Indienfahrt: Waldemar Bonsels I. Von Panja, Elias und der Schlange 9 II. Cannanore, die Fischer und das Meer 29 III. Die Nacht mit Huc, dem Affen 47 IV. Am Silbergrab des Watarpatnam 65 V. Dschungelleute 80 VI. Im Fieber 104 VII. In den Bergen 123 VIII. Am Thron der Sonne 137 IX. Die Herrschaft des Tiers 154 X. Sumpftyrannen 168 XI. Mangalore 189 XII. Von Frauen, Heiligen und Brahminen 207 XIII. Das letzte Feuer und der alte Geist 228 XIV. Der Heimat zu 246
Erstes Kapitel
Von Panja, Elias und der Schlange
Als ich in der gesegneten Provinz Malabar in der Stadt Cannanore anlangte, fuhrte mich der Hindu Rameni vor das Haus, das er mir fur die Zeit meines Aufenthaltes vermieten wollte. Es war nach Art der europaischen Hauser Indiens erbaut, einstockig, mit hohem uberhangenden Dach und einer breiten Veranda, die die ganze Front entlang lief. Ich erblickte es, nachdem wir uns mit vereinten Kraften durch den verwilderten Garten gearbeitet hatten. Rameni sagte: ≫Dies ist mein liebstes Besitztum auf Erden. Ich habe es geschont und behutet, und seit sieben Jahren hat kein menschlicher Fuß es betreten. Sein letzter Bewohner war Sahib John Ditrey, ein englischer Offizier von großer Macht, dem jeder Soldat Gehorsam leistete, der in seine Nahe kam. Er war Tag fur Tag glucklich unter diesem Dach und ware es heute noch, wenn die Regierung ihn und seine Leute nicht an einen anderen Ort verschickt hatte.≪
Ich betrachtete die großen, meist leeren Raume, in denen sich eine uppige Vegetation entwickelt hatte und in denen eine Tierwelt ihr Dasein fristete, deren Mannigfaltigkeit meine Erwartungen aufs hochste steigerte.
≫Alle diese Tiere sind arglos,≪ sagte Rameni freundlich, ≫sie werden sich zum großen Teil wahrscheinlich zuruckziehen, denn sie lieben die Gesellschaft der Menschen nicht. Aber da du in Begleitung bist, Sahib, einen Hund, einen Diener und einen Koch mitgebracht hast, wird dein Gemut von keiner Einsamkeit zernagt werden. Ich gebe Huhner, wenn du willst...≪
Rameni beherrschte die englische Sprache in einem Maße, daß ich fuhlte, wie meine Haare sich unter dem Korkhelm straubten.
≫Auch du bist ein Englander,≪ sagte er zu mir, als er eine lange Ruhmrede auf Sir John Ditrey, den Offizier, beendet hatte.
Ich sagte ihm, daß ich ein Deutscher sei, und er trostete mich.
≫Ich habe von diesem Land niemals gehort,≪ sagte er endlich, ≫aber seine Bewohner gelten als freigebig, und wahrscheinlich ist es reicher als das britische Reich.≪
Da ich ihn verstand, fragte ich nach dem Preis, den er als Miete fur seine Besitzung fordere. Er sprach darauf so eifrig von anderen Dingen, daß meine Befurchtungen an Raum gewannen. Endlich gelang es mir, ihn zu Gestandnissen zu uberreden, und er begann zu rechnen und addierte mit geheimnisvoller Ergriffenheit die Verluste zusammen, die ihm in den sieben Jahren entstanden waren, in denen sich kein Mieter gefunden hatte. Ich beobachtete schweigend ein Volk weißer Ameisen, das die Dielen des Fußbodens und das Mauerwerk auf das geschickteste zur Anlage ihrer Ortschaften untergraben hatte. Ich werde euch nicht hindern, dachte ich, eure Reiche sollen unter meiner Herrschaft zu ungeahnter Blute gelangen, und ich will euch ein weiser Furst und treuer Gefahrte sein. Durch das Palmendickicht am Fenster strahlte die Morgensonne, durch grune Schleier voll zackiger Ornamente. Das unfaßliche Bewußtsein jenes Glucks, unter dem ich erzitterte, seit ich den Boden Indiens betreten und zum erstenmal den Geruch, die Warme und das Licht dieses Landes eingesogen hatte, sank mir aufs neue ins Herz.
≫Furchte dich nicht, Sahib,≪ sagte Rameni und zahlte an seinen krampfhaft gespreizten Fingern, vor Zweifel, Hoffnung und Erwartung beinahe fassungslos. Ich sprach von meinem Mut, und er hob die Hand zum zehnten Male, um aufs neue die braunen, mageren Finger von rechts nach links nebeneinander zu ordnen. Dann vergaß er alles und sprach hastig von der Teuerung und den schlechten Reisernten. ≫Jeder Kuli wird es dir bestatigen,≪ rief er, ≫soll ich einen rufen?≪
≫Wieviel forderst du?≪ sagte ich streng. ≫Ich habe von einem Haus am Meer gehort, das der Kollektor vor Jahren bewohnt haben soll, und das die Regierung fur einen geringen Preis hergibt.≪
Rameni gab sich mit großer Anstrengung einen Ruck und teilte mir mit, daß das Haus im Jahre wohl einen Mietwert von hundert Rupien habe, fur die verlorenen sieben Jahre wolle er mir nur den vierten Teil dieser Summe in Rechnung stellen, unter der Bedingung, daß ich ihm fur die drei kommenden Jahre den vollen Preis vorauszahlte.
Als ich nickte, erblaßte er.
≫Sahib,≪ stammelte er, ≫verspottest du deinen Diener? Es ist wahr, ich habe eine große Forderung gemacht. Vergessen wir die sieben verderblichen Jahre, ich werde die Schickung des Himmels verschmerzen, zumal sie vorbei ist. Wenn du in der Tat drei Jahre vorausbezahlst, so werde ich dir so lange dienen, als ich lebe.≪
Ich habe uber meine Bereitwilligkeit niemals Reue empfunden und obgleich ich nur einige Monate in Cannanore geblieben bin, hat mein geringes Opfer sich in der ausgiebigsten Weise belohnt, denn Rameni setzte seine ganze Ehre ein, um die Beschamung gutzumachen, die ich ihm ohne meinen Willen angetan hatte. Er sandte mir beinahe taglich Eier und Fruchte, Fische oder Geflugel und widersetzte sich keinem meiner Wunsche, die sich auf Einrichtungen oder Veranderungen in Haus und Garten bezogen. Erst als er nach Wochen bemerkte, daß ich in einem Glaskasten eine lebende Kobra unterhielt, zog er sich von mir zuruck, ohne meine Schwelle noch einmal zu betreten und ohne meine Hand noch einmal zu beruhren. Er vermied es weniger aus Furcht und, wie ich zuverlassig weiß, nicht ohne Kummer, sondern weil er es nicht mit seinen Uberzeugungen vereinigen konnte, eine Gottheit gefangenzusetzen, um durch eine Glasscheibe zu beobachten, was sie tat. Aber die Zeit unserer Gemeinschaft bis zu dieser Entdeckung gehort zu den liebenswurdigsten Erinnerungen meiner indischen Jahre.
Als mein Gepack auf einem Ochsenwagen vom Hafen herbeigeschafft worden war, begann ich die bestgelegenen Zimmer fur die Nacht einzurichten, wobei mir mein Diener Panja und der Koch zur Hand gingen. Panja warnte mich oft und eindringlich, kannte mich damals aber schon gut genug, um zu wissen, daß gerade seine Befurchtungen nur zu haufig auf dasselbe hinausliefen, wie meine Hoffnungen. Der Koch, ein Sohn aus den Bergen von Sudmaratta, der in Bombay an den Umgang mit Europaern gewohnt worden war, widerstand langst nicht mehr dem Bosen in mir. Allerdings war ich ihm gleichgultig; er tat verschlossen und in stoischer Ruhe seine Pflicht, bestahl mich, wo er konnte, und erwartete mit matt gesenkten Lidern meinen Untergang, den er jedesmal voraussagte, wenn ich ihn uber einer Ungehorigkeit ertappte. Trotzdem habe ich immer eine Neigung fur diesen eigensinnigen und auf seine Art stolzen Mann empfunden, der es nicht uber sich brachte, sich vor den Europaern zu beugen, und der seinen Haß gegen die Fremden um der Liebe zu seiner Heimat willen nahrte. Gegen Panjas gefugige Unterwurfigkeit, die ubrigens keiner niedrigen Gesinnung entsprang, sondern einer kindlichen Bewunderung fur den Glanz alles Fremden, hob sich der schweigsame Widerstand dieses Mannes seltsam wurdig ab. Ich nannte ihn Pascha, weil ich seinen Namen nicht behalten konnte. Das hatte ubrigens niemand gekonnt.
Als ich auf die Veranda hinaustrat, um mich davon zu uberzeugen, daß im Hause keine Scheibe heil war, hockte Panja auf einer Bucherkiste, rauchte und zog meine Hangematte uber die Knie.
≫Sie ist uberall zerrissen≪, sagte er, ohne aufzustehen, und ohne, wie er es anfangs getan hatte, bei meinem Herannahen in großere Arbeitseile zu verfallen. ≫Sahib, das kommt davon, wenn du eine Hangematte zum Fischen im Fluß verwendest.≪
≫Es war ein ausgezeichneter Gedanke≪, entschuldigte ich mich. Aber Panja antwortete nur: ≫Du hast nichts gefangen.≪
Ich untersuchte die Fußboden, die uberall von den Ameisen untergraben waren; die Steinfliesen und Bretter schaukelten fast alle, oder sanken tief ein, wenn man darauf trat, ein Sodom und Gomorra dieses Volks vernichtend.
≫Wenn du sehen willst, was diese Tiere tun,≪ sagte Panja spottisch, ≫so darfst du sie nicht storen. Ubrigens sind Ratten im Haus,≪ fugte er hinzu, ≫und vor dem Tor von Cannanore ist die Pest.≪
≫So mussen wir Katzen halten≪, entschloß ich mich. ≫Morgen wirst du in die Stadt gehen, um welche zu kaufen.≪
Panja sah mich mitleidig an: ≫Wer wird eine Katze bezahlen?≪ fragte er, ≫uberall laufen sie herum. Auch in diesem Hause werden Katzen wohnen.≪ Er meinte die Moschuskatzen, eine kleinere Art, die mir in Malabar viel begegnet ist, und die in fast keinem alteren Gebaude fehlt. So beschloß ich zu warten. Aber da die Ratte als Tragerin der Pest gilt und diese furchtbare Seuche immer noch nicht erlosch, obgleich die eigentliche Regenzeit langst voruber war, handelte es sich darum, vorsichtig zu sein. Meistens erlischt die Pest mit dem letzten Regen, zu Beginn des indischen Fruhlings, da ihr Bazillus nur im Feuchten fortkommt. Mit dem ersten Regen, nach der heißen Zeit, taucht sie aufs neue auf.
Ubrigens konnte die Darstellung unseres Gesprachs ein falsches Bild meiner Stellung zu Panja geben und der Stellung der Europaer zu den dienenden Klassen der Hindus uberhaupt. Es ist wahr, daß ich Panja, wie uberhaupt allen Leuten, die mir dienten, viel personliche Freiheit ließ, aber meine Opfer an Autoritat oder gar an Selbstandigkeit wurden durch eine Gegengabe bedankt, die ich immer hoher eingeschatzt habe, als jede andere Darbietung, und dieses Geschenk bestand in der freimutigen Offenheit des Menschenwesens. Die Verwendbarkeit eines Menschen ist der geringste Teil seiner Anlagen, die mir Interesse abnotigen, und alle Unterwurfigkeit verbindet sich mit Verstellung. Die Art, wie die Englander die Hindus behandeln, verschließt ihre Charaktere und unterdruckt ihr wahres Wesen, wenngleich ich ohne Einwand zugebe, daß solche Stellungnahme, wie die ihre, das unerlaßliche Erfordernis zur Beherrschung des Landes ist. Aber ich bin nicht nach Indien gereist, um es zu beherrschen.
Ubrigens gab es auch zwischen Panja und mir erregte Szenen im Ringen um die Oberhand des Einflusses. Fur gewohnlich endete solch ein Auftritt damit, daß ich diesen Sklaven niederschlug. Nun waren allerdings mein Schlag und sein Niedersinken zwei Erscheinungen, die in keinerlei Beziehung zueinander standen, denn haufig brach er schon zusammen, bevor meine Hand ihn erreicht hatte, und im schlimmsten Falle wußte er sich fur gewohnlich immer noch auf eine Art zu wenden oder zu schutzen, die kaum mehr als eine Deformierung seines Turbans oder seiner geolten Haarfrisur zuließ. Trotzdem brach er jedesmal zusammen, walzte sich von einer Ecke des Zimmers in die andere, beklagte heulend meine Undankbarkeit und die Folgen seiner Treue. Aber ehe der Abend hereinbrach, sorgte er doch dafur, daß die Last solcher Verschuldung gegen ihn mir nicht die Nachtruhe raubte.
≫Sahib≪, sagte er und pflanzte sich kerzengerade vor mir auf, wobei ein Stolz und eine Menschenwurde seine Zuge verklarten, die in der Tat mein Herz mit Dankbarkeit erfullten. Aber er schien nicht zu wissen, wem er beide verdankte. ≫Sahib, wie konntest du dich so vergessen?≪ Sein Gesicht trug einen Ausdruck so ehrlicher Traurigkeit, daß ich alles eher vermocht hatte, als an ihr zu zweifeln. Ich erklarte ihm bescheiden den Umfang seines Vergehens und die Bedeutung der Folgen, aber in solchen Fallen verstand er nicht genugend englisch, um mich zu verstehen.
≫Deine Studien in Hindustani machen keine Fortschritte≪, meinte er dann etwa betrubt, und wir beide waren froh, ein Gebiet gefunden zu haben, das uns wieder auf die Straße unseres gewohnlichen Verkehrs brachte. Es kamen dann Zeiten eines glucklichen Wandels und schonster Gemeinschaft, in denen Panjas Selbstentaußerung so weit ging, daß er sogar meinen Whisky unverdunnt auf den Tisch brachte, und ich daher genau nachprufen konnte, wieviel er aus der Flasche gestohlen hatte.
Ich war damals im zehnten Monat in Indien, und außer Panja und Pascha war noch ein prachtiger Hund die ganze Zeit hindurch mein treuer Begleiter gewesen. Er hieß Elias und hatte eben sein erstes Lebensjahr vollendet, so daß mir vergonnt gewesen war, seine Erziehung selbst zu leiten und seine Entwicklung zu uberwachen. Leider ist es bei den Hunden so bestellt, daß man bei einem zwei Monate alten Tierchen sehr schwer in der Lage ist, uber seine Abstammung und seine endgultige Ausgestaltung irgend etwas mit Bestimmtheit auszusagen. Aber ich habe immer eine besondere Neigung fur solche Menschen empfunden, die allen Erscheinungen und Personen die besten Seiten abzugewinnen wissen und ihre eigenen Tugenden in andere so lange hineinlegen, bis sie eines Schlechteren belehrt werden. Und in der Nacheiferung solcher Charaktere ist es mir gelungen, in Elias das Muster eines vortrefflichen Tieres zu erblicken. Ich mochte bei der Aufzahlung seiner Vorzuge nicht in Dingen seiner außeren Erscheinung steckenbleiben, zumal nicht abzusehen ist, ob sich im Laufe der Zeit nicht noch das eine oder andere bei ihm verandern wird, aber sicher ist, daß er einen gesunden Appetit und einen gesunden Schlaf hat. Er ist außerordentlich vorsichtig und begibt sich niemals in Gefahr, auch fallt er keine Fremden an und unterdruckt seine Wachsamkeit aufs außerste, was mir um so willkommener ist, als ich oft in aufreibende geistige Arbeit verstrickt bin, bei der jedes Gebell mich storen wurde. Seine Anhanglichkeit ist so groß, daß er sie auf alle Menschen erstreckt, die ihm begegnen, und besonders muß man, ohne das Vorurteil einer selbstsuchtigen Hoffnung, den außerordentlichen Eigensinn seines Willens ruhmen, der die Grundlage des echten Charakters ist. Elias laßt sich weder durch Drohungen noch durch Versprechungen dazu bringen, die Wunsche anderer, oder die meinen, zu beachten. Er verunreinigt weder den Garten noch die Straße und nimmt uns auch, was seine Futterung betrifft, jede Muhe ab, die durch Herzutragen von Nahrung entsteht.
Leider ist es mir bisher nicht gelungen, zwischen ihm und Panja ein ertragliches Verhaltnis herzustellen. Wahrscheinlich laßt Panja sich als Orientale in seinen herkommlichen Begriffen vom Wesen des Hundes gehen, sicher ist, daß ihm jedes tiefere Verstandnis fur Rasse abgeht.
≫Sahib, was ziehst du fur ein Schwein ins Haus?≪ rief er, als ich damals den eben erworbenen Elias heimbrachte.
≫Er ist bestaubt, und die Schnur hat sich am Hals zugezogen,≪ sagte ich, ≫warte, bis er gewaschen ist.≪
≫Willst du ihn waschen?≪ fragte Panja und verschlang abwechselnd mich und Elias mit ubergroßen Augen.
≫Es ist ein vorzuglich veranlagtes Tier, das uns gute Dienste leisten wird≪, versicherte ich etwas enttauscht von dem Empfang, den uns Panja bereitete, und mit einem nachdenklichen Blick auf Elias, der die Turschwelle bekampfte und in seinem hilflosen Eifer einen entzuckenden Anblick unschuldiger Tatkraft bot.
Wenn nicht alle Samenkorner, die ich in Elias' junge Seele legte, zu gedeihlicher Entfaltung erbluht sind, so ist sicher Panja schuld daran, der seine herabwurdigende Meinung uber dieses Tier niemals bekampft hat. Nach meiner Uberzeugung verdankt alle padagogische Einwirkung auf ein unerwachtes Gemut ihren Erfolg der gemeinsamen Muhe aller Hausgenossen. Solange Elias keinen Ruckhalt an Panja hat, und Panja Elias zur Quelle allen Ubels macht, werde ich kaum an einem von ihnen die volle Freude erleben, die ich mir versprochen habe.
* * * * *
Der Abend uberraschte uns nach diesem ersten Tag in Cannanore. Panja stoberte in den Kisten umher, um Kerzen zu finden, und warf alles durcheinander, um Ordnung zu schaffen. Die Moskitoschleier fur mein Lager befanden sich in der großten Kiste zu unterst, da Panja sie bei unserm Aufbruch naturgemaß zuerst abgenommen und damit auch am tiefsten vergraben hatte.
Ich saß noch lange, nachdem Panja schlief, auf der Veranda meines neuen Hauses und wartete auf den Mond und auf die Kuhle. Aus den unbeweglichen Vorhangen der Baume, Busche und Pflanzen des Gartens zog ein schwuler Hauch voll betaubender Geruche, alles bluhte, und eine leidenschaftliche Lebensfulle drangte sich auf mich ein, um den Weg in mein Blut zu finden. Uberall entzundete der gewaltige, stille Drang zu uberschwenglichem Keimen die von den Grillen schallende Luft, die so ruhig war, daß die Flamme meiner Kerze nur wie in der Bedrangnis der ubersattigten Luft zitterte, ohne zu flackern. Aus den Palmwaldungen, irgendwoher aus der Ferne hinter dem Garten, klangen die Blasinstrumente der Hindus aus einem Tempelhof, untermischt mit einformigem blechernem Klirren. Man merkte dem begleitenden Gesang die zunehmende Trunkenheit der priesterlichen Sanger an.
Wenn ich die Augen schloß, uberwaltigte mich bei dieser Musik ein Bild aus meiner fruhesten Kindheit. Ich erinnerte mich, daß ich einmal durch ein seltsames Klingen, dem ich nichts von allem Bekannten zu vergleichen vermochte, aus dem elterlichen Garten auf die Landstraße gelockt wurde. Es schallte fernher, von dort, wo die Chaussee-Linden, die sich beim Dorf einander zu nahern schienen, alles in geheimnisvolle Schatten hullten, und ich lief hinaus in die Sonne, die Gartentur blieb hinter mir offen, und ich vergaß das Verbot meiner Mutter. Vor einem Bauernhof fand ich im Kranz einer hellhaarigen Schar von Dorfkindern zwei große, traurige Manner unter einem Baum stehen, mit schwarzen Barten und in langen Manteln. Sie bliesen diese schreiende Musik auf grauen Sacken und uberwaltigten mein Herz zum ersten und großten Ereignis meiner Kindheit. Ich weiß deutlich, daß ich wie in einem Taumel des Bluts Halt suchte, um nicht zur Erde zu sinken. Heute begreife ich, daß seit jener Stunde die Ahnung einer schmerzlichen Ruhlosigkeit in meiner Seele wach geworden ist, und daß der erste Blick meines Geschicks mich segnete. Immer noch gehen die Wunsche meiner Seele dieser tierhaften Klage voll ungestumer Lustbegier wie im Banne einer Erloserhoffnung nach. Sie tauschen mir das Nahe und Vertraute gegen das Fremde und Ungewisse ein, das Haus gegen die Straße und die Heimat gegen die Welt. --
Als ich die Augen offnete, saß ein großer brauner Nachtfalter auf dem kupfernen Griff des Leuchters und sah besturzt und hilflos in das unfaßbare Licht. Nach einer Weile begann er langsam die Flugel zu heben und zu senken, und seine Augen voller Angst und unbeweglicher Schwarze fullten sich mit dem Lichtwesen des heiligen Feuers. Die Luft trug seine starken Flugel leicht, diese Luft, die so schwer in meine Brust einzog und so ermudend auf ihr lastete. Ich bemerkte erst jetzt, daß die Veranda sich bevolkert hatte, und daß ein beflugeltes Geschlecht nachtlicher Vagabunden bei mir zu Gast gekommen war. Alles drang auf geheimnisvolle Art aus dieser grunen Mauer hervor, die mich und mein Haus einschloß. Der Mond mußte hinter ihr aufgegangen sein, denn ich unterschied in der warmen Pflanzenwand nun hellere und dunklere Flecke, die Ornamente der Palmenfacher und die gewaltigen Formen der Bananenblatter, die wie die Keulen schlafender Riesen emporragten, oder gebrochen, wie zerrissene Haute niederhingen. Den Himmel konnte ich nicht sehen. Da loschte ich mein Licht aus, und eine matte, magische Dammerung erhob sich lautlos um mich her, als sei die Welt durch ein grunes Glasmeer vom Licht getrennt. --
* * * * *
Von allem, was dem Menschen gegeben ist, sind seine Gedanken das Herrlichste. Und die Nachtgeborenen, die auf ihrer Reise uber die Erde das unvergangliche Licht erstreben, werden in der Nacht am lebendigsten, als erwachten sie im Dunkeln, wie in heimlicher Angst, zu verdoppelter Tatkraft. Ihnen ist nichts verschlossen, der Weg in die Zukunft ist ihnen so frei, wie der in die Vergangenheit, und sie dringen in die Geheimnisse der versunkenen Geschlechter ein, in die Kelche der Blumen und in den Schlafraum der Geliebten. Die kleinen Dinge des Alltags, mit denen sie sich beschaftigen, nehmen ihnen die Schwungkraft nicht, das Wesen Gottes zu ermessen. Ihr Triumph liegt im Grenzenlosen, und ihr unbewußtes Ziel ist die Ewigkeit. Je starker sie sind, um so mehr streben sie die Ordnung an, die Schwester der Erkenntnis, und es ist ihre irdische Arbeit, die Zusammenhange zwischen den versunkenen und den gegenwartigen Geistern zu finden.
Wahrend ich so meinen Besinnungen freie Fahrt ließ, horte ich merkwurdige Gerausche aus dem Hause dringen, bald war es ein Scharren oder Pochen, bald rieselte es von den Wanden, oder knisterte im Gebalk. Manchmal unterschied ich Tierstimmen, seltsam klagende Laute des Kampfes oder der Liebe. Es war schwer zu unterscheiden, ob die Laute von außen oder von innen zu mir drangen, aber ich entzundete nach kurzer Zeit mein Licht aufs neue, um den Ungewißheiten der nachtlichen Dammerung zu entgehen. Als ich aufbrach, um mich zur Ruhe zu begeben, war der Mond voll aufgegangen; es lockte mich, den beschienenen Garten zu betreten, aber die damit verbundenen Gefahren waren auf einem fremden und seit langem von Menschen verlassenen Gebiete zu groß.
Im Hausgang schlief Panja auf seiner Kokosmatte am Boden, und sein Schnarchen beruhigte mich als der einzige vertraute Laut in dieser Abgeschiedenheit. Im Hintergrund fluchtete ein niedriger Schatten lautlos in eine der geoffneten Turen der Gartenzimmer. Ich erwog es, ihm nachzugehen, unterließ es aber. Elias lag auf meinem Bett, als ich eintrat.
Die Holzstabe an den Fenstern waren morsch und teilweise zerbrochen, Scheiben waren nicht mehr vorhanden. Auch hier verhullte die undurchdringliche Pflanzenwand den Ausblick ins Freie und den Zuzug frischerer Luft. Der Blutenduft im Raum war berauschend, bald giftig, bald suß, die Dufte erschienen mir schwer und greifbar, wahrend der Gesang der Grillen betaubend im Mondlicht zunahm.
Ich untersuchte meine Schußwaffe, obgleich ich wußte, daß sie in Ordnung war, und ruckte mein Lager weit vom Fenster ab. Es stand mir schwer bevor, Elias wecken zu mussen, denn es war mir bekannt, daß ihn jede Storung aufs tiefste verletzte, und fur diese unsichere Nacht wollte ich meinen einzigen Gefahrten ungern verstimmen. Aber er knurrte nur unwillig und schlief am Boden weiter, ohne recht erwacht zu sein. Da ich gezwungen war, das Licht bald zu loschen, weil seine Anziehungskraft auf die Insektenwelt zu groß ist, lag ich bald unter den Gazevorhangen im grunlichen Dammerlicht und versuchte einzuschlafen.
Draußen wurde es von Viertelstunde zu Viertelstunde lauter und leidenschaftlicher; die Lebendigkeit des fremden Getiers teilte sich meinem Blut in aufreizender Art mit, und ich fuhlte den Augenblick herannahen, in welchem man die letzte Hoffnung auf Schlaf fahren laßt. Meine Gedanken beschaftigten sich mit den vielerlei Veranderungen und Einrichtungen, die fur einen dauernden Aufenthalt in diesem Hause notwendig waren. Solche Erwagungen verstimmten mich, wie leicht gleichgultige Dinge es tun, die mit einem Augenblickszwang an Stelle guter und harmonischer Besinnungen treten. Aber allmahlich umfaßten meine Gedanken die Gegenstande nicht mehr, mit denen sie sich abgaben, die Umrisse verwischten sich, ich hatte unter den geschlossenen Lidern noch den unbestimmten Eindruck, als ob es im Zimmer heller geworden sei, und das Grillengeschrei verschwamm zu einem schwulen, druckenden Luftmeer, in dem ich leblos dahintrieb. Ich versank in Schlaf wie in einen Opiumrausch.
Ein weiches Gedrang an meiner Seite ließ mich auffahren, erstarrt blieb ich in der Haltung liegen, in die mich mein Erwachen gesturzt hatte, bis ich Elias erkannte, der sich mitsamt dem Moskitoschleier unter meine Decke verkrochen hatte. Ware nicht ein schrecklicher Larm im Zimmer starker als mein Zorn gewesen, so hatte ich sicher meinem unschuldigen Hunde eine ganz neue Art des Luftsprungs beigebracht, aber mein Instinkt sagte mir rasch, daß das außerste Entsetzen Elias zu seinem Vorgehen veranlaßt hatte, er zitterte heftig, und sein Winseln glich den Lauten der Todesangst. So ließ ich ihn gewahren, druckte ihn an mich und forschte nach der Ursache des eigentumlichen Larms, der meinen Schlafraum fullte.
Es war fast hell im Zimmer, da der Mond nun so hoch am Himmel stand, daß seine Strahlen durch die Palmenwipfel den Weg ins Haus fanden, aber die Lichtflecke am Boden und die blassen Streifen in der Luft verwirrten mein Auge anfanglich, bis ich erkannte, daß der Fußboden von einer erregten Schar großer Ratten wimmelte, die sich wie zu einem Angriff an der einen Seite des Raums gesammelt hatten. Ihnen gegenuber kauerte in der Ecke eine Katzenfamilie, kleinere, langhaarige Tiere mit ihren Jungen, und zwischen den beiden Parteien lagen getotete Ratten, einige verwundete schleiften sich muhsam unter klaglichem Piepen voran, einen Blutstreifen hinter sich zurucklassend. Es war deutlich erkennbar, daß die Katzen -- ich zahlte derer ohne die Jungen etwa vier oder funf -- sich im Zustande hochster Angst und außerster Bedrangtheit befanden. Sie kampften einen Verzweiflungskampf gegen die Ubermacht der Ratten. Ihr drohendes Fauchen und Miauen hatte etwas, selbst uberlegene Gegner, außerordentlich Einschuchterndes, und ihre Gebarden erinnerten mich an die eines gereizten Panthers. Es schien eine alte Feindschaft zu sein, die seit langem im Bereich dieses Hauses herrschte, und die in dieser Nacht vielleicht zum soundsovielten Male blutig ausbrach. Es mag einmal anders gewesen sein, vielleicht herrschte vorzeiten das Geschlecht der Katzen ohne Einschrankung und als tyrannischer Unterdrucker der Ratten, bis diese zu jener Uberlegenheit gelangt waren, die mir jetzt uber jeden Zweifel erhaben schien.
Die Ratten ruckten langsam und mit widerwartigen Lauten des Zorns und der Blutgier heran. Das magische Licht und der fast leere Raum, dessen Ecken in Dammerung gehullt waren, verschob meinen Sinnen auf eigenartige Weise die Verhaltnisse von Große und Weite, es kam mir vor, als ruckten dunkle Ungeheuer zum Kampfe gegeneinander heran, ich selber war kleiner als sie, auf einem weit entfernten Berg.
Als die erste Katze, wie es mir erschien, ein alter und erfahrener Kater, zur Verteidigung mit einem langen, flachen Satz vorsprang, erschreckte und begeisterte mich die Wildheit seiner Bewegung. Der Kater verließ sich im Kampfe weniger auf sein Gebiß, als vielmehr auf seine Pranken, die mit zaher Geschmeidigkeit und todlicher Sicherheit dreinhieben. Die Ratten stoben anfangs auseinander, als er mitten unter sie sprang, nur eine, die von seiner Tatze getroffen worden war, wand sich schreiend neben ihm am Boden, ohne daß er sie vollends totete, oder auch nur noch beachtete. Seine gluhenden Augen, dicht uber dem Boden, waren auf die aufs neue heranruckenden Gegner gerichtet. Sie kamen langsam und mit haßlichem Kreischen naher, aus welchem sowohl Todesangst als auch außerste Kampfeswut klangen, aber ein erneuter Sprung des Katers mitten unter sie hatte nicht mehr die gleiche Wirkung, wie der erste. Die diesmal getroffene Ratte hatte sich offenbar an seiner Lippe festgebissen, jedenfalls schlug das Tier, von seinen Schmerzen wie von Sinnen, mit ungeheurer Wut planlos um sich, sprang hoch empor und walzte sich am Boden, wahrend immer die eine Ratte, schon fast zerfleischt und in Stromen blutend, an seinem Maule festgebissen hing und hin und her geschlenkert wurde, hinauf und hinab. Und wahrend ich, von Grauen fast atemlos, sah, daß die unheimlichen schattenhaften Gefahrten der geopferten ersten sich von allen Seiten in der kampfenden Katze festbissen, beobachtete ich sogleich, wie hart an der Wand eine andere Rattenschar gegen die in der Ecke zusammengedrangten Katzen vorruckte. Sie glitten, eng aneinandergedrangt, wie ein langsamer Schatten dahin, und das furchtbare Geschrei des sterbenden Katers mitten im Zimmer begleitete ihren gespenstigen Zug wie eine greuliche, herausfordernde Kampfesmusik.
Plotzlich, wie auf einen heimlichen Zuruf hin, sturzte der herannahende Schatten blitzschnell auf die zusammengekauerten Katzen, und es entspann sich ein zweiter, nicht weniger erhitzter Kampf im Dunkel, der mich um so mehr entsetzte, als ich keine Einzelheiten zu erkennen vermochte.
Ein winziges, junges Katzchen von zartlichster Anmut fluchtete betroffen, und scheinbar die Gefahr kaum ahnend, mit zierlichen Satzen ins Licht. Zwei rasche Schatten folgten ihm, man sah keine Bewegungen an ihnen als einzig die des Dahingleitens, und in wenig Augenblicken war das Tierchen zerfetzt. Auf den kurzen, jammervollen Angstschrei arbeitete sich die Mutter mit verzweifelten Anstrengungen zur Hilfe heran, und zu meinem Entsetzen sah ich die schauerlichen Nachtgesellen in ihren Leib verbissen, und sie schleppte, vor Schmerzen heulend, wie ich niemals eine Katze habe klagen horen, ihre blutdurstigen Morder mit sich, ohne ihrem Kinde Hilfe bringen zu konnen.
Ware dieser Kampf nicht gleich darauf auf eine entscheidende Art unterbrochen worden, so hatte ich sicher eingegriffen, um ihn endlich zu beenden. Ich habe mich spater oft gefragt, was mich daran gehindert haben mochte, es gleich zu tun. Dem Menschengemut haftet ein sonderbarer Hang an, kampfenden Tieren zuzuschauen, und der wollustige Genuß an solch erregenden Schauspielen ist nicht nur verwerflicher Art, sondern er muß auch eine Achtung vor den selbsttatigen Bewegungen der Natur zur Grundlage haben und ein heimliches Bewußtsein fur die Wahrheit, daß der Mensch ihrem Walten weder etwas nehmen noch hinzufugen kann. Ich entsinne mich, daß ich schon als Kind einem Hahnenkampf mit Freude und Genugtuung zuschaute, und daß ich sein Ende mit dem erhebenden Gefuhl einer Bewunderung und ohne Beschamung erwartete. So habe ich als Knabe auch nur schwer begreifen konnen, daß die Menschen Hunde zu trennen suchten, die in eine Beißerei geraten waren, und obgleich einem reizenden Affenpinscher, den ich mein eigen nannte und dem ich aufrichtig zugetan war, von einem Wolfshund die Kehle durchbissen wurde, weiß ich doch gut, daß ich trotz meines Schmerzes dem bosen Sieger mit einer Ergriffenheit nachschaute, die geradezu an Anbetung grenzte und die mit heftigem Neid auf seinen Lorbeer gemischt war.
In jenem Augenblick nun, als ich, von Entsetzen und Mitleid gepeinigt, in den blutigen Kampf der Tiere einzugreifen beschloß und vorsichtig nach meiner Schußwaffe tastete, im voraus mit heimlicher Genugtuung die furchtbare Wirkung ermessend, die das Krachen eines Schusses auf dem nachtlichen Schlachtfeld hervorrufen wurde, erklang aus dem dunklen Winkel des Raumes, hinter mir, ein Laut, dessen gebieterische Macht starker war, als der feurige Donner aus dem eisernen Mund meiner Waffe. Es war ein leises Zischen, das man auch ein trubes Fauchen hatte nennen konnen und das den seltsamen und etwas lacherlichen Lauten zu vergleichen war, mit denen bisweilen Ganse mit gesenktem Kopf gegen einen Gegner vorzugehen pflegen. Aber die Wirkung dieser klanglosen und widerlich eindringlichen Stimme war alles andere als lacherlich, sie war von einer geradezu grauenhaften Macht. Ich fuhlte mein Blut in den Adern gerinnen, und die Totenstille, die im Raume eingetreten war, erhohte den Schauer meines Entsetzens zu einer todesartigen Erstarrung. Es war so still, daß ich mein gehemmtes Blut in den Ohren sausen horte, bis langsam, ganz langsam mein Herz jenes furchtbare, dumpfe Hammern begann, unter dem der Atem stockt und ein schmerzhaftes Gefuhl des Erstickens einsetzt. Ich sah die Tiere wie dunkle, reglose Flecke am Boden, selbst das Todesgeschrei der Verwundeten verstummte fur eine Weile, nur eine große Ratte, deren Leib vollig aufgerissen war, kreiste in einer Lache ihres Blutes am Boden, in ihr Eingeweide verwickelt, mitten im Mond, und ihr heiseres Piepen hatte in Gemeinschaft mit ihrem scheußlichen Reigen eine fast komische Wirkung unbeteiligten und ahnungslosen Eifers.
≫Die Schlange hat gesprochen, unter den heißen Steinen, ihr tauber Gesang schuttet das Herz in Schnee, aus ihrer Stimme brechen die Augen des Todes wie aus den Berggefilden des ewigen Schnees.≪
Ich hatte diese Verse in Maratta von einem Fakir gehort und sie mir spater geben lassen, wobei ich erfuhr, daß sie alter Herkunft sind und einem viel gesungenen Liede der Bergvolker der West-Gates entstammen. Nun dachte ich in diesem Augenblick zwar nicht an sie, sondern die Verse schienen an mich zu denken, sie bemachtigten sich meiner in dieser schrecklichen Lage, und mir geschah aufs neue das ergreifende Wunder jener erhabenen Gelassenheit, die, in Augenblicken der Angst, wie eine hohere und unbeteiligte Gewalt uber uns hereinbrechen kann.
Daruber sah ich eine große Schlange herangleiten, ihr schmaler Kopf war wohl eine Handbreit uber dem Erdboden erhoben, und als er ins Licht kam, sah ich die feine Zunge eifrig spielen. Es erschien mir, als lachelte das Tier.
Unter meinen Augen begann nun das grausame Spiel der Schlange, das alle Volker auf Erden kennen und ruhmen oder verfluchen. Keinem anderen Tiere ist die geheimnisvolle Macht dieser Wirkung verliehen, die lautlos, unerklarbar, und wie aus einer unterirdischen Welt des Bosen stammend, daherkommt. Kraft und Mut, oder gute Waffen und kuhner Sinn bringen ihrer Herrschaft nur selten Gefahr, denn sie hat neben vielen magischen Mitteln jenes furchtbare in ihrer Begleitschaft, das auch den Helden wehrlos macht, den Ekel. Aber neben ihm und vielem anderen, das ihr Wesen enthalt, erstrahlt jener damonische Abglanz aus ihren Regungen, der uns wie eine alte Erinnerung an den bestandigen Triumph des Bosen anmutet. So ist ihr listiges Schleichen mit Weihe gepaart, ihre Schonheit mit Verstecktheit und ihre Macht mit Niedrigkeit. Alle Eigenschaften, welche dem Starken Freimut verleihen, verbindet sie, wie in einer heimlichen Genugtuung eigennutziger Bosheit, mit Falsch. Die Elemente von Wasser, Erde und Luft scheinen bei den Bewegungen dieses Korpers ihre unterscheidende Eigenart einzubußen, denn der Gang der Schlange ist dem keines anderen Lebewesens zu vergleichen; in ihm ist das einfaltige Rieseln des Wassers mit den Beschworungen der Magier verbunden.
Die Schlange umkreiste eine verwundete Ratte, die noch lebte, fuhr aus ihrem verschlafenen Tanz, der alle Wesen bannt, jahlings zu und begann das erbeutete Tier zu verschlingen. Ihre Sorglosigkeit und die uberlegene Sicherheit ihres Tuns erregte meine Bewunderung in hohem Maße, es war, als ware sie sich keiner Feindschaft bewußt, die ihr etwas anzuhaben vermochte. Das Zimmer blieb still, nur von der Decke rieselte bisweilen ein feiner Staub, und die zackigen Lichtornamente am Boden ruckten langsam beiseit. Die Erde kreist, dachte ich, mit mir, mit dieser Rauberin, mit den kleinen Sterbenden und Toten dieses Raumes und mit allen, von denen ich durch ein unendliches Meer getrennt bin. Draußen schnarchte Panja, und Elias war an meinem Rucken eingeschlafen. So nahm ich vorsichtig vom Kofferrand eine der großen indischen Landzigarren, die braun wie Torf und feucht wie Erde sind, zundete sie an und wartete auf den Morgen. Meine Gedanken zogen mit den Rauchwolken in die grunliche Dammerung, und ihr Gegenstand war das Leben der Menschen und Tiere auf der merkwurdigen Erde.
Zweites Kapitel
Cannanore, die Fischer und das Meer
Ehe die Morgendammerung hereinbrach, trieb es mich hinaus, um den stillen Kampf der roten Morgensonne mit dem grunlichen Silberlicht des Mondes zu sehen. Oft sah ich die einsamen, hohen Palmen am Meer auf der einen Seite in rote Glut getaucht, wahrend die andere noch die silbernen Wahrzeichen des Mondlichts trug, aus dessen kaltem Leuchten sie langsam im Morgenwind zu erwachen schienen. In solcher Licht- und Farbenpracht standen sie gegen das bewegte Meer, dessen Stimmen den heraufeilenden Tag begrußten.
Aber ich sollte diesen Morgen nicht zur Freude des herrlichen Anblicks gelangen, denn Panja hatte mit mir zu verhandeln.
≫Sahib,≪ rief er, als ich um Wasser bat, ≫was ist dies fur ein Haus, in welches du eingezogen bist!≪
Ich begann es zu beschreiben, aber er unterbrach mich mitleidig.
≫Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht!≪ rief er, und die herausfordernde Traurigkeit seiner Augen grenzte geradezu an Mißachtung.
≫Sieh, Panja,≪ sagte ich so freundlich, als es mir moglich war, ≫ich brauche nun Wasser, bedenke die Sitten meines Landes.≪
Da fuhrte mich Panja durch den Garten, ohne noch etwas zu sagen, denn er verzweifelte offenbar daran, mich anders als durch Tatsachen von der Ungerechtigkeit meiner Forderung zu uberzeugen.
Die ganze Frische des indischen Fruhlingsmorgens umfing uns. Alle Bluten stromten von Tau uber, ihre Farben leuchteten im ersten Licht, so daß meine Augen das Entzucken dieser Pracht nicht zu fassen vermochten, und der Geruch von Nasse, Erde und tausend aufbrechenden Blumen ließ mich taumeln vor Gluck. Auch uber Panja kam dieser Rausch, als risse das irdische Lebensheimweh der Bluhenden seine Seele, wie auch die meine, mit sich empor. Er hob die braune Nase in die Luft, lachelte breit in einfaltigem Behagen und sah sich nach mir um. Mit allen Sinnen sog er die Frische und das Licht ein, und sein dunkler, nackter Korper glanzte von Tau.
Als wir am Ende des Gartens, dicht beim Palmendickicht, an der Zisterne anlangten, erblickte ich anfanglich nichts als eine turmartige Wildnis von Schlinggewachsen, und erst als Panja die Ranken zerteilte, gewahrte ich die zum Wasserspiegel niederfuhrende Treppe, die wie in eine unterirdische Hohle hinabging. Die zerbrockelten Steinquadern in der Dammerung waren von seltsamen Moosen ubergrunt und fast ganz bedeckt, ein kuhler Modergeruch kam mir entgegen, und Panja, der den Eifer seiner Entrustung vergessen zu haben schien, warnte mich mit einem geflusterten Wort und sah fast ehrfurchtig drein. Sein braunes Gesicht unter dem weißen Turban schaute aus einer Wolke halboffener, roter Bluten hervor, die so groß wie Kinderkopfe waren. Ein Falter, wie aus blauem Samt, erhob sich schlafrig aus ihrem Ampellicht und zog lautlos davon, in die Pflanzenwildnis hinein.
≫Du darfst nicht hinabsteigen,≪ sagte Panja, ≫uberall hockt der Tod im halben Licht, hierhin geht er aus dem Tag der Menschen; tritt zuruck. Ich habe das Wasser gesehen, es ist grun wie sterbendes Laub und von Pflanzen bedeckt, es tragt Blumen, die niemals ein Sonnenstrahl getroffen hat und die deshalb giftig sind, wie die Schlange und das Fieber, die bei ihnen wohnen.≪ Dann besann er sich plotzlich, seine kindlichen Augen verloren ihren andachtigen Ernst und er sagte mit gerunzelter Stirn:
≫Solch ein Haus mietest du! Wie lange willst du hier bleiben? Wir reisen nach Bitschapur zuruck, ich werde alles in die Koffer stecken.≪
Auf dem Ruckwege trafen wir Pascha, den Koch, der uber die Straße kam und auf das Haus zuging. Einen roten Tonkrug mit Wasser auf der Schulter, schritt er durch die Sonne, die inzwischen aufgegangen war. Aus dem Hause drang Holzfeuergeruch. Pascha grußte mich mit der freien Hand und schritt stumm an mir voruber. Mir war zumute, als sei er stolz auf sein Land und auf seine Pflicht, gonnte mir das erste nicht und tate das zweite um seiner selbst willen. In seinen großen, samtartigen Augen, unter den langen Wimpern, verbarg sich sein Verlangen nach den Bergen. Seine mannliche Gestalt entzuckte mich, ich empfand plotzlich den Namen, den ich ihm zugelegt hatte, als lacherlich und wunschte mir, den seinen zu wissen, nur um ihn vor mich hinsagen zu konnen, diesen fremdartigen Namen seines fremden Geschlechts aus den Bergen. Mich ergriff aufs neue jene sonderbare Traurigkeit, die mich in Indien nie verlassen hat, und die dem menschlichen Herzen, allem Unerforschbaren gegenuber, eigentumlich ist.
Panjas empfindsamer Sinn fur alle meine Regungen, die sein Interessengebiet beruhrten, ahnte auf seine Weise, daß Paschas wortlose Tatigkeit mir wohlgefiel. Er sagte:
≫Diese Hunde aus den Felsspalten haben eine Spurnase fur alles Genießbare. Er wird aber vergessen, das Wasser zu kochen, und morgen hast du Fieber, Sahib. Ich werde also nach dem Rechten sehen.≪
Er ging ins Haus, und gleich darauf horte ich Elias klagen. Die Sonnenstrahlen warmten bereits spurbar, obgleich ihr Licht noch rotlich war. Der Garten dampfte, und Vogelstimmen, mit den ersten Lauten der ausschwirrenden Insekten gepaart, drangen aus der nebligen Morgenschwule des Dickichts. Ich verließ den garenden Garten und betrat den rotlichen Sandweg, der unter uralten wilden Feigenbaumen breit dahinfuhrte, auf Cannanore zu, in freierer Luft. Mein Haus lag etwa in der Mitte zwischen der Stadt und dem Meere; um die eine oder das andere zu erreichen, mochte etwa eine Viertelstunde Wegs zu gehen sein. So entschloß ich mich, die Stadt zu einem kurzen Besuche zu betreten, wahrend Pascha den Tee bereitete.
Der breite Weg war fast leer, uber Cannanore lag ein blaulicher Holzfeuerrauch, der aus den Palmen stieg, die Ortschaft war ganz von ihnen verborgen, wie die meisten Stadte und Dorfer der fruchtbaren malabarischen Kuste. Es war so still umher, daß ich das Rauschen des Meeres an den Felsen vernahm, und das Sonnenlicht war von unfaßbarer Milde und Wohltat. Ein Ochsenwagen knatterte langsam heran, die hohen Rader mahlten leise im Sand, und ein Hindu hockte auf der Deichsel, dicht zwischen den Schwanzen der prachtigen, geduldigen Tiere, sein Kinn zwischen den mageren Knien. Er blinzelte scheu zu mir heruber, ohne einen Gruß zu wagen, die gewaltigen Horner der Ochsen schaukelten gemachlich wohl einen Meter lang uber den blendend weißen Rucken.
Am zerfallenen Stadttor erhob sich zur Rechten und zur Linken eine einsame Palme, jene nach rechts, diese ein wenig nach links geneigt und ihre Facherkronen, uber den flachen Dachern der Hauser, zeichneten sich dunkel und deutlich gegen den klaren Morgenhimmel ab, die Stamme waren von der Sonne bemalt, wie mit roter Farbe. Ich sah durch das Tor in die bereits belebte Basarstraße, in der die eiligen nackten oder weiß bekleideten Gestalten sich zwischen den niedrigen Hausern bewegten und die Handler ihre Straßenladen offneten und ihre Waren ausbreiteten. Der Wachter am Tore erhob sich, um sich tief zu verneigen, wobei er sein Gesicht mit den Handen bedeckte. Ich beschritt die Basarstraße und empfand die Stille und das Erstaunen, die ich hinter mir zuruckließ; nur die Brahminen, die graue Schnur auf der nackten Brust, gingen stumm und steil an mir voruber, ohne zu grußen und ohne sich umzuschauen. Ich erblickte schone Gestalten und stolze Gesichter unter ihnen und las aufs neue aus ihren Zugen die ferne Verwandtschaft mit den germanischen Volkern unseres Erdteils, deren Wesen die Jahrtausende nicht ausgeloscht haben. Sie haben lange das gewaltige Reich beherrscht, bis Mohammed seine Fahnen inmitten ihrer Konigsschlosser aufpflanzte und ihnen langsam mehr und mehr die furchtbare und geheimnisvolle Macht erschutterte, die heute nur noch tief im Lande, in dusterer Gewalttat und mystischem Dunkel waltet. Bis auch Mohammeds Zeichen und die Pracht seiner Konige erblaßte, als das Gebrull des britischen Lowen sich uber dem Meer erhob und das Land erfullte. Als ich mich nach kurzem Gang zum Heimweg wandte, sah ich die Umrisse des englischen Forts gegen das Meer. Seine Kanonen sind Tag und Nacht auf das Schloß des Hindukonigs, im Herzen der Stadt, gerichtet, um es beim ersten Zeichen einer Revolte in Trummer zu legen. Unter dem stummen eisernen Mund, der unerbittlich und unveranderbar unter der zornigen Sonne und dem ruhigen Mond auf die Stadt schaut, flackern die letzten, schuchternen Reste der alten Konigsmacht von Cannanore.
* * * * *
Es war freilich mancherlei in meinem Hause vorzubereiten, bevor ich es zu dauerndem Aufenthalt behalten konnte, und beim Tee sprach ich mit Rameni und Panja uber die Maßnahmen. Rameni hatte seine offenen Schuhe vor meiner Tur stehen lassen und versuchte wahrend unserer Unterhaltung vergeblich ein ertragliches Verhaltnis zu dem Liegestuhl zu finden, den ich fur ihn aufgerichtet, und den er aus Hoflichkeit angenommen hatte. Endlich stand er auf und ordnete sein weißes Gewand, aus dem von den Knien ab seine mageren braunen Beine schauten.
≫Es soll alles nach deinem Willen geschehen, Sahib≪, sagte er so liebenswurdig, als sein furchtbares Englisch zuließ. Panja verachtete ihn so angestrengt, daß ihm der Schweiß ausbrach.
Es war herrlich auf der Veranda. Der Morgen des indischen Fruhlings -- es war nach unserer Zeitrechnung Ende Oktober -- ist frisch und erquickend, erst nach drei oder vier Stunden wird die Sonne wirklich heiß. Panja wurde guter Laune, als Rameni gegangen war.
≫Wie das Schwein stinkt≪, sagte er freundlich. ≫Er wird dich uberall betrugen, Sahib. Wenn deine Reichtumer nicht unermeßlich waren, so wurde dieser Schurke dein Untergang sein. Zuerst werde ich nun die Ameisen vernichten, sie fressen alles, was sie finden. Wenn man Whisky zwischen die Steinplatten gießt und zundet ihn an, so ist es um die Tiere geschehen. Gib eine Flasche, ich werde beginnen, wenn du ans Meer gehst.≪
Ich schlug vor, es mit Petroleum zu versuchen, das man sicher in der Stadt auftreiben wurde.
Panja schuttelte sich.
≫Die armen Tiere≪, sagte er.
Nach einer Weile ruckte eine Schar alter Weiber mit Besen, Eimern und Tuchfetzen heran, deren Anblick zuerst den ahnungslosen Elias und dann auch mich vertrieb. Nur Panja hielt dem Ansturm dieser wilden Amazonen stand, weil ihm daran gelegen war, seine Autoritat in Szene zu setzen.
Das Haus war in wenig Tagen derart instand gesetzt, daß ein beschauliches Leben voll reicher Eindrucke fur mich hatte beginnen konnen. Auch Panja fand sich bald in unsere neue Lebenslage, und es kamen stille, herrliche Fruhlingstage, die ich nie vergessen werde. Die bestandige Sonne weckte mich, und meine durch tiefen Schlaf belebten Sinne empfingen die ferne Stimme des Meeres, das mich Tag fur Tag in sein glitzerndes Bereich hinablockte. Die Fischer wurden meine ersten Freunde in Cannanore, und ich hatte mich bald daran gewohnt, ihre Arbeit mit ihnen zu teilen. Es gelang mir, ihr anfangliches Mißtrauen zu zerstreuen, und ich lernte von ihnen, wie sie von mir.
Wir saßen in der Abenddammerung bis tief in die Nacht hinein auf den schwarzen Uferfelsen, die in geraden, hohen Blocken weit in die Meerflut hineindrangen. Oft mußten wir von einem Steinplateau zum andern springen, oder uber schmale Holzbretter balancieren, um bis an das außerste Riff zu gelangen, von wo aus die Angeln weit in die See geschleudert wurden. Neben uns, zur Rechten und zur Linken, wogte still die ungeheure Wassermasse, erst in tiefem, klarem Blau, dann farbte sie sich langsam rot und blendete den Blick, bis sie endlich tiefschwarz und drohend auf und ab stieg, so daß es erscheinen konnte, als tauchte der Fels in einem unbeweglichen dunklen Spiegel auf und nieder. Weit hinter uns donnerte die Brandung, und hinter ihr ging uber den Palmen der rotliche Mond auf.
Es war in der Hauptsache auf den Fang großerer Fische abgesehen, die Angelhaken hatten die Große eines gekrummten Kinderfingers und waren mit dem Eingeweide erbeuteter Fische umwickelt. Etwa vier bis funf Meter vom Koder entfernt war ein Stuckchen leichter Baumborke als Schwimmer an der Leine befestigt, und die Angeln wurden uber dem Kopf in Kreisform geschwenkt, so daß sie bis zu zwanzig Metern weit ins Meer hinaus gelangten. Dann hockten die Manner sich nieder und verharrten unbeweglich, wie mit dem Fels verwachsen, bis ein leises Rucken am Seil sie vom Erfolg ihrer Muhe unterrichtete. |
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