Naturgemaß ging es nicht an, hier nur Vorsicht und sonst nichts erkennen zu lassen. So ließ ich Mangesche Rao zu mir bitten. Diese Begegnung vergesse ich niemals. Zunachst ließ der Brahmine mir sagen, daß ihm ein spaterer Tag zu einer Begegnung lieber sei. Ich war betroffen, da ich daraus entweder auf vollige Unbefangenheit, oder auf einen Fluchtversuch schließen mußte, und so ließ ich ihn uberwachen, ohne ihn zu drangen. Ich weiß heute, daß er diese Uberwachung, die er sofort merkte, absichtlich durch sein Zogern heraufbeschworen hatte, um zu erfahren, ob es sich um etwas Bedeutsames handelte. So kam er am nachsten Tage, und war auf alles gefaßt.
Ich gab ihm, mitten in einer gleichgultigen Unterhaltung, unversehens das Buch.
Er nahm es, warf einen Blick darauf und sagte hoflich:
≫Ich will es prufen, sobald ich Zeit finde.≪
≫Es ist von Ihnen≪, sagte ich.
≫Ja≪, antwortete er ruhig, als habe ich alles andere gesagt, ≫es geschieht bald.≪
≫Dies Buch tragt Ihren Namen als Verfasser≪, fuhr ich fort, und ich gestehe, innerlich unsicher und aufgebracht.
Mangesche Rao sah mich an, als erwartete er bestimmt, ich wurde fortfahren, in jener vermeintlichen Sache zu sprechen, die durchaus nichts mit dem kleinen Heft zu tun hatte, das er gleichgultig zwischen den Fingern drehte. Endlich folgte er meinen Augen und, scheinbar erst jetzt aufmerksam geworden, begann er in dem Heft zu blattern und durchaus nicht, wie es zweifellos jeder andere getan hatte, in den harmlosen ersten Seiten, sondern mitten in dem verraterischen Angriff auf die Regierung.
Er sah einen Augenblick auf, fragte hoflich und mit ein wenig gerunzelten Brauen, ≫Sie erlauben?≪ und las weiter. Nach einer Weile wandte er die Einbanddecke, betrachtete wieder den Titel, verglich, lachelte befangen und fuhr fort zu lesen. Der Mann hat es fertig gebracht, eine Viertelstunde lang unter meinen Augen seinen eigenen Text zu lesen, nicht etwa mit Anzeichen des Erstaunens oder der Emporung, sondern ohne Anzeichen. Und ich habe die ganze Verhandlung hindurch sicherlich eher als er den Anschein des Gepruften erweckt. Nun, ich blieb geduldig, mir dessen bewußt, daß er innerlich gelassen den Grund meiner Geduld erwog. Als er aber nach einer guten Weile mit einem amusierten Lacheln aufsah, den Kopf schuttelte und begann, mir einen ganz sonderlich treffenden und zugleich boshaften Absatz vorzulesen, brauchte ich meine ganze Beherrschung, um dieses Lacheln zu erwidern. Er legte das Heft nachdenklich hin und meinte besorgt und mit erhobenen Brauen:
≫Das ist nicht angenehm fur uns.≪
≫Haben Sie einen Verdacht, wer der Verfasser sein konnte?≪
Mangesche Rao antwortete nicht und ich sah mich genotigt, fortzufahren:
≫Wie mag Ihr Name auf dies Heft gekommen sein?≪
Der Brahmine beantwortete meine erste Frage, nachdem er mich zuvor kurz angesehen hatte, als wollte er zu meiner zweiten sagen: War das nicht ein wenig plump geforscht?
≫Ich habe keinen Verdacht. Was mich am meisten uberrascht, ist die Tatsache, daß die Jesuiten ihre Befugnisse so gedankenlos in den Dienst einer Sache stellen, welche der Regierung schadet, die sie schutzt.≪
Es blieb mir nichts anderes mehr ubrig, als nun entweder meinen Argwohn gegen den Brahminen auszusprechen, oder die Unterhaltung abzubrechen, aber das erste durfte ich nicht ohne Beweis, dem ein Eingriff folgte, und das zweite wollte ich nicht. So wahlte ich noch einmal einen Mittelweg, obgleich ich die Ergebnislosigkeit meines Vorgehens wußte.
≫Wie mag der Verfasser gerade auf Ihren Namen gekommen sein?≪ fragte ich mich laut.
Mangesche Rao meinte, daß, nach dem fluchtigen Eindruck, den er nach der Lekture empfangen hatte, ihn dieser Mißbrauch, bei parteiloser Betrachtung des Bildungsgrades, der aus der Arbeit sprache, wenigstens nicht eben bloßstellte, aber dann fugte er ernst hinzu:
≫Der Gedanke lag nahe. Wurde das Buch schon in Mangalore gedruckt, so wahlte man am besten als Deckung den Namen eines Lehrers vom hiesigen englischen College. Es wird eher deshalb geschehen sein, weil es galt, die Jesuiten zu tauschen, als aus Grunden einer anderen Vorsicht.≪
≫Man hatte auch einen englischen Namen nehmen konnen.≪
Mangesche Rao betrachtete den Titel, dann erwiderte er mir mit bescheidenem Kopfneigen:
≫Das ware nicht klug gewesen, denn jeder in Indien, der lesen kann, weiß, daß ein Englander nur selten etwas von fremden Sprachen versteht.≪ Nun, ich schluckte auch dies noch und begriff, daß ich einen falschen Weg eingeschlagen hatte. Als das Meisterlichste dieser diplomatischen Sicherheit meines Gegners erschien mir seine von jedem, auch dem kleinsten Triumph vollig freie Art der Verabschiedung. Er ging still und ein wenig beklommen, als ware ihm langsam klar geworden, daß diese seltsame Entdeckung ihm doch unangenehmer werden konnte, als er zu Anfang geglaubt hatte. Ich hatte damals bereits Beweise in Handen, die ich weitergab; es ist uber jeden Zweifel erhaben, daß Mangesche Rao der Verfasser dieses Pamphlets ist, er hat es mir spater, nicht ohne Hohn, auf eine Art eingestanden, die nur mich, mich aber grundlich uberzeugt hat. Die Regierung verfugte in hoflicher Zuruckhaltung seinen vorubergehenden Rucktritt von seinem Posten, mit der Begrundung, daß zwar kein Verdacht gegen ihn vorlage, daß jedoch sein Name auf eine Art bloßgestellt sei, die diese Verfugung fur kurze Zeit notwendig mache.≪
So lautete, aus Einzelheiten zusammengesetzt, die ich nach und nach erfuhr, die Geschichte des Brahminen Mangesche Rao, und meine Erwartungen waren gespannt, als Wochen darauf der Tag kam, an welchem ich seine Bekanntschaft machen sollte.
* * * * *
Inzwischen hatten die großen Regen eingesetzt. Es war mir gelungen am Hang einer bewaldeten Anhohe den Flugel eines schonen Hauses zu mieten, mit großen Zimmern und einer breiten Veranda, die ganz von Buschwerk umschattet war, aber einen Ausblick auf eine herrliche Allee von Platanen eroffnete, die auf ein altes Stadttor fuhrte.
Die niederbrechenden Wassermengen und die furchtbaren Unwetter, die die Regenzeit einleiten, verbannten mich lange in meine weißen Raume, in denen ich wie in einer ununterbrochen mißhandelten Trommel hauste, zwischen Wasserwanden, deren matte Silberstrome lau und klatschend vor den Scheiben niederdonnerten. Nachts flackerte das All in bengalischen Flammenkranzen, die Ketten der Blitze knatterten, und oft betaubten die Donnerschlage alle Empfindung, bis zuletzt auch die Furcht in einer dumpfen Ergebenheit versank, in welcher alle Geschopfe verharrten, wie in den Flammenzeichen des Jungsten Gerichts, wahrend im Umkreis entzundete Hauser und Baume aufleuchteten und erloschen. Es ging wochenlang so fort, ohne abzukuhlen, unter den undurchdringlichen, nahen Wolkenmassen konnten die schwulen Dunste der monatelang durchgluhten Erde nicht aufsteigen. Die Lungen stießen die von Feuchtigkeit und Warme ubersattigte Luft, wie unter den truben Scheiben eines uberhitzten Treibhauses aus und ein, und langsam erlosch die letzte Lebenskraft.
Draußen aber begann ein Wachstum von beangstigender Gewalt. Nach sieben Tagen drang kein Lichtstrahl mehr in meine Raume, und Panja arbeitete mit der Axt im spritzenden Saft. Die blauen Feuer der Blitze zeichneten nachtlicherweile ein kohlschwarzes Blattergewebe, wie ein wirres, flackerndes Gitterwerk, vor die Scheiben meiner Fenster, und es war mir unbegreiflich, an den ersten stilleren Tagen, die Stadt Mangalore noch an ihrem Platz zu finden.
Langsam wurde es unter dem andauernden Regen von Tag zu Tag kuhler. Niemand beschreibt die Befreitheit und das Gluck meiner Sinne, als mich nach langer Zeit zum ersten Mal die Sonne im Palmengrun weckte. Es ging aufs neue dem indischen Fruhling entgegen, und die von Entzucken und tausend Duften geschwellte Brust wußte ihren Jubel nicht zu bergen.
Mangalore brach auf vor meinen Augen, wie eine wunderbare, fremde Blume, bunt und uppig, geheimnisvoll-verschwiegen, von giftig-sußer Lebensgier. Ihr Duft brachte Vergessen mit sich, ihr Klang unnennbare Traume von der Mannigfaltigkeit der Welt, und ihre Farben berauschten die Sinne bis zur Verzucktheit. Uber das holzerne Gelander der Veranda brach wie eine grune Schlange eine Schlingpflanze, offnete uber Nacht blaue Blumen von der Große eines Kinderkopfchens, mit einem gelben, gierigen Auge, das am Tage die Falter lockte und sich am Abend schloß. Der Jasmin betaubte mich bis zum Taumeln, die schnarrende Klage der Krote mischte sich melancholisch und liebesselig in die metallische Klarheit des Nachtigallenlieds, und im Mond bluhten die Lotusblumen auf den schwarzen Spiegeln der Brunnen und Sumpfe auf.
Die braunen Menschen in weißen Gewandern im Grunen, lautlos auf rotlichen Wegen dahinschreitend, bewegten sich auf ihrem gesegneten Erdland wie unnahbare Gestalten eines Marchens, erdacht, langst bevor die Wiege unseres Volks, unter Eichen im fernen Westen, von den altesten Sagen umklungen wurde. Und mit allen Wohltaten solcher Schonheit trat, wie ein Jungling aus einer tauglitzernden Wiese, der Schlaf wieder an mein Lager und mit ihm das gluckliche Bewußtsein von Gesundheit, von Kraft und frohlichen Daseinsrechten.
Zwolftes Kapitel
Von Frauen, Heiligen und Brahminen
So waren die Eindrucke, die ich in den ersten Monaten meines Aufenthalts in Mangalore erhielt, außerordentlich bunt und mannigfach, und so eifrig ich nach dem Sinn der Erscheinungen forschte, so verwirrte mich das meiste eher, als daß es mein Verstandnis forderte. Aber wie der gluckliche Zustand frohlichen Wohlbefindens, besonders in der Jugend, eher zu gedankenloser Hingabe, als zu hingebenden Gedanken fuhrt, so ließ ich die farbigen Bilder an meinen Augen voruberziehen, wie ein munterer Wanderer die wechselnde Landschaft, und wenig von allem sank in mein Herz, bis zu jenem Tage, an dem Mangesche Rao mein Haus betrat.
Panjas Ubermut verfuhrte mich oft zu frohsinniger Oberflachlichkeit, wir bummelten am Hafen umher, der sich von Tag zu Tag mehr belebte, ließen uns zur Jagd auf Sumpfvogel die Flußarme emporrudern, die etwa um das Zehnfache breiter erschienen, als am Tage unserer Ankunft, wagten hier unser Leben und dort unser Geld und vergaßen miteinander, daß es in der Welt noch etwas anderes gab, als diese grune, bluhende Wildnis und diese bunte Stadt.
Vor den Tempeln und der Basarstraße gab es Feste heidnischen Gotzendienstes, am Hafen Schlagereien zwischen mohammedanischen Hindus und den Negern, die in großen Seglern von Arabien kamen, um Gewurze einzutauschen. Es war ergotzlich, dem bald tragen, bald ausschweifenden Leben des Hafens beizuwohnen, in beschaulicher Tatlosigkeit der englischen Regierung und dem lieben Gott die Sorge fur das eigene und fremde Wohlergehen uberlassend. Ich schloß Freundschaft mit Negern, Elefanten und Konigen, von denen allen es in Mangalore ein gut Teil gibt. Der Fruhling spendete uns Rausch, Vergessen und Andacht, der durchsonnte Lebensstrom, der die ganze Stadt uberflutete, riß uns mit sich fort.
Eingehullt in die Geheimnisse der Fremde, wieder erlost durch die himmlische Klarheit der Sonne und geleitet von der unermudlichen Lebenslust der Jugend, flossen meine Tage dahin. Meine letzten Bucher wurden ein Raub der Insekten, meine Gedanken eine Beute der Traume, und selbst meine Zukunftshoffnungen fielen fur lange dem sanften Rausch so verganglicher wie uberwaltigender Genusse zum Opfer. Ich erwachte unter dem Glitzern der Sonnenspeere, die durch die Blumen und Palmengefieder in mein Zimmer sanken, unter dem Duft des Tees, den Panja mir an mein Lager brachte, und meine erste Erwartung galt der grunlichen feuchten Landzigarre, die, dick und lang wie ein Treibhausspargel, aus besten Blattern gewickelt worden war. Der goldene Tag zog herum bei Schmetterlingsjagden oder Kahnfahrten, am frischen Meer oder im tiefen Schatten des Palmendickichts, zwischen weisen und narrischen Menschen oder Tieren, zu Pferd oder zu Fuß verbracht, und immer in jener unnennbaren Erhobenheit, die das Bewußtsein eintragt, von allen geachtet oder gefurchtet, sicherlich aber fur etwas ganz Außerordentliches angesehen zu werden. Bis der kuhle Abend niedersank, mit dem Gesang der Menschen, dem gespenstig wandernden Licht der großen Leuchtkafer, den Lauten der liebesseligen Tiere, und ob ich die weißen Nachte im Schein des gewaltigen Monds allein zubrachte oder nicht, werde ich nicht sagen, denn es gibt zu viele Menschen, die solcherlei Erwagungen in ernstliche Besorgnis wirft, und man soll niemand Sorge bereiten, am wenigsten durch die Erinnerung an eigene Freuden.
Auf diesem so ausgedehnten Gebiet muß Panja in ernstliche Bedrangnisse geraten sein, eines Morgens schuttete er mir sein Herz aus. Das hatte einen ganz besonderen Grund, und der Anlaß waren zwei lange Schrammen, die vom Auge uber seine Wange niederliefen, und deren Ursprung sich um so leichter erraten ließ, als er die Nacht uber fort gewesen war.
Als er sah, daß ich sein Gesicht musterte, wahrend er das Fruhstuck bereitete, meinte er bedauernd:
≫Diese Dornen, Sahib! Man weiß nicht, wie man ihnen im Dunkeln entgehen soll, es ist Zeit, daß ich im Garten wieder Platz schaffe.≪ Und wir klagten eine Weile miteinander uber die Dornen.
≫Zuweilen sitzen zwei nebeneinander,≪ sagte ich, ≫ahnlich wie die Fingernagel einer Hand.≪
Panja musterte mich mißtrauisch, aber da ich ernst blieb, meinte er zogernd:
≫Ja, auch das, es kommt allerlei vor.≪ Aber dann mußte er doch ein Lacheln gewahr geworden sein, denn er sprang argerlich auf, stampfte mit dem Fuß und rief:
≫Also weißt du es, Sahib! Gut, aber was wird dadurch besser? Ist es schon von dir, jemand zu verhohnen, der ohnehin Undank geerntet hat?≪
Ich beruhigte ihn und sprach ihm Trost ein, er war ernstlich erbittert und weit davon entfernt, auch nur einen Schatten von Schuld an diesem Unheil bei sich zu suchen. Da wurde er melancholisch, wie gutmutige Leute mit bosem Gewissen es leicht werden, wenn man ihr Verbrechen auf andere schiebt.
≫Kratzen die Frauen deines Landes auch?≪ fragte er, da er mein bewiesenes Verstandnis aus meinen Erfahrungen ableitete.
≫Und wie, Panja! Sich und andere.≪
≫Spotte nicht,≪ bat er, ≫dies sind ernste Dinge, und wenn ich auf den Schlaf warte, so muß ich viel daruber nachdenken.≪ Und er blinzelte in die Morgensonne, die grunes Feuer im Palmengitter entzundete, und spiegelte sich dann gedankenvoll in einer runden Kupferkanne, die ihm sein Bild ahnlich zuruckgegeben haben mag, wie die Welt seiner Gedanken in seinem Kopf aussah.
≫Warum heiratest du nicht?≪ fragte ich ihn. Es war einen Augenblick still. Das Geschrei der Handelsleute und Ausrufer von der Basarstraße klang zu uns heruber, und die Zweige im Gebusch schaukelten unter dem Morgenspaziergang irgendeines großeren Tiers.
≫Vielleicht ein Affe≪, meinte Panja. Man sah, er dachte an etwas anderes. ≫Gut,≪ brach er plotzlich eifrig los, ≫ich heirate, aber was dann? Es ist nicht verlockend, zu wissen, was einen auf dem Nachtlager erwartet, solange man jung ist. Zur Liebe gehoren die Neugierde und die Gefahr, die erlaubte Liebe ist wie ein gefangener Vogel.≪
Ich beschloß, ein wenig ernster zu werden, und sagte deshalb leichthin:
≫Wenn es nur das gabe, was du jetzt Liebe nennst, Panja, so hattest du recht, aber es kann vorkommen, daß das Herz sich uberall wie ein gefangener Vogel vorkommt, nur nicht dort, wo eine bestimmte Frau wartet.≪
Panja dachte nach. ≫Es kommt vor, Sahib, aber es geht voruber.≪
≫Vielleicht kommt dafur etwas anderes?≪
≫Was sollte kommen, Sahib?≪
≫Vielleicht ein Sohn.≪
≫O Gott,≪ sagte Panja betroffen, ≫wer denkt gleich an das Schlimmste!? Aber auch, wenn ich mich daruber freuen sollte, so kann ich doch nicht an einen Sohn denken, wenn ich keinen habe.≪
≫Ist das Vergessen schoner oder die Erinnerung, Panja? Sieh um dich in der Natur, wohin du willst, und unter den Menschen, immer geht die Liebe mit der Erinnerung und das Laster mit dem Vergessen. Ist nicht ein Kind die schonste Erinnerung an die Liebe und der lieblichste Begleiter auf dem Wege vom Sommer zum Herbst?≪
Panja ruckte an seinem Turban und kratzte sich umstandlich, was immer ein Beweis war, daß etwas uber seine Sinnenwelt hinaus in sein Herz gesunken war, aber es blieb in der Regel sein einziges Zugestandnis an mich.
≫Ich bin kein Brahmine,≪ sagte er endlich, ≫warum soll ich also nachdenken? Du hast nur deshalb schone Gedanken, Sahib, weil du die Frauen nicht kennst. Wenn du einmal ein Weib genommen hast, so werden die guten Gedanken ausbleiben.≪
Ich mußte lachen, und Panja triumphierte. Nun war er es, der mich belehrte.
≫Vielleicht sind die Frauen deines Landes anders, Sahib, aber wahrscheinlich ist es mit den Frauen wie mit der Palme, uberall in der Welt ist sie dieselbe. Hast du niemals gemerkt, daß sie im Grunde alle dumm sind? Du kannst es daran sehen, daß sie sich in gleichem Maße vor einem Tiger furchten wie vor einer Maus, denn nicht einmal zwischen diesen beiden Tieren konnen sie den Unterschied herausbringen. So kennen sie auch bei den Mannern keine Unterschiede, und als der beste erscheint ihnen immer der, den sie lieben.≪
≫Ist das nicht ein Vorzug?≪
Aber Panja ließ sich nicht ablenken: ≫Sagst du etwas recht Dummes, so reißen sie die Augen auf und strahlen, nur weil es vielleicht auf das Gleichgultigste der Welt zutrifft; sagst du aber etwas Gescheites, was alle Klugen bewundern wurden, so vergessen sie es sofort, nur, weil sie es nicht in ihr Haar stecken konnen. Oh, was kann nicht alles geschehen! Mit der Zeit wird vielleicht deine Liebe abnehmen, und du kehrst zu vernunftigen Gedanken zuruck, aber dann nimmt die ihre genau in dem Maße zu, wie sie dir gleichgultig wird. Sie behangt dich mit allem, was sie ausdenkt oder findet, wie einen wundertatigen Gotzen, bis du anfangst, selbst so Ungeheuerliches von dir zu glauben, daß du ein Gespott der Manner wirst. Wie aber ist es erst, wenn dein Herz an dem ihren hangen bleibt, und dein Eifer und deine Muhe machen sie kalter und kalter? Gib du selbst alles, was du hast, und ohne Ruckhalt dich selbst, sofort fangt sie an, nach anderen Mannern Ausschau zu halten. Die Seele solcher Frauen ist wie eine Grube, die kleiner wird, je mehr man hinzutut, und das Elend in deinem Hause nimmt kein Ende. Ach, du weißt nicht, wie es selbst den Braven ergeht! Du hast einmal gesagt, durch Geben wird niemand arm, aber alles, was einem herzlosen Weib gegeben wird, ist verloren.≪
≫Das ist vielleicht richtig, Panja,≪ unterbrach ich seinen Eifer, ≫aber nicht alle Frauen sind herzlos.≪
≫O Sahib, solange du lieben mußt, ist in deinen Augen alles schon, was du an einer Frau erblickst,≪ entgegnete Panja uberzeugt, ≫und das Bose an ihr entfacht nur den Eifer deiner Gunst.≪
So fuhr Panja fort, mir noch lange die irdische Misere der Herzen zu schildern, die lieben, oder die es wollen, ohne es zu konnen, oder mussen, ohne es zu wollen. Ich antwortete ihm wenig, aber es wurde mir deutlich, wie viele Manner unserer Zeit und unseres Landes uber eine ahnliche Betrachtung der Frau niemals hinausgekommen sind. Hatte Panjas Anschauung auch zweifellos die heitere Beigabe einer kindlichen Auffassung, so lag ihr doch ein Urteil zugrunde, das mir, im nachdenklichen Sinn bewegt, nur allzu vertraut war. Wenn ich ihm nur beilaufig widersprach, so bedachte ich bei meiner Zuruckhaltung seine Jugend und die Tatsache, daß die meisten Manner erst durch die Erfahrung belehrt werden, und daß niemandes Erlebnisse großer sind als er selbst. Auch dient eine solche oder ahnliche Betrachtungsart gutmutigen Junglingen zu einer Vorsicht, die dem Grade ihrer Widerstandskraft angepaßt sein mag.
Aber im Grunde ist es nicht gut, in solchen Anschauungen allzu lange ein Kind zu bleiben, und ich habe die Manner selten sonderlich ernst zu nehmen vermocht, die der Frau die selbstandigen Krafte des Gemuts nur deshalb absprachen, weil sie anderer Art als die des Mannes sind; denn nur Oberflachliche rechnen Verborgenes leichtfertig dem Fehlenden zu. Auch bleibt es hinreichend lacherlich, Eigenschaften der Frau zu tadeln, die wir nicht genug loben konnen, solange ihre Wirkung uns selbst zugute kommt. Je eher das Gemuts- und Geistesleben einer Frau im Zusammenhang mit ihren Eigenschaften einen Charakter darstellt, um so sicherer wird sie auch ohne außere Erfahrung die Wahl treffen, die ihrem Werte entspricht. Dieser Wert aber wird sich, nach ihrer Entscheidung, nicht in ihrer Fahigkeit zeigen, die Manner gerecht miteinander vergleichen zu konnen, sondern in ihrer Bestandigkeit.
So ging mancher Morgen in nachdenklicher Plauderei und gedankenlosem Spiel mit Nichtigkeiten herum, die Sonne begann uns Irdische dieser gesegneten Zone langsam wieder an Bestandigkeit zu ubertreffen, an Treue und Kraft. Wie es manchen auf der Reise ergehen mag, so verlangte es auch mich, im Ubermaß der sonntaglichen Freiheit, nun oft nach der herben Sicherheit jener hoheren Freiheit im Geist, die uns bei ganzer Anspannung unserer besten Krafte vergonnt ist. Aber dies Klima erlaubt unserem Blut nicht den Ernst unserer Rasse, nicht den Eigensinn zur Tatigkeit, der ihr eigentumlich ist, und am wenigsten die Neigung zu bestandiger Arbeit. Ungezahlte unseres Volkes sind, solange die Geschichte es kennt, den Verfuhrungen der sudlichen Sonne erlegen, fast unvermerkt, unheilbar der Sußigkeit des tatenlosen Genusses verfallen, und erst nach eingebußter Lebenskraft zu jenem Heimweh aufgeschreckt, das im Glanz der weichen Tage zu einer wollustigen Wehmut herabgesunken war.
Oft, wenn ich am Meeresstrand unter schattigen Baumen lag und Traum und Wille sich im Blau des Himmels und des Wassers schaukelten, gedachte ich Homers und seines Helden, der, an den Mastbaum seines Schiffes gefesselt, mit empfanglichen Sinnen, machtlos und zerrissen von Verlangen, an dem gepriesenen Eiland voruberfuhr, erkennend und durch den Geist gefeit, vom Verstand gemeistert, der alter war als sein Verlangen, hingegeben und beherrscht. Oft beneidete ich ihn, oft bedauerte ich ihn, wie einen, den die Kalte seines Geistes vom Altar beseligter Hingabe verbannt hat. Aber in meinen Traumen erschienen mir die singenden Frauen, und ich ahnte unter dem Glanz ihrer lockenden Leiber die todliche Kraft ihrer morderischen Krallen.
Es trieb mich, bei innerer Ruhlosigkeit, außerlich von einem zum andern, ich versuchte zu arbeiten, verbrannte aber bald nach den armen Anfangen die untuchtigen Versuche, die Herrlichkeit um mich her in Worten und Gestalten zu bannen. Entzundete die Sonne ihr grungoldenes Morgenfeuer in den Buschen, die meine Fenster einhullten, so tauchten meine Sinne in der Ahnung einer Vollkommenheit unter, die jedes Menschenwerk zu nichtigem und verganglichem Tand herabsetzte, es gab nur Befreitheit in andachtiger Hingabe.
Panja beobachtete mich sorgenvoll, und eines Tages meinte er:
≫Sahib, weshalb verbrennst du dein Papier nicht, bevor du es beschreibst?≪
Nun, das argerte mich. Zu solcher Frage hat ein Diener kein Recht.
≫Dummkopf,≪ sagte ich, ≫weißt du nicht, daß man Gedanken auf ein Blatt Papier niederschreiben kann, und daß, wenn beide zugleich verbrannt werden, der Gedanke als Rauch in die Kopfe von Menschen zieht, die wir von unserer Meinung uberzeugen wollen?≪
Panja riß die Augen auf und schwieg andachtig. Er hatte es noch nicht gewußt. Nach einiger Zeit ertappte ich ihn daruber, daß er im Garten unter merkwurdigen Sprungen einen Brief verbrannte, und entfernte mich mit der Genugtuung, daß enttauschte Hoffnungen ihn fur seine unbotmaßige Frage strafen wurden.
Auch mit den Vertretern der deutschen Mission in Mangalore kam ich fluchtig in Beruhrung, es sind tatige und ernste Leute, die in kleinen Industrien die ubergetretenen Eingeborenen beschaftigen und den Geisteskampf mit den gebildeten Reprasentanten des Hinduismus nur vereinzelt und immer erfolglos wagen. Es fehlt ihnen an Bildung und Kenntnis und vor allem an Achtung vor dem Brahman oder der Lehre Buddhas, und der einfaltige Glaube, es hier mit ≫finsterem Heidentum≪ zu tun zu haben, ist der beste Weg zur grundlichen Erfolglosigkeit. Ich habe kuriose Leute unter diesen Missionaren und Missionsfrauen angetroffen. Was sie einem feineren Anspruch immer wieder fatal macht, ist ihre bewußte Beschrankung und Ausschließlichkeit in einer Weltbetrachtung, deren wirkende Kraft unerprobt bleibt. Es ist leicht, recht zu behalten, wenn man nur sich selbst oder Meinungsgenossen hort, und das Lacherliche solcher Erscheinungen beruht darauf, daß ihre Einfalt mit Großartigkeit verbunden ist und ihre Behutsamkeit mit Mangel an Takt.
Ein bezeichnendes Merkmal, woran solche Leute im Fall eines Zweifels bald zu erkennen sind, ist ihre Fahigkeit, uber alle Dinge mitzureden, sie zu beurteilen oder einzuschatzen, ohne daß sie sich je die Muhe gemacht hatten, sie auch zu verstehen. Naturgemaß verbindet sich mit einem solchen Standpunkt der Weltbetrachtung eine besondere Vorliebe fur die Kehrseite der Dinge, die sich uberall, wie auch beim Menschen, leichter kenntlich, ubersichtlicher und ohne komplizierten Ausdruck oder vielseitige Linienfuhrung darbietet. Und so findet man auch in der Regel, daß das Selbstbewußtsein dieser Menschen sich daran aufzurichten pflegt, daß sie die Schattenseiten anders gesinnter Bruder oder fernliegender Dinge zuerst, oder gar ausschließlich entdecken, und da es leichter ist, etwas zu tadeln, als etwas zu begreifen, so findet dieses Selbstbewußtsein fast stundlich Nahrung und entwickelt sich auf das prachtigste. Panja meinte einmal, nachdem wir unsere ersten Bekanntschaften hinter uns hatten:
≫Diese Herren sind wie der Konig von Schamaji, immer herrschen sie, aber man weiß nicht, warum oder uber wen.≪
Wahrhaft Bescheidene fordern nicht heimlich den Dank fur ihre Beschaffenheit ein, und es ist immer ein wenig peinlich, wenn Dienstboten sich deshalb fur etwas Besonderes halten, weil ihre Herrschaft etwas Großes geleistet hat. Trotzdem ist mir ein Beweis inniger Glaubenskraft erbracht worden, und da ich durch die bezeichnenden Worte, welche ich uber diese Leute vorangeschickt habe, ungern in den verponten Ruhm kommen mochte, auf der Bank der Spotter zu sitzen, will ich die Geschichte so folgen lassen, wie ich sie gehort habe:
In einer Gebetsversammlung dieser kleinen christlichen Gemeinde erhob sich jungst eine Missionsfrau, die aus den dunkleren Provinzen des im ubrigen so gesegneten Konigreichs Wurttemberg stammte und die in ihrer Beziehung zur Einfalt in der Gottesfurcht etwas geradezu Außerordentliches leistete. Sie sagte nach kurzem Gebet, das in solchen Versammlungen laut und allgemein verrichtet zu werden pflegt, daß es Gott dem Herrn in seinem unerforschlichen Ratschluß gefallen habe, ihre neben ihr sitzende, bereits erwachsene Tochter Helene mit einem Bandwurm zu schlagen. Darauf forderte sie die Gemeinde in bekummertem Werben von geneigter Stirn instandig auf, Gott mit ihr und ihrem Kinde gemeinsam um das Ausscheiden des unangenehmen Parasiten anzuflehen. Ihrem Ersuchen wurde bereitwillig stattgegeben, und Manner und Frauen der Versammlung beschaftigten sich eine angemessene Zeitlang vor Gottes Augen in inniger Furbitte mit dem Bandwurm der jungen Dame und mit der Laufbahn, welche fur die Zukunft dieses merkwurdigen Tiers erhofft wurde.
Am Schluß der Versammlung erklarte eine freundliche Beisitzerin im Saale, daß sich in ihren Privatbestanden ein wirkungsvolles Mittel befande, dem auch ein energischer Bandwurm nicht zu widerstehen in der Lage sei, und dieses Medikament wurde mit Dank angenommen. Schon in der nachsten Zusammenkunft konnte die Mutter der aufhorchenden Gemeinde die Mitteilung machen, auf wie wunderbare Art die Kraft der gemeinsamen Furbitte bei ihrer Tochter gewirkt habe. Sie erzahlte mit bewegter Stimme den Versammelten, daß der Bandwurm gekommen sei, augenscheinlich im bereits entschlafenen Zustande, daß sich aber ein großer Frieden in seinen Zugen ausgedruckt habe. --
Daß Gottes Hand sichtbar uber dem Wohlergehen dieser opferfreudigen Leute waltet, geht auch aus einer anderen, nicht weniger eigenartigen Geschichte hervor, die mir in Mangalore von einem sehr erfahrenen und im Heidendienst erprobten Manne erzahlt worden ist. Als sich dieser Herr zu Beginn seiner Laufbahn an einem schonen Abend auf der Veranda seines Hauses aufhielt, erblickte er plotzlich einen Tiger, der die Treppe vom Garten emporkam. Gott gab dem besturzten Manne jedoch rechtzeitig einen guten Gedanken ein, der zur Errettung fuhrte. Auf der Terrasse stand zum Gluck, von der letzten Kinderlehre im Freien her, noch das Harmonium, ein besonders in pietistischen Glaubenskreisen recht beliebtes Erbauungsinstrument, das auch in indischen Missionen hier und da Verwendung findet, obgleich es den Einwirkungen des Klimas nur selten zu widerstehen vermag. Auf dieses Instrument sturzte sich der beklommene Mann und begann, in zuversichtlichem Glauben an seine Aussichten, den bekannten schonen Choral zu spielen:
Wie soll ich dich empfangen Und wie begegn' ich dir?
Der Tiger soll sich sofort entfernt haben, um den Schutz der Wildnis aufzusuchen.
* * * * *
Eines Nachmittags, als ein Handler aus Kaschmir seine bunten Messingvasen und Stickereien auf meiner Veranda zur Schau ausbreitete, kam ein Bote aus der Stadt und blieb nach Art der eingeborenen Diener bescheiden am Aufgang zur Treppe stehen, eine Anrede erwartend. Es kamen zu vielerlei kleine Nachrichten fur Panja oder den Koch, als daß ich den Fremden sonderlich beachtete, er rausperte sich nach einer Weile dezent, und als ich hinubersah, legte er die Hand an die Stirn und verneigte sich zum zweiten Male. So ging es mich an, und ich winkte ihm.
≫Du kommst mir gelegen,≪ sagte ich, ≫wie viel Wert hat nach deiner Meinung dieser mit Gold bemalte Vorhang, du bist unparteiisch, sag' es mir.≪
Der Fremde prufte das Tuch und die Arbeit aufmerksam, mir schien aber, als besanne er sich dabei auf einen Ausweg, zugleich meiner und der Forderung des Handlers gerecht zu werden. Dann sagte er:
≫Ich kenne den Wert dieser Arbeiten nicht genau, aber ich kenne Dewan Chundar, den Kaufmann, der dich bedient, und weiß, daß er gerecht und vorsichtig ist.≪
≫Wenn er es nicht ware, so konnte er es von dir lernen≪, sagte ich. Die Antwort gefiel mir, und ich betrachtete den Ankommling genauer. Seine Gewandung war sorgfaltig und gut und ohne Anlehnung an die europaische Kleidung, der rote Turban war aus Seide, das weiße Huftentuch breit gelegt, und es reichte, wie eine weite Pumphose, bis an die Knie, ein kurzes Jackchen aus dunklem Tuch, wie es die Perser in Bombay tragen, verhullte Brust und Arme.
≫Und du selbst? Was fuhrt dich zu mir?≪
≫Mein Herr bittet dich, ihn morgen um diese Stunde zu erwarten, er dankt dem fremden Sahib fur seine Bitte.≪
≫Du dienst dem Brahminen Mangesche Rao?≪
≫Mein Herr ist Bahadur Mangesche Rao.≪
Der stille Sklave erhielt eine Silberrupie, mein Herz schlug vor freudiger Uberraschung. Eigentlich ohne rechte Hoffnung auf den Erfolg meiner Muhe war ich dem Rat des Kollektors gefolgt und hatte den Brahminen in einem Brief angegangen, ob er willens sei, mir Unterricht im Sanskrit und in der Geschichte seines Landes zu geben. Mir war in den letzten Wochen zumut gewesen, als mußte ich mir durch meine leichtfertigen Umtriebe in der Stadt das Vertrauen dieses ernsten Politikers und Diplomaten verscherzt haben, denn ich fiel auf, da ich mich sowohl anders als die Englander benahm, als auch die Gebrauche der Missionare nicht eben zum Vorbild wahlte. Sonst gab es wenig Europaer in Mangalore. Panja hatte mir allerlei Lustiges uber die Bilder berichtet, die man sich im Volk von mir machte, ich galt hier als verkappter Spion der englischen Regierung, dort als Perlenhandler und im niedern Volk als Zauberer, weil ich einmal mit einem Taschenkunstler in Konkurrenz getreten war, der noch niemals ein Spiel franzosischer Karten gesehen hatte und von der Volte so wenig verstand, wie ich vom Schlangenbandigen.
Nun, es erschien, als habe der Brahmine weiter nicht Anstoß an meinem Ruf genommen. Der Handler erhielt den geforderten Preis und benutzte den Rest des Tages zum gemachlichen Einpacken seiner Schatze, offenbar hatte das Geschaft, das er mit mir gemacht hatte, ihm ermoglicht, sich fur einige Wochen ins Privatleben zuruckzuziehen. Ich rief nach Panja.
≫Ich weiß schon,≪ sagte er kalt, ≫du ziehst Verbrecher ins Haus. In kurzer Zeit werden wir alle drei gehangt werden.≪
≫Woher weißt du denn, wer kommt?≪
≫Du hast es mir ja selbst gesagt, Sahib.≪
Ich war uberzeugt, es nicht getan zu haben, konnte aber nicht fur mich burgen. Die Tatsache, mich bis ins kleinste beobachtet zu finden, uberraschte mich immer wieder, aber Neugierde ist die heiligste Pflicht eines indischen Dieners, und es erscheint einem oft, als stunden Todesstrafen auf Verschwiegenheit. Sicher war, daß Panja diesem Besuch ungern entgegensah, er haufte alles an Schmahungen und Verdachtigungen an, was er aus einem zweitausendjahrigen Ruf dieser Kaste nur immer in Erfahrung gebracht hatte. Trotzdem gewahrte ich deutlich eine Scheu, jene alte Achtung, die allen Kasten den Brahminen gegenuber eigentumlich ist, und die kein Haß und keine Furcht verdrangt haben.
Mangesche Rao kam am nachsten Tage mit großer Punktlichkeit genau zur angegebenen Stunde. Er ritt durch das Gartentor ein, bis dicht vor die Holztreppe der Veranda. Der Diener, der sein Pferd am Zugel fuhrte, diesmal ein anderer, meldete seinen Herrn durch einen gedampften Zuruf an, der mir in seiner seltsamen Feierlichkeit und seinem eindringlichen Pathos unausloschlich im Gedachtnis geblieben ist. Panja erschien, ernst und wurdevoll.
Der Brahmine schritt die Treppe erst empor, als ich ihm in der Tur entgegentrat, er reichte mir nach europaischer Sitte die Hand, das einzige, was mich außer seiner Erscheinung in seinen Gewohnheiten an seine Kaste mahnte, war die eigentumliche rituale Vorsicht, mit der er seine Schuhe an der Schwelle der Tur ablegte, um das fremde Haus mit nackten Fußen zu betreten. Er buckte sich dabei nicht, die safranroten sandalenartigen Schuhe blieben zuruck, wie durch einen Zauberspruch von den Fußen gelost.
Wahrscheinlich wird mein Gast sich keine Vorstellung von dem Eindruck gemacht haben, den seine Erscheinung von den ersten Augenblicken an auf mich machte. So groß das Selbstbewußtsein eines Menschen sein mag, der sich seines Werts bewußt ist, immer wird ihn vom unbedingten Glauben seiner Wirkung die Erkenntnis abhalten, daß ein anderer nur so viel wurdigen kann, als er beansprucht, und in dieser Hinsicht lag fur den Brahminen gewiß kein Grund vor, von mir ein besonderes Erfassen seiner Vorzuge anzunehmen. Ich war uberrascht, wie jung er wirkte, als ich sein Alter erfuhr. Nicht allein sein sorgfaltig rasiertes und sehr schmales Gesicht ließ daruber in Zweifel, sondern vor allem seine ungewohnlich schlanke Gestalt und die Anmut seiner Bewegung, die allerdings weit von jeder Gefallsucht entfernt war. Als seine Augen, dunkel aus dem hellen Braun des Gesichts, unter dem gelben Seidenturban hervor, zum ersten Male in die meinen sahen, erfaßte mich wie ein Taumel von Begierde, Befriedigung und Stolz eine Ahnung vom Geist der Jahrtausende, die ihrem spaten Sohn den Glanz ihrer Kultur wie einen Kranz um die Schlafen gelegt zu haben schienen. Etwas vom Zauber jener Traume meiner Jugend, die unter dem Namen Indien in mir erwacht waren, begluckte mich, und mir erschien, als stunde ich erst heute wahrhaft vor den Toren seiner Geheimnisse.
Die fremden Augen sahen mich bei den ersten Worten unserer Unterhaltung an, als lage dem Sinn dieses Mannes nichts so fern, als mich zu prufen. Es ist das erstemal gewesen, daß diese Bescheidenheit der Uberlegenheit mir wohltat, ich begriff, wie viel Unsicherheit, wie viel Abwehr und falsche Besorgnis in jenem Prufen liegt, mit dem wir in den meisten Fallen einer neuen Bekanntschaft beginnen oder empfangen werden. Diese Unbeteiligtheit der Augen wirkte hoflich und verbreitete eine Gelassenheit, als gabe es in der Welt nichts Naturlicheres, als unsere Zusammenkunft. Ich dachte an die Erzahlung des Kollektors und mußte uber seinen Eifer lacheln, mit dem er sich bemuht hatte, mir ein Bild dieses Mannes zu entwerfen, ich begriff, wo die Besorgnis des Englanders ihren Ursprung hatte, und war uber nichts so glucklich, als daß kein politisches Interesse den Brahminen und mich zusammengefuhrt hatte.
So mag es gekommen sein, daß ich ohne Ruckhalt, ohne kleinliche Vorsicht und in heiterer Offenheit zu diesem Manne sprach, und er schien rasch zu bemerken, daß ich nichts zu verlieren furchtete, als seine personliche Achtung. Es war erstaunlich, wie richtig er aus den Außerungen meines Temperaments auf meine Gesinnung schloß. Offenbar hatte er, ohne falsch oder auch nur vorsichtig zu erscheinen, schon nach der ersten halben Stunde unserer Unterhaltung eine ganze Reihe heimlicher Prufungen vorgenommen, deren Resultat den Rest seiner Befurchtungen zerstreute. Wir sprachen von der englischen Regierung, er lobte ihre Umsicht, die Rede kam auf die deutsche Mission und Mangesche Rao sagte, hoflich gegen mich, als den Landsmann ihrer Vertreter, das Beste uber diese Leute, was sich uber sie sagen ließ.
Ich war jung genug, nicht ohne weiteres zu dulden, daß ich mit diesen Propheten der heiligen Einfalt zusammen das Deutsche Reich in Indien reprasentieren sollte, und sagte:
≫Die Leute sind einfaltig.≪
≫Das schließt ihre Aufrichtigkeit nicht aus≪, meinte Mangesche Rao, doch ich konnte mich nicht enthalten, hinzuzufugen:
≫Sie mussen Ihnen wenig schaden, da Sie so nachsichtig sind.≪
Mangesche Rao lachelte, meine Unvorsichtigkeit schien ihm wohlzutun, und so bemerkte er leichthin:
≫Wir begegnen einander nur auf Gebieten, die wir ihnen uberlassen.≪
Seine Meinung uber die Jesuiten unterschied sich wesentlich von der uber die protestantische Mission, und aus den Anspruchen, die er durch die Wirksamkeit und Eigenart dieses Ordens befriedigt sah, merkte ich rasch, wie wenig ihm alles galt, was nicht im Geistigen zu suchen war.
Aus keiner Einzelheit, die unsere Unterhaltung beruhrte, war bisher zu entnehmen, daß mein Gast sich auch nur beilaufig um Politik bekummerte, ja auch nur das kleinste Interesse am Ergehen des Landes, an seiner wirtschaftlichen oder sozialen Lage nahm. Ich war vorubergehend in Zweifel, ob sich der Kollektor nicht mit seiner Annahme im Irrtum befand und die Unschuld seines vermeintlichen Gegners fur hochste Verstellungskunst gehalten hatte.
Die Sonne trieb ihr buntes Spiel im ruhigen Raum, der Besuch saß im gedampften Licht, und sein Anblick erfullte mich mit der stolzen Freude des Gastgebers einem ungewohnlichen Fremden gegenuber. Der blaue Vorhang, den ich am Tage vorher erstanden hatte, schmuckte die Wand meines Zimmers als Hintergrund, und die Schultern, das glanzende schwarze Haar und das gedampfte Seidengelb vom Turban Mangesche Raos hoben sich unwirklich und fremdartig davon ab, mir erschien der Anblick zuweilen wie ein Bild aus der Marchenwelt von TausendundeineNacht. Panja, lautlos und vorsichtig, brachte Tee und Tabak, ich war nicht wenig daruber erstaunt, als ich sah, wie tief und feierlich er den Brahminen begrußte, der durch einen Blick dankte, ohne auch nur die Stirn zu neigen.
Es schien dem Gast nach einer Weile in Frage und Antwort doch zu hastig zu gehen. Die vornehmen Inder verkehren mit den Europaern in außerordentlich gesetzter Weise und haben sich in ihrem Umgang mit den Herren ihres Landes daran gewohnt, das Wort als ein Mittel zu betrachten, um die Gedanken zu verbergen. Diese Kunst haben sie gewiß nicht erst in ihren Kampfen mit den mohammedanischen oder englischen Eroberern gelernt, aber sie sind zu oft getauscht worden, um nicht mißtrauisch zu sein, bis zur Verstecktheit. Wie ich Mangesche Rao spater kennen lernte, lag seiner Natur der Freimut naher als die Verstellung, aber zu Beginn unserer Bekanntschaft prufte er meine Außerungen wieder und wieder darauf hin, was sie hinter ihrem Wortlaut bedeuten mochten, oder was daruber hinaus. Das ließ ihn oft zogern oder schweigen, und ich erkannte bald, daß mein bestes Mittel, ihn rascher zu Vertrauen zu gewinnen, sicherlich eine gewisse Gleichgultigkeit gegen jede Vorsicht war. Aber welcher Vorsichtige erwagt nicht, selbst vor der arglosen Gebarde einer Preisgabe, die Moglichkeit eines Mittels zu verborgenem Zweck? Mangesche Rao wahlte geschickt einen Weg, der ihm Gelegenheit zu beilaufigem Beobachten und Schweigen gab, er nahm vom Nebentisch ein Schachbrett und begann, wie in Gedanken und scheinbar unbeteiligt, die Figuren zu ordnen.
Das Spiel, das sich alsbald zwischen uns ergab, war sehr erheiternd fur mich, aber es dauerte nur kurze Zeit. Der Brahmine sagte mir nach dem vierten Zuge, den ich machte, mit hoflichem Bedauern mein unvermeidliches Geschick voraus und fragte mich, auf welchem Feld des Bretts mein Konig am liebsten seinen Untergang erlebte. Ich gab es an, und der holzerne Furst rutschte, eine Weile von eigenen und fremden Kriegern bedrangt, wie ein gescholtener Kuli hin und her, bis er seine unruhmliche Herrschaft, von einem feindlichen Bauern aus dem Hinterhalt uberfallen, auf jenem Felde aufgab, das ich bestimmt hatte.
≫Dem geht es ahnlich unter Ihrem Verstand wie dem englischen Kollektor≪, sagte ich und lachte.
Ohne Besinnen antwortete mir Mangesche Rao:
≫Uberschatzen Sie die kleine Arbeit nicht, die dem Beamten zu schaffen macht, ich hoffe, das alles einmal wirkungsvoller zu sagen.≪
≫Also Sie haben es geschrieben und geben es ohne weiteres zu?≪
≫Was ich unter vier Augen zugebe, kann ich unter sechs ohne Muhe widerrufen. Aber glauben Sie, daß mir von einer Regierung Gefahr droht, die nicht den Mut hat, unumwunden zu fragen, aus Furcht eine Antwort zu erhalten, die sie zu einem Eingriff zwange? Mich schutzt nicht meine Geschicklichkeit, sie war zur Halfte Nachsicht gegen die Personlichkeit dessen, der sie nicht zu ubertreffen vermochte; was mich schutzt, sind die Macht und der Wille der Gleichgesinnten im Reich.≪
≫So wissen Sie auch, daß ich zuweilen ein Gast des Kollektors war?≪ fragte ich, aufs hochste angeregt.
Mangesche Rao nickte. ≫Es ist leichter fur uns, in Mangalore einen Europaer zu beobachten, als umgekehrt. Zu Anfang habe ich den Gedanken erwogen, Sie mochten mich im Interesse der englischen Regierung zu sich geladen haben, deshalb bin ich gekommen. Aber dieser Gedanke war falsch.≪
≫Was burgt Ihnen dafur?≪
≫Ihr Bemuhen, arglos zu erscheinen,≪ sagte der Brahmine und lachelte, ≫auf diese Art versuchen es nur Leute, die es sind.≪
Ich lachte, und da er ernst blieb, fragte ich:
≫Und wenn ich nun, Ihrer Meinung zum Trotz, vielleicht nur aus gleichgultigem Unterhaltungsbedurfnis, dem Kollektor Ihr Gestandnis erzahlte?≪
≫Sie wurden sich weder Dank erwerben, noch Schaden tun≪, meinte der Brahmine, ohne ein Anzeichen von besonderem Interesse. ≫Es ist niemandem wichtig, Dinge zum zehnten Mal zu horen, die er weiß.≪
Der Tag verlief damit, daß ich Mangesche Rao meine in seinem Lande verbrachten Tage von Anfang bis zu Ende erzahlte. Ich sprach nicht nur von Ereignissen, sondern auch von den Empfindungen, welche mich bewogen hatten, sie zu suchen. Er horte mir mit ruhigen Augen zu, warf hier und da eine Frage ein, die mir sein Verstandnis erwies und mich zu immer großerem Freimut bewegte. So gestand ich ihm endlich auch den Grund ein, aus welchem ich ihn gebeten hatte mein Haus aufzusuchen, und seine Freude war nicht ohne Stolz, als er mir auf seine vornehme Art versicherte, das Beste seines geistigen Eigentums sei so weit das meine, als ich Verlangen danach truge.
≫Ich begreife den Geist, der Sie in die Welt hinaustreibt,≪ sagte er zum Abschied zu mir. ≫Immer erfaßt bei allen Volkern Einzelne diese Rastlosigkeit, sie finden nirgend Ruhe und mischen die Welt. Mit ihnen gehen Segen oder Unsegen, und diese entstehen nach dem Maße des Werts solcher Menschen. Die Einen treibt ihre ungebandigte Fulle hinaus, die Anderen ihre Leere. Die letzteren glauben bereichert zuruckzukehren, aber sie lassen uberall nur Unordnung und Verwirrung zuruck, auch bringen sie in Wahrheit nichts heim, denn in leeren Kopfen ist am wenigsten Platz. Die Reichen aber geben, indem sie suchen, und der Notstand ihrer Wanderung gereicht oft denen zum Nutzen, die ihnen begegnen.≪
Dreizehntes Kapitel
Das letzte Feuer und der alte Geist
Es war damals noch die Zeit des ≫Prabuddha Bharata≪, des erwachten Indiens. Die Auslaufer des großen Geistesstromes hatten weit uber das Land hin die Gemuter zu neuem Glauben an eine Einigung der Volker unter dem Licht der urvaterlichen Religion befruchtet. Die Wirkung Brahma-Samajs, der die Veden, besonders aber die Upanishads im Sinn eines geklarten Theismus auslegte, hatte uber die Finsternis des Gotzendienstes und Aberglaubens hin, den Versuch einer sozialen Reform hervorzurufen, die mit Raghunatha Rao einsetzte und sich in eigensinnigen Kampfen zuerst gegen den Kastengeist wandte. Der Name Swami Vivekanandas klang wie ein heller Weckruf durch das schlafende, unterdruckte Land, aber die schwelende Flamme dieser neuen Wahrheit schlug niemals zum vollen Glauben an die Freiheit empor.
Es folgten diesen Propheten der Erhebung andere. Die verschiedenen Richtungen der Auffassung zerteilten ihre Anhanger zu Parteien, und was im Sinn einer Einigung zu einer neubelebten Landesreligion begonnen hatte, artete in Parteigezank aus, und als gar europaische Agitatoren sich der großen Sache annahmen, wuchs das Mißtrauen der Menge. Der Gedankenstrom geriet hier in buddhistische Geistesbahnen, dort in den Einfluß christlicher Ideen, und die englische Politik, sich dessen wohl bewußt, daß die Macht ihrer Einigkeit von der Zersplitterung der feindlichen Parteien abhing, verwertete die verschiedenen Regungen geschickt zu ihrem Vorteil und spielte sie gegeneinander aus.
Dadurch ergab sich naturgemaß, daß die zu Beginn dem Aufbau einer erneuten Landeskirche zugedachten Reformen mehr und mehr ein politisches Geprage bekamen, die fanatischsten Anhanger der erneuten Religion sahen in ihr bald ein Mittel zur Befreiung des Landes von der englischen Herrschaft, und mit diesem Umschwung war das Herz der Sache todlich verwundet, und ihre Kraft versickerte im Vielerlei einer von Tendenz und Leidenschaft erfullten nationalen Bestrebung.
Ich erfuhr von diesen Dingen zum ersten Mal durch den Brahminen Mangesche Rao, dessen aufrichtiger Glaube an die Moglichkeit eines geeinten Indiens mich hinriß, wie auch sein Haß gegen England, welche beide im Verlauf unserer Beziehung immer unverhohlener zutage traten. Ich gewann Mangesche Raos Vertrauen in dem Maße, als er an meine Anteilnahme glauben lernte, und wenn er auch, mehr einem Prinzip als eben einer Befurchtung folgend, alle praktischen Einzelheiten vor mir geheimhielt, so gewann ich doch bald einen allgemeinen Einblick in das Interessengebiet des politisch kampfenden Indiens. |
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