2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 22

Die Herrin und ihr Knecht 22



Hier hatte er auch Diamantow getroffen, dessen soziale Hoffnungen wieder einmal gescheitert waren. Der
Student war allmählich von der verzweifelten Idee befallen worden, im
Grunde fügten die Volkserwecker, die die träumenden Massen aus ihrem
Schlafe aufzurütteln versuchten, den Hindämmernden ein schweres
Unrecht zu. Denn nur Nichtwissen, Traum und Schlummer machten das Dasein
erträglich. Voll zehrender Leidenschaft wurden diese auflösenden
Ansichten verkündet, und alles war bereits für die große Orgie
vorbereitet, als Fürst Fergussow, und mit ihm gerade die Vornehmsten des
Symposions, plötzlich ohne jeden erkennbaren Grund fortblieben, und
der Rest durch die Polizei auseinander gesprengt wurde. Keiner der armen
Mißleiteten warf Dimitri Sergewitsch indessen etwa Feigheit vor. Dazu war
die Tollkühnheit des Gardedragoners in der Hauptstadt zu sehr bekannt,
man wußte überdies, daß er erst im letzten Winter ein paar ertrinkenden
Kindern in die Eisschollen treibende Newa nachgesprungen sei. Also Feigheit
nicht. Die einen meinten, eine sehr, sehr junge Dame aus der höchsten
Aristokratie, kaum dem Kindheitsalter entwachsen, hätte seine launenhafte
Neigung für ein paar Monate entfacht, und die Erde reiche ihm wiederum
ihre heißen Geschenke. Die anderen erzählten gerade das Gegenteil. Bei
Hofe, flüsterten sie sich achselzuckend zu, wäre ein wundertätiger
Mönch aus einem fernen Kloster erschienen, der die Macht bewiesen hätte,
abgeschiedene Geister aus dem Jenseits zu rufen und die Seelen seiner
Vertrauten durch inbrünstige Ekstasen in ein höheres Reich der Wonne zu
heben. Aber Dimitri Sergewitsch! Man schüttelte den Kopf. Sollte wirklich
dieser eiskalte Rationalist zu jenen heiligen Schwärmern gehören?
 
Warum nicht?
 
Sein rastlos hin und her zuckendes Gemüt, das immerfort die Farbe
wechselte, je nachdem ihn eine neue Laune quälte, es konnte sich gewiß
auch heißhungrig in die Abgründe der Mystik stürzen. Freilich nur, um
jene Klüfte bald darauf wieder, verächtlich lächelnd, mit dem Spieltisch
oder dem Boudoir einer Zirkusreiterin zu vertauschen.
 
»Kann die Mosaik Ihren Beifall erringen, teures Fräulein?« fragte Herr
Miljutin der Ältere noch demütiger als sonst.
 
Johanna geriet in einige Verlegenheit. Die steifen, eckigen Linien des
eingelegten Ritterbildes sagten ihr keineswegs zu. Auch schien ihr der
weiche Dulderkopf des regierenden Zaren durchaus nicht unter die eiserne
Sturmhaube zu gehören. Aber durfte die Gutsherrin vor den Offizieren
des fremden Herrschers eine so absprechende Meinung äußern? Regungslos
verharrte sie, und in ihre Wangen stieg die Röte der Unsicherheit.
 
»Wir haben uns hier bemüht, national-russische Kunst zu geben,« fuhr
Herr Miljutin dringender fort, da sich der sanfte Mann darüber aufzuregen
schien, weil die Nemza seiner Schöpfung gegenüber so empfindungslos
blieb.
 
Wie unangenehm!
 
Schon wollte sich das ehrliche Landmädchen mit ihrem geringen Verständnis
entschuldigen, als ihr unerwartet eine Hilfe kam, auf die sie niemals
gerechnet hatte. Und wie melodiös und schmeichelnd das Organ ihres
unverhofften Retters klang! Unwillkürlich wandte sich die hohe Blonde
dankbar ihrem Verteidiger zu, und so unverdorben war sie, daß sie
hinter diesen bestrickenden Lauten auch eine reine und aufrichtige Seele
vermutete.
 
»Bester Miljutin,« hemmte der Fürst den aufsteigenden Unwillen des
Händlers, indem er ihm mit seiner feinen weißen Hand freundschaftlich auf
die Achsel klopfte, »muten wir dem gnädigen Fräulein nicht zuviel zu.
Unter uns, die Vorliebe für diese Quadrate ist eine Barbarei, die wir
unseren byzantinischen Lehrmeistern hätten lassen sollen. Sie können
mir glauben, unsere herrschsüchtigen Mönche benutzen die von
Totenstarre verkrampften Gelenkpuppen nur, um unseren dummen Bauern
Furcht einzuflößen. Kommen Sie, meine Gnädigste,« fuhr er mit seinem
liebenswürdigen und freimütigen Lächeln fort, als er bemerkte, wie
erleichtert die befangene Deutsche aufatmete, »lassen wir uns hier auf Leo
Konstantinowitschs neuem Klubsofa nieder, denn jetzt werden Sie wirklich
etwas von russischer Kunst empfangen, worin wir unter den Nationen ziemlich
einzig dastehen. Vielleicht, weil den anderen Völkern eine Nachahmung
nicht lohnt. Hören Sie? Dort drinnen singt Frau Oberst Geschow ein
tatarisches Dorflied. Ah, und sie begleitet sich selbst auf der Balalaika.
Wollen Sie mir glauben,« sprach er in seiner zwanglosen und wahrhaft
vornehmen Art weiter, »daß ich selbst jenes Instrument in den
Abendstunden ein wenig spiele? Es hat so etwas von den reinen Klängen der
Kindheit. Und nicht wahr, wir alle retten uns manchmal gern hinüber?«
 
Heiß und klagend zugleich begann im Nebenzimmer eine dunkle Frauenstimme
unauffällig zu singen. Ein eigentümlicher Saitenvierklang, hüpfend und
neckisch, tönte dazwischen, als ob das Leben auf die traurige Weise mit
einem unbekümmerten Tanz antworte.
 
»Handelt es sich hier vielleicht um einen Abschied?« fragte Johanna
rasch, die den inneren Sinn des Liedes trotz der fremden Worte zu begreifen
meinte.
 
Dimitri Sergewitsch rückte respektvoll etwas näher an sie heran. Und zum
erstenmal richtete er seinen sanften Blick gegen die großen blauen Augen
des Landfräuleins und fand zu seiner Verwunderung, daß dort drinnen etwas
leuchte, ehrlich und bestimmt, was zu der gleichgültigen Dummheit, von der
er die Deutsche erfüllt glaubte, nicht recht stimmen wollte.
 
»Sie haben ganz recht, Gnädigste,« versicherte er in seiner einnehmenden
Manier, die ihm so wenig Mühe bereitete, »ich mache Ihnen mein
Kompliment, weil Ihnen die Musik scheinbar ihre letzten Geheimnisse
entschleiert. Wenn Sie gestatten, möchte ich Ihnen den Text übersetzen.
Ein tatarisches Bauernmädchen sitzt im Rahmen eines weinübersponnenen
Fensters. Draußen auf der Dorfstraße nimmt ihr Liebster, der mit seiner
Schwadron in den Krieg zieht, von ihr Abschied. Und nun fragen sich die
beiden jungen Leute im Wechselgesang, was sein wird, wenn wiederum der Wein
blüht:
 
»Ich küsse dich, Anuschka.«
»Ich küsse dich, Iwan.«
»Was wird sein, wenn wieder der Wein blüht?«
»Ja, was wird sein?«
»Hochzeitsgeschenke werden kommen, und du wirst nicht an mich denken.«
»Ja, Hochzeitsgeschenke werden kommen, aber ich werde an dich denken.«
»Denke nicht an mich, denn ein eisernes Vögelchen flog mir ins Herz.«
 
Drinnen tönten die schwermütigen Strophen fort, immer von der hüpfenden
Begleitung durchschlungen und unterbrochen. Der Fürst aber beugte sich
vor, als ob er ein Urteil über das heimatliche Lied erwarte. Allein seine
Zuhörerin war über das rein Poetische des Gedichtes längst hinweggeeilt.
Ihr an das Nächstliegende stets gebundener Sinn stöberte unruhig in den
Gedankenverbindungen herum, die durch ein einziges Wort des Textes in ihr
erregt waren. -- -- Krieg! -- -- Und plötzlich vergaß sie, wer neben
ihr saß. Nichts als die weiche und gütige Stimme des Mannes, der sie
unterhielt, war in ihrem Ohr haften geblieben. So kam es, daß sie sowohl
die fremde, vielleicht feindliche Volksangehörigkeit ihres Nachbarn
außer acht ließ, ja, daß ihr sogar sein hoher Rang entglitt. Wie ein
bekümmerter Mensch, der bei einem anderen lebenden Wesen Trost sucht,
bettete sie ihre Hand ohne jede Absicht auf die Finger des anderen, um
rasch und inständigst zu fragen:
 
»Sie sind mir fremd, aber Sie müssen es wissen, -- nicht wahr, es ist
doch unmöglich?«
 
»Was ist unmöglich?« wiederholte der Dragoner sich sammelnd, obwohl er
den Sinn ihrer plötzlich ausgestoßenen Bitte recht wohl begriff.
 
Wie plump die Nemza war! Man bereitete doch einem Unbekannten, den man
sicherlich nie wiedersehen würde, nicht derartige Verlegenheiten! Doch
während er sich zu ihr wendete, spielte wieder das gewinnende Lächeln des
Gesellschaftsmenschen auf seinen klassisch geformten Zügen.
 
»Was beunruhigt Sie, bestes Fräulein? Kann ich vielleicht Ihre Bedenken
zerstreuen? Sie sehen übrigens so aus, als wenn Sie nicht leicht außer
Fassung zu bringen wären.«
 
Da zog Johanna, zur Besinnung gelangend, ihre Hand hastig zurück, raffte
sich zusammen und saß wieder so aufrecht und unberührt, den Kopf in
den Nacken geworfen, daß den Fürsten ihre steife Haltung innerlich
belustigte.
 
»Sie haben ganz recht,« äußerte sie kalt, und ihr Ton klang so eisig,
wie ihn nur die Herrin von Maritzken, sobald sie sich oder andere auf
einem Fehler ertappte, anzuwenden pflegte. »Wie kämen Sie dazu, mir
Aufschlüsse über etwas zu erteilen, was Ihnen vielleicht dienstlich
verboten ist.« Und sich zu Herrn Miljutin kehrend, begann sie mit dem
Fabrikbesitzer sich wiederum über geschäftliche Dinge zu unterhalten.
 
Eingehend erkundigte sie sich bei dem Kaufmann nach dem Preis seiner
eigenen Lastpferde.
 
Ein Pferdegespräch also, auch das noch! Ungläubig lauschte Dimitri
Sergewitsch ein paar Sekunden herüber. Dann aber, als sich der schöne
junge Mann daran erinnerte, wie unbändig taktlos es wäre, eine
Unterhaltung so schneidend und kurz abzubrechen, namentlich ihm, dem stets
Höflichen gegenüber, da glitt er fast unhörbar empor und gedachte
sich mit einer seiner anmutigen Verneigungen durch den Vorhang in das
Nebenzimmer zu begeben, um Maria Geschowa ein paar Lobeserhebungen über
ihren Gesang zu Füßen zu legen. --
 
Da geschah etwas.
 
Ganz unvermutet und gegen seinen Willen wurzelte er dicht an dem Platz, wo
Johanna saß, fest, so daß sich ihre Gewänder beinahe berührten.
 
Was war das?
 
An der schmalen Seitenwand des Zimmers öffnete sich eine niedrige
Tür, und auf dem Vorplatz, der mit ein paar Steinstufen auf den Hof
herunterleitete, nahm man eine russische Ordonnanz wahr, die einen Brief
oder eine Depesche in der Hand hielt. Mehrere Offiziere umgaben den
Soldaten, ein halblautes Summen und gedämpfte Rufe schlugen von draußen herein.

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