2014년 12월 29일 월요일

Indienfahrt 4

Indienfahrt 4

Wir waren am Tage an Felsauslaufer des Gebirges gekommen, in deren
Schluchten der Dschungel sich aufwarts erstreckte, um sich mehr und mehr zu
lichten. In den Felsspalten floß klares Wasser, und als wir endlich
umkehrten, da der Boden zu zerkluftet und verwachsen war, kamen wir an ein
kleines Dorf von etwa zehn Laubhutten, das Itupah hieß. Unweit dieser
Niederlassung hatten wir die Zelte aufgeschlagen und die Lagerfeuer
angezundet. Die Leute waren gekommen, um uns Fruchte anzubieten, hatten
sich aber bald zuruckgezogen, da unsere Geratschaften ihnen allzu magisch
und gefahrdrohend erschienen waren.

Ich konnte nicht einschlafen. Die Stimmen der wilden Tiere und der Mond
storten mich. Panja war in das Hindudorf geschlichen, um Liebesabenteuer zu
bestehen, er benutzte die Aufregung, die meine Gegenwart in Itupah
hervorgerufen hatte, um darzutun, wie berechtigt sie war. Ein paar Flecke
Mondlicht lagen am Zelteingang wie Papierschnitzel, und die Grillen fullten
die Luft mit ihrem Zirpen, als wurde feiner Silberdraht gefeilt von vor
Hast toll gewordenen Straflingen.

Es raschelte in der Zeltecke, und als ich hinubersah, entdeckte ich ein
kleines Tier, das ich anfanglich fur einen Marder hielt. Es saß totenstill
da, nachdem meine Bewegung es mißtrauisch gemacht hatte, und sah mich mit
zwei riesengroßen schwarzen Augen an, die sehr weit vorn und dicht
beieinander saßen, wie bei einem Affen. Das zierliche Kopfchen war nicht
viel großer als eine Walnuß in ihrer grunen Schale, und die Farbung des
Fells erschien mir graubraun, wie bei einem Eichkatzchen im Winter.

Der Kleine gefiel mir außerordentlich, und ich versuchte Anschluß an ihn zu
gewinnen.

≫Treten Sie naher≪, sagte ich und pfiff leise ein paar immer gleiche Tone
in die dammerige Nachtluft. Das Tierchen ruhrte sich nicht, und ich sann
auf ein Anlockungsmittel. Als ich eine Bewegung mit der Hand machte, um ihm
ein englisches Biskuit anzubieten, das neben mir lag, tat es einen
lautlosen Ruck, und der Zeltwinkel war leer. Aber nach einer Weile huschte
es wieder wie ein Schatten durch die Mondflecke, der kleine Fremde war
wieder da, offenbar wurde er durch seine Neugier geplagt.

Die beiden schwarzen Augenkugeln saugten, weit geoffnet und starr vor
Erstaunen, meine Erscheinung in sich auf, ich bin noch niemals so
angeglotzt worden. Der Kleine schien furchtbar aufgeregt vor Begierde,
herauszubringen, was es fur eine Bewandtnis mit mir hatte, und was mich aus
meinem entlegenen Lande nun gerade in die Nahe der Menschenstadt Itupah und
dort in die Gegend seiner Behausung gefuhrt haben mochte. Ich hatte es ihm
nicht sagen konnen. Aber enttauschen wollte ich ihn auch nicht.

≫Haben Sie Familie?≪ fragte ich leise.

Fort war er. Die Frage mag fur den Beginn einer Bekanntschaft vielleicht
etwas zudringlich gewesen sein, aber nach einer kurzen Weile kam der Kleine
doch wieder, diesmal genau an derselben Stelle, zwischen unsern Salzglasern
und Panjas Sandalen. Er schien nun bemerkt zu haben, daß meine Worte nicht
so gefahrlich waren, wie er anfanglich angenommen hatte, und kam ein wenig
naher, um besser glotzen zu konnen.

Es tat mir leid, daß ich nichts anzubieten hatte, und daß meine
Gastfreundschaft sein Mißtrauen erregte.

≫Es scheint, Sie leben des Nachts,≪ begann ich vorsichtig, ≫ich entnehme es
Ihren Augen und der Tatsache, daß wir uns zu dieser Stunde begegnen. Ich
bitte Sie darum, keine falschen Schlusse aus den vielerlei Geratschaften zu
ziehen, die Sie hier erblicken, im Grunde bewegt uns lange aufrechte Wesen
kein anderer Herzensdrang als euch. Es laßt sich so leicht sagen: das
Gluck, im Sonnenschein in der Welt zu sein, die Liebe und der Schlaf.
Daruber wacht etwas, wie eine unermudliche Hoffnung, es mochte eines Tages
alles noch um vieles herrlicher werden. Das spricht auch aus deinen großen
Nachtaugen; und ist die Begierde, die dich herzutreibt, im Grunde etwas
anderes, als die meine, die mich veranlaßte, in die Wildnis deiner Heimat
zu kommen?≪

Da antwortete mir ein heller, boser Pfiff, der mir durch Mark und Bein
ging, und gleich darauf erscholl, als Entgegnung, ein argerliches Zischen
im Laub meines Lagers. Nun galt es, still zu liegen, das ware ein
verdrießlicher Abschluß meiner Dschungelfahrt gewesen...

Ich wußte nun, wen ich vor mir hatte, aber bei weitem wichtiger war mir,
wen ich in meiner unmittelbaren Nahe in den welken Blattern wußte. Das
kleine Tier vor mir begann sich sanft und sonderbar zu schaukeln und
brachte dabei hell und stoßweise einen halb gepfiffenen, halb geknarrten
Ton hervor, der der Gefahrtin meines Lagers galt. Nun quoll es dicht unter
meinen Augen aus dem Reisig hervor, wie das Rinnsal einer dicken, dunklen
Flussigkeit und suchte den Ausgang zu gewinnen. Ein kleiner Schatten vom
Zeltrand her huschte der Schlange blitzschnell nach, und draußen begann fur
eine kurze Weile ein von Fauchen, Zischen und Schnarchen wildbewegtes
Rascheln und Schleifen. Dann wurde es still, und ich horte nur die
Hammerschlage meines Herzens und sah die weißen Papierschnitzel des
Mondlichts, bis langsam die eintonige Grillenmusik wieder die Nacht
beherrschte. Mir war, als habe sie geschwiegen, wahrend sich ein Schicksal
unter den Geschopfen des Nachtvolks vor meinen Augen abgespielt hatte.

Wie eigenartig unterscheiden sich oft unsere Erwartungen von den
Erscheinungen selbst! Ich hatte von diesem merkwurdigen Tier oft gehort,
das in Indien als der argste Feind der Schlange gepriesen wird, und das
sogar oft von den Englandern wie ein Haustier zum Schutz gegen die Kobra
gehalten werden soll, aber ich hatte mir die Erfullung meines Wunsches,
diesem Tier einmal zu begegnen, anders vorgestellt. Was hatte sich mehr
zugetragen, als ein von wenigen Rufen des Kampfes, der Angst und der
Lebensgier zerrissenes Huschen und Springen? Schattenhaft, fast unwirklich
war es geschehen, grau, im Halbdunkel und ohne jene pathetische Gebarde,
die erst die Erkenntnis langsam dem Ereignis verleiht. Erst die Erinnerung
erschafft die Gestalten der Helden. War dies alles? Wie wird es uns mit dem
raschen, kleinen Leben ergehen, das wir in Erwartungen dahinhuschen lassen?

                  *       *       *       *       *

Oft, wenn ich von unserm Zelt aus mit der Buchse und Elias den Dschungel
durchschweifte, sah ich vom Flußufer aus die Alligatoren in der Sonne
liegen. Sie sonnten sich auf den Sandbanken und lagen kreuz und quer
durcheinander, einmal lagen sogar zwei aufeinander, das war peinlich. Der
Ausdruck ihrer sehr ausgedehnten Gesichter war in der Regel ungemein
vergnugt, die winzigen Auglein funkelten frohlich, und die riesigen, oft
weit geoffneten Mauler zeigten deutlich einen Hang zum Lacheln. Man merkte
den Tieren an, wie wohl ihren knorpligen Schuppenhauten die Sonnenglut tat,
und entschloß sich schwer, etwas Boses von ihnen anzunehmen. Zuweilen
gluckst etwas in ihren gelben Halsen, die zart und weich wie Wachs sind.

Ich habe niemals welche gesehen, deren Lange zwei Meter uberschritt, ihre
afrikanischen Geschwister scheinen einem anderen Volksschlag anzugehoren
und mehr Wert auf die Einschuchterung der Menschen zu legen. Zuweilen schoß
ich auf eine dieser riesigen Eidechsen, aber meine Kugel wirkte nie so
ausschlaggebend, daß das verwundete Tier nicht noch Zeit gewann, ins Wasser
zu schnellen. Es kann auch sein, daß ich niemals getroffen habe. Nachdem
der Donner des Schusses verhallt war, war die Sandbank fur gewohnlich leer.
Diese Tiere haben eine geradezu verletzend geschwinde Art, sich zu
empfehlen, sie schießen ins Wasser wie Torpedos, es ist unmoglich, eine
Bewegung ihrer Beine zu unterscheiden, und es erweckt den Anschein, als
waren sie an gestrafften Gummibandern mit dem Wasser verbunden und wurden
plotzlich losgelassen. Sie schwimmen prachtig und erinnern in der Flut an
Hechte, sind aber außerordentlich scheu und werden nur kleinerem Rotwild
gefahrlich, das sie an der Tranke uberraschen.

Ich warf ihnen eines Morgens die Uberreste einer erlegten Hirschantilope
zu, von der ich nicht mehr als ein Ruckenstuck hatte genießen konnen, und
die sonst die Sonne oder die Schakale vernichtet hatten, und erschrak uber
die sinnlose Gier dieses Flußgesindels. Es dauerte kaum eine Minute, bis
der Korper des Tiers in einem dahintreibenden blutigen Schaumbecken, in
hundert Fetzen zerrissen, verschwunden war. Am Mittag lagen die Ungeheuer
wieder in der Sonne und lachelten, wahrend der breite, trube Strom gurgelnd
dahinzog und den Sonnenschein in morderischen Lichtpfeilen in die
schmerzenden Augen schleuderte, die die Dschungeldammerung verwohnt hatte.

Einmal saß ich in der Nahe unseres Zeltes in den Rankenverschlingungen der
Luftwurzeln eines wilden Feigenbaumes in der Morgensonne am Fluß und putzte
meine Jagdflinte, als es neben mir in den Mangroven raschelte. Als ich mich
umwandte, sah ich einen kleinen Hinduknaben vor mir stehen, der vor Schreck
vollig erstarrt war. Seine Augen schienen leblos geworden, wie zwei
schwarze, runde Spiegel, und sein Mund stand offen. Es war recht
begreiflich, denn ich hatte gebadet und so viel am Leibe, wie man ohne
Ubertreibung etwa mit nichts bezeichnen kann. Offenbar hatte der Kleine auf
seinem Morgengang zum Fluß alles andere erwartet, als solch ein weißes
Ungetum vorzufinden, das ihn angrinste.

Er zitterte heftig und schluckte, wagte aber keine Bewegung. Dies war
schlimmer als der Tiger, es war ein furchtbarer Waldspuk. Uber und uber
weiß war dies fremde Wesen, das da vor ihm eine unfaßliche blanke Sache
uber den Knien hielt, triefte und glitzerte und Augen hatte, in die man
nicht hineinschauen konnte, ohne seinen Untergang zu riskieren. Als aber
dies dampfende Ungeheuer nun plotzlich nieste, entwand sich der gequalten
kleinen Brust, die ganz mit Entsetzen angefullt war, ein lauter Jammerruf
und wahrscheinlich machte der Kleine innerlich einen raschen Strich unter
sein verflossenes Dasein und beschloß es in seinen Erwartungen endgultig.
Jedenfalls fiel er zu Boden, preßte sein Gesicht in die Pflanzen und stieß
wieder und wieder denselben monotonen Klagelaut hervor, in dem er sich
wahrscheinlich dem besonderen Wohlwollen irgendeines Gotzen empfahl.

Es kam mir gar nichts in den Sinn, was ich etwa anstellen konnte, den
gebrochenen, kleinen Mann zu beruhigen. Wenn ich ihn beruhrt hatte, so ware
er vor Angst gestorben, so ließ ich ihn einstweilen liegen und stellte
fest, daß sich seine Toilette in einer ahnlichen Etappe der Entwicklung
befand, wie die meine. Dann verfiel ich darauf, ihm eine arglose und
sinnvolle Weise vorzupfeifen, die nach meiner Uberzeugung etwas
Beschwichtigendes enthielt, erst wahlte ich ein altes Wiegenlied, dann
einen Choral und endlich ≫Heil dir im Siegerkranz≪.

Das wirkte. Mein Freund drehte das dunkle Kopfchen am Boden so weit, daß er
mich mit dem einen Auge bis etwa an meine Knie hinauf betrachten konnte.
Daß ich Menschen fraß, war immer noch sicher fur ihn, aber es schien doch,
als wenn ich es nicht besonders eilig damit hatte. Ich gab ihm nun in
zuruckhaltender Weise zu verstehen, daß er sich erheben sollte, und er
gehorchte, immer noch am ganzen Korper zitternd, aber sichtlich erstaunt
daruber, daß ich wie ein vernunftiger Mensch zu sprechen verstand und noch
dazu in seiner Sprache. Er bestand gewissermaßen nur noch aus Augen, und in
ihnen brannte nur ein einziger Wunsch, der, sich auf moglichst unauffallige
Art empfehlen zu durfen; glotzen ließ sich weit besser aus einem Versteck,
und was konnte aus dieser Annaherung gutes kommen?

Aber er anderte seine Meinung doch, als ich nach meinen Kleidern tastete
und ihm eine Kupferanna unter die Augen hielt. Zunachst war sie da, das
ließ sich begreifen, aber nur langsam dammerte in seinem Kopfchen der
Glaube hervor, daß sie ihm gehoren sollte. Das war schlechthin unmoglich.
Als ob er den Wert dieser runden Metallplattchen nicht kannte, die sein
Vater zuweilen aus den Hafenstadten mitbrachte, wenn er Pfeffer oder
Ingwerwurzeln hinabgetragen hatte, und mit Hilfe derer man alles erlangen
konnte, alle Herrlichkeiten der Welt, buntes Tuch, die Sußigkeiten der
Basarstraße, Reis und Maniokbrot und Macht uber alle Knaben des Ortes.

Und so entwischte er ungefressen mit seinem Schatz, nachdem er endlich
begriffen hatte, daß meine Plane sich in diesem Opfer erschopften.
Vielleicht erinnert er sich meiner zu einer Zeit, wo er ein Jungling
geworden ist und zu seiner ersten Kupferanna in den Hafenstadten so manche
andere verdient, und seine Meinung uber uns Weiße geandert haben mag, in
einem zweifachen Sinn. --

Mehr und mehr empfand ich von Tag zu Tag, daß ein fremder Bestand, der
nicht festzustellen war, die Beschaffenheit meines Bluts veranderte. Ich
schob die Schuld, wie man es in solchen Fallen zu tun pflegt, bald auf das
eine, bald auf das andere, heute schien mir das Trinkwasser der Anlaß zu
sein, morgen der Tabak, oder eine fremde Frucht, dann wieder verband ich
meinen Zustand mit meiner Schlaflosigkeit, oder mit der Beschaffenheit
dieser schwulen, von tausend Duften geheizten Luft. Panja betrachtete mich
oft lange und besorgt von der Seite, ohne zu wissen, daß ich seine Blicke
gewahr wurde, und daß sie mich reizten. Ich behandelte ihn ungerecht und
hart, aber er blieb geduldig und verfiel nicht wie fruher in sein
gekranktes Schmollen. Uberhaupt hatte er sich in der letzten Zeit merklich
geandert, mir war oft, als habe ihn eine neue Verantwortlichkeit uber sich
selbst hinausgehoben, gerade als ob er sich hatte bewahren mussen, um sich
seiner Krafte und Tugenden bewußt zu werden. Ich lohnte ihm diesen Wandel
schlecht, aber ich konnte nicht anders.

Mir war bisweilen, als habe mein Gehirn sich um vieles verkleinert und als
mache es eigenartige Drehungen und Schwankungen in seiner Schale, wie ein
schwimmender Ball in einem Wasserglas. Dabei verfiel ich auf alle moglichen
Heilmittel, nur nicht auf das einzige, das mir hatte helfen konnen: auf die
Flucht aus den Niederungen des Dschungels.

War es Morgen, so mußte ich den Mittag erwarten, in welchem die Insekten
mit einem seligen Brausen, oder die großen Schmetterlinge leicht und
lautlos von Blute zu Blute zogen, durch unwahrscheinlich tiefes Blau oder
Grun, wahrend die Welt in heißer Fulle verging. Mit dem leisen Unbehagen
des sinkenden Mittags mußte ich den Abend erwarten und an ihm die Nacht mit
ihrem Licht und Lauten uber schwarzen Tiefen, ihren gurgelnden und
stohnenden Stimmen der Raubgier und der Liebeswut und mit ihren blendenden
Gestirnen. Tag und Nacht waren fur mich langst keine Begriffe des Wachens
oder der Ruhe mehr, sondern wechselnde Zuge des indischen Weltenantlitzes,
magisch ineinander uberwogend, wahrsagerisch entstellt.

Ich hatte meine Heimat vergessen. Europa versank in meiner Erinnerung wie
ein lauter, haßlicher Traum voll unnutzer Erregtheit, und ich lachelte
mitleidig uber die Schande, die mir in den kleinen Beteiligtheiten meiner
hastigen Vergangenheit widerfahren zu sein schien. Wie ein einziger,
kreischender, grellfarbiger Lebensirrtum erschien mir das Treiben der
großen Stadte, und ich verging und erstand in Schlafen und Wachen wie in
Fruhling und Winter, das Angesicht der Tages- und der Jahreszeiten
verschmolz miteinander zu einem unbestimmbaren Gefuhl des Wandels, und die
Unschuld der Pflanzen, die mich einhullten, wie ein lebendiges Gewand, war
die starkste Gewalt uber meine langsam verschwindende Erkenntniskraft.

Es trieb mich zuweilen aus der Dschungelnacht an den Steppenrand zuruck, es
war ein Verlangen, den offenen Himmel zu sehen und das weite braune
Hugelland, und es war mir angesichts dieser Helligkeit, als entkleidete
mich ein lautloser stiller Sturm des Lichts. Oft brachen wir mitten in der
Nacht auf, nahmen zuweilen den gleichen Weg, den wir am Tage mit Muhe
durchmessen hatten, und errichteten das Lager an der verlassenen
Feuerstatte. Mir war, als hatten die Pflanzen mich am Atmen behindert, als
raubten sie meiner Brust, was ihr zum Leben not tat. Oft ertappte ich mich
uber gereizten und boshaften Blicken auf eine bluhende Pflanze, deren
dargebotene Liebeswut in purpurroten Kelchen mich mit Zorn und Haß und
zugleich mit hingebender Demut erfullte.

Langsam war eins meiner Manuskripte und Bucher nach dem andern dem
nachtlichen Feuer zum Opfer gefallen, ich sah die weißen Blatter in
hamischer Genugtuung in der Glut welken und fuhlte mich freier, wenn die
verkohlten Rollen zerbrockelten. Nur ein kleines, torichtes Buchlein
begleitete mich lange noch, ich weiß zuversichtlich, daß ich es nur deshalb
nicht zerstorte, weil eine merkwurdig verschlungene Ranke aus gepragtem
Gold den Einband verzierte, ungefallig, sinnlos und aufdringlich, aber es
tat mir wohl, diesen Linien mit den muden Augen nachzugehen. Einmal
versuchte ich, mich darauf zu besinnen, wo Nachrichten fur mich liegen
konnten, ich schloß auf Bombay, Goa und Madras, aber ich wußte es nicht
mehr.

In den Ohren die Muschelstimmen des Chinins, traumte ich oft in der
totenstillen Mittagsglut mit geschlossenen Augen vom Winter. Immer wieder
tauchte das gleiche Bild vor mir auf: ein graues Flußtal im Abendnebel, auf
den Feldern der blauliche Schnee im sinkenden Tageslicht, und ein eisiger
Wind uber dem pechschwarzen Wasser, auf welchem Eisschollen dahintrieben.
Sie stießen sich und knarrten und lauteten, auf einigen von ihnen saßen
Raben und ließen sich mitnehmen. Dann empfand ich die Kalte plotzlich als
schneidenden Schmerz an Stirn und Wangen, und meine Brust weitete sich, wie
zerspringend vor Frische. In kalten Schauern schlief ich uber solchen
Visionen zuweilen ein, aber die sinnlosesten Traume raubten meinen Schlaf
die ersehnte Erquickung.

Eines Nachts traumte mir, ich sei am Meer eingeschlafen, in einer
Bergschlucht, und plotzlich weckten mich die Stimmen zweier Manner, deren
Klang eine eigenartige Verwandtschaft mit dem Reden des Meerwassers hatte.
Ich richtete mich halb empor, stemmte die Ellenbogen in den Sand und sah
betroffen auf. Die Sonne war ins Meer gesunken und schien aus der Tiefe,
durch das Wasser. Obgleich sie selbst rotlich glanzte, war doch das Licht
der Luft grunlich und blaß, und merkwurdige Schattenwellen zogen hindurch,
wahrscheinlich entstanden sie durch die Uferwogen.

Die beiden Manner standen gerade nebeneinander im Sand, der wie Turkisen
schimmerte. Sie hatten ihre Arme schlicht und ohne Gebarde an den Korper
gelegt, und unter ihren leichtgesenkten Stirnen sahen mich ruhige, runde
Augen von einem gleichmaßigen sehr hellen Blau an, in denen ich keine
Abzeichnung der Pupillen unterscheiden konnte. Die Farbung ihrer Haut war
bernsteingelb und ihr Haar weißlich, sie hatten breite, aber hagere
Schultern, und ihre Huften waren so schlank und so wenig ausgezeichnet, daß
man von der Achselhohle bis an die Fußknochel hinsah, wie an einer geraden,
schrag gestellten Leiste. An ihren Schlafen war ein eosinrotes Band
befestigt, das in einem breiten Facher auf die linke Schulter herabsank und
hinter ihr verschwand.

So standen die Zwei, die sonst nicht bekleidet waren, ruhig vor mir in der
grunlichen Luft mit ihren geheimnisvollen Schattenwellen. Es schien mir,
als lachelten sie, aber eher neugierig als spottisch. Endlich begannen sie
eine Unterhaltung miteinander und versuchten den Anschein zu erwecken, als
sei ihnen an meiner Beachtung nichts gelegen, aber ich unterschied doch,
daß sie nur meinetwegen sprachen. Sie lachelten verstohlen und ungefallig
und sahen bisweilen mit einem raschen Blick zu mir hinuber. Nun wies einer
von ihnen zu den Felsen einer Schlucht empor, wo sich in halber Hohe der
Berge ein gleichmaßiger, tiefer Einschnitt im Gestein bemerkbar machte, der
rundlich ausgehohlt war.

≫Richtig,≪ antwortete der andere, ≫das ist unsere alte Meergrenze, die
letzte, aber wo ist die Grenze der Vater geblieben?≪

≫Die Gipfel schwemmen gar zu rasch nieder,≪ lautete die Antwort, ≫die neue
Welt wird klein.≪

Dann unterschied ich nicht mehr alles, was sie sagten oder meinten, aber
ich empfand, daß sie von versunkenen Reichen sprachen, deren Kulturstatten
der Meersand seit undenkbaren Zeiten in tiefen Grunden der Flut vergraben
hatte, und sie tuschelten davon, daß nun bald die Zeit anbrechen musse, in
der der Meerboden und der Erdboden vertauscht werden sollten. Besturzt
uberfiel mich eine dunkle Ahnung der Reiche, die das Meer verbarg, und ich
sah sie, nach ihrer Auferstehung, von Sonne, Wind und Regen langsam aus
ihrer sandigen Hulle brechen. Ich wagte keine Frage, obgleich mein Herz vor
Begierde brannte, an den Erfahrungen der beiden Menschen teilzunehmen, aber
es war, als ahnten sie, daß ich die Absicht im Sinn trug, ihnen ihre
Geheimnisse zu entreißen, denn sie beruhrten einander die Schultern mit der
Hand, so daß sie zu einem seltsam schonen Ornament verschmolzen, wandten
sich dem Wasser zu und schwebten hinein und in die Tiefe, wie durch die
Luft. Ich sah sie noch einmal, als sie an der Sonne voruberzogen, die sehr
tief gesunken war, dann schlief ich ein, in großer Traurigkeit, wie ich sie
nie gekannt habe, und wie man sie nur im Schlaf empfinden kann.

Ein anderes Mal im Traum schenkte mir irgend jemand ein Kriegsschiff mit
weiblicher Bedienung, damit ich gegen meine Feinde vorgehen konnte, aber
ich hatte deren leider nur drei und die lebten auf dem Festlande. So
entließ ich die Damen, damit diese drei Gegner glucklich wurden. Mit den
Kanonen schoß ich auf Mowen, aber sie schnappten nach den Kugeln, ja, dies
Geflugel wartete geradezu an der Offnung der Geschutze, es war ungemein
argerlich. So sah ich ein, daß es hiermit nichts Rechtes werden wurde, und
loste einstweilen spielend eine Reihe von Problemen, die mich fruher auf
ganz unverstandliche Art gequalt hatten. Dabei brachte ich endgultig
heraus, daß man zu dererlei Geistesexperimenten am Boden umherkriechen
mußte, und ich tat es mit Ausdauer und frohlich.

Als ich aber nach vielerlei Traumen dieser Art, die ich vergessen habe,
eines Tages mit trockenem Mund und einer scheußlichen Leere hinter der
Stirn, in der Mittagshitze frierend, am Fußboden, in einem Winkel des
Zeltes, erwachte, ergab ich mich anteillos den Weisungen Panjas, ließ mich
in Wolldecken wickeln und erwartete meinen Verbrennungstod in diesen
phantastischen Feuern meines Bluts und meiner Seele, die von boshaften
Damonen geschurt wurden.




Sechstes Kapitel

Im Fieber


In einer ungewissen Stunde, die nicht am Morgen und nicht am Abend war, kam
ich mit dem bestimmten Bewußtsein zu mir, nach jener denkwurdigen Nacht mit
Huc, dem Affen, am Morgen gestorben zu sein. Es muß nach dem Tode einen
seltsamen Halbschlaf der ersterbenden Sinne geben, der uns noch eine
Zeitlang den Fortgang des Lebens vortauscht, eine Art Erinnerung des
Korpers, der sich seinem Verfall noch nicht zu ergeben vermag, in welcher
die Hoffnung unseres Herzens in einem mitleidigen Spiel den Gang des
Daseins fortsetzt, nachdem die Seele ihrer Hulle entflohen ist. In jenem
Stadium mußte mir alles geschehen sein, was ich bis zu diesem Morgen erlebt
zu haben glaubte; ich lachelte geringschatzig und melancholisch in die
grauen, sanft erklingenden Spharen hinein, in denen ich dahintrieb.
Immerhin erfreute es mich, daß mein Bewußtsein nicht vollig erloschen zu
sein schien, und die Erkenntnis, nun endlich mit Sicherheit zu wissen, daß
ich gestorben war, beruhigte mich sehr; ich begriff nun deutlich die
qualvolle Ungewißheit, die uber allem gelegen hatte, was mir in der letzten
Zeit zugestoßen war. War nicht alles wie aus grauen Spiegeln emporgetaucht
und in anderen wieder versunken, in seltsamem Kreisen und liederlicher
Gleichgultigkeit gegen die Wirklichkeit? Bei dieser neuen Offenbarung uber
meinen Tod, den ich mir aus einer im Grunde recht kleinlichen
Lebensangstlichkeit bisher nicht einzugestehen gewagt hatte, entschloß ich
mich in einer wundervollen Gelassenheit des Gemuts, nun niemand mehr zu
dienen, als allein der Erinnerung. Es war merkwurdig, daß Panjas Gesicht
mich dabei storte, das ungewiß und groß, wie ein Wolkenschatten, zuweilen
uber mir erschien, mein Dahinziehen durch das flimmernde All hinderte und
in sinnloser Aufdringlichkeit in meiner Nahe verharrte. Ich ließ mich nicht
tauschen, ich erkannte in unzweifelhafter Klarheit, daß der Durst, der
meinen Korper durchgluhte, der Wissensdurst meiner Seele war; er war mein
einziger Schmerz, und ich pries mich glucklich.

Irgend jemand sprach zu mir; ich beachtete es lange absichtlich nicht, weil
ich mich nicht von der Uberzeugung trennen wollte, daß niemand das Recht
hat, mit einem Toten zu reden. Merkte denn dies wesenlose Geschopf immer
noch nicht, daß Tote andere Interessen haben, als sich mit dem
verganglichen Tand abzugeben, der die Lebendigen der ungewohnlich kleinen
Erde beschaftigt, die nicht einmal in der Lage ist, sich ruhig zu verhalten
und in lacherlicher Abhangigkeit von der Sonne umhertanzt? So entschloß ich
mich endlich, mir Ruhe zu verschaffen, und wandte mich in der prachtigen
Freiheit des Muts um, den nur Tote haben, um Schweigen zu gebieten. Aber da
erkannte ich, daß mein Ich neben mir saß und rauchte. Es hatte sich meiner
Pfeife bemachtigt, meiner Kleider und Schuhe und trug meinen funfmal
gewundenen Schlangenring aus Gold mit den Saphiraugen und der
Brillantenkrone. Ich fand im Augenblick nicht den rechten Ton, denn es ist
ungewohnlich schwer, sich im Tode richtig gegen jemand zu benehmen, den man
im Leben oft hintergangen hat. Mein Ich lachelte mir ermutigend zu, aber
ich ließ mich nicht irrefuhren; dies Lacheln kannte ich, man weiß doch,
womit man andere uber sich selbst zu tauschen pflegt, und was hinter seinem
eigenen Lacheln steckt. Aus irgendeinem Grunde sagte ich rasch und
argerlich:

≫Nur keine Philosophie, bitte.≪

Mein Ich erwiderte freundlich, daß ihm dererlei vollig fernlage, und daß
nach der Scheidung, die ich als vor sich gegangen zugeben mußte, uberhaupt
alle Fragen uber das Wesen von Sein und Nichtsein aufgehoben waren.

Es war ungemein fesselnd, meine eigene Stimme zu horen, derer sich mein
Gegenuber bediente; aber irgend etwas am Klang der Stimme ging in kuhler
Sachlichkeit weit uber die arme Befangenheit hinaus, in welcher ich mich
fruher dieser Stimme bedient hatte. Dies argerte mich empfindlich, denn ich
erkannte, was ich zu Lebzeiten versaumt hatte.

≫Siehst du, was alles in mir gesteckt hat?≪ fragte ich, aber ich verwand
meinen Verdruß rasch, denn mein abgeklartes Ich an meiner Seite hatte etwas
ungemein Imponierendes.

≫Habe ich eigentlich jemals auf einen Menschen einen ahnlichen Eindruck
gemacht, wie Sie auf mich?≪ fragte ich.

≫Du kannst schon du sagen,≪ meinte mein Ich recht liebenswurdig und ohne
krankendes Wohlwollen, ≫wir mussen versuchen, uns endlich zu verstehen.≪

Das sah ich ein. ≫Gib wenigstens den Ring her!≪ bat ich.

Da sah ich, wie ich selbst, an meinem Lager sitzend, meinen Ring vom Finger
zog, genau auf die gleiche Art, wie ich es zu Lebzeiten getan haben mochte,
wenn ich ihn irgend jemand auf seinen Wunsch hin zeigte. Ich versuchte, den
Ring anzustecken, aber mein Finger brach ab. ≫Verflucht, ist es schon so
weit mit mir, Sahib?≪ fragte ich unwirsch. Mein Ich nahm den Finger und
steckte ihn umstandlich in die Tasche, und zwar in die richtige, die ich
fur solcherlei Gegenstande leer zu halten pflegte.

≫Sind wir noch in Indien?≪ fragte ich; aber unmittelbar, nachdem ich diese
Frage ausgesprochen hatte, uberkam mich die Erkenntnis, wie vollig
belanglos solch ein Umstand fur mich war. ≫Was soll geschehen?≪ fragte ich
etwas burschikos, denn ohne einen bestimmten Zweck wurde mein Ich sich
hier kaum niedergelassen haben, so gut glaubte ich mich zu kennen.

Und wirklich erhob sich nun das Ich in meiner Gestalt, zog seinen Rock
zurecht, trat einmal mit dem Bein nach vorn, um die Hose zu glatten, und
strich sich uber das Haar. Ich wußte schon, daß es sich darum handelte, daß
ich mein Grab kennen lernen sollte.

≫Du darfst dir keine besondere Vorstellung von der Ausstattung machen≪,
horte ich. ≫Panja hat dich im Wald verscharrt, kaum tiefer, als deine Arme
lang sind, und die Waldblumen wachsen uber deinen Augen.≪ Nachdem diese
Worte verklungen waren, sah ich niemand mehr und empfand nun, daß ich in
meinem Grabe ruhte. Einen kleinen Augenblick lang huschten mir noch
Gedanken durch den Sinn, aber dann uberwaltigte mich eine unbeschreibliche
Ruhe.

Diese Ruhe vermag kein irdischer Mund zu schildern; es ist mir niemals eine
Wohltat geschehen, die dieser Ruhe zu vergleichen ware. Nach einer langen
und ermudenden Wanderung voll ungesunder Hast und qualvoller Befurchtungen
langte ich fruher in meinem Leben einmal am Ort meiner Bestimmung an und
außer einer trostreichen Gewißheit empfing mich ein kuhles, weißes Lager in
einem stillen Raum, dessen Fenster den Blick auf die Berge hinausfuhrten.
Die wenigen Minuten, in welchen ich meinen ubermudeten Korper vor dem
Einschlafen auf diesem Lager ruhen fuhlte, sind vielleicht entfernt dem
glucklichen Zustand zu vergleichen, in welchem ich nun im Grabe lag, aber
man muß sich diese Wohltat bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit gesteigert
denken und wie im friedlichen Rausch einer uberirdischen Musik.

Meine Hande waren hoch auf der Brust ubereinandergelegt, ohne gefaltet zu
sein; ich ruhte ganz gerade ausgestreckt, und die schwere Decke der Erde
war eine gluckliche Last; sie lag auf meiner Stirn und auf meinem Gesicht,
wie die liebevollen Hande einer besorgten Mutter nicht sanfter ruhen
konnen. Ich vernahm einen gleichmaßigen, starken Pulsschlag, dessen
Ursprung ich nicht erkannte, der mich aber mit großer Beruhigung erfullte.
So lange unter den lebenden Wesen der Erde noch eines meiner in Liebe
gedachte, blieb mein Bewußtsein wach, aber ohne qualvolle Erinnerungen; es
war ein unbeschreiblich erhabenes und freies Lacheln, mit welchem ich der
irdischen Ereignisse gedachte, ohne mich ihrer recht zu erinnern. So ruht
das Korn in der winterlichen Erde, es tragt sein Gedenken an den Sommerwind
und an die Sonne, in der es herangereift ist, wie einen Fruhlingstraum
durch seinen Schlaf. Das Licht, der Regen, das Schwanken in der bewegten
Luft und der Schnitter sind eine einzige lind durchbebte Ahnung der
Vergangenheit, die keine Trauer oder kein Gefuhl der Verlassenheit
aufkommen laßt. Denn im dunklen Schlummerland pocht ein herber,
gleichmaßiger Pulsschlag; ob es die Lichtwellen der Sonne, ob es Tag und
Nacht sind, oder der Wechsel der Jahrtausende, ist niemals die Sorge eines
im Erdreich Schlummernden gewesen, denn nun ist der Tod uberwunden; man muß
ihn nur kennen, um zu wissen, wie wesenlos seine Machte sind, die die armen
Erdbefangenen als eine so unerhorte Herrschaft feiern. Nun sind tausend
Jahre wie ein Tag. Ich hatte weder den Wunsch, jemand von denen
wiederzusehen, die ich geliebt hatte, noch kannte ich Sorge um ihr
Geschick. Gluckseliger konnten die Frommen nicht sein, die Gottes Angesicht
schauten.

Nach einer unabsehbar langen Zeit, in der ich keinerlei Veranderung spurte,
schien es mir, als wurde es langsam dunkler um mich her und in mir. Nicht
die Furcht, nun vergessen zu sein, bewegte mich, aber eine laue
Anteillosigkeit auch an dieser Moglichkeit. Vielleicht war das Laub des
Waldes dichter und dichter uber meiner Ruhestatt niedergesunken, oder die
Erde kreiste nicht mehr um die Sonne, vielleicht war sie von einem anderen,
großeren Gestirn aufgenommen, auf welchem der Wechsel der Zeit nach anderen
Gesetzen vor sich ging. Mehr und mehr verlor ich das Bewußtsein meiner
selbst, aber ohne daruber in Gram zu sinken; es war mir, als ob der Rest
meiner Klarheit sich in einem einzigen Funkchen sammelte, das ahnlich
glomm, wie die Hoffnung in den Herzen der lebendigen Menschen.

Da bemerkte ich allmahlich, in einem heraufdammernden Zeitraum, den ich
nicht begrenzen kann, einen sanften Lichtschein uber mir, der still anwuchs
und sich langsam naherte. Er war weißlich, ohne zu glanzen, und erschien
mir wie ein blasser Strahl von zartem Umriß und langsamem Leben; er senkte
sich auf die Gegend meines Herzens nieder und ohne einen Schein im Erdreich
zu verbreiten, glomm er doch in lieblicher Seligkeit, und der unfaßbare
Zauber einer fernen Erinnerung an die Sonne verband ihn mit meiner
Zuversicht. Da erkannte ich, daß es der tastende Wurzelkeim einer Pflanze
war, der sich meiner Brust naherte, und mich ergriff ein tiefer Schauer,
der nicht Freude noch Hoffnung war, aber man konnte ihn vielleicht mit der
Ergriffenheit vergleichen, in der die Irdischen bei einer großen
Erschutterung ihres Gemuts in Tranen ausbrechen, ohne dabei schon Lust oder
Schmerz zu verspuren. Je naher der bleiche, saugende Mund auf kindlicher
und frommer Wanderschaft und in gehorsamem Wachstum meiner Brust kam, um so
mehr verwandelte sich mein erloschendes Menschbewußtsein in ein seliges
Allgefuhl von erhabener Gestilltheit und froher Bereitschaft zum Vergehen
in ein unversiegbares Bereich. Da geschah es bald darauf, daß die Wurzel
der Pflanze in mein Herz eindrang und in einem funkelnden Erklingen, in
einem von Frische und seliger Wildheit betaubenden Lichtwirbel wurde mein
Wesen emporgerissen in das warme, leuchtende Brausen der Erdoberflache.

Uber meinem Grab brach eine große Blume auf und offnete sich gegen die
himmlische Sonne. --

Nun kam es mit weichen Schritten durch die dichten Lauben des Urwalds
heran, auf diesen verschlungenen Pfaden, die kaum ein paar Schritt weit zu
ubersehen sind und wie grune Hohlen wirken; unendlich weich und geschmeidig
schritt es dahin, von der stolzen Erhobenheit der Gestalt, die unter allen
Geschopfen nur die Menschen haben. Es war ein Madchen, das herankam,
beinahe noch ein Kind an Jahren. In jener schattigen Lichtung im großen
Urwald, an welcher unter einem Baum vorzeiten mein Grab gegraben worden
war, und in welcher nun die frische Blume sich langsam gegen das
Sonnenlicht kehrte, machte das Madchen halt und beugte sich nieder. Sie
trug Lotusbluten im Haar, von sanftem Rot und einen schmalen Gurtel von
gewundener ockerroter Seide um die zarten Huften. Ein Hauch von Ambra
begleitete sie, wie unsichtbare Flugel der Jugend.

Um den Hals trug sie eine zweifache Schnur aus roten Angolaerbsen, und ein
breiter Goldring, der um ihr Fußgelenk geschmiedet war, funkelte im Tau der
Bodenpflanzen.

Als ihre Augen mit dem nachtlichen Glanz einer tausend Jahre alten
Schwermut sich uber das frische, helle Blau der kaum erbluhten Blume
neigten, war es, als begegneten einander ein himmlisches Erstrahlen und ein
irdischer Widerschein. Aber das Madchen brach die Blume nicht, sondern es
schien, als erinnere sie sich zuvor einer kostlichen Pflicht, denn ihr
Angesicht belebte sich unter einer mit Schamhaftigkeit gemischten
Erwartung. Uber die Wurzeln der Baume dahin, im weichen Erdreich und uber
braunem Laub, floß ein Bach; sein klares Wasser zog rasch und lautlos
durch Sonnenflecke und Buschschatten. Das Madchen legte ihre Halsschnur ab
und hangte sie in kindlicher Fursorge nachdenklich in die Betelranken, die
die hangenden Zweige des Baumes mit dem Waldboden verbanden; sie legte
ihren Gurtel ab und blinzelte frohlich in das warme Licht. Nur die Blumen,
die ihr Haar schmuckten, ließ sie in der nachtdunklen, glanzenden Fulle
ruhen, in der sie zum Ruhm ihrer jungen Herrlichkeit verwelken sollten.

Das Wasser wurde unter der Freude ihres lieblichen Korpers beredt; es
uberrieselte wie mit frohlichem Lachen die helle Bronze dieses Leibes, der
sich unter den Beruhrungen der Natur beseligt dehnte und in einer Hingabe
ohnegleichen seinen Schopfer lobte, den Schopfer der Waldriesen, die ihn
behuteten, der Milliarden Pflanzen und allen Getiers, das gleich ihm im
duftenden Schatten atmete, und der großen Sonne, die ohne Aufhor goldenes
Gluck zum Wohlergehen der Ihren auf die geduldige Erde sandte.

An einem besonnten Hugel, der weich von Moos gepolstert war, legte das
Madchen sich auf den Boden nieder, um in der warmen Luft zu trocknen; sie
gab sich dem Licht in holder Bedachtlosigkeit preis, denn es gibt vor ihm
keine Geheimnisse des Korpers oder der Seele, und beide sehnen sich nach
ihm. Sie schien mit dem Boden zu verschmelzen; der Pulsschlag der Erde
verband sich mit dem Pochen ihres Bluts, und die Bluten in ihrem Haar
dufteten noch einmal empor im Verein mit dem sanften Hauch von Mudigkeit,
der wie ein Lied von ihrem Leib aufstieg. Die Sonnenstrahlen glitten
spielend uber die zierlichen Hugel der kleinen Bruste dahin, uber die
Rundungen der warmen Glieder; hier leuchteten sie auf, dort tauchten sie in
heimliche Schatten nieder, allmachtiger als der starkste Beherrscher, der
sich jemals eine Welt zu eigen gemacht hat, und mit der Anmut eines
Geliebten, der nach uberwundenen Sturmen seine Wohltaterin begluckt.

Wie in reglosem Stolz, erstarrt vor Andacht, sah die grune Waldherrlichkeit
auf den ruhenden Triumph der Schopfung nieder, bis jahlings mit hellem
Floten ein Vogel im Rankendickicht ein Lied begann, uberselig, beinahe
grell und erschreckend, und aus der Nahe drang eine gejubelte Antwort. Da
erhob sich das Madchen, legte bedachtig ihren geringen Schmuck aufs neue an
und buckte sich uber die Blume nieder, in der das Blut meines Leibes
auferstanden war; sie brach sie und befestigte sie, indem ihre großen Augen
uber dem zitternden Kelch lachelten, in ihrem Gurtel. --

Wie war es doch gewesen? Ach, nun erinnerte ich mich, jene große Blume von
leuchtendem Blau rief mir alles ins Gedachtnis zuruck. Ich kannte dies
Madchen und ihre Blume schon langst; es war in einer jener vertanen Nachte
in Bombay, in einer jener Nachte, die ruhlos und ziellos beginnen und oft
so trostlos verstreichen, hingegeben an Nichtigkeiten, in denen unsere
hohen Erwartungen, vom Geist des Weins umhullt, in grauen Morgenstunden
versiegen. Aber es gibt keine Hoffnungen, die nicht irgendwo in unserer
Seele und irgendwo in unserer Zeit mit einem jenem Lacheln verwandten Glanz
gestillt werden, in dem sie erwachen. Hoffnungen sind den Bluten
schlummernder Rechte vergleichbar, im Dammerlicht der Ahnung.

Ich hatte damals in einer Abendstunde das Hotel verlassen, in dem ich schon
seit Tagen auf einen Dampfer wartete, der mich nach Singapore bringen
sollte, und war die breite, belebte Straße hinabgeschlendert, ohne
Ausrustung fur eine bewegte Nacht, ja, ohne eine andere Absicht, als die,
mich noch fur einige Minuten in der kuhleren Luft des Abends zu ergehen und
dem bunten Straßentreiben zuzuschauen. Aber es lag keine Linderung in der
schwulen Luft, die nach verdunstendem Sprengwasser, nach Pferden und Ol
duftete, sowohl die freien Atemzuge behinderte, als auch die vernunftigen
Gedanken. Oft wirkt diese Atmosphare wie eine Ankundigung des Fiebers,
verwirrend und zu allerhand Sinnlosigkeiten ermunternd; die Lebensleiden
der Verlassenheit garen darin, satt von Melancholie; kleine Teufel erheben
darin die nach Abenteuern lusternen Narrenkopfe, wahrend der nahende, rote
Mond den nuchternen Sinn aller Dinge in Schleier legt. --

Ich ließ mich nach einer Weile am Holztischchen eines Straßencafes nieder;
es erschien mir, als verburgen mir alle, die mich anschauten, etwas, in
mitleidiger Uberlegenheit. Eine kleine, ganz in ein dunkles Tuch gehullte
Straßenbettlerin hielt mir die braune, offene Hand hin, und unter ihrem
Lacheln verstand ich plotzlich die Nacht.

Nun war es dunkler geworden, als ich weiterschritt. Aus geoffneten Turen
drang der Schein bunter Lichter; die Straßen wurden enger und die Passanten
seltener. Ich horte Schritte herannahen und jahlings hinter mir verstummen,
sobald eine der vermummten Nachtgestalten an mir vorubergegangen war; man
blieb stehen und sah mir nach, neugierig, oder lustern auf einen Raub, von
einer Ahnung der Ruhlosigkeit und Unsicherheit angeweht, die mich
gefangenhielten und dahintrieben. Einen Augenblick war ich um mein Leben
besorgt, da ich die Gefahrlichkeit dieser Stadtgegend kannte, aber dann war
mir, als sei dies, mein geliebtes und umsorgtes Leben, eine ganz fremde und
gleichgultige Sache fur mich geworden. Es kam auf ganz andere Dinge an; die
Nacht forderte ihr Recht, die Nacht der Erde und die meiner unruhigen
Seele, die nach einem mystischen Tag ihrer Wandlung Verlangen trug.

Die Tur eines Holzhauses stand angelehnt, und als ich sie aufstieß, blickte
ich in einen schmalen Korridor, der durch eine grunliche Papierampel
dammerig erhellt wurde. Zur Rechten und zur Linken der Ampel waren an den
kahlen Wanden Spiegel angebracht, die das matte, schwebende Gestirn dieses
stillen Bereichs nach beiden Seiten hin tausendfach in ein magisches All
hinuberzauberten. Von irgendwoher erklang gedampft eine klimpernde Musik,
der einer Mandoline vergleichbar, aber um vieles unbelebter und im Takt oft
von einem lang anhaltenden Ton unterbrochen, der einer Flote entstammen
konnte. Ein schwerer, sußer Geruch drang mir entgegen, wie von garendem
Honig und betaubendem Raucherwerk; er quoll aus dem Spalt eines roten
Vorhangs im Hintergrund, wie aus der Wunde einer uberreifen Frucht.

Als ich an diesem Ort eine kleine Weile gestanden und gelauscht hatte,
offnete der niedrige Vorhang sich, und eine alte Frau trat zogernd und
scheinbar uberrascht auf mich zu. Sie war welk, und ihr ergrautes Haar
flimmerte vermodert in dem blaßfarbigen Licht der Papierlaterne uber ihrem
Scheitel, ein gelbes Tuch war wie eine Fahne um ihren Korper geschlungen,
so daß ihre Schultern und Arme, sowie ihre Beine von den Knien an abwarts
unbedeckt waren. Nachdem sie sich von ihrer anfanglichen Uberraschung
erholt hatte, lachelte sie mir in feiner, unpersonlicher Herzlichkeit zu,
die Leuten eignet, die aus Beruf oder Gewohnheit gastfreundlich sind, und
lud mich, nach einem prufenden Blick uber meine europaische Kleidung ein,
naherzutreten. Sie sagte ein paar Satze, die ich nicht verstand, denen aber
leicht ein Willkomm zu entnehmen war und eine ehrende Begrußung. Da ich
ohne Zogern nahertrat, verdoppelte sie ihre Unterwurfigkeit, und ich hatte
den Eindruck, als kroche sie mir die Stiege hinauf voran, die wir im
rotlichen Dammerlicht erklommen; ich sah immer nur ihr Angesicht dicht vor
meinem, wahrend ihr ubriger Korper bereits voraus war. Sie grinste sußlich
und boshaft; irgendwo bimmelte zaghaft ein Glocklein; beklommen folgte ich,
ohne Aufwand von Mut, ohne Umsicht, ja fast ohne rechte Erwartung; was
geschehen sollte, mochte geschehen. Das Leben wog leicht.

Wir kamen an eine mit buntem Papier bezogene Tur, die die Treppe hart
abschloß, und die sich lautlos und leicht unter dem Druck der welken Hand
der alten Frau offnete.

≫Tritt ein, Herr≪, sagte sie auf Hindustani und druckte sich an die Wand,
die nachgab und schwankte; ich hatte den bestimmten Eindruck, daß wir von
allen Seiten beobachtet wurden. So tappte ich nun vorsichtig voran in das
von Rauch wie in Nebel getauchte blauliche Dammerlicht eines niedrigen
Raumes, in welchem ich anfanglich, außer dem erloschenden Mond einer
stillen Ampel, nur hangende Wandteppiche in mancherlei gedampften Farben
und seltsamen Ornamenten zu erkennen glaubte. Es glitzerte mir in matten
Goldtonen entgegen und ein sanft betaubender Hauch von welkendem Jasmin und
Opium beengte die Brust.

Ich durchschritt mit meiner Fuhrerin diesen Raum, um in einen zweiten zu
gelangen, der noch kleiner und finsterer war, und in dem ich zuerst nur ein
breites Ruhebett erkannte, das mit vielfarbigen Decken und Fellen belegt
und kaum einen Fuß hoch war. Die Alte verbeugte sich viele Male, nachdem
ich, wie sie es zu wunschen schien, auf diesem Lager Platz genommen hatte,
und sagte im Hinausgleiten in gebrochenem Englisch:

≫Ich werde Goy fur dich holen, Herr, du wirst zufrieden sein.≪

Als ich ihr mit zwei zustimmenden Worten zunickte, lachte sie, glucklich
und stolz daruber, verstanden worden zu sein. O, sie war eine hochgebildete
Frau, nun hatte sie den Beweis erbracht, und nichts ware in der Lage
gewesen, sie zu einer Handlung zu bewegen, die mich an dieser Meinung uber
sie wieder irremachte.

Ich sah mich kaum im Zimmer um, als ich allein war; es mußte alles so sein
und kommen, wie es fur diese Nacht bestimmt war.

Unter einer winzigen grunen Ampel, dicht an der Decke, erblickte ich ein
rundes Tischchen mit unwahrscheinlich dunnen Beinen, und in einer mit roten
und blauen Ornamenten ausgelegten Messingschale, die darauf stand, lagen
trockene, fremdartige Fruchte, Tabak, Hanf und Betel. Da meine Augen sich
bald an das ebenmaßige, sanfte Licht gewohnt hatten, erblickte ich, als nun
die Tur sich offnete, sogleich mit der ubersinnlichen Deutlichkeit einer
Vision das Madchen, das meinen Raum betrat und vorsichtig die Tur hinter
sich schloß und verriegelte. Sie trat so gelassen und freundlich auf mich
zu, als sei ich ihr ein langst vertrauter Gast, und grußte mich, indem sie
nach kanaresischer Sitte die Spitzen ihrer Hande an die Stirn legte und
sich tief verneigte. Sie war vollig nackt unter einem unendlich feinen
Schleier von rauchfarbenem Seidenflor; ihr schwarzes Haar war mit grauen
Blumen geschmuckt, und ein schmaler Ledergurtel von verblichenem Ockerrot
legte sich, ohne ihren Korper zu beengen, wie ein Ring aus rostigem Metall
um ihre Huften, die, obgleich ich ein Kind vor mir zu haben glaubte, doch
von weicher Rundung und lieblicher, ebenmaßiger Fulle waren. In diesem
Gurtel war eine große Blume von hellem Blau befestigt, mit tiefem
goldbraunem Kelch; sie hob sich fast unwirklich und in seltsam wohltuendem
Kontrast vom Bronzeton des jungen Korpers ab.

Alles, außer dieser frischen Blume, hatte jene seltsam uberzeugende
Bewußtheit in Farbe, Erscheinung und Bewegung, wie nur eine jahrhundertalte
Tradition sie verleihen kann, alles außer dieser Blume und dem schmiegsamen
Madchenleib.

Ich weiß nicht, ob ich alles verstanden habe, was in dieser denkwurdigen
Nacht dieses Kind zu mir sagte, wohl aber weiß ich, daß wir einander
verstanden. Die Ausschließlichkeit, welche das gluhende Bereich
heraufbeschwort, in das der Liebreiz dieses Madchens mich zog, verbannte
alle kleinen Einzelinteressen und Begierden, die unser Leben spalten und
bedrangen, und es gab nur ein Ziel fur unser Blut.

≫Soll ich tanzen?≪ fragte Goy, ≫sage mir, was dir wohltut?≪

Sie tanzte unter dem grunlichen Mond der kleinen Ampel, der eine ganze Welt
bestrahlte. Es war schwul und totenstill in dieser Welt. Ich horte nur den
Schlag der weichen Fuße auf den Matten, und wenn ich die Augen schloß, so
fuhlte ich den zarten Fuß auf den Herzensquellen meines Lebens tanzen. Mit
jedem neuen Erwachen meiner Blicke erschien mir Goys erbluhter Kinderkorper
erneut; er blieb mir fremd und wechselte wie eine Landschaft, die der Geist
im Flug durcheilt. Nun wurde es still, und ihre Frauenaugen lachelten
erfahren, kindlich und begierig uber den meinen:

≫Willst du mir nicht befehlen, Herr?≪ sagte Goy so langsam, daß mir war,
als stunde mein Herz unter den unausgesprochenen Verheißungen ihrer Bitte
still, aber doch lauerte hinter ihrer Unterwurfigkeit, ohne Falsch, das
gluckliche Bewußtsein ihrer Herrschaft. Nun hockte sie sanftmutig,
merkwurdig beschienen vom Ampellicht, wie eine große, goldene Katze vor mir
auf dem Lager, drehte bedachtig Papyrus, zerbrockelte Tabak und Hanf und,
als sie Opium hineinmischte, verwandelte sie sich mir plotzlich in eine
Gottin, die den Schlaf herbeifuhrt.

Goy war, wie die meisten Frauen des Orients, auf eine Art fur die Liebe
erzogen, die die Folge einer grauenhaften Verwohntheit ist, aber uber allen
ihren Handlungen lag ein zauberhaftes Gluck von einer Unschuld der
Gesinnung, die wie Keuschheit wirkte. Goy tat ihre Pflicht, und kein
Gewissen, wie es in unserer Brust wohnt, behinderte ihre geschaftige Treue
gegen den einzigen Genuß, den sie kannte und austeilte.

Ich rauchte in tiefen, durstigen Zugen und sank mehr und mehr in
Betaubung. Das Madchen ließ keinen Augenblick verstreichen, in dem sie sich
nicht hinzugeben schien; ihr Bild verwandelte sich unaufhorlich; sie gab
keines ihrer Geheimnisse preis, ohne ein neues ahnen zu lassen.

≫Vergiß das Leben≪, sagte sie mit sanftem Tadel, scheinbar uber mein Zogern
in milden Schrecken versetzt. ≫Bin ich nicht schon?≪

≫Doch, du bist sehr schon, Goy, schoner als alle, die ich gesehen habe.≪

≫O, nein,≪ antwortete sie nachdenklich, ≫die blassen Madchen sind schoner.≪
Sie schaute mit ihren ubergroßen Kinderaugen auf mich hin und lachelte, als
ich schwieg. Ihre Nagel waren rot bemalt, und ihre Hande, wie ihr ganzer
Korper waren mit großer Sorgfalt gepflegt.

≫Die Menschen legen mit den Kleidern die Luge nicht ab,≪ sagte Goy, ≫ich
glaube an nichts, als an die Liebe und an die Lust, die durch sie kommt.≪

Ich verstand, wie sie ihre Worte meinte, denn sie stand, als sie so sprach,
innig dargeboten und aufgerichtet vor mir und hob ihre Arme, als ob sie
eine Schale darreichte. Ihr Haupt verdunkelte die Ampel, so daß ihre
Gestalt in magischen Lichtrandern glomm. Aber ihre Worte bewegten sich in
meinem Herzen auf eine andere Art, sie nahmen Glanz an und entzundeten sich
fur eine weite Reise.

Goy las in meinen Zugen.

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