Die Herrin und ihr Knecht 10
Da haben Sie recht, Baumgartner,« nahm seine Herrin den Einwurf lebhaft
auf, »aber wissen Sie das Neueste? Heute nachmittag fahre ich mit meinen
Schwestern nach Grabowo.«
»Was, über die Grenze?« hob hier der Verwalter sein sonnengebräuntes
Haupt und zuckte ein wenig mißtrauisch die Achseln, und als er erfahren,
daß seine Gebieterin dort drüben das vermißte Pferdematerial zu kaufen
beabsichtigte, da klopfte er mit dem Finger noch einmal warnend gegen die
Schärfe seiner Sichel. Es gab einen hellen Ton. »Vorsichtig, gnädiges
Fräulein,« riet er dringend, »die Gesellschaft da drüben geht nicht
immer ehrlich zu Werke.«
»Oh, Sie können unbesorgt sein, Baumgartner, Herr Konsul Bark begleitet
uns.«
Da ging ein beifälliger Zug über das ernste Antlitz des Landmannes.
»Das ist gut,« stellte er fest. »Konsul Bark versteht seine Sache. Er
hat auch mit dem alten Trakehner Hengst bei uns recht behalten. Das Tier
arbeitet drei junge Pferde in Grund und Boden.« Und während sich der
Beamte schon zum Abgang wandte, fragte er noch einmal ehrerbietig: »Und zu
wann befehlen das Fräulein den Wagen?«
Eine schwere Falte grub sich dabei mitten über die Stirn des Mannes.
Allein Johanna verstand ihn.
»Nein, nein, Baumgartner,« beruhigte sie. »Sie brauchen sich gar nicht
stören zu lassen, Herr Konsul Bark holt uns in seiner eigenen Equipage ab,
obwohl uns unser Weg ja ohnehin durch die Stadt führen würde. Sie können
Ihre Pferde ruhig bei der Arbeit behalten.«
»Oh, danke schön, gnädiges Fräulein, das ist gut. Herr Konsul Bark
weiß, was sich gehört. Ich freue mich immer, wenn er auf das Gut kommt.
Nun vorwärts, Tilli.«
Er gab seiner kleinen Tochter einen Wink, das Kind knixte und beide
schritten rasch bis zum Hoftor. Jedoch sie sollten nicht hinausgelangen.
Von der Chaussee her erhob sich ein scharfes Rollen, Peitschenklang
schwirrte durch die Luft, und gleich darauf sah die Gutsherrin, wie
ihr Verwalter ein Paar mächtigen Rappenhäuptern beruhigend über die
schäumigen Nüstern klopfte.
Bei Gott, dies Gespann kannte Johannas geübter Blick. Ja sogar den harten,
sausenden Peitschenklang unterschied sie vor allen anderen. So dröhnend
und unbekümmert raste nur der Riese dort drüben von Sorquitten über
die Landstraße. Und richtig, noch hatte sie die Ziegelschwelle unter
der viereckigen Einfahrt nicht verlassen, da schob sich auch bereits eine
mächtige Männerfigur in einem gelben Sportanzug durch die Toröffnung,
und ein grünes Tirolerhütchen mit einer alten verbogenen Hahnenfeder
wurde aus Leibeskräften in der Luft geschwenkt.
»Morjen, morjen, Johanna, alte Seele,« wetterte das markige Organ des
Vetters Fedor von Stötteritz, und dabei stampfte der ungeheuerliche
Eindringling bald rechts, bald links mit den braunen Schnürstiefeln, aus
denen sich ein paar unförmige Waden herausdrängten, schallend auf
den Steinen des Hofes herum. »Laß mal eiligst so einen kleinen Tritt
herausbringen, liebste Cousine, meine alte Dame will sich nämlich wieder
nicht meinen Armen anvertrauen. Sie behauptet, ich zerbräche ihr immer
ein paar Knochen im Leibe. Also fix, Johanna,« und er führte die beiden
Mittelfinger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff erschallen.
»Vorwärts, wo bleiben die Faulpelze? Meine Frau Mama kann ja bekanntlich
nicht warten.«
Jetzt wurde es auf dem Hofe lebendig. Eine Magd mit einem Tritt lief
hochaufgeschürzt hinzu, und nachdem auch Johanna bis an den Wagenschlag
geeilt war, da entschloß sich die lang aufragende, hagere Insassin
des Gefährtes endlich, die Expedition auf den sicheren Erdboden zu
unternehmen. Mit einem Krückstock indessen tastete sie erst vorsichtig die
Unebenheiten des Terrains ab. Kurzatmig stand sie dann neben ihrem Sohn, um
ihrem blauroten und doch pergamentartig mageren Antlitz ein wenig kühlende
Luft zuzufächeln.
»Es ist nichts mit solchen Ausfahrten,« stellte Frau von Stötteritz
grämlich fest, wobei sie der Hausherrin steif ihre Rechte zum Handkuß
darbot. »Guten Tag, liebes Kind. Ich wollte dich gewiß nicht belästigen
-- nein, nein, schon gut, wer soll sich denn über eine so alte
anspruchsvolle Frau im Ernst freuen? -- aber mein dummer Junge läßt mir
ja keine Ruhe. Es sollte durchaus ein Besuch bei dir werden. Als ob ich
dich in meinem Leben noch nicht gesehen hätte! -- Nein, nein, schon gut,«
unterbrach die hagere Dame entschieden, als das blonde Mädchen ihr
irgend etwas Liebenswürdiges entgegnen wollte. »Lüge nicht erst,
mein Töchterchen, du schwärmst ja selbst nicht für Komplimente. Die
Hauptsache ist, daß ich möglichst bald eine Fußbank unter mein rechtes
Bein erhalte. Du kannst dir gar nicht denken, wie mich das Rheuma wieder
plagt. Aber paß auf, es gibt Regenwetter. Unsere Rapsernte wird uns
natürlich wieder wegschwimmen.«
»Du, Hans,« schrie der Sohn aufgeräumt dazwischen, der seine Frau Mama
mit den flachen Händen so sanft wie möglich vor sich her schob, »mein
ganzer Raps an Silberstein da drinnen verkauft. Den verfluchten Juden hab'
ich schön hochgenommen. Wenn das in diesem Jahre so weiter geht, dann bau
ich auf Sorquitten das neue Herrenhaus, das du neulich vorschlugst. Meine
Alte werde ich schon rumkriegen.«
»Es wäre gut, wenn du mir nicht so in die Ohren schriest, Fedor,«
tadelte die Vorauftappende, schmerzlich ihren Mund verziehend. »Was ich
dieses Brüllen nicht leiden mag -- --«
»Na, laß man sein, Mutterchen, ich säusele schon wieder. So, und nun
aufgepaßt, hier kommen die Treppen.« Der Besuch wurde in das große
Staatszimmer hinaufgeführt, dessen drei Fenster auf den Park hinausgingen.
Denn Johanna dachte daran, daß ihre Tante, Frau von Stötteritz, eine
unbesiegliche Abneigung hege gegen den Anblick des Wirtschaftshofes sowie
gegen die rauhen Geräusche, die sich von dort möglicherweise erheben
konnten. In einem alten gelben Seidenfauteuil lehnte die alte Dame an einem
der hohen Fensterbogen und zupfte nervös an den seidenen Halbgardinen
herum. Währenddes präsentierte die blonde Hausherrin ihrem kritischen
Besuch ein in Wein abgezogenes Ei, denn dies war die einzige Aufwartung,
welche die kränkliche Dame gnädig aufnahm. Dafür konnte sie von jener
Leckerei auch große Mengen vertilgen. Einen Augenblick hörte man nichts,
als das Klirren des Löffels, den Frau von Stötteritz in dem Glase
herumführte, und dazwischen mischten sich die schallenden Tritte ihres
Sohnes, der, die Hände in den Taschen, ruhelos das Zimmer durchmaß. Er
entbehrte seine Zigarre, die in der Gegenwart der Mutter nicht geraucht
werden durfte.
Endlich hatte die kränkliche Frau die ihr so wohlmundende Leckerei mit
Andacht zu sich genommen; das behagliche Schlürfen sowie das Kratzen des
Löffels erstarb, und nachdem sich Fedors Mutter umständlich mit ihrem
Taschentuch Mund und Hände gereinigt, da richtete sich die hagere Gestalt
starr in ihrem Sessel auf, alles Vorboten, daß jetzt etwas Wichtiges
erfolgen sollte. Zuerst aber reichte sie mit ihren zitternden Fingern das
Glas zurück, um verurteilend zu klagen:
»Wenn einem nichts mehr schmeckt, so ist das ein schlimmes Zeichen. Nein,
widersprecht nicht erst, ich bin mir über meinen Zustand ganz im klaren.«
Als aber ihr herkulischer Sohn unbekümmert seinen dröhnenden Spaziergang
durch das weite Gemach fortsetzte, da nestelte Frau von Stötteritz aus
ihrer schwarzseidenen Handtasche einen mehrfach gefalteten Brief hervor,
strich ihn auf ihrem Schoße glatt und tat einen tiefen, halb seufzenden
Atemzug.
»Höre, Johanna,« begann sie endlich, indem sie sich den Zeigefinger
netzte, wie wenn sie die Seiten des vertrockneten Briefes umzuschlagen
gedächte, »bekümmerst du dich eigentlich um politische Vorgänge?«
»Um politische --?«
Johanna stutzte. Und während sie mit entschlossener Bewegung ihr blondes
Haupt in den Nacken warf, da nahm sie plötzlich jene abwehrende Stellung
ein, die ihrer ganzen Gestalt das Gepräge verlieh.
Mein Gott, wie unangenehm! Gedachten die beiden herrischen Adelsmenschen,
die in der ganzen Gegend wegen ihrer altpreußischen Gesinnung bekannt
waren, sie, die emsig Schaffende, nun auch zu ihren Lebensanschauungen
zu bekehren? Oh nein, darin täuschten sich die beiden. Sie -- das
Gutsfräulein von Maritzken bewertete die ihr Nahen und Fernen lediglich
nach den Leistungen, durch die Schaffensfreudige und Arbeitskräftige ihr
Dasein, ihre Lebenshaltung zu befestigen oder zu steigern vermochten. Ja,
das war es, dem praktischen Sinn der großen Blonden war der Erwerb, der
anständige und sichere, beinahe etwas moralisch Schönes und Geheiligtes
geworden. Und deshalb lehnte sie gewöhnlich mit einer ihrer entschlossenen
Gesten alles ab, was sich in ihrem Umkreis in politischen Zänkereien
erging. »Wer für sich schafft, schafft auch für das Land,« dachte sie.
Und mit diesem Bekenntnis glaubte sie sich genügend mit den Streitigkeiten
des Tages abgefunden zu haben.
»Bekümmerst du dich eigentlich um politische Dinge?« hob Frau von
Stötteritz noch einmal an, und es klang bereits, wie immer, ein spitzer
Vorwurf aus dem Ton ihrer Frage.
Aber gerade diese Art, die so selbstverständlich eine scheue Unterwerfung
forderte, das bedingungslose Zustimmen zu einem durch nichts zu
erschütternden Programm, das rief den starken Drang nach Widerspruch, nach
Verteidigung bei dem eigenwilligen Landfräulein hervor. Und indem Johanna
mit dem Finger leicht auf die Tischplatte pochte, als wollte sie für
jedes ihrer Worte eine besondere Aufmerksamkeit verlangen, da warf sie mit
angenommener Gleichgültigkeit hin:
»Nein, liebe Tante Adelheid, von Politik verstehe ich zu wenig. Und das
Geringe, das ich manchmal mit meinem Freunde, dem Konsul Bark, bespreche,
das hat irgendwie einen Bezug auf meine Wirtschaft. Aber ein Verdienst oder
etwas Ersprießliches,« setzte sie mit einem kalten Lächeln hinzu, »ist
meines Wissens für mich noch niemals dadurch erzielt worden.«
Bei der Erwähnung des Namens ›Bark‹ öffneten sich die schmalen Lippen
der Freifrau wie von selbst, und sie ließen ein Paar der großen gelben
Zähne zum Vorschein kommen. Und siehe da, auch ihr mächtiger Sohn gab
seine Wanderung auf und wurzelte so unvermittelt auf dem olivgrünen
Velourteppich fest, daß die alten Porzellantassen in der nahen
Glasservante zu klirren anhoben. Gleich darauf trat auch er an den Tisch
heran, ganz dicht neben das blonde Mädchen, und zwirbelte mit einer
weitausladenden Bewegung den starr sich emporreckenden rotblonden
Schnurrbart zurecht.
»Konsul Bark?«, nahm er das verdächtige Wort von neuem auf und in seine
tiefe Stimme drang gleichfalls etwas Scharfes und Schnarrendes. »Sag mal,
kommst du mit dem Tütendreher noch immer so häufig zusammen, Johanna?«
Da war wieder jene Verachtung der kaufmännischen Berufe, die den
praktischen Hans mehr wie alles andere verdroß. Und in ihrem Innern erhob
sich eine heftige Abneigung gegen die junkerliche Überhebung des Vetters.
Zum Teufel, was hatte der Riese von Sorquitten denn Höheres und Besseres
geleistet, als der gewandte Geschäftsmann dort drinnen in der Stadt? Gott
ja, Fedor war ein mit beiden Fäusten durchgreifender Landwirt, praktisch
in jeder Faser und voll derber Freude an seinem Beruf. Seine Leute
duckten sich vor ihm, denn es war nicht ratsam, mit dem Enaksohn im
Ernst anzubinden. Aber bestand denn darin etwas so Gewaltiges, das
große väterliche Gut, das ihm blühend von Generationen von Vorfahren
überliefert war, in einem ertragsreichen Zustand zu erhalten? Wie ganz
anders der Chef des Goldenen Bechers dort drinnen am Marktplatz. In ewig
neuer Anspannung mußte der Kaufmann seine Kapitalien, ja sogar sein ganzes
Geschäft, das durch wechselnde Konjunkturen und Zeitströmungen immer
wieder gefährdet werden konnte, verteidigen, schützen und erweitern.
Über die schnell sich verändernden Beziehungen des Völkerlebens mußte
er sich unterrichtet zeigen, denn jeden Augenblick konnte es nötig werden,
irgendeine der sich erhebenden großen Fragen des Weltgeschehens für
sich günstig auszubeuten. Dazu gehörte doch eine andere geistige
Beweglichkeit, eine männliche Kraft des Entschlusses und daneben auch
eine biegsame und geschmeidige Leichtigkeit, die plötzlich anstürmenden Gefahren auszuweichen verstand; ja, es gehörte mehr Mut und Selbstbeherrschung zu einem solchen Tütendrehen, als es das ruhige Abwarten von Saat und Ernte verlangte.
댓글 없음:
댓글 쓰기