2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 28

Die Herrin und ihr Knecht 28


Da ermannte sich der Gefragte, und in seinen dunklen Augen, die er zu dem
gütigen Verwandten erhob, stand seine ganze Leidensgeschichte geschrieben,
als er sich stockend abrang:
 
»Onkel, du hattest recht. Ich war krank. Ich glaube, ich habe ein böses
Fieber überwunden.«
 
Jetzt nahm der Alte den Kopf des Offiziers tröstend, besänftigend,
beinahe liebkosend in seine beiden Hände. Es war unbeschreiblich, welch
eine wackere, mannhafte Güte von dem gelehrten Krieger ausging.
 
»Also überwunden, Fritz? Wirklich und wahrhaftig?« fragte er
eindringlich.
 
»Ja, Onkel Siebel,« bekräftigte der andere fest, »ich gebe dir mein
Wort.«
 
»So, so,« erwiderte der Generalmajor bedächtig und gab langsam den
Eingefangenen frei, »dann ist diese Angelegenheit ja für mich erledigt.
Gottlob. Ich muß dir nämlich gestehen, Fritz, -- da mir Heimlichkeiten
auf der Seele brennen -- daß deine liebe Mutter durch allerlei Klatsch und
Zusteckereien über deine Affäre unterrichtet war. Die alte Dame fühlte
sich innerlich recht beunruhigt, wenn sie es auch nach außen hin tapfer
verschwieg. Aber nun, mein lieber Sohn, komm, setze dich zu mir an den
Tisch und laß uns jetzt über das reden, wovon die Herzen aller deutschen
Menschen voll sind. Ich wurde hierher geschickt, um den hiesigen Herren
Offizieren einen kriegswissenschaftlichen Vortrag zu halten. Daraus wird
natürlich nichts, denn jetzt werden wir ja in der Praxis zu erproben
haben, durch die lebendige Tat, was wir wissen und erlernten. Komm, mein
Junge, die beiden Flaschen Pilsener Trankes genügen für uns. Jetzt wollen
wir Kriegsrat halten.«
 
Bis weit nach Mitternacht saßen die Beiden zusammen. Und während draußen
jeder Laut erstarb, während die Stadt, um die ein ferner Feind bereits
seine haarigen Riesenarme klammerte, in schweren, traumerfüllten Schlaf
verfiel, in den letzten vielleicht, dem sie sich ungestört und im Besitz
geheiligter Ruhe und Ordnung hingeben konnte, da zauberte der alte Mann,
dem der Krieg mehr als blutiges Getümmel, tolles Einhersprengen und
fröhliches Waffenklirren bedeutete, da zauberte der Kundige wundersame
befreiende Gebilde vor den aufhorchenden Schüler hin. In blühender,
fortgerissener Sprache schilderte er das Elementarereignis, das nicht
zufällig über den geduckten Menschheitsnacken fortraste, sondern
natürlichen, längst erwarteten, genau zu berechnenden Gesetzen folgte,
die nicht nur Brand und Verderben, sondern auch Sammlung und Auferstehen
mit sich führten. Der Krieg war kein sinnlos tobender Vernichter, sondern
ein weiser, vorbedachter Haushälter unter den Erdenvölkern. Gleich dem
Tod, der den Lebenden aus ihrem engen, arg bedrängten Bezirk immer wieder
Luft und Raum schafft, so war auch der Krieg der grübelnde Gärtner, der
ganze Völkerpflanzungen, auch wenn sie scheinbar noch blühten, umpflügte
und zur Ruhe verdammte. Entweder, weil er in späterer Zeit anders geartete
Früchte von ihnen erwartete, oder weil er dem ungestümen Drang jüngerer
Schößlinge nach Ausbreitung für eine gewisse Dauer nachgeben mußte. Der
Krieg waltete aber auch als der letzte eiserne Schulmeister der Gottheit
auf der Erde. Was früher, solange Gemüt und Körper noch schwerer
bildsam waren, Sintflut, krachende Weltteilabstürze oder eishauchende
Vergletscherungen vollbracht hatten, nämlich die Erziehung ungeheurer, von
den Elementargewalten betroffener Stämme nach einer bestimmten Richtung
hin, zu einem ganz gewissen Ziel, das erst die Spätgeborenen, schaudernd
vor der ewigen Gerechtigkeit, als planvoll und segensreich erkannten,
dafür wurde jetzt unter den verfeinerten Lebensformen, sobald sie zur
morschen Überreife neigten, der Krieg als allgemein verständlicher,
jede Auflehnung erstickender Erzieher über die Erde geschickt. Und er
hat jedesmal seine stählerne Rute gut geschwungen. Noch kennt das
Menschengeschlecht keinen Examinator, der so klar die Talentvollen und
Starken nicht allein über Schwache und Faule, sondern sogar über
die fleißige Mittelmäßigkeit zu setzen wüßte. Und dann, -- seine
Lehrstunde ist nur kurz, denn wenn er gesagt hat, was er weiß, dann
schlägt er die Tür der Schulstube donnernd hinter sich zu und schreitet
in den dichten Wald der Jahrhunderte. Aber das, was er seinen Schülern
vortrug, bleibt eindringlich über Geschlechter hinaus haften und wirkt
unvergeßlich fort bis zu späten Enkeln.
 
 
 
 
VI.
 
 
Zwei Tage des Wartens hinkten über das Land. Auf allen fahrbaren Wegen
knarrten schwer beladene Wagen dahin, deren Besitzer von der gefährdeten
Grenze den Städten zustrebten. Oft stand Johanna aufgerichtet an
den Torpfosten ihres Gehöfts zu Maritzken und sah die traurige
Völkerwanderung, dieses unvorstellbare Elend an sich vorüberwallen. Denn
es war ja nur eilig zusammengeraffter Besitz, zerzaust und gebrechlich, was
die Flüchtenden hier stumm und ohne ein Wort der Klage vorbeischafften.
Kommoden und Schränke, Bettzeug und Vogelbauer, Säcke voll Lebensmittel,
Kleidungsstücke und Kochgeschirr, Kinder und junges Vieh, alles rollte,
wirr zusammengepreßt, in endlosem Zuge dahin.
 
Aber auch Militärkolonnen marschierten an der versonnenen Beobachterin
vorüber. Gleichfalls still, in sich gekehrt, ohne Lieder. Denn sie hielten
die Stirnen nicht dem Osten zugewandt, wie es ihr junger Mut ersehnte,
sondern sie folgten höherem Befehl, der sie zu zusammengefaßter Tat
aufsparte. Im Staub und Dämmer des Augusttages verschwanden die lockeren
Kolonnen.
 
Einmal löste sich eine Gestalt aus einer der dahinziehenden Kompagnien,
trat schnell auf die Gutsherrin zu und streckte ihr rasch die Hand
entgegen. Zuerst erkannte Johanna den Grüßenden nicht, denn die neue
graue Uniform hatte den gewohnten Eindruck verändert. Aber dann drückte
sie die dargebotene Rechte stark und fest, als ob sie den Offizier, der
keinen Blick auf den weißen Hof warf, überzeugen wolle, daß hier auch
ehrliche und treue Gemüter lebten, Herzen, die den Trommelwirbel der Zeit
nachschlugen und nicht im Walzertakt hüpften. Kein Wort wechselten die
Beiden miteinander. Aber es war doch ein Abschiednehmen über die Dauer
des Seins hinaus. Und in dem Händedruck, mit dem Johanna den Scheidenden
entließ, barg sich ein mütterlicher Segenswunsch. Dann ein stummes
Zurücktreten in die grauen Haufen, und auch diese Scharen wurden
eingesogen von der undurchdringlich sich dahinwälzenden Staubwolke.
 
Über die schlängelnden Feldwege aber jagte und raste das Gerücht.
Schattenhaft grau stäubte es dahin, menschlichen Augen manchmal nur als
ein mit gestreckten Läufen flüchtender Hase erkennbar. Doch das lechzende
Tier sollte aus einem brennenden Haferfeld hervorgebrochen sein.
 
Barmherzigkeit, war das möglich? Wer hatte es erzählt, wer zuerst
geglaubt?
 
An den Kreuzwegen der Felder, an den schmalen Brücken der hellen Bäche,
die durch die sanft gewellten Talmulden blitzten, überall knirschte und
schlürfte es. Greise und alte Weiber, die einzigen Einwohner verlassener
Ansiedlungen, schlichen hier zusammen. Wackelnde Köpfe, erstorbene Stimmen
erzählten sich Gräßliches:
 
»Wißt ihr schon? Es ist wahr. Man kann es beschwören. Das Rittergut
Lutheinen ist abgebrannt bis auf den Erdboden. Da, wo das Schloß stand,
liegt ein Kohlenhaufen.«
 
»Im Frieden, denkt euch, mitten im Frieden!«
 
»Woher sie kamen und wohin sie entschwunden sind, das weiß kein Mensch.
Aber acht Meilen weit ritten sie ins Land hinein. Sie trieben vor sich her,
was vor ihre Lanzen kam. Die Mädchen wurden an die Pferde gebunden, die
Kinder gehetzt, bis sie erstickten.«
 
»Oh mein Gott, wie wird es uns ergehen!«
 
»Ich sah es nicht selbst, aber der Landbriefträger hat es erzählt. Dem
Schmied von Löthau haben sie, als er einen von den Mordbrennern mit dem
großen Hammer totschlug, mit seinem eigenen Viehstempel eine Marke ins
Genick gesengt. Der Mann ist wahnsinnig geworden.«
 
»Wehe, wehe, wie wird es uns gehen! Wer wird uns zu essen geben, wenn wir
nicht mehr weiter können?«
 
»Lauft zu dem Fräulein von Maritzken, sie hat Milcheimer aufgestellt und
Brote hingelegt.«
 
»Herr Jesus, ist sie noch da?«
 
»Ja, die Grothe-Marjellen sind noch da. Wir haben ihre hellen Kleider
durch die Büsche gesehen.«
 
»Oh, sie muß uns Brot und Milch geben. Und dann weiter, weiter, hier
bleiben wir nicht!«
 
* * * * *
 
In dem kleinen gemütlichen Eßzimmer zu ebener Erde saßen die beiden
ältesten Grothe-Schwestern, und es schien, als ob sie trotz ihrer
Verlassenheit ruhig die Hefte der Journalmappe durchstöberten, die zum
Teil aufgeschlagen die Platte bedeckten. Über ihnen sandte die grün
verhangene Hängelampe ihr sanftes elektrisches Licht aus, und in dem
kleinen Gemach waltete eine Stille, die man in anderen Zeiten behaglich
genannt hätte. Heute aber war es, als ob der Tag an seiner Rüste beklemmt
den Atem anhielt, bevor er von neuem seinen Mund zu wilden blutrünstigen
Märchen und Erzählungen öffnete. Eben schlug es von dem nahen hölzernen
Kirchturm die neunte Stunde. Durch die Wipfel der hochstrebenden Eichen
vor dem Hause fuhr ein ziehendes Wehen, ein unheimliches Ächzen, das die
innere Unruhe nur vermehren konnte, als die Seitentür knarrte, und Isa
in einem grauen Reisekleid, einem schwarzen Lackhut auf den roten Haaren,
völlig gerüstet hereintrat. In dem feinen Gesicht der Siebzehnjährigen
nistete eine erschreckende Blässe. Ihre großen Goldaugen schienen wie
von Nebel verhängt und irrten unruhig von den beiden älteren Schwestern
hinweg zu dem einzigen Fenster der Stube hin, vor das die Nacht jede
Aussicht sperrend ihr schwarzlockiges Haupt gedrängt hatte. Vergebliches
Mühen, denn die Jüngste der Grothe-Marjellen fing dennoch in ihrer
aufgereizten Einbildungskraft tolle, sich überstürzende Begebnisse auf,
die sich dort draußen unter erstickten schreckhaften Rufen verkündeten.
In nervöser Hast fingerte sie auf der Platte des Tisches herum und zupfte
an den Ecken der Journalhefte, ohne zu empfinden, wie sehr sie dadurch ihre
ruhige Schwester Marianne in ihrer Lektüre beeinträchtigte.
 
Da trat Johanna auf das furchtgeschüttelte Mädchen zu und klopfte ihr
leise die Wange. Von der Berührung zu sich selbst gebracht, drängte sich
Isa dicht an die ragende Gestalt ihrer ältesten Schwester heran, und eine
kurze Sekunde war es der Kleinen, als ob hier an den festen Gliedern der
ruhigen und gefaßten Frau auch für sie ein Schutz, eine Zuflucht geboten
werden könnte. Im nächsten Moment freilich flackerten ihre Blicke wieder
begehrlich um die nahe Tür, denn der ungestüme quälende Hang nach Flucht
und Rettung überwältigten das zitternde Geschöpf von neuem.
 
»Du willst also wirklich diese Nacht nicht bei uns verbringen?« fragte
Johanna in ihrem gewohnten Ernst, wobei sie es jedoch vermied, irgendeinen
Tadel oder eine Abmahnung mitklingen zu lassen, »du bleibst dabei, zu so
später Stunde zu unserer Tante Adelheid nach Sorquitten zu fahren? Aber
wie, Kind, wenn Fedor Stötteritz und die meisten seiner Leute schon fort
wären? Ich will dich nicht ängstigen, aber es ist doch möglich.«
 
Die Jüngste jedoch ließ sich von dem Einwurf nicht treffen, sie
schüttelte das rote Haupt nur bestimmter und sicherer, als ob es für ihre
Pläne kein Hindernis geben könnte.
 
»Das wird ja nicht sein,« stammelte sie in der Sucht, sich an einen
irgendwo in der Ferne gaukelnden Rettungsschimmer wie an ein starkes
Seil zu hängen, »das ist ja ganz gewiß nicht der Fall. Fedor, und der
Inspektor, und alle seine Knechte sind noch da. Dort befindet man sich
dann endlich in Sicherheit. Nicht wahr, das meinst du doch auch? Komm mit,
Johanna,« setzte sie plötzlich dringend hinzu, während sie die Hand
der Blonden mit fieberhafter Glut umspannte, »komm mit, ich bitte dich.
Begleite du mich wenigstens, Marianne. Ich kann euch nicht schildern, was
ich hier leide. Wenn wenigstens ein Mann uns zur Seite stände, wenn Konsul Bark

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