2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 26

Die Herrin und ihr Knecht 26


Marianne,« begann er, sich gewaltsam von diesem Gefühl losreißend,
»die Zeit begünstigt keine Neckereien. Hat dir deine Schwester Johanna
nicht mitgeteilt, daß ich heute vormittag bei ihr um deine Hand anhielt?«
 
Wie von einem Stoß in den Nacken getroffen flog Marianne empor. Zitternd
vor Schrecken stand sie dicht neben dem Offizier, ihre Augen gruben sich
aus nächster Entfernung ineinander.
 
»Nein,« brachte sie bestürzt heraus, und es war, als wenn sie ein
leichtes Frösteln überwände, »das liegt nicht in Johannas Art. Sie hat
mir nicht das geringste verraten. Um Gottes willen, Fritz, wie konntest du
das?«
 
»Wie ich das konnte?«
 
In dem Manne verwirrte sich jedes Begreifen. Völlig entglitt ihm die
Beherrschung dieser Zwiesprache, die so vollständig den Charakter einer
landläufigen Unterhaltung anzunehmen drohte. Nein, der junge redliche
Mensch vermochte sich durchaus nicht mehr zurechtzufinden. War es denkbar,
die Herrscherin über sein zukünftiges Leben, dieses heiße, glühende
Geschöpf, es jauchzte nicht auf, als all die unwürdigen Heimlichkeiten,
all das böse Versteckspielen von ihnen abgleiten sollten? Sie bekannte
sich nicht sofort bedingungslos zu ihm, sie verstand nicht, daß eine
rechte deutsche Frau in der großen allgemeinen Not jeden Zweifel, jede
Bedenklichkeit von dem Geliebten fortscheuchen und für immer entfernen
müsse? Nein, das ertrug er nicht. Langsam umklammerte er ihren Arm, und
obwohl er fühlte, wie sie schmerzhaft zuckte, fragte er noch einmal mit
aller Zusammenfassung seiner Willensstärke:
 
»Marianne, du weißt, mein Dasein ist an das deine geknüpft. Gib
mir deine Hand und bestätige mir noch einmal, daß du mein Leben, so
bescheiden es auch ist, teilen willst.«
 
Hilflos schickte Marianne ihren Blick umher, ein rasches Aufatmen hob ihre
Brust, und während sie, wie um ihren Bedränger zu besänftigen, ihm immer
noch mit ihrer zarten, weichen Hand die Wange streichelte, da rang sie sich
kleinlaut ab:
 
»Du weißt, Fritz, wie gern ich dich habe.«
 
»Gern? Nun gut, Marianne, auch das genügt mir. Aber dann wollen wir
jetzt hinunter gehen, um den Deinen unser Verlöbnis, das sie erwarten,
mitzuteilen. Auch meinen Eltern möchte ich die Freudenkunde nicht länger
vorenthalten.«
 
»Aber sieh mal, Fritz,« versuchte sich das blühende Geschöpf zu
entwinden, das die unwillkommene Einzwängung zwischen Beschränkung und
Kleinbürgerlichkeit auf sich einrücken sah, wie die beiden Kneif-Enden
einer riesigen Zange, »ich habe natürlich nichts dagegen -- ich meinte
nur -- --«
 
»Was meinst du? -- Gibst du deine Einwilligung?« beharrte der Offizier
mit einer ihm ganz fremden Unerbitterlichkeit.
 
Heftig entzog ihm die Gequälte, die sich nicht binden lassen wollte, ihren
Arm, da er ihn noch immer umspannt hielt. Nein, wie konnte solch ein armer,
unbedeutender Leutnant, der beinahe auf nichts, als auf seine Löhnung
angewiesen war, eine derartige Zusage im Ernst von ihr verlangen? Von
ihr, der Glänzenden, Vielbegehrten, deren Zukunft in einem goldigen Nebel
schwamm? O, wenn sie wollte, wenn sie bloß winkte, dann würde -- -- --
Im Grunde war es eigentlich, -- ja, sie konnte es nicht anders nennen, --
es war eigentlich eine Anmaßung, daß der hartnäckige, in seine Bücher
verbohrte junge Mensch, der das Leben so wenig kannte, sie veranlassen
wollte, so plötzlich, so unüberlegt eine Entscheidung zu treffen, die sie
für immer von allen glänzenderen Hoffnungen entfernen mußte. Und warum?
Es blieb wirklich halb lächerlich. Weil man einen kleinen ungefährlichen
Flirt getrieben hatte, weil man dem hübschen Menschen mit den ernsten
Zügen ein paar Zärtlichkeiten gestattet, die man eben an irgend jemanden
verschwenden wollte. Warum nicht an ihn, auf dessen Verschwiegenheit man
doch bauen konnte? Und zum Lohn dafür jetzt dieses beinahe unhöfliche
Drängen? Nein, das war sicherlich Johannas Werk, die es nicht erwarten
konnte, die schöne Schwester, deren Eleganz und Damenhaftigkeit sie
natürlich heimlich beneidete, in ein ebensolches Arbeitsdasein zu stoßen,
wie sie es selbst führte. Herrgott, Herrgott, wenn man nur einen Ausweg
fände, ein Entschlüpfen! Und plötzlich warf sie sich in den Sessel
zurück und schlug beide Hände vor ihr Antlitz. Heftig und wild schluchzte
sie auf. Ja, der von einem peinlichen Schrecken durchschlagene Offizier
merkte sogar, wie zwischen den Ritzen ihrer Finger helle Tränen
hindurchtröpfelten. Das hatte er noch nie bei ihr wahrgenommen. Und eine
Sekunde lang war es ihm, als müsse er sich über die Ringende beugen, um
ihr unter tausend guten Worten Trost zuzusprechen. Es war ja eigentlich
alles so natürlich. Dem Unverdorbenen schien es, als ob diese Tränen,
dieses aufgelöste Schluchzen nur ein unverstandenes Abschiednehmen von
Mädchentum und Jungfräulichkeit bedeuteten, ein rührender Kummer, der
ihm sein Mädchen in einer ganz neuen, zarten und demütigen Schwäche
zeigte.
 
Wenn nur die Zeit, die machtvoll aufbegehrende Zeit derartige Erwägungen
nicht wie Spreu im Sturm auseinander gesprengt hätte. Horch! Begann
dort draußen nicht mit einem Mal das Glockenwerk von dem Turm der
Sebaldus-Kirche zu läuten? Ein Ton immer eherner und markerschütternder,
als der andere? Fritz Harder begriff nicht, warum die Kunstschöpfung des
alten Uhrmachers Adameit, seines Hauswirtes, in dem allgemeinen Tumult
ihre Stimme erhöbe, aber der seelenumwühlende Donnerton raubte ihm jedes
weichliche Mitleid. Fest und zielsicher trat er an den roten Sessel heran,
um seine Hand noch einmal auf ihre Schulter zu stützen. Doch merkwürdig,
nur ein wenig regte die in sich Versunkene die volle Rundung, aber die
Bewegung genügte, damit die Hand abglitt. Empfand der Betroffene auch die
leise Gereiztheit, die sich hier äußerte, den beleidigten Mißmut und die
schlecht verhehlte Empörung über Zwang und Gehorsam?
 
»Marianne,« forschte der junge Mann noch einmal in äußerster
Zurückhaltung, »Marianne, ich begreife deine Tränen nicht. Liegt denn in
meiner Bitte, in meinem Verlangen, eine Beleidigung?«
 
Und mit einem plötzlichen Entschluß entfernte er ihre Hände von
ihrem Antlitz. Dann erschrak er. Der braune Samtton war von ihren Wangen
entwichen, und auf ihren erschreckten Zügen lauerte etwas, was er sich
durchaus nicht erklären konnte. Für einen Erfahreneren freilich, für
Konsul Bark, hätte ein Blick genügt, um zu wissen, daß es die Teufel der
Lüge waren, die dort ihre geschäftige Arbeit verrichten wollten.
 
Jetzt hatte sie sich auch gefaßt. Ja, ihr Mund lächelte wieder halb
schmollend zu ihm empor.
 
»Wie kannst du nur so etwas fragen, Fritz?« widerlegte sie, während die
Tränen immer noch ihre großen schwarzen Augen feuchteten, »ich denke
doch nur darüber nach, daß du jetzt, gerade jetzt, vielleicht morgen
schon, von meiner Seite gerissen wirst.«
 
»Ja, das ist wahr,« bestätigte ihr Zuhörer betroffen.
 
»Und sieh einmal -- --«
 
»Ja, was denn -- was denn -- erkläre dich deutlicher.«
 
Sie beugte sich herab und ließ die glänzenden Lackhalbschuhe wieder
leicht gegeneinander schnellen. Noch hatte sie den gewünschten
Schlupfwinkel nicht völlig gefunden, in den sie sich verkriechen wollte.
 
»Sieh einmal, Fritz,« suchte sie noch immer unsicher, »du sagst selbst,
es gerät jetzt alles ins Wanken. Kein Mensch weiß, ob er den anderen am
nächsten Tage wieder sehen wird. Meinst du nicht auch, daß man lieber
abwarten sollte, bis sich alles geklärt hat?«
 
Noch sprach das schöne Geschöpf ungewiß und zögernd, da fuhr sie
plötzlich erschreckt auf. Woher die ungewohnte atempressende Stille?
Draußen hatte unvermittelt der Gesang der Volksmenge wie mit einem Schlag
ausgesetzt. Eine einzelne ferne Stimme wurde hörbar und dann folgte kurz
und knapp, gleich dem Aufschlagen einer brandenden Welle, ein einziges
vieltausendstimmiges Hurra. Das eigentümlich knirschende Geräusch, das
stets vernehmbar wird, wenn Massen sich in Bewegung setzen, drang zu den
Einsamen empor. Die improvisierte Versammlung auf dem Marktplatz schien ihr
Ende erreicht zu haben. Jedoch die ungewohnte Ruhe war es nicht allein, die
das aus der Fassung gebrachte Mädchen so unheimlich in ihren Bann schlug.
 
Jetzt wußte sie es -- die grauen Augen des Offiziers waren es, die sie
festhielten. Lieber Himmel, sie mußten die kleinen betrüglichen
Künste durchschaut haben, sonst hätten sie niemals einen solch kalten,
einbohrenden und doch zugleich verzweifelten Glanz strahlen können. Schon
wollte die Verängstigte aufspringen, um durch eine neue Zärtlichkeit, die
ihr ja leicht fiel, die unbehagliche Situation zu unterbrechen, als sie an
ihrem Platz vollkommen erstarrte. Keiner Bewegung mächtig, mußte sie mit
ansehen, wie ihr Gefährte, ohne sie nur im geringsten zu beachten, an den
Tisch herantrat, von wo er langsam seine Mütze an sich nahm. Dann streifte
sich der junge Mann, immer mit derselben unnatürlichen Ruhe, die weißen
Handschuhe auf und hakte mit einer mechanischen Bewegung den Degen ein.
Eine Sekunde verharrte er wie in Nachdenken. Allein je tiefer ihm das
kurz geschorene Haupt auf die Brust sank, desto deutlicher erkannte die
entsetzte Beobachterin, wie seine dunklen Augenbrauen sich immer finsterer
und entschlossener zusammenzogen.
 
»Fritz!« sprang sie empor.
 
Er hob das Haupt und sah sie an.
 
Es war ein Blick aus so unendlicher Entfernung, ein so fremder und stolz
gefaßter Blick, daß Marianne vor Zorn, Scham und Zurücksetzung hätte
schreien mögen. Im Halse schnürte sich ihr etwas zusammen, sie glaubte
ersticken zu müssen. Als sie ihre Umgebung wieder vollständig zu deuten
wußte, da schloß sich bereits, unhörbar, die hohe weiße Tür, und eine
Scheidewand wuchs empor zwischen ihr und der Vergangenheit voll Spiel und
Kurzweil.
 
Wirklich Vergangenheit?
 
Pah -- sie hatte sich wiedergefunden. Beflügelt eilte sie vor den
altertümlichen Goldspiegel des Zimmers, um ihr verwirrtes Haar in Ordnung
zu bringen. Und als sie ihre in purpurner Pracht siedenden Wangen gewahrte,
als sie die tadellosen Linien ihrer Gestalt abmaß, da zwang sie etwas,
spöttisch die Achsel zu zucken. Aufatmend trat sie unter die Gardine und
öffnete das Fenster. Von dem großen viereckigen Marktplatz zogen noch
immer die dunklen Scharen ab und marschierten in schwarzen Zügen durch die
Nebengassen. Hoch über ihren Häuptern folgte ihnen das Donnergeläut
des Glockenwerks. Mit tausend Goldaugen beobachtete der Nachthimmel das
Aufbegehren und die Erhebung eines ganzen Volkes. Köstlich reine
Luft strich zu dem Fenster herein und fächelte dem schönen Mädchen
erfrischend die Stirn. Und in diesem Augenblick durchdrang selbst die
Gleichgültige, Unbedachtsame ein zitterndes Nachgefühl von dem, was dort
unten die davonstrebenden Züge der Stadtbürger erfüllt haben mußte.
Ganz sicher, es schwebte etwas Ungeheuerliches, Niegeahntes in der Luft. Es
flog von da und dort heran, schwirrende Möglichkeiten, die man ergreifen
mußte, um sich auf ihren Flügeln von dannen tragen zu lassen.
 
In die Höhe.
 
Und der verschleierte Abenteurersinn des Mädchens, das da an dem
Eckpfeiler des Fensters lehnte, reckte sich und verlangte gleichfalls
hinaus, fort auf die Wege, die sich weit über die Täler des Alltags
emporschlängelten.
 
Dann neigte sie sich weiter vor. Ihr scharfer Blick hatte aufgefangen,
wie das trübe Laternenlicht in einer Degenscheide widerglitzerte. Und sie erkannte die Gestalt, die langsam und etwas vornübergebeugt dort drüben in der Dunkelheit der engen Rosenkranzgasse verschwand.

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