2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 21

Die Herrin und ihr Knecht 21


Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, Rudolf Bark,« versetzte sie mit
feiner Ironie, und auch die vollen Lippen bekundeten eine gewisse trotzige
Sucht nach Lüge und Intrigue. »Die drei Burschen dort draußen gehören
zur Begleitung meines Mannes. Sie werden selbst sehen, die Wichte verstehen
es viel besser, mir meinen seidenen Mantel umzulegen, als einen Karabiner
loszudrücken.«
 
Da war die Unwahrheit heraus. Und seltsam, als Maria Geschowa ihren Blick
jetzt in die kühlen, von Zweifel erfüllten Augen des Mannes richtete, von
dem sie beinahe hoffte, daß er sie durchschauen möge, da malte sich auf
ihren dunklen Bronzezügen ein freches, wildes Flimmern, wie sie es wohl
als Kind den Ihrigen daheim auf dem kaukasischen Gebirgsgut gezeigt, wenn
sie entwendete Äpfel zu verleugnen hatte. Und siehe da, ihr Partner blieb
ihr gewachsen. Es bereitete ihr selbst eine wollüstige Befriedigung, als
er mit seinem gewinnendsten Lächeln entgegnete:
 
»Aha, die Begleitung Ihres Mannes -- und sie legen Ihnen den Mantel
um -- --, ich bin leider durchaus zivil, gnädige Frau, aber bei einer
derartigen militärischen Verwendung würde ich mich sofort auf Avancement
melden -- --«
 
»Pfui,« atmete Maria Geschowa, bei der der lauernde und gespannte Zug
noch immer nicht entschwunden war, erleichtert auf, »Sie werden unartig,
bester Freund. Darf ich Ihnen nicht lieber eine Tasse Tee bereiten? Solch
ein Trank aus unserem Samowar schwemmt uns alle unnötigen Sorgen fort.«
Und indem sie ihm abermals mit dem Zeigefinger leicht auf die Brust tippte,
forschte sie ungeduldig: »Weshalb sehen Sie so unausgesetzt nach der
großen, blonden Walküre, die Sie mitgebracht? Sind Sie ihr Vormund?«
 
Ja, der Prinzipal des Goldenen Bechers hing sich mit allen Sinnen an die
aufrechte Gestalt der Ältesten von Maritzken, weil ihn nicht eine Sekunde
die treibende Furcht verließ, daß er hier unter diesem fremdsprachigen,
auf der Lauer liegenden Volke ihr einziger Schutz und ihre letzte Hilfe
sei. Wenn er doch nur unauffällig an ihre Seite gelangen könnte, um ihr
seine aufkeimenden Bedenken bemerklich zu machen. Allein Johanna weilte
in zwangloser Unterhaltung mit dem Fabrikbesitzer Miljutin an demselben
Tischchen, das der Student Diamantow vor kurzem verlassen, und an ihren
suchenden, manchmal hilflosen Gebärden erkannte Rudolf Bark, wie sie
bei dem russischen Kaufmann sicherlich in der ihr nicht ganz geläufigen
französischen Sprache allerlei geschäftliche Erkundigungen einzog. Ihr
heut leicht gewelltes Blondhaar leuchtete selbst in der dämmrigen Ecke so
voll Glanz und hellem Schimmer, ihre Haltung war so frei und dabei doch
so stolz und straff, daß den Beobachter plötzlich die fast berauschende
Genugtuung durchströmte -- eine deutsche Frau!!
 
Wenn er sie nur erreichen könnte!
 
Allein Johanna war zu sehr in die praktischen Erläuterungen vertieft, die
ihr Herr Miljutin hinter seiner goldenen Brille, ein wenig stockend und
schüchtern wie immer, angedeihen ließ, als daß sie auf ihren einzigen
wahrhaften Freund in dieser Gesellschaft geachtet hätte. Das Kapitel des
Pferdeeinkaufs war bereits zu ihrer Befriedigung abgehandelt worden, jetzt
berichtete ihr der Fabrikant voll Stolz von seinen eigenen Erzeugnissen,
und daß er auch Decke und Sims des kleinen Billardzimmers mit ganz
neuartigen, perlmutterfarbig irisierenden Kacheln ausgelegt hätte:
 
»Als Borten, mein teures gnädiges Fräulein,« lispelte Herr Miljutin,
»sind Goldmajoliken verwandt, und an der Breitseite ist aus lauter kleinen
Mosaik-Porzellanstückchen das Bild unseres erhabenen Zaren als Ritter
Sankt Georg eingelegt. Ja, es ist ein schönes Werk des Friedens,«
murmelte der Fabrikbesitzer mit kaum hörbarem Kummer, und indem er auf
seinem verkürzten Fuß einen Schritt voranhinkte, verneigte er sich an
der Schwelle und vollführte eine einladende Bewegung. »Sie würden mich
außerordentlich ehren, teures Fräulein, wenn Sie meine bescheidenen
Leistungen selbst beaugenscheinigen wollten. Bitte, treten Sie ein.«
 
Demütig hob er den Vorhang, und Johanna nickte zustimmend und schritt
über die Schwelle.
 
Später erinnerte sie sich unausgesetzt jenes Augenblicks. Es war, wie wenn
eine Nonne die Zelle des Friedens verläßt, um sich in das ihr unbekannte
Getümmel zu verlieren.
 
 
 
 
V.
 
 
Die Portiere schloß sich über den Eintretenden, allein dicht hinter ihr
wurzelte Johanna fest. Ihre Hände suchten nach rückwärts die Falten des
bunten Vorhanges zu gewinnen, als müsse sie sich um jeden Preis an etwas
Irdisches, ihr Gewohntes anklammern. Es war nicht das trauliche und mit
wirklich erlesenem Geschmack eingerichtete Gemach, das das erdgebundene
Wesen des Landmädchens für eine vorüberschnellende Sekunde so sehr
verwirrte, bis es von allem, was sie bisher erlebt, abgelenkt war; es
war auch nicht, wie sich Herr Miljutin vielleicht schmeichelte, der
merkwürdige Meerglanz der Decke, die unwahrscheinliche, feuchtfunkelnde
Strahlen auf sie herabschoß, es war vielmehr die ihrem prosaischen Gemüt
vollständig unerklärliche Vorstellung, ein Götterbild oder ein Heros,
jedenfalls irgend etwas Übermenschliches verkünde sich ihr unvermutet in
ruhiger, selbstverständlicher, beinahe eisiger Schönheit. Aber das war
nicht das richtige Wort. Herr im Himmel, sie fand kein anderes, als sie in
dem ersten Schrecken, der ihre arbeitsame, unempfindliche Natur anfaßte,
dasjenige zu bezeichnen suchte, was ihr so ungeahnt jede Beherrschung
raubte. Da lehnte vor ihr an der schweren Mahagonieinfassung des Billards
eine wunderbar ebenmäßige Männergestalt, breitschultrig und dabei
schlank und wohlgefügt, als wenn ein Künstler den Körper aus Marmor
geformt hätte. Nur bizarrer Eigensinn schien die muskulösen und doch
jugendlich weichen Glieder mit der eleganten dunkelblauen Dragoneruniform
aus feinstem Tuch bekleidet zu haben, um deren Achselbiegung sich ein paar
blitzende Silberschnüre herumzogen. Und nun welch ein Haupt!
 
Johannas Nüchternheit war weit davon entfernt gleich nervösen rasch
gewonnenen Genossinnen ihres Geschlechts etwa bei dem ersten Blick in
schwärmerischer Anbetung aufzulodern. Nichts dergleichen empfand ihre
herbe deutsche Fassung dem völlig neuartigen Bild von Männerschönheit
gegenüber, das wie aus dem Himmel gefallen plötzlich vor ihr aufragte.
Nur ein ungeheures kindliches Staunen erfüllt sie ganz und gar. Und mit
einer namenlosen Bewunderung betrachtete sie das Meisterwerk in einer
Andacht, die nicht frei war von künstlerischer Erhebung. Durchaus
natürlich fand sie es ferner, daß auch der fremde Offizier in
vollkommener Bewegungslosigkeit vor ihr verharrte, und nicht der leiseste
Verdacht beschlich sie, der junge strahlende Mann könnte nur deshalb seine
lässig angelehnte Stellung so dauernd beibehalten, weil seine großen
braunen Augen sich in dem hellen Ährenschimmer ihres Haares verfangen
hatten.
 
Eine Erinnerung peinigte das Landmädchen. Wo hatte sie doch das feine
schmale Haupt mit der fast griechischen Nase und den sanft überbräunten
Wangen bereits einmal gesehen? Und vor allen Dingen, die wirre Fülle
kurzer, brauner Locken, von denen die hohe Stirn trotzig und widerwillig
umrahmt wurde, mußte sie ihr nicht den Eindruck verstärken, als wenn das
alles ihre Phantasie schon oft beschäftigt hätte?
 
Und richtig, ein erlösender Blitz riß ihre Befangenheit auseinander.
Jetzt wußte sie es. In ihrem Schlafzimmer zu Maritzken hing ein
alter, halb verräucherter Buntstich, der die anmutigen und doch
nachdenklich-melancholischen Züge des Preußenprinzen Louis Ferdinand
wiedergab, des edlen Opfers von Saalfeld. Oh, wie seltsam die
schöpferische, vielgestaltige Natur sich wiederholte! Hier saß in jeder
Linie derselbe Mensch, bequem und doch voll anerzogener Eleganz auf der
Umrahmung des Billards, und ohne daß er ein Wort äußerte, sagten die
sanften lächelnden Augen des Offiziers ganz deutlich, daß ihm das große
blonde Mädchen eine erfreuliche Erscheinung böte.
 
»Nur reichlich verwöhnt scheint der vornehme Herr mit den silbernen
Achselschnüren zu sein,« dachte die praktische Johanna, die sich
plötzlich ihrer Bewunderung mit einem harten Ruck entriß, weil der
Offizier ein Lebenszeichen von sich gab, indem er sich gefällig gegen sie
verneigte. »Bei uns pflegen sich Militärs zu erheben, wenn sie eine
Dame begrüßen. Wozu schlenkert dieser so anhaltend mit den hohen
Reiterstiefeln aus Lackleder? Und Himmel, trägt er nicht goldene Sporen?
Das muß ein großes Tier sein!«
 
»Teures Fräulein,« hauchte neben ihr der Fabrikbesitzer Miljutin und
rückte viel verschüchterter, als sonst, an seiner goldenen Brille,
»bevor ich die Ehre habe, Ihnen das Mosaikbild unseres allergnädigsten
Gossudars zu zeigen, erlauben Sie gütigst eine Vorstellung.« Er verbeugte
sich tief gegen das Billard, als wäre es viel wichtiger, die Zustimmung
des Dragoneroffiziers einzuholen, und fuhr zitternd vor der Bedeutung
seines hohen Bekannten fort: »Dies ist Fürst Dimitri Sergewitsch
Fergussow von den Petersburger Gardedragonern. Er genoß die Ehre, einer
der Adjutanten unseres Zaren gewesen zu sein, den der lebenspendende
Christus erhalten möge. Und dieser Herr hier,« sprach Herr Miljutin
weiter, nachdem Johanna ihr Haupt stolz und gemessen geneigt hatte, als
wollte sie sich selbst durch doppelte Zurückhaltung für ihre anfängliche
kindische Fassungslosigkeit bestrafen, »dieser Herr ist Oberst Geschow
aus Mariampol.« Und mit einer halb wegwerfenden Handbewegung setzte der
Fabrikant noch hinzu: »Ach, richtig --, daß ich es nicht vergesse, dies
hier ist Alexander Diamantow, ein Bergbaustudent.«
 
Die Älteste von Maritzken hatte den Fürsten Fergussow mit Unrecht
verdächtigt. Denn während die anderen beiden Herren sich verbeugten, wie
man sich eben vor einer eintretenden Dame verneigt, gab der Aristokrat mit
einer gewissen Hast seine lässige Stellung auf, ganz wie wenn er für die
Zwanglosigkeit, in der man ihn überrascht, lebhaft um Nachsicht zu werben
hätte. Und die Art, wie er nun der blonden Deutschen seine Ehrfurcht
bewies, ließ auf den ersten Blick erkennen, daß der schöne Mensch seine
Erziehung auf dem Parkett des Hofes genossen haben müsse. Ohne das Wort an
die Fremde zu richten, trat der Dragoneroffizier höflich zur Seite, um den
Ankömmlingen den Weg zum Mosaikbilde freizugeben. Kaum hatte ihm Johanna
jedoch den Rücken gekehrt, da folgte ihr ein müder, etwas gleichgültiger
Blick, der dann zu dem Obersten und dem Bergbaustudenten herüberglitt und
von einem Achselzucken begleitet war. Die Gebärde schien auszudrücken:
»Wozu die Unterbrechung?« Trotzdem begaben sich die drei Herren
gleichfalls an die Breitseite der Wand, als wollten sie den Eindruck
beobachten, den das Mosaikbild auf diese kühle, große Frau hervorbringen
würde.
 
»Eine echte Nemza,« dachte Dimitri Sergewitsch, der direkt hinter dem
Mädchen verweilte und auf diese Weise, ohne daß sie es merkte, ganz aus
der Nähe ihre reife Blondheit festzustellen vermochte. »Fade,« urteilte
der Fürst abschätzend und ohne eine Spur innerer Achtung, »ein grobes,
starkknochiges Geschöpf.« Und doch bückte er sich katzenhaft, um
dem Mädchen das Taschentuch aufzuheben, das ihr eben aus der Rechten
entglitten war. Mit einer formvollendeten, artigen Verneigung, die die
äußerste Dienstbeflissenheit verriet, reichte er ihr das Gewebe zurück.
»Es ist dick wie ein Scheuertuch,« gestand er sich dabei selbst. »Wie
geschmacklos sich die Deutschen kleiden. Nicht einmal ein Tröpfchen
Parfüm hat sie angewendet. =Fi donc!=«
 
Fürst Fergussow schwärmte nicht für die Blonden. Er schwärmte
überhaupt für nichts. Er suchte nur immer. Und der verwöhnte Liebling
der Petersburger Salons grübelte manchmal ernsthaft darüber nach, ob
das Geschenk des Lebens nicht eigentlich eine gemeine und widersinnige
Teufelsgabe wäre. Immer frischer Reizmittel bedurfte man, um diese
abspannende, diese zermürbende Gleichgültigkeit stets von neuem
aufzurütteln. Und in einer jener Stunden der Lethargie oder der nagenden
Selbstzerfleischung, wenn das Daseinsflämmchen verendend zuckte, da war
der bewunderte Dimitri Sergewitsch, der Held so vieler Romane, zuletzt in
einen Kreis junger Studenten und mittelloser, im Avancement übergegangener
Offiziere geraten, die ihre fest geschlossene Vereinigung das »Symposion«
nannten. Unter den Symposiasten aber herrschte die Überzeugung, daß man
das Leid und die Widerwärtigkeiten des Daseins nicht köstlicher betrügen
könne, als durch ein gemeinschaftliches, freiwilliges Ende in voller Kraft
und Rüstigkeit. Nachdem man vorher eine Orgie gefeiert, die alle Blüten
der Kultur, die giftigen sowohl wie die himmlischen, gleich einem Kranz um die Häupter der Teilnehmer geschlungen.

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