2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 24

Die Herrin und ihr Knecht 24


Über das marmorweiße Antlitz der Großen huschte ein mattes Lächeln. Und
doch richtete sie ihre Augen auskunftheischend auf den Fürsten Fergussow,
der mit seinem leichten, federnden Gang an ihrer Seite geblieben war.
Sofort nickte der Aristokrat verständnisvoll und trat rasch an den jungen
Zugführer heran, der grüßend seinen Degen vor dem Offizier in der
blitzenden Uniform senkte. Ein paar schnelle, den anderen unverständliche
Worte wurden gewechselt. Gleich darauf parierte der Dragonerleutnant seinen
Braunen und rief etwas mit lauter Stimme über die Brücke. Gehorsam traten
auf den Anruf die beiden Grenzsoldaten dicht an das Wachthäuschen heran
und gaben die Durchfahrt frei.
 
Da meldete sich ein fernes Rollen. Im Galopp kam der Landauer des Konsuls
über den Marktplatz gerasselt, und schon von weitem erkannte man, daß
der Rittmeister Sassin selbst das Gespann lenkte. Mit klatschenden
Peitschenschlägen trieb er die Pferde die steile Straße hinan. Kaum
hatte er die Brücke erreicht, als er auch schon dem deutschen Kutscher
die Zügel zuwarf und klirrend herabsprang. Unter beständigem betrübten
Kopfschütteln, und während er sich unausgesetzt den starrenden rotblonden
Schnurrbart strich, schritt die mächtige Gestalt bis mitten auf den
Holzweg, wo sich der Konsul, sowie seine Schutzbefohlenen, soeben von ihren
russischen Begleitern verabschiedeten. Laut dröhnte die metallische Stimme
des Rittmeisters zwischen die letzten höflichen Worte der Scheidenden.
 
»Rudolf Bark, mein teurer Freund, meine gnädigsten Damen, welch
ein Malheur, welch ein lächerliches Mißverständnis! Nie werde ich
wahnsinnigen Zeitungsschreibern, die an allem schuld sind, vergeben, was
sie an mir verbrochen haben. Einen der schönsten Tage meines Lebens haben
mir die elenden Narren gestohlen. Es ist unbegreiflich, Rudolf Bark, wie
auch Ihre bekannte Kaltblütigkeit sich von solchem Geschwätz beirren
lassen kann.«
 
Der Konsul hatte die Mädchen erst über die hölzerne Schwelle geführt,
welche die Grenze der beiden mächtigen Reiche bildete. So merkwürdige
Vorstellungen nisten in den Köpfen auch kluger Menschen, daß der Kaufmann
seine Begleiterinnen erst völlig geschützt wähnte, als sie hinter dieser
eingebildeten Schranke weilten. Er selbst aber trat noch einmal zurück,
nicht nur um seinen Wagen herbeizuwinken, sondern auch in der Absicht, das
Gebaren seines bisherigen Gastgebers, das er deutlich durchschaute, durch
ein paar derbe und offene Worte vor den anderen bloßzustellen. Aber wie
erstaunte er, als er merkte, daß diese Aufgabe bereits von dem vornehmen
Offizier aus Petersburg übernommen sei. Lässig lehnte Dimitri Sergewitsch
an dem Brückengeländer, nur eine heftige Kopfbewegung verriet, wie
widerlich und unanständig ihn das unaufrichtige Verhalten des Kameraden
anmutete.
 
»Leo Konstantinowitsch,« bemerkte er kurz, »Sie mögen gewiß Gründe
haben, die gegenwärtige Lage so optimistisch zu beurteilen. Mich selbst
aber, und wie ich glaube auch den Herrn Obersten, befriedigt es ungemein,
weil wir die deutschen Herrschaften in dieser gespannten Zeit dort wissen,
wohin sie gehören.« Und sich noch einmal, ohne die anderen zu beachten,
direkt vor Johanna verbeugend, rief er noch hinüber: »Kommen Sie gut
nach Hause, mein gnädigstes Fräulein; nein bitte, keinen Dank. Was hier
geschehen ist, würde jeder andere genau so verrichtet haben. Übrigens --
hier kommt Ihr Wagen. Und nun guten Abend.«
 
Ein kurzes Gedränge entstand, hastig schlüpften die Mädchen durch den
Schlag, der Konsul zog noch einmal den Hut vor dem salutierenden Obersten,
und fort rollte der deutsche Wagen der Heimat zu.
 
Ungefährdet.
 
Im Lichte der Abendsonne aber lehnte Fürst Fergussow, so lange er das
Gefährt noch verfolgen konnte, an dem Brückengeländer. Er hatte sich
eine Zigarette entzündet, und die weißen Wolken ringelten sich fröhlich
in den matter werdenden Himmel.
 
* * * * *
 
Wie anders sah das Land aus, in das der deutsche Wagen auf seinen prallen
Gummireifen hereinrollte, als dasjenige, das seine Insassen eben von Grauen
geschüttelt, verlassen hatten. Dort ein wüstes schmutziges Durcheinander,
grundlose, ungepflasterte Straßen, baufällige Häuser, und eine
Stadt, die von der segensreichen Tochter des Himmels, der Ordnung, nie
durchschritten war. Und hier, kaum daß man den schwarz-weißen Grenzpfahl
passiert, dem man zum erstenmal im Leben wie einem alten schutzbereiten
Wächter aufatmend zugenickt hatte, hier empfing die Heimkehrenden eine
glatte Chaussee aus blauweißen Steinchen, sauber gekehrt und auf beiden
Seiten besetzt von buschigen Kirschbäumen, die bereits der Frucht
zustrebten.
 
Gleich vor dem ersten Bauerngehöft stand neben den in der Abendsonne
blitzenden Glaskugeln des Vorgärtchens eine hochgewachsene blonde Frau,
auf dem Arm ihr Töchterchen tragend. Sie rief etwas in das Haus hinein,
als sie den herannahenden Wagen gewahrte. Auf den weithallenden Schrei trat
sofort ein Mann in Lederhosen und Hemdsärmeln aus der Tür, schnallte
sich den Gurt etwas fester, strich sich die düster-blonden Haare aus der
gebräunten Stirn und schritt dann dem heranrollenden Gefährt entgegen.
 
Der Konsul beugte sich in seinem weißen Mantel hinaus. Er erinnerte sich
nicht, den jungen Bauern, der offenbar ein Anliegen hatte, jemals gesehen
zu haben. Und doch beherrschte ihn die merkwürdige Empfindung, daß es
jetzt notwendig und angebracht sei, jedem Landsmann Rede und Antwort zu
stehen.
 
»Guten Abend, Herr Konsul Bark,« begann der Bauer, indem er freimütig
grüßend an den Schlag herantrat; und sich gewissermaßen vorstellend,
fuhr er fort: »Ich kaufe schon seit langem meinen Kram bei Ihnen
dort drinnen. Aber deswegen halte ich Sie nicht fest. Ich bin hier
Gemeindevorsteher, und die Nachricht ist eben bei mir eingelaufen. Sie
kommen von drüben, Herr Konsul, und da wollte ich fragen, ob wir uns
wirklich fertig machen müssen.«
 
Als er dies sprach, reckte sich die gedrungene Gestalt des Mannes und
kehrte sich halb gegen Osten, als ob er irgend etwas von dort Andrängendem
den Weg sperren müsse. Der Konsul aber reichte ihm rasch die Hand heraus
und bestätigte mit einem leisen Seufzer:
 
»Ja, ja, ich fürchte es steht schlimm, Herr Gemeindevorsteher.«
 
»Schlimm?« wiederholte der andere erstaunt, und in seine braunen Augen
drang ein seltsames Flimmern, »ich stand dort drinnen als Sergeant bei der
Artillerie, Herr Konsul, und ich denke, wir werden auch ein Wort mitzureden
haben. I wo, ich will uns nicht loben, aber wir werden uns nicht lumpen
lassen, Herr Konsul.«
 
Es lag etwas so Frisches, Selbstverständliches in der Überzeugung dieses
gedienten Soldaten, daß seine Zuhörer wie von einem heißen, belebenden
Trank durchrieselt wurden.
 
»So ist es,« stimmte Johanna zu, innerlich beglückt, nach all dem
französischen Parlieren wieder die derben heimatlichen Laute zu vernehmen,
»wenn wir fest zusammenhalten, kann uns nichts geschehen.«
 
Der Landmann aber schüttelte ganz verblüfft das unbedeckte Haupt. Er
schien den Sinn der Anrede durchaus nicht zu begreifen.
 
»Zusammenhalten?« wiederholte er langsam und prüfend. »Aber das ist
doch selbstverständlich, Fräulein, -- Ehrensache. Ne, da kennen Sie uns
nicht, die Sache wird gemacht.«
 
»Das meine ich auch,« nickte die Älteste von Maritzken, in deren Seele
sich die alte trotzige Widerstandskraft erhob.
 
»Und was wird aus Ihrer Wirtschaft?« warf der Konsul dazwischen, »aus
Frau und Kindern?«
 
»Ja, deswegen ist bereits vom Landratsamt telephoniert worden. Die
Wirtschaft muß ich vorläufig sich selbst überlassen,« meinte der Mann
stirnrunzelnd, »aber alles, was Beine hat, das bringe ich morgen in die
Stadt. Dort spreche ich mal vor, Herr Konsul.«
 
»Ja, tun Sie das,« ermunterte der Herr des Goldenen Bechers so
freundschaftlich, als ob er den einfachen Menschen schon seit vielen
Jahren kennen würde. »Ich werde mich freuen, Sie gesund wiederzusehen.
Vorwärts, Johann.«
 
Und als das Gefährt bereits an dem kleinen Gärtchen mit den bunten
Glaskugeln vorüberrollte, da sah Isa, die sich zurückwendete, wie der
Mann in den Lederhosen noch immer mitten auf der Landstraße weilte, das
Haupt gen Osten gekehrt und das rechte Bein trotzig gegen die Muttererde
vorgestemmt.
 
»Die Sache wird gemacht,« klang es Johanna durch den befreiten Sinn.
 
Weiter ging es.
 
Bald hatten sie den winzigen Marktflecken Schorweiten erreicht, der nur
aus einer einzigen langgezogenen Gasse bestand mit einer windschiefen
Einbuchtung für das kleine niedrige Holzkirchlein. Grünmoosig hing das
Rohrdach fast bis zur Erde herab. Hier hielt ein berittener Gendarm
und erteilte, tief von seinem Roß herabgebeugt, den ihn umringenden
Landbewohnern bereitwilligst jede gewünschte Auskunft. Vor der
Kirchenschwelle aber stand eine kleine Schar von Buben und flachsköpfigen
Mädchen. Sie trugen Papierhelme auf den Häuptern, und der kleinste von
ihnen schwenkte eine deutsche Kinderfahne in den Händen. Lustig flatterte
das Schwarz-weiß-rot in dem Abendwind, der von dem nahen Landsee
herüberstrich. Und da hörten die im Schritt Vorbeifahrenden zum erstenmal
jenes Lied, das seit langer Zeit Bedeutung und Sinn für sie verloren
hatte, und das ihnen jetzt mit der brausenden Gewalt eines Orkans ans Herz
fuhr. Aus Kindermund schallte es zu ihnen hin, silberrein und doch trotzig
und voll werdender Mannheit:
 
»Lieb Vaterland magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.«
 
Da konnte sich Johanna nicht länger zurückhalten. Eine Leidenschaft stieg
in ihr auf, von der sie selbst nie geahnt hatte, daß sie in der kühlen
Geschäftigkeit ihrer Tage noch nicht untergegangen wäre. Aber der Anblick
der ruhigen, auf alles gefaßten Landbewohner, der singenden Kinder und
der kleinen strohgedeckten Häuschen, über die sich der friedliche Abend
herabsenkte, das alles zusammen überwältigte sie. Mit einer starken
verbündenden Bewegung streckte sie dem Konsul, dessen Augen gleichfalls
ernsthaft, fast liebevoll, auf den fremden Leuten dort draußen ruhten,
die Hand entgegen, um gleich darauf die weinende Isa fest an ihre Brust zu
raffen, von wo der schluchzende Rotkopf sich nicht mehr erhob. Nur Marianne
saß daneben und lächelte. Sie war furchtlos. Ja, die seltsam schmerzhafte
Aufregung tat ihr wohl. Aber das Ungeheuerliche, das in diesen Augenblicken
aus der ruhigen Heimaterde vor ihr aufstieg, der gerüstete Riese, in
den ein ganzes Volk zusammenwuchs, und der nun schwerfällig, treuherzige
Lieder singend, zur Landesgrenze wandelte, er blieb den geistigen Blicken
der eleganten Dame verborgen. Ihn erkannte sie nicht. Die vergangene Zeit
mit ihren fremden Lüsten und Eitelkeiten ließ sie nicht los. Dazu war
ihr kleines unbedeutendes Frauenschicksal der Gefallsüchtigkeit und
Freudegierigen zu weit überschattend vor alles Geschehen der Umwelt
gewachsen.
 
Dicht hinter dem Dorfteich setzte sich der Wagen in schnellere Bewegung.
Fern aus dem graublauen Dämmer des Abends stiegen bereits zerfließend
und verschwimmend die Linien der hohen Kirche auf, deren Schatten sie
zustrebten. Ein kühlerer Luftzug wehte erfrischend über die Felder.
 
Da klang über die Chaussee harter Hufschlag. Kurz und regelmäßig, wie
von einem gut galoppierenden Pferde. Und ehe die aufgestörten Reisenden,
die jetzt auf jedes ihnen sonst gleichgültige Geräusch achteten, noch
ihre Meinung über den Herannahenden austauschen konnten, da schwenkte der
eilige Reiter schon ganz dicht um die nächste Wegbiegung.
 
»Ein Soldat,« sagte der sich herausbeugende Konsul.
 
»Fritz Harder,« rief Marianne zum erstenmal lebhaft dazwischen, und
im gleichen Moment fühlte sie, wie die Augen ihrer ältesten Schwester mahnend und dringend auf ihrem Antlitz ruhten.

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