sehr reizbar und hange mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen der Abendrote. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter: sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersauft. Ich mußte weinen. - Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal geruhrt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon: ich kenne keinen Absatz, keine Veranderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es lauft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das namliche Gefuhl; wer am meisten genießt, betet am meisten.
Danton. Warum kann ich deine Schonheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen?
Marion. Danton, deine Lippen haben Augen.
Danton. Ich mochte ein Teil des Athers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schonen Leibes zu brechen.
(Lacroix, Adelaide, Rosalie treten ein.)
Lacroix (bleibt in der Tur stehn). Ich muß lachen, ich muß lachen.
Danton (unwillig). Nun?
Lacroix. Die Gasse fallt mir ein. |
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