2014년 12월 29일 월요일

Dantons Tod 3

Dantons Tod 3

Dritte Szene

Ein Zimmer

Danton. Camille. Lucile.

Camille.
Ich sage euch, wenn sie nicht alles in holzernen Kopien bekommen,
verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie
weder Augen noch Ohren dafur. Schnitzt einer eine Marionette, wo man
den Strick hereinhangen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren
Gelenke bei jedem Schritt in funffußigen Jamben krachen - welch ein
Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefuhlchen, eine
Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm
Hande und Fuße, farbt ihm das Gesicht und laßt das Ding sich drei Akte
hindurch herumqualen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich
totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben
und Senken im menschlichen Gemut wiedergibt wie eine Tonpfeife mit
Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst!

Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbarmliche
Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott uber seinen schlechten
Kopisten. Von der Schopfung, die gluhend, brausend und leuchtend, um
und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, horen und sehen sie
nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden
den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschopfen:
wie gewohnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie
erzahlten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber
keine Kinder bekommen.

Danton.
Und die Kunstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die
Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden,
kaltblutig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des
Lebens in diesen Bosewichtern. (Danton wird hinausgerufen.)

Camille.
Was sagst du, Lucile?

Lucile.
Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

Camille.
Horst mich auch?

Lucile.
Ei freilich!

Camille.
Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

Lucile.
Nein, wahrhaftig nicht.

(Danton kommt zuruck.)

Camille.
Was hast du?

Danton.
Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich
gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten.

Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien
uberdrussig. Mogen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut
zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.

Camille.
Danton, noch ist's Zeit!

Danton.
Unmoglich - aber ich hatte nicht gedacht...

Camille.
Deine Tragheit!

Danton.
Ich bin nicht trag, aber mude; meine Sohlen brennen mich.

Camille.
Wo gehst du hin?

Danton.
Ja, wer das wußte!

Camille.
Im Ernst, wohin?

Danton.
Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)

Lucile.
Ach, Camille!

Camille.
Sei ruhig, lieb Kind!

Lucile.
Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn,
gelt, ich bin wahnsinnig?

Camille.
Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.

Lucile.
Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade
das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das ware arg. Was wollten sie auch
damit anfangen?

Camille.
Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit
Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist
wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!

Lucile.
Such ihn auf!

Camille.
Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich
allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer
große Anhanglichkeit gezeigt. Ich gehe.

Lucile.
So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie kußt ihn) und das!
Geh! Geh! (Camille ab.)

Das ist eine bose Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da druber hinaus?
Man muß sich fassen. (Singt:)

        Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
        Wer hat sich das Scheiden erdacht?

Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so
von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als konnte er nicht
mehr umkehren und musse immer weiter weg von mir, immer weiter.

Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hatte ein
Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)



Vierte Szene

Freies Feld

Danton.
Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder
meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Larm machen. (Er
setzt sich nieder; nach einer Pause:)

Man hat mir von einer Krankheit erzahlt, die einem das Gedachtnis
verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir
manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kraftiger wirke und
einem alles verlieren mache. Wenn das ware! - Dann lief ich wie ein
Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedachtnis, zu retten.

Der Ort soll sicher sein, ja fur mein Gedachtnis, aber nicht fur mich;
mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens
Vergessen. Es totet mein Gedachtnis. Dort aber lebt mein Gedachtnis
und totet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich
und kehrt um.)

Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit
dem Lorgnon mit ihm zu liebaugeln.

Eigentlich muß ich uber die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefuhl
des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und
ubermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Larm,
man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)



Funfte Szene

Ein Zimmer

Es ist Nacht.

Danton (am Fenster).
Will denn das nie aufhoren? Wird das Licht nie ausgluhn und der Schall
nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns
die garstigen Sunden einander nicht mehr anhoren und ansehen? -
September! -

Julie (ruft von innen).
Danton! Danton!

Danton.
He?

Julie (tritt ein).
Was rufst du?

Danton.
Rief ich?

Julie.
Du sprachst von garstigen Sunden, und dann stohntest du: September!

Danton.
Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur
ganz leise, heimliche Gedanken.

Julie.
Du zitterst, Danton!

Danton.
Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wande plaudern? Wenn mein Leib
so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen
der Steine reden? Das ist seltsam.

Julie.
Georg, mein Georg!

Danton.
Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich mochte nicht mehr denken, wenn
das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, fur die es keine Ohren
geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich
schreien wie Kinder; das ist nicht gut.

Julie.
Gott erhalte dir deine Sinne! - Georg, Georg, erkennst du mich?

Danton.
Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich
meine Frau, und die Erde hat funf Weltteile, Europa, Asien, Afrika,
Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen,
siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?

Julie.
Ja, Danton, durch alle Zimmer hort ich's.

Danton.
Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle
Lichter aus...

Julie.
Ein Kind schreit in der Nahe.

Danton.
Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es:
September!

Julie.
Du traumtest, Danton. Faß dich!

Danton.
Traumtest? Ja, ich traumte; doch das war anders, ich will dir es
gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab
ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie
wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wuhlt' ich in ihren
Mahnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwarts gewandt, die
Haare flatternd uber dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie
ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da
hort' ich's, Julie.

Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu
schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hande? Ich hab es nicht
geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im
September, Julie?

Julie.
Die Konige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...

Danton.
Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...

Julie.
Die Republik war verloren.

Danton.
Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rucken lassen, wir waren
Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der
Starkere stoßt den Schwacheren hinunter - ist das nicht
billig?

Julie.
Ja, ja.

Danton.
Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen.

Julie.
Du hast das Vaterland gerettet.

Danton.
Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat
sich's bequem gemacht: es muß ja Argernis kommen, doch wehe dem, durch
welchen Argernis kommt! - Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand
fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß
gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lugt, hurt, stiehlt und
mordet?

Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts,
nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kampfen - man
sieht nur die Hande nicht, wie im Marchen. - Jetzt bin ich ruhig.

Julie.
Ganz ruhig, lieb Herz?

Danton.
Ja, Julie; komm, zu Bette!



Sechste Szene

Straße vor Dantons Haus

Simon. Burgersoldaten.

Simon.
Wie weit ist's in der Nacht?

Erster Burger.
Was in der Nacht?

Simon.
Wie weit ist die Nacht?

Erster Burger.
So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

Simon.
Schuft, wieviel Uhr?

Erster Burger.
Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter
den Bettdecken ausschlagen.

Simon.
Wir mussen hinauf! Fort, Burger! Wir haften mit unseren Kopfen dafur.
Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn,
Burger. Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt fur mein Weib! Eine
Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.

Erster Burger.
Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den
Schoß fallen.

Simon.
Vorwarts, Burger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!

Zweiter Burger.
Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; uber all den
Lochern, die wir in andrer Leute Korper machen, ist noch kein einziges
in unsern Hosen zugegangen.

Erster Burger.
Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Ha, ha, ha!

Die andern.
Ha, ha, ha!

Simon.
Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)



Siebente Szene

Der Nationalkonvent

Eine Gruppe von Deputierten.

Legendre.
Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhoren? - Wer ist
noch sicher, wenn Danton fallt?

Ein Deputierter.
Was tun?

Ein anderer.
Er muß vor den Schranken des Konvents gehort werden. - Der Erfolg
dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme
entgegensetzen?

Ein anderer.
Unmoglich, ein Dekret verhindert uns.

Legendre.
Es muß zuruckgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde
den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstutzung.

Der Prasident.
Die Sitzung ist eroffnet.

Legendre (besteigt die Tribune).
Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet
worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der
ubrigen kenne ich nicht. Mogen sie ubrigens sein, wer sie wollen, so
verlange ich, daß sie vor den Schranken gehort werden.

Burger, ich erklare es: ich halte Danton fur ebenso rein wie mich
selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden
kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des
Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegrundete Ursachen lassen mich
furchten, Privathaß und Privatleidenschaft mochten der Freiheit Manner
entreißen, die ihr die großten Dienste erwiesen haben. Der Mann,
welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient
gehort zu werden; er muß sich erklaren durfen, wenn man ihn des
Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)

Einige Stimmen.
Wir unterstutzen Legendres Vorschlag.

Ein Deputierter.
Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen
unserer Wahler nicht von unseren Platzen reißen.

Ein anderer.
Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem
Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt
uber allen Hauptern.

Ein anderer.
Wir konnen unsern Ausschussen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem
Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken.

Ein anderer.
Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekronte Verbrecher finden eins auf
dem Thron.

Ein anderer.
Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.

Ein anderer.
Nur Morder erkennen es nicht an.

Robespierre.
Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung
beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's,
ob einige Manner den Sieg uber das Vaterland davontragen werden. - Wie
konnt ihr eure Grundsatze weit genug verleugnen, um heute einigen
Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und
Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger
Manner? Was kummern mich die Lobspruche, die man sich selbst und
seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt,
was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene
patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen
politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten
nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist
darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl
weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte
nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knupfe sich ein
Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine
Gotzen! (Beifall.)

Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre,
Chabot, Hebert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von
ihm sagen konnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient
er einen Vorzug vor seinen Mitburgern? Etwa, weil einige betrogene
Individuen und andere, die sich nicht betrugen ließen, sich um ihn
reihten, um in seinem Gefolge dem Gluck und der Macht in die Arme zu
laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in
ihn setzten, desto nachdrucklicher muß er die Strenge der
Freiheitsfreunde empfinden.

Man will euch Furcht einfloßen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die
ihr selbst ausgeubt habt. Man schreit uber den Despotismus der
Ausschusse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und
das ihr diesen Ausschussen ubertragen habt, nicht eine sichre Garantie
ihres Patriotismus ware. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich
sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie
zittert die Unschuld vor der offentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner
Beifall.)

Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die
Gefahr, indem sie sich Danton nahere, auch bis zu mir dringen konne.
Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der
Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an
erheuchelte Tugenden konnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine
Leidenschaft fur die Freiheit zu maßigen. - So erklare ich denn:
nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige
werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengroße notig. Nur
Verbrecher und gemeine Seelen furchten, ihresgleichen an ihrer Seite
fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr
versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es
dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch
heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige
Kopfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.)

Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zuruckgewiesen werde. (Die
Deputierten erheben sich samtlich zum Zeichen allgemeiner
Beistimmung.)

St. Just.
Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben,
die das Wort ≫Blut≪ nicht wohl vertragen konnen. Einige allgemeine
Betrachtungen mogen sie uberzeugen, daß wir nicht grausamer sind als
die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich
ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in
Konflikt kommt. Eine Anderung in den Bestandteilen der Luft, ein
Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht
einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine
Uberschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine
unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veranderung der
physischen Natur, die fast spurlos vorubergegangen sein wurde, wenn
nicht Leichen auf ihrem Wege lagen.

Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr
Rucksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie
ein Gesetz der Physik vernichten durfen, was sich ihr widersetzt? Soll
uberhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen
Natur, das heißt der Menschheit, umandert, nicht durch Blut gehen
durfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphare unserer
Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten
gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der
Revolution sterben?

Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach
Jahrhunderten zahlen; hinter jedem erheben sich die Graber von
Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und
Grundsatzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege
starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der
Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?

Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen
Verhaltnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede
abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder
Vorzuge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner
noch eine geringere oder großere Klasse von Individuen. - Jedes Glied
dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen
getotet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine
Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit notig, um in der
Korperwelt durchgefuhrt zu werden, und unter gewohnlichen Umstanden
hatte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und ware mit Generationen
interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der
Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krummung seine Leichen
ausstoßt?

Wir werden unserm Satze noch einige Schlusse hinzuzufugen haben;
sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses
fuhrte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wuste, bis die alte
verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat
grundete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wuste,
aber wir haben den Krieg und die Guillotine.

Die Revolution ist wie die Tochter des Pelias: sie zerstuckt die
Menschheit, um sie zu verjungen. Die Menschheit wird aus dem
Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sundflut mit urkraftigen
Gliedern sich erheben, als ware sie zum ersten Male geschaffen.
(Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im
Enthusiasmus.)

Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen
Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewandern tragen, fordern
wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhorer
und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)




Dritter Akt

Erste Szene

Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen

Chaumette, Payne, Mercier, Herault-Sechelles und andre Gefangne.

Chaumette (zupft Payne am Armel).
Horen Sie, Payne, es konnte doch so sein, vorhin uberkam es mich so;
ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlussen,
es ist mir ganz unheimlich zumut.

Payne.
So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt
keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht.
Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und
es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund
alles Seins enthalt. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen
haben; denn entweder ist die Schopfung ewig wie Gott, oder sie hat
einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem
bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine
Ewigkeit geruht, einmal tatig geworden sein, muß also einmal eine
Veranderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn
anwenden laßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann
also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich
wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist und
daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in
etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben.
Quod erat demonstrandum.

Chaumette.
Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!

Mercier.
Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schopfung ewig ist?

Payne.
Dann ist sie schon keine Schopfung mehr, dann ist sie eins mit Gott
oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem,
in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das ware so
ubel nicht, aber Sie mussen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel
um die himmlische Majestat ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von
uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder
wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.

Mercier.
Aber eine Ursache muß doch da sein.

Payne.
Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei,
was wir uns als Gott, d. h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die
Welt fur vollkommen?

Mercier.
Nein.

Payne.
Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine
vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott
als mit den Konigen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal
nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen
weiß oder wagt, ist ein Stumper.

Mercier.
Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne
Wirkung haben, d. h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen?
Ist das nicht unmoglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in
sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehort?

Chaumette.
Schweigen Sie! Schweigen Sie!

Payne.
Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal
schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so laßt er es
gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als
schaffend denken zu konnen? Weil wir uns immer regen und schutteln
mussen, um uns nur immer sagen zu konnen: wir sind! mussen wir Gott
auch dies elende Bedurfnis andichten? - Mussen wir, wenn sich unser
Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit
versenkt, gleich annehmen, sie musse die Finger ausstrecken und uber
Tisch Brotmannchen kneten? aus uberschwenglichem Liebesbedurfnis, wie
wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Mussen wir das alles,
bloß um uns zu Gottersohnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern
Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen konnen, daß er
mich unter seinem Stande in Schweinestallen oder auf den Galeeren habe
erziehen lassen.

Schafft das Unvollkommne weg, dann allein konnt ihr Gott
demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Bose leugnen,
aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das
Gefuhl emport sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich?
Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und
rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schopfung von
oben bis unten.

Mercier.
Und die Moral?

Payne.
Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was
wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und fur sich
was Boses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht notig,
meine Handlungsweise zu andern. Ich handle meiner Natur gemaß; was ihr
angemessen, ist fur mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist
fur mich bos und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es
mir in den Weg kommt. Sie konnen, wie man so sagt, tugendhaft bleiben
und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner
verachten zu mussen, was ein gar trauriges Gefuhl ist.

Chaumette.
Wahr, sehr wahr!

Herault.
O Philosoph Anaxagoras, man konnte aber auch sagen: damit Gott alles
sei, musse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und
unvollkommen, bos und gut, selig und leidend; das Resultat freilich
wurde gleich Null sein, es wurde sich gegenseitig heben, wir kamen zum
Nichts. - Freue dich, du kommst glucklich durch: du kannst ganz ruhig
in Madame Momoro das Meisterstuck der Natur anbeten, wenigstens hat
sie dir die Rosenkranze dazu in den Leisten gelassen.

Chaumette.
Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.)

Payne.
Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Olung geben,
die Fuße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen
Weg zu verfehlen.

(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingefuhrt.)

Herault. (lauft auf Danton zu und umarmt ihn).
Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie
hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen?

Danton.
Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn.

Mercier (zu Payne).
Diese Dogge mit Taubenflugeln! Er ist der bose Genius der Revolution;
er wagte sich an seine Mutter, aber sie war starker als er.

Payne.
Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Ungluck.

Lacroix (zu Danton).
Ich dachte nicht, daß sie so schnell kommen wurden.

Danton.
Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt.

Lacroix.
Und du hast nichts gesagt?

Danton.
Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank
sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen wurden. (Zu Herault:)
Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdorner auf ihr
laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.

Herault.
Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hubschen
Dame Verwesung die Wangen streicheln.

Camille (zu Danton).
Gib dir nur keine Muhe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals
heraushangen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der
Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer!

(Die Gefangnen drangen sich um die neu Angekommnen.)

Danton (zu Payne).
Was Sie fur das Wohl Ihres Landes getan, habe ich fur das meinige
versucht. Ich war weniger glucklich, man schickt mich aufs Schafott;
meinetwegen, ich werde nicht stolpern.

Mercier (zu Danton).
Das Blut der Zweiundzwanzig ersauft dich.

Ein Gefangener (zu Herault).
Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.

Ein andrer (zu Camille).
Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der
Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.

Ein andrer.
Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort ≫Erbarmen≪ gesprochen.
(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)

Philippeau.
Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind
angesteckt worden und sterben an der namlichen Seuche.

Einige Stimmen.
Der Streich, der euch trifft, totet uns alle.

Camille.
Meine Herren, ich beklage sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos
waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen uber das Los einiger
Unglucklichen naß geworden.



Zweite Szene

Ein Zimmer

Fouquier-Tinville. Herman.

Fouquier.
Alles bereit?

Herman.
Es wird schwer halten; ware Danton nicht darunter, so ginge es leicht.

Fouquier.
Er muß vortanzen.

Herman.
Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der
Revolution.

Fouquier.
Die Geschwornen mussen wollen.

Herman.
Ein Mittel wußt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.

Fouquier.
Nur zu!

Herman.
Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.

Fouquier.
Das muß gehen. - Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer
neunzehn. Sie sind geschickt zusammengeworfelt. Die vier Falscher,
dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk
braucht dergleichen. - Also zuverlassige Leute! Wer zum Beispiel?

Herman.
Leroi. Er ist taub und hort daher nichts von all dem, was die
Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh
schreien.

Fouquier.
Sehr gut; weiter!

Herman.
Vilatte und Lumiere. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der
andere schlaft immer; beide offnen den Mund nur, um das Wort
≫Schuldig≪ zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es durfe keiner
entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei.
Renaudin...

Fouquier.
Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.

Herman.
Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle
allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein
wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung argere ihn.

Fouquier.
Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich!

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