2014년 12월 30일 화요일

Die zaertlichen Schwestern 1

Die zaertlichen Schwestern 1

Die zaertlichen Schwestern, by Christian Fuerchtegott Gellert

Personen:

Cleon
Der Magister, sein Bruder
Lottchen, Cleons alteste Tochter
Julchen, dessen jungste Tochter
Siegmund, Lottchens Liebhaber
Damis, Julchens Liebhaber
Simon, Damis' Vormund




Erster Aufzug



Erster Auftritt

Cleon.  Lottchen.


Lottchen.  Lieber Papa, Herr Damis ist da.  Der Tee ist schon in dem
Garten, wenn Sie so gut sein und hinuntergehen wollen?

Cleon.  Wo ist Herr Damis?

Lottchen.  Er redt mit Julchen.

Cleon.  Meine Tochter, ist dir's auch zuwider, daß ich den Herrn Damis
auf eine Tasse Tee zu mir gebeten habe?  Du merkst doch wohl seine
Absicht.  Geht dir's auch nahe?  Du gutes Kind, du dauerst mich.
Freilich bist du alter als deine Schwester und solltest also auch eher
einen Mann kriegen.  Aber...

Lottchen.  Papa, warum bedauern Sie mich?  Muß ich denn notwendig eher
heiraten als Julchen?  Es ist wahr, ich bin etliche Jahre alter; aber
Julchen ist auch weit schoner als ich.  Ein Mann, der so vernunftig,
so reich und so galant ist als Herr Damis und doch ein armes
Frauenzimmer heiratet, kann in seiner Wahl mit Recht auf diejenige
sehen, die die meisten Annehmlichkeiten hat.  Ich mache mir eine Ehre
daraus, mich an dem gunstigen Schicksale meiner Schwester aufrichtig
zu vergnugen und mit dem meinigen zufrieden zu sein.

Cleon.  Kind, wenn das alles dein Ernst ist: so verdienst du zehn
Manner.  Du redst fast so klug als mein Bruder und hast doch nicht
studiert.

Lottchen.  Loben Sie mich nicht, Papa.  Ich bin mir in meinen Augen so
geringe, daß ich sogar das Lob eines Vaters fur eine Schmeichelei
halten muß.

Cleon.  Nun, nun, ich muß wissen, was an dir ist.  Du hast ein Herz,
dessen sich die Tugend selbst nicht schamen durfte.  Hore nur...

Lottchen.  Oh, mein Gott, wie demutigen Sie mich!  Ein Lobspruch, den
ich mir wegen meiner Große nicht zueignen kann, tut mir weher als ein
verdienter Verweis.

Cleon.  So bin ich nicht gesinnt.  Ich halte viel auf ein billiges Lob,
und ich weigere mich keinen Augenblick, es anzunehmen, wenn ich's
verdiene.  Das Lob ist ein Lohn der Tugend, und den verdienten Lohn
muß man annehmen.  Hore nur, du bist verstandiger als deine Schwester,
wenn jene gleich schoner ist.  Rede ihr doch zu, daß sie ihren
Eigensinn fahrenlaßt und sich endlich zu einem festen Bundnisse mit
dem Herrn Damis entschließt, ehe ich als Vater ein Machtwort rede.
Ich weiß nicht, wer ihr den wunderlichen Gedanken von der Freiheit in
den Kopf gesetzet hat.

Lottchen.  Mich deucht, Herr Damis ist Julchen nicht zuwider.  Und ich
hoffe, daß er ihren kleinen Eigensinn leicht in eine bestandige Liebe
verwandeln kann.  Ich will ihm dazu behulflich sein.

Cleon.  Ja, tue es, meine Goldtochter.  Sage Julchen, daß ich nicht
ruhig sterben wurde, wenn ich sie nicht bei meinem Leben versorgt
wußte.

Lottchen.  Nein, lieber Papa, solche Bewegungsgrunde zur Ehe sind wohl
nicht viel besser als die Zwangsmittel.  Julchen hat Ursachen genug in
ihrem eigenen Herzen und in dem Werte ihres Geliebten, die sie zur
Liebe bewegen konnen; diese will ich wider ihren Eigensinn erregen und
sie durch sich selbst und durch ihren Liebhaber besiegt werden lassen.

Cleon.  Gut, wie du denkst.  Nur nicht gar zu lange nachgesonnen.
Ruhme den Herrn Damis.  Sage Julchen, daß er funfzigtausend Taler
bares Geld hatte und...  Arme Tochter!  es mag dir wohl weh tun, daß
deine Schwester so reich heiratet.  Je nun, du bist freilich nicht die
Schonste; aber der Himmel wird dich schon versorgen.  Betrube dich
nicht.

Lottchen.  Der Himmel weiß, daß ich bloß deswegen betrubt bin, weil
Sie mein Herz fur so niedrig halten, daß es meiner Schwester ihr Gluck
nicht gonnen sollte.  Dazu gehort ja gar keine Tugend, einer Person
etwas zu gonnen, fur welche das Blut in mir spricht.  Kommen Sie, Papa,
der Tee mochte kalt werden.

Cleon.  Du brichst mit Fleiß ab, weil du dich fuhlst.  Sei gutes Muts,
mein Kind.  Ich kann dir freilich nichts mitgeben.  Aber solange ich
lebe, will ich alles an dich wagen.  Nimm dir wieder einen
Sprachmeister, einen Zeichenmeister, einen Klaviermeister und alles an.
  Ich bezahle, und wenn mich der Monat funfzig Taler kame.  Du bist es
wert.  Und hore nur, dein Siegmund, dein guter Freund, oder wenn du es
lieber horst, dein Liebhaber, ist freilich durch den unglucklichen
Prozeß seines seligen Vaters um sein Vermogen gekommen; aber er hat
etwas gelernt und wird sein Gluck und das deine gewiß machen.

Lottchen.  Ach lieber Papa, Herr Siegmund ist mir itzt noch ebenso
schatzbar als vor einem Jahre, da er viel Vermogen hatte.  Ich weiß,
daß Sie unsere Liebe billigen.  Ich will fur die Verdienste einer Frau
sorgen, er wird schon auf die Ruhe derselben bedacht sein.  Er hat so
viel Vorzuge in meinen Augen, daß er sich keine Untreue von mir
befurchten darf, und wenn ich auch noch zehn Jahre auf seine Hand
warten sollte.  Wollen Sie mir eine Bitte erlauben: so lassen Sie ihn
heute mit uns speisen.

Cleon.  Gutes Kind, du wirst doch denken, daß ich ihn zu deinem
Vergnugen habe herbitten lassen.  Er wird nicht lange sein.

(Siegmund tritt herein, ohne daß ihn Lottchen gewahr wird.)

Lottchen.  Wenn ihn der Bediente nur auch angetroffen hat.  Ich will
selber ein paar Zeilen an ihn schreiben.  Ich kann ihm und mir keine
großere Freude machen.  Er wird gewiß kommen und den großten Anteil an
Julchens Glucke nehmen.  Er hat das redlichste und zartlichste Herz.
Vergeben Sie mir's, daß ich so viel von ihm rede.

Cleon.  Also hast du ihn recht herzlich lieb?

Lottchen.  Ja, Papa, so lieb, daß, wenn ich die Wahl hatte, ob ich ihn
mit einem geringen Auskommen oder den Vornehmsten mit allem Uberflusse
zum Manne haben wollte, ich ihn allemal wahlen wurde.

Cleon.  Ist's moglich?  Hatte ich doch nicht gedacht, daß du so
verliebt warest.

Lottchen.  Zartlich, wollen Sie sagen.  Ich wurde unruhig sein, wenn
ich nicht so zartlich liebte, denn dies ist es alles, wodurch ich die
Zuneigung belohnen kann, die mir Herr Siegmund vor so vielen andern
Frauenzimmern geschenkt hat.  Bedenken Sie nur, ich bin nicht schon,
nicht reich, ich habe sonst keine Vorzuge als meine Unschuld, und er
liebt mich doch so vollkommen, als wenn ich die liebenswurdigste
Person von der Welt ware.

Cleon.  Aber sagst du's ihm denn selbst, daß du ihn so ausnehmend
liebst?

Lottchen.  Nein, so deutlich habe ich es ihm nie gesagt.  Er ist so
bescheiden, daß er kein ordentliches Bekenntnis der Liebe von mir
verlangt.  Und ich habe tausendmal gewunscht, daß er mich notigen
mochte, ihm eine Liebe zu entdecken, die er so sehr verdienet.

Cleon.  Du wirst diesen Wunsch bald erfullt sehen.  Siehe dich um,
mein liebes Lottchen.



Zweiter Auftritt

Cleon.  Lottchen.  Siegmund.


Lottchen.  Wie?  Sie haben mich reden horen?

Siegmund.  Vergeben Sie mir, mein liebes Lottchen.  Ich habe in meinem
Leben nichts Vorteilhafters fur mich gehort.  Ich bin vor Vergnugen
ganz trunken, und ich weiß meine Verwegenheit mit nichts als mit
meiner Liebe zu entschuldigen.

Lottchen.  Eine bessere Fursprecherin hatten Sie nicht finden konnen.
Haben Sie alles gehort?  Ich habe es nicht gewußt, daß Sie zugegen
waren; um desto aufrichtiger ist mein Bekenntnis.  Aber wenn ich ja
auf den Antrieb meines Papas einen Fehler habe begehen sollen: so will
ich ihn nunmehr fur mich allein begehen: Ich liebe Sie.  Sind Sie mit
dieser Ausschweifung zufrieden?

Siegmund.  Liebstes Lottchen, meine Besturzung mag Ihnen ein Beweis
von der Empfindung meines Herzens sein.  Sie lieben mich?  Sie sagen
mir's in der Gegenwart Ihres Papas?  Sie?  mein Lottchen!  Verdiene
ich dies?  Soll ich Ihnen antworten?  und wie?  O lassen Sie mich
gehen und zu mir selber kommen.

Cleon.  Sie sind ganz besturzt, Herr Siegmund.  Vielleicht tut Ihnen
meine Gegenwart einigen Zwang an.  Lebt wohl, meine Kinder, und sorgt
fur Julchen.  Ich will mit dem Herrn Damis reden.



Dritter Auftritt

Lottchen.  Siegmund.


Siegmund.  Wird es Sie bald reuen, meine Geliebte, daß ich so viel zu
meinem Vorteile gehort habe?

Lottchen.  Sagen Sie mir erst, ob Sie so viel zu horen gewunscht haben.

Siegmund.  Gewunscht habe ich's tausendmal; allein, verdiene ich so
viele Zartlichkeit?

Lottchen.  Wenn mein Herz den Ausspruch tun darf: so verdienen Sie
ihrer weit mehr.

Siegmund.  Nein, ich verdiene Ihr Herz noch nicht; allein ich will
mich zeitlebens bemuhen, Sie zu uberfuhren, daß Sie es keinem
Unwurdigen geschenkt haben.  Wie edel gesinnt ist Ihre Seele!  Ich
verlor als Ihr Liebhaber mein ganzes Vermogen, und mein Ungluck hat
mir nicht den geringsten Teil von Ihrer Liebe entzogen.  Sie haben
Ihre Gewogenheit gegen mich vermehrt und mir durch sie den Verlust
meines Glucks ertraglich gemacht, Diese standhafte Zartlichkeit ist
ein Ruhm fur Sie, den nur ein erhabenes Herz zu schatzen weiß.  Und
ich wurde des Hasses der ganzen Welt wert sein, wenn ich jemals
aufhoren konnte, Sie zu lieben.

Lottchen.  Ich habe einen Fehler begangen, daß ich Sie so viel zu
meinem Ruhme habe sagen lassen.  Aber Ihr Beifall ist mir gar zu
kostbar, als daß ihn meine Eigenliebe nicht mit Vergnugen anhoren
sollte.  Sie konnen es seit zwei Jahren schon wissen, ob ich ein
redliches Herz habe.  Welche Zufriedenheit ist es fur mich, daß ich
ohne den geringsten Vorwurf in alle die vergnugten Tage und Stunden
zurucksehen kann, die ich mit Ihnen, mit der Liebe und der Tugend
zugebracht habe!

Siegmund.  Also sind Sie vollkommen mit mir zufrieden, meine Schone?
O warum kann ich Sie nicht glucklich machen!  Welche Wollust mußte es
sein, ein Herz, wie das Ihrige ist, zu belohnen, da mir die bloße
Vorstellung davon schon so viel Vergnugen gibt!  Ach, liebstes Kind,
Julchen wird glucklicher, weit glucklicher als Sie, und...

Lottchen.  Sie beleidigen mich, wenn Sie mehr reden.  Und Sie
beleidigen mich auch schon, wenn Sie es denken.  Julchen ist nicht
glucklicher, als ich bin.  Sie habe ihrem kunftigen Brautigam noch
soviel zu danken: so bin ich Ihnen doch ebensoviel schuldig.  Durch
Ihren Umgang, durch Ihr Beispiel bin ich zartlich, ruhig und mit der
ganzen Welt zufrieden worden.  Ist dieses kein Gluck: so muß gar keins
in der Welt sein.  Aber, mein liebster Freund, wir wollen heute zu
Julchens Glucke etwas beitragen.  Sie liebt den Herrn Damis und weiß
es nicht, daß sie ihn liebt.  Ihr ganzes Bezeigen versichert mich, daß
der prachtige Gedanke, den sie von der Freiheit mit sich herumtragt,
nichts als eine Frucht der Liebe sei.  Sie liebt; aber die
verdrußliche Gestalt, die sie sich vielleicht von der Ehe gemacht hat,
umnebelt ihre Liebe.  Wir wollen diese kleinen Nebel vertreiben.

Siegmund.  Und wie?  mein liebes Kind.  Ich gehorche Ihnen ohne
Ausnahme.  Herr Damis verdient Julchen, und sie wird eine recht
liebenswurdige Frau werden.

Lottchen.  Horen Sie nur.  Doch hier kommt Herr Damis.



Vierter Auftritt

Die Vorigen.  Damis.


Lottchen.  Sie sehen sehr traurig aus, mein Herr Damis.

Damis.  Ich habe Ursache dazu.  Anstatt, daß ich glaubte, Julchen
heute als meine Braut zu sehen: so merke ich, daß noch ganze Jahre zu
diesem Glucke notig sind.  Je mehr ich ihr von der Liebe vorsage,
desto unempfindlicher wird sie.  Und je mehr sie sieht, daß meine
Absichten ernstlich sind, desto mehr mißfallen sie ihr.  Ich
Unglucklicher!  Wie gut ware es fur mich, wenn ich Julchen weniger
liebte!

Lottchen.  Lassen Sie sich ihre kleine Halsstarrigkeit lieb sein.  Es
ist nichts als Liebe.  Eben weil sie fuhlt, daß ihr Herz uberwunden
ist: so wendet sie noch die letzte Bemuhung an, der Liebe den Sieg
sauer zu machen.  Wir brauchen nichts, als sie dahin zu bringen, daß
sie sieht, was in ihrem Herzen vorgeht.

Damis.  Wenn sie es aber nicht sehen will?

Lottchen.  Wir mussen sie uberraschen und sie, ohne daß sie es
vermutet, dazu notigen.  Der heutige Tag ist ja nicht notwendig Ihr
Brauttag.  Gluckt es uns heute nicht: so wird es ein andermal glucken.
Es kommt bloß darauf an, meine Herren, ob Sie sich meinen Vorschlag
wollen gefallen lassen.

Siegmund.  Wenn ich zu des Herrn Damis Glucke etwas beitragen kann,
mit Freuden.

Damis.  Ich weiß, daß Sie beide großmutig genug darzu sind.  Und mir
wird nichts in der Welt zu schwer sein, das ich nicht fur Julchen
wagen sollte.

Lottchen.  Mein Herr Damis, verandern Sie die Sprache bei Julchen
etwas.  Fangen Sie nach und nach an, ihr in den Gedanken von der
Freiheit recht zu geben.  Diese Ubereinstimmung wird ihr anfangs
gefallen und sie sicher machen.  Sie wird denken, als ob sie Ihnen
deswegen erst gewogen wurde, da sie es doch lange aus weit schonern
Ursachen gewesen ist.  Und in diesem Selbstbetruge wird sie Ihnen ihr
ganzes Herz sehen lassen.

Damis.  Wollte der Himmel, daß Ihr Rat seine Wirkung tate.  Wie
glucklich wollte ich mich schatzen!

Lottchen (zu Siegmunden).  Und Sie mussen dem Herrn Damis zum Besten
einen kleinen Betrug spielen und sich gegen Julchen zartlich stellen.
Dieses wird ihr Herz in Unordnung bringen.  Sie wird bose auf Sie
werden.  Und mitten in dem Zorne wird die Liebe gegen den Herrn Damis
hervorbrechen.  Tun Sie es auf meine Verantwortung.

Siegmund.  Diese Rolle wird mir sehr sauer werden.


Funfter Auftritt

Die Vorigen.  Julchen.


Julchen.  Da sind Sie ja alle beisammen.  Der Papa wollte gern wissen,
wo Sie waren, und ich kann ihm nunmehro die Antwort sagen.  (Sie will
wieder gehn.)

Lottchen.  Mein liebes Julchen, warum gehst du so geschwind?  Weißt du
eine bessere Gesellschaft als die unsrige?

Julchen.  Ach nein, meine Schwester.  Aber wo Ihr und Herr Siegmund
seid, da wird gewiß von der Liebe gesprochen.  Und ich finde heute
keinen Beruf, einer solchen Versammlung beizuwohnen.

Lottchen.  Warum rechnest du denn nur mich und Herr Siegmunden zu den
Verliebten?  Was hat dir denn Herr Damis getan, daß du ihm diese Ehre
nicht auch erweisest?

Julchen.  Herr Damis ist so gutig gewesen und hat mir versprochen,
lange nicht wieder von der Liebe zu reden.  Und er ist viel zu billig,
als daß er mir sein Wort nicht halten sollte.

Damis.  Ich habe es Ihnen versprochen, meine liebe Mamsell, und ich
verspreche es Ihnen vor dieser Gesellschaft zum andern Male.  Erlauben
Sie mir, daß ich meine Zartlichkeit in Hochachtung verwandeln darf.
Die Liebe konnen Sie mir mit Recht verbieten; aber die Hochachtung
kommt nicht auf meinen Willen, sondern auf Ihre Verdienste an.  Scheun
Sie sich nicht mehr vor mir.  Ich bin gar nicht mehr Ihr Liebhaber.
Aber darf ich denn auch nicht Ihr guter Freund sein?

Julchen.  Von Herzen gern.  Dieses ist eben mein Wunsch, viele Freunde
und keinen Liebhaber zu haben; mich an einem vertrauten Umgange zu
vergnugen, aber mich nicht durch die Vertraulichkeit zu binden und zu
fesseln.  Wenn Sie mir nichts mehr von der Liebe sagen wollen: so will
ich ganze Tage mit Ihnen umgehen.

Lottchen.  Kommen Sie, Herr Siegmund.  Bei diesen frostigen Leuten
sind wir nichts nutze.  Ob wir ihr kaltsinniges Gesprach von der
Freundschaft horen oder nicht.  Wir wollen zu dem Papa gehen.



Sechster Auftritt

Julchen.  Damis.


Julchen.  Ich bin meiner Schwester recht herzlich gut; aber ich wurde
es noch mehr sein, wenn sie weniger auf die Liebe hielte.  Es kann
sein, daß die Liebe viel Annehmlichkeiten hat; aber das traurige und
eingeschrankte Wesen, das man dabei annimmt, verderbt ihren Wert, und
wenn er noch so groß ware.  Ich habe ein lebendiges Beispiel an meiner
Schwester.  Sie war sonst viel munterer, viel ungezwungener.

Damis.  Ich habe Ihnen versprochen, nicht von der Liebe zu reden, und
ich halte mein Wort.  Die Freundschaft scheint mir in der Tat besser.

Julchen.  Ja.  Die Freundschaft ist das frohe Vergnugen der Menschen
und die Liebe das traurige.  Man will einander recht genießen, darum
liebt man; und man eilt doch nur, einander satt zu werden.  Habe ich
nicht recht, Herr Damis?

Damis.  Ich werde die Liebe in Ihrer Gesellschaft gar nicht mehr
erwahnen.  Sie mochten mir sonst dabei einfallen.  Und wie wurde es
alsdann um mein Versprechen stehen?

Julchen.  Sie konnten es vielleicht fur einen Eigensinn, oder ich weiß
selbst nicht fur was fur ein Anzeichen halten, daß ich die Liebe so
fliehe.  Aber nein.  Ich sage es Ihnen, es gehort zu meiner Ruhe, ohne
Liebe zu sein.  Lassen Sie mir doch diese Freiheit.  Muß man denn
diese traurige Plage fuhlen?  Nein, meine Schwester irrt: es geht an,
sie nicht zu empfinden.  Ich sehe es an mir.  Aber warum schweigen Sie
so stille?  Ich rede ja fast ganz allein.  Sie sind verdrießlich?  O
wie gut ist's, daß Sie nicht mehr mein Liebhaber sind!  Sonst hatte
ich Ursache, Ihnen zu Gefallen auch verdrießlich zu werden.

Damis.  O nein, ich bin gar nicht verdrießlich.

Julchen.  Und wenn Sie es auch waren, und zwar deswegen, weil ich
nicht mehr von der Liebe reden will: so wurde mir doch dieses gar
nicht nahegehen.  Es ist mir nicht lieb, daß ich Sie so verdrießlich
sehe; aber als Ihre gute Freundin werde ich daruber gar nicht unruhig.
O nein!  Ich bin ja auch nicht jede Stunde zufrieden.  Sie konnen ja
etwas zu uberlegen haben.  Ich argwohne gar nichts.  Ich mag es auch
nicht wissen...  Doch, mein Herr, Sie stellen einen sehr stummen
Freund vor.  Wenn bin ich Ihnen denn so gleichgultig geworden?

Damis.  Nehmen Sie es nicht ubel, meine schone Freundin, daß ich
einige Augenblicke ganz fuhllos geschienen habe.  Ich habe, um Ihren
Befehl zu erfullen, die letzten Bemuhungen angewandt, die angstlichen
Regungen der Liebe vollig zu ersticken und den Charakter eines
aufrichtigen Freundes anzunehmen.  Die Vernunft hat nunmehr uber mein
Herz gesiegt.  Die Liebe war mir sonst angenehm, weil ich sie Ihrem
Werte zu danken hatte.  Nunmehr scheint mir auch die Unempfindlichkeit
schon und reizend zu sein, weil sie durch die Ihrige in mir erwecket
worden ist.  Verlassen Sie sich darauf, ich will mir alle Gewalt antun;
aber vergeben Sie mir nur, wenn ich zuweilen wider meinen Willen in
den vorigen Charakter verfalle.  Ich liebe Sie nicht mehr; aber, ach,
sollten Sie doch wissen, wie hoch ich Sie schatze, meine englische
Freundin!

Julchen.  Aber warum schlagen Sie denn die Augen nieder?  Darf man in
der Freundschaft einander auch nicht ansehen?

Damis.  Es gehort zu meinem Siege.  Wer kann Sie sehen und Sie doch
nicht lieben?

Julchen.  Sagten Sie mir nicht wieder, daß Sie mich liebten?  O das
ist traurig!  Ich werde uber Ihr Bezeigen recht unruhig.  Einmal reden
Sie so verliebt, daß man erschrickt, und das andere Mal so
gleichgultig, als wenn Sie mich zum ersten Male sahen.  Nein,
schweifen Sie doch nicht aus.  Sie widersprechen mir ja stets.  Ist
dies die Eigenschaft eines guten Freundes?  Wir brauchen ja nicht zu
lieben.  Ist denn die Freiheit nicht so edel als die Liebe?

Damis.  O es gehort weit mehr Starke des Geistes zu der Freiheit als
zu der Liebe.

Julchen.  Das sage ich auch, warum halten Sie mir's denn fur ubel, daß
ich die Freiheit hochschatze, daß ich statt eines Liebhabers lieber
zehn Freunde, statt eines einfachen lieber ein mannigfaltiges
Vergnugen haben will?  Sind denn meine Grunde so schlecht, daß ich
daruber Ihre Hochachtung verlieren sollte?  Tun Sie den Ausspruch, ob
ich bloß aus Eigensinn rede.  (Damis sieht sie zartlich an.)  Aber
warum sehen Sie mich so angstlich an, als ob Sie mich bedauerten?  Was
wollen mir Ihre Augen durch diese Sprache sagen?  Ich kann mich gar
nicht mehr in Ihr Bezeigen finden.  Sie scheinen mir das Amt eines
Aufsehers und nicht eines Freundes uber sich genommen zu haben.  Warum
geben Sie auf meine kleinste Miene Achtung und nicht auf meine Worte?
Mein Herr, ich wollte, daß Sie nunmehr...

Damis.  Daß Sie gingen, wollten Sie sagen.  Auch diesen Befehl nehme
ich an, so sauer er mir auch wird.  Sie mogen mich nun noch so sehr
hassen: so werde ich mich doch in Ihrer Gegenwart nie uber mein
Schicksal beklagen.  Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.

Julchen.  Hassen?  Wenn habe ich denn gesagt, daß ich Sie hasse?  Ich
verstehe diese Sprache.  Weil Sie mich nicht lieben sollen, so wollen
Sie mich hassen.  Dies ist sehr großmutig.  Das sind die Fruchte der
beruhmten Zartlichkeit.  Ich werde aber nicht aus meiner Gelassenheit
kommen, und wenn Sie auch mit dem kaltsinnigsten Stolze noch einmal zu
mir sagen sollten: Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.  Das
ist ja eine rechte Hofsprache.

Damis.  Es ist die Sprache der Ehrerbietung.  (Er geht ab.)



Siebenter Auftritt

Julchen allein.


Wie?  Er geht?  Aber warum bin ich so unruhig?  Ich liebe ihn ja nicht.
..  Nein, ich bin ihm nur gewogen.  Es ist doch ein unertraglicher
Stolz, daß er mich verlaßt.  Aber habe ich ihn etwan beleidiget?  Er
ist ja sonst so vernunftig und so großmutig...  Nein, nein, er liebt
mich nicht.  Es muß Verstellung gewesen sein.  Ich habe heute ein
recht murrisches Wesen.  (Lottchen tritt unvermerkt herein.)  Wenn ich
nur meine Laute hier hatte, ich wollte...



Achter Auftritt

Julchen.  Lottchen.


Lottchen.  Ich will sie gleich holen, wenn du es haben willst.  Aber,
mein Kind, was hast du mit dir allein zu reden?  Es ist ja sonst deine
Art nicht, daß du mit der Einsamkeit sprichst?

Julchen.  Wenn hatte ich denn mit mir allein geredet?  Ich weiß nicht,
daß ich heute allen so verdachtig vorkomme.

Lottchen.  Aber woher wußte ich's, daß du die Laute hattest haben
wollen, wenn du nicht geredt hattest?  Mich hast du nicht gesehen,
liebes Kind, und also mußt du wohl mit dir selbst geredt haben.  Ich
dachte es wenigstens, oder bist du anderer Meinung?

Julchen.  Ihr mußt euch alle beredt haben, mir zu widersprechen.

Lottchen.  Wieso?  Ich habe dir nicht widersprochen.  Und wenn es Herr
Damis getan hat, so kann ich nichts dafur.  Warum ziehst du deine
guten Freunde nicht besser?  Er sagte mir im Vorbeigehen, du warest
recht bose geworden, weil er es etliche Mal versehen und wider sein
Versprechen an die Liebe gedacht hatte.

Julchen.  Schwester, ich glaube, Ihr kommt, um Rechenschaft von mir zu
fordern.  Ihr hort es ja, daß ich mich nicht zur Liebe zwingen lasse.

Lottchen.  Recht, Julchen, wenn dir Herr Damis zuwider ist: so bitte
ich dich selber, liebe ihn nicht.

Julchen.  Was das fur ein weiser Spruch ist!  Wenn er dir zuwider ist..
.  Muß man denn einander hassen, wenn man nicht lieben will?  Ich habe
ja noch nicht gefragt, ob dir dein Herr Siegmund zuwider ist.

Lottchen.  Nein, du hast mich noch nicht gefragt.  Aber wenn du mich
fragen solltest, so wurde ich dir antworten, daß ich ihn recht
zartlich, recht von Herzen liebe und mich meiner Zartlichkeit nicht
einen Augenblick schame.  Es gehort weit mehr Hoheit des Gemuts dazu,
die Liebe vernunftig zu fuhlen, als die Freiheit zu behaupten.

Julchen.  Ich mochte vor Verdruß vergehen.  Herr Damis hat gleich
vorhin das Gegenteil behauptet.  Wem soll man nun glauben?  Nehmt
mir's nicht ubel, meine Schwester, ich weiß, daß Ihr mehr Einsicht
habt als ich; aber erlaubt mir, daß ich meinen Einfall dem Eurigen
vorziehe.  Und warum kann Herr Damis nicht so gut recht haben als Ihr?
Ihr habt ja immer gesagt, daß er ein vernunftiger und artiger Mann
ware.

Lottchen.  Das Beiwort artig hatte nicht eben notwendig zu unserer
Streitfrage gehort; aber vielleicht gehort diese Vorstellung sonst in
die Reihe deiner Empfindungen.  Herr Damis ist ganz gewiß verstandiger
als ich; aber er ist auch ein Mensch wie ich; und der beste Verstand
hat seine schwache Seite.

Julchen.  Lottchen, also seid Ihr hiehergekommen, um mir zu
demonstrieren, daß Herr Damis ein Mensch und kein Engel am Verstande
ist?  Das glaube ich.  Aber, mein liebes Lottchen, Eure Spottereien
sind mir sehr ertraglich.  Ich konnte Euch leicht die Antwort
zuruckgeben, daß Euer Herr Siegmund auch unter die armen Sterblichen
gehorte; aber ich will es nicht tun.  Ihr wurdet nur denken, daß ich
aus Eigensinn den Herrn Damis verteidigen wollte.  Nein, er soll nicht
den großten Verstand haben; er soll nicht so galant, nicht so
liebenswurdig sein als Euer Siegmund.  So habe ich noch eine Ursache
mehr, meine Freiheit zu behaupten und ihn nicht zu lieben.

Lottchen.  Mein liebes Kind, du kommst recht in die Hitze.  Du
schmalst auf mich und meinen Geliebten, und ich bleibe dir doch gut.
Man kann dich nicht hassen.  Du tragst dein gutes Herz in den Augen
und auf der Zunge, ohne daß du daran denkst.  Du bist meine liebe
schone Schwester.  Deine kleinen Fehler sind fast ebenso gut als
Schonheiten.  Wenigstens kann man sie nicht begehen, wenn man nicht so
aufrichtig ist, wie du bist.  Kind, ich habe diese Nacht einen
merkwurdigen Traum von einer jungen angenehmen Braut gehabt und ich...

Julchen.  Ich bitte dich, liebe Schwester, laß mich allein.  Ich bin
verdrießlich, recht sehr verdrießlich, und ich werde es nur mehr, je
mehr ich rede.

Lottchen.  Bist du etwan daruber verdrießlich, daß ich in der
Heftigkeit ein Wort wider den Herrn Damis...?

Julchen.  O warum denkst du wieder an ihn?  Willst du mich noch mehr
zu Fehlern bringen?  Laß ihm doch seinen schwachen Verstand und mir
meinen verdrießlichen Geist und das Gluck, einige Augenblicke allein
zu sein.  Die altern Schwestern haben doch immer etwas an den jungern
auszusetzen.

Lottchen.  Ich hore es wohl, ich soll gehen.  Gut.  Komm bald nach,
sonst mußt du wieder mit dir allein reden.


Neunter Auftritt

Julchen.  Der Magister.


Julchen.  Ist es nicht moglich, daß ich allein sein kann?  Mussen Sie
mich notwendig storen?  Herr Magister!  Sagen Sie mir's nur kurz, was
zu Ihren Diensten ist.

Der Magister.  Jungfer Muhme, ich will etwas mit Ihnen uberlegen.
Vielleicht bin ich wegen meiner Jahre und meiner Erfahrung nicht
ungeschickt dazu.  Ich liebe Sie, und Sie wissen, was der Verstand fur
eine unentbehrliche Sache bei allen unsern Handlungen ist.

Julchen.  Ja, das weiß ich.  Demungeachtet wollte ich wunschen, daß
ich heute gar keinen hatte; vielleicht ware ich ruhiger.

Der Magister.  Sie ubereilen sich.  Wer wurde uns das Wahre von dem
Falschen, das Scheingut von dem wahren Gute unterscheiden helfen?  Wer
wurde unsern Willen zu festen und glucklichen Entschließungen bringen,
wenn es nicht der Verstand tate?  Und wurden Sie wohl so liebenswurdig
geworden sein, wenn Sie nicht immer verstandig gewesen waren?

Julchen.  Herr Magister, Sie sind ja nicht auf Ihrer Studierstube.
Was qualen Sie mich mit Ihrer Gelehrsamkeit?  Ich mag ja nicht so
weise sein als Sie.  Ich kann es auch nicht sein, weil ich nicht so
viel Geschicklichkeit besitze.

Der Magister.  Zu eben der Zeit, da Sie wunschen, daß sie keine
Vernunft haben mochten, beweisen Sie durch Ihre Bescheidenheit, daß
Sie ihrer sehr viel haben.  Ich fordere keine Gelehrsamkeit von Ihnen.
Ich will sogar die meinige vergessen, indem ich mit Ihnen spreche.
Sie sollen heute den Schritt zu Ihrem Glucke tun.  Es scheint aber
nicht, daß Sie dazu entschlossen sind.  Gleichwohl wunscht es Ihr Herr
Vater herzlich.  Ich habe ihm versprochen, Ihnen einige kleine
Vorstellungen zu tun.  Und ich wunschte, daß Sie solche anhoren und
mir Einwurfe dagegen machen mochten.  Dies kann ich, so alt ich bin,
doch wohl leiden.  Die Liebe ist eine der schonsten, aber auch der
gefahrlichsten Leidenschaften.  Sie racht sich an uns, wenn wir sie
verschmahen; und sie racht sich auch, wenn wir uns in unserm Gehorsame
ubereilen.

Julchen.  Sie sind etwas weitlauftig in Ihren Vorstellungen.  Allein,
Sie sollen ohne Einwurf recht haben.  Lassen Sie mich nur in Ruhe.
Mein Verstand ist freilich nicht so stark an Grunden als eine
Philosophie.  Dennoch ist er noch immer stark genug fur mein Herz
gewesen.

Der Magister.  Wissen Sie nicht, daß uns unsere Leidenschaften am
ersten besiegen, wenn sie am ruhigsten zu sein scheinen?  Das Herz der
Menschen ist der großte Betruger.  Und der Klugste weiß oft selbst
nicht, was in ihm vorgeht.  Wir lieben und werden es zuweilen nicht
eher gewahr, als bis wir nicht mehr geliebt werden.  Dieses alles
sollen Sie nicht glauben, weil ich's sage.  Nein, weil es die großten
Kenner des menschlichen Herzens, ein Sokrates, ein Plato, ein Seneca
und viele von den neuern Philosophen gesagt haben.

Julchen.  Ich kenne alle diese Manner nicht und verlange sie auch
nicht zu kennen.  Aber wenn sie so weise gewesen sind, wie Sie
behaupten, so werden sie wohl auch gesagt haben, daß man ein unruhiges
Herz durch viele Vorstellungen nicht noch unruhiger machen soll.  Und
ich traue dem Plato und Seneca, und wie sie alle heißen, so viel
Einsicht und Hoflichkeit zu, daß sie Sie bitten wurden, mich zu
verlassen, wenn sie zugegen waren.  Sobald ich die Leidenschaften und
insonderheit die Liebe nicht mehr regieren kann: so will ich Ihre
Philosophie um Beistand ansprechen.

Der Magister.  Ihre Aufrichtigkeit gefallt mir, ob sie mir gleich zu
widersprechen scheint.  Aber ich wurde mich fur sehr unphilosophisch
halten, wenn ich den Widerspruch nicht gelassen anhoren konnte.  Sie
sollen mich nicht beleidiget haben.  Nein!  Aber Sie sagen, Sie sind
unruhig.  Sollte es itzt nicht Zeit sein, diese Unruhe durch
Uberlegung zu dampfen?  Was verursacht Ihre Unruhe?  Ist's der Affekt
der Liebe oder des Abscheus?  Der Furcht oder des Verlangens?  Ich
wollte wunschen, daß Sie ein anschauendes Erkenntnis davon hatten.
Wenn man die Ursache eines moralischen Ubels weiß: so weiß man auch
das moralische Gegenmittel.  Ich meine es gut mit Ihnen.  Ich rede
begreiflich, und ich wollte, daß ich noch deutlicher reden konnte.

Julchen.  Ich setze nicht das geringste Mißtrauen weder in Ihre
Aufrichtigkeit noch in Ihre Gelehrsamkeit.  Aber ich bin verdrießlich.
Ich weiß nicht, was mir fehlt, und mag es auch zu meiner Ruhe nicht
wissen.  Verlassen Sie mich.  Sie sind mir viel zu scharfsinnig.

Der Magister.  Warum loben Sie mich?  Wenn Sie so viele Jahre der
Wahrheit nachgedacht hatten als ich: so wurden Sie vielleicht ebenso
helle denken.  Unterdrucken Sie Ihre Unruhe und uberlegen Sie das
Gluck, das sich Ihnen heute auf Ihr ganzes Leben anbietet.  Herr Damis
verlangt Ihr Herz und scheint es auch zu verdienen.  Was sagt Ihr
Verstand dazu?  Auf die Wahl in der Liebe kommt das ganze Gluck der
Ehe an; und kein Irrtum bestraft uns so sehr als der, den wir in der
Liebe begehn.  Allein wenn kann man sich leichter irren als bei dieser
Gelegenheit?

Julchen.  Ich glaube, daß dieser Unterricht recht gut ist.  Aber was
wird er mir nutzen, da ich nicht lieben will?

Der Magister.  Sie reden sehr hitzig.  Dennoch werde ich nicht aus
meiner Gelassenheit kommen.  Sie wollen nicht lieben, nicht heiraten?
Aber wissen Sie denn auch, daß Sie dazu verbunden sind?  Soll ich
Ihnen den Beweis aus meinem Rechte der Natur vorlegen?  Sie wollen
doch, daß das menschliche Geschlecht erhalten werden soll?  Dieses ist
ein Zweck, den uns die Natur lehrt.  Das Mittel dazu ist die Liebe.
Wer den Zweck will, der muß auch das Mittel wollen, wenn er anders
verstandig ist.  Sehn Sie denn nicht, daß Sie zur Ehe verbunden sind?
Sagen Sie mir nur, ob Sie die Kraft dieser Grunde nicht fuhlen?

Julchen.  Ich fuhle sie in der Tat nicht.  Und wenn die Liebe nichts
ist als eine Pflicht: so wundert mich's, wie sie so viele Herzen an
sich ziehen kann.  Ich will ungelehrt lieben.  Ich will warten, bis
mich die Liebe durch ihren Reiz bezaubern wird.

Der Magister.  Jungfer Muhme, das heißt halsstarrig sein, wenn man die
Augen vor den klarsten Beweisen zuschließt.  Wenn Sie erkennen, daß
Sie zur Ehe verbunden sind, wie konnte denn Ihr Wille undeterminiert
bleiben?  Ist denn der Beifall im Verstande und der Entschluß im
Willen nicht eine und ebendieselbe Handlung unserer Seele?  Warum
wollen Sie sich denn nicht zur Heirat mit dem Herrn Damis entschließen,
da Sie sehen, daß Sie eine Pflicht dazu haben?

Julchen.  Nehmen Sie mir's nicht ubel, Herr Magister, daß ich Sie
verlasse, ohne von Ihrer Sittenlehre uberzeugt zu sein.  Was kann ich
armes Madchen dafur, daß ich nicht so viel Einsicht habe als Plato,
Seneca und Ihre andern weisen Manner?  Machen Sie es mit diesen Leuten
aus, warum ich keine Lust zur Heirat habe, da ich doch durch ihren
Beweis dazu verbunden bin.  Ich habe noch etliche Anstalten in der
Kuche zu machen.



Zehnter Auftritt

Der Magister.  Cleon.


Der Magister.  Ich habe deiner Tochter Julchen alle mogliche
Vorstellungen getan.  Ich habe mit der großten Selbstverleugnung mit
ihr gesprochen.  Ich habe ihr die starksten Beweise angefuhrt; aber...

Cleon.  O hattest du ihr lieber ein paar Exempel von glucklich
verheirateten Madchen angefuhrt.

Der Magister.  Sie widersprach mir mehr als einmal; aber ich kam nicht
aus meiner Gelassenheit.  Ich erwies ihr, daß sie verbunden ware zu
heiraten.

Cleon.  Du hast dir viel Muhe geben.  Ich denke, wenn ein Madchen
achtzehn Jahre alt ist: so wird sie nicht viel wider diesen Beweis
einwenden konnen.

Der Magister.  Julchen sah alles ein.  Ich machte es ihr sehr deutlich.
  Denn wenn man mit Ungelehrten zu tun hat, die nicht abstrakt denken
konnen: so muß man sich herunterlassen und das Ingenium zuweilen zu
Hulfe nehmen.

Cleon.  Aber wie weit hast du Julchen durch deine Grunde gebracht?
Will sie den Herrn Damis heiraten?  Hat sie denn ihre Herzensmeinung
nicht verraten?  Ich kann ja den rechtschaffenen Mann nicht langer
aufhalten.  Er meint es so redlich und hat so viele Verdienste.

Der Magister.  Sie sagte, sie ware unruhig.  Und das war eben schlimm.
Denn die Grunde der Philosophie fordern ein ruhiges Herz, wenn sie
die Uberzeugung wirken sollen.  Wenn der Verstand durch die Triebe des
Willens besturmt wird: so ist er nicht aufmerksam.  Und ohne
Aufmerksamkeit sind die scharfsten Beweise nichts als stumpfe Pfeile.

Cleon.  Rede nicht so tiefsinnig.  Du hattest sie eben sollen ruhig
machen: so sahe ich den Nutzen von deiner Geschicklichkeit.

Der Magister.  Ich versuchte alles.  Ich zeigte ihr die schone Seite
der Liebe.  Ich sagte ihr erstlich, daß eine gluckliche Ehe das großte
Vergnugen ware.

Cleon.  Ja, die glucklichen Ehen sind etwas sehr Schones.  Aber du
hattest ihr sagen sollen, daß ihre Ehe wahrscheinlicherweise sehr
glucklich werden wurde.  Das ist meine Absicht gewesen, warum ich dich
zu ihr geschickt habe.

Der Magister.  Kurz und gut, durch Lehrsatze und Erweise ist sie nicht
zu gewinnen, das sehe ich wohl.  Sie versteht wohl die einzelnen Satze;
aber wenn sie sie in Gedanken zusammen verbinden und dem Schlusse das
Leben geben soll: so weichet ihr Verstand zuruck, und sie wird
ungehalten, daß er sie verlaßt.

Cleon.  Also kannst du mir weiter nicht helfen und sie nicht uberreden?

Der Magister.  Es gibt noch gewisse witzige Beweise zur Uberredung,
die man Beweise kat' anJrwpon nennen konnte.  Dergleichen sind bei den
alten Rednern die Fabeln und Allegorien oder Parabeln.  Bei Leuten,
die nicht scharf denken konnen, tun diese witzigen Blendwerke oft gute
Dienste.  Ich will sehen, ob ich durch mein Ingenium das ausrichten
kann, was sie meinem Verstande versagt hat.  Vielleicht macht ihr eine
Fabel mehr Lust zur Heirat als eine Demonstration.  Ich will eine
machen und sie ihr vorlesen und tun, als ob ich sie in dem Fabelbuche
eines jungen Menschen in Leipzig gefunden hatte, der sich durch seine
Fabeln und Erzahlungen bei der Schuljugend so beliebt gemacht hat.

Cleon.  Ach ja, das tue doch, damit wir alles versuchen.  Wenn die
Fabel hubsch ist: so kannst du sie gleich auf meiner Tochter Hochzeit
der Welt mitteilen.  Mache nur nicht gar zu lange daruber.  Eine Fabel
ist ja keine Predigt.  Es muß ja nicht alles so akkurat sein.  Meine
Tochter wird dich nicht verraten.  Mache, daß sie ja spricht: so will
ich dir ohne Fabel, aber recht aufrichtig danken.

(Der Magister geht ab.)



Eilfter Auftritt

Cleon.  Lottchen.


Lottchen.  Papa, der Herr Vormund des Herrn Damis hat durch seinen
Bedienten dieses Zettelchen an Sie geschickt.

Cleon (er liest).  ≫Weil Sie es verlangen: so werde ich die Ehre haben,
gegen die Kaffeezeit zu Ihnen zu kommen.  Ich lasse mir die Wahl des
Herrn Damis, meines Mundels, sehr wohl gefallen.  Er hatte nicht
glucklicher wahlen konnen.  Kurz, ich will mich diesen Nachmittag mit
Ihnen und Ihren Jungfern Tochtern recht vergnugen, weil ich ohnedies
heute eine angenehme Nachricht vom Hofe erhalten habe.  Zugleich muß
ich Ihnen melden, daß heute oder morgen das Testament Ihrer seligen
Frau Muhme, der Frau Stephan, geoffnet werden soll.  Ich glaube gewiß,
daß sie Ihnen etwas vermacht hat.  Vielleicht kann ich Ihnen die
Gewißheit davon um vier Uhr mitbringen.  Ich bin≪ usw.

Das geht ja recht gut, meine liebe Tochter.  Ich dachte immer, der Herr Vormund wurde seine Einwilligung nicht zur Heirat geben, weil meine Tochter kein Vermogen hat.

댓글 없음: