2014년 12월 29일 월요일

Indienfahrt 2

Indienfahrt 2

Oft kam das wogende Meer bis hart an unsere nackten Fuße, dann wieder sahen
wir es viele Meter tief unter uns. Selbst in der Nacht erkannten die Leute
deutlich das Herannahen einer großeren Welle, und ein leiser Zuruf warnte
mich, damit ich mich am Felsen festhalten mochte. Wenn dann fur Augenblicke
der Steinboden den Blicken entschwand und nichts als das leise brodelnde
nachtliche Element unter mir kenntlich war, hatte ich anfangs ein dumpfes
Gefuhl der Angst, ja der Todesfurcht zu uberwinden, und nur die
unerschutterliche Gelassenheit meiner Nachbarn sicherte meinen Mut.

Die Manner hielten ihre Leinen niemals fest in den Handen, sondern nur
leicht zwischen den Fingern, weil es vorkam, daß ein Haifisch anbiß, und
weil der erste Ruck ihnen hatte verhangnisvoll werden konnen. In solchem
Fall, den ich einmal erlebt habe, schreckte ein lauter Zuruf alle empor.
Ich sah die Leine wie ein Ankerseil in rasender Schnelligkeit ins Meer
gleiten und wie ihr Ende hastig um einen Felsvorsprung gewickelt wurde. In
den meisten Fallen war das Gerat dann verloren; zuweilen gelang es aber,
das Raubtier durch die Felslucken bis auf den Strand zu schleifen, und ich
erschrak uber die Lebenskraft und Wildheit des Gefangenen, der trotz seiner
Hilflosigkeit einen geradezu einschuchternden Widerspruch gegen seine
Bandiger an den Tag legte. Man befestigte den Rest der Angelschnur mit
einem Pflock im Sande, ohne den Haken zu losen, und ließ das Tier auf dem
Trockenen sterben, so gut und rasch es konnte. Erst am andern Tage oder
nach Stunden bemachtigten sich die Frauen alles Verwendbaren von seinem
glatten Leibe, dessen Fleisch nicht genossen wird.

Gegen Norden zu brachen die dunklen Kustenfelsen jahlings ab, und es
breitete sich, soweit das Auge reichte, die freie Bucht entlang, weißer
Sand aus. Oft wuchsen Palmen, besonders wenn sie einem kleineren Bach das
Geleite gaben, bis dicht an den Meeresstrand hinab. Dort sah man, noch nahe
dem Ort, die bunten Boote der Eingeborenen in Reih und Glied im Sand, und
weiter hinaus begann eine Stille und Verlassenheit, die wohl dazu angetan
war, ein empfindsames Herz zu locken.

Dort lag ich oft am Wasser, bohrte mich in den Sand und warf die Lasten
meiner unnutzen Gedanken weit von mir. Es war herrlich, der Stimme des
Meers zu lauschen, die die ganze Welt zu beherrschen schien, und die endlos
langen, ebenmaßigen Wogen zu betrachten, welche heranliefen wie sanfte
Windwellen unter blaßblauer Seide, sich lautlos hoben und sich mit
jubelndem Erbrausen, in ein weites Lichtband zerbrechend, auf den
geduldigen Strand warfen. Das ging so lange so fort, wie nur immer die
Sinne sich in Geduld und Traum hinzugeben vermochten, denn das Meer kennt
keine Zeit. In seiner Stimme sind weder Hoffnungen noch Verheißungen, keine
Liebe und kein Drohen, weder Wahrsagungen noch Beschwichtigungen. Das Wesen
des Meeres hat keine Gemeinschaft mit dem unsrigen, und nichts als ein
beseligter Unfriede erwacht in uns, wenn wir uns ihm zu nahern trachten,
nur seine Große erhebt uns, wie alle großen Formen dem Gemut eine Ahnung
kunftiger Freiheit vermitteln. Das Meer enthalt keine Maßstabe fur unsere
Rechte oder fur unsere Pflichten, wie die Erde sie uns bietet, die uns
tragt und ernahrt und deren Schicksal dem unsrigen verwandt ist. Die
Dichter haben das Meer selten verstanden, sie haben es nur beschrieben,
aber wer wurde durch sie ein Bild von seiner unermeßlichen Gewalt und
Freiheit bekommen, wenn er das Meer niemals gesehen hatte? Nur in jenem ins
Mystische hinuber verbluhenden Geiste des großen, gottberauschten
Schwarmers der Apokalypse leuchtet ein wahrsagerisches Licht vom Wesen des
Meers auf, als er das Tausendjahrige Reich in seinen unendlichen Visionen
erblickt, und vom Meer sagt, es sei nicht mehr. In dieser Erkenntnis liegt
eine tiefe Ahnung vom Wesen des Meers, das nicht wie die Erde verflucht
scheint, und keinem Gericht, keiner Wiederkehr und keinem Wandel
unterstellt ist.

So hat auch das Meer keineswegs eine Verwandtschaft mit der Seele des
Menschen, wie manche festgestellt haben, die weder das eine noch die andere
kennen, und die nur deshalb, weil sie in der Seele etwas Bodenloses
wittern, auf den Gedanken gekommen sind, sie ware vielleicht so tief wie
der Ozean in der Mitte. Das ist ein leichtfertiger Schluß, der schwer zu
erweisen ist, die einzige Ahnlichkeit zwischen solchen Seelen und dem Meer
ist die, daß man oft in beiden herumfischt, ohne etwas zu fangen. --

Einmal fand ich am Strand einige große Meerschildkroten, die auf dem Rucken
lagen und nach Wasser schnappten. Aus den Spuren nackter Fuße, die sie wie
ein in den Sand eingepragter Lorbeerkranz umgaben, ließ sich leicht
entnehmen, daß diese Tiere sich nicht freiwillig in solche Lage begeben
hatten und daß sich ein menschlicher Zweck mit dieser Grausamkeit verband.
Und richtig sah ich unter den Baumen einen braunen Hinduknaben fluchten,
dessen Respekt vor mir so groß war, daß er eine Palme bis an den Wipfel
erklomm.

Die Schildkroten waren in dieser Einschrankung ihrer Bewegungsfreiheit
einem langsamen Tode in der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt, der um so
qualvoller war, als sie nicht wie die Fische rasch sterben, wenn sie ihrem
Element entrissen worden sind, sondern eine zahe Lebensdauer, auch auf dem
Trockenen, beweisen. In der Tat war auch der Gesichtsausdruck einzelner von
ihnen bereits sehr verstimmt, anderen hing der merkwurdig haßliche Kopf
schon leblos nieder, an dem faltigen Hals, der mir wie ein welker, rissiger
Schlauch erschien. Ich kehrte mit großer Muhe diejenigen um, die mir noch
regsam genug fur eine Fortsetzung ihres Daseins erschienen, aber sie
taumelten wie betrunken hin und her und fanden das Wasser erst, als ich
ihnen den Weg wies. Dort schwammen sie rasch und erregt hinaus und tauchten
sobald als moglich unter, sichtlich im Zweifel daruber, ob dieser Vorgang
eine Tatsache war, oder nur eine neue greuliche Vorstellung ihrer
Fieberphantasien im Sonnentod.

Spater erfuhr ich, daß die Tiere von den Eingeborenen in diese Lage
gebracht werden, damit sie sterben, denn sie konnen sich nicht aus eigenen
Kraften wieder umkehren. Auf diese Weise gewinnen die Leute das sehr
begehrte Schildpatt, ohne einen Eingriff in das Leben der Tiere
vorzunehmen, was ihnen verboten ist und auch ihrer Uberzeugung
widerspricht. Die Tiere sterben auf diese Art durch den Willen der Gottheit
und werden so nach Vorstellung der Hindus nicht von Menschen getotet;
offenbar ersieht man aus der Tatsache, daß die Gotter die Schildkroten
nicht wieder umdrehen, ihren Beschluß, sie zum Nutzen der Menschheit
sterben zu lassen.

Ubrigens hatte ich es mit jener Handwerkerkaste in Cannanore endgultig
verdorben, denn eben jener Knabe, welcher mir Achtung erwies, hatte von
seinem hohen Versteck aus meine Maßnahmen wahrgenommen und er nahm Anlaß,
diese Neuigkeit in Cannanore zu verbreiten.

Es gab am Strand vielerlei Krebse und allerhand kleines Meergesindel, mit
dem ich mich einließ, auch Ratten kamen bisweilen die Bache herab und
erkundeten, ob das Meer Tote angeschwemmt oder ausgewuhlt hatte. Eine
bestimmte Kaste in Malabar begrabt ihre Pesttoten am Meer im Sand; zwar
werden meist die Sandbanke und Inseln gewahlt, aber haufig findet man auch
die Spuren der Graber an der Kuste.

Einmal machte ich die Bekanntschaft einer großeren Fliege, die nur einen
Flugel hatte und den Rest ihres Lebens am Gestade zu verbringen schien. Ich
beobachtete sie, wahrend ich am Strand lag und rauchte. Sie suchte sich die
Steine aus, die besonders rund, blank und heiß waren, und es schien, als
bevorzugte sie die weißen. Wenn sie eine Weile auf einem solchen gesessen
hatte, faßte sie einen anderen ins Auge und versuchte ihn mit einem
sprungartigen Flug zu erreichen, aber sie landete jedesmal auf irgendeinem
dritten, weil sich leider das Fehlen ihres einen Flugels beim Einhalten der
Richtung bemerkbar machte.

Jedesmal schaute sie anfanglich etwas verdutzt um sich, ergab sich aber
dann ihrem merkwurdigen Schicksal, immer anderswo landen zu mussen, als sie
gewollt hatte. Mit einem etwas bekummerten, aber keineswegs gereizten
Ausdruck orientierte sie sich uber die ihr bestimmte Umgebung, schließlich
schien die Sonne auch hier, und sie blieb sitzen, im heißen Licht, vor dem
glitzernden Wasser.

Ich faßte eine gewisse Neigung zu dieser fluchtigen Freundin meiner
einsamen Stunden am Meeresstrand. So sehr viel besser ging es schließlich
im Leben auch mir nicht, und im Grunde kam es uns beiden auf die Sonne an.
Ich erzahlte ihr, wie ich es mit dem Dasein hielt, aber da sie nicht auf
mich achtete, warf ich mit kleinen Steinen nach ihr, die lustig uber die
runden Bruder ihrer Jahrtausende kollerten und vergnugt klirrten. Die
meisten dieser Steine waren prachtig abgerundet, ich nahm einen von ihnen
in die warme Hand und polierte ihn sorgenvoll. ≫Du bist noch nicht rund
genug, mein Kleiner≪, und ich warf ihn ins Meer zuruck, damit ihn die Flut
noch ein paar weitere tausend Jahre lang abschliffe. Es kam mir auf tausend
Jahre nicht an, so wenig wie auf einen Tag. Aber vielleicht wurde dieser
Stein mich nicht vergessen, sicherlich war es ihm noch nicht geschehen, daß
einer dieser verganglichen Menschlein sich seiner annahm und plotzlich
einen solchen Eingriff in seine gemachliche Entwicklung machte.

Das Meer trug leichte und liebliche Gedanken in meinen Sinn, torichte und
sinnvolle, aber niemals schwere. Seine Gaben waren Traum, Vergessen und
Schlaf, sie stiegen mit der flimmernden, heißen Luft in unbekannte Regionen
empor, und der fluchtige Seewind trug sie von dannen. Die Menschen meines
verflossenen Lebens versanken in einem schimmernden All, in welchem ich
wesenlos, wie sie selbst, dahintrieb, und auch die Liebe wurde zur
Erinnerung.

Nie aber, daß Langeweile oder Mißmut mich plagten, das Leben war ein
makelloses Gefaß, angefullt mit dem klaren alten Wein lieblicher
Sinnenfreude und heiterer Daseinslust. Ich begriff die Menschen dieses
Landes und dieser Sonne, die kein anderes Begehren zu bewegen schien, als
das Dasein auf solche Art als seligen Bestand auszukosten und sich dem
selbsttatigen Walten von Erstehen und Vergehen, den verganglichen
Glucksgutern der Erdenzeit gegenuber wahllos und zufrieden, ohne Bedenken,
anheimzustellen. Was den Unedlen zu einem Anlaß anteillosen Verkommens
wurde, das wurde im verwandten Geist den Edlen zu einer tiefen Offenbarung
tatlosen Versinkens in einer hellseherischen Demut der Selbstbeschrankung.

Zuweilen zollte ich am Strande dem Tode eine kleine Abschlagszahlung auf
seine kunftigen Rechte und schlief ein, aber die Stimme des Meerwassers
ging mit mir in das dunkle, ruhige Land. Die Monotonie seiner frischen
Stimme verwandelte sich in meinen Traumen in einen beredten Glanz von
großer Mannigfaltigkeit, und ich erfuhr Wunder und Sagen vom Gang der Welt,
die ein ganzes Buch fullen wurden, aber etwas an der Weisheit des
Meerwassers verhinderte mich daran, so torichte Plane zu fassen. ≫Ich sage
es allen,≪ rief es gleichmutig, ≫warum willst du es tun? Niemand wird Dinge
durch Menschen horen, die ihm die Natur nicht vertraut, und ihr, die ihr
nicht einmal euch selbst versteht, wie wollt ihr mich, das Meer, in seinem
heiligen Wesen erfassen?≪ Als ich erwachte, sah ich im Abendglanz auf der
Silberleiste der Meerflut groß und nah ein schwarzes Boot im roten
Himmelsschein dahinfahren, das von vier Mannern angetrieben wurde, die
stehend ruderten, und die mir gleichfalls schwarz erschienen, weil das
Licht hinter ihnen mich gelinde blendete.

Vielleicht fuhren sie ins Weite hinaus, vielleicht kehrten sie heim, ich
wußte es von ihnen so wenig wie von mir.

                  *       *       *       *       *

Ein bedauernswertes Ereignis dieser Zeit, das den Wert meines Charakters in
den Augen der Einwohner Cannanores ernstlich in Frage stellte, ist mir
lebhaft im Gedachtnis geblieben. Von Jugend auf habe ich den Hang verspurt,
Schmetterlinge und Kafer zu sammeln, es aber leider auf diesem Gebiet
niemals zu Erfolgen gebracht, im Gegenteil begleitete mich stets ein
spurbares Mißgeschick bei solchen Unternehmungen, und es lag nachweislich
kein Segen darauf. Der prachtige Kasten mit einem Glasdeckel, den meine
Eltern mir zur Forderung meiner lehrreichen Neigung schenkten, wurde bald
zu einer Goldgrube billiger Ernahrung fur eine kleine, lausartige Sorte von
Parasiten, die uber meine gesammelten Insekten herfielen und sie
verzehrten. Auf den Rat eines erfahrenen Schulfreundes hin erwarb ich das
prachtige Schutzmittel, das Naphthalin genannt wird, aber die Parasiten
fielen auch uber das Naphthalin her, fraßen es auf und gediehen dabei
zusehends. So sah ich die Resultate meiner Bemuhungen zuschanden werden bis
auf einen rotlichen Erdfloh, der hoch an einer rostigen Stecknadel hockte
und kaum großer war, als ihr Knopf.

Es ware sicherlich besser gewesen, wenn ich mir diese Erfahrungen meiner
Jugend auch in Indien zunutze gemacht hatte, anderseits aber wird es jedem
verstandlich sein, daß meine alte Leidenschaft bei der außerordentlich
mannigfaltigen und prachtigen Insektenwelt Indiens aufs neue angeregt
wurde. Ich schlug Panjas Einwande in den Wind und ließ in Cannanore
bekanntgeben, daß ich Erwachsenen oder Kindern fur jeden Schmetterling oder
Kafer, die mir in meine Niederlassung gebracht wurden, den Preis von einer
Anna zu zahlen bereit sei.

Am Morgen nach dieser Kundgebung weckte mich in aller Fruhe ein seltsames
Gerausch vor meinem Hause, das ich anfanglich vergeblich zu erkennen
trachtete, bis ich endlich herausbrachte, daß es ein Volksgemurmel war.
Erschrocken trat ich ans Fenster und erkannte nun eine auffallend geordnete
Reihe von Menschen, Kindern, Greisen, Frauen mit Sauglingen auf den Huften,
Mannern und Junglingen, auch fehlte es nicht an Bettlern, Straßendirnen und
Landstreichern. Die Reihe machte gehorsam den Bogen des Gartenwegs mit,
schlangelte sich durch die offene Pforte und ging dann auf Cannanore zu. Es
war nicht abzusehen, wie lang sie war; diese Erfahrung blieb mir anfanglich
erspart, wie es das Leben bei harten Schicksalsschlagen seinen Opfern
zuweilen dadurch erleichtert, daß es nicht sofort die ganze Fulle des
Ungemachs offenbart.

Panja sagte nur: ≫Sahib, die Leute bringen die Tiere.≪

Ich muß gestehen, daß ich in große Verwirrung geriet und mich nur muhsam
fassen konnte, aber es gelang mir doch, weil ich Panja den Triumph nicht
gonnte, der hinter seinen stillen Augen lauerte, welche schrag und
erwartungsvoll ohne Unterbrechung auf mir ruhten.

≫Hast du kleine Munze genug?≪ fragte ich ihn frohlich, wahrend ich mich
rasch ankleidete. Panja fragte mich ernst, ob ich genug große hatte.

Da nahm ich Elias an mich, setzte den Korkhelm auf und betrat mutig die
Veranda meines Hauses. Ein beifalliges Murmeln der Erwartung begrußte mich.
Recht gelegentlich, als lage mir nur daran, ein paar Schritte in der
Frische des Gartens zu tun, trat ich bis an die Pforte und schaute die
Straße nach Cannanore hinab. Die Kette der wartenden Menschen erstreckte
sich weiter, als meine Augen reichten, fern unter dem Dach der wilden
Feigenbaume verlief sie im Laubschatten wie ein schwarzer Kohlestrich, auf
dem roten Latrittweg. Elias zog sich still ins Haus zuruck, weil dieser
Anblick ihm neu war, und auf der Veranda empfingen mich wieder Panjas ruhig
abwartende Augen; er hatte einen Liegestuhl fur mich herausgetragen.

Es blieb mir nichts anderes ubrig, als zu beginnen. So sandte ich denn
Pascha mit einer Handvoll Rupien zum Wechseln in die Stadt, denn ich
brauchte Panja als Dolmetscher, auch ware er wahrscheinlich bis zum Abend
ausgeblieben, um mich dadurch am Erfolg meines Unternehmens zu hindern.

Der erste der zahlreichen Ankommlinge war ein kleiner dicker Knabe mit
prachtvollen dunklen Augen und vollig nackt. In der festgeschlossenen
kleinen Faust, die er mir mutig hinreckte und die von Schmutz starrte,
entdeckte ich die Staubreste einer kleinen Motte, die vollig zerquetscht
und aufgeweicht war. Ich verabfolgte eine Anna, um nicht mit einem
verneinenden Bescheid zu beginnen, und der kleine nackte Jager entfernte
sich mit einem glucklichen Satz, ohne daß er wagte, in den Jubel
auszubrechen, der ihm die Brust weitete. Offenbar hatte er bis zuletzt
nicht an den Erfolg dieses Geschaftes geglaubt. Panja sah ihm nach und
sagte boshaft: ≫Unterwegs wird er sich lausen, und dann schließt er sich
hinten wieder an.≪

Der nachste der Wartenden war ein alter Mann, der in der mageren Hand einen
grunen Beutel aus einem großen Blatt emporreckte, das er oben zuhielt. Es
befanden sich weiße Ameisen darin, von denen mein ganzes Haus wimmelte, und
er war mit der Hoffnung herzugetreten, seine Tiere einzeln honoriert zu
bekommen. Ich wies ihn ab, da legte er sich aufs Bitten und begann die
Schicksale seiner Familie zu erzahlen, der es in der Tat nicht gut gegangen
zu sein schien; so gab ich zwei Anna, und er entfernte sich mit einem
mißgunstigen Blick auf meine Munzen, nachdem er mir zwei Ameisen
auszuhandigen versucht hatte.

Ich kann nicht alles aufzahlen, was mir an diesem Morgen an Gewurm,
Fliegen, Ungeziefer und Kerbtieren zugetragen worden ist, es gelang mir,
Indiens Reichtum an diesen Geschopfen zu ermessen. Eine alte Frau brachte
ein Kucken, das von Ratten zur Halfte aufgefressen worden war und keine
Federn mehr hatte. Sie hoffte, daß ich es meiner Sammlung einverleiben
wurde, weil sie keine rechte Vorstellung von meinen Interessen hatte. Ein
Madchen, bluhend wie der sonnige Morgen, in welchem sie schuchtern vor mir
stand, hatte einen wahrhaft schonen Schmetterling von der Große eines
Singvogels, orangegelb, mit zartestem Lila an den Randern, aber er war
zwischen ihren Fingern zerdruckt, wie ein Trambahnbillett in einem
Handschuh. Ich betrachtete das Kind und den unschuldigen Glanz seiner
großen Augen, die mir erschienen wie dunkler Samt in braune Seide gebettet.
Jahrtausendalte Traume brachen aus ihnen hervor, ruhig und traurig, Mohn
und Schlaf. Mich uberkam ein jaher Wandel meines Empfindens und eine
Traurigkeit; plotzlich ward ich mir der ganzen Nichtigkeit meines Vorhabens
in beschamender Klarheit bewußt. Wie hatte ich dem Irrtum verfallen konnen,
zu glauben, daß wir den Herrlichkeiten der Natur dadurch auch nur um ein
Geringes naher kommen, daß wir ihre Erzeugnisse unter Glas und in Kasten
bergen. Ich empfand mich plotzlich als vielfacher Morder, und vor mir
harrte das Heer der blutigen Krieger ihres Lohns. Da gab ich dem Kinde den
Rest des Geldes, das Pascha mir gebracht hatte, und stand auf, um verkunden
zu lassen, daß meine Anspruche befriedigt seien, und daß ich keiner
weiteren Insekten mehr bedurfte.




Drittes Kapitel

Die Nacht mit Huc, dem Affen


Eines Morgens stand auf der Veranda meines Hauses in Cannanore ein brauner
Hinduknabe, der einen Affen auf der Schulter trug. Wie lange er schon dort
gestanden hatte, wußte ich nicht, weil die Eingeborenen bescheiden zu
warten pflegen, bis es dem fremden Herrn gefallt, sie anzureden. Auch wenn
sie annehmen, langst gesehen worden zu sein, harren sie geduldig fort, oft
stundenlang, ob es nun auch gefallt, sie zu beachten. Dieser Umstand hat
mir in der ersten Zeit meines indischen Aufenthalts oft einen nicht
gelinden Schreck eingebracht, denn auch wenn ein Diener des Hauses ein
Zimmer betritt, wartet er still in der Nahe des Herrn, bis er angeredet
wird. Es geschah mir in Bitschapur, wo ich zu Anfang meiner Reise inmitten
alter zerfallener Konigsschlosser mein Lager aufgeschlagen hatte, daß ich
nachtlicherweile plotzlich am Schreibtisch den Eindruck gewann, es stunde
jemand hinter mir. Solche Befurchtung ist in der Verlassenheit tiefer Nacht
um vieles beangstigender, als die Gewißheit eines jahen, unerwarteten
Zusammentreffens. Ich weiß noch heute genau, daß ich lange nicht wagte,
mich umzuschauen, und als ich es endlich langsam, Zoll um Zoll, tat und
plotzlich den Umriß einer braunen Gestalt, dunkel in dunkel, hinter mir
gewahrte, emporfuhr, als sei es der Bose selber, der mich heimsuchte. Der
Bote hatte, in der festen Annahme, daß ich langst von seiner Gegenwart
Notiz genommen hatte, bescheiden und geduldig auf meine Anrede gewartet. Da
die Hindus den Tritt nackter Fuße, selbst auf einer Kokosmatte, deutlich
horen, begreifen sie nicht ohne Schulung, daß unser Ohr an deutlichere
Beweise einer Annaherung gewohnt ist. Glucklicherweise erschrak damals der
nachtliche Ankommling so heftig uber meinen Schreck, daß mich ein Lachen
befreite und aus meinem Entsetzen riß.

Eine große Zahl Berichterstatter aus dem heutigen Indien behaupten in
Buchern und Journalen immer wieder, dies Land sei aller Geheimnisse und
Wunder und aller Mystik langst entkleidet. Wahrscheinlich kennen sie von
Indien nur die neumodischen Hotels. Ich habe den poetischen Glanz der Veden
und den Geist Kalidasas uberall gefunden und erst im Lande selbst recht
wurdigen und fassen gelernt, und der bedauernden Ernuchterung der modernen
Propheten habe ich nur den Kummer entgegenzuhalten, daß meine Krafte nicht
ausreichen, von den mystischen Herrlichkeiten und dem geheimnisvollen
Zauber aller Erscheinungen ein rechtes Bild zu geben. Wer allerdings die
Wunder Indiens in der Kunst der Taschenspieler sucht und enttauscht ist,
wenn ihm keine Gelegenheit geboten ist, auf einem frei hangenden Seil
emporklettern zu konnen, wird seine Erwartungen nicht erfullt sehen, aber
er wird nicht nur in Indien, sondern uberall in der Welt enttauscht sein,
wo er glaubt, etwas Rechtes erleben zu konnen, ohne etwas Rechtes zu sein.
Denn das Mystische ist weder das Dunkle und Unklare, noch das phantastisch
Bedrohliche unverstandlicher oder geheimnisvoller Vorgange, sondern es
umschließt, seiner tieferen Bedeutung nach, viel eher die Gewißheit ewiger
Wahrheiten in ihrem Fortwirken jenseits unserer Erkenntnis.

Jener Knabe nun, den ich vor meinem Hause fand, bot mir seinen Affen zum
Kauf an, ich erfuhr durch Panja sein Anerbieten und den nutzlichen Zweck,
der sich fur jeden Garteninhaber mit dem Besitz eines Affen verbinde. ≫Er
holt die Kokosnusse aus den Palmen≪, erklarte mir Panja. Das kleine,
graubraune Tierchen, das etwa die Große eines Foxterriers hatte, sah mich
von seinem erhohten Sitz ruhig aus seinen alten Zugen an. Es war an einer
Kette befestigt, deren Ende einen Ring um seine hageren Lenden bildete.
Der Knabe erklarte sich bereit, seinen Affen vorzufuhren, und in der Tat
zeigte sich das Tier außerordentlich gut unterrichtet. Kaum war er von
seiner Fessel befreit worden, als er mit großer Geschwindigkeit eine Palme
erstieg, eine große Nuß abdrehte und sich geduldig wieder festlegen ließ,
nachdem die Nuß gefallen war, und er, um vieles langsamer, wieder
niederkletterte. Panja verhandelte mit dem Knaben wegen des Kaufpreises,
und wahrend ich, ohne zu verstehen, die beiden beobachtete, gewahrte ich,
daß eine sichtbare Besorgnis das Gesicht des Hinduknaben betrubte. Er
schien begierig und traurig zugleich. ≫Er will seinen Affen nur vermieten,≪
erklarte Panja, ≫das kommt daher, daß er ein Dummkopf ist.≪

Mir schienen die Dinge anders zu liegen; ich bemerkte deutlich, daß der
Knabe heißes Verlangen nach der Kaufsumme trug, die er zu erzielen hoffte,
daß er sich aber schwer fur alle Zeit von seinem Affen zu trennen
vermochte.

≫Biete ihm funf Rupien als Kaufsumme≪, sagte ich.

Panja bot eine. Der Knabe zitterte heftig, denn schon diese kleine Summe,
die nach unserem Geld noch nicht zwei Mark ausmacht, bedeutete ihm einen
großen Schatz. Da die Ergriffenheit des Kindes mich deshalb fesselte, weil
ich deutlich zu fuhlen glaubte, daß nicht einzig seine Geldgier ihn
bewegte, gab ich Panja ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß ich
vorubergehend Gehorsam von ihm forderte. Er wußte, daß ich genug
kanaresisch verstand, um ihn kontrollieren zu konnen, und sank in eine
Haltung gottergebener Verzweiflung zusammen, die er stets einnahm, wenn ich
meinem Untergang entgegenging, ohne seine Hilfsbereitschaft zu beachten.
≫Weshalb willst du den Affen nicht verkaufen?≪ ließ ich fragen.

≫Ich habe sonst kein Eigentum≪, antwortete das Kind.

≫Aber wenn ich dir eine große Summe gebe, so kannst du leicht neue Affen
erstehen. Ich biete dir funf Rupien.≪

Panja verschluckte sich bei der Summe und mußte sie noch einmal sagen.

Der Knabe zitterte so heftig, daß ich ihn am liebsten in die Arme
geschlossen hatte. Er sagte zogernd:

≫Es ist kein Affe so gut wie Huc. Aber,≪ fugte er schnell und muhsam hinzu:
≫fur diese große Summe will ich ihn dir geben. Du wirst Huc weder schlagen
noch toten, und wenn du erlaubst, werde ich zuweilen kommen und durch das
Gartengitter schauen.≪

≫Weshalb verkaufst du ihn, wenn du deinen Affen liebst?≪ fragte ich.

≫Soll ich so was wirklich ubersetzen?≪ fragte Panja.

Ich sah ihn an, und er ubersetzte meine Worte wie ein Automat.

≫Meine Eltern hungern≪, sagte das Kind einfach, ohne Klage und ohne
Anklage. Und im Verlauf des Gespraches erfuhr ich eine merkwurdige
Geschichte, die mich lebhaft fesselte. Der Vater dieses Knaben war von der
deutschen Missionsgesellschaft in einer Weberei, die in Cannanore von den
Missionen unterhalten wird, angestellt gewesen, nachdem er sich zum
Christentum bekehrt hatte. Da er sich aber im Verlauf seiner Tatigkeit
wiederholt Diebstahle hatte zuschulden kommen lassen, war er entlassen
worden. Seine Stammesgenossen, die ihn langst als Abtrunnigen betrachtet
hatten, wollten nun, bei seiner Wiederkehr in ihr Bereich, nichts mehr von
ihm wissen, und er war hier wie dort ein Geachteter geworden und in Elend
geraten. Nun begriff ich wohl, daß man in einer Industrie keine Diebe
gebrauchen kann, aber der Gedanke, ob im Tempel eine Weberei am Platze sei,
erfullte mich nach dieser Erfahrung mit mancherlei Zweifeln. Die Wechsler
und die Priester werden in keinerlei Gotteshaus zum Segen einander dienlich
sein, am wenigsten in einem christlichen.

Ich sollte auf diesem Gebiet noch recht unterhaltsame Erfahrungen machen,
und es stand mir noch bevor, einige dieser Gottesboten kennen zu lernen,
sowie auch den Geist und Wert ihres Wesens. Panja mußte nun zu seiner
Bekummernis mit dem Knaben einen Vertrag abschließen, nach welchem mir das
Recht auf den Affen Huc fur zwei Monate zustand, wogegen ich die Summe von
funf Rupien im voraus als Gebuhr entrichtete. Dem Besitzer stand es zu,
seinen Affen zweimal in der Woche zu besuchen und ihn abzuholen, falls ich
fruher als in der ausgemachten Frist Cannanore verließ.

Das Kind eilte glucklich heim, und Panja kundigte mir den Dienst; dies
hatte aber weiter nichts zu bedeuten, denn er tat es oft. Als ich von
seiner Abkehr keine Notiz nahm, blieb er stehen und sah mich an.

≫Sahib,≪ begann er, ≫du wirst in wenigen Wochen ruiniert sein, und was wird
dann aus mir und meiner alten Mutter, meinen Geschwistern, den Schwestern
meiner Mutter und den Reisfeldern am Purrha?≪

Ich erwiderte hoflich:

≫Panja, als ich dir vor wenigen Wochen die zehnte Rupie deines Vorschusses
ausbezahlte, sagtest du mir, deine Mutter sei gestorben, und du brauchtest
das Geld fur ihre Bestattung.≪

≫Es war meine Großmutter,≪ sagte Panja, ≫soll ich dir von ihr erzahlen?≪

≫Deine Großmutter starb bei unserer Ankunft in Bitschapur.≪

≫Du wirfst alles durcheinander,≪ sagte Panja traurig, ≫nur den Vorschuß
behaltst du richtig im Gedachtnis.≪

Diesen Tadel meiner Gesinnung zog ich mir deshalb zu, weil Panjas Vorschuß
doppelt so groß war, als ich gewagt hatte, anzufuhren, und ich nahm mir
ernstlich vor, kunftig ehrlicher zu sein.

Als ich gegen Abend vom Meer heimkehrte, nachdem ich am Strand der
Fischerstadt ein Boot erhandelt hatte, fand ich Huc in meinem Zimmer. Panja
war nirgends aufzutreiben, und Pascha servierte mir schweigend den Reis am
Ausgang zur Veranda. Ich sah seinen Bewegungen und dem gelassenen Schaffen
des Mannes zu. Er nahm die Tonkruge mit gekochtem Wasser aus ihren
Bambusschaukeln, in denen sie zur Kuhlung geschwenkt werden, trug die
Speisen und Fruchte ernst und sorgfaltig herzu, alles in kleinen Gerichten
und zierlich verwahrt, Fruchte des Zimtapfelbaums, Ingwer, gerostete
Pisangfruchte und Reis mit Curry und Kokossaft. Ich hatte mich damals
langst an die indische Kost gewohnt, die in ihrer großen Mannigfaltigkeit
wahrhaft kennen zu lernen wenigen vergonnt ist, denn selbst in den
Hinduhotels bemuhen sich die Eingeborenen, den Europaern die Speisen auf
deren Art zuzubereiten. Wer den Reichtum der indischen Fruchte kennen
gelernt hat und ihre Art seinen Bedurfnissen anzupassen versteht, ist in
Indien wohl daran und wird diese erfrischende und gesunde Ernahrungsart
jeder anderen vorziehen und niemals vergessen.

Als Pascha die Ananas und die Bananen brachte und die ersten Mangofruchte,
die noch nicht in Malabar gereift waren, sah er Huc, den Affen, neben den
Speisen auf dem Tisch sitzen und erschrak.

≫Ich werde ihn hinausbringen≪, sagte er.

Aber ich erklarte ihm, daß ich mit Huc sprechen musse, und er ging still
hinaus. Anfanglich hatte der Affe nur geringes Zutrauen zu mir gehabt und
sich in seiner weichlichen Vorsicht immer wieder zuruckzuziehen versucht,
aber bald hatte er herausgebracht, daß ich es gut mit ihm meinte, und in
seiner scheinbar so nachlassig abwartenden Art betrachtete er mich und nahm
zogernd mit matter, immer ein wenig hangender Hand, was ich ihm darbot. Er
hatte großes Mißtrauen gegen die Menschen, der Arme, denn einem gefangenen
Affen ist in Indien kein gutes Los beschieden, er muß den Haß und die
Verachtung erleiden, die seinen rauberischen Gefahrten gelten. Jeder
Vorubergehende vergnugt sich eine Weile damit, an dem Gefangenen einen Teil
seines Zornes auszulassen, den seine Bruder in der Freiheit mit ihrem
frechen, spottischen Wesen, in der Sicherheit ihrer Palmenkronen,
heraufbeschworen haben. Am schlimmsten aber setzen die Kinder ihm zu, deren
gedankenlose Grausamkeit in keinem Lande schlimmer ist, als in Indien, da
die Verdorbenheit der Gesinnung und des Blutes schon fruh hinzukommt; und
wieviel gilt in Indien das Leben eines Affen, wo kaum das Leben eines
Menschen etwas gilt. Der Knabe, der mir Huc gebracht hatte, bildete in
seiner Stellung zu dem Tier eine Ausnahme.

Die Abendsonne schien noch. Da ich im Garten eine schmale Bresche in das
Dickicht hatte schlagen lassen, so war nun ein Ausblick auf das Meer
hinuber moglich, aber ich sah nur die Hochebene, hinter der es atmete,
spurte seinen kuhlenden Hauch und vernahm sein gedampftes Drohnen an den
Felsen. Auf der Hohe der Ebene erblickte ich die Silhouetten zweier Palmen,
deren eine kerzengerade emporstieg, wahrend die andere sich demutig in
einem sanften, ebenmaßigen Bogen zur Seite neigte. Fein und schwarz, wie
mit Kohle gezeichnet, sah ich diese zierlichen Figuren in der Ferne gegen
das Ampelrot des Abendhimmels, sie erhoben sich in der Melodie des Meeres
mitten auf jenem Wege in die Freiheit des Himmels, den meine Augen nun
Abend fur Abend nahmen, so lange ich in Cannanore weilte. Lange noch,
nachdem ich die Stadt verlassen hatte, erschien oft dies Bild unter meinen
geschlossenen Lidern und mit ihm die verlorenen und versunkenen Gestalten
meines indischen Lebens, dessen Herrlichkeit kein irdischer Mund wird
nennen konnen. Im Getriebe der tobenden Großstadte Europas, mitten im
Straßengetummel, in erleuchteten Salen unter schwatzenden und lachenden
Menschen, oder in der einsamen Ruhe meines nachtlichen Arbeitsraums
erscheint mir bisweilen noch dies einfache Bild, und mit ihm ersteht die
große Melodie des Ozeans und der Ruf des Wassers an den dunklen Felsen. Das
unstillbare Heimweh nach der Fremde liegt darin beschlossen und ein großer
Friede.

Die Nacht sank nieder, aber Huc tat deutlich den Wunsch kund, noch in
meiner Nahe zu verweilen, und ich ließ es zu, da mich ohne Aufhor das
merkwurdig beklemmende Bewußtsein gefangenhielt, daß wir einander in Rede
und Antwort noch vieles schuldig seien. Kein Lebewesen der Schopfung lost
in so hohem Maße den Hang zur Nachdenklichkeit uber sich selbst in uns aus,
wie der Affe. Wahrend ich langsam ein Glas des schweren indischen Palmweins
nach dem andern meiner isolierten Seele gonnte, zog der gewohnte Reigen
meiner Traumgestalten, von Weinlaub bekranzt, an meinen Augen voruber, und
langsam verlor mein Herz die Kraft des Alltags, um sie gegen eine bessere
und hohere Kraft einzutauschen, die keine irdischen Erweise ihrer Gewalt zu
geben vermag. Wahrend dieser Stunde saß Huc still und nachdenklich vor mir
und betrachtete mich geduldig. Seine merkwurdig zarten, hellgrauen
Augenlider, die an dunnen Guttapercha erinnerten, hoben sich nur selten
uber die Halfte des scheinbar ermudeten Auges empor, und die dunklen
Greisenhandchen mit den schwarzen Nageln fuhrten ein schlafriges und
gesondertes Leben, von dem seine Gedanken nichts zu wissen schienen.

≫Huc,≪ sagte ich zu ihm, ≫mein geliehener Affe, der Gang, den das
menschliche Herz antritt, wenn es sich ohne Gesellschaft den beschwingten
Fuhrungen des Weins anvertraut, ist uberall in der Welt der gleiche, nur
im Grad voneinander unterschieden, aber in seiner Art wie die Gemeinschaft,
derer alle teilhaftig werden, die sich unter die Segnungen eines Sakraments
stellen. Ist es nicht zuerst, als traten die Sorgen des Alltags einen
stillen Ruckzug an, daß unser Gefuhl erstaunt und sehr erfreut nach der
Ursache dieser Flucht forscht? Auf der nun begrunten Walstatt ihres
qualenden Aufenthalts erhebt sich der freundliche Engel unserer Hoffnung,
der, ohne unsere Augen zu blenden, in feierlicher Weise das Schonste
unserer Zukunft zur Gewißheit macht, so daß wir unvermerkt und heimlich am
Ziel unserer Wunsche angelangt sind. Aber so ist es mit uns, Huc, an diesem
Ziel wird uns plotzlich traurig zumute, weil es solcher Gestalt Guten, wie
der Wein sie aus uns macht, nicht wohl tut, ohne Verlangen zu sein, es
entsteht uns aus dem erreichten Ziel nicht mehr als ein Ausblick auf ein
neues. Und mit der zugleich schmerzvollen und doch seligen Ahnung, daß es
immer so bleiben wird, erwacht in unserm Herzen das Heimweh nach einem
bleibenden Gewinn.≪

≫Prost≪, sagte Huc.

≫Du mußt mich jetzt nicht storen≪, antwortete ich in jener Bekummernis, in
die leicht Leute geraten konnen, die ihre Gedanken viel wichtiger nehmen,
als sie sind, und die deshalb glauben, man wollte sie ablenken, wenn man
ihre Ergriffenheit nicht teilt. ≫Huc, wir mussen nun sehen, wo dieser Trost
zu finden ist, und in welcher Gestalt er einhergeht. Er taucht aus dem
Grund unseres Glases hervor, aus dem Schatten des Kelchs und wird zum
Bildnis einer Frau auf seinem goldenen Spiegel.

  Alles was wir gern geglaubt
  strahlt aus seinem Grund,
  Jesu schmerzgeneigtes Haupt
  und der Liebsten Mund.≪

≫Keine Verse, bitte≪, sagte Huc.

≫Vergib,≪ antwortete ich, ≫es kommt zuweilen vor, ohne daß man es
beabsichtigt, aber ich begreife, daß die Wesen selten sind, die erkennen
konnen, daß man die Dinge wahrhaft schon nur in Versen sagen kann. Sieh
nun, Huc, das Bildnis dieser Frau gleicht dem keines dieser Wesen, die wir
kennen, die Schonheit und Milde dieses Angesichts ist niemals in der Welt
zu finden, und darin liegt sein unnennbarer Trost. Aus dem Grund ihrer
Augen erstrahlen das unvergangliche Leben und der irdische Schlaf, und vom
Schlaf steigen liebliche Schleier empor, wie der Duft des Jasmins in der
Sommernacht, und legen sich uber unsere Augen, so daß wir in Ruhe
versinken, als hatten wir uns nichts gewunscht, als diese gnadige Ruhe.≪

≫Ein Asket bist du also nur,≪ antwortete Huc, ≫weil der Weg dorthin mit
einer Reihe genußreicher Annehmlichkeiten verbunden ist.≪ Er fuhr sich
rasch mit der Hand uber die schmalen Lippen seines großen Mundes, der wie
in eine dunkle Halbkugel eingeschnitten war, und ließ dann mit
hochgezogenen Brauen die Hand wieder sinken, als habe er sie vergessen.
≫Gib einen Schluck her≪, fuhr er fort und zog die Schultern hoch, wobei
sein Kopf vorruckte und mir so groß erschien wie ein Menschenkopf. Er trank
vorsichtig, leckte sich umstandlich die Lippen und atmete so schmerzvoll
auf, wie nur Menschen aufatmen konnen.

Es war eine Weile still zwischen uns, die nachtlichen Gerausche der Natur
drangen gedampft zu uns herein und das leise, heimliche Sausen der
reisenden Erde. Da legte Huc die welke Hand auf die Gegend seines Herzens
und sagte einfach:

≫Ich bin schwindsuchtig und werde nicht mehr lange leben, ich will dir von
den Waldern erzahlen. Viel kann ich nicht sagen, denn die Schonheit der
Walder ist so groß, daß die Gedanken und Worte daruber zu Traumen werden,
je naher sie der Wahrheit kommen. Denke nicht, meine Krankheit betrubte
mich, nur armselige Wesen leiden an ihrem Leibe, alle Schmerzen des Korpers
und seine Hinfalligkeit sollte man nur mit einem Lacheln hinnehmen.≪

≫Ich bin erstaunt uber deine Weisheit, Huc≪, sagte ich.

≫Wie hochmutig du sein mußt, um daruber zu erstaunen≪, antwortete Huc ohne
Eifer. ≫Ihr Menschen habt verlernt, in den lebendigen Wesen der Schopfung
den Schopfer zu ehren, und ihr uberschatzt eure Eigenschaften so sehr, daß
ihr daruber diejenigen aller anderen Wesen belachelt. Aber wir sind alle
auf dem gleichen Wege, und wenn wir Sinne hatten die Zeit zu ermessen und
sie in Vergangenheit und Zukunft zu uberschauen vermochten, wurden wir
ehrfurchtiger sein, bescheidener und frommer. Gib einen Schluck her.≪

Ich reichte ihm das Glas, das er mit beiden Handen nahm und langsam mit
geschlossenen Augen leerte.

≫Alle guten Menschen haben den Hang, den Tieren in ihrem Gehabe und Wesen
zuzuschauen,≪ fuhr Huc ruhig fort, ≫es regt ihre Ahnungen einer zukunftigen
Vollendung in Ruhrung und ungewissem Glauben an; andere sind schon viel
weiter und lernen es, die Eigenarten der Pflanzen zu bewundern, die,
obgleich sie sich von denen der Tiere unterscheiden, doch nicht weniger
mannigfaltig sind; wann aber werdet ihr das Leben der Steine beachten? Die
Menschen haben die Geduld verloren. Ich habe lange unter ihnen leben mussen
und darunter nicht nur gelitten, wie du meintest, als du mich ausliehst,
sondern ich habe auch gelernt. Ich habe ihre Hauser und Stadte kennen
gelernt, bin auf Schiffen die Kuste entlang gefahren, so daß die Walder an
den Ufern mir wie feine blaue Nebelstriche erschienen, sogar eine
Eisenbahnfahrt habe ich gemacht, so daß ich weiß, worauf ihr stolz seid. In
der Gesellschaft mit Menschen habe ich mir meine Krankheit zugezogen, denn
ich habe in Regen und Wind und in der furchtbaren Sonne ohne Schutz auf
meinem Pfahl zubringen mussen, an den ich mit einer Kette angeschlossen
war. Du wirst mein letzter Herr sein. Prost!≪

Ich holte ein zweites Glas fur mich herbei und schenkte uns beiden aufs
neue ein. Huc saß still mit seinen alten, nachdenklichen Augen dicht vor
mir auf dem Tisch, so daß unsere Stirnen etwa in gleicher Hohe waren,
zwischen zwei glanzenden Flaschen im Kerzenlicht. Eine Weile spielte er mit
dem farbigen Stanniol, zerriß es und roch daran. Als er es endlich aus den
Handen fallen ließ, als habe er nie Interesse daran bekundet, zweifelte ich
wieder fur einen Augenblick an seiner Bedeutung.

≫Du bist doch nur ein Affe≪, sagte ich, und raffte mich auf wie aus einem
Traum.

Huc zog seinen langen Schwanz melancholisch durch die Hand, hielt endlich
das Ende fest und fragte, das runde Maul mit einem Ruck auf mich zustoßend:

≫Wieviel hast du eigentlich schon getrunken?≪

Ich entschuldigte mich beschamt; so war also Huc doch im Recht, wie ich
gleich anfangs angenommen hatte, als er mich von der Schulter seines jungen
Herrn aus mit seinem unbeirrbaren Ernst und seiner versunkenen
Uberlegenheit angesehen hatte. ≫Erzahle von den Waldern≪, bat ich.

≫Ich meine oft,≪ begann Huc ruhig, ≫ich kenne die Walder erst, seit ich sie
habe verlassen mussen, weil ich mich von jenem Tage an, Stunde fur Stunde,
bis tief in meine Traume hinein habe mit ihnen befassen mussen, und daruber
habe ich auch erfahren, daß das Geliebte erst recht unser Eigentum zu
werden scheint, wenn wir es verloren haben. Alles Kleine ist dahingesunken,
und mir ist nur ein einziges strahlendes Bild von herrlicher Freiheit im
Gemut zuruckgeblieben, es ist verwoben mit dem weißen Licht des Mondes
uber dem Blatterdach der Baume, mit dem Spiel des Sonnenscheins im frischen
Grun, mit dem Lied der Nachtigall am Wasser und dem Geruch der Bluten,
deren es so viele gibt, wie unsere Sinne nur immer an Farben und Gestalten
ersinnen konnen. Du wirst langer leben als ich, so will ich dir die
Sehnsucht nach den Waldern als Erbteil zurucklassen, bewahre sie.≪

Ich hob mein Glas, um es als Zeichen der Bestatigung aufs neue zu leeren,
aber Huc trank nicht mehr mit. Er schmiegte sich an die eine Flasche, die
nur um weniges kleiner war als er, als konnte ihr buntes Funkeln im
Kerzenschein ihn warmen, und sprach eintonig und scheinbar ohne
Begeisterung weiter, seine Zuge lachelten weder, noch verrieten sie Trauer.

≫Es war an einem Fruhlingsmorgen, als ich in Gefangenschaft geriet, meine
Heimat liegt weit von hier, in den Dschungeln von Mangalore, der alten
Priesterstadt am Meer. Ich geriet auf einem Reisfeld in eine Schlinge, die
von den Menschen gelegt worden war, und ergab mich in mein Geschick, als
ich merkte, daß das Hanfseil unzerreißbar war, das sich mir um Arm und
Schultern gelegt hatte. Zwei Knaben schleppten mich in eine armselige
Hutte, die aus Lehmwanden und Palmblattern zwischen den hangenden Wurzeln
eines wilden Feigenbaums errichtet worden war. Es roch nach Sandelholz und
verbranntem Kuhmist und war so dumpf und dunkel, daß ich lange Zeit wenig
erkannte. Als ich nach der ersten Nacht am Morgen erwachte, sah ich den
Sonnenschein auf den Bananenblattern vor dem engen Fenster und dachte an
die Gefahrten in der Freiheit, die sich nun, wie einst auch ich, auf den
Wipfeln der Arekapalmen im Morgenwind schaukelten und den Kranichen
zuschauten, die auf den Sandinseln im seichten Wasser des Flusses standen
und fischten. Wenn ich meine Augen schloß, so horte ich das Wasser
rauschen und die Stimmen der Schilfpflanzen am Ufer. Ich horte die Lockrufe
der Wildtauben aus den dichten Lauben des Geholzes dringen und sah den
Panther durch das Ried schleichen, um zu trinken. Er bewegte sich zwischen
den Sonnenspeeren und Schattenstrichen des hohen Schilfs, als spielten
Sonne und Wind mit Schatten und Licht, und niemand erkennt ihn, wenn ihn
sein heiseres Keuchen nicht verrat, oder sein dampfender Atem, der von dem
Blutgeruch seines nachtlichen Raubs schwer ist. Hoch uber mir sang der
Milan seinen hellen Jagdruf im Blauen, nach Beute ausspahend, wie von Gold
ubergossen schwebte er klein und selig in der kuhlen Morgenhohe, uber dem
wilden, grunen Meer des Dschungels. Ich saß Schulter an Schulter mit den
Gefahrten in der rotlichen Fruhsonne in der Hohe, atmete die herrliche Luft
ein und fuhlte die schweigsamen Bewegungen der unzahligen Pflanzen unter
mir, die sich gegen die Sonne emporreckten. Du wurdest lernen, das
leidvolle und suße Gerausch der aufbrechenden Blumen zu horen, wenn du mit
mir im Urwald gelebt hattest, du konntest den Duft des ersten Aufbrechens
vom Hauch des Verbluhens unterscheiden, und das wollustige Drangen, das
sehnsuchtige Keimen, und die Hingabe dieser Geduldigen, in der Lust und Not
ihres Fruhlings Erzitternden.

Aber was ist euch Alltaglichen nicht alles wichtig und wie vielerlei
Geringfugiges setzt ihr hoher an, als die beschauliche Gemeinschaft mit dem
Leben der großen Natur. Wir Affen gelten bei euch als ein unnutzes
gedankenloses Volk, das nichts Gescheites zustande bringt und seinen Tag
vertandelt. Aber wieviel wißt ihr vom Gluck unseres freien Daseins in der
Sonne oder im Mondglanz in der weißen, garenden Nacht, von unserer
Gemeinschaft mit dem unschuldigen Geschick der tausendfaltigen Geschopfe
der Natur? Glaubst du, wir gaben nicht fur eine einzige Stunde friedvoller
Gemeinschaft mit den Glucklichen des Waldes den ganzen Tand dahin, um
dessentwillen ihr euch euren hastigen Tag hindurch so wichtig gebardet? Die
Wahrheit, daß wir euer Wesen nicht haben, schließt uns vom irdischen
Daseinsgluck nicht aus, und habt ihr denn in der Zeitlichkeit ein anderes
Ziel als das Gluck? Ihr verlacht uns, wenn ihr uns unsere Freiheit genommen
habt, und vergeßt, daß wir ohne sie nichts mehr sind. Nur im Gluck lernt
man ein Wesen wahrhaft kennen, denn das Gluck ist die Vorbedingung zum
wohlabgewogenen Selbstbewußtsein, und aus dem Selbstbewußtsein kommt alles
Große.≪

≫Was ist denn von euch Affen Großes gekommen?≪ fragte ich.

Huc zog die Achsel hoch, und sein Gesicht wurde grau und alt, als waren
Jahrtausende uber diese Zuge dahingegangen; er bekam etwas von einer
agyptischen Mumie und zugleich etwas schwermutig Tierhaftes von
unbeschreiblich drohendem Ernst.

≫So kann nur ein Mensch fragen,≪ sagte er matt. ≫Immer noch glaubt ihr, der
Natur etwas hinzufugen zu konnen, und meint, etwas erschaffen zu mussen, um
bestehen zu bleiben. Euer ewiger Bestand hat nichts zu tun mit euren
Werken, und solange ihr glaubt, euch im Streben Erlosung zu sichern,
beweist ihr nur, daß ihr nicht wißt, was Erlosung ist. Das Große, das dem
rechten Selbstbewußtsein entspringt, ist nicht Werk von Menschenhand,
sondern die Liebe zu allem Erschaffenen der Natur.≪

≫Was weißt denn du von Gott, du Affe!≪ sagte ich.

≫Es kommt nur darauf an, daß Gott etwas von mir weiß,≪ antwortete Huc, ≫und
er tut es. Unglucklich sind nur diejenigen, derer Gott sich nicht
erinnert.≪

≫Das ist wahr, Huc, das ist wahr, ich habe dir unrecht getan, Huc.≪

≫Nun fangst du gar an, mir zu glauben,≪ entgegnete der Affe melancholisch,
≫nichts konnte mich mehr an der Wahrheit meiner Worte irre machen.≪

Huc hatte nun einmal keine gute Meinung von mir, ich weiß nicht, wodurch
ich sein Mißfallen erregte, vielleicht dadurch, daß ich zu viel Palmwein
getrunken hatte.

≫Erzahle von den Waldern,≪ bat ich, ≫uber Gott soll man nicht streiten,
kein Weiser streitet uber Gott.≪

≫Das ware fur dich ein Grund, es zu tun≪, sagte Huc, offnete sein Maul ein
wenig, so daß ich seine Zahne blinken sah, und es erschien mir plotzlich,
als lauerte eine erschreckende Bosheit hinter seinen Zugen.

Es ergriff mich uber dieser Wahrnehmung ein unbeschreiblicher Zorn, dessen
Ursprung gewiß nicht allein in diesem heimlichen Hohn des Tieres zu suchen
war, sondern vielmehr in jener an Wut grenzenden Beschamung, in welcher man
das Gebaude einer falschen Gotterkenntnis unter den einfaltigen
Liebesanspruchen der Natur zusammenbrechen fuhlt. In Besinnungslosigkeit
und Verblendung ergriff ich jahlings eine der Flaschen, packte sie am Hals
und schwenkte sie hoch durch die Luft, um sie mit einem wuchtigen Schlag
auf Hucs kahlem Schadel zu zerschmettern. Die Scherben stoben in einem
bunten Regen nach allen Seiten auseinander und ich glaubte einen dunklen
Schatten davonhuschen zu sehen, als ich die von einem jahen Licht
geblendeten Augen offnete.

Da erkannte ich, daß draußen die Morgensonne auf die Blatter schien, und
daß ich in der Nacht am Tischrand auf meinen Armen eingeschlafen war.
Besturzt und benommen sah ich mich um, denn das Klirren des Glases lag mir
so deutlich im Ohr, daß kein Zweifel daruber herrschen konnte, daß eine
Flasche zerschlagen war. Da erkannte ich, daß ich im Schlaf ein Glas vom
Tisch gestoßen hatte, am Boden blinkten die Scherben im Morgenlicht, und
vom halbgeoffneten Fenster her wehte es kuhl herein und brachte das
Geschrei der Sittiche aus den Mangobaumen mit sich. Ich raffte meine
erstarrten Glieder muhselig auf, eins nach dem andern, und gahnte uber die
stille dunkle Weinlache hin, die den Tisch zierte, und in der meine Zigarre
jammerlich ertrunken war. Immer noch ein wenig betaubt, buckte ich mich
endlich nieder, um Hucs Leiche aufzulesen, aber ich fand den Affen
nirgends. Da fiel mein Blick auf das ungeschlossene Fenster, und mit leisem
Schreck begriff ich Hucs Geschick. Ich trat, nicht ohne einen Anflug von
Altersschwache, mit geraden Beinen und etwas krampfhaft geschwenkten Armen
auf die Veranda hinaus und richtig fand ich Huc auf dem Gipfel einer
Papeiapalme. Es sah aus, als saße er auf seinen Handen, dabei schaukelte er
sich seelenvergnugt nach besten Kraften, und auf meinen Zuruf hin schaute
er nieder, zog den Kopf zwischen die Schultern und zeigte mir fletschend
die Zahne, als verlachte er mich. Aber bald wurde ich ihm gleichgultig, er
blinzelte in die rote Morgensonne hinein, ließ den Zweig ausschwanken, wie
er wollte, legte den kleinen, klugen Menschenkopf in den Nacken und schloß
vor Lebensseligkeit die Augen.

Als ich ins Zimmer zuruckging, stand Panja in der geoffneten Tur, die Hande
auf dem Rucken, morgenfrisch und ausgeschlafen stand er da, den sauberen
Turban auf dem kohlschwarzen Strahnenhaar, und seine Augen wanderten mit
unaussprechlichem Ausdruck von der umgestoßenen Weinflasche bald zu den
Scherben am Boden, bald uber meine arme Gestalt hin, die in der Tat der
Frische und Schwungkraft entbehrte.

≫Sahib...≪, sagte er und stemmte die Hande in die Huften.

Ich will den Ausdruck seines Gesichts nicht schildern, es ist eine
unangenehme Erinnerung fur mich. Nun wird er nach dem Affen fragen, dachte
ich, aber es geschah nicht. Panja war seit dieser Nacht, nach welcher er
Elias allein in meinem Bett gefunden hatte, davon uberzeugt, daß selbst er
mir nicht zu helfen in der Lage sei. Er sagte nur in einer ganz
abscheulichen Uberlegenheit, die ich ihm nicht vergessen werde:

≫Sahib, es ist ein Fischer draußen, der dir sagen laßt, der Ostwind sei
gekommen, und dein Boot sei fur die Meerfahrt bereit.≪

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