Dritte Szene
Ein Zimmer
Danton. Camille. Lucile.
Camille. Ich sage euch, wenn sie nicht alles in holzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafur. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhangen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in funffußigen Jamben krachen - welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefuhlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hande und Fuße, farbt ihm das Gesicht und laßt das Ding sich drei Akte hindurch herumqualen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemut wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst!
Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbarmliche Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott uber seinen schlechten Kopisten. Von der Schopfung, die gluhend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, horen und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschopfen: wie gewohnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzahlten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Kunstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblutig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bosewichtern. (Danton wird hinausgerufen.)
Camille. Was sagst du, Lucile?
Lucile. Nichts, ich seh dich so gern sprechen.
Camille. Horst mich auch?
Lucile. Ei freilich!
Camille. Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
Lucile. Nein, wahrhaftig nicht.
(Danton kommt zuruck.)
Camille. Was hast du?
Danton. Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten.
Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien uberdrussig. Mogen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.
Camille. Danton, noch ist's Zeit!
Danton. Unmoglich - aber ich hatte nicht gedacht...
Camille. Deine Tragheit!
Danton. Ich bin nicht trag, aber mude; meine Sohlen brennen mich.
Camille. Wo gehst du hin?
Danton. Ja, wer das wußte!
Camille. Im Ernst, wohin?
Danton. Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)
Lucile. Ach, Camille!
Camille. Sei ruhig, lieb Kind!
Lucile. Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?
Camille. Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.
Lucile. Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das ware arg. Was wollten sie auch damit anfangen?
Camille. Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!
Lucile. Such ihn auf!
Camille. Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhanglichkeit gezeigt. Ich gehe.
Lucile. So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie kußt ihn) und das! Geh! Geh! (Camille ab.)
Das ist eine bose Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da druber hinaus? Man muß sich fassen. (Singt:)
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden, Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als konnte er nicht mehr umkehren und musse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hatte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)
Vierte Szene
Freies Feld
Danton. Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Larm machen. (Er setzt sich nieder; nach einer Pause:)
Man hat mir von einer Krankheit erzahlt, die einem das Gedachtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kraftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das ware! - Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedachtnis, zu retten.
Der Ort soll sicher sein, ja fur mein Gedachtnis, aber nicht fur mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es totet mein Gedachtnis. Dort aber lebt mein Gedachtnis und totet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.)
Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebaugeln.
Eigentlich muß ich uber die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefuhl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und ubermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Larm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)
Funfte Szene
Ein Zimmer
Es ist Nacht.
Danton (am Fenster). Will denn das nie aufhoren? Wird das Licht nie ausgluhn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns die garstigen Sunden einander nicht mehr anhoren und ansehen? - September! -
Julie (ruft von innen). Danton! Danton!
Danton. He?
Julie (tritt ein). Was rufst du?
Danton. Rief ich?
Julie. Du sprachst von garstigen Sunden, und dann stohntest du: September!
Danton. Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.
Julie. Du zitterst, Danton!
Danton. Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wande plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.
Julie. Georg, mein Georg!
Danton. Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich mochte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, fur die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder; das ist nicht gut.
Julie. Gott erhalte dir deine Sinne! - Georg, Georg, erkennst du mich?
Danton. Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat funf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?
Julie. Ja, Danton, durch alle Zimmer hort ich's.
Danton. Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus...
Julie. Ein Kind schreit in der Nahe.
Danton. Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!
Julie. Du traumtest, Danton. Faß dich!
Danton. Traumtest? Ja, ich traumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wuhlt' ich in ihren Mahnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwarts gewandt, die Haare flatternd uber dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da hort' ich's, Julie.
Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hande? Ich hab es nicht geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?
Julie. Die Konige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...
Danton. Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...
Julie. Die Republik war verloren.
Danton. Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rucken lassen, wir waren Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Starkere stoßt den Schwacheren hinunter - ist das nicht billig?
Julie. Ja, ja.
Danton. Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen.
Julie. Du hast das Vaterland gerettet.
Danton. Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Argernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Argernis kommt! - Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lugt, hurt, stiehlt und mordet?
Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kampfen - man sieht nur die Hande nicht, wie im Marchen. - Jetzt bin ich ruhig.
Julie. Ganz ruhig, lieb Herz?
Danton. Ja, Julie; komm, zu Bette!
Sechste Szene
Straße vor Dantons Haus
Simon. Burgersoldaten.
Simon. Wie weit ist's in der Nacht?
Erster Burger. Was in der Nacht?
Simon. Wie weit ist die Nacht?
Erster Burger. So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.
Simon. Schuft, wieviel Uhr?
Erster Burger. Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter den Bettdecken ausschlagen.
Simon. Wir mussen hinauf! Fort, Burger! Wir haften mit unseren Kopfen dafur. Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn, Burger. Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt fur mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.
Erster Burger. Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den Schoß fallen.
Simon. Vorwarts, Burger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!
Zweiter Burger. Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; uber all den Lochern, die wir in andrer Leute Korper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen.
Erster Burger. Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Ha, ha, ha!
Die andern. Ha, ha, ha!
Simon. Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)
Siebente Szene
Der Nationalkonvent
Eine Gruppe von Deputierten.
Legendre. Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhoren? - Wer ist noch sicher, wenn Danton fallt?
Ein Deputierter. Was tun?
Ein anderer. Er muß vor den Schranken des Konvents gehort werden. - Der Erfolg dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme entgegensetzen?
Ein anderer. Unmoglich, ein Dekret verhindert uns.
Legendre. Es muß zuruckgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstutzung.
Der Prasident. Die Sitzung ist eroffnet.
Legendre (besteigt die Tribune). Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der ubrigen kenne ich nicht. Mogen sie ubrigens sein, wer sie wollen, so verlange ich, daß sie vor den Schranken gehort werden.
Burger, ich erklare es: ich halte Danton fur ebenso rein wie mich selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegrundete Ursachen lassen mich furchten, Privathaß und Privatleidenschaft mochten der Freiheit Manner entreißen, die ihr die großten Dienste erwiesen haben. Der Mann, welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient gehort zu werden; er muß sich erklaren durfen, wenn man ihn des Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)
Einige Stimmen. Wir unterstutzen Legendres Vorschlag.
Ein Deputierter. Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen unserer Wahler nicht von unseren Platzen reißen.
Ein anderer. Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt uber allen Hauptern.
Ein anderer. Wir konnen unsern Ausschussen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken.
Ein anderer. Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekronte Verbrecher finden eins auf dem Thron.
Ein anderer. Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.
Ein anderer. Nur Morder erkennen es nicht an.
Robespierre. Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's, ob einige Manner den Sieg uber das Vaterland davontragen werden. - Wie konnt ihr eure Grundsatze weit genug verleugnen, um heute einigen Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger Manner? Was kummern mich die Lobspruche, die man sich selbst und seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knupfe sich ein Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine Gotzen! (Beifall.)
Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre, Chabot, Hebert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von ihm sagen konnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient er einen Vorzug vor seinen Mitburgern? Etwa, weil einige betrogene Individuen und andere, die sich nicht betrugen ließen, sich um ihn reihten, um in seinem Gefolge dem Gluck und der Macht in die Arme zu laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in ihn setzten, desto nachdrucklicher muß er die Strenge der Freiheitsfreunde empfinden.
Man will euch Furcht einfloßen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die ihr selbst ausgeubt habt. Man schreit uber den Despotismus der Ausschusse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und das ihr diesen Ausschussen ubertragen habt, nicht eine sichre Garantie ihres Patriotismus ware. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie zittert die Unschuld vor der offentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner Beifall.)
Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die Gefahr, indem sie sich Danton nahere, auch bis zu mir dringen konne. Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an erheuchelte Tugenden konnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine Leidenschaft fur die Freiheit zu maßigen. - So erklare ich denn: nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengroße notig. Nur Verbrecher und gemeine Seelen furchten, ihresgleichen an ihrer Seite fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige Kopfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.)
Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zuruckgewiesen werde. (Die Deputierten erheben sich samtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)
St. Just. Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort ≫Blut≪ nicht wohl vertragen konnen. Einige allgemeine Betrachtungen mogen sie uberzeugen, daß wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Eine Anderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine Uberschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veranderung der physischen Natur, die fast spurlos vorubergegangen sein wurde, wenn nicht Leichen auf ihrem Wege lagen.
Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rucksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten durfen, was sich ihr widersetzt? Soll uberhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur, das heißt der Menschheit, umandert, nicht durch Blut gehen durfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphare unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben?
Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zahlen; hinter jedem erheben sich die Graber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsatzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?
Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen Verhaltnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder Vorzuge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner noch eine geringere oder großere Klasse von Individuen. - Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getotet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit notig, um in der Korperwelt durchgefuhrt zu werden, und unter gewohnlichen Umstanden hatte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und ware mit Generationen interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krummung seine Leichen ausstoßt?
Wir werden unserm Satze noch einige Schlusse hinzuzufugen haben; sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses fuhrte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wuste, bis die alte verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat grundete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wuste, aber wir haben den Krieg und die Guillotine.
Die Revolution ist wie die Tochter des Pelias: sie zerstuckt die Menschheit, um sie zu verjungen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sundflut mit urkraftigen Gliedern sich erheben, als ware sie zum ersten Male geschaffen. (Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus.)
Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewandern tragen, fordern wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhorer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)
Dritter Akt
Erste Szene
Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen
Chaumette, Payne, Mercier, Herault-Sechelles und andre Gefangne.
Chaumette (zupft Payne am Armel). Horen Sie, Payne, es konnte doch so sein, vorhin uberkam es mich so; ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlussen, es ist mir ganz unheimlich zumut.
Payne. So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund alles Seins enthalt. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen haben; denn entweder ist die Schopfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tatig geworden sein, muß also einmal eine Veranderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn anwenden laßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist und daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.
Chaumette. Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!
Mercier. Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schopfung ewig ist?
Payne. Dann ist sie schon keine Schopfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das ware so ubel nicht, aber Sie mussen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel um die himmlische Majestat ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.
Mercier. Aber eine Ursache muß doch da sein.
Payne. Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d. h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt fur vollkommen?
Mercier. Nein.
Payne. Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott als mit den Konigen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen weiß oder wagt, ist ein Stumper.
Mercier. Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d. h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmoglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehort?
Chaumette. Schweigen Sie! Schweigen Sie!
Payne. Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so laßt er es gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu konnen? Weil wir uns immer regen und schutteln mussen, um uns nur immer sagen zu konnen: wir sind! mussen wir Gott auch dies elende Bedurfnis andichten? - Mussen wir, wenn sich unser Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit versenkt, gleich annehmen, sie musse die Finger ausstrecken und uber Tisch Brotmannchen kneten? aus uberschwenglichem Liebesbedurfnis, wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Mussen wir das alles, bloß um uns zu Gottersohnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen konnen, daß er mich unter seinem Stande in Schweinestallen oder auf den Galeeren habe erziehen lassen.
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein konnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Bose leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefuhl emport sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schopfung von oben bis unten.
Mercier. Und die Moral?
Payne. Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und fur sich was Boses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht notig, meine Handlungsweise zu andern. Ich handle meiner Natur gemaß; was ihr angemessen, ist fur mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist fur mich bos und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt. Sie konnen, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu mussen, was ein gar trauriges Gefuhl ist.
Chaumette. Wahr, sehr wahr!
Herault. O Philosoph Anaxagoras, man konnte aber auch sagen: damit Gott alles sei, musse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und unvollkommen, bos und gut, selig und leidend; das Resultat freilich wurde gleich Null sein, es wurde sich gegenseitig heben, wir kamen zum Nichts. - Freue dich, du kommst glucklich durch: du kannst ganz ruhig in Madame Momoro das Meisterstuck der Natur anbeten, wenigstens hat sie dir die Rosenkranze dazu in den Leisten gelassen.
Chaumette. Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.)
Payne. Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Olung geben, die Fuße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen Weg zu verfehlen.
(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingefuhrt.)
Herault. (lauft auf Danton zu und umarmt ihn). Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen?
Danton. Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn.
Mercier (zu Payne). Diese Dogge mit Taubenflugeln! Er ist der bose Genius der Revolution; er wagte sich an seine Mutter, aber sie war starker als er.
Payne. Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Ungluck.
Lacroix (zu Danton). Ich dachte nicht, daß sie so schnell kommen wurden.
Danton. Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt.
Lacroix. Und du hast nichts gesagt?
Danton. Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen wurden. (Zu Herault:) Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdorner auf ihr laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.
Herault. Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hubschen Dame Verwesung die Wangen streicheln.
Camille (zu Danton). Gib dir nur keine Muhe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals heraushangen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer!
(Die Gefangnen drangen sich um die neu Angekommnen.)
Danton (zu Payne). Was Sie fur das Wohl Ihres Landes getan, habe ich fur das meinige versucht. Ich war weniger glucklich, man schickt mich aufs Schafott; meinetwegen, ich werde nicht stolpern.
Mercier (zu Danton). Das Blut der Zweiundzwanzig ersauft dich.
Ein Gefangener (zu Herault). Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.
Ein andrer (zu Camille). Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.
Ein andrer. Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort ≫Erbarmen≪ gesprochen. (Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)
Philippeau. Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind angesteckt worden und sterben an der namlichen Seuche.
Einige Stimmen. Der Streich, der euch trifft, totet uns alle.
Camille. Meine Herren, ich beklage sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen uber das Los einiger Unglucklichen naß geworden.
Zweite Szene
Ein Zimmer
Fouquier-Tinville. Herman.
Fouquier. Alles bereit?
Herman. Es wird schwer halten; ware Danton nicht darunter, so ginge es leicht.
Fouquier. Er muß vortanzen.
Herman. Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der Revolution.
Fouquier. Die Geschwornen mussen wollen.
Herman. Ein Mittel wußt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.
Fouquier. Nur zu!
Herman. Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.
Fouquier. Das muß gehen. - Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer neunzehn. Sie sind geschickt zusammengeworfelt. Die vier Falscher, dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk braucht dergleichen. - Also zuverlassige Leute! Wer zum Beispiel?
Herman. Leroi. Er ist taub und hort daher nichts von all dem, was die Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh schreien.
Fouquier. Sehr gut; weiter!
Herman. Vilatte und Lumiere. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der andere schlaft immer; beide offnen den Mund nur, um das Wort ≫Schuldig≪ zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es durfe keiner entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei. Renaudin...
Fouquier. Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.
Herman. Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung argere ihn.
Fouquier. Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich! |
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