2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 11

Die Herrin und ihr Knecht 11


So meinte Johanna wenigstens, denn da ihr selbst die schwere, und an
Enttäuschungen reiche Pflicht der Bodenbearbeitung geläufig war, so
neigte sie durchaus dazu, das ihr fremde und imponierende Spiel des Handels
höher als ihre eigene Leistung einzuschätzen. Aber selbst wenn dieser
letzte Grund fortgefallen wäre, so empörte sich die tief in ihr wurzelnde
Dankbarkeit für ihren uneigennützigen Freund dagegen, daß Junkerhochmut
den tätigen Mann seines Gewerbes wegen über die Achsel anschauen dürfe.
Und sehr bestimmt entgegnete sie deshalb auf den etwas spöttischen Einwurf
ihres Vetters:
 
»Allerdings, lieber Fedor, ich komme mit Herrn Konsul Bark sehr häufig
zusammen. Ja, unser Freund wird mich und meine Schwestern sogar heute
nachmittag in seinem eigenen Wagen zu einem Besuch jenseits der Grenze
abholen.«
 
Noch hatte die Entschlossene nicht völlig geendet, als der Brief auf dem
Schoß der Tante Adelheid seltsam zu rascheln begann. Und während der
mächtige Landwirt vor Überraschung mit der Faust nur einen kräftigen
Luftstoß ausführte, dem sich die empörte Anmerkung beigesellte: »Na,
das ist aber doch -- --,« da schüttelte seine Mutter sehr bestimmt das
pergamentene Haupt, und ihre noch immer schwarzen Augenbrauen schnürten
sich so eng zusammen, als ob damit die Willensäußerung ihrer Nichte ein
für allemal ausgestrichen und aus der Welt geschafft wäre.
 
»Mein liebes Kind,« hüstelte sie in ihrer frostigen Art, die keinen
Widerspruch zu kennen schien, »du siehst hier diesen Brief. Mein dummer
Junge behielt doch recht, als er mich zu dem Besuch bei dir veranlaßte.
Ich merke, wir kommen gerade zur rechten Zeit. Kurz und gut, liebe
Johanna, du wirst klug handeln, wenn du deinen Besuch jenseits der Grenze
unterläßt.«
 
»Aber warum, beste Tante? Ich sehe gar nicht ein --«
 
»Unterbrich mich nicht, Johanna, sonst verliere ich so leicht den
Zusammenhang. Dir wird hoffentlich gleich alles klar werden. Und du kannst
Gott danken, daß man dich noch in letzter Stunde warnt. Weißt du,
was dieser Brief enthält? Er stammt von meinem Bruder, dem Geheimen
Regierungsrat von Roeder aus dem Auswärtigen Amt, und mein Verwandter
richtet die dringende Bitte an mich, die äußerste Vorsicht gegen
alles walten zu lassen, was mit unseren russischen Nachbarn irgendwie in
Beziehung steht.«
 
»Aber liebe Tante Adelheid,« rief Johanna eifrig, obwohl sie sich eines
leichten Fröstelns, das über ihre weiße Haut rieselte, nicht erwehren
konnte, »wozu das alles? Wir sind doch auf das große Volk dort drüben
angewiesen. Wir tauschen so vieles von ihnen ein, was wir nirgends besser
und billiger erhalten. Und die Leute von jenseits der Grenzpfähle nahmen
gerade in den letzten Jahren auch von uns nicht allein allerlei praktische
Dinge, sondern sogar manche Sitten und wissenschaftliche Errungenschaften
an, so daß man sich über den lebhaften Verkehr doch nur freuen sollte.«
 
»Der Teufel soll den albernen und leichtsinnigen Verkehr holen,« brummte
hier der Riese von Sorquitten dazwischen, dem der Zorn das Antlitz dunkler
färbte, »ich wünschte, man hätte schon längst den Brüdern die Zähne
gewiesen.«
 
»Um Gottes willen, Ihr stellt ja die Angelegenheit beinahe so dar, als ob
wir uns mit denen da drüben im Kriegszustande befänden,« lachte Johanna
ärgerlich auf, und ihre Rechte schlug dabei quer durch die Luft, wie wenn
es notwendig wäre, das gefährliche, das unmögliche Wort von vornherein
zu sprengen oder zu zerteilen.
 
Allein was war das? Weshalb suchten in diesem Moment die hellblauen
Augen des Riesen, die sonst so lachend, so sorglos und unbekümmert über
Lebendes und Totes fortzugleiten gewohnt waren, weshalb in aller Welt
suchten sie so dringend und ernsthaft die ihren? Warum nickte das blonde
Haupt ein paarmal so schwer und bedächtig, wie wenn ein ungeheures
Schicksal sich mit Wucht auf diesen starren Nacken gebürdet hätte? Und
dann? Täuschte sie sich? Ihr war es, als ob sich die unförmige Gestalt
des Recken in plumper Bewegung näher und näher an die ihre heranschöbe,
und das unsichere Gefühl durchdrang sie, als ob dies alles geschähe,
um ihr bei heranziehender Gefahr nahe zu sein, um sie zu bergen und zu
schützen. Dazu verharrte die Kranke in ihrem gelben Sessel starr und
unbeweglich, kein Wort drang über die fest zusammengepreßten schmalen
Lippen, und nur aus dem nervösen Zittern der schwarzen Augenbrauen
enträtselte die beklommene Beobachterin, welchen beängstigenden
Gedanken die Leidende heimlich preisgegeben sein müsse. Unerträgliche
Schweigsamkeit waltete zwischen den drei aufgescheuchten Menschen.
Endlich ertrug es die Älteste von Maritzken nicht länger. Mit ein paar
unbedachten Schritten näherte sie sich dem Stuhl der Greisin, um ganz
gegen ihre Gewohnheit hastig und aufgeregt die lange welke Hand von Fedors
Mutter zwischen ihre eigenen pulsierenden Finger zu betten.
 
»Liebe Tante,« stieß sie ohne weitere Rücksicht hervor, »du mußt
nicht glauben, daß es nur die Unruhe um meine eigene Sicherheit oder
um die ungefährdete Existenz meiner Schwestern ist, die mich jetzt
veranlaßt, dich um weitere rückhaltlose Auskunft zu bitten. Aber nicht
wahr, Fedor, nicht wahr, Tante Adelheid,« fuhr sie dringender fort, »ihr,
als Gutsvorstände, könnt mir das nachfühlen. Ich habe ja so vieles hier
zu verantworten, anvertraute Kapitalien und nicht zuletzt das Leben und das
karge Besitztum meiner Leute. Ich muß also wissen, worum es sich in diesem
Briefe handelt. Ihr könnt es mir ganz ohne Schonung anvertrauen, es wird
mich nicht umwerfen. Und dann --,« sie trat ans Fenster und riß mit
einer hastigen Bewegung die seidenen Halbgardinen fort, so daß die alte
Dame, von einem Sonnenstrahl getroffen, wehleidig zusammensank -- »werft
doch nur einen Blick auf alles, was wir Deutschen hier schufen, auf den
alten Park mit seinen hundertjährigen Stämmen, auf die prachtvollen
Weizenfelder, die wir in rastloser Emsigkeit durch immer neue
wissenschaftliche oder rein praktische Methoden zu ihrer heutigen Reife
und Blüte brachten! Betrachtet dort hinten, jenseits der Chaussee das
reinliche Dörfchen Maritzken mit seinen kleinen Gärten und Lauben und
der wunderhübschen Holzkirche. Das alles hat man seit fünfzig Jahren
aus einem Sumpf herausgehoben. Und alle diese Mühe, so viel Leben und
Daseinsfreude, das sollte man von einem eisernen Hagel zerschmettern
lassen? Für immer? Nein, daran glaube ich nicht,« schloß sie tief atmend
und legte sich wie befreit die flache Hand auf die arbeitende Brust.
 
Auf diesen Ausbruch hob die alte Dame den sorgsam behüteten Brief rasch
gegen das Licht, zog aus ihrer schwarzseidenen Tasche gleichzeitig ein
Schildpattlorgnon hervor und hielt sich die Gläser dicht vor die Augen.
 
»Liebes Kind,« schnitt sie alle weiteren Erörterungen ab, »wenn du
mehr Umgang in militärischen Kreisen pflegen würdest, was ich für
sehr nützlich hielte, so könntest du wissen, daß jene große
Auseinandersetzung, die dir so unmöglich scheint, von den maßgebenden
Stellen schon seit Jahren befürchtet oder auch erhofft wird. Je nachdem.
Ich halte es deshalb für meine Pflicht, dir ganz reinen Wein einzugießen.
Merke genau auf. Mein Bruder, der es auch mit dir gut meint, schreibt
folgendes.«
 
Damit lenkte die starr und aufrecht Sitzende das gelbe Blatt Papier noch
näher an ihr Antlitz, das sie scheinbar nicht beugen konnte, und griff
mitten aus dem Brief folgende Stelle heraus:
 
»Seit dem frevelhaften Verbrechen, das dem Thronerben der uns verbündeten
Monarchie das Leben kostete, haben wir hier im Amt eine aufreibende
Arbeitsleistung zu bewältigen. Noch nie war der europäische Himmel
so bewölkt wie jetzt. In den militärischen Zentralen wird fieberhaft
geschafft, und ich kann dir unter der Hand mitteilen, daß die
Sachkundigsten unter uns seit der Überreichung der österreichischen
Forderungen an den rebellischen Balkanstaat die fernere Erhaltung eines
ehrenhaften Friedens beinahe in das Gebiet der Unmöglichkeit verweisen.
Sollte, was Gott verhüten möge, unser großer östlicher Nachbar sich
für das Schwert entscheiden, -- ein Gedanke, zu dessen Erfassung die
Phantasie der meisten unserer in einem verweichlichenden Frieden völlig
aufgegangenen Mitbürger durchaus nicht ausreicht -- dann würde eine
Weltkatastrophe heraufbeschworen, die alles, was jetzt festliegt und
besteht, zerschmettern müßte.«
 
Ein widerspruchsvolles Lächeln, das sie sich selbst nicht zu deuten
vermochte, glitt bei dem eben Gehörten über die bleichen Züge der
Landtochter, denn sie gehörte zu denen, deren Einbildungskraft vor der
ungeheuerlichen Prophezeiung machtlos niedersank. Die alte Dame jedoch
verkündete mit scharfer Stimme weiter, und es war, als ob ihre Worte sich
immer stechender und aufreizender formten, je Erbarmungsloseres über ihre
schmalen Lippen floß.
 
»Ihr könnt euch die Last und die Qualen dieser Spannung gar nicht
vorstellen. Von Tag zu Tag fliegen neue Vorschläge, Vermittlungen und
geheime Depeschen von Allerhöchster Hand herüber und hinüber. Alles
starrt atemlos auf die Zentnerlast, die an einem Haar über unseren
Häuptern schaukelt. Und nun der Grund, warum ich so ausführlich an dich
berichte, liebe Schwester. Stürzt der Koloß über uns herein, über uns,
die wir in unserem gläubigen Vertrauen namentlich an euren Grenzen
noch lange nicht so unantastbar gerüstet sind, wie es unsere leitenden
Militärs wünschen, dann werden es eure Gegenden sein, die von dem ersten
Ritt unkultivierter Horden überrannt werden. Noch vermögen wir nicht zu
ahnen, welches Entsetzen sich bei einem solchen Zusammenstoß über eure
Gutshöfe, Dörfer und kleinen Städte ausbreiten könnte. Da wir in
den letzten Jahrhunderten immer nur mit uns an Gesinnung gleichgearteten
Volksstämmen die Waffen kreuzten, so fehlen uns alle Anhaltspunkte dafür,
was wir von den Angehörigen einer minderen Kultur zu erwarten haben. Ich
rein persönlich jedoch fürchte, daß es -- selbst den recht zweifelhaften
guten Willen der östlichen Befehlshaber vorausgesetzt -- kaum gelingen
dürfte, unsere Ansiedlungen vor einer bisher unbekannten Zerstörungsgier
zu schützen. Und was den Einwohnern eines freien und geordneten
Staatswesens bevorsteht, sobald die entfesselte Zügellosigkeit dumpfer und
stumpfer Massenschwärme über sie fortprallt, asiatischer Halbwilder, die
an glücklicheren Völkern die Pein ihrer eigenen Sklaverei zu vergelten
gedenken, das sind Dinge, liebe Schwester, die mich vorläufig nur
wie unvorstellbare schwere Träume ängstigen. Zwar noch ist ja eine
Beschwörung der Gefahr nicht gänzlich unmöglich. Doch mein Rat geht
für alle Fälle dahin, dich und die Deinen sowie alle, die dir nahestehen,
schon jetzt in Sicherheit zu bringen. Mit Freuden öffne ich dir mein Haus
in Berlin. Es genügt aber vielleicht auch, wenn du dich einstweilen in
eurer Provinzialhauptstadt einmietest. Aber nimm die Zeit wahr, liebe
Adelheid, denn binnen kurzem dürften auch dort neue Ankömmlinge wegen
der zu befürchtenden Übervölkerung zurückgewiesen werden. Ist es
nicht unfaßbar, sich alle diese ungewohnten Schrecken und Grausamkeiten
vorstellen zu müssen? Gott gebe, liebe Schwester, daß diese wütende
Windsbraut ohne schweren Schaden an dir vorüberbraust.«
 
Als Frau von Stötteritz bis hierher in ihrer Lektüre gelangt war, da
faltete sie den Brief emsig und umständlich zusammen, jede Falte in ihre
gewohnte Lage, und schob das Schreiben mit ihrer dürren Hand raschelnd in
den seidenen Beutel. Dann wandte sie das Haupt, und ohne ein weiteres
Wort an diese für sie völlig erschöpfte Angelegenheit zu verschwenden,
richtete sie ihre starren, grauen Augen, die sich plötzlich unnatürlich
weit geöffnet hatten, regungslos und unerbittlich auf das hochgewachsene
blonde Mädchen. Auch Johanna vermochte sich in der abermals herabsinkenden
Stille, die bang und trübselig, beinahe hörbar, durch das weite Zimmer
schlürfte, keiner Bewegung hinzugeben.
 
Ungläubig nahm der Riese von Sorquitten, der auch jetzt noch mit hörbar
tiefen Atemzügen neben seiner jungen Verwandten weilte, die merkwürdig
belebte Blässe des sonst so resoluten und durch nichts zu erschütternden Frauenbildes in sich auf.

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