2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 15

Die Herrin und ihr Knecht 15


Isa,« flüsterte sie hastig, »dort hinten kommt jemand, der mich
sucht.«
 
Jetzt warf auch die Jüngere einen schnellen Blick auf den Feldweg, der
hinter dem Kirschbaum quer auf die Landstraße zustrebte, und ganz fern,
schon in den tanzenden Sonnennebeln, erkannte sie das gleißende Funkeln
einer Uniform.
 
»Ich weiß, wer dich sucht,« sagte sie sehr bestimmt, und in den großen
Goldaugen schwamm ein Ausdruck, als ob das junge Ding die sonderbare Lage
durchaus begriffe.
 
»Jawohl, Fritz Harder,« fiel hier Marianne ungeduldig ein, »wenn er
dich etwa anreden sollte, dann bitte erzähle nicht, daß du mich gesehen
hättest. Kann ich mich darauf verlassen?«
 
Auf diese dringende Frage erteilte die Siebzehnjährige keine Antwort. Aber
über ihre Wangen ging es wie ein Schauer von Röte und Blässe, und in den
weit aufgetanenen Augen schimmerte etwas Ernstes, ja beinahe Ängstliches,
was zu dem schnippischen Wesen der frühreifen jungen Dame kaum zu passen
schien. Ihre Fäuste ballten sich, und es war ein abschätzender Blick,
mit dem sie ihre ältere Schwester, die so völlig ihr Gleichmaß verloren
hatte, vom Kopf bis zu den Zehen musterte. Der kleine zuckende Mund jedoch
öffnete sich nicht, und so dauerte das unerwartete Schweigen fort.
 
»Du hast mich wohl nicht verstanden?« drängte Marianne ungehalten
weiter, und indem die Eilfertige den straff herabgestreckten Arm der
Jüngeren schüttelte, als wollte sie ihre eigene Gegenwart dadurch
deutlicher bekunden, schärfte sie der unwillig sich Reckenden mit heißer
Stimme noch einmal ein: »Du wirst also nicht sagen, daß ich hier vorüber
ging.« In jähem Übergang preßte Marianne plötzlich ihre Wange gegen
die der Kleinen, umfing sie mit beiden Armen, drückte sie an sich und
schmeichelte immer noch mit mühsam erkämpftem Atem: »Nicht wahr, mein
Liebling, du tust mir den Gefallen? Es ist alles nur ein Scherz, verstehst
du? Du wirst mich nicht verraten, nicht?«
 
Da wand sich Isa los. »Ich werde gar nichts sagen,« erklärte sie kurz,
während sie sich mit einer jugendlich eckigen Bewegung wieder auf die Bank
niederließ. »Was gehen mich deine Spielereien an?«
 
Und in einem plötzlichen Rache- und Machtgefühl bückte sich der
geschmeidige Körper, holte das versteckte Buch hervor und indem sie es
recht sichtbarlich ins Sonnenlicht hielt, vertiefte sie sich scheinbar
von neuem eifrig in die unterbrochene Lektüre. Marianne aber zuckte
geringschätzig die Achsel, als bedaure sie es jetzt, an diese
Halbwüchsige soviel Verführungskünste verschwendet zu haben, dann
krümmte auch sie ihre Glieder zusammen, um sich im nächsten Augenblick
geschickt und tief gebeugt in dem ausgetrockneten Graben von dannen zu
schleichen.
 
Kaum war sie verschwunden, da riß Isa die Zweige des Kirschbaums
auseinander, und während sie ihren Rotkopf hastig durch die Öffnung
steckte, warf sie der Enteilenden in weitem Schwung ein Erdklümpchen nach,
das sie vorher von der Rasenfläche aufgelesen. Gleich darauf sank sie
freilich auf ihrem Sitz zusammen, schlug die Füße übereinander und ließ
das leuchtende Haupt langsam auf die harte Banklehne sinken. Angestrengt
schien sie über ein nicht lösbares Rätsel nachzusinnen.
 
Es waren die Disharmonien des Lebens, die sich vor den Ohren der
Erwachenden noch nicht einfügen wollten in die bald schauerlichen, bald
heiteren Melodien, die heimlich und stark in ihr klangen.
 
* * * * *
 
Minute auf Minute verrann, die Uniform, auf die die Versteckte harrte, sie
wollte sich nicht zeigen. Längst hatte sich Isa wieder erhoben, um ihre
scharfen Blicke hierhin und dorthin schweifen zu lassen, vergeblich. Feld,
Steg und Wiese blieben leer. Und die Halbwüchsige überlegte. Sollte der
Offizier etwa noch einmal in das Herrenhaus zurückgekehrt sein? Ei, das
wäre geradezu prachtvoll, wenn der ahnungslose junge Mensch dann mit der
anspruchsvollen launenhaften Person womöglich in Gegenwart von Johanna
zusammenstieße. Denn darin glaubte sich der feine Verstand der Jüngsten
von Maritzken nicht zu täuschen, daß ein so in sich versunkener
und ernster Mensch, wie es Fritz Harder war, niemals die verstiegenen
Ansprüche ihrer eitlen Schwester befriedigen könnte. Ein Geschöpf, das
beinahe eine Stunde zu einer Frisur benötigte! Und wie dumm und ungebildet
Marianne im Grunde dahinlebte. Blieb es nicht unbegreiflich, daß ein Mann
wie Fritz Harder, ein Offizier, der sich den höchsten und entlegensten
Dingen so ernst und strebsam hingab, war es faßbar, daß ein solcher wie
bezaubert und entrückt mit brennenden Augen und weit vorgebeugt vor einer
so lockeren und inhaltslosen Kokette sitzen konnte? Darin bestand also doch
wohl die Bestimmung und die höchste Macht der Frau.
 
Und wieder rieselte es kalt an den Gliedern der Versonnenen hinab, und sie
griff so heftig in die Zweige des Kirschbaumes, als wollte sie ihr eigenes
sehnsüchtig erwartetes Schicksal auf ihr Kinderhaupt herunterreißen.
 
»Sagen Sie mal, verehrungswürdige Jugend, für wen gedenken Sie diese
schönen Weichselkirschen zu pflücken?« schlug plötzlich eine feste
Männerstimme in den schweren Traum des Mädchens hinein.
 
Und erschreckt in die Höhe fahrend, erkannte Isa in völliger Verwirrung,
wie dicht vor ihr auf der Chaussee der geräumige Landauer des Konsul Bark
hielt. Auf weichen Gummirädern mußte das Gefährt lautlos bis
hierher gerollt sein, und die beiden Apfelschimmel mit dem strahlenden
Silbergeschirr riefen wie immer das stürmische Wohlgefallen von Fräulein
Isa hervor, die sich heimlich für alles, was ein sicher fundierter
Reichtum bot, begeistern konnte.
 
»Herr Konsul Bark,« rief sie so liebenswürdig als möglich, nicht jedoch
bevor sie sich das blaue Leinenkleid halb unbewußt an den schmalen Hüften
zurechtgestrichen hatte. Immer wieder verfiel sie in den Fehler, dem
eleganten älteren Manne, der auch jetzt in seinem fast weißen Staubmantel
und dem grünen Filzhut so überaus gewählt und vornehm aussah, durchaus
ihre Damenhaftigkeit einprägen zu wollen. »Herr Konsul Bark, kommen Sie
uns bereits abholen?«
 
»Zu Befehl, wir haben ja noch zwei gute Stunden zu fahren. Und die
Toilettenangelegenheiten« -- er beugte sich vor, legte die Hand quer über
die Augen, um die Sonnenstrahlen abzuwehren, und musterte die Kleine mit
einem ziemlich sorglosen Blick -- »na, die scheinen mir ja auch noch nicht
auf dem höchsten Gipfel der Erreichbarkeit angelangt zu sein. Hören
Sie mal, Rotfüchschen,« meinte er gemütlich weiter, während er an den
Grabenbord heranschritt und ihr über die Breite die Hand entgegenstreckte,
als ob er ihr behilflich sein wolle, »Sie schießen übrigens wie Spargel
in die Höhe!«
 
Isa hatte schon zum Sprung angesetzt, jetzt zögerte sie plötzlich. Sie
bettete ihre Hände auf den Rücken, und die Lippen, die so merkwürdig
rot und blühend aus dem blassen Mädchenantlitz hervorleuchteten, zuckten
ungehalten über der Zahnreihe.
 
»Herr Konsul, ich finde,« lachte sie über den trennenden Graben
herüber, aber es klang doch deutlich der Unmut heraus, »daß mein Haar
Ihre Phantasie direkt in Aufregung versetzt. Wenn Sie es durchaus nicht
leiden mögen, so könnte ich ja vor Ihnen immer im Hut erscheinen.«
 
»Aber liebstes Kleinchen,« beschwichtigte der Konsul ganz verwundert, der
nicht im Traum daran gedacht hatte, die Jüngste von Maritzken verletzen
zu wollen, »Ihr Haar ist ja im Gegenteil von erlesener Kostbarkeit.
Also, wenn ich jünger wäre, würde ich wahrscheinlich Gedichte darauf
verfertigen. So, nun aber hopsen Sie mal hier herüber, Isa, und setzen Sie
sich hübsch artig neben mich in den Wagen, ich bitte es mir nämlich als
besondere Ehre und Vergünstigung aus, die frisch gewaschene, übrigens
sehr appetitliche blaue Leinenbluse im Trab nach Hause fahren zu dürfen.«
 
Damit beugte er sich noch etwas schräger über den Graben und ergriff
ohne weitere Umstände die schmale Jungfrauenhand, die sich ihm plötzlich
willig und leicht entgegenstreckte. Mit einem Sprung war das Mädchen im
Wagen. Wohlig schmiegte sie sich in die hellgrauen Tuchkissen und lugte
abermals verstohlen auf den weißen Staubmantel dicht neben sich, der ihr
so kleidsam erschien. Lautlos rollte das Gefährt dahin. Als ob es
über einen Teppich von Samt fortglitte. Es war ein zu eigenartiges und
köstliches Gefühl, diese weiche Bewegung auf sich wirken zu lassen. Allen
Gliedern teilte sie sich angenehm und kosend mit. Träumerisch ließ das
Mädchen die feinen Härchen der Weizenähre, die sie kurz vorher vom
Grabenbord abgepflückt hatte, in ihrem Handteller kreisen, um sich bei
klarem Bewußtsein zu erhalten. Gar zu leicht lief man doch Gefahr, unter
dem wohlig spielenden Sonnenlicht den spinnenden Träumen zu erliegen. Sie
drehte die Ähre stärker und zuckte ein wenig, als sie den leisen Wirbel
der Reibung empfand. Und wie frisch und wohlgepflegt der Mann da neben ihr
aussah! Nur schade, daß seine prüfenden Blicke nicht abließen, musternd
und schätzend über die gelben Weizenfelder und die eben aufknospende
Kleefrucht zu schweifen, über der es bereits lag wie ein rötlicher oder
bläulicher Hauch. Über den Spiegel eines fernen Landsees kreiste im Bogen
eine Schar vom Meer hierher verschlagener Möwen, und ganz in der Nähe
taumelte eine Wolke gelber Zitronenfalter über die süß duftende Flur.
 
»Herr Konsul, hören Sie die Spottdrossel?« begann Fräulein Isa
empfindsam.
 
Der Mann im weißen Mantel neigte sich zu ihr, so daß ihm die Kleine ganz
verwirrt in das schmale Gesicht starren mußte. Aber gleich darauf empfand
sie, wie seine Finger ihr den gelben Weizenhalm entwanden, um geschickt die
Ähre ihrer Körner zu berauben.
 
»Schön,« sagte er befriedigt, »voll und gut schüttend.«
 
»Hm --«
 
Die junge Dame im Wagen schlug rasch die Füße übereinander und wippte
ein wenig mit den braunen Halbschuhen. Es war klar, besonders zarten
Empfindungen gab sich ein solch älterer Mann nicht hin. Und wie er jetzt
die gelben Körner von seinen festen braunen Fahrglacés abschüttelte, da
fielen seiner Begleiterin all die aufregenden Gerüchte ein, die man sich
schon in der Mädchenschule dort drinnen in der Stadt unweit der Grenze
erschreckt und erwartungsvoll zugleich über den eleganten Besitzer des
Goldenen Bechers zugeraunt hatte. Oh ja, sie konnte sich den Konsul ganz
gut so vorstellen. Und ohne daß sie es selbst ahnte, blieben ihre Augen
immer größer an den feinen gebräunten Männerzügen haften.
 
»Na, Kleinchen, ist hier etwas nicht in Ordnung?« erkundigte sich ihr
Begleiter endlich gestört, indem er mit der flachen Hand ein wenig über
seine glatte Wange streifte.
 
Da schrak sie zurück. Herrgott, der Geschäftsmann mußte sie tatsächlich
für ein absolut albernes Ding halten. Und sehr kühl erteilte sie die
Antwort:
 
»Oh nein, Herr Konsul, ich habe gar nicht an Sie gedacht.«
 
»So, so, Isachen, das ist mir aber sehr schmerzlich. Übrigens, sagen Sie
mal, mein Kind, schwatzen etwa Ihre Leute auch soviel dummes Zeug über
einen Kriegsausbruch, der uns nahe bevorstehen soll? Ich hoffe, Ihre
Schwester Johanna verbietet solche Redereien?«
 
Als das gefürchtete Wort laut wurde, jene wenigen Silben, die sich gerade
in dieses verwöhnte Mädchen wie ein fressendes Gift hineinbissen, da
steigerte sich die in ihr aufgescheuchte Angst bis zu einer Art sausender
Wahnvorstellung. Kreidebleich mußte sie das Haupt herumwerfen, der
unbestimmten Gegend zu, von woher die langberockten Reiterscharen
hervorbrechen konnten. Sie hörte den donnernden Hufschlag, ein
kreischendes Brüllen schrillte verworren über die ruhigen Wälder,
und ganz hinten auf der Chaussee ballte sich eine schwarze, auf- und
niedertauchende Masse zusammen. Verschwunden, fortgewirbelt waren all die
mädchenhaften Unklarheiten, die sie eben noch so reizend bedrängt
und beschäftigt hatten. Mit einem klagenden Ruf, aus dem nur eine fast
irrsinnige Furcht deutlich wurde, umklammerte sie den Arm des Konsuls,
schmiegte sich ganz dicht an ihn, als ob sie nichts weiter verlange, nichts
weiter, als nur Schutz und Deckung für ihr bedrohtes Leben, und stammelte vollkommen fassungslos:

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