Die Herrin und ihr Knecht 39
Verzeihen Sie eine sonderbare Frage, Isa, können Sie Kaffee kochen?«
»Ich?« das Mädchen starrt ihn verblüfft an. »Ja gewiß, Herr Konsul
Bark. Wünschen Sie denn zu trinken?«
Hastig wird die Abwesenheit des alten Dieners zu erklären versucht, und
unmittelbar darauf huscht die Kleine schon, die Laterne in der Hand, über
Treppen und wurmstichige Holzgänge in die Küche hinab. Wie die Furcht
ihre Glieder dabei mit eisiger Hand anfaßt, wie hohl ihre Tritte auf
den alten Dielen schallen, wie kühl die Zugluft um die vorspringenden
Mauerecken herumstreicht, und vor allen Dingen, wie unheimlich ihr eigener
Schatten an den Wänden hin und her hüpft! Und doch -- das ängstliche
Geschöpf hat die Begleitung des Hausherrn weit von sich gewiesen. Was
würde er denken, wenn sie sich jetzt kindisch benähme. Nein, weiter,
weiter, trotz Grauen und häufigem bangen Zurückschauen.
»Sieh da,« ruft Konsul Bark nach einer Weile, als er den Rotkopf auf
einem gewaltigen Tablett eine ganz unwahrscheinlich irdene Kanne, umgeben
von ein paar eilig zusammengerafften Tassen, daherschleppen sieht, »wo
haben Sie denn diese Kostbarkeiten aufgelesen, Isachen? Aber das tut
nichts, die Hauptsache ist, daß es aus dem braunen Ding hier sehr
vertrauenerweckend dampft.« Er beugt sich ein wenig herab und schnuppert
herum. »Also wirklich ein großartiges Aroma! -- Tischzeug? Nein, mein
Kind, das vermag ich jetzt nicht aufzutreiben. Sehen Sie, ich decke ein
nagelneues Taschentuch hier über dieses Tischchen, und passen Sie auf, der
Trank wird uns auch so munden. Es ist eben Belagerungskaffee.«
Und nun sitzen die beiden vor dem groben Gesindegeschirr, schlürfen von
dem brennend heißen Getränk und beginnen an ihrer trostlosen Vereinsamung
beinahe ein romantisches Gefallen zu finden.
Wieder wähnen sich beide auf eine winzige Insel verschlagen, und
hingegeben an den wohligen Schauer der immer näher rückenden Gefahr,
horchen sie auf die wilden Geräusche, von denen draußen die Straße
widerhallt. Es klirrt und rasselt, galloppiert, schreit und tobt,
gröhlende Lieder, in einer fremden Sprache gebrüllt, schlagen zu ihnen
herein, und plötzlich schmettert etwas durch die Eisengitter der Fenster
hindurch, und klirrende Glasscherben spritzen innen gegen die geschlossenen
Holzläden.
»Ruhig, ruhig,« beschwichtigt der Kaufmann und fährt wieder mechanisch
über die bebende Mädchenhand.
Doch Isa rührt sich nicht. Still, wie bisher, sitzt sie auf der Lehne des
Stuhles, hält den Atem an, und die Nähe ihres Gefährten wirkt so
stark auf sie, daß sie sogar versucht, das rasche Jagen ihrer Brust zu
bezwingen.
Ein Augenblick der Stille tritt ein. Scharf und schreckhaft hebt sich
die lähmende Ruhe des großen Gemaches ab von dem dröhnenden Toben
der Straße. Und so schmerzend sicher schlürft das bis aufs Äußerste
angestrengte Gehör der beiden Einsamen jeden Ton in sich hinein, daß
nicht allein die schneidenden Schwingungen der fremdartigen Hornsignale,
die dort draußen den Lärm übergellen, ihr Innerstes durchstoßen,
sondern auch das Knistern und Zucken der vielen Lichter bis an ihre zum
Zerreißen aufmerksamen Sinne dringt.
Da --
»Herr Konsul,« fährt Isa auf.
Auf den Pflastersteinen der Einfahrt hallt es von unzähligen Fußtritten.
Ist es möglich? Der Konsul erhebt sich langsam. Ein törichter Kindertraum
däucht ihm das Ganze, denn das schwere Eingangstor ist ja bis jetzt nicht
dem geringsten Angriff ausgesetzt gewesen. Oder sollte etwa -- --
Allein alle diese Zweifel und Bedenken gelangen nicht mehr an ihr Ende.
Sieh -- sieh, es ist wirklich, als ob durch brennende Fiebergesichte alle
möglichen bekannten Gestalten taumeln. Jetzt wird die Tür über den drei
grünen Porphyrstufen aufgerissen, draußen in der gewölbten Einfahrt
drängt sich Kopf an Kopf. Lauter breitrandige Mützen schieben sich
durcheinander, Säbelgehänge, die über den Schultern befestigt
sind, gleiten über grün-graue Uniformen herab, rauhe, unbearbeitete
Reiterstiefel scharren auf den Fliesen.
Doch wie kann es geschehen, daß sich aus dem dunklen Schwarm eine so
überaus vertraute Figur ablöst? Ja, er ist es, er ist es wirklich!
Breitspurigen Trittes, mit etwas nachgebenden Knien, drängt sich Rudolf
Barks ›bester Freund‹ Leo Konstantinowitsch Sassin in das Gemach. Ein
kotbespritzter grauer Radmantel hängt schief eingehakt um seine breiten
Schultern, die Mütze sitzt ihm schräg auf dem linken Ohr, und auf dem
brutalen Antlitz glüht eine sonderbare Hitze. Zwischen zwei Brustknöpfen
seines Waffenrockes lugt der schwarze Kolben eines Revolvers hervor.
Als der Russe des Paares ansichtig wird, das fast regungslos unter dem
zersplitterten Fenster weilt, da reißt der Offizier seine hervorquellenden
Kinderaugen auf, und um seine blondumbarteten Lippen fliegt ein sonderbar
befriedigter Schein. Was hier Ausdruck gewinnt, ist nicht die Freude des
Wiedersehens. Es bedeutet vielmehr eine dumm-dreiste Überlegenheit, wie
sie Ungebildeten eignet, wenn sie plötzlich über Höherstehende Macht
erlangen.
»Ah, guten Abend, Rudolf Bark, mein Kompliment für das junge Fräulein
von Maritzken,« poltert der Dragoner in einem rohen Lachen hervor. »Nicht
fürchten -- keine Ursache -- gut Freund. So lange hier keine Dummheiten
macht, werden Euch vorzüglich behandeln. Was stieren mich so an, Rudolf
Bark? Mein bester Freund?! Wundern sich, wie zu Ihnen hereingekommen? Hehe,
zweiunddreißigsten Dragoner verstehen durchs Schlüsselloch zu reiten.
Haben unsre kleinen Geheimnisse.«
Damit tritt der Redende nicht ganz sicher an den Tisch, hebt die braune
Kanne in die Höhe und läßt sie aus Ungeschicklichkeit oder mit Absicht
auf den Teppich niederstürzen. In einer breiten Lache ergießt sich
die braune Flüssigkeit aus den zersprungenen Scherben über das dunkle
orientalische Gewebe.
»Wie, was -- Kaffee? Seit wann, Rudolf Bark, sind Sie ein altes Weib? Es
muß hier doch Wein im Hause sein. Bei der Mutter von Kasan! Tausende von
Flaschen, ganze Fässer. Ich kenne Ihre Gastfreundschaft, bester Freund.
Natürlich, wer sollte sie besser kennen?! Weiß, brennen darauf, arme,
müde Soldaten des Zaren -- wie sagt man -- =à régaler=.«
Und sich zur Tür und zu den Haufen seiner Reiter wendend, schreit er in
russischer Sprache, die der Prinzipal des »Goldenen Becher« sehr wohl
versteht, hinaus:
»Lauft, ihr durstigen Kinderchen, sucht, meine braven Söhne! Habt ihr
verstanden, ihr pfiffigen Spitzbuben? Hier unten in den Kellern gibt es
Wein. Alkohol ist euch verboten, aber Wein hat der große Zar erlaubt. Und
mein Freund Rudolf Bark ist kein Knauser. Er ist glücklich, uns bewirten
zu dürfen. Macht, daß ihr fortkommt! Aber nicht betrinken. Hört ihr? Der
Rausch ist für einen russischen Soldaten unanständig.«
Nach dieser mit wildem Triumph gehaltenen Rede läßt Leo Konstantinowitsch
die Flügeltüren zurückfallen und schwankt ziemlich unsicher an den
Tisch, wo er krachend in den nächsten Stuhl fällt. Seine glitzernden
Augen aber, die bebenden Nasenflügel und der kurze Atem bekunden deutlich,
wie er selbst das Alkoholverbot seines Gossudars durchaus nicht für
verbindlich erachtet hat. Eine müde Handbewegung ladet die beiden anderen
zum Platznehmen ein.
»Setzen Sie sich, Rudolf Bark,« sprudelt er herablassend, »und hier
neben mich das schöne Fräulein. Ohne Angst. Leo Konstantinowitsch ist
Ihnen freundlich gesinnt. Sie glauben gar nicht, wie gut Sie es bei uns
haben werden. Und nun schaffen Sie ein paar Flaschen Champagner an, Rudolf
Bark, ich schlafe heute bei Ihnen.«
Und dann rast alles, wie von irrsinnigen Geistern gehetzt vorüber. Von
unten aus den Kellergewölben dringen dumpfe Schläge herauf, ein wildes
Geheul der Freude kreischt dazwischen und ehe noch der Kaufmann Zeit
finden kann, seinem Bedränger auseinanderzusetzen, wie mitten in der Nacht
natürlich keine Dienerschaft vorhanden sei und daß die Schlüssel der
Vorratskammern jetzt ebensowenig aufzutreiben wären, da drängen sich
bereits ohne weitere Förmlichkeiten ein paar russische Dragoner an den
Tisch. Unter den Armen allerhand Weinflaschen und in den Händen eiligst
zusammengerafftes groteskes Trinkgeschirr. Bierseidel, Weingläser,
Kaffeetassen und Milchtöpfe, alles toll und wüst durcheinander.
»Gut, gut,« schreit Sassin, und dabei schleudert er Mantel und Mütze
mitten in die Stube, »sehen Sie, Rudolf Bark, wie treulos Sie sich
benehmen? Sie verwickeln sich in Widersprüche, bester Freund. Wozu
Dienerschaft? Wozu Schlüssel? Ich habe alles bei mir. Das weite Russland
braucht nichts Fremdes, es besorgt sich alles selbst. Vorwärts, meine
guten Jungen. Jeder drei Flaschen! Rudolf Bark gibt es euch gern. Seht, wie
er sich freut. Fehlt euch noch etwas, meine guten Söhne?«
»Nein, es lebe Väterchen Rittmeister!«
»Ich danke euch, ich weiß, daß ihr mich liebt. Und nun packt euch
hinaus, seht ihr nicht, daß ich hier mit vornehmen Nemzows sitze?«
Wieder befinden sich die drei allein, immer wiehernder schallt das
Gelächter des Trunkenen durch den großen Raum, immer ungebändigter
werden seine Scherze. Empört erhebt sich der Konsul. Er ist kaum noch
imstande, seinen Zorn und seine Verachtung gegen den halb der Besinnung
Beraubten zu unterdrücken. Nur ein Blick auf das Mädchen, das mit weit
aufgerissenen Augen die widerwärtige Trinkorgie verfolgt, flößt dem
Kaufmann noch Beherrschung und Zurückhaltung ein.
»Herr Rittmeister,« ruft er, indem er mit zusammengekrümmtem Zeigefinger
nervös auf die Tischplatte pocht, »wünschen Sie dies Gelage noch lange
fortzusetzen? Ich finde, Ihr Zustand erfordert es, daß Sie sich eiligst
zur Ruhe begeben.«
»Ich?« Der Russe spreizt die Beine von sich und lehnt sich weit zurück.
Die stieren blauen Augen quillen ihm dabei immer mehr aus dem Kopf.
»Zustand? Wieso, Rudolf Bark? Pah, ich kenne keinen Zustand. Wenn Sie
wüßten, wie frisch ich mich fühle! Acht Stunden im Sattel gesessen.
Keine Ader schlägt mir danach.« Hier brüllt er laut auf und stößt
mit der Faust vor die Brust. »Solch einen Ritt wünsche ich Ihnen, Rudolf
Bark. Herrlich, herrlich! Grenzwache haben wir überritten, ehe sie sich
besann. Unter meinem Pferd lag etwas Zappelndes. Können Sie sich diese
weichliche Nachgiebigkeit vorstellen, wenn man zum erstenmal über einen
Menschen reitet? Man hört das Aufschmettern des Hufes, man fühlt das
Einsinken -- es ist aufregend!«
»Hören Sie auf,« ruft der Konsul sich vergessend, »Sie wissen nicht
mehr, was Sie reden.«
»Wie? Was?« Der Russe versucht sich aufzurichten, allein er vermag es
nicht mehr. Die Geister des verschwenderisch genossenen Weines reißen ihn
auf seinen Sitz zurück. »Wie sprechen mit mir, teurer Freund? Sollten
vielleicht vergessen, daß wir hier als Herren einzogen? Hat ein Ende mit
der Unverschämtheit der Germanen. Wer sind Sie, wenn ich meine Hand jetzt
von Ihnen abziehe? Kein Hahn kräht nach Ihnen. Aber lassen wir diese
Dummheiten.«
Schwerfällig wendet er sich zu Isa, bemüht, eine Verneigung auszuführen,
allein der Versuch wirft ihn nach vorn, so daß sein flammendes Haupt
haltlos gegen die Schulter des Mädchens sinkt.
Hei, welche Wärme, welch eine zuckende Haut, welch eine atmende Rundung!
Das betäubte Hirn des ungebildeten Bauern verliert darüber die letzte
Spur angelernter Lebensart.
»Kommen Sie, =ma chère=,« flüstert er, wobei er der Zurückschaudernden
immer näher rückt und beide Arme um sie schlingt, »wir trinken noch ein
Gläschen. Wissen Sie auch, daß Sie scharmant sind? Der Teufel hole
Ihre Schwestern. Sie sollen leben, ich habe immer für schlanke Glieder
geschwärmt. Nicht wahr, Rudolf Bark, Sie können es bezeugen?«
Roh, zudringlich, in einer gemeinen Vertraulichkeit schließen sich die
Fäuste des von Gier und Rausch Bezwungenen hinter dem Hals des Mädchens
zusammen. Von Starrheit geschlagen, rührt sich Isa kaum. Keine Bewegung
wagt sie auszuführen aus Scham oder aus Angst, und nur einen einzigen
hilflosen, beschwörenden Blick sendet sie zu dem vor Wut verzerrten
Antlitz des Hausherrn empor. Sie sieht noch, wie sich die Zähne des
Konsuls in seine Unterlippe graben, schauernd fühlt sie, daß das kleine
Tischchen, einem Fußtritt des durch ihn genierten Russen nachgebend,
polternd und klirrend zu Boden stürzt, und gleich darauf zischt etwas vor
ihren Ohren. Ein blendender Strahl zwingt sie, ihre Lider zu schließen, so
daß sie kaum noch merkt, von wessen Hand sie jetzt emporgerissen wird.
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