Wenn dein Gott dich das lehrt,≪ sagte Panja, ≫so kennt er die Welt nicht und weiß nicht, wie es in ihr zugeht.≪
≫Vielleicht weiß er nicht, wie sie ist, aber er weiß, wie sie sein sollte.≪
≫So sage mir, was du Freiheit nennst? Wie soll ich dich verstehen?≪
≫Freiheit beginnt mit der Erkenntnis und dem Willen, daß man sein Handeln nicht mehr danach richtet, was man anderen damit antut, sondern danach, was man sich selbst zufugt, oder was man um seiner selbst willen unterlaßt. Nimm an, du schlagst einen Menschen oder ein Tier, das mag zuweilen notwendig sein. Du und das fremde Wesen, ihr beide werdet etwas dabei empfinden. Es wird dir solange gleichgultig sein, was ein anderer dabei fuhlt, bis du gelernt hast, zu beachten, was dir selbst dabei durch die Seele geht. Hierauf achtzuhaben und sein Handeln danach einzustellen, ist der erste Schritt zur Freiheit.≪
≫Und der letzte?≪ fragte Panja.
≫Der letzte ist der Wille, alles Bose deines Herzens in Liebe zu verkehren.≪
≫Ich weiß nicht, was gut ist und was bose. Alle Menschen denken daruber verschieden. Die Brahminen denken anders als ich, du denkst anders als die Fakire, die aus den Bergen niedersteigen, und wenn du gar einem Missionar begegnest, so denkt er so daruber, daß sich deine Haare strauben.≪
≫Das ist nicht wahr, du weißt doch, was bose ist, und du brauchst es nur fur dich selbst zu wissen. Es ist nicht deine Aufgabe, dem Bosen zu begegnen, das dir bei anderen entgegentritt. Fur dich selbst aber wirst du es wissen.≪
≫Gut, wenn ich aber keine Liebe habe, Sahib?≪
≫Dann bist du verloren, Panja, dann kann kein Gott dir zur Freiheit verhelfen, der meine nicht und der deine nicht, keiner. Solche Menschen sind wahrhaft arm und verloren.≪
Panja schien sich mit diesem Resultat einer bescheidenen Reflexion zufrieden zu geben, er lachelte vor sich hin, als kame er selbst bei einer solchen Lage der Dinge nicht eben schlecht weg. Aber dann begann er sich zu kratzen, und ich erkannte, durch den Sonnenschein blinzelnd, daß kein außerlicher Grund fur diesen Kraftaufwand vorlag. Er meinte vorsichtig:
≫Was du in deinem Kopf ausdenkst, Sahib, ist gar nicht ubel, aber wenn es herauskommt und man will etwas damit anfangen, so geht es einem ahnlich, als wollte man sich Sonnenlicht fur die Nacht aufheben. Das Leben ist doch anders, das ist die Sache.≪
≫Es ist dunkel, Panja. Dadurch unterscheidet sich unser Herz von unseren Handen, in ihm laßt sich Licht aufheben und bewahren.≪
Ware nicht eine trippelnde Schar kleiner Wilder am Ende des Pfades vom Dorf her erschienen, so hatte sich Panja sicher noch einen Einwand ausgedacht, jedenfalls behielt er insofern auch ohne Entgegnung recht, als die greifbaren Tatsachen des Lebens gebieterisch die Oberhand forderten. Es waren vielleicht zwanzig oder dreißig Hindukinder, die in einiger Entfernung auf dem schmalen Weg den Versuch machten, immer eins vor dem andern zu stehen, da jedes die Absicht mit sich trug, am besten glotzen zu konnen. Dies Bestreben bewirkte, daß das belebte Knauel sich immer mehr naherte, bis endlich die starksten Knaben vorn waren und die Beine in den Boden stemmten, um nicht weiter an uns herangedrangt zu werden. Einige kletterten in die Pfefferranken, und die schwarzen Augen sahen uber den braunen Pausbacken durch die grunen Blatter.
≫Eine Botschaft im Kopf einer alten Frau ist wie Reis in einem groben Sieb≪, sagte Panja und lachte.
≫Es war keine junge da, Panja.≪
Er sah mich neugierig an und meinte dann:
≫Dir ist es gleichgultig, Sahib. Du siehst auf die Frauen meines Landes wie ich auf die Gedanken deiner Stirn.≪
Ich wunderte mich in der letzten Zeit oft uber Panjas Freimut und uber den vergnugten Eifer, mit dem er vertrauensvoll im Element unserer Beziehung umherzuschwimmen begann. Ich empfand daruber große Freude, denn meine Art, mich mit ihm einzulassen, hatte bei den meisten Mannern seines Volkes und seines Standes zu Enttauschungen gefuhrt.
Panja trat gebieterisch vor die lebenden Resultate der erfolgreichsten Bemuhung der Einwohner der Konigsstadt, aber der Eindruck, den er machte, war nicht so groß, als er erwartet hatte. Da kehrte er um, nahm mein Gewehr und ging wieder zuruck. Jetzt wichen ihm die Kleinen scheu aus, und er lachelte befriedigt und hielt eine Ansprache in hindustani, die einen um so starkeren Eindruck machte, als sie nicht verstanden wurde. Er wurde durch ein fernes Klirren und Floten unterbrochen und kam rasch zu mir zuruck.
≫Der Konig kommt,≪ rief er, ≫wenn er nicht zu neugierig ware, wurde er dich wahrscheinlich langer haben warten lassen.≪
Die larmende Musik kam naher, sie spannte seltsam die Erwartung, wie sie hinter den grunen Vorhangen des Dickichts heranruckte, und ihr Rhythmus erschutterte das Blut geheimnisvoll. Das erste, was ich bald darauf erblickte, war der graue Schadel eines riesigen Elefanten und uber ihm das bunte Kattundach eines etwas schiefen Baldachins, der von drei vergoldeten Stangen gehalten wurde und von einer eisernen. Unter dem hellen Dach war ein geflochtener Verdeckstuhl aus Rohr kunstvoll befestigt, und auf ihm saß der Konig von Schamaji und spahte mit eifrig bewegtem Kopf nach seinem Besuch aus. Acht Diener zur Rechten und Linken des Elefanten trugen Facher aus Pfauenfedern, die an dunnen Bambusstangen befestigt und etwas schadhaft waren, ihre vielfarbigen Augen waren zum Teil erblindet, wie auch die Gewander der Gefolgschaft in etwas den Eindruck einer raschen Zusammengesuchtheit erweckten. Immerhin entbehrte der Anblick des Zuges keineswegs einer gewissen Pracht, besonders die Decken des Elefanten gefielen mir wohl und waren, bis auf die faustgroßen, glasernen Edelsteine, wertvoll, von reicher Stickerei und schonem Stoff. Die Musikanten schritten, entgegen der gewohnten Art solcher Festzuge, hinter dem Elefanten, wahrscheinlich hatte der Konig ihnen den Vortritt nicht gegonnt, und so gruppierten sie sich auch eher neugierig, als eben feierlich, und suchten zur Rechten und zur Linken des dicken Ungeheuers soviel als moglich von dem Fremden zu erspahen. Hinter ihnen zog in ungeordneten Haufen das ganze Dorf heran.
Wir waren bis zu einer Lichtung vorangeschritten, und der Konig nickte mir huldvoll zu, nachdem er den Aufstieg der Musik durch eine Bewegung seiner braunen Hand beschwichtigt hatte. Er hieß mich auf englisch in seinem Reich willkommen, nachdem er zuvor einen prufenden Blick auf mein Gepack geworfen hatte. Ich antwortete ihm englisch, und Panja ubersetzte meine Worte, denn er traute dem Konig keine weiteren Kenntnisse dieser Sprache zu, und er behielt darin recht.
Der Konig kletterte hierauf mit großem Geschick von seinem Elefanten, wobei er so selbstverstandlich auf die Schultern seiner Wurdentrager trat, als bildeten sie eine naturliche Treppe. Durch den Abstand, in welchem er sich von mir hielt, deutete er mir an, daß er die abendlandische Sitte eines Handedrucks zu vermeiden gedachte, und ich sagte ihm einige Hoflichkeiten uber sein Ansehen und uber seine Macht, von welchen beiden der Dschungel widerklange. Das gefiel ihm wohl, und so erfuhr ich von ihm, daß er noch einen zweiten Elefanten besaße, der aber nicht mitgewollt hatte, daß mir der Zutritt in seine Stadt offen stunde, und daß ich mein Zelt im Garten seines Schlosses aufschlagen durfte. Wir standen in einem braun-weißen Ring von staunenden Menschen, im Schatten des Elefanten, und sagten uns noch eine ganze Weile angenehme Dinge. Endlich fragte der Konig, was mein Begehr sei.
Panja riet mir rasch, eine Regierungspflicht vorzuschutzen, aber es widerstand mir, und so antwortete ich, daß ich gekommen sei, sein Land und seine Stadt zu sehen, von der ich im Abendland gehort hatte. Ich glaube nicht, daß Panja dies richtig weitergegeben hat, jedenfalls minderte seine Auskunft die Gunst des Konigs nicht herab, und er begleitete uns ins Dorf zuruck, immer bemuht, mir nicht zu nahe zu treten, und außerordentlich unhoflich gegen sein Volk.
≫Bist du ein Englander?≪ fragte der Konig zogernd, und Panja antwortete, bevor ich etwas entgegnen konnte:
≫Der Sahib laßt fragen, ob du ein Konig seist?≪
Das wurde verstanden, ich wunderte mich sehr daruber auf wie freundliche Art, aber man muß die Kalte und Sicherheit der englischen Beamten im Innern Indiens gesehen haben, um zu begreifen, daß diese Gegenfrage keinesfalls das gewohnte Maß der englischen Arroganz uberschritt. So war ich also ein Englander. Wahrscheinlich hatte die Verkundigung meiner deutschen Nationalitat keinen großeren Eindruck auf diesen Fursten gemacht, als wenn sich in Berlin ein Neger mit Stolz als zum Stamme der Aschanti gehorig ausgibt.
Wir kamen uber den Dorfplatz, der, wie mit großen graugrunen Zelten, mit wilden Feigenbaumen umstellt war, deren hangende Wurzeln, wie das Gitterwerk eines Kafigs, den Ausblick auf die fast ganz im Grun verborgenen Hutten anfanglich verdeckten. Das Schloß lag am Ende des Dorfs in einem Hain von wilden Zitronenbaumen und Arekapalmen, es war zweistockig und weiß getuncht, von einem hohen Kakteenzaun umgeben, zwischen dem Termitenbauten naturliche Befestigungsturmchen bildeten. Die mit Bambusgitterwerk verhangenen Fenster schwiegen geheimnisvoll in dem abendlichen Sonnenschein, der schrag durch die Palmen drang, nur zuweilen klirrten die blanken Stabchen leise, als ruhrte sich hinter ihnen die Hand einer Neugierigen.
Ich habe nur den Hof des Hauses betreten durfen und hatte nach dieser kurzen Begrußung den Konig wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht bekommen, wenn nicht ein aufregender Vorfall mein Interesse aufs hochste gespannt und meine zur Stunde nicht sonderlich auf außere Abenteuer gestimmte Seele in ein gefahrvolles Ereignis verwickelt hatte.
* * * * *
Als der rasche Abend niedersank und wir vor unserem Zelt unsere Mahlzeit beendet hatten, vernahm ich aus dem Dunkel des Gartens einen klagenden Sington von merkwurdig einschmeichelnder und zugleich wehmutiger Verlorenheit. So singen zuweilen im Einsamen beschaftigte Menschen vor sich hin, die sich fur unbeobachtet und unbelauscht halten. Es waren langgezogene, wie mit dem schweren Atem hervorgehauchte Tone, nur wenig voneinander unterschieden und tierhaft traurig. Sie wiederholten sich immer wieder und bemachtigten sich meiner auf eine geradezu damonisch zwingende Art, so daß ich mich getrieben sah, ihnen wider meinen Willen nachzugehen. Panja ließ mich auf diesem Streifzug durch den nachtlichen Garten nicht allein. Die Sterne schienen hell, und die riesigen Blatter der Bananenstauden zur Rechten und zur Linken der schmalen Wege erhoben sich wie gesturzte und sinkende Saulen eines heidnischen Bollwerks gegen die Macht boser Gotter, oder sie hingen zerrissen im Sternenschein nieder, wie die Haute zerfetzter Ungeheuer.
≫Der Konig gibt uns Boote,≪ sagte Panja leise, ≫aber er erwartet eine Bezahlung, die seiner Wurde entspricht. Er hat auch Ruderer ausgewahlt, sogar Bananen, Papaya und Gewurze fur den Reis.≪
Ich nickte schweigend, wir sprachen nicht uber die Tone, die uns lockten. Vielleicht setzte Panja voraus, daß ich wußte, um was es sich handelte, vielleicht hielt ihn eine ahnliche Scheu von seinen Mitteilungen ab wie mich vom Fragen.
Dicht am Kakteenzaun des Gartens erhob sich nach einer Weile schwarz und machtig die holzerne Pagode eines Tempels, wir sahen in den Hof hinuber, was vom koniglichen Garten aus moglich war, und erblickten die heilige Ziege zwischen den braunen Pfahlen des Vorplatzes zum Heiligsten. Es ruhrte sich nichts an der geweihten Statte, nur ein schwacher, rotlicher Lichtschein glomm hinter dem niedrigen dunkeln Turrahmen, als ware ein Vorhang aus zartroter Seide vor dem geheimnisvollen Raum ausgespannt.
Als unsere Schritte sich einem Bambusdickicht naherten, hinter dessen leise sirrendem Gefieder der Umriß eines niedrigen Gebaudes sichtbar wurde, verstummte der trube Singsang, ahnlich wie der Grillengesang im hohen Gras erlischt, wenn ein nachtlicher Spaher herantritt. Wir drangen in die hohen Stauden ein, auf einem schmalen, kaum sichtbaren Pfad, uber uns hingen die Sterne im dunnen Bambusblatterwerk, wie stechende, kleine Ampeln. Hinter einer vergitterten Tur, im Schwarzen, erklang ein schwaches Stohnen, dicht an den holzernen Staben.
≫Wir mussen Licht haben≪, sagte ich leise zu Panja.
Dies ware nur durch eine Fackel moglich gewesen, und ihr Schein hatte uns verraten. Wir waren unserem koniglichen Gastgeber wohl kaum als sonderlich hoflich erschienen, wenn er uns daruber ertappt hatte, wie wir sein hausliches Bereich nachtlicherweile durchforschten.
≫Wenn wir warten, so werden wir sehen lernen≪, meinte Panja. Die Sterne schienen sehr hell, ich horte mein Herz klopfen und stand unentschlossen.
≫Ist es ein Tier?≪ fragte ich Panja.
Er sah mich uberrascht an, als hatte er mich fur unterrichtet gehalten und wundere sich nun uber meine Frage.
≫Ein Tier? Es ist ein Weib, das klagt≪, sagte er. ≫Vielleicht hat die Liebe sie verwundet, vielleicht erleidet sie eine Strafe.≪
Ein truber Dunst, der den Atem benahm, schlug mir entgegen, als ich nun nahe an das Holzgitter herantrat. Meine Furcht war jenem gedankenlosen Mut der Emporung gewichen, der mit Panjas Worten in mir erwachen mußte. Ich hielt mich seitlich, um den schwachen Lichtschein auf die dunkle Offnung fallen zu lassen. Das niedrige Hauschen war gemauert und glich einem vernachlassigten Stall.
≫Wer ist dort?≪ fragte ich auf kanaresisch. Panja stand dicht hinter mir. Da sah ich nach einer kurzen Weile bedrangten Wartens ein schmales Menschengesicht, merkwurdig farblos und von kranker Blasse, zwischen zwei Staben des Gitters erscheinen. Rechts und links von dem schwarzen Haar, das gelost niedersank, erblickte ich die erschreckend mageren Finger der Hande, die in der Hohe der Augen je einen Stab umklammerten. Diese Erscheinung war im nachtlichen Licht so grauenhaft in ihrer Verdammnis, als tauchte das Gesicht einer langst Verstorbenen aus der Gruft empor. Die großen dunklen Augen saugten die Nacht auf und gaben sie in lahmender Stille zuruck. Mir war, als erlosche mein Herz, und ich taumelte und ergriff Panjas Arm.
≫Komm, Sahib,≪ sagte er, ≫wenn sie krank ist, so schleicht die Seuche in deine Glieder.≪
≫Ist sie krank?≪
≫Ich weiß es nicht≪, sagte er zogernd.
≫Du weißt es doch≪, schrie ich, die Zahne aufeinander gepreßt.
Panja erschrak.
≫Ich weiß nur, Herr, daß untreue Frauen in diesem Lande auf solche Art bestraft werden, aber es ist moglich, daß sie erkrankt ist.≪
Mich verließ der Rest meiner naturlichen Besinnung, ich packte einen der Holzstabe des Gitters mit beiden Fausten, stemmte den Fuß gegen die Bodenmauer und setzte jenen großen Aufwand entfesselter Kraft ein, den die hochste Emporung uns verleihen kann, aber meine Bemuhung war vergebens, da die Stabe aus Bambus waren.
Panja zog mich zuruck. Ich entsinne mich nicht, daß er mich jemals vorher beruhrt hat, und mehr diese Kuhnheit als seine Absicht brachten mich zur einsichtvolleren Betrachtung der Lage, die zweifellos recht schwierig war, wenn ich erwog, daß ich auf jeden Fall alles einsetzen wollte, dieser Unglucklichen ihr Geschick zu erleichtern, und mich zum andern die Angelegenheit durchaus nichts anging. Der Konig wurde mir einen eigenmachtigen Eingriff in seine Rechte niemals verzeihen, und wenn seine Machtbefugnisse auch keinesfalls so groß waren, wie er wahnte und vorgab, so hatte ich andererseits nicht den Ruckhalt, den er bei mir vermutete. Die Englander pflegen die Gebrauche und die personlichen Gewohnheiten der vornehmen Hindus, wie auch die der Brahminen auf das zuruckhaltendste zu respektieren, weil sie erkannt haben, daß sie durch die Unterschiede der Sitten, welche die einzelnen Kasten auszeichnen, das Land um so leichter beherrschen. So gering ihre Zahl im Vergleich zu den Eingeborenen ist, so groß ist sie als eine einzige geschlossene Gesellschaft, selbst der machtigsten Kaste gegenuber.
So mußte ich wohl bedenken, daß ich keinen Schutz bei einer Regierung finden wurde, deren Verwaltungstendenz einen Eingriff, wie den von mir geplanten, verurteilte, am wenigsten vielleicht als Deutscher. Gerade damals war England noch nicht uber Deutschlands Krafte und Rechte unterrichtet, und man hielt in London das erste energische Vorgehen der Deutschen in uberseeischen Landern nur fur anmaßend.
Trotzdem stand mein Entschluß fest, meinen Wunsch zur Geltung zu bringen, und ich nahm mir vor, Panja in der Morgenfruhe zum Konig zu senden und ihn um eine besondere Unterredung zu bitten. Es ist seltsam, wieviel leichter wir grausame oder ungerechte Handlungen begehen, als bei anderen dulden konnen. Der Gedanke an das Elend dieser eingekerkerten Frau uberschuttete mich in einer schlaflosen Nacht in der Schwule unter dem Moskitovorhang mit einem heißen Schauer der Emporung nach dem andern. Im kurzen Eindammern eines qualvollen Halbschlafs erschien das wachserne braune Frauengesicht vor mir in gluhendem Nebel, und die klagenden Singtone ihrer ersterbenden Stimme fullten die von Unheil und nahenden Ungewittern schwangere Nachtluft.
* * * * *
Ich erhob mich mit dem ersten Morgengrauen in einem ins Schmerzhafte gesteigerten Verlangen danach, endlich das Meer, die Weite, den Widerschein der Befreitheit zu erblicken. Mir war, als hatten die grunen Wande meine Augen, ja alle Sinne abgestumpft und bis zur außersten Gereiztheit eingezwangt, ich fuhlte mich schuldig und am Ersticken. In diesem Zustand mag der Eigensinn eines Gedankens um so ausschweifender und zaher Gewalt gewinnen, es war zweifellos eine gesteigerte Wut, in der ich bald darauf dem Konig gegenubertrat. Es kam mir wenig auf die Folgen meiner Handlungsweise an, und dieser Verfassung mag ich mehr an Erfolg verdankt haben, als ich vielleicht einem uberlegten Vorgehen zu danken gehabt hatte.
≫Du haltst ein Weib in deinem Garten gefangen≪, sagte ich barsch. ≫Es ist eines machtigen Fursten unwurdig, so gegen ein hilfloses Wesen vorzugehen. Ich verlange, daß du ihr sogleich ihre Freiheit zuruckgibst. Mehr nicht, aber das. Tu es gleich!≪
Nach einem betroffenen Aufblick kam eine große Geschmeidigkeit in das Wesen des Hindufursten, eigensinnig und zugleich unterwurfig und von einer Ausdauer im Umstandlichen, die auch den großten Langmut ermudet hatte. Panja war sehr ernst und ubersetzte jedes Wort aufs genaueste, ich fuhlte, daß er nicht wagte, in dieser Situation eine Verantwortlichkeit zu ubernehmen.
≫Ich sehe, daß du mir nicht zu Willen bist,≪ ließ ich dem Konig antworten, ≫so erinnere ich dich an das Gesetz der Regierung, das verbietet zu toten und das den Mord mit Tod bestraft.≪
Der Konig erblaßte und seine Lippen zitterten leicht, aber er blieb freundlich und herbeilassend und versuchte mich zu uberzeugen, daß es sich um eine leichte Strafe handelte, die zu verhangen sein gutes Recht sei. Auch sei mir das Vergehen dieser Frau unbekannt. Er wußte von der Strenge der Englander, aber zugleich habe er bisher niemals Grund gehabt, an ihrer Gerechtigkeit zu zweifeln, und er wurde eher glauben, daß ein ungerechter Mann kein Englander sei, als er einem Englander eine Ungerechtigkeit zutraue.
Ich begriff aufs neue die Schlauheit und Zahigkeit dieser Menschen, ihre Beharrlichkeit und die List, mit der sie ihre kleinsten Zweifel zu Waffen machen, ohne eine nachweisbare Krankung damit zu verbinden. Billigerweise blieb mir kein anderer Ausweg, als nachzugeben, bevor ich nicht die Rechte zu einer Prufung erbracht, oder die Grunde fur die Bestrafung der Eingekerkerten angehort hatte. Aber die kleine Enge, in die ich getrieben worden war, machte mich nicht vorsichtig, sondern zornig, und so rief ich bose: ≫Wenn die Englander ihre Gerechtigkeit von den indischen Konigen gelernt hatten, so saßest du hinter jenen Staben, noch ehe ich nach Bombay zuruckgekehrt ware.≪
Es ist sonst nicht meine Art, Konigen auf so unhofliche Weise zu begegnen, aber nach dem Anfang, den ich gemacht hatte, blieb mir nur dieser Weg ubrig, denn mir ist die Klugheit fremd, die ihre Zelte auf der Walstatt errichtet, auf welcher ein hochherziger Vorsatz von Furcht uberwaltigt worden ist. Ich sah Panja an, daß er meine Antwort fur richtig hielt, er trat vor und sagte ruhig:
≫Die Beine der Gefangenen sind bis an die Knie hinauf von den Ameisen zerfressen.≪
Der Konig gab ihm keine Antwort, er sah vor sich nieder, als ginge ihn dies alles plotzlich nichts mehr an, und zum erstenmal schlich, uber dieser neuen Gebarde meines Gegners, eine graue Furcht in mein Herz. Ich fuhlte, daß er den Gebrauch von Waffen erwog, denen keine Gesinnung gewachsen ist; dies war die Stille, in der das Bose, zum außersten getrieben, das Niedrige beschwort.
≫Ich werde die Gefangene freigeben, Sahib Kollektor≪, sagte er ruhig und trat zuruck.
Dieser Titel war mir gewiß nicht aufrichtigen Herzens zugelegt, denn der englische Kollektor ist der hochste Regierungsbeamte des Bezirks und wurde sicherlich nicht in meinem Aufzug durch die vergessene Wildnis des Dschungels von Kanara reisen. Ich wußte dies wohl, und nicht nur der lauernde Blick des Konigs unterrichtete mich uber die Tucke dieses Angriffs.
≫Wenn der Kollektor hatte kommen wollen, so ware ich nicht selbst gegangen≪, sagte ich frech. Es kam mir nun durchaus nicht mehr darauf an, etwas anderes zu geben, als gute Antworten. Ich forderte die Entgegnung des Konigs mit ruhigen Augen heraus, und sicherlich hat ihre Farbe ihn mehr bedrangt als meine Anmaßung. Er sah mich nur einmal rasch und voll unterdruckten Hasses an. Das dunkle Gift der Dschungelnacht blinkte in seinen muden Samtaugen auf, die Bosheit der Fremde und der ganze Rassenhaß eines unterdruckten Volks.
Ich hielt es fur angebracht, mich vorderhand mit diesem Zugestandnis zu begnugen und abzuwarten, welche weitere Wirkung meine Forderung haben wurde. So verabschiedete ich mich vom Konig, wobei wir uns beide beflissen zeigten, so gnadig als moglich zu erscheinen. Ich ließ das Zelt abbrechen und alles zur Abfahrt vorbereiten, nahm mir aber fest vor, das Boot nicht eher zu betreten, als bis ich das Resultat meiner Bemuhung gesehen hatte. Es blieb mir kaum recht Zeit zu uberlegen, ob ein Erfolg oder ein Mißerfolg großere Schwierigkeiten fur mich mit sich bringen wurde, denn noch ehe die letzten Eisenkoffer geschlossen waren, brachten zwei Diener des Konigs seine Gefangene zu uns. Die junge Frau war in ein weißes Tuch gehullt und schritt langsam und muhselig dahin, ich sah kaum mehr als ihre Augen, als sie vor mir stand, und die flackernde Furcht darin machte mich ratlos.
Panja versuchte mit ihr zu sprechen, und nach langer Muhe gelang es ihm, ihr verstandlich zu machen, daß sie uns ihre Befreiung aus ihrer Lage verdankte, und daß es ihr anheimgestellt sei, zu gehen, wohin es ihr beliebte.
Sie ließ sich stumm am Boden nieder, wahrscheinlich aus Erschopfung, und schloß immer wieder fur lange ihre Augen, die des Lichts entwohnt waren. Kein Zeichen von Dank oder Freude belohnte uns, bis sie endlich, nachdem ich mich zuruckgezogen hatte, Panja fragte, ob sie den fremden Sahib begleiten musse.
Panja will ihr gesagt haben, daß wir nichts von ihr forderten oder erwarteten, er hat ihr die Freiheit so verlockend geschildert, als sie ihm nur immer erschienen sein mag. Nach einer kleinen Weile kam er zu mir und sagte ohne Triumph oder Parteinahme, aber ehrlich besturzt:
≫Sahib, die junge Frau bittet dich, sie zuruckkehren zu lassen.≪
≫In ihr Gefangnis?≪
≫Ja, Herr. Sie hat die Hande auf ihr Herz gelegt und den Namen des Konigs genannt.≪ --
Eine Stunde darauf stießen unsere Boote vom Landungsplatz des Dorfes Schamaji aus in die lauen Strudel des Kumardary, der uns trage und still nach Westen trug, auf das Meer zu. Der Liebe lassen sich keine Liebesdienste erweisen, sie ist in ihrem Fortgang selbstandiger und beharrlicher als jedes andere menschliche Gefuhl, und ihre Sicherheit ist hoheren Ursprungs als die Vernunft.
Elftes Kapitel
Mangalore
Die merkwurdige Tatsache unseres irdischen Daseins ist mir immer in den Augenblicken des Erwachens am wunderbarsten erschienen. Wenn sich unsere Sinne, unter dem Glanz der Morgensonne oder durch das Lied eines Vogels im Licht erweckt, aufs neue zum Bewußtsein zusammenfinden, so bricht uber das Herz bisweilen wie ein Schauer von Gluck und Erstaunen die Gewißheit herein, am Leben zu sein, noch nach Unzahligen, die versunken sind, und nach Ungezahlten, die kommen werden, auf der beschienenen Oberflache der Erde ein lebendiger Mensch zu sein. Ich wurde mir dieses freudigen Erstaunens in keiner Stunde starker bewußt, als an jenem Morgen, an dem ich im Boot auf dem Fluß erwachte. Am Abend vorher hatten wir einen toten Arm des versandeten Stroms gefunden, in dem das Wasser, still wie in einem See, unter einer grunen Decke wunderlicher Sumpfpflanzen lag, und da keine Moglichkeit bestand, die Boote durch den Morast der Ufer an festes Land zu ziehen, hatte Panja geraten, auf dem Wasser zu ubernachten. Es war mir gegen Morgen entgangen, daß das Boot, in welchem ich schlief, wieder in die Stromung gestoßen wurde, und so erwachte ich erst, als schon die Sonne schien, und der leise Gesang des Wassers traf meine leicht besturzten Sinne. Ich erinnerte mich nur langsam der Lage, und sogar meine Lebenszeit hatte sich mir fur Augenblicke verwischt. In einem von aller Zeitrechnung befreiten Aufstieg meines Bewußtseins wurde mir nur eines zur Gewißheit: Die Sonne scheint auf die Erde, in den Baumen rufen lebendige Geschopfe und du selbst lebst.
Solche Augenblicke erscheinen uns oft in spaterem Gedenken daran sehr bedeutungsvoll, da sie mit dem Abstand wachsen, und weil die Erinnerung die Geschehnisse nicht nach ihrer Dauer und ihrem Wert zu bewahren pflegt, sondern nach dem Maße ihrer Eindringlichkeit. Und ob ein Erlebnis uns im Gedachtnis zuruckbleibt, hangt wenig von seiner erkennbaren Bedeutung ab. Vielmehr sind es zumeist so unscheinbare, ja oft geradezu kleinliche Begebenheiten, welche unsere Erinnerung unausloschbar bewahrt, daß wir ihr nur ein Lacheln gonnen, ohne zu begreifen, daß ihre Krafte ein eigenes sittliches Reich darstellen, dessen mystische Eigenart unserem Willen in keiner Weise untergeordnet ist. ≫Wenn Gottes Augen, welche ohne Aufhor die Regionen seiner Schopfung durchschweifen, unser Dasein treffen, so bleibt der Augenblick in unserer Erinnerung fur immer haften≪, sagte einmal ein buddhistischer Monch aus Kaschmir zu mir, der Malabar auf der Suche nach einem heiligen Baum mit grauen Bluten durchwanderte. So werden die Lebensstunden, welche wir fur groß gehalten haben, oft abhangige Kindlein kleiner Einzelfalle, an die sie sich lehnen mussen, um nicht im Dunkel zu versinken. --
Ich richtete mich im Boot auf und sah die Ufer gleiten, sie waren so dicht umwachsen, daß es erschien, als waren wir zwischen zerbrockelten grunen Mauern auf stiller, eiliger Flucht, zwischen Wanden, die bald auseinanderwichen, bald aufeinander zuruckten. Das unsterbliche Himmelsblau, unwirklich in seiner funkelnden Farbstille, spannte sich daruber aus, und bisweilen schossen die blendenden Strahlen der Morgensonne in meine Augen und schlossen sie.
Der zuruckliegende Tag war voller Beschwerden gewesen, und wir hatten Uppanangadi nur mit Muhe erreicht, ohne die Stadt angeschaut und ohne langer Rast gemacht zu haben, als es aus Rucksicht gegen die Ruderer notwendig war. Ihre Tatigkeit bestand zu Anfang unserer Fahrt mehr im Steuern als im Rudern, sie taten es stehend, und indem sie, je nach der Richtung, die eingehalten werden mußte, ihr Ruder zur Rechten oder Linken des Kanus ins Wasser tauchten. Dies geschah mit großem Geschick und unterhielt mich lange. Es war haufig vorgekommen, wahrend wir noch auf dem Kumardary schwammen, daß die Boote sich auf Sandbanken festfuhren, wir mußten dann ins Wasser und sie mit vereinten Kraften wieder flott machen. Bisweilen kreisten wir sanft, aber recht ausdauernd, in tiefen Kesseln oder glitten niedrige Falle nieder, eine Beschaftigung, an die sich meine Sinne gewohnen mußten, weil die Vorstellung etwas durchaus Erschreckendes hatte, dort zu kentern und vom truben Wasser an die sumpfigen Ufer getrieben zu werden, oder in Stromschnellen und tiefen Wirbeln mit den Alligatoren in nahe Beruhrung zu kommen.
Nachts war es am schonsten. Zwar fuhren wir nachts nur die Stromstrecke vor der Stadt Uppanangadi bis an die holzernen Landungsstege des Orts, aber die wandernden Fackeln im Dunkel der Ufer, die wie riesige Leuchtkafer aussahen, erregten die Phantasie geheimnisvoll und unterrichteten uns daruber, daß wir uns bewohnteren Gegenden naherten.
Je weiter wir nun den Netrawati hinabtrieben, um so gemachlicher zog die Flut, und die Arbeit der Ruderer setzte ein. Bei Krummungen des Stroms verloren wir oft das zweite Boot fur lange aus den Augen, aber es lag kein Grund zur Besorgnis vor, denn Pascha, der unser Gepack im andern Kanu bewachte, genoß jenen Respekt bei den Leuten, der schweigsamen Menschen leicht zufallt, die, ohne unhoflich zu erscheinen, niemals ein Lacheln und selten eine Frage erwidern. Meine Trager waren in Schamaji von Panja entlassen worden, ich langte nach dreitagiger Fahrt, in Begleitung von Panja und Pascha, in Mangalore an, die Kanus kehrten im Hafen um, ohne daß die Leute aus Schamaji das Ufer betreten hatten. Sie leben in keinem guten Einvernehmen mit den Kustenvolkern, die sie fur abtrunnig und fremdenfreundlich halten.
Die letzten Stunden war unser Boot langsam durch trubes, stehendes Wasser gerudert worden. Die Vegetation nahm immer mehr ab, Reisfelder wechselten mit sumpfigen Einoden, auf denen bose, stille Lachen spiegelten, von schweren Dunsten umlagert und von Menschen und Tieren verlassen. Dort schlief die Pest ihren Sommerschlaf, um mit den ersten Regen wieder zu erwachen. Es war so druckend heiß, daß das Atmen zur qualvollen Muhe wurde, die Ruderer arbeiteten zuletzt wie in einer dumpfen Betaubung, und die Stimmen des truben Wassers erloschen oft ganz. Der Fluß teilte sich in vielerlei breite und schmale Kanale, aus den Palmen am Ufer ragte der rote Schornstein der deutschen Ziegelei.
Wir durchfuhren die ganze Stadt bis zum Meerhafen, der am Ort unserer Ankunft kahl und ode, durch eine Sandbank gegen das Meer geschutzt, lag, und die Dunste der See, ohne Leben und Frische, enttauschten mich bitter. Von der Stadt hatten wir so gut wie nichts gesehen, sie liegt ganz im Palmengrun auf drei sanften Hugeln. Nun aber erblickte ich die Hauser des Hafens, schlechte zerfressene Steinbauten, unfreundlich und verlottert, in jener ganzen Roheit und erbarmlichen Charakterlosigkeit, wie man sie oft in orientalischen Hafen findet, deren Tradition langst zerstort und deren neue Gewohnheiten und Einrichtungen dem Geist einer flachen und rauberischen Geschaftigkeit dienen. Ein paar alte, große Segelboote mit hohem Bug und breitem Deck lagen kreuz und quer, bald halb im Wasser, bald eingesunken in schmutzigen Sand. Es war fast menschenleer, nur auf einer kleinen Dampfschaluppe kauerte ein Hindu im Schatten und rauchte. Er spahte neugierig nach uns aus; als ich mich im Boot erhob, sprang er empor, rief gellend und uberlaut ein paar Worte uber den Damm gegen die truben Fenster eines bemalten Hauses. Sein kleines Schiffchen vermittelt den Personenverkehr zwischen der Kuste und den Hochseedampfern, die einige Kilometer vom Land entfernt Anker werfen, um fur zwei oder drei Stunden auf Passagiere zu warten. Der Hafen von Mangalore selbst ist fur den Verkehr großerer Dampfschiffe nicht geeignet.
* * * * *
Die ersten Eindrucke, die ich von Mangalore empfing, boten sich mir um so abstoßender dar, als ich nach der Lebensweise der zuruckliegenden Zeit alles mit der großzugigen Einfachheit der unberuhrten Natur zu vergleichen genotigt war. Es kam hinzu, daß die Stadt in einem dumpfen Schlaf der Erwartung lag und mir uberall Tragheit, Verfall und Teilnahmlosigkeit begegneten. Der vernachlassigte Hindugasthof, in dem ich meine ersten Tage zuzubringen genotigt war, ermutigte meine Unternehmungslust in keiner Weise, und das qualvolle Harren auf die ersten Gewitter nahm allen und endlich auch mir den Rest wohlbestellter Daseinsfreude. Als Mangalore nach wenig Monaten im Glanz der Fruhlingssonne seine bunte Auferstehung feierte, glaubte ich die Stadt nicht wiederzuerkennen. Die Unterschiede zwischen unserem deutschen Sommer und Winter sind in ihrer Einwirkung auf das Befinden und die Lebensgewohnheiten der Menschen bei weitem nicht so bedeutungsvoll, wie der Wechsel der Jahreszeiten in den Tropen. Die Meinung von dem Gleichmaß und der steten Sommerlichkeit der Witterung in diesen Zonen, entstammt der mangelhaften Kenntnis oberflachlicher Passanten oder einer falschen Vorstellung; wer das tropische Jahr von Beginn bis zu Ende in der Nahe des Aquators durchlebt hat und die Menschen in Leid und Freude seines Wechsels beobachtet hat, wird dagegen die Unterschiede unserer Jahreszeiten in den gemaßigten Zonen als unerheblich empfinden.
Spater lernte ich vieles in Mangalore verstehen, das ich anfangs mit Geringschatzung ubergangen hatte, manches lieben, das mir zuerst fremd und abstoßend entgegentrat, und ich schied mit der Gewißheit aus der Stadt, daß kein bewohnter Ort der Welt an paradiesischer Schonheit und Versunkenheit sich mit Mangalore zu messen vermochte. Wir erlangen in unseren kurzen Lebenstagen niemals das Maß von Erfahrung fremden Erscheinungen gegenuber, das uns ermoglichte nach dem ersten Eindruck gerecht auf den allgemeinen Wert zu schließen.
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In einem unbeschreiblichen Zustand von Gereiztheit entschloß ich mich am dritten Tage meines Aufenthaltes kurzer Hand den englischen Kollektor aufzusuchen, um endlich Gewißheit uber die Moglichkeit eines langeren Aufenthalts, uber die Wohnungsverhaltnisse und die Lebensbedingungen zu erhalten.
Die Leute druckten sich uberall in einer mir vollig unverstandlichen Angst um offene Antworten herum, bald furchteten sie, es mit der Regierung zu verderben, bald mit den Priestern, selbst meine Opfer an Geld machten mir nur den Pobel gefugig.
Das Bungalow des Beamten lag herrlich auf einem beschatteten Hugel und erinnerte mich an einen alten Herrensitz. Der Garten war aufs beste gepflegt, die Amtsraume sauber, kuhl und groß. Im Vorzimmer saß ein Mischling in weißer, halbeuropaischer Kleidung an einem großen Schreibtisch und stellte sich ungemein beschaftigt. Ich war zu Anfang so bescheiden, als meine Nerven irgend zuließen, aber die gedankenlose Einbildung dieses Sklaven auf seine Beziehungen zu einer Kultur, die er nicht verstand, brachte mich auf. Ich hatte mich sicher beherrscht, wenn Panja nicht an meiner Seite gewesen ware.
≫Stehn Sie auf, wenn ich rede≪, sagte ich.
Mein Blut kochte. Es bedarf in der Tat nur eines sehr geringen Grades von Erregtheit, um in dieser Zeit das ohnehin vor dem Sieden stehende Blut zum Uberschaumen zu bringen.
Der Schreiber erhob sich trage, als hatte er Blei in den Knien, aber sein frecher, erstaunter Blick entzundete mir Feuer in den Handen, und noch ehe er ganz auf seinen durren, braunen Beinen stand, schallte eine Ohrfeige durch den wurdigen Raum, die ich wie einen kalten Wasserguß genoß. Ihn mag sie anders beruhrt haben. Er drehte sich einmal um sich selbst, sein Strohsessel machte es ihm in bureaukratischer Ergebenheit dienstbeflissen nach, und, auf der verschonten Wange erbleichend, rang er vergeblich nach Fassung. Die dunklere Linie seiner Abstammung besann sich auf die Gasse.
≫Ich wunsche den Kollektor zu sprechen≪, sagte ich freundlich. Es ging mir um vieles besser, aber ich bin lange Zeit nicht fahig gewesen mir die Rauheit dieser Handlung voll erklaren zu konnen. Sicherlich hing diese bedachtlose Aufwallung und mein Mangel an Beherrschung mit der Verwohntheit zusammen, in der ich fast ein halbes Jahr lang nur unter Menschen zugebracht hatte, bei denen selbst auch nur ein Gedanke an Gleichberechtigtheit niemals aufgekommen war, so daß mir der erkennbare Widerstand dieses Menschen weit mehr als Uberhebung erscheinen mußte, als er es in der Tat gewesen sein mag.
Der in zweierlei Hinsicht arg betroffene Mann begann den Kampf um seine beleidigte Beamtenehre erst, nachdem er einen Abstand von etwa vier Metern und einen Tisch aus gebeiztem Hartholz zwischen sich und mich gebracht hatte. Alles an ihm war Emporung, sogar sein geoltes Haar, von dessen glanzender Frisur das graue Leinenkappchen sich entfernt hatte, schien mir vor Entrustung zu funkeln.
Ich nahm fur alle Falle ein schwarzes Kastchen aus Ebenholz vom Tisch, in dem Stahlfedern, ein Radiergummi und Kupferannas mit dem Anstand geordnet waren, mit dem eine Prinzessin Juwelen verwahrt. Dabei war ich entschlossen das erste unehrerbietige Wort dadurch zu erwidern, daß ich dies Kastchen als Wurfgeschoß verwandte. Ich habe einmal davon gehort, daß Bauern, deren Felder unter anhaltender Hitze in Gefahr sind zu verdorren, den Regen durch Kanonenschusse herbeizulocken suchen. Eine ganz ahnliche Hoffnung muß mich damals bewegt haben, und ein verwandter Glaube. Aber es kam zu keinem Wort und keinem Gewaltakt mehr zwischen mir und meinem Widersacher, weil die Tur sich offnete und mit kuhlen Augen und wohlrasiertem Antlitz der englische Beamte im Rahmen erschien und seinen Blick gelassen bald von mir zu seinem Sklaven und bald wieder zuruck wandern ließ.
Der Abstand, in dem wir uns voneinander befanden, der Tisch zwischen uns, die an die Wange gelegte Hand des Schreibers und meine streitsuchtige Haltung mogen den Beherrscher Sud-Kanaras genugsam daruber unterrichtet haben, was etwa vor sich gegangen sein mochte. Die im Tropendienst und an ausgesetzten Posten bewahrten, gebildeten Englander haben eine bewunderungswerte Besonnenheit in allen ungewohnlichen Lagen und verstehen es ausgezeichnet, die Dinge zunachst einmal so zu nehmen, wie sie sind, ohne vorschnell kundzutun, wie sie nach ihrer Meinung sein sollten. Das zeugt mindestens von großem Selbstbewußtsein. Und so wandte der Beamte sich mir ruhig zu und fragte hoflich, ob er in der Lage sei, durch seine Einmischung diese Situation harmonischer zu gestalten. Dabei wies er ohne weitere Frage auf die geoffnete Tur zu seinem Zimmer und ich trat ein, ohne ein Wort der Beschwerde, denn ich merkte, daß dies in Gegenwart eines Untergebenen nicht erwunscht sei. Ich sah mich gleich darauf in einem bequemen Korbsessel einem Manne von etwa funfzig Jahren gegenuber, dessen starke, wohlbestellte Gestalt, dessen kluges und zugleich wohlwollendes Gesicht mir das unbedingteste Vertrauen einfloßten, und da ich etwa dreißig Jahre junger war als er, wurde es mir leicht, ihn zu bitten, die ungewohnliche Art meiner Einfuhrung nicht als Mißachtung gegen die englische Regierung oder gegen seine Person anzusehen. Als ich ihm meinen Namen nannte, sagte er mir kuhl den seinen und fragte mich, ob ich Englander sei.
Wie wichtig den Vertretern dieser Nation diese an sich so unschuldige Tatsache erscheint! Auf meine Antwort hin glitt ein kleiner Schatten von Unwillen uber seine Stirn und er fragte mich, ob ich der deutschen Mission in Mangalore zugehorte.
≫Schließen Sie das aus der Behandlung, die ich Ihrem Schreiber angedeihen ließ?≪ fragte ich.
Er lachelte und schuttelte den Kopf, schien aber ohne weitere Erklarung aus der Art meiner Antwort zu ersehen, daß ich seine Frage damit verneinte, und dann wartete er. Als ich sprach, musterte er mich unauffallig, und ohne daß sich auch nur ein Schatten von Kritik in seinen Zugen zeigte. Nach seinem Ausdruck zu schließen, hatte ich selbst und meine Erzahlung ihm ebensogut unausstehlich wie angenehm, oder vollig gleichgultig sein konnen. Bei einer Pause, die ich machte, setzte er eine kleine Tischglocke in Bewegung und gab einem eintretenden Diener einen Befehl, und gleich darauf pflanzte ein stilles, braunes Wesen ein Tablett zwischen uns auf, das Whisky, Sodawasser und -- Eis trug.
Mein Herz schlug in Empfindungen, wie sie nicht zartlicher fur einen Vater hatten sein konnen, und dies Gefuhl wurde noch durch die einfache Warnung des Kollektors erhoht, als er mich bat, mit dem Trinken vorsichtig zu sein, da ich wahrscheinlich in Schamaji kein Eis vorgefunden hatte. Die Geschichte mit dem Konig hatte ihm gefallen, nach einer Weile meinte er:
≫Als ich vor Jahren meinen ersten tropischen Sommer erlebte, wurde ich nahezu ein Morder, im zweiten ein Verzweifelter und erst im dritten begann ich wieder einem Englander zu ahneln. Sie brauchen sich deshalb nicht besorgt zu zeigen, wenn Ihre Besinnung sie fur Augenblicke verlassen hat, die Geduld verliert man in Indien zuerst, dann gewohnlich den Verstand. Nur wenige finden beides wieder, aber diese pflegen sie dann auch zu brauchen.≪
Ich erfuhr damals, was ich in meiner Angelegenheit wissen wollte, und brauchte dabei nur wenig zu fragen.
Im Amtszimmer des Kollektors fiel auch in spateren Tagen zuerst der Name Mangesche Raos, des Brahminen. Bei diesem Klang und beim Anhoren der kurz und ohne tieferes Verstandnis vorgetragenen Lebensgeschichte dieses Mannes, empfand ich deutlich eine Beziehung, die weit uber Neugierde oder Interesse hinausging. Der Beamte erzahlte mir nach und nach folgendes, anknupfend an meine Bitte, mir in Mangalore unter den gebildeten Brahminen eine Personlichkeit zu nennen, mit der ich nutzbringenden Umgang pflegen konnte, und nachdem unsere Beziehung zu einiger Freundschaftlichkeit erprobt war:
≫Mangesche Rao ist unter den jungeren Brahminen Mangalores, ja Sud-Kanaras, einer der bekanntesten, und zweifellos auch einer der klugsten. Uber seine Gesinnung kann ich keinen Aufschluß geben, da seine Interessengebiete die unseren nur politisch beruhren, und kaum eine andere Leidenschaft verhullt den Charakter des Gegners vor dem Gegner mehr, als eben eine solcher Art. Der Mann hat uns viel zu schaffen gemacht und nur deshalb, weil er das Verstandnis und die Teilnahme seiner Kastengenossen nicht einmutig gefunden hat, ist er uns nicht gefahrlich geworden. Da er die Universitat von Madras besucht hat und so weit akademisch gebildet ist, als die englischen Hochschulen in Indien es ermoglichen, hat er naturgemaß das Vertrauen seiner Kaste verloren, dagegen lange das unsere besessen, im Grunde allerdings niemals mein personliches. Ich war als Vertreter der Regierung verpflichtet, ihn so weit zu fordern, als er uns nutzte, wenn er mir aber, was damals oft geschah, in jenem Sessel gegenubersaß, den nun Sie einnehmen, so bin ich niemals ein Gefuhl heimlicher Scheu vor der seltsamen Undurchdringlichkeit seines Wesens losgeworden. Er erreichte bald einen fuhrenden Posten am hiesigen englischen College, man sah ihn unter den Jesuiten, in geheimen Versammlungen seiner Stammesgenossen und sogar im Lager der protestantischen Mission. Ich habe nie in Erfahrung bringen konnen, ob ihm die Sympathie, die er uberall zu erwecken schien, aufrichtig entgegengebracht, oder ob sie ihm gezeigt worden ist, weil man ihn furchtete.
Vor einem halben Jahre ist er entlassen worden. Ich habe nicht gewagt, weiter gegen ihn vorzugehen, weil ich inzwischen erfahren habe, daß sein Einfluß groß ist, und wahrscheinlich auch sein Anhang, wenn auch nicht eben in der Provinz, so doch im ganzen Reich. Wir mussen uns wohl huten, in diesem Lande die Strafe als Vergeltung oder Rache aufzufassen, vielmehr durfen wir in solchen Fallen durchaus nur so weit vorgehen, als unsere Gegner unter ihr machtloser werden. Es hatte sich folgendes ereignet. Ein Jesuitenpater des hiesigen Klosters ließ sich eines Tages bei mir melden, und brachte mir ein kleines, in Malayalam verfaßtes Schulbuchlein, wie sie hier uberall in den Regierungs- und Missionsschulen nach Form und Aufmachung Verwendung finden. Ich will Ihnen das Buch zeigen.≪
Er erhob sich und schritt im Nebenraum auf einen eisernen Schrank zu, dem er nach einigem Suchen unter Akten und Papieren ein graues, heftartiges Buchlein entnahm und vor mich hinlegte. Es war schmal und an drei Seiten beschnitten, nuchtern und sachlich von Gewand und wies in der traditionellen Anordnung eines Lehrbuchs einen Titel auf und unten die Abzeichen der Druckerei der Jesuiten, die fur ihre Propaganda eine Druckerei mit mehr als zehn verschiedenen Schriftzeichen der Eingeborenensprachen unterhalten. Der Kollektor ubersetzte mir den Titel: ≫Ein Lehrbuch der vergleichenden Sprachwissenschaft uber den Zusammenhang der Sudindischen Dialekte mit dem Sanskrit. Bearbeitet von Mangesche Rao, Lehrer am englischen College zu Mangalore, gedruckt in der Offizin der S. J. daselbst.≪
Der Titel und die ersten zehn Seiten des unscheinbaren Heftes wurden in kurzen Vergleichen seiner Aufschrift gerecht, dann aber folgte eine mit großem Verstand und agitatorischer Inbrunst verfaßte Kritik der englischen Regierung in den Sudprovinzen, die um so aufreizender wirkte, als sie sachlich war und eingehende Kenntnis verriet, ohne daß etwa ein Landesverrat nachzuweisen war. Ich habe mir diese Abhandlung spater von Panja im einzelnen ubersetzen lassen.
Der Beamte fuhr fort: ≫Der Pater erzahlte mir, daß ein Zufall zur Entdeckung dieses Mißbrauchs ihrer Druckerei gefuhrt habe, er lehnte die Verantwortung seines Ordens der Regierung gegenuber mit diesem Eingestandnis ab, und teilte mir mit, daß die bestochenen Leute entlassen seien. Auf meine Bitte, mir seinen Verdacht zu nennen, wen er fur den Verfasser dieser Broschure hielte, erwiderte er in großer Hoflichkeit, daß wohl ein solcher Verdacht bestunde, daß es aber nicht zu den Absichten und Gewohnheiten seines Ordens gehore, uber Verbrechen Meinungen auszutauschen, die nicht klar zu begrunden seien. Es war augenscheinlich: die Leute hatten Furcht, Furcht, wie hier alle haben, die nicht dem interesselosen Pobel angehoren. Es ist allzuoft vorgekommen, daß die eifrigsten Fuhrer einer Partei an einem Morgen, gekrummt vom Gift ihrer Gegner, tot in ihren Hausern aufgefunden wurden. So war es an mir, Mut zu zeigen, aber alle unbedachte Art von Kuhnheit, die nicht von hochster Vorsicht geleitet ist, hat hierzulande nur den Wert einer eiteln Knabenposse. Mir wurde, noch ehe ich eine Verhandlung eingeleitet hatte, sehr unverblumt deutlich gemacht, daß ich im Falle eines unbesonnenen Eingriffs nicht mit einem leichtsinnigen Verbrecher, sondern mit einer machtigen Partei des ganzen indischen Reiches zu kampfen hatte. Das steht mir weder zu, noch garantiert die Tragweite meiner Stellung mir auch nur geringen Erfolg. Ich gab den Fall an die Regierung weiter. |
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