2014년 12월 30일 화요일

Egmont 1

Egmont 1

Egmont, by Johann Wolfgang von Goethe
Ein Trauerspiel in Funf Aufzugen

Johann Wolfgang von Goethe

Personen

Margarete von Parma, Tochter Karls des Funften, Regentin der Niederlande.
Graf Egmont, Prinz von Gaure.
Wilhelm von Oranien.
Herzog von Alba.
Ferdinand, sein naturlicher Sohn.
Machiavell, im Dienst der Regentin.
Richard, Egmonts Geheimschreiber.
Silva,)-unter Alba dienend.
Gomez,)-
Klarchen, Egmonts Geliebte.
Ihre Mutter.
Brackenburg, ein Burgerssohn.
Soest, Kramer,    )-Burger von Brussel.
Jetter, Schneider,)-
Zimmermeister,    )-
Seifensieder,     )-
Buyck, Soldat unter Egmont.
Ruysum, Invalide und taub.
Vansen, ein Schreiber.
Volk, Gefolge, Wachen u. s. w.


Der Schauplatz ist in Brussel.



ERSTER AUFZUG.


Armbrustschießen.

Soldaten und Burger mit Armbrusten.
Jetter, Burger von Brussel, Schneider, tritt vor und spannt die Armbrust.
Soest, Burger von Brussel, Kramer.

Soest.  Nun schießt nur hin, daß es alle wird!  Ihr nehmt mir's doch
nicht!  Drei Ringe schwarz, die habt ihr eure Tage nicht geschossen.  Und
so war' ich fur dies Jahr Meister.

Jetter.  Meister und Konig dazu.  Wer mißgonnt's Euch?  Ihr sollt dafur
auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen,
wie's recht ist.

(Buyck, ein Hollander, Soldat unter Egmont.)

Buyck.  Jetter, den Schuß handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fur viele
Hoflichkeit Schuldner.  Fehl' ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen
hattet.

Soest.  Ich sollte drein reden; denn eigentlich verlier' ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.

Buyck (schießt).  Nun, Pritschmeister, Reverenz!--Eins!  Zwei!  Drei!
Vier!

Soest.  Vier Ringe?  Es sei!

Alle.  Vivat, Herr Konig, hoch!  und abermal hoch!

Buyck.  Danke, ihr Herren.  Ware Meister zu viel!  Danke fur die Ehre.

Jetter.  Die habt Ihr Euch selbst zu danken.

(Ruysum, ein Frieslander, Invalide und taub.)

Ruysum.  Daß ich euch sage!

Soest.  Wie ist's, Alter?

Ruysum.  Daß ich euch sage!--Er schießt wie sein Herr, er schießt wie
Egmont.

Buyck.  Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker.  Mit der Buchse trifft
er erst, wie keiner in der Welt.  Nicht etwa wenn er Gluck oder gute
Laune hat; nein!  wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen.  Gelernt
habe ich von ihm.  Das ware auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts
von ihm lernte!--Nicht zu vergessen, meine Herren!  Ein Konig nahrt seine
Leute; und so, auf des Konigs Rechnung, Wein her!

Jetter.  Es ist unter uns ausgemacht, daß jeder--

Buyck.  Ich bin fremd und Konig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.

Jetter.  Du bist ja arger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mussen.

Ruysum.  Was?

Soest (laut).  Er will uns gastieren; er will nicht haben, daß wir
zusammenlegen und der Konig nur das Doppelte zahlt.

Ruysum.  Laßt ihn!  doch ohne Prajudiz!  Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.  (Sie bringen
Wein.)

Alle.  Ihro Majestat Wohl!  Hoch!

Jetter (zu Buyck).  Versteht sich, Eure Majestat.

Buyck.  Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.

Soest.  Wohl!  Denn unserer spanischen Majestat Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlander von Herzen.

Ruysum.  Wer?

Soest (laut).  Philipps des Zweiten, Konigs in Spanien.

Ruysum.  Unser allergnadigster Konig und Herr!  Gott geb' ihm langes
Leben.

Soest.  Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Funften, nicht lieber?

Ruysum.  Gott trost' ihn!  Das war ein Herr!  Er hatte die Hand uber dem
ganzen Erdboden, und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete,
so grußt' er euch, wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken
wart, wußt' er mit so guter Manier--Ja, versteht mich--Er ging aus, ritt
aus, wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten.  Haben wir doch alle geweint,
wie er seinem Sohn das Regiment hier abtrat--sagt' ich, versteht
mich--der ist schon anders, der ist majestatischer.

Jetter.  Er ließ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
koniglichem Staate.  Er spricht wenig, sagen die Leute.

Soest.  Es ist kein Herr fur uns Niederlander.  Unsre Fursten mussen froh
und frei sein wie wir, leben und leben lassen.  Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.

Jetter.  Der Konig, denk' ich, ware wohl ein gnadiger Herr, wenn er nur
bessere Ratgeber hatte.

Soest.  Nein, nein!  Er hat kein Gemut gegen uns Niederlander, sein Herz
ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie konnen wir ihn
wieder lieben?  Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold?  Warum
trugen wir ihn alle auf den Handen?  Weil man ihm ansieht, daß er uns
wohl will; weil ihm die Frohlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung
aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Durftigen nicht
mitteilte, auch dem, der's nicht bedarf.  Laßt den Grafen Egmont leben!
Buyck, an Euch ist's, die erste Gesundheit zu bringen!  Bringt Eures
Herrn Gesundheit aus.

Buyck.  Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!

Ruysum.  Uberwinder bei St. Quintin!

Buyck.  Dem Helden von Gravelingen!

Alle.  Hoch!

Ruysum.  St. Quintin war meine letzte Schlacht.  Ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Buchse mehr schleppen.  Hab' ich doch den
Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum
Abschied noch einen Streifschuß ans rechte Bein.

Buyck.  Gravelingen!  Freunde!  da ging's frisch!  Den Sieg haben wir
allein.  Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz
Flandern?  Aber ich mein', wir trafen sie!  Ihre alten handfesten Kerle
hielten lange wider, und wir drangten und schossen und hieben, daß sie
die Mauler verzerrten und ihre Linien zuckten.  Da ward Egmont das Pferd
unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinuber heruber,
Mann fur Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten
flachen Sand an der See hin.  Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter,
von der Mundung des Flusses, bav!  bau!  immer mit Kanonen in die
Franzosen drein.  Es waren Englander, die unter dem Admiral Malin von
ungefahr von Dunkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht;
sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah
genug; schossen auch wohl unter uns--Es that doch gut!  Es brach die
Welschen und hob unsern Mut.  Da ging's!  Rick!  rack!  heruber, hinuber!
Alles tot geschlagen, alles ins Wasser gesprengt.  Und die Kerle
ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Hollander waren,
gerad hinten drein.  Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im
Wasser, wie den Froschen; und immer die Feinde im Fluß zusammengehauen,
weggeschossen wie die Enten.  Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf
der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.  Mußte doch die
welsche Majestat gleich das Pfotchen reichen und Friede machen.  Und den
Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig.

Alle.  Hoch!  dem großen Egmont hoch!  und abermal hoch!  und abermal
hoch!

Jetter.  Hatte man uns den statt der Margarete von Parma zum Regenten
gesetzt!

Soest.  Nicht so!  Wahr bleibt wahr!  Ich lasse mir Margareten nicht
schelten.  Nun ist's an mir.  Es lebe unsre gnad'ge Frau!

Alle.  Sie lebe!

Soest.  Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause.  Die Regentin lebe!

Jetter.  Klug ist sie, und maßig in allem, was sie thut; hielte sie's nur
nicht so steif und fest mit den Pfaffen.  Sie ist doch auch mit schuld,
daß wir die vierzehn neuen Bischofsmutzen im Lande haben.  Wozu die nur
sollen?  Nicht wahr, daß man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst Abte aus den Kapiteln gewahlt wurden?  Und wir sollen glauben,
es sei um der Religion willen.  Ja, es hat sich.  An drei Bischofen
hatten wir genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu.  Nun muß doch auch
jeder thun, als ob er notig ware; und da setzt's allen Augenblick Verdruß
und Handel.  Und je mehr ihr das Ding ruttelt und schuttelt, desto truber
wird's.  (Sie trinken.)

Soest.  Das war nun des Konigs Wille; sie kann nichts davon, noch dazu
thun.

Jetter.  Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen.  Sie sind
wahrlich gar schon in Reimen gesetzt, und haben recht erbauliche Weisen.
Die sollen wir nicht singen; aber Schelmenlieder, soviel wir wollen.  Und
warum?  Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß.  Ich
hab' ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab' nichts
drin gesehen.

Buyck.  Ich wollte sie fragen!  In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen.  Das macht, daß Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach
so etwas nicht.--In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer
Belieben hat.  (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger, als ein
geistlich Lied?  Nicht wahr, Vater?

Ruysum.  Ei wohl!  Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.

Jetter.  Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefahrlich ist's doch immer, da laßt man's lieber sein.  Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglucklich geworden!  Der Gewissenszwang fehlte noch!  Da ich
nicht thun darf, was ich mochte, konnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.

Soest.  Die Inquisition kommt nicht auf.  Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen.  Und der Adel muß auch
beizeiten suchen, ihr die Flugel zu beschneiden.

Jetter.  Es ist sehr fatal.  Wenn's den lieben Leuten einfallt, in mein
Haus zu sturmen, und ich sitz' an meiner Arbeit und summe just einen
franzosischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Boses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist; gleich bin ich ein Ketzer
und werde eingesteckt.  Oder ich gehe uber Land, und bleibe bei einem
Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhort, einem von denen,
die aus Deutschland gekommen sind; auf der Stelle heiß' ich ein Rebell
und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren.  Habt ihr je einen
predigen horen?

Soest.  Wackre Leute.  Neulich hort' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen.  Das war ein ander Gekoch, als wenn unsre
auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken
erwurgen.  Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hatten
bei der Nase herumgefuhrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr
Erleuchtung haben konnten.--Und das bewies er euch alles aus der Bibel.

Jetter.  Da mag doch auch was dran sein.  Ich sagt's immer selbst, und
grubelte so uber die Sache nach.  Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.

Buyck.  Es lauft ihnen auch alles Volk nach.

Soest.  Das glaub' ich, wo man was Gutes horen kann und was Neues.

Jetter.  Und was ist's denn nun?  Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.

Buyck.  Frisch, ihr Herren!  Uber dem Schwatzen vergeßt ihr den Wein und
Oranien.

Jetter.  Den nicht zu vergessen!  Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man konne sich hinter ihn verstecken, und
der Teufel brachte einen nicht hervor.  Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!

Alle.  Hoch!  hoch!

Soest.  Nun, Alter, bring' auch deine Gesundheit.

Ruysum.  Alte Soldaten!  Alle Soldaten!  Es lebe der Krieg!

Buyck.  Bravo, Alter!  Alle Soldaten!  Es lebe der Krieg!

Jetter.  Krieg!  Krieg!  Wißt ihr auch, was ihr ruft?  Daß es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl naturlich; wie lumpig aber unser einem dabei zu
Mute ist, kann ich nicht sagen.  Das ganze Jahr das Getrommel zu horen,
und nichts zu horen, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein
andrer, wie sie uber einen Hugel kamen und bei einer Muhle hielten,
wieviel da geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drangen, und
einer gewinnt, der andere verliert, ohne daß man sein Tage begreift, wer
was gewinnt oder verliert.  Wie eine Stadt eingenommen wird, die Burger
ermordet werden, und wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern
ergeht.  Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: "Da
kommen sie!  Es geht uns auch so."

Soest.  Drum muß auch ein Burger immer in Waffen geubt sein.

Jetter.  Ja, es ubt sich, wer Frau und Kinder hat.  Und doch hor' ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.

Buyck.  Das sollt' ich ubel nehmen.

Jetter.  Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann.  Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.

Soest.  Gelt!  die lagen dir am schwersten auf?

Jetter.  Vexier Er sich.

Soest.  Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.

Jetter.  Halt dein Maul.

Soest.  Sie hatten ihn vertrieben aus der Kuche, dem Keller, der
Stube--dem Bette.  (Sie lachen.)

Jetter.  Du bist ein Tropf.

Buyck.  Friede, ihr Herren!  Muß der Soldat Friede rufen?--Nun, da ihr
von uns nichts horen wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
burgerliche Gesundheit.

Jetter.  Dazu sind wir bereit!  Sicherheit und Ruhe!

Soest.  Ordnung und Freiheit!

Buyck.  Brav!  das sind auch wir zufrieden.

(Sie stoßen an und wiederholen frohlich die Worte, doch so, daß jeder ein
anders ausruft, und es eine Art Kanon wird.  Der Alte horcht und fallt
endlich auch mit ein.)

Alle.  Sicherheit und Ruhe!  Ordnung und Freiheit!


Palast der Regentin.

Margarete von Parma in Jagdkleidern.  Hofleute.  Pagen.  Bediente.

Regentin.  Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut' nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.  (Alle gehen ab.) Der Gedanke an
diese schrecklichen Begebenheiten laßt mir keine Ruhe!  Nichts kann mich
ergotzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen
vor mir.  Nun wird der Konig sagen, dies sei'n die Folgen meiner Gute,
meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das
Ratlichste, das Beste gethan zu haben.  Sollte ich fruher mit dem Sturme
des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben?  Ich hoffte sie zu
umstellen, sie in sich selbst zu verschutten.  Ja, was ich mir selbst
sage, was ich wohl weiß, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird
es mein Bruder aufnehmen?  Denn, ist es zu leugnen?  Der Ubermut der
fremden Lehrer hat sich taglich erhoht; sie haben unser Heiligtum
gelastert, die stumpfen Sinne des Pobels zerruttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt.  Unreine Geister haben sich unter die Aufruhrer
gemischt, und schreckliche Thaten sind geschehen, die zu denken
schauderhaft ist und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe,
schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit
der Konig nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen.  Ich sehe kein
Mittel, weder strenges noch gelindes, dem Ubel zu steuern. O was sind wir
Großen auf der Woge der Menschheit?  Wir glauben sie zu beherrschen, und
sie treibt uns auf und nieder, hin und her.

(Machiavell tritt auf.)

Regentin.  Sind die Briefe an den Konig aufgesetzt?

Machiavell.  In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben konnen.

Regentin.  Habt Ihr den Bericht ausfuhrlich genug gemacht?

Machiavell.  Ausfuhrlich und umstandlich, wie es der Konig liebt.  Ich
erzahle, wie zuerst um St. Omer die bildersturmerische Wut sich zeigt.
Wie eine rasende Menge, mit Staben, Beilen, Hammern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Kloster anfallen, die Andachtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altare niederreißen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemalde verderben, alles, was sie nur
Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreißen, zertreten.
Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die
Thore eroffnen.  Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwusten,
die Bibliothek des Bischofs verbrennen.  Wie eine große Menge Volks, von
gleichem Unsinn ergriffen, sich uber Menin, Comines, Verwich, Lille
verbreitet, nirgend Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern
in einem Augenblicke die ungeheure Verschworung sich erklart und
ausgefuhrt ist.

Regentin.  Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung!  Und die Furcht gesellt sich dazu, das Ubel werde nur
großer und großer werden.  Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!

Machiavell.  Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
ahnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mogen.  Ihr sagtet oft im Scherze: "Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein.  Wer
handelt, muß furs Nachste sorgen."  Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht voraus erzahlt?  Hab' ich nicht alles voraus gesehen?

Regentin.  Ich sehe auch viel voraus, ohne es andern zu konnen.

Machiavell.  Ein Wort fur tausend: Ihr unterdruckt die neue Lehre nicht!
Laßt sie gelten, sondert sie von den Rechtglaubigen, gebt ihnen Kirchen,
faßt sie in die burgerliche Ordnung, schrankt sie ein; und so habt Ihr
die Aufruhrer auf einmal zur Ruhe gebracht.  Jede andern Mittel sind
vergeblich, und Ihr verheert das Land.

Regentin.  Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden konne?  Weißt du nicht, wie
er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt?  daß er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Halt er nicht selbst in den Provinzen Spione,
die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinuberneigt?  Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nahe heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Scharfe?  Und ich soll gelind sein?  Ich
soll Vorschlage thun, daß er nachsehe, daß er dulde?  Wurde ich nicht
alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?

Machiavell.  Ich weiß wohl; der Konig befiehlt, er laßt Euch seine
Absichten wissen.  Ihr sollt Ruhe und Friede wieder herstellen durch ein
Mittel, das die Gemuter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich
an allen Enden anblasen wird.  Bedenkt, was Ihr thut!  Die großten
Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten.  Was hilft
es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles andert?  Mochte
doch ein guter Geist Philippen eingeben, daß es einem Konige anstandiger
ist, Burger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander
aufzureiben.

Regentin.  Solch ein Wort nie wieder!  Ich weiß wohl, daß Politik selten
Treu' und Glauben halten kann, daß sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt.  In weltlichen Geschaften
ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen, wie
unter einander?  Sollen wir gleichgultig gegen unsere bewahrte Lehre sein,
fur die so viele ihr Leben aufgeopfert haben?  Die sollten wir hingeben
an hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?

Machiavell.  Denkt nur deswegen nicht ubler von mir.

Regentin.  Ich kenne dich und deine Treue, und weiß, daß einer ein
ehrlicher und verstandiger Mann sein kann, wenn er gleich den nachsten,
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat.  Es sind noch andere,
Machiavell, Manner, die ich schatzen und tadeln muß.

Machiavell.  Wen bezeichnet Ihr mir?

Regentin.  Ich kann es gestehen, daß mir Egmont heute einen recht
innerlichen, tiefen Verdruß erregte.

Machiavell.  Durch welches Betragen?

Regentin.  Durch sein gewohnliches, durch Gleichgultigkeit und Leichtsinn.
Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und
ihm begleitet, aus der Kirche ging.  Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete: "Seht,
was in Eurer Provinz entsteht!  Das duldet Ihr, Graf, von dem der Konig
sich alles versprach?"

Machiavell.  Und was antwortete er?

Regentin.  Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache ware,
versetzte er: Waren nur erst die Niederlander uber ihre Verfassung
beruhigt!  Das ubrige wurde sich leicht geben.

Machiavell.  Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen.  Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlander sieht, daß es
mehr um seine Besitztumer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu thun
ist?  Haben die neuen Bischofe mehr Seelen gerettet als fette Pfrunden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde?  Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlandern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daß sie die großte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden?  Will ein Volk nicht lieber nach seiner
Art von den Seinigen regieret werden, als von Fremden, die erst im Lande
sich wieder Besitztumer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen
fremden Maßstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung
herrschen?

Regentin.  Du stellst dich auf die Seite der Gegner.

Machiavell.  Mit dem Herzen gewiß nicht; und wollte, ich konnte mit dem
Verstande ganz auf der unsrigen sein.

Regentin.  Wenn du so willst, so that' es not, ich trate ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich große Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen.  Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen
mich verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.

Machiavell.  Ein gefahrliches Paar.

Regentin.  Soll ich aufrichtig reden, ich furchte Oranien, und ich
furchte fur Egmont.  Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen
in die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie,
und in tiefster Ehrfurcht, mit großter Vorsicht thut er, was ihm beliebt.

Machiavell.  Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehorte.

Regentin.  Er tragt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestat
nicht uber ihm schwebte.

Machiavell.  Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hangen an ihm.

Regentin.  Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hatte.  Noch tragt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu horen; als wollte er nicht vergessen,
daß seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren.  Warum nennt er sich
nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt?  Warum thut er das?  Will er
erloschne Rechte wieder geltend machen?

Machiavell.  Ich halte ihn fur einen treuen Diener des Konigs.

Regentin.  Wenn er wollte, wie verdient konnte er sich um die Regierung
machen, anstatt daß er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsaglichen
Verdruß gemacht hat.  Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben
den Adel mehr verbunden und verknupft als die gefahrlichsten heimlichen
Zusammenkunfte.  Mit seinen Gesundheiten haben die Gaste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschopft.  Wie oft setzt
er durch seine Scherzreden die Gemuter des Volks in Bewegung, und wie
stutzte der Pobel uber die neuen Livreen, uber die thorichten Abzeichen
der Bedienten!

Machiavell.  Ich bin uberzeugt, es war ohne Absicht.

Regentin.  Schlimm genug.  Wie ich sage: er schadet uns und nutzt sich
nicht.  Er nimmt das Ernstliche scherzhaft, und wir, um nicht mußig und
nachlassig zu scheinen, mussen das Scherzhafte ernstlich nehmen.  So
hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst
recht.  Er ist gefahrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschworung;
und ich mußte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt.
Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daß er mich nicht
empfindlich, sehr empfindlich macht.

Machiavell.  Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.

Regentin.  Sein Gewissen hat einen gefalligen Spiegel.  Sein Betragen ist
oft beleidigend.  Er sieht oft aus, als wenn er in der volligen
Uberzeugung lebe, er sei Herr, und wolle es uns nur aus Gefalligkeit
nicht fuhlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es
werde sich schon geben.

Machiavell.  Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein gluckliches Blut,
das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefahrlich aus. Ihr schadet
nur ihm und Euch.

Regentin.  Ich lege nichts aus; ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn.  Sein niederlandischer Adel und sein golden
Vließ vor der Brust starken sein Vertrauen, seine Kuhnheit.  Beides kann
ihn vor einem schnellen, willkurlichen Unmut des Konigs schutzen.
Untersuch' es genau; an dem ganzen Ungluck, das Flandern trifft, ist er
doch nur allein schuld.  Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn,
hat's so genau nicht genommen, und vielleicht sich heimlich gefreut, daß
wir etwas zu schaffen hatten.  Laß mich nur!  Was ich auf dem Herzen habe,
soll bei dieser Gelegenheit davon.  Und ich will die Pfeile nicht
umsonst verschießen; ich weiß, wo er empfindlich ist.  Er ist auch
empfindlich.

Machiavell.  Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen?  Kommt Oranien
auch?

Regentin.  Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt.  Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwalzen; sie sollen sich mit mir dem
Ubel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklaren.  Eile,
daß die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift.  Dann
sende schnell den bewahrten Vaska nach Madrid; er ist unermudet und treu;
daß mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daß der Ruf ihn
nicht ubereile.  Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.

Machiavell.  Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.


Burgerhaus.

Klare.  Klarens Mutter.  Brackenburg.

Klare.  Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?

Brackenburg.  Ich bitt' Euch, verschont mich, Klarchen.

Klare.  Was habt Ihr wieder?  Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?

Brackenburg.  Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann
Euern Augen nicht ausweichen.

Klare.  Grillen!  kommt und haltet!

Mutter (im Sessel strickend).  Singt doch eins!  Brackenburg sekundiert
so hubsch.  Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.

Brackenburg.  Sonst.

Klare.  Wir wollen singen.

Brackenburg.  Was Ihr wollt.

Klare.  Nur hubsch munter und frisch weg!  Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstuck.

(Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)

Die Trommel geruhret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fuhret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hatt' ich ein Wamslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Thor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' uberall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schießen darein!
Welch Gluck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!


(Brackenburg hat unter dem Singen Klarchen oft angesehen; zuletzt bleibt
ihm die Stimme stocken, die Thranen kommen ihm in die Augen, er laßt den
Strang fallen und geht ans Fenster.  Klarchen singt das Lied allein aus,
die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte
nach ihm hin, kehrt halb unschlussig wieder um und setzt sich.)

Mutter.  Was giebt's auf der Gasse, Brackenburg?  Ich hore marschieren.

Brackenburg.  Es ist die Leibwache der Regentin.

Klare.  Um diese Stunde?  Was soll das bedeuten?  (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tagliche Wache, das
sind weit mehr!  Fast alle ihre Haufen.  O Brackenburg, geht! hort einmal,
was es giebt?  Es muß etwas Besonderes sein.  Geht, guter Brackenburg,
thut mir den Gefallen.

Brackenburg.  Ich gehe!  Ich bin gleich wieder da!  (Er reicht ihr
abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)

Mutter.  Du schickst ihn schon wieder weg.

Klare.  Ich bin neugierig.  Und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart thut mir weh.  Ich weiß immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll.  Ich habe Unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen,
daß er es so lebendig fuhlt.--Kann ich's doch nicht andern!

Mutter.  Es ist ein so treuer Bursche.

Klare.  Ich kann's auch nicht lassen, ich muß ihm freundlich begegnen.
Meine Hand druckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise,
so liebevoll anfaßt.  Ich mache mir Vorwurfe, daß ich ihn betruge, daß
ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nahre.  Ich bin ubel dran.
Weiß Gott, ich betrug' ihn nicht.  Ich will nicht, daß er hoffen soll,
und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.

Mutter.  Das ist nicht gut.

Klare.  Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele.  Ich
hatte ihn heiraten konnen, und glaube, ich war nie in ihn verliebt.

Mutter.  Glucklich warst du immer mit ihm gewesen.

Klare.  Ware versorgt und hatte ein ruhiges Leben.

Mutter.  Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.

Klare.  Ich bin in einer wunderlichen Lage.  Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiß ich's wohl und weiß es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja, ware mir
weit mehr begreiflich.  Ach, was ist's ein Mann!  Alle Provinzen beten
ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glucklichste Geschopf von
der Welt sein?

Mutter.  Wie wird's in der Zukunft werden?

Klare.  Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?

Mutter.  Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird?  Immer Sorge und Kummer!  Es geht nicht gut aus!  Du hast
dich unglucklich gemacht!  mich unglucklich gemacht.

Klare (gelassen).  Ihr ließet es doch im Anfange.

Mutter.  Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.

Klare.  Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da?  Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster?  Wenn er heraufsah,
lachelte, nickte, mich grußte, war es Euch zuwider?  Fandet Ihr Euch
nicht selbst in Eurer Tochter geehrt?

Mutter.  Mache mir noch Vorwurfe.

Klare (geruhrt).  Wenn er nun ofter die Straße kam und wir wohl fuhlten,
daß er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit
heimlicher Freude?  Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand
und ihn erwartete?

Mutter.  Dachte ich, daß es so weit kommen sollte?

Klare (mit stockender Stimme und zuruckgehaltenen Thranen).  Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehullt, bei der Lampe uberraschte, wer war
geschaftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?

Mutter.  Und konnte ich furchten, daß diese ungluckliche Liebe das kluge
Klarchen so bald hinreißen wurde?  Ich muß es nun tragen, daß meine
Tochter--

Klare (mit ausbrechenden Thranen).  Mutter!  Ihr wollt's nun!  Ihr habt
Eure Freude, mich zu angstigen.

Mutter (weinend).  Weine noch gar!  mache mich noch elender durch deine
Betrubnis!  Ist mir's nicht Kummer genug, daß meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschopf ist?

Klare (aufstehend und kalt).  Verworfen?  Egmonts Geliebte verworfen?--
Welche Furstin neidete nicht das arme Klarchen um den Platz an seinem
Herzen!  O Mutter--meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht.  Liebe
Mutter, seid gut!  Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die
murmeln--Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts
Liebe drin wohnt.

Mutter.  Man muß ihm hold sein!  das ist wahr.  Er ist immer so
freundlich, frei und offen.

Klare.  Es ist keine falsche Ader an ihm.  Seht, Mutter, und er ist doch
der große Egmont.  Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut!
wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbarge!  wie er um mich
besorgt ist!  so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.

Mutter.  Kommt er wohl heute?

Klare.  Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn?  Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Thur rauscht? Ob ich schon weiß,
daß er vor Nacht nicht kommt, vermut' ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. War' ich nur ein Bube und konnte immer mit
ihm gehen, zu Hufe und uberall hin!  Konnt' ihm die Fahne nachtragen in
der Schlacht!--

Mutter.  Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon,
bald toll, bald nachdenklich.  Ziehst du dich nicht
ein wenig besser an?

Klare.  Vielleicht, Mutter!  wenn ich Langeweile habe.--Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn.
Wenigstens war sein Name in den Liedern; das ubrige konnt' ich nicht
verstehn.  Das Herz schlug mir bis an den Hals.--Ich hatte sie gern
zuruckgerufen, wenn ich mich nicht geschamt hatte.

Mutter, Nimm dich in acht!  Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verratst dich offenbar vor den Leuten.  Wie neulich bei dem Vetter, wie
du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei
riefst: Graf Egmont!--Ich ward feuerrot.

Klare.  Hatt' ich nicht schreien sollen?  Es war die Schlacht bei
Gravelingen; und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C.  und suche
unten in der Beschreibung C.  Steht da: "Graf Egmont, dem das Pferd unter
dem Leibe totgeschossen wird."  Mich uberlief's--und hernach mußt ich
lachen uber den holzgeschnitzten Egmont, der so groß war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite.--Wenn
ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt,
und was ich mir als Madchen fur ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn
sie von ihm erzahlten, und von allen Grafen und Fursten--und wie mir's
jetzt ist!

(Brackenburg kommt.)

Klare.  Wie stehts?

Brackenburg.  Man weiß nichts Gewisses.  In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mochte sich hieher
verbreiten.  Das Schloß ist stark besetzt, die Burger sind zahlreich an
den Thoren, das Volk summt in den Gassen.--Ich will nur schnell zu meinem
alten Vater.  (Als wollt' er gehen.)

Klare.  Sieht man Euch morgen?  Ich will mich ein wenig anziehen.  Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus.  Helft mir einen
Augenblick, Mutter.--Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir
wieder so eine Historie.

Mutter.  Lebt wohl!

Brackenburg (seine Hand reichend).  Eure Hand!

Klare (ihre Hand versagend).  Wenn Ihr wiederkommt.

(Mutter und Tochter ab.)

Brackenburg (allein).  Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn, und da sie es dafur aufnimmt und mich gehen laßt, mocht' ich
rasend werden.--Unglucklicher!  und dich ruhrt deines Vaterlandes
Geschick nicht?  der wachsende Tumult nicht?--und gleich ist dir
Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer Recht hat?--War ich doch
ein andrer Junge als Schulknabe!--Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war:
"Brutus' Rede fur die Freiheit, zur Ubung der Redekunst"; da war doch
immer Fritz der erste, und der Rektor sagte: wenn's nur ordentlicher ware,
nur nicht alles so uber einander gestolpert.--Damals kocht' es und trieb!
--Jetzt schlepp' ich mich an den Augen des Madchens so hin.  Kann ich sie
doch nicht lassen!  Kann sie mich doch nicht lieben!--Ach--Nein--Sie--Sie
kann mich nicht ganz verworfen haben.--Nicht ganz--und halb und nichts!
--Ich duld' es nicht langer!--Sollte es wahr sein, was mir ein Freund
neulich ins Ohr sagte?  daß sie nachts einen Mann heimlich zu sich
einlaßt, da sie mich zuchtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein,
es ist nicht wahr, es ist eine Luge, eine schandliche verleumderische
Luge!  Klarchen ist so unschuldig, als ich unglucklich bin.--Sie hat
mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoßen--Und ich soll so
fortleben?  Ich duld', ich duld' es nicht.--Schon wird mein Vaterland von
innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getummel nur ab!
Ich duld' es nicht!--Wenn die Trompete klingt, ein Schuß fallt, mir
fahrt's durch Mark und Bein!  Ach, es reizt mich nicht, es fordert mich
nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen.--Elender,
schimpflicher Zustand!  Es ist besser, ich end' auf einmal.  Neulich
sturzt' ich mich ins Wasser, ich sank--aber die geangstete Natur war
starker; ich fuhlte, daß ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Willen.--Konnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien!--Warum hat mir's Mark und Bein durchdrungen, das Gluck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuß des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten?--Und jener erste Kuß!  Jener
einzige!--Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir
allein--sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen--da schien
sie sich zu erweichen--sie sah mich an--alle Sinnen gingen mir um, und
ich fuhlte ihre Lippen auf den meinigen.--Und--und nun?--Stirb, Armer!
Was zauderst du?  (Er zieht ein Flaschchen aus der Tasche.) Ich will dich
nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkastchen gestohlen haben, heilsames Gift!  Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiße auf einmal verschlingen und losen.

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