Lottchen. Horen Sie, Herr Siegmund, was wir fur einen großmutigen Bruder bekommen haben?
Siegmund. Er macht seinem Herrn Vormunde und uns die großte Ehre.
Simon. Ja, ich bin in der Tat stolz auf ihn. Er ist von seinem zehnten Jahre an in meinem Hause gewesen und hat bis auf diese Stunde alle meine Sorgfalt fur ihn so reichlich belohnet und mir so vieles Vergnugen gemacht, daß ich nicht weiß, wer dem andern mehr Dank schuldig ist.
Lottchen. Dieses ist ein Lobspruch, den ich niemanden als dem Brautigam meiner Schwester gonne. Und wenn mein Papa sterben sollte: so wurde ich Ihr Mundel sein, um ebendieses Lob zu verdienen. O was ist der Umgang mit großen Herzen fur eine Wollust! Aber, Herr Simon, darf ich in Ihrer Gegenwart eine Freiheit begehen, die die Liebe gebeut und rechtfertiget? Ja, Sie sind es wurdig, die Regungen meiner Seele ohne Decke zu sehen. (Sie geht auf Siegmund zu und umarmet ihn. ) Endlich, mein Freund, bin ich so glucklich, Ihren Umgang und Ihre Treue gegen mich durch ein unvermutetes Schicksal zu belohnen. Sie haben mich als ein armes Frauenzimmer geliebt. Die Vorsicht hat mich heute mit einer Erbschaft beschenkt, die ich nicht ruhmlicher anzuwenden weiß, als wenn ich sie in Ihre Hande bringe. Ich weiß, Sie werden es mir und der Tugend davon wohlgehen lassen. Hier ist eine Abschrift des Testaments, worin ich zur Erbin erklaret bin, anstatt daß es meine liebe Schwester nach unserer Meinung war. Kurz, die Erbschaft ist Ihre, und ein Teil von zehntausend Talern gehort Julchen. Fragen Sie nunmehr Ihr Herz, was Sie mit mir anfangen wollen.
Siegmund. Ohne Ihre Liebe ist mir Ihr Geschenke sehr gleichgultig.
Lottchen. Eben deswegen verdienen Sie's. Fehlt zu Ihrem Glucke nichts als meine Liebe: so konnen Sie nie glucklicher werden.
Siegmund. Ach, meine Schone, wie erschrecke ich! Sie machen, daß man die Liebe und das Gluck erst hochschatzt. O warum kann nicht die ganze Welt Ihrer Großmut zusehen! Sie wurden auch den niedertrachtigsten Seelen liebenswurdig vorkommen und ihnen bei aller Verachtung der Tugend den Wunsch auspressen, daß sie Ihnen gleichen mochten. Ich danke es der Schickung ewig, daß sie mir Ihren Besitz zugedacht hat. Und ich eile mit Ihrer Erlaubnis zu Ihrem Herrn Vater, um ihn nunmehr...
Sechster Auftritt
Die Vorigen. Ein Bedienter.
Der Bediente (zu Lottchen). Hier ist ein Brief an Sie, Mamsell. Er kommt von der Post.
Lottchen. Ein Brief von der Post?
Siegmund. Ja, ich habe den Brieftrager selbst auf dem Saale stehen sehen, ehe ich hereingekommen bin.
Lottchen. Wollen Sie erlauben, meine Herren, daß ich den Brief in Ihrer Gegenwart erbrechen darf?
Simon. Ich will indessen meinem lieben Mundel meinen Gluckwunsch abstatten.
Siebenter Auftritt
Lottchen. Siegmund.
Lottchen (indem sie den Brief fur sich gelesen hat). O mein Freund, man will mir mein Gluck sauermachen. Man beneidet mich, sonst wurde man Sie nicht verkleinern. Es ist ein boshafter Streich; er ist mir aber lieb, weil ich Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens und meiner Liebe geben kann. Ich will Ihnen den Brief lesen. Er besteht, wie Sie sehen, nur aus zwo Zeilen. (Sie liest.) ≫Mamsell, trauen Sie Ihrem Liebhaber, dem Herrn Siegmund, nicht. Er ist ein Betruger. N. N.≪
Siegmund. Was? Ich ein Betruger?
Lottchen (sie nimmt ihn bei der Hand). Ich weiß, daß Sie groß genug sind, dieses hassenswurdige Wort mit Gelassenheit anzuhoren. Es ist ein Lobspruch fur Sie. Ich verlange einen solchen Betruger, als Sie sind, mein Freund.
Siegmund. Aber wer muß mir diesen boshaften Streich an dem heutigen Tage spielen? Wie? Sollte es auch Herr Simon selbst sein? Liebt er Sie vielleicht? Macht ihn Ihre Erbschaft boshaft? Warum ging er, da der Brief kam? Soll ich ihm dieses Laster vergeben? Wenn er mir meinen Verstand, meinen Witz abgesprochen hatte: so wurde ich ihm fur diese Demutigung danken; aber daß er mir die Ehre eines guten Herzens rauben will, das ist arger, als wenn er mir Gift hatte geben wollen. Ich?... Ich, ein Betruger? Himmel, bringe es an den Tag, wer ein Betruger ist, ich oder der, der diesen Brief geschrieben hat! Ist das der edelgesinnte Vormund?
Lottchen. Ich bitte Sie bei Ihrer Liebe gegen mich, beruhigen Sie sich. Verschonen Sie den Herrn Vormund mit Ihrem Verdachte. Es ist nicht moglich, daß er eine solche Niedertrachtigkeit begehen sollte. Sein Charakter ist edel. Wer weiß, was Sie sonst fur einen Feind haben, der von unserer Liebe und von meiner Erbschaft heute Nachricht bekommen hat.
Siegmund. Sie entschuldigen den Vormund noch? Horten Sie nicht den boshaften Ausdruck: Wir wollen wunschen, daß alle Liebhaber so edel gesinnt sein mogen als mein Mundel? Ist dieses nicht eine unverschamte Anklage wider mich?
Lottchen. Ich sage Ihnen, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie ihn noch einen Augenblick in Verdacht haben. So, wie ich ihn kenne und wie mir ihn sein Mundel beschrieben hat: so ist er ein Mann, dem man sein Leben, seine Ehre und alles vertrauen kann.
Siegmund. Aber sollte er nicht unerlaubte Absichten haben? Ich habe gemerkt, daß er sehr genau auf Ihr ganzes Bezeigen, bis auf das geringste Wort Achtung gegeben hat. Es kommt noch ein merkwurdiger Umstand dazu. Er hat in dem Billette an Ihren Herrn Vater schon triumphieret, daß er heute eine erfreuliche Nachricht vom Hofe erhalten hatte. Und er hat es dem Herrn Vater auch schon entdeckt; aber mir nicht.
Lottchen. Ich beschwore Sie bei Ihrer Aufrichtigkeit, lassen Sie diesen Mann aus dem Verdachte.
Siegmund. Warum hat er mir nicht gesagt, daß man ihm vom Hofe einen vornehmen Charakter und eine ungewohnliche Pension gegeben hat? Was sucht er darunter, wenn er nicht mein Ungluck bei Ihnen sucht?
Lottchen. Ich vergebe Ihren Fehler Ihrer zartlichen Liebe zu mir. Außerdem wurde ich Sie nicht langer anhoren. Wir wollen die Sache zu unserm Vorteile enden. Ihre Feinde mogen sagen, was sie wollen. Sie sind bestraft genug, daß sie Ihren Wert nicht kennen. Und wir konnen uns nicht besser rachen, als daß wir uns nicht die geringste Muhe geben, sie zu entdecken. Lassen Sie Ihren Zorn hier verfliegen. Ich komme in der Gesellschaft meines Vaters und der ubrigen gleich wieder zu Ihnen, unser Bundnis in den Augen unserer Feinde sicher zu machen.
Achter Auftritt
Siegmund allein.
Das war ein verfluchter Streich! Aber er macht mich nur mutiger. Julchen ist verloren... Gut, ist doch Lottchen, ist doch das Rittergut mein... Ich bin nicht untreu gewesen. Nein! Ich habe es nur sein wollen; aber ich war zu edel, als daß mich's die Umstande hatten werden lassen. Aber wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen.
Neunter Auftritt
Julchen. Damis.
Julchen. ≫Wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen.≪ Der Boshafte! Horten Sie sein Bekenntnis? Wir wollten sehen, wie er sich nach diesem Briefe auffuhren wurde. O hatten wir diese ungluckselige Entdeckung doch niemals gemacht! Du arme Schwester! Du verbindest dich mit einem Menschen, der ein boses Herz bei der Miene der Aufrichtigkeit hat.
Damis. Ja, es ist ein nichtswurdiger Freund, wie ich Ihnen gesagt habe. Er hat den großten Betrug begangen. Ich bitte ihn heute Vormittage, wie man einen Bruder bitten kann, daß er mir Ihre Liebe sollte gewinnen helfen. Und statt dessen bittet er Ihren Herrn Vater, unsere Verlobung noch acht Tage aufzuschieben, und will ihn bereden, als ob Sie, meine Braut, ihn selbst liebten. Ist das mein Freund, dem ich mehr als einmal mein Haus und mein Vermogen angeboten habe?
Julchen. Mich hat er bereden wollen, daß Sie meiner Schwester gewogener waren als mir. Nunmehro weiß ich gewiß, daß es keine Verstellung gewesen. Aber meine arme Schwester wird es doch denken, weil sie ihm diese List aus gutem Herzen aufgetragen hat. Wer soll ihr ihren Irrtum entdecken? Wird sie uns horen? Und wenn sie es glaubt, uberfuhren wir sie nicht von dem großten Unglucke! Wie dauret sie mich!
Damis. Ja. Aber sie muß es doch erfahren, und wenn Sie schweigen, so rede ich.
Julchen. Ach, bedenken Sie doch das Elend meiner lieben Schwester! Schweigen Sie. Vielleicht... Vielleicht ist er nicht von Natur boshaft, vielleicht hat ihn nur meine Erbschaft...
Damis. Es habe ihn, was auch immer wolle, zur Untreue bewogen: so ist er in meinen Augen doch allemal weniger zu entschuldigen als ein Mensch, der den andern aus Hunger auf der Straße umbringt. Hat ihn die ausnehmende Zartlichkeit, die ganz bezaubernde Unschuld, die edelste Freundschaft Ihrer Jungfer Schwester nicht treu und tugendhaft erhalten konnen: so muß es ihm nunmehr leicht sein, um eines Gewinstes willen seinen nachsten Blutsfreund umzubringen und die Religion der geringsten Wollust wegen abzuschworen.
Julchen. Aber ach, meine Schwester... Tun Sie es nicht. Ich zittre.. .
Damis. Meine Braut, Sie sind mir das Kostbarste auf der Welt. Aber ich sage Ihnen, ehe ich Lottchen so unglucklich werden lasse, sich mit einem Nichtswurdigen zu verbinden: so will ich mein Vermogen, meine Ehre und Sie selbst verlieren. Ich gehe und sage ihr alles, und wenn sie auch ohne Trost sein sollte. Mein Herr Vormund hat das Billett an Lottchen auf meine Bitte schreiben und auf die Post bringen lassen. ihr ehrlicher Vater und der Magister, die Siegmund beide fur zu einfaltig gehalten, haben seine tuckischen Absichten zuerst gemerkt, und ihr Herr Vater hat sie meinem Vormunde vertraut. Dieser haßt und sieht die kleinsten Betrugereien.
Julchen. Ist er denn gar nicht zu entschuldigen?
Damis. Nein, sage ich Ihnen. Wir haben alles untersucht. Er ist ein Betruger. (Mit Bitterkeit.) Ich habe in meinem Leben noch kein Tier gern umgebracht; aber diesen Mann, wenn er es leugnen und Lottchen durch seine Verstellung unglucklich machen sollte, wollte ich mit Freuden umbringen. Was? Wir Manner wollen durch den haßlichsten Betrug das Frauenzimmer im Triumph auffuhren, das wir durch unsere Tugend ehren sollten?
Julchen. Was soll aber meine Schwester mit dem Untreuen anfangen?
Damis. Sie soll ihn mit Verachtung bestrafen. Sie soll ihn fuhlen lassen, was es heißt, ein edles Herz hintergehn.
Julchen. Wenn ihm aber meine Schwester verzeihen wollte. Ware das nicht auch großmutig?
Damis. Sie braucht ihn nicht zu verfolgen. Sie kann alle Regungen der Rache ersticken und sich doch seiner ewig entschlagen. Er ist ein Unmensch.
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Simon.
Simon. Ich stehe die großte Qual aus. Unsere Absicht mit dem Briefe schlagt leider fehl. Sie liebt ihn nur desto mehr, je mehr sie ihn fur unschuldig halt. Sie dringt in ihren Vater, daß er die Verlobung beschleunigen soll. Dieser gute Alte liebt seine Tochter und vergißt vielleicht in der großen Liebe die Vorsichtigkeit und meine Erinnerungen. Wenn es niemand wagen will, sich dem Sturme preiszugeben: so will ich's tun.
Damis. Ich tue es auch.
Julchen. Wenn nur meine Schwester kame. Ich wollte... Aber sie liebt ihn unaussprechlich. Was wird ihr Herz empfinden, wenn es sich auf einmal von ihm trennen soll?
Simon. Es wird viel empfinden. Sie liebt ihn so sehr, als man nur lieben kann. Aber sie liebt ihn deswegen so sehr, weil sie ihn der Liebe wert halt. Sobald sie ihren Irrtum sehen wird: so wird sich die Vernunft, das Gefuhl der Tugend und das Abscheuliche der Untreue wider ihre Liebe emporen und sie verdringen. Der Haß wird sich an die Stelle der Liebe setzen. Wir mussen alle drei noch einmal mit ihr und dem Herrn Vater sprechen, ehe er sie um das Ja betrugt.
Julchen. Du redliche Schwester! Konnte ich doch dein Ungluck durch Wehmut mit dir teilen! Wie traurig wird das Ende dieses Tages fur mich!
Simon. Betruben Sie sich nicht uber den Verlust eines solchen Mannes. Lottchen ist glucklich, wenn sie ihn verliert, und unglucklich, wenn sie ihn behalt. Herr Damis, haben Sie die Gute und sehen Sie, wie Sie Lottchen einen Augenblick von ihrem Liebhaber entfernen und hieherbringen konnen.
Damis. Ja, das ist das letzte Mittel.
Simon (zu Damis). Noch ein Wort. Haben Sie die Abschrift des Testaments schon gelesen, die ich itzt mitgebracht habe?
Damis. Nein, Herr Vormund.
Simon. Sie auch nicht, Mamsell Julchen?
Julchen. Nein.
Simon. Also wissen Sie beide noch nicht, daß die erste Nachricht falsch gewesen ist. Mamsell Julchen, erschrecken Sie nicht. Sie sind nicht die Erbin des Ritterguts.
Julchen. Wie? Ich bin's nicht? Warum haben Sie mir denn eine falsche Freude gemacht? Das ist betrubt. Geht denn heute alles unglucklich? Ach, Herr Damis, Sie sagen nichts? Bin ich nicht mehr Ihre Braut? Geht denn das Ungluck gleich mit der Liebe an? Ich wollte meinen Vater und meine liebe Schwester mit in mein Gut nehmen. Ich ließ schon die besten Zimmer fur sie zurechtemachen. Ach, mein Herr, was fur Freude empfand ich nicht, wenn ich mir vorstellte, daß ich Sie an meiner Hand durch das ganze Gut, durch alle Felder und Wiesen fuhrte... ! Also habe ich nichts?
Damis. Sie haben so viel, als ich habe. Vergessen Sie die traurige Erbschaft. Es wird uns an nichts gebrechen. Mir ist es recht lieb, daß Sie das Rittergut nicht bekommen haben. Vielleicht hatte die Welt geglaubt, daß ich bei meiner Liebe mehr auf dieses als auf Ihren eigenen Wert gesehen hatte. Und dies soll sie nicht glauben. Sie soll meine Braut aus ebender Ursache hochschatzen, aus der ich sie verehre und wahle. Fuhren Sie mich an Ihrer Hand in meinem eigenen Hause herum: so werden Sie mir ebendas Vergnugen machen. Genug, daß Sie ein Rittergut verdienen. O wenn ich nur Lottchen aus ihrem Elende gerissen hatte. Ich werde eher nicht ruhig.
Simon. Jungfer Lottchen ist die Erbin des Ritterguts.
Julchen. Meine Schwester ist es? Meine Schwester? Bald hatte ich sie beneidet; aber verwunscht sei diese Regung! Nein! Ich gonne ihr alles. (Zu Damis.) Was konnte ich mir noch wunschen, wenn Sie mit mir zufrieden sind. Sie soll es haben. Ich gonne ihr alles.
Damis. Auch mich, meine Braut?
Julchen. Ob ich Sie meiner Schwester gonne? Nein, so redlich bin ich doch nicht. Es ist keine Tugend; aber... Fragen Sie mich nicht mehr.
Damis. Nein. Ich will Mamsell Lottchen suchen. Die Zartlichkeit soll der Freundschaft einige Augenblicke nachstehen.
Eilfter Auftritt
Julchen. Simon.
Julchen. Ob ich ihn meiner Schwester gonne? Wie konnte sie das von mir verlangen? Sie hat ja das Rittergut. Ich liebe sie sehr; aber wenn ich ihre Ruhe durch den Verlust des Herrn Damis befordern soll: so fordert sie zu viel. Das ist mir nicht moglich.
Simon. Machen Sie sich keine Sorge. Sie wird es gewiß nicht begehren. Ich muß Ihnen auch sagen, daß sie Ihnen nach dem Testamente zehntausend Taler zu Ihrer Heirat abgeben soll.
Julchen. Das ist alles gut. Wenn ich nur meiner Schwester ihren Liebhaber durch dieses Geld treu machen konnte, wie gern wollte ich's ihm geben! Der bose Mensch! Kann er nicht machen, daß ich den Herrn Damis verliere, indem er Lottchen verliert? Aber warum laßt der Himmel solche Bosheiten zu? Was kann denn ich fur seine Untreue? Ich bin ja unschuldig.
Simon. Mein Mundel kann niemals aufhoren, Sie zu lieben. Verlassen Sie sich auf mein Wort. Jungfer Lottchen ist zu beklagen. Aber besser ohne Liebe leben, als unglucklich lieben. Wenn sie doch kame!
Julchen. Aber wenn sie nun kommt? Ich kann ja ihre Ruhe nicht herstellen. Ich habe sie herzlich lieb. Aber warum soll denn meine Liebe mit der ihrigen leiden? Nein, so großmutig kann ich nicht sein, daß ich ihr zuliebe mich und... mich und ihn vergaße. Wenn sie doch glucklich ware! Ich werde recht unruhig. Er sagte, er wollte die Zartlichkeit der Freundschaft nachsetzen. Was heißt dieses?
Simon. Bleiben Sie ruhig. Mein Mundel ist der Ihrige. Sie verdienen ihn. Und wenn Sie kunftig an seiner Seite die Gluckseligkeiten der Liebe genießen: so verdanken Sie es der Tugend, daß sie uns durch Liebe und Freundschaft das Leben zur Lust macht.
Zwolfter Auftritt
Die Vorigen. Der Magister.
Der Magister. Herr Simon, ich mochte Ihnen gern ein paar Worte vertrauen. Wenn ich nicht sehr irre: so habe ich heute eine wichtige Entdeckung gemacht, was die Reizungen der Reichtumer fur Gewalt uber das menschliche Herz haben.
Simon. Ich furchte, daß mir diese ungluckliche Entdeckung schon mehr als zu bekannt ist.
Der Magister. Ich habe der Sache alleweile auf meiner Studierstube nachgedacht.
Julchen. Konnen Sie uns denn sagen, wie ihr zu helfen ist? Tun Sie es doch, lieber Herr Magister.
Der Magister. Siegmund muß bestraft werden, damit er gebessert werde.
Simon. Er verdient nicht, daß man ihn anders bestrafe als durch Verachtung.
Der Magister. Aber wie sollen seine Willenstriebe gebessert werden?
Simon. Ist denn die Verachtung kein Mittel, ein Herz zu bessern?
Der Magister. Das will ich itzt nicht ausmachen. Aber sagen Sie mir, Herr Simon, ob die Stoiker nicht recht haben, wenn sie behaupten, daß nur ein Laster ist; oder daß, wo ein Laster ist, die andern alle ihrer Kraft nach zugegen sind? Sehn Sie nur Siegmunden an. Ist er nicht recht das Exempel zu diesem Paradoxo?
Simon. Ja, Herr Magister. Aber wie werden wir Jungfer Lottchen von der Liebe zu Siegmunden abbringen? Sie glaubt es ja nicht, daß er untreu ist.
Der Magister. Das wird sich schon geben. O wie erstaunt man nicht uber die genaue Verwandtschaft, welche ein Laster mit dem andern hat und welche alle mit einem haben! Siegmund wird bei der Gelegenheit des Testaments geizig. Ein Laster. Er strebt nach Julchen, damit er ihre Reichtumer bekomme. Welcher schandliche Eigennutz! Er wird Lottchen untreu und will Julchen untreu machen. Wieder zwei neue Verbrechen. Er kann sein erstes Laster nicht ausfuhren, wenn er nicht ein Betruger und Verrater wird. Also hintergeht er seinen Freund, seinen Schwiegervater, Sie, mich und alle, nachdem er einmal die Tugend hintergangen hat. Aber alle diese Bosheiten auszufuhren, mußte er ein Lugner und ein Verleumder werden. Und er ward es. Welche unselige Vertraulichkeit herrscht nicht unter den Lastern? Sollten also die Stoiker nicht recht haben?
Simon. Wer zweifelt daran? Herr Magister. Ich glaube es, daß Sie die Sache genauer einsehen als ich und Jungfer Julchen. Sie reden sehr wahr, sehr gelehrt. Sie haben seine Untreue zuerst mit entdeckt, und wir danken Ihnen zeitlebens dafur. Aber entdecken Sie nun auch das Mittel, Lottchen so weit zu bringen, daß sie sich nicht mit dem untreuen Siegmund verbindet.
Der Magister. Darauf will ich denken. Lottchen ist zu leichtglaubig gewesen. Aber sie kann bei dieser Gelegenheit lernen, wieviel man Ursache hat, ein Mißtrauen in das menschliche Herz zu setzen, wenn Man es genau kennt und die Erzeugung der Begierden recht ausstudiert hat. Wir haben so viele Vernunftlehren. Eine Willenslehre ist ebenso notig. Ist denn der Wille kein so wesentlicher Teil der Seele als der Verstand? So wie der Verstand Grundsatze hat, die sein Wesen ausmachen: so hat der Wille gewisse Grundtriebe. Kennt man diese, so kennt man sein Wesen; und so kennt man auch die Mittel, ihn zu verbessern. Jungfer Muhme, reden Sie aufrichtig, habe ich's Ihnen nicht hundertmal gesagt, daß Siegmund nichts Grundliches in der Philosophie weiß? Dies sind die traurigen Fruchte davon.
Julchen. Lieber Herr Magister, wenn Sie so viel bei der betrubten Sache empfanden als ich, Sie wurden diese Frage itzt nicht an mich tun. Sie haben mich heute eine Fabel gelehrt. Und ich wollte wunschen, daß Sie an die Fabel von dem Knaben gedachten, der in das Wasser gefallen war. Anstatt daß Sie uns in der Gefahr beistehen sollen: so zeigen Sie uns den Ursprung und die Große derselben. Nehmen Sie meine Freiheit nicht ubel.
Der Magister. Ich kann Ihnen nichts ubelnehmen. Zu einer Beleidigung gehort die gehorige Einsicht in die Natur der Beleidigung. Und da Ihnen diese mangelt: so sehen Ihre Reden zwar beleidigend aus; aber sie sind es nicht.
Simon. Aber, was wollen Sie denn bei der Sache tun?
Der Magister. Ich will, ehe die Versprechung vor sich geht, Lottchen und meinem Bruder kurz und gut sagen, daß ich meine Einwilligung nicht darein gebe. Alldann muß die Sache ein ander Aussehn gewinnen.
Simon. Gut, das tun Sie.
Dreizehnter Aufzug Julchen. Simon.
Julchen. Ich will dem Herrn Magister nachgehen. Er mochte sonst gar zu große Handel anrichten. Entdecken Sie Lottchen, wenn sie kommt, die traurige Sache zuerst. Ich will sorgen, daß Sie Siegmund in Ihrer Unterredung nicht stort und Ihnen, wenn ich glaube, daß es Zeit ist, mit meinem Brautigame zu Hulfe kommen.
Simon. Ich will als ein redlicher Mann handeln. Und wenn ich mir auch den großten Zorn bei Ihrer Jungfer Schwester und die niedertrachtigste Rache von dem Herrn Siegmund zuziehen sollte: so will ich doch lieber mich als eine gute Absicht vergessen.
Vierzehnter Auftritt
Simon. Lottchen.
Lottchen. Was ist zu Ihrem Befehle? Haben Sie etwa wegen der zehntausend Taler, die ich meiner Schwester herausgeben soll, etwas zu erinnern? Tun Sie nur einen Vorschlag. Ich bin zu allem bereit.
Simon. Mamsell, davon wollen wir ein andermal reden. Glauben Sie wohl, daß mir Ihr Gluck lieb ist und daß ich ein ehrlicher Mann bin? So unhoflich diese beiden Fragen sind: so muß ich sie doch an Sie tun, weil ich sonst in der Gefahr stehe, daß Sie meinen Antrag nicht anhoren werden.
Lottchen. Mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen? Reden Sie frei. Ich sage es Ihnen, daß ich ebenden Gehorsam gegen Sie trage, den ich meinem Vater schuldig bin. Ich will Ihnen den großten Dank sagen, wenn Sie mir eine Gelegenheit geben, Ihnen meine Hochachtung durch die Tat zu beweisen. Ich bin ebensosehr von Ihrer Aufrichtigkeit uberzeugt als von der Aufrichtigkeit meines Brautigams. Kann es Ihnen nunmehr noch schwerfallen, frei mit mir zu reden?
Simon. Meine Bitte gereicht zum Nachteile Ihres Liebhabers.
Lottchen. Will Ihr Herr Mundel etwa das Rittergut gern haben, weil es so nahe an der Stadt liegt? Nun errate ich's, warum er itzt gegen den guten Siegmund etwas verdrießlich tat. Warum hat er mir's nicht gleich gesagt? Er soll es haben und nicht mehr dafur geben, als Sie selbst fur gut befinden werden. Kommen Sie zur Gesellschaft. Ich habe mich wegen des boshaften Briefs, den ich vorhin erhalten, entschlossen, in Ihrer Gegenwart dem Herrn Siegmund ohne fernern Aufschub das Recht uber mein Herz abzutreten und seinen Feinden zu zeigen, daß ich auf keine gemeine Art liebe.
Simon. Aber diesen boshaften Brief habe ich schreiben und auf die Post bringen helfen.
Lottchen. Ehe wollte ich glauben, daß ihn mein Vater, der mich so sehr liebt, geschrieben hatte. Sie scherzen.
Simon. Nein, Mamsell, ich bin zu einem Scherze, den mir die Ehrerbietung gegen Sie untersagt, zu ernsthaft. Erschrecken Sie nur, und hassen Sie mich. Ich wiederhole es Ihnen, Ihr Liebhaber meint es nicht aufrichtig mit Ihnen.
Lottchen. Sie wollen gewiß das Vergnugen haben, meine Treue zu versuchen und mich zu erschrecken, weil Sie wissen, daß ich nicht erschrecken kann.
Simon. Sie glauben, ich scherze? Ich will also deutlicher reden. Ihr Liebhaber ist ein Betruger.
Lottchen (erbittert). Mein Herr, Sie treiben die Sache weit. Wissen Sie auch, daß ich fur die Treue meines Liebhabers stehe und daß Sie mich in ihm beleidigen? Und wenn er auch der Untreue fahig ware: so wurde ich doch den, der mich davon uberzeugte, ebensosehr hassen als den, der sie begangen. Aber ich komme gar in Zorn. Nein, mein Herr, ich kenne ja Ihre Großmut. Es ist nicht Ihr Ernst, so gewiß, als ich lebe.
Simon. So gewiß, als ich lebe, ist es mein Ernst. Er ist unwurdig, noch einen Augenblick von Ihnen geliebt zu werden.
Lottchen. Und ich werde ihn ewig lieben.
Simon. Sie kennen ihn nicht.
Lottchen. Besser als Sie, mein Herr.
Simon. Ihre naturliche Neigung zur Aufrichtigkeit, Ihr gutes Zutrauen macht, daß Sie ihn fur aufrichtig halten; aber dadurch wird er's nicht.
Lottchen. Geben Sie mir die Waffen wider Sie nicht in die Hand. Ich habe Sie und meinen Liebhaber fur aufrichtig gehalten. Ich will mich betrogen haben. Aber wen soll ich zuerst hassen? Ist Ihnen etwas an meiner Freundschaft gelegen: so schweigen Sie. Sie verandern mein ganzes Herz. Sie haben mir und meinem Hause viel Wohltaten erwiesen; aber dadurch haben Sie kein Recht erlangt, mit mir eigennutzig zu handeln. Ware es Ihrem Charakter nicht gemaßer, mich tugendhaft zu erhalten, als daß Sie mich niedertrachtig machen wollen? Warum reden Sie denn nur heute so?
Simon. Weil ich's erst heute gewiß erfahren habe. Wenn Sie mir nicht glauben: so glauben Sie wenigstens Ihrer Jungfer Schwester und meinem Mundel.
Lottchen. Das ist schrecklich. Haben Sie diese auch auf Ihre Seite gezogen?
Simon. Ja, sie sind auf meiner Seite sowohl als Ihr Herr Vater. Und ehe ich zugebe, daß ein Niedertrachtiger Ihr Mann wird, ehe will ich mich der großten Gefahr aussetzen. Sie sind viel zu edel, viel zu liebenswurdig fur ihn.
Lottchen. Wollen Sie mir denn etwa selbst Ihr Herz anbieten? Muß er nur darum ein Betruger sein, weil ich in Ihren Augen so liebenswurdig bin? Und Sie glauben, daß sich ein edles Herz auf diese Art gewinnen laßt? Nunmehr muß ich entweder nicht tugendhaft sein oder Sie hassen. Und bald werde ich Sie nicht mehr ansehn konnen.
Simon. Machen Sie mir noch so viele Vorwurfe. Die großten Beschuldigungen, die Sie wider mich ausstoßen, sind nichts als Beweise Ihres aufrichtigen Herzens. Die Meinung, in der Sie stehen, rechtfertiget sie alle. Und ich wurde Sie vielleicht hassen, wenn Sie mein Anbringen gelassener angehort hatten. Genug...
Lottchen. Das ist ein neuer Kunstgriff. Mein Herr, Ihre List, wenn es eine ist, und sie ist es, sei verwunscht! Wie? Er, den ich wie mich liebe?... Sie wollen sich an seine Stelle setzen? Ist es moglich?
Simon. Dieser Vorwurf ist der bitterste; aber auch den will ich verschmerzen. Es ist wahr, daß ich Sie ungemein hochachte; aber ich habe ein sicheres Mittel, Ihnen diesen grausamen Gedanken von meiner Niedertrachtigkeit zu benehmen. Ich will Ihnen versprechen, Ihr Haus nicht mehr zu betreten, solange ich lebe. Und wenn ich durch diese Entdeckung Ihre Liebe zu gewinnen suche: so strafe mich der Himmel auf das entsetzlichste. Nach diesem Schwure schame ich mich, mehr zu reden. (Er geht ab.)
Funfzehnter Auftritt
Lottchen allein.
Gott, was ist das?... Er soll mir untreu sein?... Nimmermehr! Nein! Der Vormund sei ein Betruger und nicht er. ... Du, redliches Herz! Du, mein Freund, um dich will man mich bringen? Warum beweist er deine Untreue nicht?
Sechzehnter Auftritt
Lottchen. Damis.
Lottchen. Kommen Sie mir zu Hulfe. Und wenn sie mein Ungluck auch alle wollen: so sind doch Sie zu großmutig dazu. Was geht mit meinem Brautigam vor? Sagen Sie mir's aufrichtig.
Damis. Er ist Ihnen untreu.
Lottchen. Auch Sie sind mein Feind geworden? Hat Sie mein Liebhaber beleidiget: so handeln Sie doch wenigstens so großmutig und sagen mir nichts von der Rache, die Sie an ihm nehmen wollen.
Damis. Mein Herz ist viel zu groß zur Rache.
Lottchen. Aber klein genug zur Undankbarkeit? Hat Ihnen mein Geliebter nicht heute den redlichsten Dienst erwiesen?
Damis. Wollte der Himmel, er hatte mir ihn nicht erwiesen: so wurden Sie glucklicher, und er wurde nur ein verborgner Verrater sein.
Lottchen. Betruger! Verrater! Sind das die Namen meines Freundes, den ich zwei Jahr kenne und liebe?
Damis. Wenn ich die Aufrichtigkeit weniger liebte: so wurde ich mit mehr Maßigung vor Ihnen reden. Aber mein Eifer gibt mir fur Ihren Liebhaber keinen andern Namen ein. Sie, meine Schwester, sind Ihres Herzens wegen wurdig, angebetet zu werden, und eben deswegen ist der Mensch, der bei Ihrer Zartlichkeit und bei den sichtbarsten Beweisen der aufrichtigsten Liebe sich noch die Untreue kann einfallen lassen, eine abscheuliche Seele.
Lottchen. Eine abscheuliche Seele? Wohlan; nun fordere ich Beweise. (Heftiger.) Doch weder Ihr Vormund noch Sie, noch meine Schwester, noch mein Vater selbst werden ihm meine Liebe entziehn konnen. Und ich nehme keinen Beweis an als sein eigen Gestandnis. Ich bin so sehr von seiner Tugend uberzeugt, daß ich weiß, daß er auch den Gedanken der Untreue nicht in sich wurde haben aufsteigen lassen, ohne mir ihn selbst zu entdecken. Und ich wurde ihn wegen seiner gewissenhaften Zartlichkeit nur desto mehr lieben, wenn ich ihn anders mehr lieben konnte.
Damis. Ich sage es Ihnen, wenn Sie mir nicht trauen: so gebe ich Ihnen das Herz meiner Braut wieder zuruck. Ihnen bin ich's schuldig; aber ich mag nicht die großte Wohltat von Ihnen genießen und zugleich Ihr Ungluck sehn.
Lottchen. Sie mussen mich fur sehr wankelmutig halten, wenn Sie glauben, daß ich durch bloße Beschuldigungen mich in der Liebe irren lasse. Haben Sie oder ich mehr Gelegenheit gehabt, das Herz meines Brautigams zu kennen? Wenn Sie recht haben, warum werfen Sie ihm seine Untreue abwesend vor? Rufen Sie ihn hieher. Alsdann sagen Sie mir seine Verbrechen. Er ist edler gesinnet als wir alle. Und ich will ihn nun lieben.
Damis. Sie haben recht. Ich will ihn selbst suchen.
Siebenzehnter Auftritt
Lottchen. Julchen.
Lottchen. Er geht? Er untersteht sich, ihn zu rufen? Nun fangt mein Herz an zu zittern. (Sie sieht Julchen. Klaglich.) Meine Schwester, bist du auch da? Hast du mich noch lieb? (Lottchen umarmt sie.) Willst du mir die traurigste Nachricht bringen? O nein! Warum schweigst du? Warum kommt er nicht selbst?
Julchen. Ich bitte dich, hore auf, einen Menschen zu lieben, der...
Lottchen. Er soll schuldig sein; aber muß er gleich meiner Liebe unwurdig sein? Nein, meine liebe Schwester. Ach nein, er ist gewiß zu entschuldigen. Willst du ihn nicht verteidigen? Vergißt du schon, was er heute zu deiner Ruhe beigetragen hat? Warum sollte er mir untreu sein, da ich Vermogen habe? Warum ward er's nicht, da ich noch keines hatte?
Julchen. Er ward es zu der Zeit, da er in den Gedanken stund, daß ich die Erbin des Testaments ware. Ach, liebe Schwester, wie glucklich wollte ich sein, wenn ich dich nicht hintergangen sahe!
Lottchen. So ist es gewiß? (Hart.) Nein! sage ich.
Julchen. Ich habe lange mit mir gestritten. Ich habe ihn in meinem Herzen, vor meinem Brautigam, vor seinem Vormunde und vor unserm Vater entschuldiget. Ich wurde sie aus Liebe zu dir noch alle fur betrogne Zeugen halten. Aber es ist nicht mehr moglich. Er selbst hat sich hier an dieser Stelle angeklagt, als du ihn nach dem empfangenen Briefe verlassen hattest. Er war allein. Die Unruhe und sein Verbrechen redten aus ihm. Er horte mich nicht kommen. O hatt' er doch ewig geschwiegen!... Ach, meine Schwester!
Lottchen. Meine Schwester, was sagst du mir? Er hat sich selbst angeklagt? Er ist untreu? Aber wie konnte ich ihn noch lieben, wenn er's ware? Nein, ich liebe ihn, und er liebt mich gewiß. Ich habe ihm ja die großten Beweise der aufrichtigsten Neigung gegeben... (Zornig.) Aber was qualt ihr mich mit dem entsetzlichsten Verdachte? Was hat er denn getan? Nichts hat er getan.
Julchen. Er hat mich auf eine betrugerische Art der Liebe zu meinem Brautigam entreißen und sich an seine Stelle setzen wollen. Er hat meinen Vater uberreden wollen, als ob ich ihn selbst liebte und als wenn du hingegen den Herrn Damis liebtest. Er hat ihm geraten, die Verlobung noch acht Tage aufzuschieben. Er hat sogar um mich bei ihm angehalten.
Lottchen. Wie? Hat er nicht noch vor wenig Augenblicken mich um mein Herz gebeten? Ihr haßt ihn und mich.
Julchen. Ja, da er gesehen, daß das Testament zu deinem Vorteile eingerichtet ist.
Lottchen. Also richtet sich sein Herz nach dem Testamente und nicht nach meiner Liebe? Ich Betrogene! Doch es ist unbillig, ihn zu verdammen. Ich muß ihn selbst horen. Auch die edelsten Herzen sind nicht von Fehlern frei, die sie doch bald bereuen. (Klaglich.) Liebste Schwester, verdient er keine Vergebung? Mach ihn doch unschuldig. Ich will ihn nicht besitzen. Ich will ihn zu meiner Qual meiden. Ich will ihm die ganze Erbschaft uberlassen, wenn ich nur die Zufriedenheit habe, daß er ein redliches Herz hat. O Liebe! ist das der Lohn fur die Treue?
Achtzehnter Auftritt
Die Vorigen. Siegmund.
Siegmund. Soll ich nunmehr so glucklich sein, Ihr Ja zu erhalten? Der Herr Vater hat mir seine Einwilligung gegeben. Sie lieben mich doch, großmutige Schone?
Lottchen. Und Sie lieben mich doch auch?
Siegmund. Sie kennen mein Herz seit etlichen Jahren, und Sie wissen gewiß, daß mein großter und liebster Wunsch durch Ihre Liebe erfullt worden ist.
Lottchen. Aber... meine Schwester... Warum erschrecken Sie?
Siegmund. Ich erschrecke, daß Sie sich nicht besinnen, daß Sie mir diese List selbst zugemutet haben. Sollte ich nicht durch eine verstellte Liebe Julchens Herz versuchen? Reden Sie, Mamsell Julchen, entschuldigen Sie mich.
Julchen. Mein Herr, entschuldigen kann ich Sie nicht. Bedenken Sie, was Sie zu mir und zu meinem Vater und vor kurzem hier in dieser Stube zu sich selbst gesagt haben, ohne daß Sie mich sahn. Alles, was ich tun kann, ist, daß ich meine liebe Schwester bitte, Ihnen Ihre Untreue zu vergeben.
Siegmund. Ich soll untreu sein?... Ich (Er gerat in Unordnung.) Ich soll der aufrichtigsten Seele untreu sein? Wer? Ich? Gegen Ihren Herrn Vater soll ich etwas gesprochen haben? Was sind das fur schreckliche Geheimnisse?... Sie sehn mich angstlich an, meine Schone? Wie? Sie lieben mich nicht? Sie lassen sich durch meine Widerlegungen nicht bewegen?... Sie horen meine Grunde nicht an?... Bin ich nicht unschuldig?... Wer sind meine Feinde?... Ich berufe mich auf mein Herz, auf die Liebe, auf den Himmel. ... Doch auch mich zu entschuldigen konnte ein Zeichen des Verdachtes sein. ... Nein, meine Schone, Sie mussen mir ohne Schwure glauben. Ich will Sie, ich will meine Ruhe, mein Leben verlieren, wenn ich Ihnen untreu gewesen bin. Wollen Sie mir noch nicht glauben?
Julchen. Herr Siegmund, Sie schworen?
Lottchen (mit Tranen). Er ist wohl unschuldig.
Siegmund. Ja, das bin ich. Ich liebe Sie. Ich bete Sie an und suche meine Wohlfahrt in Ihrer Zufriedenheit. Wollen Sie jene vergroßern: so stellen Sie diese wieder her, und lassen Sie den Verdacht fahren, den ich in der Welt niemanden vergeben kann als Ihnen. Soll ich das Gluck noch erlangen, Sie als die Meinige zu besitzen?
Lottchen (sie sieht ihn klaglich an). Mich?... als die Ihrige?... Ja!
Julchen. Meine Schwester!
Lottchen. Schweig. Herr Siegmund, ich mochte nur noch ein Wort mit meinem Papa sprechen, alsdann wollen wir unsere Feinde beschamen.
Siegmund. Ich will ihn gleich suchen. Soll ich die ubrige Gesellschaft auch mitbringen? Wir mussen doch die gebrauchlichen Zeremonien mit beobachten.
Lottchen. Ja. Ich will nur einige Worte mit dem Papa sprechen. Alsdann bitte ich Sie nebst den andern Herren nachzukommen. |
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