2015년 11월 30일 월요일

Die Herrin und ihr Knecht 38

Die Herrin und ihr Knecht 38


Im ungewissen Schein der Laterne sah er, wie die beiden mächtigen
Eisenquerbäume ordnungsgemäß vorgelegt waren, auch den ungeheuren
eisernen Schlüssel mit dem wunderlich verschnörkelten Kopf aus einer
frühen Zeit der Technik fand seine fühlende Hand fest im Schloß.
Beruhigt atmete er auf. Durch die oberen eisenvergitterten Butzenscheiben,
die sich wie herausgeschlagene Boden grüner Weinflaschen ausnahmen,
stahl sich bereits ein schwächliches Dämmern des neuen Tages. Schwalben
schossen dort draußen zirpend durch die Luft, und ganz von fern meldete
sich ein eigentümliches Poltern und Rasseln, wie wenn ungefüge Karren
eine Ladung von Eisen über unebene Straßen zu schaffen hätten. Der
Kaufmann zog seine goldene Uhr und hielt sie vor das rauchende Licht:
ein Viertel auf drei. Wer konnte zu dieser frühen Stunde eiserne
Gerätschaften in die Stadt transportieren? Oder sollte sich die Meldung
von Pawlowitsch im Ernst bestätigen? Und der elegante Mann tat etwas, was
er sich vor einer Stunde gewiß noch nicht hätte träumen lassen. Er
legte das Ohr an die kalte Platte der Tür und lauschte angestrengt auf das
nervenerregende Geräusch, das sich dort draußen in der Weite immer mehr
verstärkte.
 
Da -- was war das? Ein leichtes Rollen fuhr über den Markt, das
gleichmäßige Getrappel von Wagenpferden verkündete sich und brach
wie auf einen Schlag ab. Unmittelbar vor seiner Tür schien ein Wagen zu
halten. Gleich darauf wurde an dem Schloß der Einfahrt gerüttelt, aber
es klang mehr wie ein hastiges Kratzen und stammte von einer schwächlichen
Hand. Der Konsul räusperte sich. Dann nahm er sich zusammen und rief mit
seinem gemütskalten Ton:
 
»Heda, wer ist dort draußen?«
 
Wer aber konnte das Erstaunen des Mannes beschreiben, als die
wohlbekannte Stimme des Rotkopfes von Maritzken durch das Schlüsselloch
hindurchflüsterte:
 
»Herr Konsul -- ich bin es -- Isa -- schnell machen Sie auf, ich bin in
großer Gefahr.«
 
In der nächsten Minute poltern die Querbäume herab, ächzend schiebt
sich ein Spalt des mächtigen Tores auseinander, und im Dämmergrauen des
Morgens wirft sich ein junges Geschöpf, um das ein zerzauster Regenmantel
flattert, völlig haltlos in die Arme des Mannes.
 
Draußen wirft der Wagen herum und stäubt wie ein Unwetter davon.
 
»Isa, um alles in der Welt, was bedeutet das? Wie kommst du hierher?«
 
Der von Schrecken Gepeinigte vergißt im Moment alle Erziehung und
Höflichkeit und sieht in dem bebenden Wesen nur das schutzbedürftige
Kind, dessen fröhliches Heranwachsen er wie ein Vater beobachten
durfte. Jetzt klammert sie sich wortlos an seine Brust, mit einer irren,
befremdlichen Kraft, und ihre feine Hand deutet schwankend auf die nahe
Pforte des Arbeitszimmers. Da besinnt sich der Kaufmann nicht länger. Mit
der Rechten wirft er auf einen Schlag die Querbäume vor das Tor, und ohne
weitere Frage trägt er das Mädchen, das sich nicht mehr rührt, in das
Refektorium.
 
Wieder gleiten die Schatten hin und her, die Evangelisten bewegen sich und
schütteln die Häupter, und die blauen Holzaugen des Himmelspförtners
wetterleuchten im Glanz, als sie gewahren, wie unbeholfen der Kaufmann
seine Last in den geräumigsten der Kirchenstühle niedersetzt. Ganz
sacht und behutsam. Er bettet sogar, ohne sich dabei etwas zu denken, den
Regenmantel über die Knie der Kleinen zusammen. Dann zieht der Herr des
Goldenen Bechers für sich selbst einen Klubsessel heran und setzt sich
so, daß er dem Mädchen in das feine blasse Antlitz schauen kann. Geduldig
wartet er, bis sich in dem verstörten Gesicht die dichten Wimpern heben.
Kaum aber trifft ihn der erste Blick aus diesen klugen frühreifen Augen,
da besinnt sich Rudolf Bark auf das eigentümlich väterliche Verhältnis,
das zwischen ihm und dem zusammengekauerten Ding waltet, er entreißt
sich seinen eigenen Sorgen, beugt sich vor und klopft ihr wohlwollend,
herablassend die weiche Wange.
 
»Um Gottes willen, Mariellchen, Ihr Besuch ist zwar ehrenvoll, aber doch
leidlich früh. Wenn ich nicht zufällig wie mein eigenes Gespenst durch
das Haus schlürfte, ja, dann hätten Sie mich höchstens aus kummervollen
Träumen wecken müssen. Aber nun im Ernst, liebes Kind, was treibt Sie
her? Wie steht es in Maritzken? Was macht Johanna?«
 
Und dann kommt der Moment, wo die Heimatlose seine Hand ergreift und sich
auf die Lehne seines Fauteuils niederläßt, als müsse sie aus Furcht vor
der großen, leeren, fremdartig beleuchteten Stube dem Freunde ihres Hauses
all die Schrecknisse der Nacht ins Ohr raunen. Dicht aneinandergeschmiegt
sitzen sie, und in überstürzter Schilderung entwirft der feine Mund
dem immer gespannter Aufhorchenden die düstern Schattenbilder, die diese
furchtbarste Nacht ihres Daseins durchrast. Knappe Fragen wirft der Mann
zwischen die ängstliche Rede, ihm liegt namentlich daran, die einzelnen
Gegenden zu wissen, an die sich für Isa so schreckhafte Erinnerungen
knüpfen, er wirft ein, daß das Mädchen wohl nur einem Patrouillentrupp
begegnet sein könne, der die Stadt in weitem Bogen umgangen, er fragt nach
Zahl, Bewaffnung und Sprache der Uniformierten, und allmählich quillt
der Verschüchterten aus der gleichgültigen Ruhe des Kaufmannes eine neue
Sicherheit zu. Ganz gewiß, es kann nicht so schlimm stehen, das Ganze
bildet vielleicht nur ein abenteuerliches Mißverständnis, denn Rudolf
Bark lehnt ja vor ihr in seinem modischen Anzug, der nichts von seiner
tadellosen Glätte eingebüßt, und im Vollbesitz seiner sachlichen
Nüchternheit, deren kühles Gleichmaß für den Rotkopf stets das Ziel
einer sie erregenden Bewunderung gewesen.
 
»Herr Konsul, glauben Sie, daß nun die Stadt und die Umgegend von diesen
schrecklichen Menschen überschwemmt wird?«
 
»Ja, Isachen, damit wird man leider rechnen müssen.«
 
Ein schnelles Atmen.
 
»Und wird das für Sie und für Johanna und auch für mich mit Gefahr
verknüpft sein? Sie können es mir ruhig sagen. Nach dem, was ich heut
nacht erlebt, bin ich auf alles vorbereitet. Kann es uns ans Leben gehen
oder werden wir verschleppt werden?«
 
»Liebes Kind« -- der Kaufmann sah seiner Gewohnheit gemäß auf die
Kappen seiner Lackschuhe, die ihm der Hausmeister, dem langjährigen
Brauch folgend, hingestellt, und blickte dann in das blasse Gesicht
seiner Gefährtin empor; in der gleichen Minute aber war er mit seinen
blitzschnellen Erwägungen auch schon am Ende angelangt -- »liebes Kind,
ich denke, daß die fremden Gewalthaber voraussichtlich alles mögliche
aufbieten werden, um bei der kommenden Besetzung die Ordnung und die
Sicherheit aufrecht zu erhalten. Da man bei unserer Bevölkerung doch einen
guten und harmlosen Eindruck zu erwecken wünschen muß, so werden sie nach
meiner Meinung hier mehr als die guten Naturburschen auftreten, mit denen
es sich leicht und gemütlich verkehren läßt. Ich hoffe also, eine
persönliche Gefahr wird uns nicht drohen. Nur geschäftlich werden
ungeheure Summen verloren gehen.«
 
»Auch Ihnen, Herr Konsul?«
 
»Auch mir. Da wir für die nächste Zeit abgeschnitten sind, so werden
alle geschäftlichen Beziehungen zerreißen, auf denen der Handel beruht,
und es wird bald eine traurige Lähmung eintreten, eine sehr traurige.«
 
Er sieht wieder auf seinen schmalen Fuß herunter und doch verzieht sich in
dem gefaßten Antlitz nicht eine Miene.
 
Da fühlt der Rotkopf, es müsse doch noch höhere Interessen geben, als
die unverhüllte Sorge um Leben und Wohlergehen, und urplötzlich fliegt
ein helles, huschendes Rot über ihr verstörtes Gesicht.
 
Rasch springt sie auf und zaust geräuschvoll an ihrem steifen Regenmantel:
 
»Herr Konsul Bark.«
 
Der Ruf klingt in der trüben Gegenwart und mitten in der langsam
vorüberkriechenden Nacht so frisch und lebenshell, daß der Geschäftsmann
unvermutet den ihn umblitzenden Zahlen entrissen wird, um sich ganz
verwundert an seine jetzige Lage zu erinnern. An das befremdliche
Fortbleiben seines Verwalters, an das leere verschlossene Haus voller
Vorräte, und an sein Zusammentreffen mit dem jungen Mädchen, das er
irgendwie behüten muß, wenn ihm auch augenblicklich jedes Machtmittel
dazu fehlt. Draußen klirren die unheimlichen Wagen mit ihrer rasselnden
Eisenladung immer näher. Und als er jetzt seinen Blick umherschweifen
läßt, als er innen hinter den vergitterten Fenstern die fest
geschlossenen Holzläden prüft, und indem er erwägt, wie lange die halb
herabgebrannten Kerzen noch ihr Licht spenden können, da erfaßt ihn die
merkwürdig zerstreuende Erkenntnis, daß mitten in all dieser schlimmen,
eisengeschüttelten Erwartung ein junges hübsches Mädchen steht, mit dem
er sich allein in einem festungsähnlich verbarrikadierten Hause befindet.
Es ist zwar lächerlich, jetzt über derartiges nachzudenken, aber in
dem bangen Harren tanzen die Gedankenreihen so wild und glitzernd
durcheinander, wie sonnenbeschienene Telegraphendrähte, wenn der Zug
donnernd vorüberbraust. Nein, er muß sich auf etwas Wirkliches, auf etwas
Vorhandenes beschränken. Rasch erhebt er sich, und während er fühlt, wie
ihm die Mädchenaugen auf seinem Weg folgen, da unterdrückt er gewaltsam
eine ihn umspinnende Schlaffheit, die wohl von der Aufregung und der
unterbrochenen Nachtruhe herrührt. Und wieder schwingt und glitzert
und sticht eine ganz unvorhergesehene Idee durch das nüchterne Hirn.
Donnerwetter ja, er ist zweiundvierzig Jahre alt. In dem biegsamen Körper,
der wie eine Stahlklinge jedem Druck nachzugeben weiß, ist bisher nie die
Überlegung aufgetaucht von Einhalten und Schonung und herannahendem Alter.
Aber wie er jetzt an dem Schreibtisch steht, um noch einmal entschlossen
auf den elektrischen Knopf zu drücken, in der Hoffnung, sein Hausmeister
könnte sich vielleicht doch wieder eingefunden haben, da muß er, obwohl
ihm ein Ärger dabei aufsteigt, das junge blühende Geschöpf mit den
rotleuchtenden Haaren messen und mitten in der Bedrohung und Not findet er
es dumm und verächtlich, solch albernen Erwägungen nachzuhängen. Er ist
eben ein älterer Mann und hat sich vor allen Dingen darum zu kümmern,
das mit Waren bis unter das Dach vollgestopfte Geschäftshaus, an dem seine
ganze Existenz hängt, zu hüten bis zum Äußersten. Teufel, unten lagern
zum Unglück lauter Waren, die das rohe Volk, das hier bald herrschen
soll, von jeher mit gierigen Augen angestarrt hat. Tee und Wein, Kaffee und
Zucker, Reis, Tabak, Schokolade und ungeheure Mengen lockender Konserven.
Wenn seine Leute nur zur Zeit kämen! Es gibt hier unten in dem ehemaligen
Kloster einige Löcher und Winkel, die man schon nicht mehr Keller, sondern
unterirdische Gänge nennen kann. Dort muß ein großer Teil der Vorräte
verborgen werden.
 
Durch das Haus schmettert die Klingel, gellt und schrillt und der Prinzipal
merkt erst jetzt, wie es schon minutenlang vergeblich läutet. Pawlowitsch
bleibt verschwunden, aber der Durst nach etwas Warmem, Stärkendem meldet
sich immer ungestümer.
 
Da plötzlich ein befreiender Einfall. Ganz ernsthaft wendet er sich an
seinen Gast und fragt so dringend und kurz, wie er seine Angestellten anzureden gewohnt ist:

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