Lottchen. Das habe ich gar nicht befurchtet. Der Herr Vormund ist ja die Leutseligkeit und Menschenliebe selbst und macht sich gewiß eine Freude daraus, zu dem Glucke eines Frauenzimmers etwas beizutragen, der man keinen großern Vorwurf machen kann, als daß sie nicht reich ist.
Cleon. Tochter, du hast sehr recht. Es ist ein lieber Mann. Ich habe nur gedacht, daß er einen gewissen Fehler haben mußte, weil er schon nahe an vierzig ist und noch kein Amt hat. Aber was hilft uns das alles, wenn Julchen den Herrn Damis nicht haben will?
Lottchen. Machen Sie sich keine Sorge, lieber Papa. Julchen ist so gut als besiegt. Und ich denke, es konnte ihr kein großer Ungluck widerfahren, als wenn man ihr ihren Schatz, die sogenannte Freiheit, ungeraubt ließe. Ich habe die sichersten Merkmale, daß sie den Herrn Damis liebt.
Cleon. Sollte es moglich sein? Ich durfte es bald selbst glauben. Ihr losen Madchen tut immer, als wenn euch nichts an den Mannern lage, und heimlich habt ihr doch eine herzliche Freude an ihnen. Je nun, die Liebe ist auch notig in der Welt, sonst hatte sie uns der Himmel nicht gegeben.
Lottchen. Papa, diese Satire auf die losen Madchen trifft mich nicht. Ich dachte, ich machte kein Geheimnis aus meiner Liebe. Wenigstens halte ich die vernunftige Liebe fur kein großer Verbrechen als die vernunftige Freundschaft. Unser Leben ist vielleicht deswegen mit so vielen Beschwerlichkeiten belegt, daß wir es uns desto mehr durch die Liebe sollen leicht und angenehm zu machen suchen.
Cleon. Mein Kind, wenn mir die Frau Muhme Stephan etwas vermacht haben sollte: so sahe ich's sehr gerne, wenn ich euch, meine Tochter, auf einen Tag versprechen und euch in kurzem auf einen Tag die Hochzeit ausrichten konnte. Ich wollte gern das ganze Vermachtnis dazu hergeben.
Lottchen. Sie sind ein liebreicher Vater. Nein, wenn Sie auch durch das Testament etwas bekommen sollten: so wurde es doch ungerecht sein, wenn wir Sie durch unsre Heiraten gleich um alles brachten. Nein, lieber Papa, ich kann noch lange warten. Und mein Geliebter wird sich ohnedies nicht zur Ehe entschließen, bis er nicht eine hinlangliche Versorgung hat.
Cleon. Tue dein moglichstes, daß Julchen heute noch ja spricht. Die Madchen mussen wohl ein wenig sprode tun; aber sie mussen es den Junggesellen auch nicht so gar sauer machen.
Lottchen. Papa, unsere selige Mama sagte nicht so.
Cleon. Loses Kind, ein Vater darf ja wohl ein Wort reden. Ich bin ja auch jung gewesen, und meine Jugend reut mich gar nicht. Ich und deine selige Mutter haben uns ein Jahr vor der Ehe und sechzehn Jahre in der Ehe wie die Kinder vertragen. Sie hat mir tausend vergnugte Stunden gemacht, und ich will's ihr noch in der Ewigkeit danken. Sie hat auch euch, meine Kinder, ohne Ruhm zu melden, recht gut gezogen. Ich weine vielmal, wenn ich des Abends nach der Betstunde von euch gehe und eure Andacht, insonderheit die deinige, sehe. Es wird dir gewiß wohlgehen. Verlasse dich darauf. Du tust mir viel Gutes. Du fuhrst meine ganze Haushaltung. Sei zufrieden mit deinem Schicksale. Ich lasse dir nach meinem Tode einen ehrlichen Namen und eine gute Auferziehung. Laß mich ja zu meiner seligen Frau ins Grab legen. Ich will schlafen, wo sie schlaft.
Lottchen. Ach, Papa, warum machen Sie mich weichmutig? Sie werden, wenn es nach meinem Wunsche geht, noch lange leben und erfahren, daß ich meinen Ruhm in der Pflicht, Ihnen zu dienen, suche. Und wenn ich Sie hundert Jahre versorge: so habe ich nichts mehr getan, als was mir meine Schuldigkeit befiehlt. Heute mussen Sie vergnugt sein. Doch vielleicht ist die traurige Empfindung, die in Ihnen entstanden ist, die angenehmste, die nur ein rechtschaffener Vater fuhlen kann. Aber, lieber Papa, es ist kein Wein mehr im Keller als das gute Faß, das Sie in meinem Geburtsjahre eingelegt haben. Was werden wir heute unsern Gasten fur Wein vorsetzen?
Cleon. Tochter, zapfe das Faß an. Und wenn es Nektar ware: so ist er fur den heutigen Tag nicht zu gut. Es wird bald Mittagszeit sein. Ich will immer gehen und die Forellen aus dem Fischhalter langen. Wenn ich Julchen sehe: so will ich dir sie wohl wieder herschicken, wenn du noch einmal mit ihr reden willst.
Lottchen. Recht gut, Papa, ich will noch einige Augenblicke hier warten.
Zwolfter Auftritt
Lottchen. Siegmund.
Siegmund. Ich habe schon einen Augenblick mit Julchen gesprochen. Sie ist ungehalten auf den Herrn Damis, aber ihre ganze Anklage scheint mir nichts als eine Liebeserklarung in einer fremden Sprache zu sein. Ich hatte nicht gedacht, daß sie so zartlich ware. Die Liebe und Freundschaft reden zugleich aus ihren Augen und aus ihrem Munde, je mehr sie nach ihrer Meinung die erste verbergen will.
Lottchen. Ei, ei, mein lieber Herr Siegmund! Ich konnte bald einige Minuten eifersuchtig werden. Nicht wahr, meine Schwester ist reizender als ich? Aber dennoch lieben Sie mich.
Siegmund. Wer kann Sie einmal lieben und nicht bestandig lieben? Ihre Jungfer Schwester hat viele Verdienste; aber Sie haben ihrer weit mehr. Sie kennen mein Herz. Dieses muß Ihnen fur meine Treue der sicherste Burge sein.
Lottchen. Ja, ich kenne es und bin stolz darauf. Ach, mein liebster Freund, ich muß Ihnen sagen, daß uns vielleicht ein kleines Gluck bevorsteht. Wollte doch der Himmel, daß es zu Ihrer Beruhigung etwas beitragen konnte! Der Herr Vormund des Herrn Damis hat dem Papa in einem Billette gemeldet, daß heute das Testament der Frau Muhme Stephan geoffnet werden wurde und daß er glaubte, sie wurde den Papa darinne bedacht haben. O wenn es doch die Vorsicht wollte, daß ich so glucklich wurde, Ihre Umstande zu verbessern!
Siegmund. Machen Sie mich nicht unruhig. Sie lieben mich mehr, als ich verdiene. Gedulden Sie sich, es wird noch alles gut werden und...
Lottchen. Sie sind unruhig? Was fehlt Ihnen? Sagen Sie mir's. Mein Leben ist mir nicht lieber als Ihre Ruhe.
Siegmund. Ach, mein schones Kind, es fehlt mir nichts, nichts als das Gluck, Sie ewig zu besitzen. Ich bin etwas zerstreut. Ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen.
Lottchen. O kommen Sie und werden Sie mir zuliebe munter. Wir wollen erst zu Julchen auf ihre Stube und dann gleich zur Mahlzeit gehn.
(Ende des ersten Aufzugs.)
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
Cleon. Julchen.
Cleon. Du wirst doch wissen, ob du ihm gut bist?
Julchen. Lieber Papa, woher soll ich's denn wissen? Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit.
Cleon. ≫Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit.≪ Kleiner Affe, was redst du denn? Wenn ich dir deine Freiheit lassen soll: so brauchst du mir ja nicht zu gehorchen. Ich will dich gar nicht zwingen. Ich bin dir viel zu gut. Nein, sage mir nur, ob er dir gefallt.
Julchen. Ob mir Herr Damis gefallt? Vielleicht, Papa. Ich weiß es nicht gewiß.
Cleon. Tochter, schame dich nicht, mit deinem Vater aufrichtig zu reden. Du bist ja erwachsen, und die Liebe ist ja nichts Verbotenes. Gefallt dir seine Person, seine Bildung?
Julchen. Sie mißfallt mir nicht. Vielleicht... gefallt sie mir gar.
Cleon. Madchen, was willst du mit deinem ≫Vielleicht≪? Wir reden ja nicht von verborgenen Sachen: du darfst ja nur dein Herz fragen.
Julchen. Aber wenn nun mein Herz so untreu ist und mir nicht aufrichtig antwortet?
Cleon. Rede nicht so poetisch. Dein Herz bist du, und du wirst doch wissen, was in dir vorgeht. Wenn du einen jungen, wohlgebildeten, geschickten, vernunftigen und reichen Menschen siehst, der dich zur Frau haben will: so wirst du doch leicht von dir erfahren konnen, ob du ihn zum Manne haben mochtest.
Julchen. Zum Manne?... Ach, Papa! lassen Sie mir Zeit. Ich bin heute unruhig, und in der Unruhe konnte ich mich ubereilen. Ich glaube in der Tat nicht, daß ich ihn liebe, sonst wurde ich munter und zufrieden sein. Wer weiß auch, ob ich ihm gefalle?
Cleon. Wenn du daruber unruhig bist: so hat es gute Wege. Bist du nicht ein albernes Kind! Wenn du ihm nicht gefielst: so wurde er sich nicht so viel Muhe um dich geben. Er kennt dich vielleicht besser, als du dich selbst kennst. Stelle dir einmal vor, ob ich deine selige Mutter, da sie noch Jungfer war, zur Ehe begehret haben wurde, wenn sie mir nicht gefallen hatte. Indem er zu dir sagt: ≫Jungfer Julchen≪, oder wie er dich nennt... Du kannst mir's ja sagen, wie er dich heißt.
Julchen. Er heißt mich Mamsell.
Cleon. Kind, du betrugst mich. Er sprache schlechtweg ≫Mamsell≪? Das kann nicht sein.
Julchen. Zuweilen spricht er auch ≫liebe Mamsell≪.
Cleon. Tochter, du verstellst dich. Ich bin ja dein Vater. Im Ernste, wie heißt er dich, wenn er's recht gut meint?
Julchen. Ich kann mich selbst nicht besinnen. Er spricht... er spricht... ≫mein Julchen≪...
Cleon. Warum sprichst du das Wort so klaglich aus? Seufzest du uber deinen Namen? Dein Name ist schon. Also spricht er zu dir: ≫Mein Julchen≪? Gut, hat er dich nie anders geheißen?
Julchen. Ach ja, lieber Papa. Er heißt mich auch zuweilen: ≫Mein schones Julchen.≪ Warum fragen Sie mich denn so aus?
Cleon. Laß mir doch meine Freude, du kleiner Narr. Ein rechtschaffener Vater hat seine Tochter lieb, wenn sie wohlgezogen sind. Ich bin ja stets freundlich mit euch umgegangen. Aber daß ich wieder auf das Hauptwerk komme. Ja, indem Herr Damis z. E. zu dir spricht: ≫Mein schones Julchen, ich habe dich...≪
Julchen. Oh! Er heißt mich Sie. Er wurde nicht du sprechen. Das ware sehr vertraut, oder doch wenigstens unhoflich.
Cleon. Nun, nun, wenn er dich auch einmal du hieße, deswegen verlorst du nichts von deiner Ehre. Hat mich doch meine selige Frau als Braut mehr als einmal du geheißen, und es klang mir immer schon. Indem er also zu dir spricht: ≫Mein schones Julchen, ich bin Ihnen gut≪: so sagt er auch zugleich, ≫Sie gefallen mir≪; denn sonst wurde er das erste nicht sagen.
Julchen. Das sagt er niemals zu mir.
Cleon. Du machst mich bose. Ich habe es ja mehr als einmal selber gehort.
Julchen. Daß er zu mir gesagt hatte: ≫Ich bin Ihnen gut≪?
Cleon. Jawohl!
Julchen. Mit Ihrer Erlaubnis, Papa, das hat Herr Damis in seinem Leben nicht zu mir gesagt. ≫Ich liebe Sie von Herzen≪, das spricht er wohl; aber niemals, ≫ich bin Ihnen gut≪.
Cleon. Bist du nicht ein zankisches Madchen! Wir streiten ja nicht um die Worte.
Julchen. Aber das klinget doch allemal besser: ≫Ich liebe Sie von Herzen≪, als das andere.
Cleon. Das mag sein. Ich habe das letzte immer zu meiner lieben Frau gesagt, und es gefiel ihr ganz wohl. Daß die Welt die Sprache immer andert, dafur kann ich nicht. Ihr Madchen gebt heutzutage auf ein Wort Achtung wie ein Rechenmeister auf eine Ziffer. Es gefallt dir also, wenn er so zu dir spricht? Gut, meine Tochter, so nimm ihn doch. Was wegerst du dich denn? Ich gehe nach der Grube zu. Worauf willst du denn warten? Kind, ich sage dir's, es durfte sich keine Grafin deines Brautigams schamen. Herr Damis mochte heute gerne die vollige Gewißheit haben, ob er...
Julchen. Papa!
Cleon. Nun, was willst du? Nur nicht so verzagt. Ich bin ja dein Vater. Ich gehe ja mit dir wie mit einer Schwester um.
Julchen. Papa, darf ich etwas bitten?
Cleon. Herzlich gern. Du bist mir so lieb als Lottchen, wenn jene gleich etwas gelehrter ist. Bitte, was willst du?
Julchen. Ich? Ich bin sehr unentschlossen, sehr verdrießlich.
Cleon. Das ist ja keine Bitte. Rede offenherzig.
Julchen. Ich wollte bitten, daß Sie... mir meine Freiheit ließen.
Cleon. Mit deiner ewigen Freiheit! Ich dachte, du wolltest schon um das Brautkleid bitten. Ich lasse dir ja deine Freiheit. Du sollst ja aus freiem Willen lieben, gar nicht gezwungen. Bedenke dich noch eine Stunde. Uberlege es hier allein. Ich will dich nicht langer storen. Ich will fur dich beten. Das will ich tun.
Zweiter Auftritt
Julchen. Damis.
Damis. Darf ich mit Ihnen reden, mein schones Kind?
Julchen. Es ist gut, daß Sie kommen. Die Gesundheit, die Sie mir uber Tische von der Liebe zubrachten, hat mich recht gekrankt. Meine Schwester lachte daruber; aber das kann ich nicht. Sie hat heute uberhaupt eine widerwartige Gemutsart, die sich sogar bis auf Sie, mein Herr, erstreckt.
Damis. Bis auf mich? Darf ich weiterfragen?
Julchen. Ich sagte ihr, daß Sie meiner Meinung waren und behauptet hatten, daß mehr Hoheit der Seele zur Freiheit als zur Liebe gehorte. Daruber spottete sie und sagte dreist, Sie hatten unrecht, wo sie nicht gar noch mehr sagte. Aber lassen Sie sich nichts gegen sie merken; sie mochte sonst denken, ich wollte eine Feindschaft anrichten.
Damis. Lottchen wird es nicht so bose gemeint haben. Sie ist ja die Gutheit und Unschuld selbst.
Julchen. Das konnte ich mir einbilden, daß Sie mir widersprechen wurden. Und ich will es Ihnen nur gestehen, daß ich's zu dem Ende gesagt habe. Freilich hat meine Schwester mehr Gutheit als ich. Sie redt von der Liebe, und so gutig bin ich nicht.
Damis. Vergeben Sie es ihr, wenn sie auch etwas von mir gesagt hat. Ich bin ja nicht ohne Fehler. Und vielleicht wurde ich Ihnen mehr gefallen, wenn ich ihrer weniger hatte.
Julchen. Wozu soll diese Erniedrigung? Wollen Sie mich mit dem Worte Fehler demutigen?
Damis. Ach, liebstes Kind, werden Sie es denn niemals glauben, wie gut ich mit Ihnen meine?
Julchen. Daran zweifele ich gar nicht. Sie sind ja meiner Schwester gewogen; und also wird es Ihnen nicht sauer ankommen, mir Ihre Gewogenheit in ebendem Grade zu schenken.
Damis. Ja, ich versichere Sie, daß ich Lottchen allen Schonen vorziehen wurde, wenn ich Julchen nicht kennte.
Julchen. Ich sehe, die Gefahr, mich hochmutig zu machen, ist zu wenig, Sie von einer Schmeichelei abzuschrecken.
Damis. Meine liebe Freundin, ich verliere meine Wohlfahrt, wenn dieses eine Schmeichelei war. Warum halten Sie mich nicht fur aufrichtig?
Julchen (zerstreut). Ich... ich habe die beste Meinung von Ihnen.
Damis. Warum sprechen Sie diesen Lobspruch mit einem so traurigen Tone aus? Kostet er Sie so viel? In Wahrheit, ich bin recht unglucklich. Je langer ich die Ehre habe, Sie zu sehen und zu sprechen, desto unzufriedner werden Sie. Sagen Sie mir nur, was Sie beunruhiget. Ich will Ihnen ja Ihre Freiheit nicht rauben. Nein, ich will nicht den geringsten Anspruch auf Ihr Herz machen. Ich will Sie ohne alle Belohnung, ohne alle Hoffnung lieben. Wollen Sie mir denn auch dieses Vergnugen nicht gonnen?
Julchen. Sie sind wirklich großmutiger, als ich geglaubt habe. Wenn Sie mich lieben wollen, ohne mich zu fesseln: so wird mir Ihr Beifall sehr angenehm sein. Aber dies ist auch alles, was ich Ihnen sagen kann. Werfen Sie mir mein verdrießliches Wesen nicht mehr vor. Ich will gleich so billig sein und Sie verlassen.
Damis. Aber was fehlt Ihnen denn, mein Engel?
Julchen (unruhig). Ich weiß es in Wahrheit nicht. Es ist mir alles so angstlich, und es scheint recht, als ob ich das Angstliche heute suchte und liebte. Ich bitte Sie recht sehr, lassen Sie deswegen nichts von Ihrer Hochachtung gegen mich fallen. Es ist unhoflich von mir, daß ich Sie nicht munterer unterhalte, da Sie unser Gast sind. Aber der Himmel weiß, ich kann nichts dafur. Ich will mir eine Tasse Kaffee machen lassen. Vielleicht kann ich mein verdrießliches Wesen zerstreuen. Aber gehn Sie nicht gleich mit mir. Lottchen mochte mir sonst einige kleine Spottereien sagen. Wollen Sie so gutig sein?
Dritter Auftritt
Damis. Lottchen.
Lottchen. Nun, Herr Damis, wie weit sind Sie in Ihrer Liebe? Sie weinen? Ist das moglich?
Damis. O gonnen Sie mir dieses Gluck. Es sind Tranen der Wollust, die meine ganze Seele vergnugen. Wenn Sie nur das liebenswurdige Kind hatten sollen reden horen! Wenn Sie nur die Gewalt hatten sehen sollen, die sie ihrem Herzen antat, um es nicht sehn zu lassen! Sie sagte endlich aufrichtig, sie ware unruhig. Ach Himmel! mit welcher Annehmlichkeit, mit welcher Unschuld sagte sie dies! Sie liebt mich wohl, ohne es recht zu wissen. Bedenken Sie nur, mein liebes Lottchen, o bedenken Sie nur, wie...
Lottchen. Warum reden Sie nicht weiter?
Damis. Lassen Sie mich doch mein Gluck erst recht uberdenken. Sie nannte ihre Unruhe ein verdrießliches Wesen. Sie bat mich, daß ich deswegen nichts von der Hochachtung gegen sie sollte fahrenlassen. Und das Wort Hochachtung druckte sie mit einem Tone aus, der ihm die Bedeutung der Liebe gab. Sie sagte endlich in aller Unschuld, sie wollte sich eine Tasse Kaffee machen lassen, um den Nebel in ihrem Gemute dadurch zu zerstreuen.
Lottchen. Das gute Madchen! Wenn der Kaffee eine Arznei fur die Unruhen des Herzens ware: so wurden wir wenig Gemutskrankheiten haben. Nunmehr wird sie bald empfinden, was Liebe und Freiheit ist. Das Traurige, das sich in ihrem Bezeigen meldet, scheint mir ein Beweis zu sein, daß sie ihre Freiheit nicht mehr zu beschutzen weiß. Verwandeln Sie sich nunmehr nach und nach wieder in den Liebhaber, damit Julchen nicht gar zu sehr bestraft wird.
Damis. Diese Verwandlung wird mir sehr naturlich sein. Aber ich furchte, wenn Julchen in Gegenwart so vieler Zeugen mir ihre Liebe wird bekraftigen sollen: so wird ihr Herz wieder scheu werden. Sie bat mich, da sie mich verließ, daß ich ihr nicht gleich nachfolgen sollte, damit ihr Lottchen nicht einige Spottereien sagen mochte. Wie furchtsam klingt dieses!
Lottchen. Ja, es heißt aber vielleicht nichts anders, wenn man es in seine Sprache ubersetzt, als: Gehen Sie nicht mit mir, damit Lottchen nicht so deutlich sieht, daß ich Sie liebe. Ihre Braut scheut sich nicht vor der Liebe, sondern nur vor dem Namen derselben. Wenn sie weniger naturliche Schamhaftigkeit hatte, so wurde ihre Liebe sich in einem großern Lichte sehen lassen; aber vielleicht wurde sie nicht so reizend erscheinen. Vielleicht geht es mit der Zartlichkeit eines Frauenzimmers wie mit ihren außerlichen Reizungen, wenn sie gefallen sollen.
Damis. Was meinen Sie, meine liebe Jungfer Schwester, soll ich... Aber wie? Ich nenne Sie schon Jungfer Schwester, und ich scheue mich doch zugleich, Sie deswegen um Vergebung zu bitten?
Lottchen. Ich will den Fehler gleich wieder gutmachen, mein lieber Herr Bruder. Ich habe Ihnen nun nichts vorzuwerfen. Aber was wollten Sie sagen?
Damis. Fragen Sie mich nicht. Ich habe es wieder vergessen. Ich kann gar nicht mehr zu meinen eignen Gedanken kommen. Sie verbergen sich in die entlegenste Gegend von meiner Seele. Julchen denkt und sinnt und redt in mir. Und seitdem ich sie traurig gesehen habe, habe ich große Lust, es auch zu sein. Was fur ein Geheimnis hat nicht ein Herz mit dem andern! Ich sehe, daß ich glucklich bin, und sollte vergnugt sein. Ich sehe, daß mich Julchen liebt, und indem ich dieses sehe, werde ich traurig, weil sie es ist. Welche neue Entdeckung in meinem Herzen!
Lottchen. Ich weiß Ihnen keinen bessern Rat zu geben als den, folgen Sie Ihrer Neigung und vertreiben Sie sich die Traurigkeit nicht, sonst werden Sie zerstreut werden. Sie wird ihres Platzes von sich selber mude werden und ihn bald dem Vergnugen von neuem einraumen.
Damis. Ich werde recht furchtsam. Und ich glaube, wenn ich Julchen wiedersehe, daß ich gar stumm werde.
Lottchen. Das kann leicht kommen. Vielleicht geht es Julchen auch also. Ich mochte Sie beide itzt beisammen sehen, ohne von Ihnen bemerkt zu werden. Sie wurden beide tiefsinnig tun. Sie wurden reden wollen und statt dessen seufzen. Sie wurden die verraterischen Seufzer durch gleichgultige Mienen entkraften wollen und ihnen nur mehr Bedeutung geben. Sie wurden einander wechselsweise bitten, sich zu verlassen, und einander Gelegenheit geben, zu bleiben. Und vielleicht wurde Ihre beiderseitige Wehmut zuletzt in etliche mehr als freundschaftliche Kusse ausbrechen. Aber ich hore meine Schwester kommen. Ich will Sie nicht storen. (Sie geht und bleibt in der Szene versteckt stehen.)
Vierter Auftritt
Julchen. Damis.
Julchen. War nicht meine Schwester bei Ihnen? Wo ist sie?
Damis (in tiefen Gedanken). Sie ging und sagte, sie wollte uns nicht storen.
Julchen. Nicht storen? Was soll das bedeuten?
Damis. Vergeben Sie mir. Ich habe mich ubereilet. Ach, Juliane!
Julchen. Sie haben sich ubereilet, und woher? Aber... Ja... Ich will Sie verlassen. Sie sind tiefsinnig.
Damis. Sie wollen mich verlassen? meine Juliane! Mich...?
Julchen. Meine Juliane! so haben Sie mich ja sonst nicht geheißen? Sie vergessen sich. Ich will Sie verlassen.
Damis. O gehn Sie noch nicht. Ich habe Ihnen recht viel zu sagen. Ach viel!
Julchen. Und was denn? Sie halten mich wider meinen Willen zuruck. Ist Ihnen etwas begegnet? Was wollen Sie sagen? Reden Sie doch.
Damis (bange). Meine Juliane!
Julchen (mit beweglicher Stimme). Juliane! den Namen hore ich zum dritten Male. Sie schweigen wieder? Ich muß nur gehn. (Sie geht. Er sieht ihr traurig nach, und sie sieht sich um.) Wahrhaftig, es muß Ihnen etwas Großes begegnet sein. Darf ich's nicht wissen?
Damis (er kommt auf sie zu). Wenn Sie mir's vergeben wollten: so wollte ich Ihnen sagen; aber nein... Ich wurde Ihre Gewogenheit daruber verlieren und... (Er kußt ihr die Hand und halt sie dabei.) Nein, ich habe Ihnen nichts zu sagen. Ach, Sie sind verdrießlich, meine Juliane?
Julchen (ganz betroffen). Nein, ich bin nicht traurig. Aber ich erschrecke, daß ich Sie so besturzt sehe. Ja... Ich bin nicht traurig. Ich bin ganz gelassen, und ich wollte, daß Sie auch so waren. Halten Sie mich nicht bei der Hand. Ich will Sie verlassen. Ich wollte meine Schwester suchen und ihr sagen...
Damis. Was wollten Sie ihr denn sagen? mein schones Kind!
Julchen. Ich wollte ihr sagen... daß der Papa nach ihr gefragt hatte und...
Damis. Der Papa? mein Engel!
Julchen. Nein, ich irre mich. Herr Siegmund hat nach ihr gefragt und meine Schwester sprechen wollen und mich gebeten... (Sie sieht ihn an. ) In Wahrheit, Sie sehen so traurig aus, daß man sich des Mitleidens.. . (Sie wendet das Gesichte beiseite.)
Damis. Meine Juliane! Ihr Mitleiden... Sie bringen mich zur außersten Wehmut.
Julchen. Und Sie machen mich auch traurig. Warum hielten Sie mich zuruck? Warum weinen Sie denn? (Sie will ihre Tranen verbergen.) Was fehlt Ihnen? Verlassen Sie mich, wenn ich bitten darf.
Damis. Ja.
Julchen (fur sich). Er geht?
Damis (indem er wieder zuruckkehrt). Aber darf ich nicht wissen, meine Schone, was Ihnen begegnet ist? Sie waren ja Vormittage nicht so traurig.
Julchen. Ich weiß es nicht. Sie wollten ja gehn. Ist Ihnen meine Unruhe beschwerlich? Sagen Sie mir nur, warum Sie... Sie reden ja nicht.
Damis. Ich?
Julchen. Ja.
Damis. O wie verschonert die Wehmut Ihre Wangen! Ach, Juliane!
Julchen. Was seufzen Sie? Sie vergessen sich. Wenn doch Lottchen wiederkame! Bedenken Sie, wenn sie Sie so betrubt sahe und mich... Was wurde sie sagen? (Lottchen tritt aus der Szene hervor.)
Funfter Auftritt
Die Vorigen. Lottchen.
Lottchen. Ich wurde sagen, daß man einander durch bekummerte Fragen und Tranen die starkste Liebeserklarung machen kann, ohne das Wort Liebe zu nennen. Mehr wurde ich nicht sagen.
Julchen. O wie spottisch! Ich muß nur gehn.
Lottchen. O ich habe es wohl eher gesehn, daß du hast gehn wollen, und doch...
Julchen. Das wußte ich in der Tat nicht. (Sie geht ab.)
Sechster Auftritt
Damis. Lottchen.
Lottchen. Es dauert mich in der Tat, daß ich Sie beide gestoret habe. Ich hatte es nicht tun sollen: Aber ich konnte mich vor Freuden nicht langer halten. Kann wohl ein schonerer Anblick sein, als wenn man zwei Zartliche sieht, die es vor Liebe nicht wagen wollen, einander die Liebe zu gestehen? Mein lieber Herr Damis, habe ich den Plan Ihres zartlichen Schicksals nicht gut entworfen gehabt? Hatte ich mich noch einige Augenblicke halten konnen: so wurde Ihre beiderseitige Wehmut gewiß noch bis zu etlichen vertraulichen Liebkosungen gestiegen sein.
Damis. Daran zweifele ich sehr. Ich war in Wahrheit recht traurig, und ich bin's noch.
Lottchen. Ja, ich sehe es. Und es wird Ihnen sehr sauer werden, mit mir allein zu reden. Holen Sie unmaßgeblich Ihre betrubte Freundin wieder zuruck. Ich will Sie miteinander aufrichten.
Damis. Ja, das will ich tun.
Siebenter Auftritt
Lottchen. Simon.
Simon. Ich bitte Sie um Vergebung, Mamsell, daß ich unangemeldet hereintrete. Das Vergnugen macht mich unhoflich. Sind Sie nicht die liebenswurdige Braut meines Herrn Mundels?
Lottchen. Und wenn ich nun seine Braut ware, was...
Simon. So habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, daß Ihnen Ihre selige Frau Muhme in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht hat. Sie werden die Gewißheit davon noch heute vom Rathause erhalten. Das Testament ist geoffnet, und Ihr Herr Pate, der Herr Hofrat, der bei der Eroffnung zugegen gewesen, hat mir aufgetragen, Ihrem Herrn Vater diese angenehme Zeitung zum voraus zu hinterbringen, ehe er noch die gerichtliche Insinuation erhalt.
Lottchen. Ist das moglich? Die Frau Muhme hat ihr Versprechen zehnfach erfullt. Wie glucklich ist meine Schwester! Sie verdient es in der Tat. Das ist eine sonderbare Schickung. Mein Herr, Sie setzen mich in das empfindlichste Vergnugen. Ich bin nicht die Braut Ihres Herrn Mundels. Aber die Nachricht wurde mich kaum so sehr erfreuen, wenn sie mich selbst anginge.
Simon. Kurz, Mamsell, ich weiß nicht, welche von Ihnen meinen Mundel glucklich machen will. Allein genug, die jungste Tochter des Herrn Cleon ist die Erbin des ganzen Ritterguts und also eines Vermogens von mehr als funfzigtausend Talern.
Lottchen. Das ist meine Schwester. Wie erfreue ich mich!
Simon. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ebendiese Nachricht bringen kann. Ich wollte es mit tausend Freuden tun. Wo ist Ihr lieber Herr Vater? Wird er nicht eine Freude haben!
Lottchen. Ich habe gleich die Ehre, Sie zu ihm zu fuhren. Aber ich will Sie erst um etwas bitten. Gonnen Sie mir doch das Vergnugen, daß ich meiner Schwester und Ihrem Herrn Mundel die erste Nachricht von dieser glucklichen Erbschaft bringen darf. Es ist meine großte Wollust, die Regungen des Vergnugens bei andern ausbrechen zu sehen. Und wenn ich viel hatte, ich glaube, ich verschenkte alles, nur um die Welt froh zu sehen. Lassen Sie mir immer das Gluck, meiner Schwester das ihrige anzukundigen.
Simon. Von Herzen gern. Eine so edle Liebe habe ich nicht leicht unter zwo Schwestern gefunden. Ich erstaune ganz. Ich wußte wohl, Mamsell, daß Sie die Braut meines Mundels nicht waren; allein, ich wollte mir meinen Antrag durch eine verstellte Ungewißheit leichter machen. Ich glaubte, Sie wurden erschrecken und uber die Vorteile Ihrer Jungfer Schwester unruhig werden. Aber ich sehe das Gegenteil und fange an zu wunschen, daß Sie selbst die Braut meines lieben Mundels und die gluckliche Erbin der Frau Stephan sein mochten.
Lottchen. Wenn man Ihren Beifall dadurch gewinnen kann, daß man frei vom Neide und zur Menschenliebe geneigt ist: so hoffe ich mir Ihr Wohlwollen zeitlebens zu erhalten. Also wollen Sie Julchen und dem Herrn Damis nichts von der Erbschaft sagen, sondern es mir uberlassen? Sie sind sehr gutig.
Simon. Ich will sogar dem Herrn Vater nichts davon sagen, wenn Sie es ihm selber hinterbringen wollen. Hier kommt er.
Achter Auftritt
Die Vorigen. Herr Cleon. Herr Siegmund.
Cleon. Mein wertester Herr, ich habe Sie mit dem Herrn Siegmund schon im Garten gesucht. Ich sahe Sie in das Haus hereintreten, und ich glaubte, Sie wurden den Kaffee im Garten trinken wollen. Ich erfreue mich uber die Ehre Ihrer Gegenwart. Ich erfreue mich recht von Herzen.
Simon. Und ich erfreue mich, Sie wohl zu sehen und heute einen Zeugen von Ihrem Vergnugen abzugeben.
Lottchen. Ach, lieber Papa! Ach, lieber Herr Siegmund! Soll ich's sagen? Herr Simon!
Simon. Wenn Sie es erzahlen, wird mir's so neu klingen, als ob ich's selbst noch nicht wußte.
Cleon. Nun, was ist es denn? meine Tochter! Wem willst du es erst sagen, mir oder meinem lieben Nachbar? Welcher ist dir lieber, du loses Kind?
Lottchen. Wenn ich die Liebe der Ehrfurcht frage: so sind Sie's. Und wenn ich die Liebe der Freundschaft hore: so ist es Ihr lieber Nachbar. Ich will's Ihnen beiden zugleich sagen, was mir Herr Simon itzt erzahlt hat. Die selige Frau Muhme hat Julchen in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Das Testament ist geoffnet, und mein Herr Pate, der Herr Hofrat, laßt Ihnen durch den Herrn Simon diese Nachricht bringen.
Cleon. Dafur sei Gott gedankt. Das Gut ist doch Weiberlehn? Ja! Ich erschrecke ganz vor Freuden. Das hatte ich nimmermehr gedacht. O sie war dem Madchen sehr gut! Gott vergelte es ihr in der frohen Ewigkeit. Das ganze Rittergut?
Siegmund. Das ist vortrefflich. Die rechtschaffene Frau!
Simon (zu Cleon). Ich habe mir in Ihrem Namen die Abschrift von dem Testamente schon ausgebeten, und ich hoffe sie gegen Abend zu erhalten. Sie werden auch bald eine gerichtliche Verordnung bekommen.
Cleon. Das ist ja ganz was Außerordentliches. Ich will's die Armen gewiß genießen lassen. Aber du, meine liebe Tochter, du kommst dabei zu kurz.
Lottchen. Ich? Papa. Nein. Wenn ich das Gluck tragen konnte: so wurde mir der Himmel gewiß auch welches geben. Ich habe schon Gluck genug. Nicht wahr? Herr Siegmund! Was meinen Sie?
Siegmund. Daß Sie es ebenso wurdig sind als Ihre Jungfer Schwester.
Cleon. Herr Simon, Sie haben mir ja in Ihrem Billette gemeldet, daß auch Sie eine erfreuliche Nachricht erhalten hatten. Kommen Sie doch mit mir in den Garten und vertrauen Sie mir's. Diese beiden feindseligen Gemuter werden sich schon hier allein vertragen oder uns nachkommen.
Neunter Auftritt
Lottchen. Siegmund.
Lottchen. Wenn ich Ihre Große nicht kennte: so wurde ich gezittert haben, Ihnen die Nachricht von dem großen Glucke meiner Schwester zu hinterbringen. Aber ich weiß, Sie schatzen mich deswegen nicht einen Augenblick geringer. Unser Schicksal steht in den Handen der Vorsicht. Diese teilen allemal weise aus, und sie werden sich auch noch zu unserm Vorteile offnen, wenngleich nicht in dem Augenblicke, da wir es wunschen.
Siegmund. Mein liebes Lottchen, es wird mir sehr leicht, uber Ihrem Herzen das Gluck zu vergessen. Wir wollen hoffen. Vergeben Sie mir nur, daß ich noch immer den Zerstreuten vorstelle. Ich habe lange mit Ihrem Papa gesprochen, und ich weiß in Wahrheit nicht was.
Lottchen. Wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie: so wundert mich's nicht, daß Ihnen ein Tag, wie der heutige ist, wo solche Anstalten gemacht werden, einige Wunsche und Unruhen abnotiget. Trauen Sie doch der Vorsehung. Es ist eben heute ein Jahr, da Sie durch den unglucklichen Prozeß Ihres seligen Herrn Vaters Ihr Vermogen verloren. Vielleicht beunruhiget Sie dieser Gedanke; aber vielleicht haben Sie auch alles heute uber ein Jahr wieder. Haben Sie mit Julchen gesprochen und dem Herrn Damis zum besten sich etwas zartlich gestellt?
Siegmund. Nein, weil ich so zerstreut bin, so...
Lottchen. Gut. Sie werden diese kleine Muhe fast ersparen konnen. Ihr Herz scheint keinen großen Antrieb mehr notig zu haben. Aber sagen Sie ihr noch nichts von der Erbschaft. Ich will sie holen und es ihr in Ihrer Gegenwart entdecken und ihrem Geliebten zugleich.
Zehnter Auftritt
Siegmund allein.
Welche entsetzliche Nachricht!... Julchen!... Ein ganzes Rittergut! Julchen... die so viel Reizungen, so viel Schonheit und Anmut besitzt! ... Kennte ich Lottchens Wert nicht: so wurde Julchen.... Aber ist Julchen nicht auch tugendhaft... großmutig... klug... unschuldig... ? Ist sie nicht die Sittsamkeit selbst? Ist Lottchen so schamhaft? oder... Himmel, wo bin ich? Verdammte Liebe, wie qualst du mich! Muß man auch wider seinen Willen untreu werden?... Warum konnte jene nicht die reiche Erbschaft bekommen? Sahe die Muhme auch, daß die jungste mehr Verdienste hatte?... Ich Elender! Ich bin ohne meine Schuld um das großte Vermogen gekommen... Aber habe ich weniger Vorzuge als Damis? Julchen widersteht ja seiner Liebe... Ist es ein Verbrechen?... Was kann ich dafur, daß sie mich ruhrt? Sind meine Wunsche verdammlich, wenn sie mit Julchens Wunschen vielleicht gar ubereinstimmen? O Himmel! Sie kommt allein.
Eilfter Auftritt
Siegmund. Julchen.
Julchen. Meine Schwester hat gesagt, ich soll sie hier in Ihrer Gesellschaft erwarten. Sie sucht den Herrn Damis und will alsdann hieherkommen und uns etwas Angenehmes erzahlen.
Siegmund. Wird Ihnen unterdessen die Zeit in meiner Gesellschaft nicht verdrießlich werden?
Julchen. Mir? Bei Ihnen? Gewiß nicht. Sie sind heute am freundschaftlichsten mit mir umgegangen. Und es wird Ihnen auch wohl kein Geheimnis sein, daß ich ihnen gut bin, wenngleich nicht so wie meine Schwester.
Siegmund (er kußt ihr die Hand). Sie sagen mir vieles Schones, angenehme Braut.
Julchen. Bin ich denn eine Braut? Das hat mir noch kein Mensch gesagt. Nein, mein Herr, heißen Sie mich nicht so. Es kann sein, daß ich dem Herrn Damis gewogen bin; aber muß ich darum seine Braut sein? Nein, er ist so gutig und sagt mir fast gar nichts mehr von der Liebe.
Siegmund. Aber, wenn ich Ihnen etwas von der Liebe sagte, wurden Sie auch zurnen? Sie wissen es wohl nicht, wie hoch ich Sie... doch...
Julchen. Bei Ihnen bin ich sehr sicher. Solange ein Lottchen in der Welt ist, werden Ihre Liebeserklarungen nicht viel zu bedeuten haben. Sie wollen mich vielleicht ausforschen; aber Sie werden nichts erfahren.
Siegmund. Meine Schone, ich wollte wunschen, daß ich aus Verstellung redte; aber ach nein! Denken Sie denn, daß man...
Julchen. Und was?
Siegmund. Daß man Sie sehn und doch unempfindlich bleiben kann?
Julchen. Sie spielen die Rolle des Herrn Damis, wie ich sehe.
Siegmund. So werde ich sehr unglucklich sein, weil Sie mit seiner Rolle nicht zufrieden sind.
Julchen. Was verlieren denn Sie und meine Schwester, wenn ich seine Wunsche nicht erfulle?
Siegmund. Vielleicht gewonne ich. Vielleicht wurden Sie die Absichten des aufrichtigsten Herzens sehn. Ich verehre Sie; doch... wie kann ich Ihnen das sagen, was ich empfinde! |
|
댓글 없음:
댓글 쓰기