2015년 11월 30일 월요일

Die Herrin und ihr Knecht 36

Die Herrin und ihr Knecht 36



Und wahrlich, wurde nicht eine Siegesfeier begangen?
 
Horch, von dem halbzerschossenen Holzkirchlein trug der Wind unaufhörlich
zerrissene und unregelmäßige Glockentöne herüber, als ob von
ungeschickten Händen und zum Spiel an den Strängen gezerrt würde.
Und die Gutsbesitzerin erriet mit einem kurzen Zusammenschauern, wie
die fremden Reiter, die in dem Gotteshause ohne Scheu und Achtung ihre
kotbespritzten Rosse untergebracht haben sollten, nun auf diese kindliche
Weise ihrer wilden Freude über das erste blutige Treffen Ausdruck zu
verleihen suchten.
 
Ungern hob sie den niedergeschlagenen Blick, um ihren fröhlichen Gast zu
mustern, der so sprudelnd und blendend heiter mit der sichtlich von seiner
vornehmen Art entzückten Marianne plauderte. Nein, die Beobachterin
täuschte sich nicht. Die Melancholie aus seinen Augen war verschwunden.
Ein sprühendes Leuchten und Blitzen lebte in ihnen, ein gesteigertes
Wohlbefinden, ein lachender Übermut, sie bekundeten sich in jeder
Bewegung. Ganz sicher, auch er beging in diesem Augenblick seinen ersten
Sieg, berauscht, hingerissen, und von seinem Erfolg betäubt, wenn er auch
zu viel Erziehung besaß, um seinen Triumph vor den deutschen Damen
nicht soweit als möglich zu verbergen. Allein schon daß er den Wunsch
geäußert, gegen den es ja kein Widerstreben gab, die Angehörigen der
im Moment vor ihm unterlegenen Rasse an seiner heimlichen Siegesfeier
teilnehmen zu lassen, dieser kaltblütige und grausame Sinn empörte
die große Blonde innerlich und ließ es ihr geraten erscheinen, die
erzwungenen Pflichten der Wirtin kühl, abgemessen und beinahe wortlos zu
erfüllen. Sie erteilte dem aufwartenden Mädchen wohl hier und da einen
Wink, dem fremden Offizier diese oder jene Schüssel zu reichen, aber nie
hätte sie es über sich gewonnen, dem strahlenden Mann das Glas mit
dem klaren Wein zu füllen, denn dies hielt sie für ein Zeichen
rückhaltsloser deutscher Bewillkommnung. Und doch mußte sie manchmal an
sich halten, um der hinreißend frischen Unterhaltungskunst des Fremden
nicht doch endlich mit wärmerem Gefühl zu erliegen. Eines war ganz klar,
und die kühle Beobachterin konnte es keineswegs übersehen: an ihrem Tisch
saß ein Hochgeadelter, der Liebling eines Hofes, ein Fürst, der gewiß
über fabelhafte Reichtümer gebot, die mächtige Vorfahren aus dem Fleiß
zahlloser Leibeigener aufgespeichert. Und dieser Verwöhnte versagte es
sich dennoch, den beiden einfachen Mädchen den weiten Abstand seiner
Geburt fühlbar zu machen. Ja noch mehr, ja noch viel erstaunlicher, aus
seinen Urteilen, aus seinen witzigen Bemerkungen konnte man deutlich die
überlegene Kritik eines hohen Herrn heraushören, der die Schwächen und
Schäden weder seiner Umgebung, noch seines Landes zu schonen gewillt war.
Mit welch lässigem Spott der glänzende Offizier gelegentlich die ihm so
wohlbekannten Personen seines Hofes streifte. Mit welchem achselzuckenden
Fatalismus er sich über die Unzuverlässigkeit der Beamtenschaft
aussprach! Das alles zeigte einen Geist, der sich zu hoch dünkte, um
an kleinlichen Unwahrheiten teilzunehmen. Und diese Offenheit, diese
Wahrheitsliebe interessierten die Gutsherrin von Maritzken, denn ihre
eigene Natur wurzelte ja in ähnlichen Neigungen, und ihr schuldloses
Gemüt ahnte nicht, daß der vornehme Herr, der ihr gegenüber saß,
mit demselben gleichgültigen Achselzucken auch seine eigenen Laster und
Verfehlungen entschuldigt haben würde, als Schickungen, gegen die es sich
nicht lohne anzukämpfen.
 
Während sie so nachsann, entging es ihr, wie die Unterhaltung der beiden
anderen jungen Menschen immer ungezwungener und entfernter von beengenden
Rücksichten dahinfloß. Die Feuer des Weines hatten die Wangen Mariannes
mit einem dunklen Hauch überglüht, und unter ihren langen Wimpern
spritzten kleine züngelnde Flammen hervor.
 
Johanna erschrak. Was mußte sich der Russe von dem sinnlosen, dem
unpassenden Benehmen einer solch Ungebändigten denken!? Und mit Grauen
stürzte plötzlich eine Erinnerung auf sie herab: der Fürst war ja ein
Frauenschlächter, wie der verwundete Rittmeister sich ausgedrückt
hatte. Gewöhnt, mit allen Mitteln seine Opfer zu umstricken. Nein, hier
mußte sie Halt gebieten.
 
Während sie sich entschlossen aufrichtete, vernahm sie, wie ihre beiden
Gefährten sich eifrig über deutsche Musik unterhielten. Aber es kam ihr
vor, als ob dies alles nur einen Vorwand bildete, als ob hier ohne laute
Worte über etwas ganz anderes geredet würde. Und mit einer herben
Bewegung erhob sie sich und stand nun in ihrer vollen Höhe da. Das
Mittagsmahl war aufgehoben, und der Fürst, der die Plötzlichkeit dieser
Zeremonie wohl nicht ganz begriff, war liebenswürdig genug, um der Blonden
sein gefülltes Glas entgegenzuhalten, und sich dann in seiner gefälligen
Art vor ihr zu verneigen.
 
»Mein Fräulein,« sagte er, »Sie gestatten mir, Ihnen auf diese Weise
meine Dankbarkeit zu bezeigen. Ich würde glücklich sein, wenn ich an
Ihrer Tafel als ein wirklich geladener Gast hätte sitzen dürfen. Wir
wollen hoffen, daß die Begebnisse der Zeit eine solche Möglichkeit nicht
ausschließen.«
 
Noch einmal hob er das Glas und trank dann die spiegelnde Flüssigkeit
in langsamen Zügen aus. Noch waltete Schweigen in der so unvorhergesehen
gestörten Runde, als plötzlich hart an die Tür gepocht wurde. Der
herkulische Wachtmeister trat ein, salutierte und überbrachte dem Oberst
ein gestempeltes Schreiben. Dieser erbrach es hastig, las und ließ das
Papier allmählich aus seiner Rechten herabgleiten. Dann atmete er tief,
bis er mit seinem gewohnten Achselzucken eine Last oder zum mindesten etwas
Unwillkommenes von sich abzustreifen schien.
 
»Meine Damen,« sagte er ruhig, und doch zitterte seine Stimme leicht,
»ich habe die Ehre Ihnen mitzuteilen, daß mit dem heutigen Morgen die
Kriegserklärung zwischen unseren Regierungen offiziell gewechselt wurde.«
Und mit einem erzwungenen Lächeln setzte er hinzu: »Sie können jedoch
überzeugt sein, daß, soweit es in meiner Macht liegt, diese reine
Förmlichkeit keinerlei Veränderungen in Ihrem jetzigen Dasein hervorrufen
wird. Erlauben Sie gütigst, daß ich mich zu meinen Offizieren begebe. Ich
danke Ihnen.«
 
 
 
 
Zweites Buch.
 
 
 
 
I.
 
 
Konsul Bark raffte sich von dem niedrigen Holzschemel empor, auf dem er die
lange finstere Nacht verhockt hatte. Ungläubig ließ er seinen Blick über
die vielen Menschen dahinschweifen, die gleich ihm in der engen Kammer des
Stadtgefängnisses eingepfercht waren, und sein verwöhnter Geruchssinn
empfand mit Schaudern die vergiftete, bleischwere Luft, die bereits in
Fäulnis übergegangen zu sein schien. An allen Gliedern zerschlagen,
richtete sich der Großkaufmann auf, strich sich mit den Händen sein
braunes Haar zurecht, das zum erstenmal seit langer Zeit am frühen Morgen
nicht von seinem Kammerdiener Pawlowitsch mit wohlriechenden Bürsten
geglättet wurde, und gewöhnt, auch den widrigsten Umständen eine
besonnene und überlegte Arbeit entgegenzusetzen, schüttelte er seine
Müdigkeit gewaltsam ab und drängte sich durch die auf dem blanken
Erdboden herumliegenden Leidensgefährten bis an die dunkle,
eisenbeschlagene Tür, gegen die er mit beiden Fäusten zu donnern begann.
 
»Um Gottes willen, Herr Konsul Bark,« zischte der fette Tischler
Majunke durch die klaffende Zahnlücke, die ihm der gestrige Nachmittag
eingetragen, und zugleich hob der Handwerker ein paar fleckige Hemdsärmel
in die Höhe, um sich von seinem breiten kahlen Schädel einen Strom
perlenden Schweißes herabzuwischen, »um Gottes willen Herr Konsul Bark,
-- Sie entschuldigen wohl, wenn ich als einfacher Mann -- aber die dort
draußen, die verfluchten Breitmützen, sie könnten uns einen solchen
Spektakel übelnehmen.«
 
Und aus einer Ecke richtete sich der Pferdehändler Kowalt mit seiner
rot und schwarz karierten Weste auf und schwenkte über den Häuptern
der anderen wütend einen langen Peitschenstock, den man ihm bei seiner
Verhaftung merkwürdigerweise gelassen.
 
»Unsinn,« schimpfte er drohend und riß die blutunterlaufenen Augen auf,
»alles mit Ordnung -- Unsinn -- bei dieser Hitze haben wir doch wenigstens
Kaffee oder Wasser oder so was Ähnliches zu verlangen. Habe ich nicht
recht, Herr Konsul Bark, ist es nicht Unsinn?«
 
Doch der Kaufmann kümmerte sich um die Meinung seiner Gefährten nicht
im geringsten, er hörte sie wohl gar nicht, sondern hämmerte mit
rücksichtsloser Wut weiter.
 
Die Tür rasselte auf. Ein allgemeines Ah und ein Atmen der Erleichterung
folgte. Draußen auf dem halbfinsteren Korridor stand ein untersetzter
Kosak, eine schmutzige Lammfellmütze auf dem plumpen Haupt, und in der
schwieligen Rechten, unachtsam herabhängend, ein Gewehr mit aufgepflanztem
Bajonett. Der Kerl schien sich gleichfalls eben erst seiner Nachtruhe
auf den Steinfliesen entrissen zu haben, denn auf seinen faltigen Röcken
zeichneten sich deutlich die roten Streifen der Ziegel ab. Auch gönnte
sich sein schwülstiger Mund ein umfangreiches Gähnen.
 
Der Konsul aber fuhr ihn an, als ob es ganz selbstverständlich wäre, daß
der Kriegsknecht ihm unbedingten Gehorsam schulde.
 
»Heda, Sie Mensch, ich verlange sofort Ihrem Höchstkommandierenden
vorgeführt zu werden. Zeigen Sie ihm diese Karte und bringen Sie mir ohne
Aufenthalt Nachricht.« Zu gleicher Zeit griff der so sicher und furchtlos
Sprechende in seine Tasche und warf ein Talerstück klirrend vor den
Wächter auf die roten Ziegel.
 
Die anderen horchten hoch auf. Ein Raunen des Beifalls und der Bewunderung
ging durch ihre gedrückten Reihen. Ja, das war die richtige Art, mit
diesen Halbwilden Geschäfte abzuwickeln. Der Konsul verstand's! Ja, wenn
man bloß so in die Tasche zu langen brauchte -- fein, fein! Ein großer
Herr!
 
Auch der Kosak billigte diese Form der Verständigung. Umständlich kniete
er in seinen faltigen Gewändern nieder, lehnte das Gewehr an die Wand, und
nachdem er das Talerstück in seine schlappe Hosentasche versenkt, blieb er
liegen und grinste in die offene Tür hinein.
 
»Haben Sie nicht gehört, Ihren Höchstkommandierenden wünsche ich zu
sprechen,« rief der Konsul, indem er sich mühsam der russischen Sprache
bediente.
 
Der Kniende jedoch schüttelte lebhaft die wirren Haare, dann aber, als
er ernstlicher über das Verlangen seines vornehmen Gefangenen nachgedacht
hatte, streckte er den Zeigefinger vor die Stirn, sprang auf und
schmetterte mit einem Fußtritt die Tür wieder ins Schloß.
 
»Solch eine Bande,« keuchte der Pferdehändler Kowalt und führte einen
schallenden Schlag mit dem Peitschenstiel gegen das eisenbeschlagene Holz.
»Unsinn -- wer wird uns hier zu unserem Recht verhelfen? Glauben Sie etwa,
wir werden verhört? I wo, morgen nehmen sie uns zwischen die Pferde und dann -- hui nach Sibirien. Unsinn!

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