2014년 12월 29일 월요일

Indienfahrt 6

Indienfahrt 6

Sterben ist Pflicht, wie auch das Leben. Es wird ein jeder so leicht oder
so schwer sterben, als seiner Natur das Leben geworden ist, und wer das
eine verstanden hat, wird auch das andere konnen. Die Menschen Indiens
sterben leichter, selbstverstandlicher und gewissermaßen unauffalliger als
wir, sie uberlassen der Gottheit die Sorge fur ihr kunftiges Ergehen und
werden den Gedanken schwer erfassen lernen, daß sie selbst in letzter
Stunde fur einen geordneten Abzug verantwortlich sein sollten. Diese
Auffassung, die christlich genannt wird, entstammt auch keineswegs der
Uberzeugung des unschuldigen Begrunders unserer Kirche, sondern vielmehr
der berechnenden Klugheit ihrer Verwalter.

Langsam zog die Sonne ihren strahlenden Bogen, und das Land wechselte in
ihrem Schein. Wann wieder sollen Tage fur mich kommen, die in so großer
Stille dahingehen, dem Gedanken und der Erinnerung geweiht, durchklungen
vom Kampfruf der Adler? Wahrend ich hinabschaute ins Land, bald umwunden
vom schwermutigen Weinlaub des Traums, das gluhte von Licht, bald in
wunderbare Klarheit des Athers getaucht, durchlebte ich noch einmal so
manches, das ich gesehen und erfahren hatte, als ich das Land zu meinen
Fußen durchzog. Gegen Nordosten mußte Bitschapur liegen, die alte
Konigsstadt, aus deren Schlosserruinen sich die machtige Halbkugel erhob,
die einst ein mohammedanischer Furst erbaut und ganz mit Gold hatte
ausschlagen lassen. Sie war gegen die aufgehende Sonne geoffnet, deren
Licht sich in tausendfachem Glanz darin brach, so daß kein Auge
hineinzuschauen vermochte, ohne geblendet zu werden. Mitten im Herzen
dieser Kuppel, unter dem gewolbten Golddach, waren die beiden Thronsessel
des Maharadscha und des Maharadscha Khunwar, des Konigsohns, aufgestellt,
und in dem zornigen Strahlengefunkel, das das Feuer der Morgensonne
millionenfach widerspiegelte, empfing der Konig seine Gaste. So dienten das
kostbare Blut seiner Berge und das Himmelslicht des neuen Tages seiner
Herrlichkeit, und die besturzten Freunde seines Reichs, die im Augenblick
des Sonnenaufgangs vor seinen Thron gefuhrt wurden, horten den Gruß des
Fursten aus einem Glanz erklingen, der ihre Augen schloß und die Knie zu
Boden zwang. Es mag gewesen sein, als dienten Himmel und Erde einem
Allmachtigen, um seine Hoheit unfaßbar zu machen. Zwischen jener Goldkuppel
und dem Marmorplateau, auf welches die Ankommlinge gefuhrt wurden, war ein
tiefer gelegener Garten voll bluhender Blumen, wie sie sich in Duft und
Pracht nur dem tropischen Himmel offnen, und die Wohlgeruche ihrer Kelche
gesellten sich dem Glanze.

Der prachtliebende Sultan fiel von der Hand eines starkeren Konigs, der von
Norden kam und die Stadt zerstorte. Ihre Tore waren bis an die runden Bogen
der Gewolbe mit Toten angefullt, und die Zahne des gefallenen Herrn der
Stadt konnten nicht aus dem elfenbeinernen Griff seines Sabels gelost
werden, den er, zerfetzten Leibes, den Feinden nicht hatte uberlassen
wollen. So ist er unter einem Berg seiner gefallenen Getreuen gefunden
worden, und die Sage erzahlt, daß er auch so bestattet worden sei unter
dem gewaltigen Kuppelbau, den er sich selbst, wie alle Fursten jener Zeit,
zu seinen Lebzeiten hat erbauen lassen.

Diese riesenhaften Grabdenkmaler der Stadt uberragen noch heute das
Trummerfeld von Bitschapur, sie erinnern in ihrer Bauart und Große an
Moscheen, auch wird in einigen noch Gottesdienst gehalten, oder sie locken
Tausende von mohammedanischen Pilgern als Wallfahrtsort aus weiter Umgebung
in die heilige Stadt der großen Toten. Man erblickt in diesen Bauten
seltene Steinblocke eingefugt, deren Entstammung bis heute nicht hat
aufgeklart werden konnen, besonders als Grabsteine sind hier und da
schwarze, basaltartige Felsstucke verwandt worden, deren Beschaffenheit die
Gelehrten sich nur dadurch erklaren konnen, daß sie sie unter die
Meteorsteine einreihen. Die großte dieser Kapellen ist von einer Kuppel
gedeckt, von deren Galerie der schwindelnde Blick unter sich die beiden
Grabsteine klein wie Streichholzschachtelchen erblickt, und das Auge ist
nicht in der Lage, einen Menschen von Angesicht zu erkennen, der sich ihm
gegenuber auf derselben Galerie befindet, wohl aber versteht er das
leiseste Wortlein, das druben im Flusterton, gegen die Wand gesprochen,
fallt, da das Kreisrund des Steingefuges auf wunderbare Art den Schall
bewahrt und deutlich herumtragt. Man erzahlt, daß der Sultan auf solche Art
die Ergebenheit seiner Minister, die Treue seiner Gaste und die Neigung
seiner Frauen erprobte, von denen er die einen oder anderen mit ihren
Vertrauten auf diese Galerie fuhrte und sich, nach herausfordernden Worten,
wie zufallig von ihnen trennte, um dann Wort fur Wort ihre Gedanken am
verraterisch erklingenden Kreisrund der Galerie zu erlauschen. In banger
Ehrfurcht vor diesem Wunder zittert das Volk noch heute in der Erinnerung
an die geheimnisvolle Macht des Toten.

In einem dieser Dome, fast dem großten, fand ich statt der gewohnten zwei
Grabsteine, die die Leiber des Konigs und der Konigin bergen und den
einzigen Inhalt der Gebaude darstellen, deren drei und erfuhr die
Geschichte dieser seltsamen Ausnahme, in der die Geliebte des Konigs neben
ihm und seiner rechtmaßigen Gattin, der Mutter des Konigssohns, beigesetzt
worden ist. Es geschieht sonst in keinem Fall, da nur die Favoritin, die
den Erben des Reichs geboren hat, im Tode neben dem Sultan ruht, seine
ubrigen Frauen bleiben rechtlos, sowie auch deren Kinder, so ausgiebig sie
ihre Macht und ihren Einfluß im Leben angewandt oder mißbraucht haben
mogen. Aber die Geschichte erzahlt, daß der Konig diese junge Gefahrtin
seines Alters zartlich liebte, und als er aus einem Kriegszug heimkehrte,
gelang es den Intrigen der Benachteiligten, Mißtrauen gegen ihre Treue in
sein Herz zu saen.

Sie beschwor ihre Unschuld, aber die falschen Beweise uberzeugten den Konig
gegen seinen Glauben. Jedoch im Zwiespalt seiner Empfindungen mag er auf
den Gedanken gekommen sein, ein Gericht Gottes uber Schuld und Unschuld der
jungen Frau entscheiden zu lassen. Er fuhrte sie auf die hohe Galerie
seiner vollendeten Grabkirche, uber deren niedriges Steingelander hinab dem
Blick das Gefuge der großen Steinquadern des Bodens klein, wie die
Musterung eines Schachbretts, erscheint, und befahl ihr, hinabzuspringen.
Die Luft verfing sich wahrend des Falls in ihren weiten Gewandern, und sie
langte unversehrt in der Tiefe an, grußte hinauf zu ihrem Herrn, der ihr
mißtraut hatte, und totete sich mit einem kleinen Dolch, der noch heute in
der Gegend ihres Herzens hockt. Das Volk nennt sie ≫die Fremde≪, ihr
Grabstein wird mit heimlicher Scheu erwahnt, es mag dies seinen Grund darin
haben, daß ihr freiwilliger Tod nach erwiesenem Recht dem Geist der
orientalischen Weltbetrachtung wunderbar und unerklarlich erscheint.

Der Konig fiel in Schwermut, und der Gram seiner Reue soll oft in große
Grausamkeit umgeschlagen sein, seine Rachsucht ist furchtbar gewesen und
erst durch den Tod gestillt worden, man erzahlt, daß er seit jenem Tage,
nachdem die Verleumder eines graßlichen Todes gestorben waren,
allmorgendlich die Scharfe seines krummen Sabels im nackten Rucken des
Sklaven prufte, der ihm die Steigbugel seines Pferdes hielt. Sein Bildnis,
das Handler der Stadt in kunstvollen bunten Kopien aus Wasserfarbe
feilbieten, zeigt ihn auf einem hohen Samtkissen hockend, das Schwert uber
den Knien und den Blick unter dem roten, mit Edelsteinen geschmuckten
Turban starr und erkaltet in die Weite gerichtet. Seltsam genug meldet die
Kunde von ihm, daß er, obgleich er niemals in Beruhrung mit seinem Volke
gekommen ist und sein Anblick Entsetzen verbreitete, auch kein Madchen
seines Landes vor ihm sicher war, doch zugleich geliebt worden sei, wie
kein anderer Furst vor oder nach ihm. Seine Krieger sollen fur ihn in den
Tod gegangen sein, als sprache die Sterbenspflicht unter seinem Willen ihre
Seelen fur alle Ewigkeit frei, und seine Widersacher verfielen der
Volkswut. Es ist dies ein neuer Beweis dafur, wie wenig die
Volkstumlichkeit eines regierenden Fursten mit seinen guten Eigenschaften
zu tun hat, und daß kein Irrtum großer ist als der, daß die Liebe der
Untertanen und die Nahbarkeit des Herrschers Hand in Hand gehen.

Als ich Bitschapur sah, lag die Stadt voll Toter. Wir kamen in der
Morgenfruhe auf Pferden an, ohne Kunde davon erhalten zu haben, daß die
Pest in so furchtbarer Weise in der Stadt wutete. Als wir nahe vor den
Toren waren, wies mein Begleiter auf die Hugel im Umkreis der Stadt, die
mit Zelten bedeckt waren, und riet zur Umkehr, aber es bot sich uns keine
Moglichkeit dazu, da es uns an Wasser und Nahrung gebrach.

Die Lager auf den Hohen unterrichteten uns daruber, daß die Bewohner aus
der Stadt gefluchtet waren, und so fanden wir nur Tote im Bereich der
herrlichen Ruinen. Die Pferde zitterten, als uns der erste, widerlich suße
Hauch der Verwesung entgegenschlug, und Wolken von Aasgeiern erhoben sich
trage mit haßlichem Geschrei bei jeder Straßenbiegung. Die Leichen lagen in
den offenen Turen und auf den Gassen, aus leeren Augenhohlen und
geschwarzten Angesichtern starrte der Tod uns an, und die Hufe unserer
Tiere verwickelten sich in den faulenden Schlauchen der menschlichen
Eingeweide, die die Geier weit uber die Wege gezerrt hatten.

Die unbarmherzige Sonne spiegelte im Marmor, ihren stillen Liebeszorn
bewegte kein Lufthauch, ein paar vergessene Ziegen irrten durch die
furchtbare Todesode und den gigantischen Prunk der Vergangenheit. Es war
eine Hungersnot vorangegangen. Heute noch sehe ich die mageren, dunkeln
Menschenkorper, geschwarzt vom Gift der Verwesung, gegen weiße Mauern
gelehnt, uber Steintreppen geworfen, oder am rotlichen Boden. Zwei Kinder,
die einander umschlungen hielten, schienen am Rand eines Tempelteichs
eingeschlafen zu sein, die Lage ihrer zartlichen Gestalten verriet weder
Angst noch Schmerzen, aber die Augen fehlten, und in geschaftigem, frohem
Eifer bohrte ein grauer Geier seinen Schnabel unter die Stirnen, so daß die
Kopfchen schaukelten. Als ich mich naherte, hob der Vogel den kahlen Kopf
mit dem harten Schnabel, und seine gelben Augen sahen mich rauberisch an,
als ob er Verwunderung daruber empfande, daß ein aufrechter, lebender
Mensch sein Totenreich betrat.

                  *       *       *       *       *

Als die Sonne ins Meer gesunken und ihr letztes Licht wie in violettem,
feuchtem Qualm uber dem fernen Wasser zergangen war, brannte Panja ein
kleines Feuer auf der Berghohe unter unserem Felsen an, der uns nach zwei
Seiten hin schutzte. Wir mußten mit dem Brennmaterial sparsam umgehen,
Panja hatte es zum guten Teil unterwegs sammeln und bis zu unserer hohen
Lagerstatte schleppen mussen.

Die Nacht war totenstill, die ganze Welt schien erstorben, nur ein paar
große Nachtschmetterlinge besuchten mein Feuer, und ihr Surren zitterte in
der Luft, bis Panjas Schnarchen sie fullte. Aus weiter Ferne unterschied
ich Hyanenstimmen und schwaches Bellen der Schakale. Der Sternschein
tauchte in blassem Dunst der Tiefe glanzlos unter, aber uber den Bergkuppen
und -zacken funkelte das Licht hart und zornig, wie im gottlichen Rausch
seiner unirdischen Freiheit. Der schmale Mond war erst gegen Mitternacht zu
erwarten.

Ich schlief nur ganz kurze Zeit, um den Aufgang der Sonne nicht zu
verpassen, und die Stunden eines einsamen Wachens auf der Hohe, in der
blauen silbernen Tropennacht sind mein unvergangliches Eigentum geblieben,
ein feierliches Kleid der Erinnerung, das meine Seele niemals ablegen wird.
Es ist ihr bannender Zaubermantel gegen die Bedrangnisse des kleinen
Alltags geworden, das Leben und der Tod wiegen ihr in solcher Hulle leicht,
und der Gedanke an das Unendliche ruckt nahe, wie sich das Bild im
spiegelnden Wasser dem Knienden nahert.

Ich vergaß in jener Nacht, daß die Erde bewohnt ist, und ich begriff, daß
wir Menschen unseres Jahrhunderts unser ganzes Wesen zu sehr darauf
eingestellt haben. Unsere Beziehung zur Natur ist oft nur durch eine Flucht
vor den Menschen und aus unseren Lebensverhaltnissen moglich, und so
erscheint uns das nur fur kurz gegonnt, was uns von Anfang an zum Eigentum
bestimmt war. Der Satan der neuen Welt entschadigt uns uberreichlich fur
die Verluste unserer alten Rechte, und doch werden wir am Ende die
Betrogenen sein, denn der beste Teil entgeht uns, jener Anteil, der die
Gelassenheit der Besinnung mit sich bringt, die Ruhe des guten Gedankens
und den Frieden der Erkenntnis unserer selbst.




Neuntes Kapitel

Die Herrschaft des Tiers


Unendliche Mattigkeit lagerte in der Luft. Wir waren nun den zweiten Morgen
unterwegs, um Mangalore zu erreichen, und die Auslaufer der
Dschungelwaldungen deckten uns zu, zwischen ungeheuren Felsschluchten.

Der Abstieg von den Bergen zur Kuste ging langsam vonstatten, da wir
unmoglich langer als die Stunde vor Sonnenaufgang und zwei oder drei
nachher marschieren konnten. Bisweilen unternahmen wir noch kleine Strecken
am Abend, aber es wurde wenig vom Wege zuruckgelegt, da die anstrengenden
und umstandlichen Vorbereitungen fur unser Nachtlager die kuhlere Stunde
vor Aufgang der Nacht beanspruchten.

Eine schmerzende Rastlosigkeit und ein dumpfer Druck in meiner Brust
machten mir die Weiterreise fast unmoglich. Ich glaubte, nicht atmen zu
konnen, und mir war, als zersprengte mein Blut seine Gefaße wie garender
Wein. Mich befiel ein Taumel, dem kein Rausch zu vergleichen ist, und ich
begriff nicht, daß ich monatelang in diesem kochenden Dunst hatte leben
konnen, wobei ich allerdings nicht bedachte, daß das Jahr vorgeschritten
war und die heiße Zeit ihren Hohepunkt erreicht hatte. Die bosen
Erinnerungen an mein uberstandenes Fieber uberfielen mich wie Raubtiere;
ich furchtete sie mehr als die hungrigen Bestien, die nicht von unserer
Fahrte wichen, und als die Giftschlangen, deren Biß in dieser Zeit am
gefahrlichsten ist und fast unmittelbar todlich wirkt. Der ganze Urwald
schien von diesem Gift erfullt, und die Ermattung seiner Geschopfe teilte
sich dem Korper mit, bis tief in die Kammern des Herzens. Mehr als einmal
verlangte ich gebieterisch, daß der Ruckweg in die Berge angetreten wurde,
aber Panja und Pascha, die kaum noch widersprachen, taten in stoischer
Gelassenheit, was sie fur richtig hielten und was es unter den drohenden
Ereignissen der Natur auch einzig gewesen sein mag.

Ich verlor den Sinn fur die Pracht der Gegenden, durch die wir kamen; die
einzige Hoffnung, die mich aufrecht erhielt, war der Gedanke an das Meer,
und oft flehte ich, der todlichen Gefahr zum Trotz, in heimlicher
Gemeinschaft mit den schmachtenden Geschopfen der Natur, den Himmel um
Regen an. Es kam hinzu, daß ich die sichere Orientierung auf der Karte
vollig verloren hatte, ich wußte mit Bestimmtheit kaum mehr als die
Himmelsrichtung und mußte mich ganz auf Panja verlassen, dessen Urteil mir
um so leichtfertiger erschien, je mehr er mich mit falschen Aussichten
vertrostete. Auch mußten wir oft die Richtung wechseln, da wir uns
unuberwindbaren Hindernissen gegenubersahen, so daß sich die in der Tat
zuruckgelegte Wegstrecke auf unser ungewisses Ziel zu oft kaum bestimmen
ließ. Bald fehlte es uns an Nahrung, bald an Wasser, und nur Panjas
Kenntnissen der vielerlei Fruchte des Waldes ist es zu danken, daß wir
nicht in bittere Not gerieten. Zuweilen fand ich trotz des schmerzenden
Hungers nicht den Aufwand von Energie, mit der Buchse Umschau zu halten,
und oft waren die Milch einer Kokosnuß oder eine Ananas meine einzige
Nahrung fur einen Tag.

Aus der Reihe der Entbehrungen und Leiden dieser Tage ist mir ein Eindruck
geblieben, der sich tief in meine Seele gegraben hat, und dem ich den
letzten Aufschwung meiner Kraft verdankte. Wir kamen an einem Fruhmorgen,
bevor die Sonne aufgegangen war, in die schmale Felseinmundung zu einer
Schlucht, die sich bald groß und weit vor unseren Augen offnete. Es
herrschte noch jenes seltsame und ergreifende Zwielicht von Mondschein und
hereinbrechendem Morgenlicht, das ich nur in den Tropen in diesem
magischen Glanz eines Kampfes um die Herrschaft angetroffen habe. In den
Landern des Abendlandes scheint die Nacht dem Tage auszuweichen, ihre
Gestirne verblassen gelinde, lange bevor die Sonne am Horizont sichtbar
wird, und der schuchterne Morgenmond, der noch bisweilen zu sehen ist,
wirkt wie eine verloschende Erinnerung an die Nacht. Aber in Indien sind
die Lichter der Nacht mit dem Glanz des hereinbrechenden Tages in einen
leidenschaftlichen Kampf verstrickt, der seine Zwiespalte der Seele um so
eindringlicher mitteilt, je mehr die Stille der Lichtwelten ihre Gewalt und
Beharrlichkeit behauptet.

Die ersten Tierstimmen erwachten um uns her, aber nichts regte sich. Wir
waren tief im Grunen und krochen und sprangen abwarts in weiten Abstanden
voneinander, von Fels zu Fels, uber gesturzte Baumstamme und sumpfige
Locher, in denen die Uberreste eines Gebirgsbachs faulten. Nach einer Weile
offneten sich Bambuswande, und ich gewann fur kurze Zeit einen freien Blick
uber die ungeheure Schlucht. Zur Rechten und zur Linken erhoben sich
gelbliche Felswande, beinahe senkrecht abfallend und fast ohne Vegetation.
Sie liefen in der Ferne auseinander und ließen einen Blick in die
dampfende, grauschimmernde Weite zu. Der Dschungel erschien wie eine dicke,
grune Decke im Winkel eines riesenhaften Gemachs mit braunen Wanden, und
der Morgenhimmel daruber war von glaserner Klarheit.

Die westliche der beiden steilen Felswande war bis zur Halfte wie mit
dunkelroter Farbe bemalt, gegenuber flimmerte das Mondlicht im Grunen. Ich
stand, von diesem Bild gebannt, in Betrachtung versunken da. Zugleich mit
der Hoffnung, daß nun der schwierigste Teil unserer Reise uberwunden sein
mochte, glaubte ich die Wohltat eines leisen, kuhleren Windes zu verspuren,
und meine Augen glitten entzuckt uber die goldene Glutbahn des
Morgenlichts an der Felswand dahin.

Auf halber Hohe dieser Wand, etwa dort, wo sie der Sonnenschein teilte,
lief eine ausgehohlte Bahn wagerecht durch das Gestein, die man wohl fur
eine alte Meergrenze hatte halten konnen. Sie wirkte wie ein uberdachter
Weg und mag auch zum großen Teil gangbar gewesen sein, fuhrte an
halbkuppelartigen Hohlen voruber und gewahrte vereinzelten Zwergpalmen und
Aloestauden Halt. Vor der großten dieser Hohlen war ein kleines
Felsplateau, nicht großer als etwa der Raum, den ein alter Lindenbaum in
der Mittagssonne zu beschatten vermag, und am Rand dieser Felsplatte in der
Sonne lag etwas. Ich erinnere mich deutlich, daß, noch bevor der Eindruck,
der meine Augen fesselte, mir irgend zum Bewußtsein gedrungen war, noch ehe
ich daruber sann, was dies gelbliche ruhige Etwas sein mochte, ein
Unterbewußtsein, wie eine ahnungsvolle Ehrfurcht mich bannte. Aber dann
wußte ich es jahlings, wie durch einen lauten Zuruf aufgeklart, und auch
ohne daß ich noch Figur und Zeichnung recht unterschied: der Tiger.

Es ist das einzige Mal gewesen, daß ich in Indien einen Tiger in der
Freiheit erblickt habe. Ich lehnte mich an den Stamm eines Baumes, schloß
die Augen und offnete sie wieder und sah hinauf wie einer, der sich von
seinen Blicken betrogen glaubt. Niemals werde ich die hellbraunen Felswande
vergessen, das Morgenlicht in der Steinkuppel und vor ihr, wie auf einem
Marmorsockel als Thron, im Schutze des steinernen Baldachins, die ruhende
Sphinxfigur des Tigers. Die Entfernung und die Hohe der Felswande ließen
ihn mir klein erscheinen, aber ich unterschied die Zeichnung des Fells
deutlich und sah die Pranken nebeneinander ruhen unter dem schrecklichen
Haupt, das unbeweglich, wie gemeißelt, die geschmeidige Linie des Ruckens
und des breiten Nackens vollendete und dessen Augen in die Weite gerichtet
schienen. Eine Majestat ohnegleichen ging von diesem gluhenden Monument der
Natur aus.

Es ergriff mich eine Traurigkeit, die ich niemals ganz werde begreifen
lernen, aber ich weiß, daß meine Hande sich ballten und zitterten. Damals
erfaßte ich zum ersten Male die Schonheit und Große der agyptischen Sphinx,
dieses gewaltigsten Steinmonuments, das der Geist und die Erkenntnis des
Menschen jemals im Licht des Anspruchs und der Ehrfurcht erschaffen haben.
Die Begriffe der Gottheit, der Natur und des Menschseins sind in ihren
vielfachen Widerspruchen in dieser Gestalt zu einem Kunstwerk vereint,
welches das Unerbittliche lieblich mit der Hoffnung verbindet, die
Herrschsucht mit der Anmut, die Gefahr mit der Lust und die Gottheit mit
dem Spiel. Und keineswegs einzig durch den Abstand, welcher uns von diesem
Bildwerk scheidet, sondern an sich und fur alle Zeiten der Vergangenheit
und Zukunft stellt die Sphinx das gewaltige Denkmal der Historie dar, jener
Historie, die uber der Gewißheit einer großzugigen Entwicklung jede
Erinnerung an Einzelheiten und Geschehnisse zu verschmahen scheint und nur
in erhabenen Merksteinen die Jahrtausende mißt, welche das Menschenherz im
unveranderbaren Pulsschlag durchpocht.

Der Anblick dieser großen ruhenden Katze in der Sonne, hoch in der
Felsenfreiheit, uber dem unruhig garenden Bett der vielerlei kleinen
Geschopfe und Pflanzen des Dschungels, trug meinen Geist uber die Geschicke
der Zeiten fort, zuruck bis an jenen altesten Stein der
Menschheitserinnerung. So erschien mir das herrliche Tier in seiner
Vereinsamung, wie ein spater Nachkomme einer versunkenen Zeit, schon im
schwermutigen Schatten des Abschieds seines starken Geschlechts von der
Erde der Menschen, denen es mit vielen, langst vergessenen Wesen hat
weichen mussen.

Aber hier war noch das Reich seiner Herrschaft. In der Morgensonne funkelte
sein steinerner Thron, und den erwachenden Urwald, tief unter dieser
koniglichen Ruhe, schreckten die Schauer vor solcher Majestat. Arm, mude
und machtlos schlichen ein paar Menschlein unten durch das schutzende Grun,
und unter ihnen ich, geduldet und eingeschuchtert durch die Herrschaft des
Tiers.

                  *       *       *       *       *

Als ich am Abend im Zelt einzuschlafen versuchte, entdeckte ich zwischen
den Baumen hindurch an den Himmelslucken einen rotlichen Schein, der nicht
von unserem Feuer kommen konnte. Ich trat hinaus und prufte die Weite
umher, so gut es mir gelang. Der Mond ging erst gegen Morgen auf; ich sah,
daß der ganze Himmel glutete, und weckte Panja.

≫Die Steppen brennen≪, sagte er, nachdem er sich umgesehen hatte, und sog
die Luft durch die Nase ein, aber die windlose Nacht trug keinen
Brandgeruch bis zu uns. ≫Die Berge brennen,≪ wiederholte er schlaftrunken,
≫tausend Tiere sterben, darunter die schadlichen. Die Bergmalabaren zunden
die Reste an, die die Sonne zuruckgelassen hat; oft entstehen die Feuer
auch, ohne daß jemand weiß, wer sie angelegt hat.≪

Der Glutschein nahm zu und verbreitete eine erregende, matte Helligkeit im
nachtlichen Wald, die Stimmen der Tiere schienen vereinzelter und
gedampfter zu klingen, wie in Ehrfurcht vor dem draußen herrschenden
Element.

≫Es heult nicht, das Feuer,≪ sagte Panja und lauschte, ≫ruhig schleicht es
uber die Hohen.≪

Er legte sich wieder zur Ruhe nieder, es drohte uns keine Gefahr, aber
mich floh der Schlaf, den ich eben noch ohne Glauben gesucht hatte. Ich sah
im Geist die roten, wehenden Feuerfahnen uber die endlosen graugrunen
Hugelweiten flattern in der blauen Nacht, und mir war, als horte ich die
Stimmen des fliehenden und ereilten Getiers, das im Streit um den Besitz
der Berge, dem Menschen auf der Walstatt eines unaufhorlichen Kampfes
erlag. Gegen Morgen wurde der Mond durch den Rauch scheinen, bis langsam
die Sonne die goldenen Kamme der Berge in ihrer Ruhe uber dem bewegten Bild
entzundete; dort oben war es still, die ewigen Kriege waren dort langst
verrauscht.

In der Schlucht rief ein Uhu, immer lange, wie aus tiefer Brust
hervorgehauchte Tone, in weiten Abstanden voneinander, bald wie in dumpfer
Daseinsangst, bald wie in Liebesqual. Als der rote Schein zunahm,
verstummte er, die Felsschlucht schwieg, die dunklen Wande im rotlichen
Nebel vereinsamten aufs neue, und die verlassene Nacht zog weiter, im
gluhenden Schleier.

Es war eine lautlose Unruhe in der tragen Uppigkeit des verbluhten Waldes
und die Geister der Vermoderten kamen aus der Vergangenheit hinuber in die
Bereiche meiner Erinnerung und begannen zu mir zu reden. Uberall umher
lagen uberwache Sinne in Krankheit, aus Lochern, Hohlen und grunen
Schlunden starrten die Masken unersattlicher Gier und gereizter Ermattung
einander an, im steilen Bambus schlief der Wind, hingesunken wie ein von
giftigen Gasen zum Taumeln gebrachter Falter. Die Ungeduld des Erdbodens,
an der widrigen Grenze sußlicher Ersticktheit, teilte sich dem Blut der
Wesen mit, aber nichts half mehr, kein Geschrei und keine Klage, kein Trost
und keine Wut. Nur im Wasser oder im Feuer war Errettung zu finden. Hatte
nicht Panja eben noch gesagt, die Steppen entzundeten sich selbst?

Es klagte matt in der belebten Stille, ein Vogel, ein Waldtier oder ein
sinkender Baum, der sich seufzend in das morastige Bett seiner Entstehung
neigte. Ich lauschte auf die rochelnden Flustertone des Verfalls, in denen
die Stimmen der Versunkenen meine willenlosen Gedanken in ihr vergessenes
Bereich zuruckfuhrten. Der Geist des Fiebers schillerte mich bose, mit
grunen Augen, aufs neue an, und ich fuhlte mich vom Sterben umhullt und ihm
unrettbar preisgegeben. Ich empfand in merkwurdig tauber Verwirrung der
Verlassenheit, daß ich das Sterben noch nicht gelernt hatte, mich verlangte
inbrunstig nach Taten, nach Kampf und Anstrengungen, und meine hochste
Angst bestand im Gedenken an dies laue, erstickende Welken des Bluts, wie
es umher von mir gefordert wurde.

War es, weil meine Augen am Tage die Hoheit des Dschungelherrschers gesehen
hatten, daß ich den Mut und die Kraft zum eigenen Lebensrecht nicht mehr
aufzubringen vermochte? Die Bedrangnisse, in denen sich die Natur befand
und die sich meinem Gemut von Stunde zu Stunde eindringlicher und
uberwindender mitteilten, ja, denen ich vollig zu erliegen drohte, weckten
im Grunde meiner Gedanken ein bohrendes Bewußtsein von Schuld. Welcher
Empfindende und Verstehende suchte in aller Not nicht zuerst die Schuld in
der eigenen Brust? Die Erkennenden sind verantwortlich, sie sind es, welche
in Wahrheit Opfer bringen und welche die Suhne tragen, im Kleinen wie im
Großen. Hatte ich die Trauer und Große der alten Herrschergewalt dieses
Landes nicht erschauernd erblickt und ehrfurchtig auf meine Art erkannt,
wie ein verachtlicher Eindringling, und im Herzen schuldig aus Hochmut?

Wenn ich die Augen schloß, so war mir, als drange durch die Erschlaffung
der verschmachtenden Welt ein Pesthauch von jener Statte zu mir hinuber, an
der ich zwischen den blaulichen Stachelarmen der Aloen den gelben Leib des
toten Panthers gesehen hatte, dann wieder tauchte die beschienene,
steinerne Kuppel vor meinem Geiste auf, die als ein goldstrahlender
Baldachin den Thron des Tieres schutzte. Der Tiger war berufen, in diesen
Bereichen zu herrschen, ihn vergifteten die Dunste des Dschungels nicht,
der Brand der Tropensonne wurde seinem zahen Leib mit den eisernen Strangen
der Sehnen zur Wohltat, er durchschwamm die reißenden Strome zu seiner
Erfrischung, wie im Spiel, und durchschweifte die Steppe tagelang, ohne
Gefahrdung und ohne Bedrangnisse.

Wie in den zugleich bedruckenden und beangstigenden Sinnesschwankungen des
nahenden Fiebers, die sowohl Verwirrungen als auch die ubernaturlichen
Klarheiten der Vision mit sich bringen, war mir, als konnte unmoglich jene
Grenze gar zu weit zuruckliegen, an welcher der Wechsel der Herrschaft von
Tier und Mensch uber die Erde stattgefunden haben sollte. Als habe sich
meinen eingeschuchterten Sinnen erwiesen, wie toricht der Menschenhochmut,
in der leichtfertigen Sicherheit seiner zerbrechlichen Stadte, sein
Machtbereich und seine Herrschaft uberschatzt. Und mir war aufs neue, als
trate der Geist dieses Landes und seiner alten Volker zu mir und uberredete
mein Herz. Ich begriff eine Lehre, die das Tier ehrt, anbetet und niemals
totet, deren religioses Bewußtsein und Bekenntnis eine tiefe Beziehung zum
Wesen des Tiers ahnen laßt, und die die tatlose Geduld, die ehrfurchtige
Erwartung und das heilige Harren in demutiger Ergebenheit preist. Wie
vorzeiten in einer unvergeßlichen Traumnacht ein Affe im Triumph seiner
uberwundenen Gefangenschaft zu mir gesprochen hatte.

Wie aber die ungewisse Neigung zur Ehrfurcht Angst und noch keine
Beruhigung erzeugt, deren Friede erst mit der eingetretenen Erkenntnis
hereinbricht, so erschien es mir in heimlichem Erzittern zu dieser Stunde,
als sei die Herrschaft des Tiers auf der Erde nicht uberwunden, sondern als
bestunde sie noch, wenn auch verborgen und beengt, so doch in ihrer
ursprunglichen Gewalt und Finsternis.

Mit den ermudeten Zugen Hucs, des Affen, der mir zu Beginn meiner
leichtfertigen Fahrt in die uberbluhten Ruinen des alten Gottreichs
erschienen war, trat aufs neue der Geist dieser versunkenen Zeit vor mich
hin, und seine grauen Augen sahen mich an: ≫Noch herrscht das Tier, hier,
um dich her, im Rahmen der ihm zugehorigen Natur, in die der Mensch nicht
weiter eingedrungen ist, als ein Borkenkafer in einen Baum, dort verborgen
in der aufrechten Gestalt, unter der weißen Haut, hinter der klugen Stirn
und den schonen Augen. Vollzieht sich die Wandlung unter dieser Hulle nicht
immer noch rasch und leicht? Nicht allein auf Schlachtfeldern und im
Getummel der entflammten Haufen, auch in stillen Kammern oder auf offenen
Markten, unter den Marterpfahlen der Heiligen, oder im Schmeicheln der
sußesten Rede? Noch herrscht das Tier. Die Weisen der Erde erzittern auf
ihrem Weltpfade unter dem Gebrull, das um sie her erklingt, wenn sie
eilend, gerafften Kleids, mit verwundeter Hoffnung ihre Zeit durchmessen.≪

Mit feurigen Schritten schlich die Nacht trage dahin, der Himmelsschein der
brennenden Steppen erlosch allmahlich, aber es war, als habe er eine
vermehrte Hitze zuruckgelassen, immer noch war kein Hauch des nahenden
Morgens zu verspuren. Vergebens forschte ich am Himmel nach dem
Morgenstern, und mit den dusteren Wetterwolken, die wie bose Ahnungen im
gluhenden All herandrangten, begann neben mir monoton die Stimme meiner
Angst aufs neue:

≫Das Tier herrscht. Wenn der Morgen sich ankundigt, so wird dein Blut
erloschen sein, du sollst in diesem schwulen, grunen Mantel ersticken.≪
Meine Qual entstand nicht durch den Gedanken an den Tod meines Leibes,
sondern durch diese dustere Ahnung von der Herrschaft des Tiers und durch
die Hoffnungslosigkeit, in der ich, am Rande des Wahnsinns, nach einem
Ausweg suchte, nach einer erlosenden Gewißheit, nach dem Licht der Zukunft.
Wie der Zweifelnde das Leben seiner Geliebten argwohnisch nach Beweisen
ihrer Schuld durchforscht, gegen seinen besseren Willen, ja, fast gegen
sein Gewissen, so durchforschte mein Geist in diesen Nachtstunden die
Geschichte der Erde nach den Merkmalen des Tiers, und aufs neue tauchte das
Bildwerk der Sphinx vor meinen geistigen Augen empor. Es verschmolz mir in
der alten Erinnerung des Menschenwesens und in der Erinnerung meiner
eigenen zeitlichen Erlebnisse mit der Erscheinung des ruhenden Tigers an
der Felsenwand. Es war, als habe diese Erscheinung, von der meine Augen am
vergangenen Tage betroffen worden waren, im mystischen Zusammenhang mit der
alten Menschenfurcht und -ehrfurcht, einen erklarenden Lichtschein auch in
meine Erkenntniswelt geworfen, und in jener Nacht hatten keine menschliche
Weisheit und keine Uberzeugungskraft mich vom Wege meiner Gedanken
abzubringen vermocht.

In ihm, jenem alten Volke der Agypter, mußte das Bewußtsein klar gelebt
haben, daß die Herrschaft des Tiers nicht uberwunden war, sie erschufen in
unfaßbarer organischer Einheit den Katzenleib mit dem Menschenkopf und den
Menschenleib mit dem Lowenhaupt. Sie erhoben diese Standbilder zu
Gottheiten, verehrten sie in ihnen und erkannten sich selbst darin.

Wahrend meine Gedanken nach Sicherheit suchten, nach dem entscheidenden
Gegenwert, nach der Verkundigung der Wahrheit, daß das Tier dennoch
uberwunden sei, schritt auch Johannes an mir voruber, der den
gottlich-weisen Heiligen von Golgatha am lautersten geliebt hatte. Auch
ihn, den, wie keinen, die menschliche Hoheit und der gottliche Triumph
seines Meisters durchdrungen hatten, schreckte in den verzuckten Ahnungen
eines kunftigen Reichs des Menschensohns, das Tier. In seinen letzten
Visionen, in denen Furcht und Hoffnung das liebende Gemut im zerrutteten
Leib zerrissen, erschien ihm das Tier:

≫Und ich trat an den Sand des Meers und sah ein Tier aus dem Wasser
steigen, das hatte sieben Haupter und zehn Horner und auf seinen Hornern
zehn Kronen und auf seinen Hauptern Namen der Lasterung. Und ich sah seiner
Haupter eines, als ware es todlich wund, aber seine todliche Wunde ward
heil, und der ganze Erdboden verwunderte sich des Tiers. Und sie beteten
das Tier an und sprachen: 'Wer ist dem Tiere gleich? Wer kann mit ihm Krieg
fuhren?!' Und ihm ward gegeben, zu streiten mit den Heiligen und sie zu
uberwinden, und ihm ward Macht uber alle Geschlechter gegeben.≪ --

Die brodelnde Finsternis des heißen Urwalds umdunkelte meine uberwachen
Sinne, wie im Taumel einer nahenden Ohnmacht, und meine armen Gedanken
huschten wie blasse Irrlichter daruber hin. Damals war mir der Gedanke an
meinen nahen Tod zur Gewißheit geworden, und ich weiß zuversichtlich, daß
ich seinem Schatten niemals naher war. Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach
dem Morgen wachte, wie eine letzte Hoffnung, unverstanden und von dusterer
Traurigkeit bedruckt, in meinem Herzen, das erstickend in Finsternis und
Erdschwule nach Erlosung rief. Ich muß kurz nach diesen letzten
Erinnerungen in Schlaf gesunken sein, uber mir den qualmenden Rachen des
Tiers.

Aber der Traum, mit welchem ich im Morgenlicht erwachte, war leicht und
lieblich, als belohnte ein gnadiger Geist die Bedrangnis meiner Gedanken
mit einer frohen Zusicherung. Es ergeht uns Irdischen oft so, daß sich der
Wechsel und Ausgleich von Finsternis zum Licht mit dem Wechsel von Schlafen
und Wachen vollzieht, oder bisweilen wohl auch umgekehrt, als lage die
Absicht, zu schlichten und zu besanftigen, im naturlichen Wandel unserer
Zustande. So mag es sich erklaren, daß ein heiter verbrachter Tag sich in
dusteren Traumbildern spiegelt, oder daß die Angesichter der Toten zuweilen
nach furchtbaren Qualen des Sterbens einen unnennbaren Frieden in ihren
Zugen tragen.

Ich erinnere mich keines Traums, der meinem Gemut eine großere Helligkeit
gebracht hatte, und keine Wohltat ist jener Ruhe zu vergleichen, die mir in
den Losungen geschah, die sich wie gnadige Offenbarungen an die Pein meiner
Angst und meines Zweifels im Schlafe anschlossen. Erkenntnisse, welche uns
durch Traume vermittelt werden, haben eine seltsame Unschuld der Erfahrung,
es erscheint oft, als schlossen sie alle jene Irrtumer aus, die das
bereitwillige Denkvermogen des wachen Gehirns so leicht begeht, in seiner
Hoffnung, es mochte aus dem Vielerlei ein Viel entstehen, und aus dem
Mancherlei ein Besonderes. Das Grubeln ist der Feind des Denkens, denn die
guten Gedanken kommen zu uns wie das Licht oder die Warme, unversehens, wie
ein Sonnenblick durch die Schleier der Wolken, oder wie eine Knospe an
ihrem Strauch im Fruhlingsregen aufbricht. So mag der Schlaf ein tatiger
Freund des Denkens sein, und das oft scherzhaft gebrauchte Wort, daß der
Herr es den Seinen im Schlafe gibt, hat ebensowohl einen tiefen Sinn, wie
das uralte Verlangen der Menschen, Traume auf rechte Art deuten zu lernen.

In einem hellen Zug, der auf dunklem Erdgrund allein und deutlich von einem
klaren Himmelsstrahl beschienen wurde, zogen die Heiligen der Geschichte,
die das Tier uberwunden haben, im Traum an mir voruber. Die Reihe ruckte
aus unergrundbarer Welttiefe, die ganz in Finsternis gebettet war, so hell
heran, als flosse ein weißer Bach in der Nacht uber schwarzen Erdgrund. Und
jedesmal mit dem Augenblick, in welchem eine Gestalt deutlich erkennbar
wurde, zerfloß sie in das große Wort ihres wichtigsten Bekenntnisses. Mit
dem Erklingen dieses Worts aber, das sich wie ein Lichtschein in meine
Sinne ergoß, versanken das Angesicht und der Name seines Tragers, aber es
erschien mir, als lage es so im Willen der Heiligen. Im Halbdammern, das in
ihrer Nahe herrschte, erkannte ich undeutlich in ihrer Begleitschaft die
gewaltigen Umrisse gefesselter Tiere. Ich erblickte darunter einen Drachen,
hundertfach verschlungen und in dunklen, gluhenden Farben von großer
Pracht, das Lowenhaupt der Sechmet, uber den lieblichen Madchenschultern,
tauchte empor und erlosch, die heilige Schlange, gekront, mit geblahtem
Hals unter dem Gift des Rachens, und das weiße Rind.

Unter den Heiligen kam auch aufs neue jener seltsamste Prophet zu mir, den
die Religionen der Volker kennen, und dessen Worte uber die Macht des Tiers
mir noch kurz zuvor durch den Sinn gegangen waren, aber seine Erscheinung
hatte die Gebarde des heimgesuchten Martyrers seiner Angst verloren. Er war
der Letzte; mit ihm und dem Wort seiner Gottheit erlosch der strahlende
Zug:

≫Ich bin der Erste und der Letzte. Ich bin der Ursprung des erwahlten
Geschlechts, ein heller Morgenstern.≪




Zehntes Kapitel

Sumpftyrannen


Es wurde schwer halten, mit Sicherheit uber den Zeitraum zu berichten, der
zwischen den inneren Erlebnissen dieser Nacht lag, in welcher ich dem Tier
begegnete, und der Morgenstunde, in welcher bald nachher Panjas helle
jubelnde Stimme mir aus dem Buschwerk entgegendrang. Beim Klang seiner
lauten Worte uberkam mich nach seinen vielerlei Vertrostungen zum erstenmal
die ganze Zuversicht unserer Befreiung. Ich verstand anfanglich immer nur
ein Wort, und da er es im Rufen mehr sang als sprach, so unterschied ich
den Sinn nicht, bis er lachend vor mir stand und zitternd vor Freude
erklarte, sie seien bis an die Ufer des Kumardary vorgedrungen, des großen
Stroms von Sud-Kanara, dessen Wasser aus den Bergen von Kurg und Maisur
zusammenstromen und der bei Uppanangadi in den Netrawati einmundet, an
dessen Ausfluß in das Meer Mangalore liegt, die Stadt, die unser Ziel war.

≫Der Fluß hat noch Wasser genug fur die großten Kanus,≪ rief Panja
glucklich, ≫wenn wir Boote aufgetrieben haben, so brauchst du keinen
Schritt mehr zu machen, bis die Palmen von Mangalore dich beschatten, und
der Regen mag kommen. Der Fluß tragt uns schnell hinab.≪

Seine frohe Gewißheit teilte sich mir anfanglich mit. Nach seinen
Schilderungen naherten wir uns dem rechten Ufer des Flusses, in einem
Abstieg genau von Norden nach Suden, hatten sein Bett also im Laufe der
zuruckliegenden Wochen bereits einmal uberschritten, wahrscheinlich in den
heißen Tagen des glucklichen Wanderlebens vor meinem Fieber. Eine
merkwurdige Ernuchterung uberkam mich plotzlich, sie stellte sich in
Gemeinschaft mit einer neuen Lebenskraft ein, aber zugleich mit einer
tiefen Verstimmung. Eine veranderte Wirklichkeit ruckte heran, mit den
grauen Bildern der gewohnten Lebensweise, und die tiefere Wirklichkeit des
Traums wurde daruber schadhaft und unwahr. Ach, gewißlich wurde ich die
Erlebnisse der zuruckliegenden Zeit niemals vergessen, aber irgend etwas an
ihnen schien mir plotzlich seine Inbrunst einbußen zu mussen; was einst dem
Ernst meiner Seele heilig war, das wurde nun im Schein eines feinen
Lachelns zuruckbleiben. Gewiß, jener schone Zustand der Vergangenheit war
einmal groß und wichtig gewesen, aber es war nun nicht mehr der einzige,
denn die neue Welt wurde aufs neue meine Hingabe, wiederum meinen Ernst und
meine Andacht einfordern.

Damals war es, als ich mir vornahm, niemals uber die große Welt meines
Erlebens zu schreiben oder zu erzahlen, sondern mich bei beiden an die
außeren Ereignisse zu halten. Ich wandte mich um und sah hinter mich, als
konnten meine Augen noch einmal alles ubersehen, was mich bedrangt und
erhoben hatte. Aber nur die undurchdringlichen grunen Wande, deren
Palmengefieder in der Sonne glitzerte, boten sich meinen Augen, keine Spur
unserer Fuße war mehr kenntlich, ich war vergessen in dem Bereich, das ich
fluchtig durchmessen, nur in der Ahnung begriffen und im eingeschuchterten
Gemut geliebt hatte.

Heute, nach Jahren, uber die weißen Blatter gebeugt, die meine Gedanken,
meine Freuden und die Bilder und Farben meiner Erinnerung tragen sollen,
begreife ich jene Trauer besser. Damals schlug in meiner Brust die Stunde
der Umkehr, damals fuhlte ich, daß ich hatte bleiben sollen, denn es gibt
keine Beruhrungen und Umarmungen in der Welt, die an Gluck denen der Natur
zu vergleichen sind, welche unschuldig und großzugig bleiben, und in keinen
weiß sich die besondere Art unseres Lebensbewußtseins geborgener. Auch
mogen damals heimliche Erinnerungen an die Hast und Willkur des
europaischen Treibens in mir erwacht sein, die alles in Begleitschaft und
zum Ziel haben, was immer Menschenaufgabe sein mag, Gluck fuhren sie nicht
herbei. Der Zustand des Glucks ist nicht ohne die Ruhe zur Selbstbesinnung
moglich, denn Selbstbetaubung fuhrt zur Verarmung.

Und doch ergriff mich daneben der Taumel des Neuen, das mich erwartete, und
ich weiß deutlich, daß mich damals schon eine Ahnung streifte, welcher Art
meine Erlebnisse sein wurden. Lichtwelten und Sturme der Geisteswelt kunden
sich begierigen Seelen so deutlich an, wie Gewitter oder Sonnentage sich in
der Natur vor ihrem Herannahen zu offenbaren pflegen. Mir war damals fur
einen Augenblick zumut, als sahe ich durch das Buschwerk der
Dschungelwildnis nieder auf das Meer, erblickte den blaulichen Rauch der
Hindustadt uber dem unruhigen Beet der großen und kleinen, bald geneigten,
bald kerzengeraden Palmen, und hier und dort das Schimmern einer weißen
Mauer. Ich sah eine braune, holzerne Tempelpagode zackig aus dem Grun
steigen und hinter ihr den blauen Streifen des Ozeans. So sah die Wohnung
des alten Geistes in meiner Vorstellung aus, und mich verlangte nach keiner
Begegnung inniger, als nach der mit einem der Sohne dieses Geistes. Wohl
war ich hier und dort auf meiner Reise mit Brahminen zusammengetroffen,
aber niemals war ich einem nahe getreten, da die heute zugangigen unter
diesen Leuten meist in Gewohnheit und Bildung von der Tradition ihres
Geschlechts gelassen haben, sie sind nicht mehr Priester oder Gelehrte,
sondern Handler geworden.

Mangalore aber, soviel wußte ich gut, war ein alter und von der neuen Welt
nur wenig beruhrter Platz, eine der wenigen großeren Meerstadte der
Westkuste, die weder von der Eisenbahn noch vom Dampfschiffverkehr beruhrt
werden und in denen, wie sonst nur tief im Lande, die Herrschaft der
Priesterkaste noch große Macht ausubte. Es kam hinzu, daß sowohl die
Jesuiten als auch die Protestanten dort Niederlassungen ihrer kirchlichen
Einwirkung unterhielten, so daß der Kampf der Geister belebt und heimlich
in der Stadt wogte.

                  *       *       *       *       *

In solch geteiltem Zustand meines Empfindens durchmaß ich mit den braunen
Gefahrten meinen letzten Tag im Urwald. Wir erreichten gegen Mittag ein
kleines Dorf, das nah am Fluß auf einem sanften Hugel lag, und auf das wir
nur durch das Trompeten eines Elefanten aufmerksam wurden. Den Fluß hatte
ich den Tag uber noch nicht zu Gesicht bekommen, obgleich wir uns an seinem
sumpfigen Ufer dahinbewegten, nur das Gurgeln und Schnattern von
Wasservogeln verriet ihn und der morastige Dunst der Luft.

Wir kamen bald auf einen ausgetretenen Pfad, der wie ein braunes Band in
mancherlei Verschlingungen, tief in Schilfwande eingebettet, dahinfuhrte,
und trafen dort nach langer Zeit einmal wieder einen Menschen an. Es war
eine alte Frau, die an einem Stab einen Kupferkessel uber der Schulter
trug, und die bis auf einen Lendenschurz nackt war. Ihre Augenbrauen waren
mit Henna gefarbt, und sie trug ein dunkles Abzeichen auf die Stirn gemalt,
das in der Form einer großen Spinne glich.

Als ich ihr winkte, kam sie schuchtern naher, eigentlich blieb sie eher
stehen und ließ nur zu, daß ich an sie herantrat, dann hob sie die Arme und
verneigte sich, ihre Gebarde schien anzudeuten, daß sie sich zu jeder
Dienstleistung bereit erklarte, aber im schlimmsten Fall auch zur Flucht.

Panja schaute in ihren Topf.

≫Pfui Teufel,≪ sagte er wurdig, ≫es hockt eine Krote darin.≪

Er konnte sich nur schwer mit der Alten verstandigen, die kein Wort
hindustani und nur sehr wenig kanaresisch verstand, aber wir erfuhren, daß
der Ort Schamaji hieß, und daß der Konig den weißen Herren gnadig gesinnt
sei und zwei Elefanten besaße, beide mannlichen Geschlechts.

≫Weiß Gott, was das fur ein Konig ist≪, sagte Panja ohne Respekt und sah
mich mit einer Grimasse an, die mindestens Fragwurdigkeit ausdruckte. Es
gibt in Malabar und Sud-Kanara eine ganze Reihe kleiner Hindukonige, die
sich aus ihren stadtischen Sitzen, langsam der Macht der Mohammedaner oder
der Englander weichend, in die Provinz zuruckgezogen haben, um ganz ihrem
Volke leben zu konnen, oder besser von ihrem Volke. Es geht ihnen mit ihrer
Macht ahnlich wie manchem angeblich verkannten Dichter mit seinem Genie,
beide entwickeln sich in der Ausgeschlossenheit ins Ungeheuerliche, aber
nur in den Augen ihrer wenig glucklichen Trager. Diese Despoten geistiger
oder weltlicher Macht haben etwas ungemein Ruhrendes, und es gehort
geradezu Hartherzigkeit dazu, sie ihrer Illusion zu berauben. Es verbirgt
sich soviel Gutmutigkeit hinter der meisten Eitelkeit, daß man lernen
sollte, sie mit weniger Verachtung zu ertragen, denn der wahrhaft Bose ist
selten eitel. Diese vereinsamten Gewaltigen ihrer verkannten Herrlichkeit
sind oft durch einen unvermuteten fremden Glauben an ihre Bedeutung so
heftig zu erschuttern, daß ihre Hoheit sich in bittere Anklage verwandelt,
sobald sie einmal nicht bestritten wird.

Trotz dieser Kenntnis beschloß ich, den Konig von Schamaji so ernst zu
nehmen, als sei er der Maharadscha von Maisur; die kleinen Geschenke, die
ich ihm hatte zum Empfang senden konnen, wurden wahrscheinlich keinen
großen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn diese vergessenen Fursten sind
oft noch vermogend genug, um sich mit allem erreichbaren Tand zu umgeben,
den der Handel aus dem Westen einfuhrt. Ich beschloß deshalb, zuerst seine
Bekanntschaft zu machen, und schickte Pascha mit der Alten, um um eine
Audienz einzukommen und um die Erlaubnis, mein Zelt bis zum Morgen in der
Nahe seines Throns aufschlagen zu durfen. Pascha ging, ernst wie immer und
ohne erkennen zu lassen, was er von meinem Vorhaben hielt, die Alte
quietschte vergnugt und schloß sich ihm an, in merkwurdigen Sprungen, die
eher auf ihre Rustigkeit, als auf ihre Wurde schließen ließen und die
sicherlich ihre erbeutete Krote auf das unangenehmste beruhrten. Panja
dagegen erhob Einspruch:

≫So darfst du keinen Konig behandeln, Sahib≪, sagte er nachdenklich und
ohne Eifer. Er schien wirklich besorgt, und ich hatte alles andere
erwartet, als er fortfuhr: ≫Er wird sich auf seinen lahmen Elefanten hocken
und auf dich herabsehen wie auf einen Bettler. Wenn du ihm aber erlaubt
hattest, dich zu sehen, so wurde er dir seinen Elefanten geschickt und sich
zur Erde geworfen haben, wenn du in seine Residenz eingeritten warst.≪

≫Panja, ich will nicht, daß der Konig mich sieht, sondern ich mochte ihn
sehen, und zwar so, wie er gesehen sein will und wie er zu leben pflegt.
Glaubst du, der gebeugte Nacken eines Menschen sei unterhaltsamer, als sein
erhobenes Gesicht?≪

≫Das ist der Kummer,≪ sagte Panja, ≫du haltst nichts auf deine Wurde. Du
konntest wie ein Furst durch den Dschungel ziehen und kommst wie ein
Wandermonch, der uberall bitten muß. Es ist schwer, solchem Herrn dienen zu
mussen. Dies ware nun wirklich einmal ein Konig fur uns gewesen. Bei
anderen Konigen, die noch Macht und Reichtumer haben, ware dir ohnehin
nichts anderes ubriggeblieben.≪

Er hockte sich bekummert auf einen Gepackballen und betrachtete die
Ameisen, die ihn zu erobern suchten. Im Grunde dachte er gewiß nicht so,
und er ware leicht vom Gegenteil zu uberzeugen gewesen, es lag ihm nur
daran, mein Ansehen zu heben und seines in Szene zu setzen, und da sich fur
das letzte gewiß noch Gelegenheit bieten wurde, ließ ich ihn in seinem
Kummer allein.

Sein Schmerz brach noch einmal durch:

≫Glaubst du, ich hielte dich fur arm oder machtlos, Sahib? Ich weiß alles.
Aber was hilft ein goldgesticktes Kleid, wenn man es verkehrt anzieht und
zuknopft? Wer ehrlich ist, zeigt was er ist.≪

≫Panja, es ist zu heiß zum Reden, wir wollen ein wenig ruhen, bis der Konig
kommt.≪

≫Nein, du sollst sprechen!≪

Als ich schwieg, stampfte er mit dem Fuß.

≫Glaubst du, ich sei glucklich, wenn ich recht behalte?≪ fragte er bose.

≫So geht es auch mir,≪ antwortete ich ihm, ≫und so ist es mit dem
goldgestickten Kleid, von dem du gesprochen hast.≪

Er schuttelte eifrig den Kopf.

≫So kann es nicht sein, denn ich bin dein Diener, du aber bist der Herr und
mußt recht behalten. Bist du ein Diener des Konigs, daß es dich qualen
konnte, wenn er schweigt, und du fuhlst, daß er doch im Grunde recht hat?
Du laßt ihn sitzen und gehst. Aber ich kann nicht fortgehen.≪

≫In dem Reiche, in welchem es mir gefallt, gibt es keine Herren und
Knechte, Panja, sondern nur lebendige Wesen, und das Ziel aller Lebendigen
ist die Freiheit. Der Wunsch nach rechter Freiheit aber richtet seine Augen
nicht auf andere, sondern zuerst in die eigene Brust. Auf diese Art braucht niemand um sein Recht besorgt zu sein, es fallt jedem sein Teil zu, wenn jeder sein Teil erkennt und bewacht.≪

댓글 없음: