Herman. Laß mich nur machen!
Dritte Szene
Die Conciergerie. Ein Korridor
Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend.
Lacroix (zu einem Gefangnen). Wie, so viel Ungluckliche, und in einem so elenden Zustande?
Der Gefangne. Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, daß Paris eine Schlachtbank sei?
Mercier. Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel uber allen Hauptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Romer reiben sich die Hande; aber sie horen nicht, daß jedes dieser Worte das Rocheln eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkorpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen; es ist eine mimische Ubersetzung eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus Menschenkopfen.
Danton. Du hast recht - man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht.
Es ist grade ein Jahr, daß ich das Revolutionstribunal schuf. Ich bitte Gott und Menschen dafur um Verzeihung; ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten, aber dies langsame Morden mit seinen Formalitaten ist graßlicher und ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort verlassen zu machen.
Mercier. Oh, herausgehen werden wir.
Danton. Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll.
Vierte Szene
Das Revolutionstribunal
Herman (zu Danton). Ihr Name, Burger.
Danton. Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts und mein Name im Pantheon der Geschichte.
Herman. Danton, der Konvent beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orleans, mit den Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des XVII. konspiriert zu haben.
Danton. Meine Stimme, die ich so oft fur die Sache des Volkes ertonen ließ, wird ohne Muhe die Verleumdung zuruckweisen. Die Elenden, welche mich anklagen, mogen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande bedecken. Die Ausschusse mogen sich hierher begeben, ich werde nur vor ihnen antworten. Ich habe sie als Klager und als Zeugen notig. Sie mogen sich zeigen.
Ubrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschutteln.
Herman. Danton, die Kuhnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.
Danton. Privatkuhnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkuhnheit, die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft fur die Freiheit gekampft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist meine Kuhnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik gegen meine erbarmlichen Anklager bediene. Kann ich mich fassen, wenn ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem Revolutionar wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten. Manner meines Schlages sind in Revolutionen unschatzbar, auf ihrer Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den Zuhorern.)
Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orleans konspiriert, zu den Fußen elender Despoten gekrochen zu haben; mich fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt fur diese Lasterung verantwortlich sein!
Herman. Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er trat mit Ehrfurcht vor seine Richter.
Danton. Sie haben die Hande an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn aufrichten und ihnen entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner Handlungen werde ich sie begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das Schicksal fuhrt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe.
Ich habe auf dem Marsfelde dem Konigtume den Krieg erklart, ich habe es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getotet und den Konigen einen Konigskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick auf diese Schandschrift werfe, fuhle ich mein ganzes Wesen beben. Wer sind denn die, welche Danton notigen mußten, sich an jenem denkwurdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine Anklager mogen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das Nichts zuruckschleudern, aus dem sie nie hatten hervorkriechen sollen.
Herman (schellt). Horen Sie die Klingel nicht?
Danton. Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben verteidigt, muß deine Schelle uberschreien.
Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den zerstuckten Leibern der Aristokraten geatzt. Meine Stimme hat aus dem Golde der Aristokraten und Reichen dem Volke Waffen geschmiedet. Meine Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)
Herman. Danton, Ihre Stimme ist erschopft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie werden das nachste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe notig. - Die Sitzung ist aufgehoben.
Danton. Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen des Ruhmes entschlummern.
Funfte Szene
Das Luxembourg. Ein Kerker
Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwarter.
Dillon. Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Ha, ha, ha!
Laflotte. Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Ha, ha, ha!
Warter. Ha, ha, ha! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei ihrem Schein lesen konntet? (Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand halt.)
Dillon. Gib her!
Warter. Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht.
Laflotte. Deine Hosen sehen aus, als ob Flut ware.
Warter. Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne verkrochen, Herr; Ihr mußt mir was geben, das sie wieder feurig macht, wenn Ihr dabei lesen wollt.
Dillon. Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Warter ab. - Dillon liest:) Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die Zuhorer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drangte sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brucken. Eine Handvoll Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hatt' ich nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf der Gasse!
Laflotte. Und auf dem Karren, das ist eins.
Dillon. Meinst du? Da lagen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit, daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.
Laflotte (fur sich). Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch einige Glaser, und ich werde flott.
Dillon. Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst guillotinieren. (Er lauft auf und ab.)
Laflotte (beiseite). Man konnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann. Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Odipus!
Dillon. Man futtert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber mogen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Kopfe.
Laflotte (beiseite). Ich wurde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich konnte sie notig haben, um den guten General zu beweinen.
Dillon. Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie vereinigen.
Laflotte (beiseite). Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete, um aus dem Grab zu klettern?
Dillon. Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir erbrechen die Gefangnisse, wir mussen uns mit den Gefangnen verstandigen.
Laflotte (beiseite). Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich hatte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.
Dillon. Man muß Dantons Frau ein Billett zukommen lassen.
Laflotte (beiseite). Und dann - ich furchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es konnte wehe tun, wer steht mir dafur? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick; aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz ist die einzige Sunde, und das Leiden ist das einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben.
Dillon. Hore, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß gehen. Wir mussen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig.
Laflotte. Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen. Du kannst auf mich zahlen, General, wir werden aus dem Loch kommen - (fur sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.
Sechste Szene
Der Wohlfahrtsausschuß
St. Just. Barere. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes.
Barere. Was schreibt Fouquier?
St. Just. Das zweite Verhor ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung der Gemuter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter und schuttelte die Locken.
Collot. Um so leichter wird ihn Samson daran packen.
Barere. Wir durfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler konnten uns weniger imposant finden.
Billaud. Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und ware es nur mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche Stirnen sind arger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu erhalten.
Barere. Er ist wie der hornerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre?
St. Just. Er tut, als ob er etwas zu sagen hatte. Die Geschwornen mussen sich fur hinlanglich unterrichtet erklaren und die Debatten schließen.
Barere. Unmoglich, das geht nicht.
St. Just. Sie mussen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen Handen erwurgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt haben. Die Revolution wird uber ihre Leichen nicht stolpern; aber bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzuchtigen konnte. (St. Just wird hinausgerufen.)
(Ein Schließer tritt ein.)
Schließer. In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.
Billaud. Das ist unnotig, so viel Muhe weniger fur den Scharfrichter.
Schließer. Es sind schwangere Weiber dabei.
Billaud. Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.
Barere. Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei ware contrerevolutionar.
Collot (nimmt ein Papier). Eine Bittschrift, ein Weibername!
Barere. Wohl eine von denen, die gezwungen sein mochten, zwischen einem Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wahlen. Die wie Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas spater als die Romerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwache. - Es mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik einer Jungfrau zu treiben.
Collot. Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrucken: das Gefangnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:) ≫Burgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wunschest.≪ (Schließer ab.)
Barere. Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu lachen anfangt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß sich nicht so familiar machen.
(St. Just kommt zuruck.)
St. Just. Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den Gefangnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er saß mit Dillon im namlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und geplaudert.
Barere. Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr vorgekommen.
St. Just. Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll gesprengt werden.
Barere. Das sind Marchen.
St. Just. Wir werden sie aber mit dem Marchen in Schlaf erzahlen. Die Anzeige habe ich in Handen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des Volks, die Besturzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht machen.
Barere. Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein Sabelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist!
St. Just. Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortfuhren und durfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder storende Auftritte veranlaßte, von den Debatten ausschließen.
Barere. Du hast einen revolutionaren Instinkt; das lautet ganz gemaßigt und wird doch seine Wirkung tun. Sie konnen nicht schweigen, Danton muß schreien.
St. Just. Ich zahle auf eure Unterstutzung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso krank sind wie Danton und welche die namliche Kur furchten. Sie haben wieder Mut bekommen, sie werden uber Verletzung der Formen schreien...
Barere(ihn unterbrechend) Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die Verschworung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle mit dem Tod bestrafte, der verletzten Formlichkeit angeklagt. Wer waren seine Anklager?
Collot (mit Pathos). Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die Schwachlinge, welche ihren machtigen Schoß befruchten wollten, in ihren Umarmungen ersticken; die Majestat des Volks wird ihnen wie Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf die Haupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.)
Barere. Hast du das Wort Kur gehort? Sie werden noch aus der Guillotine ein Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kampfen nicht mit den Moderierten, sie kampfen mit dem Laster.
Billaud. Bis jetzt geht unser Weg zusammen.
Barere. Robespierre will aus der Revolution einen Horsaal fur Moral machen und die Guillotine als Katheder gebrauchen.
Billaud. Oder als Betschemel.
Collot. Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.
Barere. Das wird leicht gehen. Die Welt mußte auf dem Kopf stehen, wenn die sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehangt werden sollten.
Collot(zu Barere). Wann kommst du wieder nach Clichy?
Barere. Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.
Collot. Nicht wahr, uber dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen versengenden Strahlen dein Ruckenmark ganz ausgedorrt wird?
Billaud. Nachstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus dem Futterale ziehen und es als Zopfchen uber den Rucken hinunterhangen machen.
Barere (zuckt die Achseln). Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.
Billaud. Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.)
Barere (allein). Die Ungeheuer! - ≫Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wunschest!≪ Diese Worte hatten die Zunge mussen verdorren machen, die sie gesprochen.
Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefangnisse drangen, faßt ein Gefangner sein Messer, er drangt sich unter die Morder, er stoßt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Morder drange oder mich in den Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der namliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umstanden; die Grundverhaltnisse sind sich gleich. - Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hort das auf? Da kommen die Gerstenkorner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Huhnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter!
Doch - war ich auch Gefangner? Verdachtig war ich, das lauft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.)
Siebente Szene
Die Conciergerie
Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.
Lacroix. Du hast gut geschrien, Danton; hattest du dich etwas fruher so um dein Leben gequalt, es ware jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschamt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer zudringlicher wird?
Camille. Wenn er einen noch notzuchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitaten wie bei der Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!
Danton. War' es ein Kampf, daß die Arme und Zahne einander packten! Aber es ist mir, als ware ich in ein Muhlwerk gefallen, und die Glieder wurden mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht. So mechanisch getotet zu werden!
Camille. Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der Faulnis - vielleicht, daß einem der Tod das Leben langsam aus den Fibern martert - mit Bewußtsein vielleicht sich wegzufaulen!
Philippeau. Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche erst nach dem Winter Samen tragt. Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir uber dem Versuch ein wenig stinken. Ist das so arg?
Danton. Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht wahr, die gottliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbanke satt, ich habe mir Gesaßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.
Philippeau. Was willst du denn?
Danton. Ruhe.
Philippeau. Die ist in Gott.
Danton. Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die hochste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schopfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schopfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verruckt, es ist aber doch was Wahres daran.
Camille. Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmoglich. Oh, nicht sterben konnen, nicht sterben konnen! wie es im Lied heißt.
Danton. Wir sind alle lebendig begraben und wie Konige in drei- oder vierfachen Sargen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Hausern, in unsern Rocken und Hemden. - Wir kratzen funfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben konnte! dem ware geholfen. - Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Faulnis, das ist der ganze Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens gewohnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz aufloste: ich ware eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome konnte nur Ruhe finden bei ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind noch nicht geschlagen. Wir mussen schreien; sie mussen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.
Lacroix. Wir mussen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Anklager und die Ausschusse mussen vor dem Tribunal erscheinen.
Achte Szene
Ein Zimmer
Fouquier. Amar. Vouland.
Fouquier. Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine Kommission.
Amar. Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er uberreicht Fouquier ein Papier.)
Vouland. Das wird sie zufriedenstellen.
Fouquier. Wahrhaftig, das hatten wir notig.
Amar. Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen.
Neunte Szene
Das Revolutionstribunal
Danton. Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen. Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zuruckziehen, ich werde mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen. (Zeichen des Beifalls.)
(Fouquier, Amar und Vouland treten ein.)
Fouquier. Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent beschließt:
In Betracht, daß in den Gefangnissen sich Spuren von Meutereien zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die Spitze der Emporer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizufuhren sich bemuht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das Tribunal ermachtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.
Danton. Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?
Viele Stimmen. Nein! Nein!
Camille. Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!
Danton. Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Ungluck uber Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie tragt die Stirne hoch, sie schreitet uber unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen Morder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses!
Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. - Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das Herz des Vaterlandes dringen sollen.
Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Graber sein? - Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Kopfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter den Zuhorern, Geschrei des Beifalls.)
Viele Stimmen. Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit Gewalt hinausgefuhrt.)
Zehnte Szene
Platz vor dem Justizpalast
Ein Volkshaufe.
Einige Stimmen. Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!
Erster Burger. Ja, das ist wahr, Kopfe statt Brot, Blut statt Wein!
Einige Weiber. Die Guillotine ist eine schlechte Muhle und Samson ein schlechter Backerknecht; wir wollen Brot, Brot!
Zweiter Burger. Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder Brot geben, er hatte recht.
Erster Burger. Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September. Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben?
Zweiter Burger. Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verrater.
Erster Burger. Wer sagt, daß Danton ein Verrater sei?
Zweiter Burger. Robespierre.
Erster Burger. Und Robespierre ist ein Verrater!
Zweiter Burger. Wer sagt das?
Erster Burger. Danton.
Zweiter Burger. Danton hat schone Kleider, Danton hat ein schones Haus, Danton hat eine schone Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von silbernen Tellern und schlaft bei euren Weibern und Tochtern, wenn er betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von Orleans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. - Was hat Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle.
Alle. Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verrater!
Vierter Akt
Erste Szene
Ein Zimmer
Julie. Ein Knabe.
Julie. Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie toten ihn aus Furcht. Geh! ich habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich konne ihn nicht so sehen. (Sie gibt ihm eine Locke.) Da, bring ihm das und sag ihm, er wurde nicht allein gehn - er versteht mich schon. Und dann schnell zuruck, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen.
Zweite Szene
Eine Straße
Dumas. Ein Burger.
Burger. Wie kann man nach einem solchen Verhor soviel Unschuldige zum Tod verurteilen?
Dumas. Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmanner haben einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trugt sie nie.
Burger. Das ist der Sinn des Tigers. - Du hast ein Weib.
Dumas. Ich werde bald eins gehabt haben.
Burger. So ist es denn wahr?
Dumas. Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen.
Burger. Du bist ein Ungeheuer!
Dumas. Schwachkopf! Du bewunderst Brutus?
Burger. Von ganzer Seele.
Dumas. Muß man denn gerade romischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga verhullen konnen, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde mir die Augen mit dem Armel meines roten Fracks abwischen; das ist der ganze Unterschied.
Burger. Das ist entsetzlich!
Dumas. Geh, du begreifst mich nicht! (Sie gehen ab.)
Dritte Szene
Die Conciergerie
Lacroix, Herault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern.
Lacroix. Die Haare wachsen einem so und die Nagel, man muß sich wirklich schamen.
Herault. Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht voll Sand!
Lacroix. Und treten Sie mir nicht so auf die Fuße, Bester, ich habe Huhneraugen!
Herault. Sie leiden noch an Ungeziefer.
Lacroix. Ach, wenn ich nur einmal die Wurmer ganz los ware!
Herault. Nun, schlafen Sie wohl! wir mussen sehen, wie wir miteinander zurechtkommen, wir haben wenig Raum. - Kratzen Sie mich nicht mit Ihren Nageln im Schlaf! - So! Zerren Sie nicht so am Leichtuch, es ist kalt da unten! -
Danton. Ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den Schoß wirft.
Camille. Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch danach. - Meine Lucile!
Danton. Sei ruhig, mein Junge!
Camille. Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie konnen die Hande nicht an sie legen! Das Licht der Schonheit, das von ihrem sußen Leib sich ausgießt, ist unloschbar. Sieh, die Erde wurde nicht wagen, sie zu verschutten; sie wurde sich um sie wolben, der Grabdunst wurde wie Tau an ihren Wimpern funkeln, Kristalle wurden wie Blumen um ihre Glieder sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln. Danton. Schlafe, mein Junge, schlafe! |
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