Danton. Und?
Lacroix. Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser Schoßhundlein, die qualten sich.
Danton. Was soll das?
Lacroix. Das fiel mir nun grade so ein, und da mußt' ich lachen. Es sah erbaulich aus! Die Madel guckten aus den Fenstern; man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen. Die Mucken treiben's ihnen sonst auf den Handen; das macht Gedanken. Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nonnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschoßen und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er wird einen Monat dafur zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den Priesterinnen mit dem Leib.
Marion. Guten Tag, Demoiselle Adelaide! guten Tag, Demoiselle Rosalie!
Rosalie. Wir hatten schon lange nicht das Vergnugen.
Marion. Es war mir recht leid.
Adelaide. Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschaftigt.
Danton (zu Rosalie). Ei, Kleine, du hast ja geschmeidige Huften bekommen.
Rosalie. Ach ja, man vervollkommnet sich taglich.
Lacroix. Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen Adonis?
Danton. Und Adelaide ist sittsam-interessant geworden; eine pikante Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich vor den ganzen Leib halt. So ein Feigenbaum an einer so gangbaren Straße gibt einen erquicklichen Schatten.
Adelaide. Ich ware ein Herdweg, wenn Monsieur...
Danton. Ich verstehe; nur nicht bose, mein Fraulein!
Lacroix. So hore doch! Ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Sauen zerrissen; er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel, sondern in den Leisten, und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor, sondern schießen Quecksilberbluten an.
Danton. O laß das, Fraulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die Huften und Fuße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel: was der Pol Kopf abstoßt, zieht der Pol Fuß an; die Mitte ist ein Aquator, wo jeder eine Sublimattaufe bekommt, der die Linie passiert.
Lacroix. Zwei Barmherzige Schwestern; jede dient in einem Spital, d. h. in ihrem eignen Korper.
Rosalie. Schamen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen!
Adelaide. Sie sollten mehr Lebensart haben! (Adelaide und Rosalie ab.)
Danton. Gute Nacht, ihr hubschen Kinder!
Lacroix. Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben!
Danton. Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen.
Lacroix. Hore, Danton, ich komme von den Jakobinern.
Danton. Nichts weiter?
Lacroix. Die Lyoner verlasen eine Proklamation; sie meinten, es bliebe ihnen nichts ubrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder macht ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus, es schmerzt nicht! - Legendre rief, man wolle Chaliers und Marats Busten zerschlagen. Ich glaube, er will sich das Gesicht wieder rot machen; er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf der Gasse am Rock.
Danton. Und Robespierre?
Lacroix. Fingerte auf der Tribune und sagte: die Tugend muß durch den Schrecken herrschen. Die Phrase machte mir Halsweh.
Danton. Sie hobelt Bretter fur die Guillotine.
Lacroix. Und Collot schrie wie besessen, man musse die Masken abreißen.
Danton. Da werden die Gesichter mitgehen.
(Paris tritt ein.)
Lacroix. Was gibt's, Fabricius?
Paris. Von den Jakobinern weg ging ich zu Robespierre; ich verlangte eine Erklarung. Er suchte eine Miene zu machen wie Brutus, der seine Sohne opfert. Er sprach im allgemeinen von den Pflichten, sagte: der Freiheit gegenuber kenne er keine Rucksicht, er wurde alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde.
Danton. Das war deutlich; man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und halt seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank schuldig, er hat sie sprechen gemacht.
Lacroix. Die Hebertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, wenn sie dem Wohlfahrtsausschuß nicht zur Laterne werden soll; er hat Ballast notig, er braucht einen schweren Kopf.
Danton. Ich weiß wohl - die Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eignen Kinder. (Nach einigem Besinnen:) Doch, sie werden's nicht wagen.
Lacroix. Danton, du bist ein toter Heiliger; aber die Revolution kennt keine Reliquien, sie hat die Gebeine aller Konige auf die Gasse und alle Bildsaulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du, man wurde dich als Monument stehen lassen?
Danton. Mein Name! das Volk!
Lacroix. Dein Name! Du bist ein Gemaßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, Herault. Fur das Volk sind Schwache und Maßigung eins; es schlagt die Nachzugler tot. Die Schneider von der Sektion der roten Mutze werden die ganze romische Geschichte in ihrer Nadel fuhlen, wenn der Mann des September ihnen gegenuber ein Gemaßigter war.
Danton. Sehr wahr, und außerdem - das Volk ist wie ein Kind, es muß alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt.
Lacroix. Und außerdem, Danton, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt, d. h. wir genießen; und das Volk ist tugendhaft, d. h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht, es besauft sich nicht, weil es kein Geld hat, und es geht nicht ins Bordell, weil es nach Kas und Hering aus dem Hals stinkt und die Madel davor einen Ekel haben.
Danton. Es haßt die Genießenden wie ein Eunuch die Manner.
Lacroix. Man nennt uns Spitzbuben, und (sich zu den Ohren Dantons neigend) es ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran. Robespierre und das Volk werden tugendhaft sein. St. Just wird einen Roman schreiben, und Barere wird eine Carmagnole schneidern und dem Konvent das Blutmantelchen umhangen und - ich sehe alles.
Danton. Du traumst. Sie hatten nie Mut ohne mich, sie werden keinen gegen mich haben; die Revolution ist noch nicht fertig, sie konnten mich noch notig haben, sie werden mich im Arsenal aufheben.
Lacroix. Wir mussen handeln.
Danton. Das wird sich finden.
Lacroix. Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.
Marion (zu Danton). Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Kusse erstickt.
Danton (zu Marion). So viel Zeit zu verlieren! Das war der Muhe wert! - (Zu Lacroix:) Morgen geh ich zu Robespierre; ich werde ihn argern, da kann er nicht schweigen. Morgen also! Gute Nacht, meine Freunde, gute Nacht! ich danke euch!
Lacroix. Packt euch, meine guten Freunde, Packt euch! Gute Nacht, Danton! Die Schenkel der Demoiselle guillotinieren dich, der Mons Veneris wird dein Tarpejischer Fels. (Ab mit Paris.)
Sechste Szene
Ein Zimmer
Robespierre. Danton. Paris.
Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fallt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind - seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, totet mich so gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Notwehr aufhort, fangt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns langer zum Toten zwange.
Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Halfte vollendet, grabt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.
Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. - Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anstandigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist emporend rechtschaffen. Ich wurde mich schamen, dreißig Jahre lang mit der namlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnugens willen, andre schlechter zu finden als mich. - Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lugst, du lugst!?
Robespierre. Mein Gewissen ist rein.
Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich qualt; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Muhe wert, sich daruber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber fur die unreine Wasche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Kopfen Fleckkugeln fur ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebursteten Rock tragst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Locher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.
Robespierre. Du leugnest die Tugend?
Danton. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemaß, d. h. er tut, was ihm wohltut. - Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absatze so von den Schuhen zu treten?
Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.
Danton. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das ware undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast namlich. - Ubrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche mussen der Republik nutzlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.
Robespierre. Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger getroffen worden sei?
Danton. Horst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! (Er geht; im Hinausgehn zu Paris:) Wir durfen keinen Augenblick verlieren, wir mussen uns zeigen! (Danton und Paris ab.)
Robespierre. (allein). Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gaule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen.
Mir die Absatze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! - Halt! Halt! Ist's das eigentlich? Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hatte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hatte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. - Und wenn sie recht hatten? Ist's denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg.
Es ist lacherlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. - Er muß weg. Wer in einer Masse, die vorwarts drangt, stehenbleibt, leistet so gut Widerstand, als trat' er ihr entgegen: er wird zertreten.
Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbanken dieser Leute stranden lassen; wir mussen die Hand abhauen, die es zu halten wagt - und wenn er es mit den Zahnen packte!
Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat!
Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! - Wie das immer wiederkommt. - Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlagt immer durch. - (Nach einer Pause:) Ich weiß nicht, was in mir das andere belugt.
(Er tritt ans Fenster.) Die Nacht schnarcht uber der Erde und walzt sich im wusten Traum. Gedanken, Wunsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie offnen die Turen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. - Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgefuhrter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der trage Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sunde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Korper nachspiele, das ist Zufall.
(St. Just tritt ein.)
Robespierre. He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht!
St. Just. Kennst du meine Stimme?
Robespierre. Ah du, St. Just!
(Eine Dienerin bringt Licht.)
St. Just. Warst du allein?
Robespierre. Eben ging Danton weg.
St. Just. Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionare Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. - Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch langer zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.
Robespierre. Was wollt ihr tun?
St. Just. Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuß zu feierlicher Sitzung.
Robespierre. Viel Umstande.
St. Just. Wir mussen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Morder; wir durfen sie nicht verstummeln, alle ihre Glieder mussen mit hinunter.
Robespierre. Sprich deutlicher!
St. Just. Wir mussen ihn in seiner vollen Waffenrustung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhugel schlachten: Lacroix -
Robespierre. Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwartig Generalleutnant von Frankreich. Weiter!
St. Just. Herault-Sechelles.
Robespierre. Ein schoner Kopf!
St. Just. Er war der schongemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte; wir haben dergleichen Zierat nicht mehr notig, er wird ausgewischt. - Philippeau. - Camille.
Robespierre. Auch der?
St. Just (uberreicht ihm ein Papier) Das dacht' ich. Da lies!
Robespierre. Aha, ≫Der alte Franziskaner≪! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat uber euch gelacht.
St. Just. Lies hier, hier! (Er zeigt ihm eine Stelle.)
Robespierre (liest). ≫Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schachern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt; er tragt seinen Kopf wie eine Monstranz.≪
St. Just. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.
Robespierre (liest weiter). ≫Sollte man glauben, daß der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist, und daß seine dunnen, auf der Tribune herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind? - Und du, Barere, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Munze geschlagen! Doch - ich will den alten Sack nicht aufwuhlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Manner hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafur? Das ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?≪
Also auch du, Camille? - Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen nicht wieder.
Hast du die Anklage bereit?
St. Just. Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.
Robespierre. Ich wollte sie schrecken.
St. Just. Ich brauche nur durchzufuhren; die Falscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. - Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.
Robespierre. Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. Nur rasch! (St. Just ab.)
Robespierre (allein). Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. - Er hat sie mit seinem Blut erlost, und ich erlose sie mit ihrem eignen. Er hat sie sundigen gemacht, und ich nehme die Sunde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? - Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. - Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlost keiner den andern mit seinen Wunden.
Mein Camille! - Sie gehen alle von mir - es ist alles wust und leer - ich bin allein.
Zweiter Akt
Erste Szene
Ein Zimmer
Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins.
Camille. Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Danton (er kleidet sich an). Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen druber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Halften bestehen, die beide das namliche tun, so daß alles doppelt geschieht - das ist sehr traurig.
Camille. Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.
Danton. Sterbende werden oft kindisch.
Lacroix. Du sturzest dich durch dein Zogern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie uber die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Heberts bedroht! Du mußt dich deinem Zorn uberlassen. Laßt uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schandliche Hebert sterben!
Danton. Du hast ein schlechtes Gedachtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.
Lacroix. Warum hast du es dazu kommen lassen?
Danton. Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im namlichen Rock herumzulaufen und die namlichen Falten zu ziehen! Das ist erbarmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.
Ubrigens, auf was sich stutzen? Unsere Huren konnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es laßt sich an den Fingern herzahlen: die Jakobiner haben erklart, daß die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Heberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das ware noch ein Mittel! aber es gabe einen 31. Mai, sie wurden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.
Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kampfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafur - aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswuhlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!
Camille. Pathetischer gesagt, wurde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbruchige auf einem Wrack in unloschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?
Danton. Du bist ein starkes Echo.
Camille. Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser fur dich, du solltest mich immer bei dir haben.
Philippeau. Und Frankreich bleibt seinen Henkern?
Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Ungluck; kann man mehr verlangen um geruhrt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um uberhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und konnen im Abgehen noch hubsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen horen. Das ist ganz artig und paßt fur uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.
Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfullen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug fur ein Epos in funfzig oder sechzig Gesangen? 's ist Zeit, daß man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likorglaschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefaß zusammenrinnen machen.
Endlich - ich mußte schreien; das ist mir der Muhe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.
Paris. So flieh, Danton!
Danton. Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit?
Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. (Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)
Philippeau. Da geht er hin.
Lacroix. Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.
Paris. Was tun?
Lacroix. Heimgehn und als Lukretia auf einen anstandigen Fall studieren.
Zweite Szene
Eine Promenade
Spazierganger.
Ein Burger. Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn... wollt ich: Kor...
Simon. Kornelia, Burger, Kornelia.
Burger. Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knablein erfreut.
Simon. Hat der Republik einen Sohn geboren.
Burger. Der Republik, das lautet zu allgemein; man konnte sagen...
Simon. Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen...
Burger. Ach ja, das sagt meine Frau auch.
Bankelsanger (singt). Was doch ist, was doch ist Aller Manner Freud' und Lust'?
Burger. Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.
Simon. Tauf ihn Pike, Marat!
Bankelsanger. Unter Kummer, unter Sorgen Sich bemuhn vom fruhen Morgen, Bis der Tag voruber ist.
Burger. Ich hatte gern drei - es ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was Nutzliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?
Simon. Pike.
Burger. Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hubsche Namen, das macht sich schon.
Simon. Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der romischen Wolfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. (Gehn vorbei.)
Ein Bettler (singt). ≫Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...≪ Liebe Herren, schone Damen!
Erster Herr. Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenahrt aus!
Zweiter Herr. Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschamt.
Bettler. Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?
Zweiter Herr. Arbeit, Arbeit! Du konntest den namlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne...
Bettler. Herr, warum habt Ihr gearbeitet?
Zweiter Herr. Narr, um den Rock zu haben.
Bettler. Ihr habt Euch gequalt, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut's auch.
Zweiter Herr. Freilich, sonst geht's nicht.
Bettler. Daß ich ein Narr ware! Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. (Singt:) ≫Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...≪
Rosalie (zu Adelaiden). Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.
Bettler. ≫Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!≪ Meine Herren, meine Damen!
Soldat. Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du?
Rosalie. So alt wie mein kleiner Finger.
Soldat. Du bist sehr spitz.
Rosalie. Und du sehr stumpf.
Soldat. So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:)
Christinlein, lieb Christinlein mein, Tut dir der Schaden weh, Schaden weh, Schaden weh, Schaden weh?
Rosalie (singt). Ach nein, ihr Herrn Soldaten, Ich hatt' es gerne meh, gerne meh, Gerne meh, gerne meh!
(Danton und Camille treten auf.)
Danton. Geht das nicht lustig? - Ich wittre was in der Atmosphare; es ist, als brute die Sonne Unzucht aus. - Mochte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich uber den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.)
Junger Herr. Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Baumen, das Blinken eines Sterns...
Madame. Der Duft einer Blume! Diese naturlichen Freuden, dieser reine Genuß der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafur.
Eugenie (kußt ihrer Mutter die Hand). Ach, Mama, ich sehe nur Sie.
Madame. Gutes Kind!
Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). Sehen Sie dort die hubsche Dame mit dem alten Herrn?
Eugenie. Ich kenne sie.
Junger Herr. Man sagt, ihr Friseur habe sie a l'enfant frisiert.
Eugenie (lacht). Bose Zunge!
Junger Herr. Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knospchen schwellen und fuhrt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.
Eugenie. Wie unanstandig! Ich hatte Lust, rot zu werden.
Junger Herr. Das konnte mich blaß machen. (Gehn ab.)
Danton (zu Camille). Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie mußten zu den Fenstern und zu den Grabern heraus lachen, und der Himmel musse bersten, und die Erde musse sich walzen vor Lachen. (Gehn ab.)
Erster Herr. Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Kunste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.
Zweiter Herr. Haben Sie das neue Stuck gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewolben, Treppchen, Gangen, und das alles so leicht und kuhn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. (Er bleibt verlegen stehn.)
Erster Herr. Was haben Sie denn?
Zweiter Herr. Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfutze - so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefahrlich werden!
Erster Herr. Sie furchteten doch nicht?
Zweiter Herr. Ja, die Erde ist eine dunne Kruste; ich meine immer, ich konnte durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muß mit Vorsicht auftreten, man konnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen! |
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